Das Ende der Globalisierung - Christian Ganowski - E-Book

Das Ende der Globalisierung E-Book

Christian Ganowski

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Beschreibung

Die Verheißungen der Globalisierung haben sich nicht erfüllt. Mehr noch: Diese hat die aktuelle Krise erst ermöglicht. Aber auch ohne Weltwirtschaftskrise machen sich die negativen Seiten des Globalisierungswahns bemerkbar – aus Sicht der Ökologie und des Klimas ist sie eine Katastrophe, die Ausrichtung auf den Export macht Unternehmen abhängig von fremden Märkten und vom Ölpreis, der Verbraucher leidet zudem durch mangelhafte Produktqualität infolge fehlender internationaler Standards. Die derzeitige Globalisierung droht zu einer Blase zu werden, deren Kollabieren gravierende Folgen haben wird – die De-Globalisierung ganzer Wirtschaftsbereiche. Das Plädoyer der Autoren lautet deshalb: Nicht zurück zum Faustkeil, aber zurück zu einem vernünftigen Wirtschaften in Märkten, die überschaubar sind. Sie wagen den Blick in eine durch ökologische und ökonomische Zwänge wieder de-globalisierte Zukunft – und worauf Unternehmen sich einstellen sollten, warum dies nicht schlecht sein muss und was dies für uns alle bedeutet.

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Johanna Joppe | Christian Ganowski

Das Ende der Globalisierung

Johanna Joppe | Christian Ganowski

Das Ende der Globalisierung

Warum wir wieder vernünftig wirtschaften müssen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:[email protected]@redline-verlag.de

1. Auflage 2009

E-Book-Ausgabe (PDF): © 2009 by Redline Verlag, FinanzBuch Verlag GmbH, München. www.redline-verlag.de

Print-Ausgabe: © 2009 by Redline Verlag, FinanzBuch Verlag GmbH, München, Nymphenburger Straße 86 D-80636 München Tel.: 089 651285-0 Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Vera Schneidereit, München Umschlaggestaltung: Jarzina Kommunikations-Design Umschlagabbildung: Thomas Jarzina Satz: Manfred Zech, Landsberg am Lech Druck: GGP Media GmbH, Pößneck Printed in Germany

ISBN 978-3-86881-045-5 | Print-Ausgabe

ISBN 978-3-86881-215-2 | E-Book-Ausgabe (PDF)

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort zum Anfang vom Ende

1.    Das Gift der Globalisierung

Wer ist »die Globalisierung«?»Die Globalisierung ist gar nicht so schlimm!«Wie lange noch?Nichts hören, nichts sehen, nichts sagenDer Asterix der GlobalisierungReden wir darüberTrau keinem, der ’ne Krawatte trägt!Augen auf!Die Ente in der größten Badewanne der WeltLessons Learned

2.    Zurück zum Faustkeil!

Ist die Globalisierung unser Schicksal?Die nächste Krise kommt bestimmt!Der Motor der GlobalisierungWir können die Globalisierung stoppen!Local ContentDie totale DeglobalisierungLeben mit der DauerkriseSimulanten leben länger

3.    Jedem seine eigene Globalisierung!

Das Sterben hat begonnenDie Dosis macht das GiftManager, denk selber!Der globalisierte KonsumentThink global, act local

4.    Sei selber ein Held!

Schuld sind immer nur die andernDie Krise der MoralDie Geiz-ist-geil!-LügeMachtlose ManagerWarum die Welt ändern?

5.    Die Globalisierung frisst ihre Kinder

Sind Manager Menschen?Der Starfighter-SkandalKannibalismus in der GlobalisierungEs gibt keinen Quick FixGier blendetSolide und flexibelDie Globalisierung frisst InnovationenGlobalisierungs-Gewinner

6.    Die Globalisierung war ein Bluff!

Der Totes-Huhn-TestDie Globalisierung kann nicht funktionierenDer Doppel-BluffDas Zeitalter der AufklärungDie Globalisierung klautThe only game in town

7.    Intelligenz schlägt Globalisierung

Gibt es ein Leben nach der Globalisierung?Die Globalisierung macht SpaßDie Prinzipien der IntelligenzGibt es intelligentes Leben im Management?Alternativen zur GlobalisierungNur die Paranoiden überlebenDie Enttäuschung unseres Lebens

Nachwort von der schönen neuen Welt

Über die Autoren

»Der Kapitalismus hat sich verschluckt. An seiner Gier. Und an der absurden Idee, dass alles egal ist, solange die Kasse stimmt.«

Gabriele Fischer, brand eins

Vorwort zum Anfang vom Ende

Mal ehrlich: Was halten Sie von der Globalisierung? Sie ist ein Witz. Oder eine Katastrophe. Je nach Perspektive.

Sie ist die Zitrone, die uns als Ananas verkauft wurde. Der Schurke, der sich als Messias pries. Sie ruiniert unsere Ersparnisse und Banken. Sie begräbt unsere Kinder unter nie dagewesenen Staatsschulden. Sie löscht ganze Teile von Zulieferketten aus. Was viele vergessen: Schon vor der aktuellen sogenannten Weltwirtschaftskrise war sie ein böses Mädchen. Sie ruinierte das Weltklima und schmolz die Polkappen ab. Wenn demnächst Teile von Kalifornien und ganz Sylt im Meer versinken, passiert das mit freundlicher Empfehlung der Globalisierung. Sie vernichtet außerdem Arbeitsplätze, indem sie sie ins Ausland verlagert. Diese Vernichtung nennt sie euphemistisch »Outsourcing« oder »Offshoring«. Sie ruiniert gleichzeitig aber auch Firmen, die ins Ausland gingen, weil dort angeblich die Arbeitskosten nur ein Drittel so hoch sind (sind sie – aber nicht die Total Cost). Sie ruiniert Firmen via Procurement und nennt das »Low Cost Country Sourcing«. Die Globalisierung hat wahrscheinlich mehr Unternehmen geschädigt als jeder Markteinbruch. Das merkt bloß kaum einer. Und das nicht nur auf Unternehmerseite.

Auf Konsumentenseite stellt uns die Globalisierung »unschlagbar günstige« Rauchmelder ins Discounter-Regal, die nicht einmal einen Vulkanausbruch melden würden, sondern die obendrein selber Feuer fangen. Sie vergiftet unsere Kinder mit Spielzeug. Sie beschert uns Toxine im Milchpulver, Pilze in der Kleidung. Seit der Globalisierung befindet sich die Produktqualität im freien Fall. Noch nie zuvor in der Geschichte der zivilisierten Welt waren Menschen so sehr in Gefahr, Schaden an Leib, Leben und Geldbeutel zu nehmen – und das nur durch den simplen Besuch eines Supermarktes. Eigentlich müsste über jedem Discounter der Warnhinweis stehen: »Dieses Geschäft führt Globalisierungsprodukte und gefährdet damit akut Ihre Gesundheit und Ihren Wohlstand! Betreten auf eigene Gefahr.« Übertrieben formuliert? Das findet der kleine Junge, den die Globalisierung jüngst vom Rad geworfen hat, bestimmt nicht.

