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Angenommen, es gäbe einen Gegenstand, der Dir die absolute Kontrolle über Dein Leben gibt. Du brauchst nur etwas Bestimmtes zu denken und es wird sofort wahr. Die ganze Welt stände Dir offen: Reichtum, Macht, eine glückliche Beziehung – einfach alles! Du willst berühmt, unverschämt erfolgreich oder einfach nur der glücklichste Mensch auf Erden sein? Kein Problem! Stell es Dir vor und es geschieht. Ein solcher Gegenstand steht im Mittelpunkt unserer Geschichte: die mysteriöse Schriftrolle. Doch nicht der Besitz dieser Rolle verleiht Dir grenzenlose Macht. Du musst ihren Inhalt kennen, ihren Sinn verstehen und ihn in der rechten Weise anwenden. Dann öffnen sich Dir alle Türen. Doch wer sie hat, ist in Gefahr! Manche wissen von dieser Rolle und jagen ihr unerbittlich nach. Skrupellose Zeitgenossen stellen alles auf die Beine, um sie in ihren Besitz zu bekommen. Sie schrecken vor nichts zurück. Auch nicht vor Mord! Aber es gibt auch vom Schicksal berufene aufrichtige Menschen. Diese Helden versuchen mit allen Kräften zu verhindern, dass die Schriftrolle in die falschen Hände gerät. Und sie arbeiten daran, den verborgenen Schatz der Schriftrolle vollständig zu entschlüsseln. Wenn die Zeit gekommen ist, wollen sie ihn den Menschen offenbaren. Alle Bewohner dieses Planeten sollen davon profitieren. Keiner bräuchte mehr arm zu sein und niemand müsste mehr leiden. Die ganze Welt würde sich verändern! Die Handlung Japan im 16. Jahrhundert: Der Samurai Takeo ist des Kämpfens müde. Er tötet seinen besten Freund Isamu und ist darüber untröstlich. Den unerbittlichen Kampf gegen seinen einstigen Lehrmeister Masaru überleben beide Samurai, die darauf in eine Sinnkrise fallen. Takeo begegnet einem alten Samurai-Meister, der ihm zwei Schriftrollen zeigt. In ihnen verbergen sich Geheimnisse, die sich in ferner Zeit mit anderen Erkenntnissen verbinden und dadurch die ganze Welt verändern werden. Über 400 Jahre später verliebt Mark sich unsterblich in Yana und erlebt jede Menge Gefühlschaos, bis sich eine knisternde Romantik entwickelt. Zwei japanische Bodyguards überbringen Mark ein Erbe - eine Truhe mit uralten Schriftrollen. Er erlebt einen Überfall und einen Anschlag – zwei kritische Situationen, in denen ihn die beiden Japaner retten. Doch dann wird Yanas zehnjähriger Sohn Felix entführt. Jemand versucht so die Herausgabe der Schriftrollen zu erpressen. Wer steckt hinter den Anschlägen? Was macht diese alten Dokumente so wertvoll? Wer soll das Buch lesen? Leser von historischen Romanen kommen genauso auf ihre Kosten, wie die Anhänger spannender neuzeitlicher Belletristik. Neben knisternder Spannung enthält der Roman jede Menge Lebenshilfe. Die Dialoge enthalten Hinweise, wie Glücksgefühle entstehen, welche chemischen und neuronalen Prozesse im Körper beim Glücklichsein ablaufen, wie die eigenen Emotionen gezielt beeinflusst werden können und wo die Chancen und Grenzen des positiven Denkens liegen. Ergänzt wird die Geschichte durch weltanschauliche Aspekte, die oft polarisieren, andererseits für einige "Aha-Effekte" sorgen. Durch die alte Schriftrolle finden die Hauptpersonen Zugang zu alten und neuen Weisheiten: dem Christentum in seinem Ursprung, den Geheimnissen des Daoismus und neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, die das Leben revolutionieren.
