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Das kleine Glück und die Liebe zu sich selbst zeigt Astrid Reimann in ihren poetischen Kurzgeschichten. Die Hauptfiguren gehen zaghaft einen Schritt weiter, entdecken Neues an sich und anderen, die ihnen wichtig sind. Ein Aufbruch findet auch in der Trilogie über Trauer statt, in drei Geschichten begleiten die Leser Yvonne auf ihrem Weg in einen neuen Lebensabschnitt. Astrid Reimann zeigt, dass Unsicherheit und Angst vor dem ersten Schritt dazugehören. Ihre Geschichten machen Mut, das eigene Leben zu reflektieren und in die Hand zu nehmen. Ergänzt werden die Geschichten mit Illustrationen von Petra Wölfel-Schneider. Ellen Rennen freie Lektorin ADM Ich danke dem Leben für die Begegnungen, von denen meine Geschichten sich nähren. Dieses Buch ist für alle, die wir liebten und gehen lassen müssen. Astrid Reimann
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Seitenzahl: 64
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Ich danke dem Leben für die Begegnungen, von denen meine Geschichten sich nähren.
Dieses Buch ist
für alle, die wir liebten und gehen lassen müssen
Nachwort
Frühjahrsputz mit Hut
Seitdem – eine Erinnerung
Sie sind früh dran
Die roten Socken
Der Riss im Kummer
Minutenglück
Das Nachwort zuerst? Das kann doch nur ein Druckfehler sein.
Ist es nicht. Denn ursprünglich sollte das Nachwort ein Vorwort werden. Am Ende konnte ich mich nicht entscheiden und hielt es durchaus für beides berechtigt. Diese Entscheidung überlasse ich nun Ihnen. Stellen Sie sich das Buch als einen Park mit zwei Eingängen vor, vielleicht wählen Sie den Haupteingang und gehen den geraden Weg hindurch, vielleicht stromern Sie aber lieber ein bisschen kreuz und quer und benutzen möglicherweise beim Verlassen erneut den zuerst gewählten Eingang.
Ursprünglich sollte das Buch „Frühjahrsputz mit Hut“ heißen. Locker, flockig. Das änderte sich jedoch mit der Geschichte, in der Yvonne ihrem Mitbewohner erklärt, warum sie ausgerechnet bei einem Bestatter ausstellen wird. Meine Lektorin mochte das Bild vom „Riss im Kummer“, ich mochte es.
Und ich dachte – das wäre doch ein guter Buchtitel. Denn in den hier vorliegenden Texten geht es (wieder) um Begegnungen zwischen Menschen, um Abschied und Neubeginn, ums Sterben und Wiederfinden und um die Heilung von Rissen. Der Titel spannte sich leicht wie ein Windsegel über eine Terrasse, unter dem meine Figuren genug Luft bekamen und trotzdem geschützt waren. Und je länger ich sie betrachtete, umso mehr erfüllte mich ein Gefühl, ähnlich einer Mutter, die voller Stolz ihre erwachsenen Kinder ziehen lassen kann.
Doch auf einmal war da ein Riss in mir. Als ich zwei Drittel des Buches fertig hatte, ging es nicht weiter. Der Flow war gegen einen Felsen geprallt und abgestürzt, der innere Kritiker prüfte nun jede Idee anhand des neuen Titels. Schließlich galt es, einem Anspruch gerecht zu werden. Die Latte hing hoch.
Mein mütterlicher Blick streifte unsicher den Nachwuchs – werden mir die „Nesthäkchen“ - ebenso gelingen? Gut, dachte ich, schreibe ich erstmal ein kurzes Vorwort, vielleicht finde ich so zur Leichtigkeit zurück. Schnell wurde mir jedoch bewusst, dass es weder kurz, noch leicht werden würde.
Wie haben denn die Menschen in meinen Geschichten ihre Risse geheilt? Was brauchte es dafür? Einen Schritt zurückzutreten. Reflektion. Sich selbst anzunehmen, auch mit den vermeintlichen Schwächen. Sich die Zeit zu geben, die es braucht.
Ich würde doch auch nicht am Nachwuchs ziehen, damit er schneller wächst. Sie müssen nur einem Maßstab genügen, ihrem eigenen. Gut möglich, dass die nächsten Geschichten-Kinder nicht so glänzen werden wie die vorangegangen. Vielleicht aber wird man zwischen den Zeilen ein kleines Licht finden oder ihr Strahlen beim zweiten Lesen entdecken. Eines aber werden sie sein, authentisch und auf ihre Art wertvoll. Somit ist dieses Buch mein bisher persönlichstes geworden.
Ich danke dem Leben für die vielen Impulse und Begegnungen, von denen meine Geschichten sich nähren. Und ganz besonders danke ich Ihnen für Ihre, danke ich dir für deine Begleitung.
Astrid Reimann
Kauf ihn dir.
Flüsterte ihr eine Stimme ins Ohr.
Kerstin schlug mit der rechten Hand in die Luft, als wollte sie eine Fliege vertreiben.
Kauf dir den Hut endlich!
Rief die Stimme wieder, jetzt laut und deutlich und überraschend vertraut. Kerstin riss die Augen auf, die blickdichten Vorhänge waren sehr effektiv.
Und außer dem leisen Schnarchen von Olaf neben ihr, blieb es still.
Sie drehte sich auf die andere Seite, war aber hellwach. Sind das womöglich schon die Wechseljahre? Ihre Mutter hatte sie bereits gefragt, ob sie denn auch schon Hitzewallungen habe.