Neulich kaufte ein Bekannter für seinen Jüngsten beim Discounter ein Rad. Ein Tretbolzen brach, der Junge brachte sich bei einem Sturz fast um. So etwas wäre bei einem Markenrad in tausend Jahren nicht passiert. Den kleinen Radler schmiss es in voller Fahrt vom Sattel, er überschlug sich, riss sich Ellbogen und Knie auf und holte sich mehr blaue Flecken, als auf den kleinen Körper zu passen scheinen. Und nun kommt das eigentlich Erstaunliche: Was tat der Vater daraufhin? Stürmte er wutentbrannt den Discounter und knallte den fahrenden Metallschrott in den Kassenraum? Fluchte er auf die Globalisierungsganoven, denen nicht einmal das Leben unserer Kinder heilig ist? Schrieb er einen Brandbrief an seinen Abgeordneten, mit dem er endlich eine wirksame Kontrolle des Globalisierungsganoventums forderte?

Nein. Er zuckte bloß mit den Schultern und sagte: »Was will man bei so einem asiatischen Billigkram auch erwarten?« Wohlgemerkt: Sein Sohn hätte sich schwer verletzen können. Und das entlockte ihm nicht mehr als ein müdes Achselzucken. Es ist schlimm genug, was die Globalisierung mit uns, unseren Ersparnissen, Unternehmen und der Volkswirtschaft anstellt. Schlimmer jedoch ist, dass wir es verdient haben. Dass wir uns nicht wehren, ja nicht einmal darüber nachdenken. Dass wir uns auf die faule Haut des Gehorsams legen und »die da oben« machen lassen. Warum geht keiner auf die Barrikaden?

Das ist das eigentlich Erschreckende daran. Die Globalisierung richtet Schäden an, die eine verblüffte Menschheit bislang nur von Kriegen, Seuchen und Naturkatastrophen kannte. Wann gab es das schon? Ganze Staaten manövrieren in den Ruin, Millionen hungern, Zehntausende verlieren ihr sauer Erspartes und/oder ihren Arbeitsplatz, und selbst in God’s own country fristen plötzlich Hunderttausende enteigneter Hausbesitzer ihr karges Dasein in Zeltstädten. Im angeblich reichsten Land der Welt. Wann gab es das schon? In Friedenszeiten? Niemals zuvor. Die Globalisierung hat geschafft, wofür früher Panzer, Raketen und ganze Armeen nötig waren. Wo bleibt der Aufschrei?

Wir lassen uns ausnehmen wie die Weihnachtsgänse, lassen uns Schrottprodukte andrehen, unser Erspartes vernichten, unsere Arbeitsplätze wegnehmen, lassen unsere sauer verdienten Steuerkröten an die Schuldigen der Wirtschaftskrise verschleudern – aber empören wir uns? Nein. Gehen wir auf die Straße? Nein. Zeigen wir den Globalisierungsganoven den Stinkefinger und boykottieren ihre Produkte? Nicht die Bohne. Warum nicht?

Weil die meisten Menschen schlicht zu dumm sind für die Globalisierung. Sie lassen alles mit sich machen. Sie denken nicht nach. Und damit haben sie es nicht besser verdient. Ihnen geschieht die Globalisierung gerade recht. In der Regel. Die offensichtliche Ausnahme sind Sie. Sie halten doch tatsächlich ein Buch in Händen, das sich kritisch bis polemisch mit den Segnungen der Globalisierung auseinandersetzt. Das ist ungewöhnlich. Außerordentlich. Jedoch das einzig Richtige.

Denn wir können die Globalisierung nicht abschaffen. Zwar ist sie für jedermann erkennbar geplatzt wie die Internet-, die Immobilien- und die Kreditkartenblase auch. Die Globalisierung stellt nicht die neue Weltordnung, bietet nicht die versprochene Wohlstandsgarantie, sondern war lediglich die letzte Management-Mode. Doch solange sie übergeschnappten Gierhälsen weltweit weiterhin eine offene Arena bietet, um Firmen und Konsumenten abzuzocken, so lange wird sie auch weiterhin ihr Unwesen treiben. Die einzige Möglichkeit, sich dagegen zu wehren, ist, alle Hoffnung auf die Regierungen und die sogenannte Corporate Social Responsibility der Globalisierungsganoven fahren zu lassen – und endlich damit anzufangen, wieder selber zu denken. Denn die Globalisierungsgaunereien funktionieren nur mit unmündigen Menschen, die nicht selber denken können. Wer selber denken kann, überlebt nicht nur die Globalisierung, sondern kann auch deren unleugbare Chancen nutzen. Selber denken lohnt sich also.

Fangen wir damit an.

1. Das Gift der Globalisierung

»Die Globalisierung ist die Kanone, die sich im Sturm losgerissen hat. Entweder wir binden sie fest. Oder sie versenkt das Schiff.«

Norman K., Vorstandsmitglied

Wer ist »die Globalisierung«?

Können Sie die Globalisierung auf ein Bier einladen? Oder ihr die Hand schütteln? Warum nicht? Trotz ihrer vielen schrecklichen und nützlichen konkreten Folgen ist die Globalisierung rein begrifflich ein Abstraktum. Keiner kennt sie. Keiner hat sie je gesehen. Und um ehrlich zu sein: Keiner weiß so recht, was »die Globalisierung« eigentlich ist. Die Globalisierung ist so etwas wie Radioaktivität: Wir können sie nicht sehen. Nur ihre Folgen. Manchmal sind diese positiv (Licht und Wärme aus dem Kernkraftwerk). Manchmal negativ (Tschernobyl). Das irritiert. Bis hinauf ins Top-Management.

Manchmal erlauben wir uns den Scherz, in einer munteren Vorstandsrunde die versammelten Top-Manager nach ihrer Definition von »Globalisierung« zu fragen. Wenn zehn Manager um den Tisch sitzen, erhalten wir regelmäßig zwölf unterschiedliche und sich zum Teil heftig widersprechende Definitionen. Sobald die Manager bemerken, dass sie keinen tragfähigen Konsens bei einem so grundlegenden Thema erreichen, beginnt der Spaß: Sie reagieren erst mal sehr erstaunt. »Wir müssten doch wissen, was das ist! Warum wissen wir das nicht?« Dann beginnt die wilde Diskussion. Jeder versucht jeden von seinem eigenen Begriffsverständnis zu überzeugen. Der Wirtschaftslaie reagiert schockiert: Unsere sogenannte Elite macht Globalisierung, weiß aber gar nicht, was das ist?