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Seitenzahl: 393
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Udo Michaelis
Das Geheimnis des Lebens
Es verleiht Dir grenzenlose Macht, wenn Du es in der rechten Weise anwendest
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Der Schlüssel, der alle Türen öffnet
Prolog
Samurai der goldenen Schlange
Der Kampf der Unbesiegbaren
Unangreifbar
Die geheimnisvolle Schriftrolle
Burnout
Grundmotive
Yana
Saat und Ernte
Hahn im Korb
Angst runterfahren
Tears in heaven
Vertigo
Das Erbe
Meditation
Das Gesetz der Resonanz
Sinneskanäle
Der Anschlag
Zündstoff
Die Entführung
Der taumelnde Bär
Schlüssel zum Glück
Yoshios gescheiterter Plan
Die Kraft des Glaubens
Heiße Spur
Notwendigkeit und Wahrscheinlichkeit
Der letzte Kampf
Die Rückkehr
Erläuterungen und Quellen
Impressum neobooks
Angenommen, es gäbe einen Gegenstand, der Dir die absolute Kontrolle über Dein Leben gibt. Du brauchst nur etwas Bestimmtes zu denken und es wird sofort wahr. Die ganze Welt stände Dir offen: Reichtum, Macht, eine glückliche Beziehung – einfach alles! Du willst berühmt, unverschämt erfolgreich oder einfach nur der glücklichste Mensch auf Erden sein? Kein Problem - stell es Dir vor und es geschieht.
Ein solcher Gegenstand steht im Mittelpunkt unserer Geschichte: die mysteriöse Schriftrolle. Doch nicht der Besitz dieser Rolle verleiht Dir grenzenlose Macht. Du musst ihren Inhalt kennen, ihren Sinn verstehen und ihn in der rechten Weise anwenden. Dann öffnen sich Dir alle Türen.
Doch wer sie hat, ist in Gefahr! Manche wissen von dieser Rolle und jagen ihr unerbittlich nach. Skrupellose Zeitgenossen stellen alles auf die Beine, um sie in ihren Besitz zu bekommen. Sie schrecken vor nichts zurück. Auch nicht vor Mord!
Aber es gibt auch vom Schicksal berufene aufrichtige Menschen. Diese Helden versuchen mit allen Kräften zu verhindern, dass die Schriftrolle in die falschen Hände gerät. Und sie arbeiten daran, den verborgenen Schatz der Schriftrolle vollständig zu entschlüsseln. Wenn die Zeit gekommen ist, wollen sie ihn den Menschen offenbaren. Alle Bewohner dieses Planeten sollen davon profitieren. Keiner bräuchte mehr arm zu sein und niemand müsste mehr leiden. Die ganze Welt würde sich verändern!
Maro gehörte bestimmt nicht zu denen, die man einen Feigling nennen würde. Als geübter Schwertkämpfer wich er keiner Auseinandersetzung aus, wenn es darauf ankam. Trotz seiner jugendlichen achtzehn Jahre hatten die Menschen großen Respekt vor seinen Kampfkünsten. Doch nun hatte sogar selbst er Angst.
Heute tauchten plötzlich Fremde in seinem japanischen Heimatort auf. Was wollten die Leute in diesem verschlafenen Dorf auf der Insel Hokaido? Acht Männer kamen auf Pferden geritten. Sie waren allesamt schwarz gekleidet, trugen Helme und waren mit Schwertern bewaffnet. Fünf von ihnen hatten außerdem Gewehre, die übrigen drei einen Bogen mit Köcher und Pfeilen darin. Sie machten mitten im Ort halt und redeten miteinander, so leise, dass niemand der Dorfbewohner ihre Worte verstehen konnte. Währenddessen blieben sie auf ihren Pferden sitzen.
Maro hatte den Eindruck, dass sie ihn beobachteten. Er bekam schweißnasse Hände. Sein Herzschlag raste wie ein Pferd, das vor einem Waldbrand flieht. Die Erinnerungen an die Worte seines Großvaters bewirkten einen stechenden Schmerz in seinen Schläfen: „Eines Tages werden sie kommen. Es werden erprobte und gefährliche Kämpfer sein. Sie werden mit allen Mitteln versuchen, es sich zu holen. Niemals darf das geschehen! Sollte es in ihre Hände geraten, würden sie großes Unheil über unser Land bringen“.
Nun hatte Maro es eilig, nach Hause zu kommen. Hastig schwang er sich auf sein Pferd und ritt davon. Das Haus, in dem er mit seinem Großvater lebte, befand sich außerhalb des Dorfes inmitten eines Waldgebietes. Mit normalem Reittempo benötigte er eine knappe Stunde, um vom Dorf nach Hause zu gelangen. Heute sollte deutlich weniger Zeit verstreichen. Er trieb sein Pferd dermaßen an, dass Ross und Reiter schnaufend durch die Wälder zu fliegen schienen. Zwischendurch sah sich Maro immer wieder um. Er hatte das Gefühl, verfolgt zu werden, konnte jedoch niemanden entdecken. „Wahrscheinlich bilde ich es mir nur ein“, dachte er bei sich.
