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Vom Fliegen geht seit jeher eine nahezu magische Faszination aus. Selbst in Zeiten des weltweiten Massenreisens mit riesigen Airlinern kann man sich diesem Bann kaum entziehen. Um wieviel ausgeprägter muss dieser Reiz dann noch als Pilot einer eigenen Maschine sein? In seinem Flug Buch erzählt der 1960 geborene Autor mit inzwischen über drei Jahrzehnten Flugerfahrung in spannenden Kurzgeschichten von dem Gefühl von Freiheit, Unabhängigkeit und Abenteuer. Er berichtet, wie er das erste Mal selbst das Steuer in der Hand hielt, wie sich als routinierter Flieger feste Rituale mit seinen Kameraden entwickelten und wie das Schweben über den Dingen ihm sprichwörtlich die nötige Gelassenheit brachte, wichtige Lebensentscheidungen zu treffen. Es handelt sich aber nicht nur um eine autobiographische Erzählung. Dieses Werk schafft es vielmehr, anhand einzelner Episoden aus dem Leben eines passionierten Fliegers Fragen an das Leben zu stellen, zwischenmenschliche Verhaltensweisen aufzudecken und Brücken zwischen den Menschen zu schlagen. Dadurch kann sich der Leser in diesem Buch auch selbst wiederfinden. Das macht das Flug Buch einzigartig und bietet eine unterhaltsame und auch zum Nachdenken anregende Lektüre.
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Seitenzahl: 218
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Oh, I have slipped the surly bonds of earth,
And danced the skies on laughter-silvered wings;
Sunwards I’ve climbed
and joined the tumbling mirth
of sun-split clouds.
And done a hundred things
You have not dreamed of
Wheeled and soared and swung
high in the sunlit silence.
Hovering there I’ve chased
the shouting wind along
And flung my eager craft
through footless halls o fair...
Up, up
the long delirious burning blue
I’ve topped the wind-swept heights
with easy grace
Where never lark, or even eagle, flew;
And, while with silent, lifting mind I’ ve trod
The high untresspassed sanctity of space,
put out my hand and touched the face of God
Pilot Officer John Gillespie Magee, Jr.
No. 412 Squadron RCAF
June 1922 - December 1941
Preflight
Meinem Vater
Diese Abende
Blaue Stunde
Der erste Flug
Cat Bravo Yankee
Illusion
Formation
Angst
Linie
B-17
Begegnung
Fieber
Last Call
Air Canada
After Landing
Credits
Einige wenige Geschichten sind als Betrachtungen aus eigenem Erleben entstanden oder Menschen gewidmet, mit denen ich zusammen geflogen bin oder die mir sehr viel bedeuten.
In meinen Geschichten geht es mir weniger um verklärte Anekdoten, trockene technische Beschreibungen oder um nüchterne Berichterstattung.
Vielmehr ist es ein besonderer Blick auf meine Erlebnisse, auf besondere Begebenheiten und auf alles, was damit verbunden ist.
Von dem, was ich geschrieben habe, ist nichts reine Phantasie:
Das meiste hat sich so oder so ähnlich zugetragen.
Ähnlichkeiten sind also durchaus gewollt.
Lediglich Namen und Kennzeichen habe ich verändert.
Alle Geschichten eint letztlich dieses unglaubliche Erleben, diese so schwer zu greifenden Gefühle und Empfindungen, die sich mit dem großen Wunder der Fliegerei verbinden.
Das alles hat mich immer sehr tief bewegt und tut es auch heute noch.
Guten Flug wünscht
Oh, fast vergessen:
Im Textfluss finden sich einige Begriffe, die sich vielleicht nicht gleich erschließen. Nach einiger Überlegung habe ich auf Fußnoten oder ein Glossar verzichtet.
Wer dennoch wissen möchte, was die verwendeten (Fach-) Begriffe bedeuten, möge dies bitte in den einschlägigen Quellen nachschlagen.
Danke.
Diese Geschichte sollte eigentlich ganz anders heißen. Der Titel sollte irgend etwas mit Anfang oder Beginn zu tun haben. Es ist schließlich die erste Geschichte in diesem Buch. Aber ich habe mich nach einem Gespräch anders entschieden. Denn es war mein Vater, der diese Geschichte hat stattfinden lassen - wie auch er es war, der mich zu Fliegerei brachte. Und zu vielem anderen.
Deshalb widme ich ihm diese (wahre) Geschichte.