Irgendein Management-Guru hat einmal gesagt: You can’t manage what you can’t measure. Der Mann war ein hoffnungsloser Utopist. Von wegen messen! Wir wären ja schon froh, wenn das Management wüsste, was es ist, das es messen soll. Korrekt müsste es heißen: You can’t manage whereof you can’t even explain the name and what you don’t seem to understand at all! Wie wollen Manager etwas managen, von dem sie nicht mal die Bedeutung kennen, geschweige denn es verstehen? Die Schlussfolgerungen aus diesem definitorischen Vakuum drängen sich förmlich auf: Erstens, (manche) Manager wissen offensichtlich nicht, womit sie ihr Geld verdienen (was offenbar zum Zwecke des Geldverdienens auch nicht unbedingt nötig ist). Und zweitens, es ist im Grunde egal. Darum sagten wir oben: Wir machen uns den Spaß, Manager nach ihrem Verständnis der »Globazilisierung« zu fragen, wie der Kabarettist Christoph Sonntag sie nennt. Denn es ist wirklich nur ein Spaß. Im Ernst.

Es ist wirklich egal, was ein Mensch unter Globalisierung versteht: Jede Definition tut’s. Auch Ihre eigene. Ein Streit darüber wäre ungefähr so sinnvoll wie ein Streit darüber, was die exakte Definition eines Automobils ist. So ein Streit ist unsinnig, da akademisch. Wir alle fahren Auto, ohne dass auch nur ein Einziger von uns eine sinnvolle Definition darüber abgeben könnte. Geschweige denn eine konsensfähige. Das ist zur automobilen Fortbewegung auch gar nicht nötig. Wichtiger ist, dass man/frau so ein Auto fahren kann und keinen damit totfährt.

Ergo: Interessant sind Definitionen nicht per se, sondern was mit einer Definition angestellt wird und wer damit manipuliert werden soll. Spannend ist somit zum Beispiel, wie Befürworter der Globalisierung deren Folgen definitorisch schönzureden versuchen. Betrachten wir ein Beispiel der Bauernfängerei.

»Die Globalisierung ist gar nicht so schlimm!«

Immer wieder steht zu lesen, dass wir uns doch bitte nicht so über die Globalisierung aufregen sollen. Die paar Kollateralschäden! Die paar Millionen verzockter Ersparnisse von Rentnern, denen bonusgeile Banker Lehman-Anleihen und -Aktien angedreht haben! Die paar Milliarden Steuergelder, mit denen die Krisensünder subventioniert werden! Das bisschen Umweltverschmutzung, das niedliche kleine Ozonloch! Die paar zehntausend Ingenieure, die Facharbeiter aus dem Osten zuerst anlernen und ihnen dann ihre Arbeitsstelle übergeben mussten, um sich danach arbeitslos zu melden, weil die Angelernten aus dem Osten den Job billiger machen! Alles halb so schlimm! Alles völlig normal und eigentlich nicht der Rede wert. Und schon gar kein Grund zu klagen. Denn: Alles schon mal da gewesen!

Angeblich gab es die Globalisierung schon immer. Zumindest viel länger, als wir Laien das vermuten. Also habt euch nicht so! Als Beleg für diese erstaunliche Aussage werden meist Firmen wie Siemens genannt. Siemens besaß schon um die vorletzte Jahrhundertwende dreißig Produktionsstätten rund um die Welt, von Argentinien bis Russland. Das klingt beruhigend. Der angesprochene Wirtschaftslaie kratzt sich erstaunt und beruhigt am Kopf und konstatiert: Globalisierung gab es offensichtlich schon immer. Also kann alles gar nicht so schlimm sein. Die Aufregung ist unnötig. Wenn unsere Väter und Vorväter das alles schon erleben mussten, dann werden wir bestimmt auch damit fertig. Hey, wenn man dieses Argument logisch weiterdenkt, kommt man irgendwann auf die Idee: Schon Alexander der Große betrieb Globalisierung. Schließlich eroberte er ein Land nach dem anderen!

Spätestens an dieser Stelle muss sich ein vernünftiger Mensch die Augen reiben und zum Schluss kommen, dass so eine Definition von Globalisierung eine Macke haben muss: Sie ist so beliebig, dass sie den Definitionsrahmen unendlich erweitert, dadurch alles erklärt und gerade deshalb nichts erklären kann. Zumindest nicht dem deutschen Nokia-Mitarbeiter, weshalb er seinen Job verlor, weil die saubere Firma im Osten noch mehr Gewinn erzielen kann als in Deutschland. Der Mann wird mir was husten, wenn ich ihm sage, dass er sich nicht so anstellen soll, da immerhin schon Alexander der Große (und vor ihm wahrscheinlich schon die Neandertaler) Globalisierung betrieben haben. Wenn eine Definition die von ihr betroffenen Menschen aus den Augen verliert, ist sie schlicht und einfach unmenschlich. Und das ist das derzeit überragende Charakteristikum der Globalisierung beziehungsweise ihrer Apostel: Sie kümmern sich einen Dreck um die Menschen. Vielleicht nicht vorsätzlich. Aber grob fahrlässig. Doch das dürfte den Opfern der Globalisierung relativ egal sein.

Im Übrigen unterläuft dem total globalisierten Verständnis von Globalisierung schlicht ein logischer Fehler: Dass Siemens und einige andere schon zu Hannibals Zeiten globalisiert haben, heißt noch lange nicht, dass es damals ebenfalls auch die gesamte Wirtschaft oder gar die Welt taten. Siemens und Konsorten bildeten die Ausnahmen. Heute ist Globalisierung dagegen die Regel. Daraus ergibt sich eine etwas sinnvollere Definition von Globalisierung: Unter Globalisierung wollen wir zwischen diesen beiden Buchdeckeln nicht die vereinzelte (Siemens und Konsorten), sondern die massenhafte Internationalisierung von Produktion, Beschaffung, Vertrieb und Konsumtion verstehen. Es war zwar früher schon Usus, dass selbst Mittelständler einen Lieferanten in Italien und einen in Großbritannien hatten. Und schon früher aßen wir spanische Orangen. Das nannte man das Zeitalter der Internationalisierung. Doch inzwischen beziehen selbst kleine Firmen aus weitaus mehr als nur aus zwei fremden Ländern Vorprodukte und Dienstleistungen – und vertreiben auch in mehr als nur zwei anderen Ländern ihre eigenen Waren und Dienstleistungen. Und die Konsumenten konsumieren nicht nur die Orangen aus Spanien, sondern auch Sandalen aus Bangladesch, Software aus Indien, Jeans aus China ... Gucken Sie mal die Etiketten der Dinge an, die Sie während einer Woche so einkaufen, und knien Sie nieder zum Gebet: O Gott!