Zu Hause angekommen brachte Maro sein Pferd in den Stall und nahm den Sattel herunter. Er verzichtete jedoch darauf, sich weiter um das Pferd zu kümmern, wie er es sonst tat, und eilte schnell ins Haus. Gerade in dem Augenblick, als er die Tür schließen wollte, sah er von Weitem die acht schwarzgekleideten Männer heranreiten. „Sie sind gekommen, Großvater. Sie kommen, um es zu holen.“ „Maro, bitte verriegle nicht die Tür! Ich will nicht, dass sie eingeschlagen wird und ich sie anschließend ersetzen muss.“ „Aber dann wären die Männer doch direkt in unserem Haus“, rief Maro panisch wie verwundert. „Warum sollen wir es ihnen leicht machen, anstatt sie aufzuhalten? Wollen wir ihnen nicht Widerstand entgegen setzen, so gut wir können?“ Der alte Mann sah seinem Enkel ruhig in die Augen: „Unser Widerstand wird anderer Natur sein. Achte darauf, dass Du nicht an den Rand des Raumes gelangst und keinesfalls das Haus verlässt. Bleib immer in meiner Nähe, dann bist Du sicher.“
Maro kam nicht dazu, über die Worte seines Großvaters nachzudenken, denn bereits im selben Augenblick stürmten die Männer durch die Tür. Maro stellte sich neben seinen Großvater in die Mitte des Raumes. Zwei der Männer blieben in der Nähe der Tür stehen. Einer der beiden war von einer breiten Narbe gezeichnet, die vom linken Ohr bis zum Mundwinkel reichte. Die übrigen sechs Schwarzgekleideten rannten auf Maro und seinen Großvater zu. Als sie bis auf drei Schritte an sie herangekommen waren, fielen sie plötzlich ohne erkennbaren Grund zu Boden. Ein Mann richtete sich auf und bewegte sich erneut Richtung Raummitte. Und wieder geschah das Gleiche. Es war, als würde er gegen eine unsichtbare Wand laufen. Ein anderer tastete die Stelle in der Luft ab, an der er abgeprallt war. Doch da war nichts. Eigentlich ist „abgeprallt“ nicht das richtige Wort, denn keiner der Männer stieß gegen etwas Hartes. Es war eher so, dass sie zu Boden gezogen wurden. Einer der Männer erhob sein Schwert und schlug gegen diese unsichtbare Wand. Das Schwert fiel mit lautem Krachen zu Boden. Nun nahm der mit der Narbe sein Gewehr, zielte auf den Großvater und drückte ab. Auch die Kugel konnte das Kraftfeld nicht durchdringen und landete drei Schritte entfernt von seinem Ziel auf einem Teppich.
„Alter Mann, noch versteckst Du Dich hinter Deinem Zauber. Doch irgendwann werden wir Dich ohne diesen erwischen. Dann entkommst Du uns nicht mehr“, brüllte der Narbige voller Zorn. „Du kannst mir nichts anhaben, selbst wenn Du direkt vor mir stündest“, erwiderte der Großvater gelassen. Der Kämpfer mit der Narbe wurde noch wütender: „Was redest Du da? Nie könntest Du gegen mich bestehen.“ Der alte Mann schmunzelte: „Wir können es gerne auf einen Versuch ankommen lassen, wenn wir Euch dann anschließend los sind.“ „Und wie stellst Du Dir das vor?“, rief einer der Männer. „Ich lasse einen von Euch in das Kraftfeld hinein. Nur ihn und sein Schwert. Er soll dann tun, was er vermag. Die Bedingung ist, dass alle übrigen in der Nähe der Wand bleiben.“
Der Mann mit der Narbe schien der Anführer zu sein. Er gab einem, der alle anderen im Raum um mindestens eine Kopflänge überragte, ein Zeichen. Die übrigen Männer traten einige Schritte zurück. Während der Riese langsamen Schrittes auf die Raummitte zuging, sprach der Großvater zu seinem Enkel: „Stell Dich hinter mich! Schau in die entgegengesetzte Richtung, so dass sich unsere Rücken gegenseitig berühren! Beweg Dich nicht und warte einfach ab!“ Der große Mann ging direkt auf den Großvater zu. Auf einmal gab es keine unsichtbare Wand mehr, die ihn zurückhielt. Der Kämpfer hob sein Schwert, zielte auf den Kopf des Großvaters und schlug zu.