Es war in den frühen siebziger Jahren, ich war etwa elf Jahre alt, die Mauer teilte das Land und schloss die ehemalige DDR ein. Meine Großeltern lebten im ebenso abgetrennten wie verinselten Berlin, und wir besuchten sie regelmäßig. Das geschah auf dem einfachsten Weg: nämlich mit dem Flugzeug von Hannover aus. Die Flüge waren damals billig - da subventioniert - und so ließ es sich für etwas mehr als 60,- DM mit einer Super-One-Eleven der British Airways oder mit einer 727 der PAN AM von Hannover in einer guten halben Stunde nach Berlin-Tempelhof fliegen. Es gab drei Korridore, durch die man über die ehemalige DDR mit diesen Airlinern nach Berlin fliegen konnte: Hamburg Air Corridor im Norden, Bueckeburg Air Corridor in der Mitte und den Frankfurt Air Corridor im Süden, jeder 20 Meilen breit; es gab die ADIZ entlang der Grenze und eine sehr dichte Luftraumüberwachung. Aber davon wusste ich damals natürlich noch nichts. Mutter und Bruder wollten also wieder nach Berlin zu den Großeltern fliegen und aus einem unergründlichen Zusammenhang flog ich an diesem Herbsttag nicht mit. Ich begleitete sie aber an diesem Tag mit meinem Vater nach Hannover zum Flugplatz.
Mit Bahn und Bus kamen wir aus der ostwestfälischen Provinz in die niedersächsische Hauptstadt - für mich weit mehr als ein Ausflug: Ein Ereignis! - schließlich ging es nicht nur in eine große Stadt, sondern zudem noch auf einen großen Flughafen!
Ich sehe mich noch mit dem Linienbus vom Bahnhof zum Flughafen fahren - je näher wir ihm kamen, desto aufgeregter wurde ich. Ebenso wie mein Vater übrigens, der alles, was die Fliegerei umgab, genauso neugierig wie ich betrachtete und mir leichtfüßig vielerlei zu erklären wusste.
Damals gab es in Langenhagen (so hieß der Stadtteil, auf dem sich der Flughafen fand) noch keine Industriebebauung, welche die Sicht zum Flugfeld nehmen konnte, und schon ahnte ich in der Ferne hinter dem hohen Zaun die Kanzel des Towers, der sich damals noch auf ein schmuckloses Abfertigungsgebäude duckte.
Bald schon stiegen wir auf einer Parkfläche aus dem Bus und betraten das Abfertigungsgebäude; die Luft war, für mich parfümgleich, geschwängert mit Kerosingeruch - das stetige Heulen der APU’s war allgegenwärtig und nur unterbrochen durch das Leerlaufgeräusch der Turbinen an- und abrollender Maschinen, die ich hinter dem Betonsichtschutz auf dem Vorfeld vermutete.
Wir brachten unsere Familie schließlich zur Passagierabfertigung. An den Schaltern gab es Werbegeschenke der Airlines (ich besaß stolz seit langem eine Umhängetasche von PAN AM!) und bunte Aufkleber für die mitgeführten Gepäckstücke, welche mittels ratterndem Transportband in den unergründlichen Tiefen des Gebäudes verschwanden. Wir verabschiedeten uns, Bruder und Mutter liefen durch eine Glastür hinter dem Schalter und mein Vater und ich machten uns auf zu einem endlosen Treppengewirr im abgelegeneren Teil des Gebäudes, um die verheißungsvolle Aussichtsterrasse zu erklimmen.
Fröstelnd standen wir dann im kalten, herbstlichen Sprühregen und sahen Mutter und Bruder eine geraume Zeit später winkend die Gangway hochklettern und im Flieger verschwinden, der - nachdem sich die Kabinentür wie von Geisterhand schloss, und die Gangway mit einem niedlichen Treckerchen davonzog - langsam abrollte.
Ich verfolgte den Weg der Maschine mit Argusaugen, sah sie weit hinten an der Runway warten und beobachtete genau, wie die glanzweiße 727 mit dem lichtblauen Logo auf der Finne dann unter ohrenbetäubendem Triebwerksdonner und mit ebenso imposanter Abgasfahne in der niedrigen, grauen Stratusbewölkung verschwand.
Der Heimweg stand bevor und das Wetter besserte sich etwas. Doch es war noch etwas Zeit für eine Flugplatzerkundung, mein Vater und ich trödelten also vorbei an verbeulten, aluminium-silbrigen abgestellten Cargo-Containern mit bunten Aufklebern, liefen über triste Park-und Abstellflächen und an ebenso lustlos gestalteten, flachen Funktionsgebäuden entlang.
Unser Ziel: Der Zaun.