Wenn Sie in Ihren Einkaufskorb schauen, werden Sie, falls Sie in der westlichen Welt leben, nur noch ganz wenige Produkte darin finden, die aus Ihrem Heimatland stammen. Wenn also von einer überwältigenden Vielzahl von Konsumenten und Produzenten in und aus vielen Ländern produziert, vertrieben und konsumiert wird, wollen wir das für den Zweck unserer Diskussion »Globalisierung« nennen. Dass so eine Definition etwas sinnvoller ist als die Neandertaler-Definition von eben, zeigt sich schon an der Tatsache, dass Sie eben vielleicht gestutzt und etwas irritiert gedacht haben: Wenn das Zeug in meinem Einkaufskorb hauptsächlich aus Fremdländern stammt und mein eigenes Land eigentlich auch nicht gerade als vorindustriell zu bezeichnen ist, wo sind dann alle die vielen schönen Produkte aus meiner Heimat abgeblieben? Dumme Frage in Zeiten der Globalisierung. Die Antwort lautet: Natürlich in den anderen Ländern! Wo sonst? Genau das bedeutet es doch, wenn die Statistiker uns seit Jahren verkünden, dass das weltweite Transportvolumen ungefähr doppelt so schnell wächst wie die Produktion. Das haben Sie nie verstanden? Das verstehen nicht mal alle Manager. Deshalb übersetzen wir es kurz.

Es heißt: Es werden in diesem Jahr, sagen wir, einhunderttausend Sandalen mehr als im letzten Jahr produziert. Doch zweihunderttausend Sandalen mehr werden transportiert. Das bedeutet, es wird also nicht mehr Wert geschaffen, sondern die bereits vorhandenen Produkte werden schlicht mehr und länger durch aller Herren Länder gekarrt. Das Einzige, was hierbei produziert wird, ist Umweltverschmutzung. Wenn Ihnen das als vernünftigem Menschen absurd vorkommt, als eine sinnlose Verschwendung von Ressourcen und völlig unnötige Vergiftung der Umwelt mit Kohlendioxid, dann haben Sie den tieferen Sinn dieses Kapitels (um nicht zu sagen der Globalisierung) erfasst. Die Globalisierung konsumiert nicht mehr dort, wo sie produziert. Sie kauft nicht mehr da ein, wo sie produziert. Sie verwaltet nicht mal an dem Ort, an dem sie entwickelt. Tatsächlich scheint es die Globalisierung darauf angelegt zu haben, möglichst viele Länder und Kontinente zwischen ihre einzelnen Wertschöpfungsstufen zu legen. Sie halten das für polemisch? Gott sei Dank.

Es gibt Menschen, die uns fast flehentlich bitten, bei dem Thema doch etwas sachlicher zu bleiben. Erstens: Wer jetzt noch nicht bemerkt hat, dass er kein pures Sachbuch in Händen hält, sollte von seinem alten Deutschlehrer das Lehrgeld zurückverlangen. Und zweitens: Wie zum Teufel soll ein vernünftiger Mensch sachlich, kühl und distanziert bleiben, wenn die Globalisierung unsere Kinder vergiftet, unsere Unternehmen ruiniert, Arbeitsplätze vernichtet und unsere Luft verpestet? Hat »sachlich« und vor allem »rational« uns denn nicht erst in die Bredouille gebracht, in der wir jetzt sitzen? Also entschuldigen Sie bitte, wenn uns das Schicksal der Menschheit auch emotional tangiert. Im Übrigen wollen wir nicht polemisieren, sondern provozieren. Das kommt vom Lateinischen provocare: zum Denken anregen, appellieren, herausfordern.

Um ehrlich zu sein: Der Titel vorne auf diesem Buch führt in die Irre. Es geht gar nicht um die Globalisierung. Nicht die Globalisierung ist das Problem. Das Problem ist das Denken. Wir haben viel Globalisierung, denken aber viel zu wenig darüber nach. Ein denkender Mensch müsste nämlich früher oder später zum Schluss gelangen, dass eine wie eben als Massenphänomen definierte internationale Vernetzung möglicherweise nicht wegen der Vernetzung, sondern wegen ihrer Massenhaftigkeit ein gravierendes Problem aufwirft: Wie lange können wir uns dieses Massenphänomen noch leisten?

Wie lange noch?

»Quousque tandem?«, fragte Cicero in der ersten Rede gegen Catilina. Wie lange noch? Ein bisschen Globalisierung mag ja nicht schlimm sein. Siemens richtete damals sicher keinen großen Schaden an. Heute ist es, wie beschrieben, die Massenhaftigkeit des Phänomens, die Probleme macht. Ein Apfel aus Neuseeland zum Beispiel ist eine schöne Sache. Lecker. Saftig. Gesund. Von der Globalisierung direkt an unsere Haustür geliefert. Doch Millionen von Äpfeln ozonschädigend und umweltbelastend jährlich einzufliegen, während unser heimisches Obst beim Bauern um die Ecke am Baum verrottet, provoziert dagegen die Frage: Wer kann sich das leisten?

Der Apfel ist ein schönes Exempel für den Wahnwitz der Globalisierung: An apple a day keeps the doctor away. Die wohlmeinende Mutter gibt ihrem Kind täglich einen Apfel: »Da, iss, damit du gesund bleibst!« Während das Kind kaut und schluckt, brummt über Mutter und Kind in zehntausend Metern Höhe das Frachtflugzeug mit zehn Tonnen neuseeländischer Äpfel, das mit seinen Abgasen dem Kind in zwanzig Jahren eine Umwelt beschert, in der man nicht mehr gesund bleiben kann, selbst wenn man zweihundert Äpfel am Tag isst, weil einen nur noch ein ABC-Schutzanzug vor der vergifteten Luft und der tödlichen Sonneneinstrahlung rettet. Das klingt pervers? Das ist Globazilisierung.

Wer an dieser Stelle einen Vorwurf an die Mutter vermutet, der sei zurechtgewiesen: Woher zum Kuckuck soll die Mutter wissen, was sie wissen muss? Sie wurde von der Globalisierung genauso überrascht wie unser Wirtschaftsminister und die Global Players, die seltsamerweise den Namen eines Spiels tragen, dessen Spielregeln sie offensichtlich nicht verstehen. Ist es möglich, dass ein Chess Player Schach spielt, ohne die Schachspielregeln zu kennen oder zu verstehen? Unsere sogenannten Global Player spielen tatsächlich Globalisierung, ohne überhaupt zu wissen, was das ist, geschweige denn die Regeln des seltsamen Spiels zu kennen. Damit ist die Globalisierung wahrscheinlich das einzige Gesellschaftsspiel, das Menschen spielen, ohne die Regeln zu kennen.