Was nun geschah, versetzte die acht Männer in Erstaunen. So etwas hatten sie noch nie gesehen. Obwohl das Schwert direkt auf den Kopf des Großvaters zu schnellte, traf es nicht. Wie von einer unsichtbaren Kraft gelenkt, glitt das Schwert am Körper des Großvaters vorbei. Auch Maro war vom Geschehen fasziniert, obwohl er die Schläge des Kämpfers nicht direkt sehen konnte. Er bekam nur mit, wie das Schwert seitlich an ihm vorbeistreifte. Der Riese versuchte es erneut mit Hieben und Stichen von allen Seiten. Doch es war vergeblich. Das Schwert berührte weder den Großvater noch Maro. Völlig entmutigt ging der große Mann zu den anderen und sprach zum Anführer: „Was sollen wir nun tun? Wie können wir unter Deines Bruders Augen treten, ohne seinen Auftrag ausgeführt zu haben?“ „Ich weiß es nicht“, antwortete der mit der Narbe verärgert und ängstlich zugleich.
Nachdem die acht Männer davongeritten waren, stellte Maro fest: „Sie haben also im Auftrag gehandelt. Ihr wahrer Anführer war nicht unter ihnen. Es ist der Bruder des Narbigen.“ „Ich weiß“, entgegnete der Großvater. „Du kennst ihn?“, fragte Maro überrascht. „Ich habe ihn gesehen, ohne ihm je begegnet zu sein“, erklärte der Großvater. „Wie ist das möglich?“, verwunderte sich Maro. Der alte Mann erwiderte mit ruhigem Ton: „Vor einigen Jahren hatte ich eine Vision, in der ich die heutigen Ereignisse sah. Ich wusste, dass dies im 17. Jahr der Herrschaft von Reigen geschehen würde, welches die Menschen des Westens Anno Domini 1680 nennen. Der genaue Tag war mir jedoch nicht bekannt.“
„Wie konnte das alles geschehen, dieses unsichtbare Kraftfeld und dass uns das Schwert des Riesen nicht treffen konnte? Welche Magie hat das bewirkt?“, wollte Maro wissen. Der Großvater lächelte sanft: „Es hat mit dem zu tun, das sich dort befindet.“ Er wies mit seiner Hand auf eine alte Truhe, die rechts hinter ihm an der Wand stand. „Da drinnen befindet sich das Geheimnis, wonach die Männer gesucht haben. Die Truhe mit ihrem Inhalt erhielt ich von meinem Lehrmeister Takeo, bevor er starb. Er brachte mir alles bei, was ich heute vermag. Dazu gehören viele Dinge, welche andere Menschen für unmöglich erachten. Unsichtbare Kraftfelder zu errichten ist nur eines davon.“
„Darf ich mehr darüber wissen?“, fragte Maro neugierig. Der Großvater nickte: „Nun ist der Tag gekommen, an dem Du alles erfahren sollst. Und schon morgen werde ich beginnen, Dich alles zu lehren, was ich weiß und kann. Ich bin inzwischen alt geworden. Wenn ich diese Welt verlasse, sollst Du der Hüter des Geheimnisses sein und diese Truhe an Dich nehmen. Heute werde ich Dir vom Leben meines Meisters Takeo berichten. Du sollst wissen, was in der Vergangenheit geschehen ist und ihre Bedeutung für Gegenwart und Zukunft verstehen. Warte einen Moment, Maro!“
Der Großvater erhob sich und verließ den Raum. Nach einigen Minuten kam er mit einer Kanne und zwei Trinkgefäßen zurück. „Nehmen wir erst mal einen Tee zu uns.“ Er schüttete ein, beide nahmen ihr dampfendes Gefäß und nippten vorsichtig am heißen Getränk. Dann folgte ein Augenblick des Schweigens, den der Großvater nach einigen Minuten durchbrach. Er überreichte Maro ein gezeichnetes Bild und begann mit seiner Erzählung.
Dies ist der große Samurai Takeo in jungen Jahren. Damals hatte er eine schwarze Haartracht und trug einen Oberlippenbart. Als ich ihn kennenlernte, war er bereits grauhaarig und vollbärtig. Wie es für Samurai1üblich war, trug er in seinem Gürtel ein Katana und ein Wakizashi2. Beide Schwerter hatte er gemeinsam mit der Schneide nach oben durch den Gürtel gesteckt, in einem Winkel, der dem Gegner die Länge der Klinge verbergen sollte.
Das Bild entstand kurz vor einem denkwürdigen Kampf. Niemand konnte Takeo bis zu diesem Zeitpunkt besiegen. Doch dieser Kampf sollte anders werden als alle, die er je bestritten hatte. Denn nun traf er auf einen ebenbürtigen Gegner. Allerdings hätte schon ein früherer Kampf für Takeo verhängnisvoll enden können. Die Narbe über seinem rechten Auge erinnert an dieses Geschehen. Aus dieser Auseinandersetzung stammte auch eine weitere tiefe Narbe oberhalb seines rechten Knies, die allerdings hinter seiner Kleidung für andere nicht erkennbar war. Auf diesen bedeutungsvollen Kampf werden wir später noch zurückkommen.
