Das Geheimnis des italienischen Milliardärs - Jane Porter - E-Book

Das Geheimnis des italienischen Milliardärs E-Book

Jane Porter

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Beschreibung

Rocco Cosentino verlangt eine Vernunftehe? Offenbar ist dem italienischen Tycoon erst jetzt zu Ohren gekommen, dass Clare einen Sohn hat. Mit seinem Bruder, der kurz vor ihrer Heirat verunglückte! Zögernd erklärt sie sich zu einer Heirat bereit, damit ihr Kind mit einem Vater aufwächst. Denn an Liebe mit Rocco glaubt sie keine Sekunde. Bisher hat er sie immer nur ablehnend behandelt. Doch völlig überraschend fühlt Clare sich heftig von Rocco angezogen. Der ihr aus heiterem Himmel ein erschütterndes Geständnis macht, warum er immer so kalt zu ihr war …

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Seitenzahl: 204

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IMPRESSUM

JULIA erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2023 by Jane Porter Originaltitel: „The Convenient Cosentino Wife“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe 2024 in der Reihe JULIA, Band 2649 Übersetzung: Grit Wölten

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 05/2024 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751524728

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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PROLOG

Eigentlich hätte an diesem Wochenende die Hochzeit sein sollen. Nun trafen sie sich stattdessen zum Begräbnis.

Die Trauerfeier war bewusst klein gehalten, denn Rocco Cosentino hatte kein Interesse an einer dramatischen Beerdigung für Marius, seinen jüngeren Bruder und einzigen Familienangehörigen. Marius war alles für ihn gewesen – seine Welt, seine Hoffnungen, seine Träume. Er hatte sich verantwortlich gefühlt für seinen Bruder. Doch nun war der waghalsige, lebenslustige und großherzige Marius nach einem Sturz vom Pferd gestorben.

Reiten war das, was Marius am meisten liebte und am besten konnte. Polo war seine Leidenschaft gewesen. Aus tiefstem Herzen trauerte Rocco um ihn, doch seine Trauer war Privatsache, und er wollte nicht, dass andere Zeugen seines Schmerzes wurden. Er hatte Marius großgezogen, seit dieser sechs war. Nun war er tot.

Unfassbar. Die blaublütige Linie der Cosentinos endete nun mit ihm, Rocco. Denn er hatte nicht vor, jemals zu heiraten. Kein zweites Mal.

Höflich, aber bestimmt hatte Rocco alle wissen lassen, dass die Beerdigung im engsten Familienkreis stattfinden solle. Aber er hatte nicht verhindern können, dass Clare Redmond teilnehmen würde. Immerhin war die achtundzwanzigjährige Amerikanerin Marius’ Verlobte gewesen.

Wenn er sich nicht das Genick gebrochen hätte, wäre Clare jetzt mit ihm verheiratet. Damit wäre sie Roccos Schwägerin geworden. Aber das Schicksal hatte andere Pläne gehabt und Marius, der sich zu einem wundervollen, großzügigen Mann entwickelt hatte, aus dem Leben gerissen.

Jetzt stand Rocco neben der jungen Amerikanerin, die von Kopf bis Fuß in Schwarz gehüllt war und sogar einen Schleier trug, als wäre sie direkt einem Gothic-Film entsprungen. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen, aber das war auch nicht nötig – sie schluchzte so herzzerreißend, dass er sich sehnlichst das Ende der Zeremonie herbeiwünschte.

Man sagte zwar, Beerdigungen seien für die Hinterbliebenen, nicht für die Toten. Aber das sah Rocco anders. Er war schon auf zu vielen Trauerfeiern gewesen, die ihm nichts bedeutet hatten. Noch nie hatten ihm die Worte eines Geistlichen Trost gespendet – weder auf den Beerdigungen seiner Eltern noch auf der seiner jungen Frau. Und auch jetzt war es nicht anders.

Die Tatsache, dass er der Letzte der Cosentinos war, bedeutete ihm nichts. Auf meiner Familie lastet ein Fluch, befürchtete er. Und deshalb war es gut, dass sie nach und nach ausgelöscht wurde. Eine nächste Generation würde es nicht geben und somit auch keinen Grund mehr, um jemanden zu trauern. Keine Beerdigungen, keine wunderbaren Menschen, die unendlich fehlten, keine Schuldgefühle, dass er der einzig Überlebende war.