Auch deshalb müssen wir geradezu froh über die letzte beziehungsweise aktuelle Weltwirtschaftskrise sein. So schlimm sie ist, sie hat uns letztlich vor Schlimmerem bewahrt: Wäre sie nicht über uns hereingebrochen, hätten noch ein paar Milliarden fauler Hypothekenkredite das Finanzsystem vergiftet. Dadurch wären dann wahrscheinlich selbst Industriestaaten bankrott gegangen. Der Ölpreis wäre wegen des überhitzten Welthandels so in die Höhe geschnellt, dass ganze Kontinente von Entwicklungsländern in kurzer Zeit ausgestorben wären. Schwarzeneggers Kalifornien wäre außerdem schon in wenigen Jahren überflutet gewesen. Kraftwerke hätten nicht mehr gebaut werden können, weil es keinen verfügbaren Stahl und Beton mehr gegeben hätte. Vor all dem hat uns die Krise bewahrt – zumindest für den Augenblick.

Selbst die Bewohner von Innenstädten bemerken die Krise wohltuend. Immer wieder sagen uns die Leute: »Schon seltsam. Jetzt donnern deutlich weniger Brummis durch unsere Innenstadt und verpesten die Luft.« Die aktuelle Krise lässt uns also im wahrsten Sinne des Wortes Luft holen. Fragt sich nur: Vor was? Vor der Besinnung auf eine maßvolle Deglobalisierung? Oder vor dem nächsten hysterischen Anfall von noch stärkerer internationaler Vernetzung und noch größeren Kollateralschäden?

Noch einmal: Wir wollen keineswegs Äpfel aus Neuseeland verbieten. Wir haben nichts gegen die Neuseeländer. Wir essen auch gerne welche (Äpfel, keine Neuseeländer). Was wir am liebsten verbieten würden, ist jedoch der gedankenlose Umgang mit ihnen (den Äpfeln). Am Beispiel erläutert: Ein Apfel aus Neuseeland verbraucht vom Baum bis zum Esstisch 27 Prozent mehr Energie als ein heimischer Apfel. Für Deutschland: 27 Prozent mehr als zum Beispiel ein Apfel vom Bodensee. Das ist Fakt, wie Michael Blanke von der Universität Bonn ermittelte, der seit Jahren untersucht, wie viel Treibhausgas Obst aus fernen Ländern beim Transport ausstößt. Das ist relativ gesehen noch gar nicht mal so viel: gerade mal grob ein Drittel mehr. Was jedoch nicht beweist, dass die Globalisierung »gar nicht so schlimm ist«. Es zeigt lediglich, dass jene, die dieses Argument führen, nicht rechnen können: Multiplizieren Sie die 27 Prozent doch mal mit der Tonnage des Obstes, die täglich in jedes Land der Welt importiert wird – Kleinvieh macht auch Mist. Und zwei Millionen Hühner machen so viel Mist, dass sie jeden Bauernhof der Welt unter sich begraben können. Kein Bauer ist so blöd, sich zwei Millionen Hühner anzuschaffen. Doch wir Konsumenten sind es. Weil wir nicht kapieren, dass es nicht das relative, sondern das absolute Argument ist, das zählt. Wir können uns die 27 Prozent mehr schlicht nicht leisten. Wir könnten uns strenggenommen ja nicht mal 5 Prozent mehr Energieverschleuderung leisten. Und für was tun wir es denn trotzdem? Für Obst, das wir auch beim Obstbauern um die Ekke bekommen könnten? Es ist die Masse, die das Massenphänomen unerträglich macht.

Es ist schön und gut, wenn einzelne Firmen wie Siemens seit jeher globalisieren. Das kommt ungefähr dem gleich, als ob Familie Siemens sonntags in den Stadtpark zum Picknick geht. Das ist schön, das macht Spaß, das schadet vor allem keinem und nutzt den Nutzern uneingeschränkt. Machen das aber alle oder auch nur eine kritische Zahl der Familien der Stadt, ist der Stadtpark nach wenigen Sonntagen ruiniert, das Gras niedergetrampelt, die Büsche mit Müll übersät, die Bäume von Hunden totgepinkelt. Quod licet Jovi non licet bovi: Was bei Siemens noch funktionierte, funktioniert als Massenphänomen nicht mehr. Es funktioniert für niemanden mehr: Selbst die Nutzer haben nichts mehr davon, weil sich niemand in einem überfüllten Park wohl fühlt.

Mit der Globalisierung verhält es sich wie mit allem anderen auch: Die Dosis macht das Gift. Bis vor kurzem litt die Welt an einer massiven Überdosis Globalisierung. Glücklicherweise tendieren Systeme dazu, sich selbst zu korrigieren – wenn der Mensch dazu nicht willens oder in der Lage ist. Die letzte Weltwirtschaftskrise hat die weltweiten Handelsströme, die Überproduktion und die sinnlose Ressourcenvernichtung auf ein vernünftiges Maß zurückgeschraubt. Gewaltsam. Zum Glück. Denn wer weiß, was sonst noch Schlimmes passiert wäre. Und genau das ist der Punkt, den keiner sehen mag: Niemand hat das Schlimme der Globalisierung bisher auf dem Radarschirm.

Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen

Damit keine Missverständnisse entstehen: Wir sind nicht gegen die Globalisierung. Wir wollen sie nicht abschaffen. Wir halten sie nicht für Teufelszeug und wollen auch keinen Heiligen Krieg gegen sie ausrufen. Denn das ist weder sinnvoll noch möglich. Tatsächlich weiß zurzeit niemand auf Erden, ob es überhaupt nötig ist.

Niemand kann die Globalisierung verbieten. Selbst alle Regierungen der Welt zusammengenommen könnten niemals ein Verbot gegen die geballte Marktmacht der Konzerne und die gebündelte Ignoranz der Konsumenten durchsetzen. Einmal ganz davon abgesehen, dass komplette Volkswirtschaften zusammenbrechen würden – allen voran Exportnationen wie China, Indien und Deutschland –, wenn man alle Exporte verbieten würde.

Nein, was wir am liebsten verbieten würden, ist die blanke, entsetzliche und bornierte Ahnungs-, Sorglosig- und Gedankenlosigkeit im Umgang mit der Globalisierung: Alle preisen, beschwören und genießen ihre Vorzüge. Keiner redet über die Schäden. Ein kleines, hässliches Beispiel dazu:

Im Frühjahr 2009 meldeten die Agenturen, dass deutsche Unternehmen in mehreren Bundesländern 150 Tonnen indischen Edelmetallschrott gekauft hätten. Das sind die unbestrittenen und unbestreitbaren Vorzüge der Globalisierung: Wenn in einem Land der Welt die Rohstoffpreise (wegen der Globalisierung) in die Stratosphäre schießen oder Nachschub knapp wird (dito), dann können die Unternehmen dieses Landes etwas tun, was sie vor Erfindung der Globalisierung nicht in diesem exorbitanten Maße taten: einfach in ein fremdes, fernes Land shoppen gehen. Die Globalisierungsapologeten nennen das in grandioser Glorifizierung auch gerne »Low Cost Country Sourcing«. Wörtlich: Einkauf in Billigländern. Das ist doch prima!