Beginnen wir nun mit der Geschichte von Takeo und Isamu, zwei glorreichen Samurai. Seit ihrer Kindheit waren sie die besten Freunde. Nichts konnte sie entzweien. Selbst härteste Herausforderungen vermochten sie nicht in die Knie zu zwingen. Sie hatten große Pläne, wollten große Taten vollbringen. Doch dann kam der Tag, der alles zunichtemachte. Der Tag der Katastrophe! An dem Tag geschah, was nie passieren durfte. Und die Folgen waren schwerwiegend. Einer war von Neid zerfressen, der andere versank in tiefste Schwermut. Für einen der beiden bedeutete es schließlich das Ende.
Takeo und Isamu waren schon in ihrer Jugendzeit außerordentlich begabte Schwertkämpfer. Bereits im Alter von drei Jahren begann ihre Ausbildung zum Samurai. Diese war geprägt von hartem Drill. Im Vordergrund standen dabei Körperbeherrschung und Schmerzunterdrückung. Takeo und Isamu lernten seit frühester Kindheit ihre Angst zu bekämpfen, indem sie auf dem Friedhof oder dem Richtplatz eine Nacht verbringen mussten. Von ihrem siebten Lebensjahr an wurden sie im Umgang mit Waffen geschult. Man unterwies sie im Schwertkampf, im Bogenschießen und einigen Selbstverteidigungstechniken ohne Waffengebrauch. In einem nahegelegenen Kloster lernten sie zwischenzeitlich lesen und schreiben. Den beschwerlichen Weg dorthin mussten sie zu Fuß zurücklegen, sogar im härtesten Winter.
Takeo und Isamu begannen als Zwölfjährige ihre Lehrzeit bei erfahrenen Samurai. Ein solcher Lehrer nahm einen neuen Lehrling in der Regel erst dann auf, wenn der vorherige seine Ausbildung abgeschlossen hatte. Er bildete daher normalerweise nie mehrere Krieger gleichzeitig aus, sondern widmete sich voll und ganz seinem derzeitigen Schüler. Während der Ausbildungszeit lebten Lehrer und Schüler zusammen. Die Lehrzeit endete für Takeo und Isamu, als sie 15 Jahre alt waren.3 Sie übernahmen nun auch den traditionellen Haarschnitt der Samurai. Dabei wurde das Haupthaar von der Stirn bis zur Mitte rasiert und der Rest zu einem kunstvollen Knoten gebunden.
Wenige Wochen nach ihrer Ausbildung traten Takeo und Isamu in die Dienste des neuen Shōgun Toyotomi Hideyoshi4 ein. Sie stellten sich geschickt an und gehörten bereits drei Jahre nach ihrem Dienstantritt zur persönlichen Leibwache Hideyoshis und erhielten den Status eines Hatamoto5.
Nach zwei weiteren Jahren erlebten die beiden etwas, wovon alle jungen Kämpfer in Japan träumten: Bedienstete des erhabenen und großen Helden Yuudai kamen an den Hof, um die besten Samurai des Landes für die „Goldene Schule“ zu rekrutieren. Alle sieben Jahre gingen sie auf die Suche nach den begabtesten Kämpfern Japans und luden diese zu einem zweiwöchigen Erprobungslager ein.
Yuudai war der Nationalheld Japans. Er hatte große Taten vollbracht und die Herrschenden überließen ihm viele Freiheiten. Von Hideyoshi und seinen Vorgängern erhielt er stets die Erlaubnis, Samurai aus ihrem jeweiligen Dienst herauszunehmen, um sie für ihre besondere Bestimmung vorzubereiten. In diesem Jahr wurden insgesamt 50 junge Samurai im Lager versammelt. Unter ihnen sollten in den nächsten zwei Wochen die besten sieben Kämpfer ermittelt werden. Diesen Samurai stand eine einzigartige Schulung bevor, die mindestens vier Jahre dauern würde und für einige wenige bis auf insgesamt sieben Jahre ausgedehnt werden konnte. Am Ende erfüllte sich für Takeo und Isamu neben fünf weiteren Samurai dieser Traum.