Verheißungsvoll grollte von irgendwo ständig Triebwerksdonner und nach geraumer Zeit fanden wir eine angemessene Stelle nahe dem breiten Taxiway, der die beiden Startbahnen miteinander verband. So konnten wir nun die Maschinen ganz nahe vorbei rollen sehen, bis sie mit gleichmäßigem Getöse abbogen und hinter einer Waldkante verschwanden, um wenig später in leiser Beschleunigung die Runway hinunter zu rauschen und schließlich ohrenbetäubend laut in den Himmel zu steigen.
Wir beobachteten dieses Schauspiel geraume Zeit und liefen später am Zaun entlang, kamen schließlich zum GAT. Hier fanden sich auf dem Vorfeld - fein säuberlich aufgereiht - eine große Anzahl verschiedener Sportflugzeuge, PA-28er, C-150, C-172, P-159D, Beech Barons - ich erinnere mich sogar noch an eine Ryan Navion, die dort festgezurrt in der ersten Reihe stand.
In der Nähe der Abstellfläche fand sich im grünen, mannshohen und leicht lädierten Maschendrahtzaun eine verschlossene Tür, die den Zugang zum Flugfeld ermöglichte. In unmittelbarer Nähe der Tür hing im Zaun ein weißes Blechschild mit geprägten, schwarzen Buchstaben. Rundflüge versprach die breite Überschrift, darunter ließ sich erfahren, dass der dreißigminütige Ausflug in einer der Sportmaschinen mit 20 Mark zu Buche schlug. Dazu der Hinweis, an der entsprechenden Tür zu klingeln.
Nun lässt sich leicht verstehen, dass aus dem von Erlebnissen und Eindrücken der letzten Stunden gespeisten Wunsch, einmal mit zu fliegen, schnell ein Verlangen in meiner elfjährigen Seele aufbrandete: mit neugierigem Blick aufs Vorfeld, zum Schild, zur Klingel und bettelnden Seitenblicken hoch zu meinem Vater hatte der auch schnell und ohne meine Worte verstanden, wonach ich mich in dieser Minute sehnte. Ich kann mir (auch heute) keinen gutmütigeren Menschen vorstellen als eben meinen Vater, der mir damals beizubringen versuchte, dass nun gerade genug Geld zur Verfügung stünde, um die Bahnfahrt in die heimische Kleinstadt zu bezahlen. Doch an meinem entflammten Verlangen änderte das nichts und meine Unnachgiebigkeit ihm gegenüber bedauere ich noch heute.
Oder: Eigentlich auch wieder nicht.
Schließlich ergab sich das Wunder:Wohl auch für ihn unerwartet fand sich dann doch noch ein Fünfmarkstück in seinen Taschen, das uns (neben dem heiß begehrten Rundflug) die Rückreise mit der Bahn sichern konnte.
In fliegender Eile flitze ich zu dem Klingelknopf und nach einer kleinen Weile erschien ein gebräunter,älterer Herr, der meinem Vater eröffnete, das ausgerechnet ich der Passagier sei, den er brauchte, um jetzt diesen Rundflug durchführen zu können – zwei weitere würden schon warten.
Nach einem dankbaren Blick von mir entrichtete mein Vater lächelnd den geforderten Salär und ich wurde von dem gebräunten, älteren Herren - der sich schließlich als mein Pilot zu erkennen gab - durch die nun geöffnete Tür im Maschendrahtzaun befördert.
Ich erinnere mich noch ausgesprochen gut an meine Aufregung und meine reichliche weichen Knie, nun auf dem für mich fast heiligen Boden des Vorfeldes zur Maschine geleitet zu werden - in erregter Erwartung, damit gleich losfliegen zu können.
Zielstrebig führte er mich zu einer C-172, die - cremeweiß mit roten Streifen verziert - aus der Reihe der geparkten Maschinen herausgezogen, bereits auf dem Vorfeld wartete. Im Fond der Maschine saßen bereits zwei Fluggäste: Offensichtlich ein Vater mit seiner Tochter.
Ich war in Erwartung, nun ebenfalls dort hinten mit Platz nehmen zu müssen und dann beinahe fassungslos überrascht, als mir der gebräunte,älterer Herr die Steuerbordtür der Cessna öffnete, und mich bat, auf dem Sitz des Copiloten Platz zu nehmen.
Einigermaßen benommen von diesem sehr unerwarteten Glück kletterte ich reichlich tapsig auf den Sitz, der gebräunte, älterer Herr zeigte mir, wie ich den bordauxfarbenen Beckengurt anzulegen hatte und schloss von außen die Tür. Wenige Minuten später saß er lächelnd neben mir, holte sich - ohne hinzusehen - seine Sonnenbrille von der Cockpitablage und hielt mir breit grinsend ein Headset hin, das ich mir - ebenfalls noch etwas linkisch - auf meine Ohren schob. Ich platzte fast vor Stolz - die Fluggäste hinter mir hatten nämlich keine Kopfhörer!