Alle müssen wie wild Kosten senken. Und bevor ich eigene Mitarbeiter entlasse, spare ich doch lieber Kosten, indem ich in Indien billiges Rohmaterial beschaffe! Ein Hurra auf die Globalisierung. Wir finden es auch toll, dass es in anderen Ländern kostengünstiger ist. Auch wir beschäftigen indische Softwarespezialisten für unsere Simulationsprogramme. Das wollen wir keinem verbieten. Verbieten wollen wir den gedankenlosen Umgang mit dieser schönen neuen Möglichkeit. Warum? Weil die Menschen vor lauter Globalisierung offensichtlich nicht mal mehr auf ihre eigenen Großmütter hören.

»Billig ist mir zu teuer«, sagte schon die Großmutter. Was machen ihre Söhne? Die machen Einkauf in Billigländern. Weil sie auf die Weisheit der Großmutter pfeifen. Denn sie haben ja einen MBA. Inzwischen verteidigen sich Business Schools auf der ganzen Welt gegen den massiv erhobenen Vorwurf, dass ihre MBA-Absolventen die Weltwirtschaftskrise verursacht haben. Eine aussichtslose Verteidigung: Wer dumm genug ist, »billig« für eine gute Idee zu halten, wird unweigerlich bestraft. Die 150 Tonnen billigen Edelmetallschrotts stellten sich nämlich als radioaktiv heraus. Genau das meinte Großmutter, als sie sagte, billig sei ihr zu teuer.

Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Menschen in einem zivilisierten Land der westlichen Welt werden radioaktiv verstrahlt, ohne dass Krieg herrscht. In Friedenszeiten! Und auch nicht weil Terroristen eine Atombombe gezündet haben oder weil Tschernobyl wieder in die Luft geflogen ist, sondern weil einige Einkäufer unerfahren genug sind, billig mit gut zu verwechseln. Da protestieren jährlich Tausende allein in Deutschland gegen die Castor-Transporte radioaktiven Abfalls aus den Kernkraftwerken, ketten sich an Gleise und blockieren Schienentrassen, um einen Transport zu verhindern, der weniger Radioaktivität freisetzt als eine durchschnittliche Röntgenarztpraxis an einem belebten Tag. Und quasi hinter ihrem Rücken kauft ein Strategic Sourcer oder ein Global Supply Manager indischen Stahl ein, der in der Sprache der ABC-Experten der atomwaffenführenden Streitmächte so »heiß« ist wie eine Gans im Backofen. Und immer noch protestieren Menschen gegen Castor-Transporte. Sie haben immer noch nicht kapiert, dass in unseren Zeiten nicht mehr die Kernkraft ihr Gegner ist, sondern die Globalisierung. Denn die trägt die offensichtlich weitaus größeren Strahlungsrisiken!

Globalisierung hat deshalb auch etwas mit Gedankenlosigkeit zu tun: Wie fahrlässig muss man sein, um »heißen« Stahl einzukaufen? Die Lernverweigerung ist dabei universell: Zwar berichteten die Agenturen von dem Einkaufsunfall. Doch die kleine Meldung verschwand ziemlich schnell wieder aus den Medien. Niemand, kein Journalist, kein Einkäufer, kein Vorstand und natürlich erst recht nicht der Mann und die Frau auf der Straße fragten sich: Wie kann das passieren? Die Radioaktivität wurde zufällig bemerkt – welche unbemerkten Gefahren schlummern denn sonst noch in dem Zeug, das wir in aller Welt einkaufen? Warum werden solche hoch riskanten Einkäufe nicht besser geprüft? Warum schauen die Einkäufer die Ware nicht an, bevor sie sie kaufen? Hat denn niemand gefragt, woher die Inder ihr Metall hatten? Und warum sie es so billig verkaufen konnten? Natürlich nicht! Denn es gibt zwar die Globalisierung, aber es gibt so gut wie kein Risikomanagement bei der Globalisierung. Dafür gibt es jede Menge Krisenmanagement! Und jetzt kommt der Knüller: Viele Manager kennen den Unterschied nicht.

Als wir zufällig auf einem Kongress einen der radioaktiv verseuchten Manager trafen, überraschte der uns mit der stolz vorgetragenen Aussage: »Das war zwar eine Riesensauerei. Doch als wir die Strahlung endlich bemerkten, hatten wir die Sache schnell im Griff. Wir haben halt ein gutes Risikomanagement.« Irrtum! Wenn das Kind bereits im Brunnen liegt, nennt man das Krisenmanagement. Risikomanagement hätte dafür gesorgt, dass das Kind erst gar nicht in den Brunnen fällt. Wie kann es sein, dass hochkarätige Manager diesen Unterschied nicht kennen?

Das ist nicht unbedingt ihre Schuld. Die Globalisierung hat sich schlicht schneller entwickelt als ihr Sachverstand – und als die Wissenschaft, was noch schlimmer ist. Selbst renommierte Wirtschaftsprofessoren geben unumwunden zu, dass es bislang keine wissenschaftlich fundierten und praxisgetesteten Systeme eines umfassenden Supply Chain Risk Management gibt. Diese werden eben erst entwickelt. Das ist ungefähr so, als ob Gottfried Daimler sein erstes Auto entwickelt und gesagt hätte: »Sind zwar noch keine Bremsen drin. Aber fahrt erst mal damit. Bremsen werden sich schon finden.«

Sie haben ja recht, der Vergleich hinkt. Wenn ein bremsenloses Auto gegen den Baum fährt, dann ist die Zahl der Opfer überschaubar. Die bremsenlose Globalisierung dagegen verursacht eine unüberschaubare Anzahl von Opfern. Jedes Jahr. Auch lange vor der Krise schon. Wer Globalisierung sagt, muss auch Risikomanagement sagen. Wie Asterix.

Der Asterix der Globalisierung

Ein Werkzeugbauer in Spanien leidet wie alle anderen unter dem schlimmen Kostendruck. Deshalb kommt sein CPO, wie Einkaufsleiter neuerdings heißen, auf die glorreiche Idee, billige Stahlrohlinge in China einzukaufen. Der Chief Procurement Officer bekommt die Rohlinge dort 20 Prozent unterhalb des europäischen Preises. Er kauft einige Tonnen.