Wenn diese Trauerfeier zu Ende war, würde er die schwere Eichentür am Stammsitz der Familie ein letztes Mal abschließen, das Anwesen von Marius in Argentinien verkaufen und in einem seiner Häuser weit entfernt von Rom leben. Er wollte mit all dem – mit Tod, Trauer, Verantwortung – nichts mehr zu tun haben.

Clare hatte in den vergangenen Tagen so viel geweint, dass sie glaubte, keine Tränen mehr zu haben. Doch die Trauerrede auf ihren geliebten Marius brachte sie erneut zum Weinen. Marius war einer der besten Menschen gewesen, die sie kannte – stark, freundlich, ehrlich, liebevoll.

Sie hatte sich oft gefragt, wie er zu einem so liebenswerten Mann hatte heranwachsen können, während sein älterer Bruder stets ernst und abweisend wirkte. Doch Marius hatte Rocco immer verteidigt. Sein Bruder wirke zwar nicht herzlich, hatte er zugegeben, aber er wisse, dass Rocco im Ernstfall sein Leben für ihn geopfert hätte, um ihn zu schützen.

Sein Leben geopfert. Diese Worte hallten in diesem Moment in ihrem Kopf wider. Wenn doch nur Rocco anstelle von Marius gestorben wäre, dachte sie und musste schon wieder schluchzen. Marius war so voller Leichtigkeit und Liebe gewesen, Rocco dagegen lebte wie ein Einsiedler in seinem riesigen Haus. Er hatte es mit sechzehn Jahren schon geerbt, nachdem seine Eltern kurz nacheinander an einer Infektion gestorben waren, die sie sich auf einer ihrer Reisen eingefangen hatten. Clare hasste den großen düsteren Palazzo, doch Marius hatte darauf bestanden, dass sie alle sechs Monate dorthin fuhren – im Juli zu Roccos Geburtstag und dann noch einmal zu Weihnachten oder Silvester.

Bei ihren Besuchen war Rocco niemals freundlich zu ihr gewesen, hatte kaum zwei Worte mit ihr gewechselt. Als Marius um ihre Hand angehalten hatte, war ihre Antwort ein spontanes Ja! gewesen, denn sie hatte ihn bedingungslos geliebt. Doch später am Abend hatte sie ihren wundervollen neuen Ring betrachtet, und ihr war klar geworden, dass nun auch Rocco Teil ihrer Familie war.

Und dieser Gedanke gefiel ihr gar nicht. Mehr noch – die Vorstellung hatte sie die ganze Nacht wachgehalten.

Jetzt stand sie neben dem Mann, der ihr niemals ein Bruder sein würde. Sobald die Trauerfeier zu Ende war, würde sie zum Haus zurückfahren, ihre Sachen packen und verschwinden. Sie hatte bereits ein Taxi bestellt, das sie zum Flughafen bringen sollte. Auf keinen Fall würde sie länger in Rom bleiben als unbedingt notwendig. Rocco benötigte keinen Trost, am allerwenigsten von ihr. Marius hatte kein Testament hinterlassen. Sein Anwesen in Spanien und das Weingut in Argentinien würde sein Bruder erben. Es gab also nichts zu klären.

Sie würde nach Hause zurückkehren und versuchen, mit ihrem Leben weiterzumachen. Ohne Marius. Und mit einem gebrochenen Herzen.

Vom großen Salon aus konnte Rocco den schwarzen Mercedes sehen, der auf der perfekt geharkten Auffahrt auf Clare wartete.

Er bewunderte die junge Frau für ihre Weitsicht und konnte ihren Wunsch, nicht länger als nötig auf der Trauerfeier zu bleiben, gut nachvollziehen. Für ihn selbst war Trauer Privatsache, und er vermutete, dass Clare es ebenso hielt.

„Wie ich sehe, wartet schon ein Wagen auf dich“, bemerkte er, die Arme auf dem Rücken verschränkt.

Unter dem schwarzen Spitzenschleier konnte er ihre lavendelfarbenen Augen erkennen, als sie ihn ansah. „Tut mir leid, dass ich schon abreise, aber …“

„Das muss es nicht“, schnitt er ihr das Wort ab. „Wir haben uns nie sehr nahegestanden, und keiner von uns hat das Bedürfnis, zusammen zu trauern.“ Seine Stimme war düster und rau vom Schmerz.