Mein Pilot begann nun, konzentriert verschiedene Schalter und Knöpfe am beigefarbenen Kunststoffarmaturenbrett der Cessna zu bedienen - für mich damals noch völlig undurchschaubar, aber doch mindestens genauso faszinierend. Im Kopfhörer begann es leise zu summen, der Propeller vor meiner Nase drehte sich einige Male leer durch, bis das Triebwerk laut ansprang und das Flugzeug in seinen Grundfesten zu erschüttern schien.
Nach diesem erstem kleinen Schreck sah ich auf die vielen Lampen, Schalter und Uhren im Cockpit und das nun ruhige Brummen des Motors ließ mich wieder aufatmen. Ich sah nach links zu meinem Piloten, der mir grinsend zunickte und den Daumen hob.
Er sprach einiges mir völlig unverständliches ins Mikrofon - ich mutmaßte: Englisch - und bekam mit leisem Rauschen eine mir ebenso unverständliche Antwort. Er schob einen Hebel ins Armaturenbrett, der Motor röhrte auf und die Maschine setzte sich in Bewegung. Ich hatte kaum Zeit, alles vollständig in mich aufzusaugen, was um mich - auf wunderbarem Co-Pilotenplatz sitzend – geschah. Ein wahrhaft unerhörtes Gefühl!
Mein Pilot stupste mich an und wies mit dem Finger nach draußen, ich sah meinen Vater, seinen Fotoapparat in der Hand am Zaun stehen, mit der anderen winkte er mir zu. Ich winkte aufgeregt aus dem Cockpit zurück.
Schließlich wendete die Maschine und ließ meinen Vater am Zaum im Propellerwind zurück.
Gebannt sah ich aus der zitternden Maschine auf den vor uns liegenden Rollweg, der sich langsam unter uns durchschob, einigen Kurven und beschilderten Abzweigungen folgte, und uns schließlich zur Runway führte.
Wir warteten und der Motor tuckerte ungeduldig im Leerlauf vor sich hin.
Nach einigen Minuten und dem schon bekannten Funkkauderwelsch, gab mein Pilot wieder etwas Gas, rollte die Maschine auf eine Art überdimensionierten Zebrastreifen, drehte sie nach links und richtete sie auf der Startbahn aus. Vor uns lagen über zwei Kilometer Beton, unfassbar breit, am Ende der Bahn flirrte die Wärme der Sonne, die nun durch die Wolken gebrochen war.
Ich sah etwas angespannt zu meinem Piloten, der mir nur zunickte, den Gashebel zügig ins Instrumentenbrett schob und dann konzentriert abwechselnd auf die Instrumente oder geradeaus durch die Cockpitscheibe sah.
Die Cessna beschleunigte sanft und die Bahn zog immer schneller unter uns durch, schließlich hörte ich seine Stimme, die Pass auf im Kopfhörer zu mir sprach, und mit einer sanften Bewegung am Steuerhorn löste sich die Maschine von der Piste und wir stiegen mit großer Leichtigkeit in den Hannoveraner Himmel.
Ich sah nach unten und es war, als gehörte mir die Welt allein: Die Flugplatzbegrenzung zog unter uns durch, der Wald wurde kleiner und in der Ferne blitzen vorsichtig ein paar Seen in der Sonne.
Nach einer leichten Linkskurve flirrten die Umrisse der Stadt Hannover vor uns im Gegenlicht auf, die Wolkendecke war aufgebrochen und mit leichtem Steigflug näherten wir uns den Wolkenlücken. Das Triebwerk brummte warm und kraftvoll, die Sonne blinzelte grell durch die nun aufgerissene Bewölkung und mit leichtfertigen Bewegungen kreisten wir über Welt, Stadt und Land: ich kam nicht dazu, mich satt zu sehen, meine Gefühle schienen sich vor Glück purzelbaumähnlich zu überschlagen und ich kam mir vor, als wäre die Wunderwelt aus Sonnenglanz, Cockpitwelt, Wolkenlicht und Spielzeugland ausschließlich nur für mich geschaffen.
Meine glückliche Seele quoll beinahe über, als mein Pilot mir zu verstehen gab, doch beide Hände an das Steuerhorn vor mir zu legen und ich schließlich fast ungläubig den kühlen schwarzen Kunststoff unter meinen kleinen Fingern spürte. Schnell verstand ich die Bewegungen, die er eingab und denen das Flugzeug folgte.
Was also soll ich noch erzählen?