„Ich kann es noch gar nicht richtig glauben, dass wir nun zur Goldenen Schule gehören dürfen“, rief Isamu begeistert. Auch Takeo freute sich, zeigte sich allerdings nicht ganz so euphorisch, wie sein Freund: „Das ist das Größte, das ich bisher erlebt habe. Ich hoffe, dass wir uns dessen als würdig erweisen.“ „Als würdig erweisen?“, reagierte Isamu verwundert. „Wir haben doch bereits bewiesen, dass wir zu den Besten gehören. Und nun wird Yuudai, der größte Held des Landes, dafür sorgen, dass wir so gut werden wie er selbst.“ Takeo schüttelte den Kopf: „Wir gehören wahrhaftig zu den Besten und können stolz darauf sein. Wollen wir jedoch eines Tages auch nur annähernd so gut werden wie Yuudai, können wir das nur mit einer demütigen Haltung und einem hingebungsvollem Kampfgeist erlangen.“
Nur wenige Wochen später sollte sich für Isamu zeigen, dass mit Überheblichkeit nichts zu gewinnen war. Wurden die sieben Schüler bereits während der ersten Erprobungswochen manchmal bis an ihre Grenzen gefordert, war das noch gering im Vergleich zu dem, was sie nun erlebten. Sie mussten in kompletter Rüstung bei brütender Hitze einen hohen Berg erklimmen. Während des Aufstiegs kamen die Schüler manchmal zu Felsblöcken, die so groß waren, dass darauf zwei Personen bequem nebeneinander stehen konnten. Diese wurden allerdings nicht zur Rast genutzt, sondern für Kampfübungen. Die Schüler sollten in die Lage versetzt werden, auch nach harter Anstrengung und in äußerst gefährlichen Positionen, dennoch mit voller Konzentration und ganzer Kraft kämpfen zu können. Auf einem schmalen Felsen neben einem Abgrund die erlernten Kampftechniken sicher anzuwenden, war eine große Herausforderung. Auch den besten Samurai gelang das erst nach Jahren und vielen niemals. Auch auf der Ebene gab es sehr anspruchsvolle Aufgaben. Den Schülern wurden die Augen verbunden. Dann warf man Steine oder Holzstücke nach ihnen. Nun mussten die Schüler nur anhand von Geräuschen erkennen, wo sich der Werfer befand, um so ihr Schild entsprechend zu positionieren. Fehlentscheidungen hatten oft sehr schmerzhafte Treffer zur Folge.
Eine weitere Übung brachte die jungen Samurai oft zur Verzweiflung: Auf einem Teich lagen gekürzte Holzstämme, deren Durchmesser kaum größer war, als der des Oberschenkels eines Mannes. Der Abstand von einem Stamm zum nächsten betrug jeweils eine Schrittlänge, manchmal auch ein wenig mehr. Die Schüler sollten nun den Teich überqueren, indem sie über die schwimmenden Stämme liefen. Immer wieder fielen sie bei ihren Versuchen ins Wasser. Erst nach jahrelangem Üben gelang es einigen Samurai, bis ans andere Ufer zu gelangen.
Nachdem die ersten vier Jahre der Schulung absolviert waren, ließ Yuudai seine Schüler ein hartes Prüfungsverfahren durchlaufen. Diejenigen, die diese Prüfung bestanden, durften sich fortan „Samurai der Goldenen Schlange“ nennen. Mit diesem Titel wurde man im ganzen Lande verehrt und erhielt besondere Privilegien wie Steuerfreiheit bis zum Lebensende. Als Erkennungszeichen wurde den Samurai eine Schlange auf ihren rechten Oberarm tätowiert.
Das anschließende Training wurde von Jahr zu Jahr anspruchsvoller und jede neue Prüfung war noch härter und umfassender als die vorhergehende. Nach dem fünften Jahr besaßen vier Samurai unglaubliche Fähigkeiten und erreichten so den zweiten Grad. Nun wurde ihnen neben der ersten tätowierten Schlange eine weitere hinzugefügt. An der Anzahl der Schlangen auf dem rechten Oberarm konnte man den Grad der Samurai erkennen.
Am Ende des sechsten Jahres stand die schwierige Prüfung zum dritten Grad an. Sehr selten meisterte diese überhaupt jemand erfolgreich. Nachdem die Schüler in den unterschiedlichen Disziplinen geprüft waren, verkündete Yuudai, dass ein Samurai in diesem Jahr den dritten Grad erlangt hätte. Takeos Namen wurde gerufen. War es wirklich wahr oder träumte er? Er war stolz, wie noch nie zuvor in seinem Leben. Er hätte vor Freude die ganze Welt umarmen können. Takeo war „Samurai der Goldenen Schlange des dritten Grades“. In über 40 Jahren war er erst der vierte Samurai im gesamten Land, dem diese besondere Ehre zuteil wurde.