Fragend sah sie ihn an. „Trauerst du denn um ihn?“

„Er war alles, was ich noch hatte.“ Sobald er den Satz ausgesprochen hatte, fühlte Rocco sich wie ein Narr. Ertappt. Es war einfacher für ihn, wenn die Menschen glaubten, er hätte keine Gefühle. Er wirkte hart, und das störte ihn nicht. Mit einer endgültigen Handbewegung deutete er auf das imposante geschnitzte Eichenholzportal. „Du solltest deinen Flug nicht verpassen.“

Sie hob den Kopf und schlug den Schleier zurück, sodass er ihr golden glänzendes Haar erkennen konnte, aber auch ihr aschfahles Gesicht mit den dunklen Schatten.

„Wir werden uns vermutlich nie wiedersehen. Aber vielleicht hilft es dir, zu wissen, dass Marius dich sehr geliebt hat. Er hat immer betont, du seist Bruder, Vater und Mutter für ihn gewesen – und zwar die besten, die er sich habe vorstellen können.“

Damit nickte sie ihm noch einmal zu, ließ den Schleier fallen und ging hinaus.

Es hätte das letzte Mal sein sollen, dass Rocco sie sah. Und normalerweise wäre es das auch gewesen, denn er legte keinen Wert darauf, an Marius und den Verlust, den sein Tod bedeutete, erinnert zu werden.

Doch jetzt war da dieser Brief. Er hatte Rocco in Argentinien erreicht, wo er die Weinlese auf dem Gut seines Bruders beaufsichtigte. Zunächst hatte Rocco ihn beiseitegelegt, dann war er unter anderen Schriftstücken auf seinem Schreibtisch verschwunden und schließlich in Vergessenheit geraten. Irgendwann hatte er sich wieder daran erinnert und ihn fieberhaft gesucht. Endlich fand er ihn zwischen den Unterlagen für die Steuererklärung.

Als er den Umschlag öffnete, waren elf Monate vergangen. Und Rocco erfuhr, dass er nicht der Letzte seiner Familie war.

Die wunderschöne Amerikanerin Clare Redmond hatte zwei Jahre zuvor einen Jungen zur Welt gebracht.

1. KAPITEL

Das unverwechselbare Brummen eines Hubschraubers weckte Clares Neugier. Sie hielt mit dem Schreiben inne und nahm wahr, dass das Dröhnen näher kam und die Luft vibrieren ließ.

Clare stand auf und trat ans Fenster. Der Helikopter kreiste direkt über ihrem Grundstück. Er war viel zu niedrig, um über das Haus hinwegzufliegen. Vermutlich suchen sie irgendjemanden, vermutete sie. Doch in diesem Moment setzte der Hubschrauber zur Landung direkt auf der weitläufigen Rasenfläche neben ihrer Villa aus dem sechzehnten Jahrhundert an.

Es war nicht ungewöhnlich, dass hier ein Hubschrauber landete. Das im Renaissancestil erbaute Haus direkt an der Küste wurde gern von Prominenten und Staatsoberhäuptern besucht, die auf diese Weise schnell an- und abreisen konnten. Doch diese Gäste kündigten sich normalerweise langfristig an – auch, damit Clare und ihre Mitarbeiter alle Sicherheitsvorkehrungen treffen konnten.

Doch in diesem Fall wusste Clare von nichts, und das beunruhigte sie. Mit einem unguten Gefühl verließ sie ihr Büro und trat auf die Veranda, von der die breite Freitreppe aus hellem Marmor in den Garten führte.

Sofort tauchte Gio Orsini, ihr Sicherheitschef, neben ihr auf. „Weißt du, wer das ist?“, erkundigte er sich, während er sich mit der Hand über den haarlosen, glänzenden Schädel fuhr. Mit einem Flap drehten sich die Rotorblätter gerade ein letztes Mal.

Wortlos schüttelte Clare den Kopf. Wer auch immer es war – sie würde ihren Besuch mit Würde empfangen. Wenn sie eines in den vergangenen Jahren gelernt hatte, dann, dass Panik niemals hilfreich war. Adrenalin war gut, Schwäche nicht.

Noch vor einem halben Jahr war die Villa ein Luxushotel gewesen. Clare hatte sie zusammen mit mehreren anderen Immobilien geerbt. Irgendwann hatte sie festgestellt, dass sie nirgends so glücklich war wie in der Villa Conchetti, und so hatte sie das großzügige Anwesen zu ihrem persönlichen Domizil gemacht, wo sie seither lebte.