Wir zogen einige Kreise über Hannover und diese halbe Stunde dort oben kam mir vor, wie ein ganzes Leben, der langsame Sinkflug, der alsbald den Flughafen wieder vor uns auftauchen ließ, die schnurrende Schleppgaslandung an den Rand der Schwelle dieser gewaltigen Landebahn; ich habe noch dieses so lange, federleichte Ausschweben im Kopf und den leichten Stoß, mit dem wir aufsetzen, den sehr verschmitzten Blick meines Piloten, meine Finger noch immer vorsichtig am Steuerhorn, das Zittern des Motors in der Flugzeugzelle - ich kam mir vor, als wäre ich der erste Pilot der Welt.
Schließlich rollte die cremeweiß mit roten Streifen verzierte Cessna von der gigantischen Runway ab auf den Rollweg, der uns mit allerlei Kurven und Abzweigungen wieder zum Abstellplatz der vielen Sportmaschinen führte, die dort noch in einiger Ferne bewegungslos parkten.
Nun endlich schwenkten wir ein, das Triebwerk verstarb und das Flugzeug schüttelte sich erneut, mein Pilot legte seine Sonnenbrille wieder blind auf das Armaturenbrett, nahm meine Kopfhörer entgegen und sehr professionell - so schien es mir - öffnete ich den bordeauxfarbenen Beckengurt mit der großen Schnalle nun selbst.
Mein Vater - wie ich jetzt weiß: sehr beruhigt und erleichtert - stand hinter dem Maschendraht und winkte mir zu. Ruhig und unerschüttert hob ich die Hand im Cockpit als Antwort.
Dann schnappte die Steuerbordtür auf und ich hopste ausgesprochen selbstbewusst auf den Beton, mein Pilot schüttelte mir lachend und braungebrannt die Hand, sicher gab es auch ein Kompliment.
So eilte ich auf meinen Vater zu, der mich in seine Arme schloss.
Auf der spätnachmittäglichen Rückfahrt in der Bahn war mein Redeschwall genauso endlos wie mein Schweigen und ich weiß erst heute, wie tief sich das alles in mich geprägt hat.
Unvergesslich, sagt man.
So hatte mein Vater - der sich ebenfalls schon zeitlebens für die Fliegerei interessiert hatte, jedoch selbst nie dazu kam - ein Erlebnis in meine Seele gelegt, das mir sagte, wo ich hingehöre und das mir fast dreißig Jahre eigene und kaum beschreibbare Fliegerei geschenkt hat:
Die ersehnte Segelflugausbildung wurde mein Konfirmationsgeschenk. Zum Leidwesen meiner Eltern war ich jedoch weit mehr auf dem Flugplatz denn in der Schule, was trotz ausgeklügelter Vertuschungsversuche schließlich zu meinem Leidwesen irgendwann an den Tag kam. Der Geldhahn zur Segelflugausbildung wurde abrupt geschlossen.
Die Konsequenzen waren für mich fürchterlich:
Den schulischen Abstieg ertrug ich ohne Anstrengung und stoisch, doch der Blick in den Himmel und auf die, die dort ohne mich flogen, wurde mir ein fast unerträgliches Leid.
Das erste Geld, das ich in meiner Ausbildung und mit unzähligen Jobs während des Studiums verdiente, investierte ich fast ausschließlich in meine Fliegerei.
Es folgten viele, viele Stunden über dieser Welt.
Unglaubliche Erlebnisse auch.
Meinen Vater übrigens habe ich später auf viele eindrückliche Flüge mitnehmen können.
Dank genug ist das nicht.
Es ist die Zeit der letzten Flüge im Jahr. Das Wetter wird schnell schlechter, und manchmal fliegen wir noch durch Schauerstaffeln unter tiefhängenden Wolken hindurch, versuchen, durch die rar gewordenen Lücken der grauen Wolkendecke zu klettern, um weit oben die schon tief stehende Sonne zu genießen.
Warmes, gleißendes Licht bricht durch das Plexiglas unserer Cockpithauben.
Aber der raue Wind nimmt die gefühlvolle Ruhe des Dahingleitens: Das Fliegen in den aufgebrachten Luftströmen gleicht nun einer rasenden Autofahrt über unvorhersehbare Schlaglochstrecken. Harte Ruderausschläge, festgezogenes Gurtzeug, Schauer verschleiern die Sicht, starker Seitenwind macht unsere Landungen zu schwer berechenbarer Akrobatik.
Irgendwann ist auch das vorbei.
Das Landefeld verwandelt sich im nicht enden wollenden Herbstregen in eine völlig durchgeweichte Wiese, auf der schon pure Rollversuche kläglich enden müssen.
