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Der Essay zu Toni Schwabes Erstlingsroman ›Die Hochzeit der Esther Franzenius‹ wurde am 21. März 1903 in der Münchner Wochenzeitschrift Freistatt veröffentlicht. Es ist das erste Mal nach dem Erfolg der ›Buddenbrooks‹, dass Thomas Mann als viel beachteter Verfasser publiziert. Im Roman wird sowohl lesbische als auch heterosexuelle Liebe dargestellt, die Verfasserin selbst wurde zu einer Protagonistin der homosexuellen Emanzipationsbewegung. Die Veröffentlichung des Romans geht bereits auf Thomas Manns Intervention zurück, der um die Zeit der Publikation als Lektor des Münchner Verlags Alfred Langen arbeitete und mit der Autorin in Kontakt stand. In seinem Essay entwickelt er die Idee einer genuinen »Weiblichkeit« der Kunst, die einer italienischen »Blasebalgpoesie« entgegengesetzt wird. Angespielt wird vor allem auf den ungenannten Bruder Heinrich und seiner mit Renaissancekult und forcierten Männlichkeits-Attitüden verbundenen Romantrilogie ›Die Göttinnen‹ (1902). Die Formel »das Ewig-Weibliche« zitiert die Schlussworte aus Goethes ›Faust II‹ »Das Ewig Weibliche / Zieht uns hinan.«
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Seitenzahl: 14
Thomas Mann
Das Ewig-Weibliche
Essay/s
Fischer e-books
In der Textfassung derGroßen kommentierten Frankfurter Ausgabe(GKFA)Mit Daten zu Leben und Werk
Wer kennt »Die Hochzeit der Esther Franzenius« von Toni Schwabe? »Der stehe auf und rede!« wie Pastor Frenssen sagen würde. Ich wüßte nämlich gern, was man von diesem Buche, das seiner Gattung nach so etwas wie ein Roman ist, nun eigentlich hält; denn ich bin ein wenig mitschuldig an seinem Erscheinen. Eine einzige Kritik habe ich bislang darüber gelesen, die absprechend und abschreckend war. Sie war von Damenhand, von einer Kollegin der Verfasserin, geschrieben, und dies erklärt ja manches. Aber ich schweige doch nicht still dazu, denn ich finde das Buch ungewöhnlich gut und schön, und es hat, zusammen mit Huchs »Geschwistern« und Straußens »Freund Hein«, unter den neuesten Sachen den stärksten Eindruck auf mich gemacht.
Ich weiß noch, wie ich’s entdeckte. Ich stöberte verdrossen in einem Manuskripthaufen, einem ganzen Berge von dummem Zeug, das keck, hoffnungsvoll und mit vorzüglicher Hochachtung Herrn Albert Langen eingesandt worden war, damit er es verlege, und stieß so auch auf dies kleine Paket beschriebener Blätter. Folioformat war’s und eine große, klare, gerundete Handschrift. Ich las – und fühlte mich gefesselt. Wodurch? O, auf die sanfteste Weise! Nichts von Atemlosigkeit. Nichts von wütenden und verzweifelten Attaquen auf des Lesers Interesse. Ein beseeltes Wort, das betroffen und glücklich aufhorchen ließ. Ein lebendiges Detail, das plötzlich irgendwo zart erglänzte und vorwärts lockte. Und bei jeder Zeile verstärkte sich die Gewißheit, daß dies etwas sei. Und zwar Kunst. Und zwar auserlesene Kunst …