Das erste Problem: Die Lieferung kommt zu spät an. Von China nach Europa ist es ein weiter Weg. Irgendwo in der Supply Chain gab es eine Verstopfung. Schlussfolgerung: Wer Global Sourcing (globalisierten Einkauf ) betreibt, sollte wenigstens Supply Chain Management beherrschen, also die logistische Abwicklung von Einkäufen auch in fernen Ländern. In China einkaufen kann jeder, der einen Auftrag unterschreiben kann. Die Kunst liegt jedoch darin, dort so einzukaufen, dass man das Eingekaufte auch in der richtigen Menge, Qualität und vor allem zum richtigen Zeitpunkt bekommt. Das ist keine Selbstverständlichkeit: Schwellenländer sind besonders für ihre unterentwickelte Infrastruktur bekannt. Wer dort einkaufen will, sollte sich wirklich sehr gut in Logistik auskennen. Und nicht nur darin.

Denn das zweite Problem lautet: Die Rohlinge sind verrostet. Sie wurden falsch verpackt und deshalb während des Containertransports von der Seeluft angegriffen. Schleift der Werkzeugbauer sie ab, geht der Rost zwar weg, doch danach sind die Rohlinge einen halben bis einen Millimeter zu dünn für das vorgesehene Endprodukt. Die Ware an den chinesischen Lieferanten zurückzuschicken verbietet sich, da der Chinese von nichts wissen will. Da sich der Spanier einen langwierigen Rechtsstreit vor chinesischen Gerichten nicht leisten kann, muss er am Ende die unbrauchbaren Rohlinge als Sondermüll entsorgen (er findet nicht mal einen, der den Stahl eingeschmolzen hätte). Er hat dadurch nicht 20 Prozent unter Marktpreis eingekauft, sondern im Endeffekt 50 Prozent darüber. So weit, so schlecht.

Trotzdem unterscheidet sich der Spanier wesentlich von den meisten Globalisierungsopfern. Er lernt wenigstens was draus. Er schimpft nicht nur über seinen Billiglieferanten, sondern er erkennt glasklar, was die meisten Konsumenten und Produzenten bis heute verbissen verdrängen, schönreden oder verleugnen: Die Globalisierung ist schädlich. Und diese Schäden müssen gemanagt werden. Wer Globalisierung sagt, muss unter anderem auch Global Supply Chain Management meinen.

Das Beispiel beweist nicht, dass die Globalisierung überwiegend oder hauptsächlich schädlich ist. Es ist gut möglich, dass sie per Saldo einen positiven Nettoeffekt hat – obwohl nicht einmal seriöse Wirtschaftswissenschaftler das behaupten können –, und das sagt schon einiges. Es heißt schlicht und einfach: Die Globalisierung hat gute und schädliche Seiten. Warum starren Produzenten und Konsumenten mehrheitlich wie ein Junkie auf die Nadel und ausschließlich auf die guten? Warum werden die schädlichen ignoriert? Der spanische Werkzeughersteller ignoriert sie nicht.

Er ist sozusagen der Asterix der Globalisierung: ein wenig schlauer als der Rest der Meute. Wehrhaft gegenüber der Okkupation der Globalisierung. Sein Chief Procurement Officer (CPO) lässt sich nicht von der Globalisierung übers Ohr hauen. Nach dem Stahldebakel ruft er sein Führungsteam zu sich und sagt: »Wie um alles in der Welt konnte uns so eine Schlappe passieren? Also das soll und wird nie wieder vorkommen! Nicht mit mir! Ich möchte, dass ihr mir in drei Tagen sämtliche Risiken von Billiglieferanten auflistet, jedes Risiko mit einer Gegenmaßnahme hinterlegt, die Organisation dafür plant und mir einen Budgetvorschlag macht, was das alles kosten wird. Und danach entscheiden wir, ob es sich überhaupt noch lohnt, in Fernost zu Billigpreisen einzukaufen.« Beeindruckend. Gewiss: Das schafft niemand in drei Tagen. Doch als es endlich geschafft war, hatte der Spanier Sinn und Zweck dieses Buches realisiert: das Gute der Globalisierung zu nutzen und das Schlechte zu managen.

Eine solche zweiseitige Betrachtung der Globalisierung ist nichts weniger als revolutionär. Sie wird außerhalb der Best Practice bisher nur rudimentär eingesetzt. Oder glauben Sie, dass noch viele Leute chinesische Jeans kaufen würden, wenn sie wüssten, wie chinesische Arbeitssklaven buchstäblich dafür bluten müssen? Wie wohl fühlt man sich in Beinkleidern, an denen Blut klebt? Doch darüber denkt der Jeanskäufer nicht nach, weil er nur die gute Seite sieht. Er geht für die Freiheit Tibets protestierend auf die Straße – in Jeans aus China. Das ist nicht peinlich, das ist schlicht unverantwortlich. Oder einfach nur desinformiert. Was uns zur Schlussfolgerung führt: Die Globalisierung ist nur durch ein extrem hohes Maß an Intransparenz, Desinformation und Gleichgültigkeit möglich. Je weniger Unternehmer und Konsumenten wissen, desto eher werden sie von der Globalisierung geschädigt, und desto stärker leisten sie ihr Vorschub. Und umgekehrt: Je mehr wir über die Schattenseiten der Globalisierung recherchieren, nachdenken und diskutieren, desto weniger können wir und vor allem andere von ihr geschädigt werden, und umso eher können wir alle ihre unbestreitbaren Vorteile nutzen. Der Werkzeughersteller zum Beispiel hat inzwischen einen chinesischen Lieferanten gefunden, der pünktlich, preisgünstig, vollständig und einwandfrei liefert. Doch das konnte er nur dadurch erreichen, dass er das Schweigen brach und die nötige Diskussion über die Schattenseiten seines Global Sourcing führte. Also: Reden wir darüber.

Reden wir darüber

Wir sind dagegen, die Globalisierung zu teeren, zu federn und mit Schimpf und Schande vors Tor zu jagen. Doch wir postulieren eine offene und ehrliche Diskussion ihrer Leichen im Keller. Ist das wirklich ein so unvernünftiger Wunsch?