„Ist das ein Privathubschrauber?“, erkundigte sie sich.

„Sieht so aus“, vermutete Gio und sah sie an. „Schläft Adriano noch?“

Sie nickte und dachte an ihren Sohn, der friedlich in seinem Bettchen lag, wohlbehütet von einem Kindermädchen.

„Dann konzentriere ich mich auf diesen Trakt. Aber mir wäre wohler, wenn du ins Haus zurückkehren würdest, bis wir wissen, wer uns da besucht.“

Seit zweieinhalb Jahren sorgte Gio für ihre und Adrianos Sicherheit. Er war eine Konstante in ihrem Leben, seit sie mit ihrem Neugeborenen die Klinik verlassen hatte – eine junge Mutter voller Trauer um ihren Mann.

„Warte einen Moment. Ich ahne, wer das sein könnte“, bat Clare.

„Chi, allora?“, wollte er erstaunt wissen. Wer denn?

„Ich hoffe, dass ich mich irre“, erwiderte sie statt einer Antwort.

Mit schmalen Augen musterte Gio sie, doch er sagte nichts. Wenig später schwang die Klappe auf und ein großer Mann mit dunklem Haar und olivfarbenem Teint sprang aus dem Hubschrauber. Hinter sich zog er eine Ledertasche vom Sitz.

Obwohl Clare sein Gesicht nicht sehen konnte, wusste sie sofort, wer da auf sie zukam.

Rocco.

Bei seinem Anblick zog sich ihr Magen zusammen. Sie hatte ihn vor langer Zeit erwartet, aber nicht mehr jetzt. Vor mehr als anderthalb Jahren hatte sie ihm einen Brief geschrieben, doch nachdem er nie geantwortet hatte, war sie davon ausgegangen, nichts mehr von ihm zu hören. Und jetzt war er hier. Persönlich.

Clare fühlte sich unwohl in ihrer Haut. Ihr Mund war wie ausgetrocknet, ihr Puls raste.

„Was soll ich tun?“, fragte Gio leise. Ihm war sofort klar, dass Rocco Cosentino eine Bedrohung darstellte.

„Im Moment nichts“, erwiderte sie. „Aber sag dem Personal, es soll wachsam sein.“

„Selbstverständlich.“

Sie blieb auf der obersten Treppenstufe stehen und sah ihrem ungebetenen Gast äußerlich ruhig entgegen. In ihr aber tobte ein Sturm, ihre Hände zitterten. Nachdem er sich so lange nicht gemeldet hatte, war Clare davon ausgegangen, dass sie Ruhe vor Rocco hatte. Ausgerechnet jetzt, da sie sich in ihrem Leben mit Adriano entspannt eingerichtet hatte, tauchte er auf.

Nun trat er an den Fuß der Treppe, und es wirkte, als wollte er ihr Zuhause erobern.

„Ich habe nach dir gesucht“, sagte er statt einer Begrüßung. Seine sonore Stimme war noch tiefer, als Clare sie in Erinnerung hatte, und er klang grimmig. Seine wie gemeißelt wirkenden Gesichtszüge waren ausdruckslos, und er ließ seinen eisigen Blick über sie gleiten. Kein Lächeln, keine Wärme.

Offensichtlich also hatte sich nichts geändert. „Anderthalb Jahre lang?“, gab sie spitz zurück. Sie neigte den Kopf und begegnete furchtlos seinem Blick. Seine Augen hatten noch immer diese tiefgraue Farbe, die an flüssiges Zinn erinnerte. „Und dabei war ich immer in deiner Nähe – nur fünfundzwanzig Kilometer von Rom entfernt.“

„Du hast ein Jahr gewartet, um mir von meinem Neffen zu erzählen.“

„Und du ein weiteres Jahr, bevor du dich meldest.“ Dezent gab sie Gio ein Zeichen, und er entfernte sich ein Stück, um ihnen Raum zu geben. Doch er blieb in ihrer Nähe. „Aber du hast natürlich viel zu tun.“

Inzwischen war Rocco die Stufen heraufgekommen und stand ihr direkt gegenüber. „Sobald ich von dem Kind erfahren hatte, habe ich einen Detektiv engagiert. Es war nicht einfach, dich zu finden. Aber das war sicherlich dein Plan.“ Ohne zu lächeln, verzog er die Mundwinkel. „Vielleicht fügst du nächstes Mal eine Absenderadresse hinzu, wenn du mir schreibst.“

Kurz lag ihr auf der Zunge zu sagen, es werde kein nächstes Mal geben. Doch sie schluckte die Bemerkung hinunter. Es gab keinen Grund, Marius’ älteren Bruder zu provozieren. Sie hatten sich das letzte Mal auf der Beerdigung ihres Verlobten gesehen, und sie wollte keine unnötigen Spannungen zwischen ihnen aufbauen. Es ging um die Zukunft, nicht um die Vergangenheit.