Die übrigen drei Kämpfer fanden sich gerade damit ab, den dritten Grad knapp verfehlt zu haben. Nun verblüffte Yuudai sie mit einer weiteren Ansage: „Dieser Durchgang ist etwas Besonders. So etwas hat es in den letzten 40 Jahren nie gegeben. In diesem Jahr werden sogar zwei Samurai in den Stand des dritten Grades erhoben.“ Yuudai machte eine Pause, in der man die Spannung förmlich knistern hörte. Wer war neben Takeo der zweite Glückliche? Schließlich spannte er die Kämpfer nicht weiter auf die Folter: „Sein Name ist Isamu.“
Damit hätte wirklich niemand gerechnet, am wenigsten Isamu selbst. Er hatte zu Beginn der Ausbildung große Schwierigkeiten, den Anforderungen gerecht zu werden. Takeo dagegen meisterte von Anfang an seine Aufgaben mit Bravour. Im letzten Jahr allerdings wuchs Isamu über sich hinaus. Er befand sich selbst mit Takeo fast auf Augenhöhe und den anderen war er inzwischen, insbesondere im Schwertkampf, deutlich überlegen. Diese Entwicklung verlieh ihm ein unglaubliches Selbstvertrauen und führte dazu, dass er am Ende eine wahrhaft meisterliche Prüfung ablegte. Isamu war überwältigt von seinem Erfolg und auch Takeo freute sich von Herzen für seinen Freund.
Für Takeo und Isamu begann nun ein weiteres Ausbildungsjahr. An seinem Ende sollte eine allerletzte Prüfung stehen. Doch nur ein Einziger konnte in den letzten 40 Jahren diese erfolgreich meistern. Dieser Ausnahmekämpfer war Takeo und Isamu bestens bekannt. Yuudai setzte in seinen Schulungen für die Unterweisung in den Kampftechniken Lehrer ein. Takeos und Isamus Lehrmeister für den Schwertkampf hieß Masaru. Er war Samurai der Goldenen Schlange im vierten Grad und durfte zu seinem Titel die Ergänzung „Der Unbesiegbare“ hinzufügen.
Takeo und Isamu kamen Gerüchte zu Ohren, dass Yuudai angeblich vor den letzten fünf Durchgängen schon einmal eine Gruppe Samurai unterrichtet haben soll. Existierten diese Samurai tatsächlich oder war alles nur Gerede? Angenommen, es gab sie wirklich, hatten sie ebenfalls einen Unbesiegbaren in ihren Reihen? Takeo und Isamu waren sich einig, dass dies äußerst unwahrscheinlich war. Dennoch hatten die Gerüchte um diese angeblich erste Gruppe etwas Mysteriöses und man hörte oft die abenteuerlichsten Heldengeschichten. Doch etwas Genaues schien niemand zu wissen.
Isamu wurde im letzten Schulungsjahr von einem besonderen Ehrgeiz gepackt. Als selbst Meister Yuudai und der Lehrer Masaru ihm außerordentliche Fähigkeiten im Schwertkampf bescheinigten, entstand in ihm der unbändige Wunsch, ein Unbesiegbarer zu werden. Auch Takeo wollte den vierten Grad erreichen. Die Art und Weise, wie beide ihr Ziel verfolgten, unterschied sich jedoch deutlich voneinander.
Isamu gab seinem Traum die Wichtigkeit seines Lebens. Um jeden Preis wollte er ein Unbesiegbarer sein und nichts sollte ihn daran hindern. Doch obwohl er vor sich seiner Kampfstärke bewusst war, überfielen ihn oft große Zweifel, ob er am Ende der Schulung auch die Anforderungen erfüllen könnte. Um diese Zweifel zu bekämpfen, legte er sich mehr und mehr ins Zeug. Er konnte seine Kampftechnik zwar ständig verbessern, seine Unsicherheit verschwand jedoch nicht. Nein, sie wuchs sogar ständig, worauf er sich noch mehr anstrengte. Irgendwann wurde er total verbissen. Jede Leichtigkeit schwand aus seinem Leben und er hatte nur noch sein Ziel im Sinn.
Bei Takeo war das völlig anders. Er hatte mehr erreicht, als er sich je erträumte. Bliebe alles so wie im Moment, war dies bereits die Erfüllung. Doch das Schönste, das er sich vorstellen konnte, war das Erreichen des vierten Grades. Deshalb war er im höchsten Maße beflügelt, an sich zu arbeiten und sich ständig zu verbessern. Doch er fühlte keinen Zwang, diesen unbedingt erlangen zu müssen. Er war dankbar für alles, was er bisher erleben durfte.