Wir sollten die Globalisierung als das erkennen, was sie ist: nützlich und schädlich zugleich, wie alles im Leben. Ein halbwegs entwickelter Geist sollte in der Lage sein, diese beiden widersprüchlichen Positionen getrennt voneinander zu diskutieren und in Übereinstimmung zu bringen, ohne dabei zu implodieren. Wie es scheint, sind damit allerdings viele überfordert. Sie sehen nur die guten Seiten. Sie freuen sich über den Fusselrasierer für 1,50 Euro im Discounter und bringen ihn fluchend zurück, wenn sie feststellen, dass es unmöglich ist, eine Batterie einzusetzen, weil das Ding schlicht eine Fehlkonstruktion ist – wie es jeder Fusselrasierer für 1,50 sein muss. Gute Konstruktion kostet Geld. Die Betrogenen fluchen, retournieren – aber ziehen keine Schlussfolgerungen daraus. Sie sehen die Schäden nicht. Niemand ist so blind wie jene, die nicht sehen wollen. Machen wir die Augen auf und betrachten wir einige gerne unter den Teppich gekehrten Negativseiten der multinationalen Verflechtung von Waren- und Dienstleistungsströmen.

Die offensichtlichste Negativseite: Alle jammern über die letzte Weltwirtschaftskrise. Und keiner spricht aus, was offensichtlich ist: Ohne die Globalisierung wäre die Krise gar nie passiert. Sie wäre schlicht unmöglich gewesen. Wer die amerikanische Wirtschaftsgeschichte anschaut, wird erkennen, dass dort alle sieben bis zehn Jahre renommierte große oder namenlose kleine Banken, Savings and Loans, regelmäßig pleitegehen. Das ist normal. In früheren Jahren hat das nicht zum isländischen oder ungarischen Staatsbankrott geführt. Warum dieses Mal? Weil dieses Mal nicht nur die Warenströme globalisiert waren – Jeans aus China, Getriebe aus Malaysia –, sondern auch die Finanzströme: Faule Hypothekenkredite und Anleihen und Aktien von Lehman gerieten bis in das Depot des kleinen Sparers in Italien.

Als vor einigen Jahren Argentinien bankrott ging, mussten viele Banken heftig abschreiben. Doch selbst dieser Staatsbankrott führte nicht zu einer Weltwirtschaftskrise, weil die Globalisierung damals noch nicht so weit fortgeschritten war. Ergo: Die Globalisierung bringt nicht nur neue Gefahren. Sie vergrößert die alten. Das leuchtet Ihnen ein? Dann haben Sie Josef Ackermann, von seinen Angestellten auch Victory Joe genannt, einiges voraus.

Trau keinem, der ’ne Krawatte trägt!

Am 20. Juni 2007 hielt Josef Ackermann, Vorstand der Deutschen Bank, in der Berliner SPD-Parteizentrale einen Vortrag. Darin erklärte er, dass das internationale Finanzsystem »heute viel stabiler als früher« sei, dass diese neue Sicherheit »innovativen Finanzinstrumenten« zu verdanken sei und »neuen Akteuren wie zum Beispiel Hedgefonds«. Er versicherte, dass heute die »Risiken viel breiter gestreut sind als früher« und »die Gefahr der Ansteckung« eines Landes durch ein anderes nur noch gering sei. Das System könne »mehr Risiken absorbieren«. Kurz danach brach die größte Wirtschaftskrise der jüngeren Geschichte aus.

Ohne Zweifel: Ackermann hatte sich geirrt. Spektakulär. Und das nicht zum letzten Mal. Und wieder setzte die Gedankenlosigkeit der Globalisierung ein: Die Medien machten sich zwar lustig über die eklatante Fehleinschätzung Ackermanns, doch kaum einer zog den offensichtlichen Schluss, vor allem den Generalisierungsschluss: Unsere Wirtschafts-, Führungs- und intellektuellen Eliten sind offenbar nicht nur völlig überfordert mit der Globalisierung, sie sind auch katastrophal schlecht reflektiert: Sie wissen noch nicht einmal, was sie nicht wissen. Sie halten sich weiterhin für allwissend. Ackermann wird auch im Nachhinein zu Vorträgen eingeladen und regelmäßig in den Medien zitiert. Wie es heißt, berät er sogar die deutsche Bundeskanzlerin. Wem bei diesem Gedanken nicht der Hintern auf Grundeis geht, der hat ein wahrlich sonniges Gemüt. Wie oft müssen sich unsere sogenannten Wirtschaftslenker und Experten denn noch katastrophal irren, bevor selbst der Letzte es erkennt: Nicht alles, was eine Krawatte trägt, ist vertrauenswürdig! Die meisten Experten haben keine Ahnung. Im Krieg wie in der Globalisierung gilt: Jeder für sich und Gott gegen alle. Verlassen Sie sich nicht auf die namentlichen Experten! Verlassen Sie sich lieber auf Ihren gesunden Menschenverstand.

Ein angelsächsischer Wissenschaftler formulierte deshalb schon vor längerem: »Be your own theorist!« Sei dein eigener Theoretiker! Vertrau nicht auf unsere sogenannten Eliten. Denn diese haben keine Ahnung von der Globalisierung. Vertrau deinem eigenen gesunden Menschenverstand und scheinbaren Binsenweisheiten wie »Billig ist mir zu teuer!«. Damit fährst du allemal besser als mit dem Rat der angeblichen Experten, die eine Krise immer nur dann erklären können, wenn sie bereits eingetreten ist. Nicht umsonst schämen sich Mütter inzwischen für Söhne, die Manager geworden sind; nicht umsonst ist Manager direkt nach Politiker inzwischen der zweitunbeliebteste Berufsstand. Das Volk hasst die Krawattenträger, die ihm das eingebrockt haben. Und nicht nur das Volk.

So schrieben die Bestsellerautoren Harald Schumann und Christian Grefe (Die Globalisierungsfalle) über Ackermanns Irrtum: »Kühl spielte der Banker mit der Unwissenheit seines Publikums und verlor kein Wort über die sich häufenden Warnzeichen, die ihm längst bekannt waren.« Schön wär’s ja! Wir wünschen uns alle einen Bankchef, der so gerissen ist, dass er ein paar wirtschaftlich völlig unbeleckte Sozialdemokraten hinters Licht führen kann. Weil er so clever ist. So verschlagen. Ein Bösewicht wie aus einem James Bond. So stellen sich die globalisierungsgebeutelten Millionen der Welt unsere Manager vor: allwissend, allmächtig, Herren über Leben und Tod, Masters of the Universe. Das Gegenteil ist der Fall.

Es vergeht keine Woche, in der wir nicht mit einem Vorstandsmitglied sprechen, welches uns versichert: »Wenn ich die Krise hätte kommen sehen, glauben Sie dann, dass ich mein Unternehmen derart blind hätte ins Messer laufen lassen? Ich habe sie aber nicht kommen sehen! Ich bin nicht allwissend!« Auch Ackermann war nicht genügend auf Zack, als er die Genossen unterhielt. Er sah das Inferno genauso wenig kommen wie sie. Unsere Top-Manager sind weder auf Zack noch clever, noch kriminell. Sie sind schlicht (mit Ausnahmen) ahnungslos. So ahnungslos wie wir Normalsterblichen auch.