„Ich war in Mendoza. Es hat eine Weile gedauert, bis ich die Geburtsanzeige bekommen habe“, erklärte Rocco. „Und dann ist der Brief verschwunden, ehe ich ihn überhaupt lesen konnte. Erst als ich die Unterlagen für meine Steuererklärung zusammengestellt habe, ist er mir wieder in die Hände gefallen.“

„Du bist nach Argentinien gezogen?“, fragte sie überrascht.

„Nein, ich war ein paar Monate da, um auf Marius’ Weingut für Ordnung zu sorgen. Es lief nicht besonders gut, und ich war die Ausreden leid.“

„Ich hatte angenommen, du hättest es längst verkauft.“

„Nichts von meinem Bruder habe ich verkauft.“

„Warum nicht? Ihr beide hattet doch immer unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie ihr euer Geld anlegen wolltet.“ Spöttisch lächelte sie. „Marius hat gern Geld ausgegeben, du nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Weingut lukrativ ist.“

„Das stimmt, aber der Wein ist gut, und mit einer vernünftigen Geschäftsführung könnte es Gewinn machen.“ Rocco sah sie an. „Doch ich bin nicht hier, um mit dir über meine Anlagestrategie zu sprechen.“

Sein Blick war wie magnetisch, es fiel ihr schwer, sich davon zu lösen. Sie fand es seltsam und erschreckend, ihn hier zu sehen. Auch wenn Rocco größer und breitschultriger war als Marius, war die Ähnlichkeit der Brüder frappierend, mit Ausnahme der Narbe, die sich über Roccos linke Wange zog. Und ihre Augen waren unterschiedlich. Marius hatte braune Augen voller Wärme gehabt, Roccos dagegen wirkten steinhart.

Der ganze Mann war so eiskalt, dass sie ihn nicht in ihrer Nähe haben wollte.

Aber er war gekommen, um ihren Sohn zu sehen, und sie konnte ihn schlecht auf der Treppe stehen lassen.

„Lass uns auf die Terrasse gehen“, lud sie ihn ein.

Sie ging voraus durch die luftige Eingangshalle. Von der Terrasse an der Rückseite des Hauses konnte man aufs Meer sehen. Hier saß sie gern zum Dinner mit Adriano. Die breiten Türen wurden von Rosenranken umrahmt. An der niedrigen Mauer, von der die Terrasse begrenzt wurde, reihten sich Zitronenbäumchen in Terrakottatöpfen.

Clare steuerte auf eine der Sitzgruppen im Schatten zu. „Möchtest du einen Saft, einen Espresso oder eine Schorle?“, fragte sie, während sie sich in einem der Sessel mit weichen, pinkfarbenen Kissen niederließ.

„Was nimmst du?“, erkundigte sich Rocco und wählte den Sessel ihr gegenüber.

„Eine Schorle“, erwiderte sie. „Es ist heiß heute.“

„Für mich auch, bitte.“

Clare wandte sich an Roberto, ihren Butler, der am Eingang zur Terrasse stand und auf Anweisungen wartete.

„Wir hätten gern zwei Weinschorlen, Roberto, und eine Kleinigkeit zu essen.“

Roberto verschwand, doch Clare wusste, dass ihr Personal im Hintergrund aufpasste. Gio hielt sich im Schatten in ihrer Nähe auf, weitere Sicherheitsleute waren über das Grundstück verteilt. Sie würde ihren Sohn keinem Risiko aussetzen. Er war ihr Herz, ihre Welt. Alles, was sie machte, tat sie für ihn.

Clare schlug ein Bein vorsichtig über das andere und achtete darauf, dass ihr Rocksaum nicht über die Knie hochrutschte, denn sie bemerkte, dass Rocco auf ihre Beine sah. In seinen Augen blitzte etwas auf, das sie nicht benennen konnte. Plötzlich wünschte sie sich, sie hätte sich am Morgen statt des Kleids für eine Hose entschieden.