Kerstin stand auf, warf sich den Bademantel über und ging ins Wohnzimmer. Intuitiv öffnete sie die Balkontür, nahm einen tiefen Atemzug der würzigen Luft, die vom See herüberwehte, und trat hinaus. Es war die erste milde Nacht nach einem viel zu langen Winter.
Über ihr ein sternenklares Himmelszelt, wie für Träume gezaubert oder für Nachtschwärmer, wie Kerstin heute einer war. Sie dachte plötzlich an ihren Vater. Er hatte ihr oft die Sterne gezeigt, den großen Wagen mochte sie am liebsten. Und dass sie heute keine Angst vor Gewittern hat, verdankte sie auch ihm. Als kleines Mädchen, auf seinem Arm geborgen, bewunderte sie die Schönheit wilder Blitze. Ihr Vater war vor zehn Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Hatte die nächtliche Stimme nicht sogar ähnlich seiner geklungen? Was für ein sentimentaler Moment.
Kerstin zog sich wieder in die Wohnung zurück.
Sie nahm eine Flasche Milch aus dem Kühlschrank und trank daraus ein paar große Schlucke. Dann zog sie sich auf die Arbeitsplatte hoch und setzte sich neben die Brotmaschine. Von dort sah sie in den funkelnden Nachthimmel und dachte nach.
Nun spukte ihr dieser Hut bereits in ihren Träumen im herum.
Sie hatte ihn vor fünf Tagen in den See-Passagen entdeckt. Dunkelblau, glockenförmig, reduziert sogar, weil wohl noch aus der Winterkollektion. Auf der rechten Seite saß lässig eine schwarze Baumwollschleife über der Krempe, wie aus einer Jeans geschnitten. Der obere Teil des Hutes war mit roten, grünen und gelben Wollfäden durchzogen. Sie hatte sich augenblicklich in ihn verliebt. Mit ihren Fingern zog sie die farbigen Streifen nach.
Aber Rot und Blau schmückt die Sau, hatte sie als Kind von ihren Tanten gelernt. Schon erstaunlich, wie lange sich solche Botschaften hielten.
Meliert ist wieder im Kommen, hatte die Verkäuferin bei Kerstins erstem Besuch gesagt.
Meliert, kaschiert, reimte ihr Kopf. Das Wort Kaschieren begleitete sie durch ihre Jugend. Denn es gab laut ihrer Mutter viel zu kaschieren - Kerstins kräftige Oberschenkel und die X-Beine unter Röcken, die sie noch mochte. Oder der Busen, der sich von allen Mitschülerinnen ausgerechnet bei ihr zuerst wölbte, und den sie zu verbergen suchte, indem sie einfach die Schultern nach vorn zog.
Kaschieren machte eng und kurzatmig.
Finden Sie nicht, dass diese Farben sehr auffallen, hakte Kerstin darum nach.
Im Gegenteil, dieser Hut ist ausgesprochen dezent, versicherte die Verkäuferin. Es hatte Kerstin nicht überzeugt. Beim zweiten und dritten Besuch im Laden nickte die Dame nur stumm zur Begrüßung, stets lächelnd, als wüsste sie bereits, dass Kerstin den Hut nicht kaufen würde.
Kerstin begann zu frösteln. In die nächtliche Stille rutschten ihre Hauslatschen von den Füßen und fielen auf den gefliesten Boden.
Eine zweite Erinnerung an den Vater schwebte ihr vor Augen, als würde ihr eine unsichtbare Hand ein Foto vorhalten. Darauf Papa und sie mit Hut.
Wann war das? Irgendein runder Geburtstag von ihm.
Meine Tochter hat ein Hutgesicht, hatte er damals gesagt.
Stimmt, aber warum tat sie sich dann so schwer?
Seit wann teilte sie seine Ansicht nicht mehr?
Wieder ein Erinnerungsfoto. Sonja Gericke, eine Kollegin, mit der sie zusammengearbeitet hatte, bis diese in Rente ging. Es war ein heißer Sommertag, Kerstin betrat morgens mit einem gestreiften Sommerhut das Büro. Die breite Krempe schien bei jedem Schritt um ihren Kopf zu hüpfen und sie fühlte sich weiblich und schön mit ihm.
Wie siehst du denn aus, entfuhr es Sonja zur Begrüßung. Auch wenn sie später sagte, sie habe es nicht so gemeint, hatten sich diese fünf Worte wie Widerhaken ins Gedächtnis gebohrt.
Anscheinend bis heute. Kerstin schüttelte sich, als wollte sie die Erinnerung loswerden.
Halb eins. Langsam musste sie sich entscheiden, zurück ins Bett oder…
Kerstin schlich ins Schlafzimmer, zog leise die oberste Schublade der weißen Ikea-Kommode auf, griff sich ein Paar dicke Socken und ging zurück in die Küche.
Im Brotkasten lagen zwei leicht angetrocknete Mohnbrötchen, auf die sie keine Lust hatte. Stattdessen schob sie sich Salzstangen aus einer angebrochenen Tüte in den Mund und öffnete eine Flasche ihres spanischen Lieblingsrotweines, von dem sie immer einen kleinen Vorrat im Haus hatten.
Dann zündete sie alle Kerzen an, die sie in der Küche finden konnte und verbrannte sich bei der letzten die Finger am verkohlten Streichholz.
Doch das war unwichtig.