Das Fenster gegenüber - Astrid Reimann - E-Book

Das Fenster gegenüber E-Book

Astrid Reimann

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Beschreibung

Das Fenster gegenüber - 13 Kurzgeschichten über Zwischen-Menschliches Astrid Reimann schreibt Kurzgeschichten mit überraschenden Wendungen. Ihre Protagonisten entwickeln sich stets leise, ohne viele Worte. Sie nähern sich vorsichtig an, überwinden innere Hürden und wachsen über sich hinaus. Kleine Andeutungen lassen dem Leser Interpretationsspielraum und regen ihn zum Nachdenken an. Astrid Reimanns Schreibstil ist klar, direkt und zieht den Leser in den Bann. Mit wenigen Worten skizziert sie eine Stimmung oder die Gefühle Ihrer Figuren. Ellen Rennen, freie Lektorin ADM Petra Wölfel-Schneider wurde 1959 in Berlin geboren, studierte Kunsterziehung/Deutsch an der Humboldt Universität zu Berlin, leitete einen Mal- und Zeichenzirkel, organisiert seit Jahren die Ausstellungen im Kino Kiste Berlin und stellt auch eigene Arbeiten aus. Dieses Buch ist ihr viertes gemeinsames Projekt.

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Seitenzahl: 63

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Für

meine lieben Eltern

Inhaltsverzeichnis

Der Schatz in meiner Hand

Ihr Duft

Die Eltern kommen

Für Marie

Die Versuchung

Komm Vater, wir fliegen

Die Wasserfee

Die dünnen Wände

Das Foto

Ein Anfang, vielleicht

Die Tür

Ich lebe noch

Das Fenster gegenüber

Der Schatz in meiner Hand

Kühles Metall auf meiner Haut.

Meine Finger umschließen ihn fest - deinen Wohnungsschlüssel.

Mein Verstand meint noch immer, dass das gestern nur eine Filmszene war, in die ich zufällig hineingeraten bin.

Er gibt ihr den Schlüssel. Sie lächelt überrascht, verlegen, hatte sich das immer gewünscht. Und Action.

Meine Finger öffnen sich. Es war kein Film.

Heute benutze ich ihn zum ersten Mal. Herzklopfen begleitet jeden Schritt und ein Kribbeln im ganzen Körper, als hätte ich eine Stromleitung berührt.

Zuerst sehe ich im Briefkasten nach, ob wir – nein, ob du Post hast.

Was gibt es Schöneres, als einen Briefkasten aufzuschließen? Wie viele Zettelchen hatte er schon von mir bekommen?

Heute ist er leer.

Die Stufen zu deiner Wohnung laufe ich so zügig hoch, dass ich vor deiner Tür nach Luft schnappe. Während mein Atem sich wieder beruhigt, galoppiert mein Herz immer schneller.

Es klingt, als würde ich mit beiden Fäusten an deine Tür hämmern und ich drehe mich in der Erwartung um, dass der Nachbar öffnet und sich über den Lärm beschwert.

Dann kommt der entscheidende Moment – ich schließe deine Wohnungstür auf, schlüpfe hinein, lehne mich von innen gegen die hastig geschlossene Tür und spüre –

Eine kleine Ernüchterung.

Denn es erklangen keine Glocken und der Himmel stürzte auch nicht ein.

Es ist und bleibt nur eine geöffnete und wieder geschlossene Tür.

Wie es wohl wäre, wenn ich rufen würde - Ich bin da! und du mir dann entgegenkommst.

Der gewohnte Geruch deiner Wohnung spielt mit meinen Sinnen.

Ich gehe in das Wohnzimmer, von dort in die Küche, wieder zurück in den Flur, als wollte ich eine Spur zeichnen.

Auf deinen schwarzen Möbeln liegt wie immer der Staub und ich hätte große Lust, Herzen hineinzumalen.

Vor deinem Schlafzimmer bleibe ich stehen, lege die Hand auf die Klinke und lasse sie wieder los. Die geschlossene Tür flößt mir Respekt ein. Obwohl ich auch in diesem Raum schon einmal war, habe ich heute das Gefühl, eine Grenze zu überschreiten.

Denn war es nicht auch ein Vertrauensbeweis, dass du mir deinen Schlüssel gabst? Lässt du mich damit nicht ein Stück mehr in dein Leben?

Im Wohnzimmer öffne ich die Balkontür und trete hinaus. Der klappbare Holztisch erzählt Geschichten von Rotwein- und Kerzenabenden und ich möchte mein Glück am liebsten laut hinausschreien.

Ich lasse die laue Sommerluft ins Zimmer und setze mich aufs Sofa, auf genau den Platz, auf dem ich immer sitze, wenn ich bei dir bin.

Meine Blicke schweifen durch den Raum. Es ist anders heute, es ist so verdammt anders und es macht mich nervös und beruhigt mich zugleich.

Auf dem Anrufbeantworter blinken zwei Nachrichten. Sollte ich? Ich zögere. Wenn es aber wichtig ist?

Plötzlich höre ich ein Geräusch. Ich halte die Luft an, stelle mir vor, wie du aufschließt…

Ich lausche. Eine Tür knallt zu. Es war wohl doch nur der Nachbar.