Die Tore der Hallen klappern im Wind, unser Flugfeld scheint zu veröden: vorbei das geschäftige Hin- und Herrollen, Starten und Landen, Motorgedröhn.
Alles verlassen und einsam.
Abgedeckt stehen viele unserer Flugzeuge nun in den schlecht beleuchteten, feuchten und zugigen Hangars, einige in skeletthaft wirkende Einzelteile zerlegt, manche sogar der Flügel beraubt, mit abgedeckten Motorhauben, aus denen sich schmutzig-buntes Leitungsgeschlinge wie aus offenen Wunden windet.
Ölverschmiertes Werkzeug liegt überall herum, Böcke und Tische mit ablegten Teilen, über die Werkbänke sind von Ölfingern angeschmutzte knitterige Pläne, Listen und Explosionszeichnungen geheftet. An den Wänden unübersichtliche Regale mit gestapelten Ersatzteilen: irgendwelche Aggregate, angestaubte Kisten und Kästchen, gekennzeichnet mit beigefarbenen Laufzetteln, die an dünnen Bindfäden baumeln. Angerostete Benzinfässer in einer unbeleuchteten Ecke, auf denen sich irgendwelcher Schrott stapelt. Eine Reihe verbeulter Militärspinde, in denen wir alle möglichen Unterlagen horten.
Darüber hängen einzelne Rippen, ausgebaute Querruder und ein komplettes Seitenleitwerk. Emailleschilder von Flugzeugherstellern, farbstichige Luftaufnahmen in windschiefen Rahmen, Portraits irgendwelcher Piloten: Auf den schrägen Leisten sedimentäre Ablagerungen aus Staub, Öl und Schmutz.
Unter der Decke baumelt in sicherer Höhe die ausgeschlachtete Stahlrohrzelle einer Piper Cub. An langen Kabeln hängende, deckelförmige Blechlampenschirme wackeln bei jedem Windzug und bringen ein filigranes Schattenmuster auf dem Boden zum Tanzen.
Doch selbst hier haben wir unsere Rituale:
Sanft und beinahe liebevoll fühlen wir im Vorbeigehen mit der Hand über wohlgeformte Teile der Außenhaut unserer Maschinen: glatte, kühle Blechbeplankung, enganliegende Bespannung, hochglanzpolierte Kunststoffverkleidungen und weiche Baumwollstoffe, die sanft abgedeckte Teile modellieren. Es ist, als wollten wir den Kontakt zu unseren schlafenden Vögeln nicht verlieren.
Beinahe jedes Wochenende treffen wir uns dort. Sobald es uns Zeit ist, fliehen wir aus der Arbeitswoche hierher, oft schon freitags am frühen Nachmittag. In unansehnliche Overalls gestopft, aus deren Taschen ölige Lappen, Handschuhreste und kleineres Werkzeug quellen, säubern wir alles an unseren Maschinen mit äußerster Sorgfalt, tauschen Maschinenteile aus, tüfteln kopfüber verrenkt in engen Cockpits an der Instrumentierung herum, schleifen und feilen gebeugt über riesigen Schraubzwingen, überholen mit ölverschmierten Gesichtern auf Spezialböcke montierte Motoren, wechseln Dichtungen, ziehen Steuerseile ein, wechseln Lampen und Reifen, löten an Kabelbäumen herum, erneuern Lackierungen, polieren und putzen.
Wir reden nur sehr wenig, ab und zu klingelt zwischen Flüchen ein Werkzeug auf den ausgekühlten Betonboden, in einer Ecke dudelt beständig ein Radio, die glucksende Kaffeemaschine in der Ecke läuft regelmäßig und immer noch werfen die Arbeitslampen ihre zuckenden Schatten an die Hallenwände, draußen ist es schon lange dunkel. Schluss für heute.
Wir lungern unlustig noch eine Weile zwischen den abgestellten Maschinen herum, als könnten wir uns nicht trennen. Aufräumen.
Diese Abende sind uns jetzt lang.
Es ist irgendwie anders als im Sommer. Vorhersagbarer.
Aber darüber reden wir nicht.
Schließlich knüllen wir unser Arbeitszeug zusammen, hängen unsere geliebten Fliegerjacken um die Schultern. Licht aus. Abschließen. Raus.
Dann endlich fahren wir mit unseren alten Autos ein paar Kilometer durch die verregnete Dunkelheit in die nahegelegene Kleinstadt.
Wir haben da diese Kneipe.
Viel zu laut. Eng und verqualmt. Immer überfüllt.