„Nachdem ich nichts mehr von dir gehört hatte, war ich davon ausgegangen, dass wir uns nicht noch einmal begegnen.“

„Wenn ich nicht von Adrianos Geburt erfahren hätte, wäre es wohl auch so gekommen“, erwiderte Rocco achselzuckend.

Dann sprachen sie längere Zeit nicht. Ganz bewusst ließ Clare den Ball in Roccos Feld – schließlich war er heute einfach so aufgetaucht, und sie würde abwarten, was er ihr zu sagen hatte.

Gerade, als Rocco zum Reden ansetzte, kam Roberto mit den Getränken auf die Terrasse. Also schloss er den Mund wieder und wartete, bis Roberto serviert hatte – Nüsse, Crostini und ein Brett mit Salami und Schinken.

„Bedien dich bitte“, forderte sie ihn auf, nachdem ihr Butler gegangen war.

Stattdessen nippte Rocco an seiner Weinschorle, dann runzelte er die Stirn und betrachtete das Glas.

„Zu viel Wasser?“, vermutete Clare.

„Nein. Was ist das für ein Wein? Kein italienischer, oder?“

„Ein Chardonnay aus Kalifornien“, erklärte sie. Dann zögerte sie kurz, ehe sie weitersprach. „Ich habe ein Weingut dort gekauft und auch einen Olivenhain pflanzen lassen. Es war eine günstige Gelegenheit, also habe ich zugegriffen.“

„Du überraschst mich immer wieder.“

„Weil ich nicht das naive Partygirl bin, das du immer in mir gesehen hast?“

Er öffnete den Mund, um zu widersprechen, doch dann schwieg er. Sie wussten beide, dass er mit der Wahl seines Bruders nie einverstanden gewesen war.

„Hast du den Brief tatsächlich erst jetzt bekommen?“, wechselte sie das Thema.

„Allerdings. Und ich war wütend auf mich selbst, dass ich ihn verschlampt hatte. Die ganze Zeit war ich davon ausgegangen, dass Marius’ Mitarbeiter ihn weggeworfen hatten.“

„Und was hast du empfunden, als du ihn gelesen hast?“

„Ich war geschockt und konnte es kaum fassen“, gab er zu. Mit grimmiger Miene zögerte er. „Es schien mir völlig ausgeschlossen, zumal niemand etwas von dieser … Entwicklung gewusst hatte.“

„Ich habe keine Geburtsanzeigen verschickt. Du bist der Einzige, den ich informiert habe. Denn immerhin ist Adriano dein Neffe.“

„Ich habe ihm ein paar Geschenke mitgebracht.“

„Das ist nett von dir.“

„Irgendwie muss ich ja wiedergutmachen, dass ich mich all die Zeit nie gemeldet habe. Kaum vorstellbar, dass ich seit über zwei Jahren einen Neffen habe und keine Ahnung davon hatte.“ Erwartungsvoll sah Rocco sie an. „Wann kann ich ihn sehen? Ist er überhaupt hier?“

„Ja, ich trenne mich nie von ihm. Aber im Moment schläft er. Ohne Mittagsschlaf ist er den Rest des Tages völlig unleidlich.“

„Das klingt nicht nach Marius.“

„Nein? Dann hat er diese schlechte Eigenschaft wohl von mir.“ Sie lächelte leicht. In diesem Moment wurde ihr bewusst, dass sie keine Schicksalsgemeinschaft mehr waren – ihr hatte Adrianos Geburt über den Schmerz des Todes hinweggeholfen, während Rocco noch immer entsetzlich unter dem Verlust seines Bruders zu leiden schien.

Ihr Sohn hatte ihr neue Kraft gegeben und sie geerdet. Sie würde wie eine Löwin für ihr Kind kämpfen.