Ich löse mich aus meiner Erstarrung und erinnere mich, warum ich überhaupt in deiner Wohnung bin. Dann suche ich nach einer Kanne, um deine Blumen zu gießen, denn du bist für zwei Wochen verreist.

Ihr Duft

Auf unsere Hauswand hat der Vermieter einen dicken Regenbogen malen lassen.

Ich wohne hinter dem gelben Streifen, dort im neunten Stock.

Wo das Rot beginnt, ist vor zwei Tagen ein Mädchen eingezogen. Sonst kenne ich hier nicht wirklich jemanden. Und die ist auch bloß eine Zicke, habe sie im Fahrstuhl neulich nur ein bisschen gekitzelt, aber die wurde gleich so hysterisch, ich solle das lassen.

Da habe ich angefangen zu schwitzen. Immer, wenn ich mich aufrege, fange ich an zu schwitzen. Das habe ich von meinem Vater, sagt meine Mutter oft, wobei sie das Wort Vater ganz langzieht und betont, als wäre er was Besonderes. Dabei erzählt sie mir nie was von ihm.

„In diesem Hause wird er nicht mehr erwähnt, hast du verstanden?“

Und doch sagt sie immer wieder: „Wie dein Vater, genauso!“

Ich will ihr nicht auch noch Ärger machen. Bisher kamen wir zwei auch ganz gut klar. Jedenfalls bis zum letzten Sommer. Da hat sie sich irgendwie verändert, war nur noch mit so einem Typen zusammen, Klaus hieß der. Sie trafen sich immer in seiner Kneipe.

„Er braucht das halt, aber sonst ist er total in Ordnung, wirst schon sehen.“

Gesehen habe ich Klaus dann aber doch nie und meine Mutter auch immer seltener.

Eines Morgens hatte ich verpennt. Als ich zum Klo schlurfte, hörte ich sie im Wohnzimmer schnarchen. Ich fand sie in ihren Straßenklamotten auf dem Sofa, ein Arm hing schlaff herab und ihre Finger lagen in einer stinkenden Lache Kotze.

Aus ihrem Mund lief Speichel, und sie sah so unendlich alt und hässlich aus. Ich wollte sie nicht anfassen, brüllte, sie solle aufstehen, rannte in mein Zimmer, zog mich an und lief aus der Wohnung.

Wenn Mutter die Arbeit schwänzte, brauchte ich ja auch nicht in die Schule.

Manchmal ging ich aber hin. „Sollst es doch mal besser haben als ich“, sagte Mutter, wenn sie gut drauf war.

Letzte Woche zum Beispiel, da hatte sie Kuchen gekauft, für jeden ein Stück. Und sie setzte sich zu mir an den Küchentisch.

Das hätte richtig schön werden können, aber dann klingelte das Telefon, und Mutter wurde ganz hektisch und bekam so einen glasigen Blick.

Sie schob mich aus der Küche. „Du musst verschwinden, Bernd kommt gleich.“

Wer zum Teufel war Bernd, und warum sollte ich verschwinden?

„Geh ’n bisschen vors Haus!“

Glaubte sie etwa, ich wäre noch ein Baby und wüsste nicht, was sie treibt?

Alle wussten es, na ja, zumindest einige, und manchmal quatschten sie mich doof an: „Na, hat deine Alte wieder ’nen Kerl oben?“

Sollen sie doch, mich interessierte das alles nicht wirklich, ich würde so was eh nie machen und mit Mädchen hatte ich ohnehin nichts am Hut, die machen doch bloß Stress. Mit denen in meiner Klasse konnte ich überhaupt nichts anfangen, außerdem machten die immer Witze, weil ich jünger aussehe, als ich eigentlich bin.

Darum rasiere ich mich auch neuerdings, soll den Bartwuchs fördern, hat mir ein Kumpel gesagt.

Nicht wirklich so ein richtiger Kumpel. Er sah mich ein paar Mal vor dem Haus und fragte mich, was ich so mache und mal werden wolle. Habe schon gedacht, der wäre Lehrer. Ist er aber nicht.

Was ich will? Früher wollte ich mal was mit Tieren machen. Ich habe Mutter so lange bequatscht, bis sie mir eine Katze kaufte. Doch irgendwann hatte ich keine Lust mehr auf die Katze, und der eine Typ von Mama bekam immer so ein Keuchen in der Lunge wegen dem Viech.

Ich glaube, da fing das mit dem Schwitzen an. So eine Unruhe, die in mir hochkommt und dann muss ich was machen, irgendwo draufhauen oder so. Oder jemanden ärgern. Habe ich dann mit der Katze gemacht.

„Wie dein Vater!“

Ich kann das nicht mehr hören.

Letztens habe ich ihr eine geknallt, als sie das wieder zu mir gesagt hat. Sofort hatte ich zwei zurück. Peng, peng.

Für sie war die Sache damit erledigt. Dachte ich zumindest, doch dann hat sie es Giovanni erzählt, ihrem Neuen, so ein Spaghetti-Heini mit zu viel Gel im Haar.