Stehplätze, drangvolle Enge, funzelige Beleuchtung, Videoclips donnern brüllend laut aus den Monitoren auf uns herab. Eigentlich unzumutbar. Aber wir fahren da immer wieder hin. Also knallen wir die Autotüren hinter uns zu, rennen durch den ewigen Regen zu der rettenden Kneipentür, und wie ein Schwall ergießt sich sofort laute Musik, Gelächter und Stimmengewirr durch den Zigarettenqualm über uns. Wir zwängen uns durch ein schier unglaubliches Gewühle zur hintersten Ecke des Raumes, schieben uns an ein winziges Tischchen.
Dieser Ort scheint wie geschaffen für uns. Trotz allem.
Wo auch anders könnten wir uns selig in selbstgewählten Klischees niederlassen? An diesen Abenden.
Kompensation.
Aber das nehmen wir nicht wahr.
Es dauert nicht ganz lange, bis erster Übermut in unseren Augen glänzt, die unvermeidlichen Bierpfützen um den Aschenbecher, raubeiniges Schulterklopfen als Begrüßungszeremonie für die Nachzügler, die Abenteuerzigaretten in den Ärmeltaschen unserer Fliegerjacken.
Standesbewusst favorisieren wir grellbunte, hochprozentige Drinks von undefinierbarer Zusammensetzung, klobige Benzinfeuerzeuge flammen kurz auf, wir nuckeln wortkarg an Strohhalmen und Zigaretten.
Der mit Lautstärke angefüllte Raum lässt Unterhaltungen nicht wirklich zu, statt dessen schreien wir uns gelegentlich abgehackte Sätze zu und wechseln bedeutungsvolle Blicke. Das Vorspiel sozusagen.
Introvertierte Draufgänger mit undurchschaubaren Mienen, wir geben die verschworene Bruderschaft. Besser als jeder Film.
Genauso planmäßig fallen nach geraumer Zeit dann auch die ersten Stichworte:
Einleitung zu den schon leidlich bekannten weißt-du-noch -Geschichten, lautes Gelächter dröhnt aus unserer Ecke, wir rücken enger zusammen, damit wir uns noch besser anschreien können.
Ein schmales Mädchen dringt mit einem enormen Tablett mühsam zu uns vor, ersetzt mit akrobatischem Körpereinsatz die leeren Gläser.
Wir schwelgen aber schon in Erlebnissen vergangener Flüge, eine erstaunlich geplante Hochstapelei. Image. Schließlich sind wir ja nicht irgendwelche Piloten.
Wüstes Gelächter, wir sonnen uns in unglaubwürdigen Geschichten, unsere Drinks verwandeln die kleine Schauerwolke in eine undurchdringliche Gewitterfront, kraftstrotzende Erzählungen von Böenwalzen, Elektronikausfall, kotzendem Triebwerk, Eisansatz.
Kopfschütteln. Kein Entkommen mehr möglich.
Ausgeschlossen.
Dem wortgewaltigen Erzähler steht - deutlich sichtbar - der kalte Schweiß auf der Stirn. Irgendwie hat er es dann doch noch geschafft. Klarer Fall:Mehr Glück als sonst irgendwas. Nachschlag: Außenlandung mit dem Segelflugzeug. Letztes Jahr. Wirklich wahr. Echt jetzt.
Kein Landefeld weit und breit zu sehen, schier endloser Wald. Natürlich im vielzitierten letzten Augenblick die rettende Lichtung in Sicht. Zwar schmal wie ein Handtuch und bis in die letzte Ecke mit Unterholz übersät, aber die einzige Möglichkeit. Die einzige.
Rückenwindlandung, logisch. Der Pilot wundert sich bis heute, wir er das geschafft hat: kein Kratzer an der Mühle.
Das Rascheln der Baumspitzen kurz vor der Landung am Leitwerk hat er jetzt noch im Ohr. Unvergesslich.
Und wir geben uns keine Blöße. Anerkennendes Nicken.
Und wir laufen langsam zu Höchstform auf.
Irgendwelche breakbeats hämmern endlos aus den Boxen erbarmungslos auf uns herab, unter dem Gejohle der anderen kippt jemand von uns bei einer beschreibenden Armbewegung ein volles Glas Bier über den Tisch, mehrdeutiges Gefluche. Doch wir haben noch einige Varianten zu bieten.
Hab-ich-von-dem-und-dem-gehört.
Alles noch spekulativer, haarsträubende Geschichten:
Loopings von Flugschülern um Hochspannungsleitungen; dead-stick-Notlandungen mit kaltem Triebwerk auf dichtbefahrenen Autobahnen; Schleudersitze, mit denen sich Mechaniker versehentlich durch Hallendächer schießen.