Rocco stellte sein Glas ab. „Erzähl mir, was in den vergangenen zwei Jahren passiert ist.“

Sein Tonfall war so höflich, dass sie eine Gänsehaut bekam. Sie traute ihm nicht. Rocco war ein Mann, mit dem nicht zu spaßen war. „Was willst du wissen?“

„Den Teil, in dem mein toter Bruder Vater geworden ist.“

Sie sah ihn an und hielt seinem Blick stand. Darum also ging es. Rocco glaubt mir nicht. Interessant. Doch das war ihr egal. Sie brauchte weder ihn noch sein Geld oder seine Akzeptanz. Sie war unabhängig. „Offenbar war ich schon schwanger, als er starb. Ich habe es selbst nicht geahnt.“

Skeptisch zog er die Augenbrauen hoch. „Möglich wär’s.“

Clare biss sich auf die Zunge, um nichts Unbedachtes zu erwidern. Sie würde ihn nicht wissen lassen, wie sehr er sie aus der Fassung brachte. Diese Befriedigung gönnte sie ihm nicht. Schließlich schaffte sie es zu lächeln. „Ist das eine Frage oder eine Feststellung?“

„Ich finde es nur ironisch“, wich er aus.

„Vielleicht sollten wir uns lieber auf Italienisch weiter unterhalten. Ich habe den Eindruck, auf Englisch findest du nicht die richtigen Worte. Es ist nicht ironisch, es ist tragisch.“

Sie hob das Kinn und sah ihn herausfordernd an. „Es ist tragisch, dass mein Sohn seinen Vater niemals kennenlernen wird. Tragisch, weil Marius sich so sehr Kinder gewünscht hat, während ich mir noch Zeit lassen und erst einmal das Eheleben genießen wollte.“ Sie kämpfte mit den Tränen. „Aber Gott hatte andere Pläne – und nun habe ich einen Sohn, aber keinen Ehemann.“

„Jedoch einen Onkel“, ergänzte Rocco.

Spöttisch hob sie eine Augenbraue. „Es klang gerade nicht so, als würdest du dich darüber freuen.“

„Ich möchte nur nicht, dass man mich hintergeht“, stellte er klar.

„Warum sollte ich das tun, Rocco? Was hätte ich davon?“

„Hast du einen DNA-Test machen lassen?“, wollte er, ihre Fragen ignorierend, wissen.

Clare schloss die Augen und atmete tief durch. Sie würde sich von Rocco Cosentino nicht aus der Reserve locken lassen. Egal, wie arrogant er auch auftrat.

Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie ihn durchdringend an. „Ich brauche keinen Vaterschaftstest. In meinem Leben hat es keinen anderen Mann als Marius gegeben. Er war mein erster, einziger und wahrscheinlich auch letzter. Ich habe nicht vor, mich jemals wieder zu verlieben.“

Forschend hielt Rocco ihren Blick gefangen. Sein Schweigen war für sie beinahe so eine Beleidigung wie seine Fragen zuvor.

„Übrigens spielt es keine Rolle, was du denkst“, fuhr sie fort. „Adriano ist mein Sohn. Dir muss ich überhaupt nichts beweisen.“ Clare war so wütend, dass sie zitterte. Dennoch schaffte sie es, ihre Stimme fest klingen zu lassen. „Ich denke, du solltest jetzt gehen.“

„Ich habe eine lange Reise gemacht, um Adriano zu sehen.“

„Ach ja?“ Sie lachte auf. „Muss ich jetzt Mitleid mit dir haben?“

„Es geht nicht um mich.“

„Nein? Das hast du aber gut verborgen.“ Clare stellte ihr Glas ab, erhob sich und wechselte einen Blick mit Gio, der in der Tür stand.

Rocco bemerkte das stumme Einverständnis. „Du wirfst mich hinaus?“, meinte er fassungslos.

„Wir haben einander nichts mehr zu sagen.“

„Ich möchte meinen Neffen sehen.“

„Nein, das möchtest du nicht. Du bist gekommen, um mich zu beleidigen. Aber das werde ich nicht zulassen. Ja, Adriano ist unehelich geboren. Aber nur, weil sein Vater zwei Tage vor der Hochzeit gestorben ist.“ Ihre Lippen bebten, doch sie lächelte eisern. „Marius hat dich immer in Schutz genommen. Er sagte, du seist zu früh mit zu vielen Problemen konfrontiert worden und deshalb so gefühlskalt. Aber das interessiert mich nicht. Ich will nicht, dass du mein Kind kennenlernst. Nicht heute und wahrscheinlich niemals.“

Damit ging Clare an Rocco vorbei ins Haus, das sie mit angenehmer Kühle empfing. Gio kümmerte sich um den ungebetenen Gast.

Währenddessen schloss Roberto die Tür hinter ihr und stellte sich schützend davor. Jeder hier im Haus sorgte dafür, dass sie und Adriano in Sicherheit waren. Sie wusste nicht, was Rocco vorhatte, aber sie würde wachsam sein.