Begegnungen der Dritten Art - near misses mit tieffliegenden Jets. Der Blick ins Auge des A-10-Piloten.
Das Gedränge hat noch zugenommen.
In einer gegenüberliegenden Ecke werden ein paar gutaussehende Mädchen ausgemacht. Mannomann, wenn die wüssten. Sagen tut das aber keiner.
Übervolle Aschenbecher.
Nach anfänglichem Herumgedruckse winken wir die Mädels aus der Ecke zu uns herüber; tatsächlich drängeln sie sich kichernd bis zu unserer Runde durch:eine hübsche Dunkelhaarige mit Kulleraugen, eine Blonde, hochgestochen und durchgestylt. Die beiden anderen sind mehr so der unscheinbare Typ: Mauerblümchen.
Verstohlene Blicke. Wie-heißtn-ihr-was machtn-ihr-so.
Albernes Herumgeblödel: Noch mehr Drinks.
Wie üblich geben wir uns wortkarg, ganz nach festgelegter Regie.
Wir werden höflich, zeigen uns interessiert. Dass wir alle fliegen erwähnen wir, wenn überhaupt, eher in verschiedenen, gut kalkulierten Nebensätzen. Wir wissen ja, wie das so läuft. Immer schön cool, understatement, richtig dosierte Sprüche. Die Blonde steigt gleich auf das Theater ein, gibt sich weltmännisch, entwickelt ein plötzliches Anlehungsbedürfnis.
Naja.
Der Abend scheint auf einmal gelaufen. Nichts mehr los. Wieder nuckeln wir an unseren Zigaretten und den Strohhalmen unserer Drinks. Eins von den Mauerblümchen muss jetzt aber wirklich mal nach Hause.
Wir wollen aber unbedingt noch was unternehmen.
Verschiedene Idee werden diskutiert. Aber dabei bleibt’s.
Nichts Annehmbares.
Nach einer längeren Gammelphase fällt jemandem ein, dass in der Nachtvorstellung eines nahegelegenen Provinzkinos TOP GUN in der x-ten Wiederholung läuft.
Wir werden schlagartig wieder wach, die Kleine mit dem Riesentablett hat Mühe unsere Drinks auseinanderzurechnen, jemand hat natürlich zu wenig Kleingeld und es dauert ewig, bis wir uns durch das Gewühl bis zur Tür durchgearbeitet haben.
Bloß weg hier.
Endlich rennen wir durch den andauernden Regen zu unseren Autos, die verbliebenen Mädels hinterdrein.
Klatschnass fallen wir in die Sitze, knallen die Türen zu und rasen eigentlich zu sportlich zu dem kleinen Nest mit dem Kino. Den Mädels gefällt’s.
Über dem kleinen Kino prangt der Schriftzug RESIDENZ in gelbem Neon, das „i“ ist defekt und flackert. Die Kassiererin ist erstaunt über den ungewohnten nächtlichen Ansturm, mehr als zehn Bierdosen fördert sie aus ihrer kleinen Theke nicht mehr ans Neonlicht.
Außer uns noch zwei dunkle Gestalten in den vorderen Reihen.
Einer aus unserer Runde wird plötzlich vermisst. Und die Blonde ist auch weg. Was der wohl morgen zu erzählen hat? Alsbald teilt sich der zerschlissene Plüschvorhang der kläglich ausgestatteten Filmbühne, die Verschlüsse unserer Bierdosen zischen auf.
Gleichermaßen lautstark wie ungeduldig belegen wir die schon leidlich bekannten Werbespots mit höhnischen Kommentaren. Erst als auf der Leinwand zur Musik von Harold Faltermeyer die ersten Jets aufs Trägerdeck knallen, werden wir ruhiger und ge-nießen den Vorspann, versuchen, das eigenwillige Ballett der Deckmannschaften zu enträtseln.
Wir recken die Hälse vor, begutachten kritisch und fachkundig die Flugmanöver, grölen die Songs mit.
Bei den unserer Meinung nach völlig überflüssigen Liebesszenen diskutieren wir halblaut über besonders gelungene Manöver.
Bei gewagten stunts geraten wir richtig aus dem Häuschen, glänzende Augen, wir rutschen noch tiefer in die Kinosessel, rechte Hand am stick, linke Hand am throttle: Wunderbar! Als dann die letzte F-14 im orangeroten Abendhimmel hinter dem Abspann verschwindet und das Licht im Saal grell aufflammt, erheben wir uns müde und schleppen uns durch das windige Regenwetter zu unseren Autos.
Der harte Kern unserer Truppe endet, wie üblich an diesen Abenden, wieder in unserer Kneipe. Längst ist es dort nicht