Immer häufiger sah er sich in seiner Phantasie, wie er bereits das Leben eines Unbesiegbaren führte. Eines Nachts träumte er, wie ihn Yuudai in den vierten Grad erhob und er die vierte Schlange auf seinen Oberarm tätowiert bekam. Selbst nach dem Aufwachen hatte er immer noch das Gefühl, das alles wäre wirklich passiert. Es fühlte sich so echt an. Bald gelang es ihm auch tagsüber so zu empfinden, als hätte er sein Ziel bereits erreicht. Er musste sich dafür noch nicht einmal anstrengen. Dieses Gefühl war einfach da. In den letzten drei Monaten der Schulung war er oft wie im Rausch. Seine Übungen erfüllte er mit einer enormen Leichtigkeit. Manchmal kam es ihm vor, als wäre er außerhalb seines Körpers und würde sich selbst bei Kampfübungen zusehen. Alles war perfekt und befand sich in einem kraftvollen Fließen.
Der letzte Schulungstag war angebrochen. Heute sollte sich entscheiden, ob einer der Samurai in den vierten Grad erhoben würde. Während der Ausbildung in der Goldenen Schule konnte Takeo viel von Masaru lernen. In den letzten Wochen jedoch wandelte er sich vom Schüler Masarus zum gleichwertigen Großmeister.
Masaru kam auf Takeo zu, legte seine rechte Hand auf dessen Schulter und sprach mit andächtiger Stimme: „Sieben Jahre lang warst Du mein Schüler. Nun bist Du ein wahrer Meister. Es gibt nichts mehr, was ich Dich noch lehren könnte. Du bist mir ebenbürtig.“ Takeo war stolz auf sich. Für ihn war es eine große Ehre, von dem Unbesiegbaren eine derartige Anerkennung zu erfahren.
Yuudai betrat den Platz des Ausbildungsgeländes. Während Isamu sichtlich nervös war und einen verkrampften Gesichtsausdruck hatte, wartete Takeo gelassen auf die Worte Yuudais: „Takeo, Du bist ein Kämpfer, der seinesgleichen sucht. Die Perfektion Deiner Kampfkunst und Deine vorbildliche Selbstbeherrschung sind nicht zu übertreffen. Ich erhebe Dich heute in den vierten Grad und Du gehörst von nun an zu den Unbesiegbaren.
Auch Du, Isamu, bist ein großer Samurai. Deine unglaubliche Schnelligkeit und Deine enorme Kraft machen Dich zu einem Ausnahmekämpfer. Ich habe selten jemanden ausgebildet, der solche Kampfkraft besitzt wie Du. Dein Schwertkampf gleicht dem meiner beiden besten Schüler der letzten 40 Jahre. Du bist ebenso gut wie Masaru und Takeo. Von daher wäre es angemessen, Dich in den vierten Grad zu erheben. Aber Du hast nicht das Herz eines Unbesiegbaren. Deine Schwächen sind Dein unbändiger Ehrgeiz und Deine Verbissenheit. Diese Schattenseiten könnten zu Deinem Fallstrick werden. Du wirst weiterhin als Samurai der Goldenen Schlange des dritten Grades im ganzen Lande verehrt werden. Der vierte Grad wird Dir allerdings verwehrt bleiben.“
Isamu war niedergeschlagen. Er verdrängte vollkommen alle würdigenden Aussagen über seine Kampfkunst und dachte nur noch daran, dass er ein Verlierer war. Tief betroffen verließ Isamu die Goldene Schule und machte sich auf den Heimweg.
Bevor auch Takeo und Masaru aufbrachen, vertraute Yuudai ihnen noch ein Geheimnis an: „Ich bin inzwischen alt geworden und diese siebte war meine letzte Schulung als Lehrer.“ Takeo zeigte sich erstaunt: „Dann stimmt es also doch, was man mir erzählte. Vor dieser Schulung gab es also nicht fünf, sondern sechs Durchgänge.“ Yuudai setzte seine Ausführungen in ruhigem Ton fort: „Ja, es ist wahr. Die erste Schulung hatte etwas Besonderes, das sich in den folgenden Jahren nie wiederholte. Erst Ihr beiden habt die Hoffnung auf diese einzigartige Besonderheit wiederbelebt. Nun vertraue ich Euch etwas an, das bisher nur die besten Samurai des ersten Durchganges wussten: Der vierte Grad ist nicht der höchste, den Ihr erreichen könnt. Einer von Euch wird noch in diesem Jahr eine Entdeckung machen, die nicht nur sein eigenes Leben völlig verändert, sondern auch das der Menschen, die mit ihm in Verbindung stehen. Irgendwann in ferner Zukunft wird es sogar die ganze Welt verändern.“
Takeo und Masaru staunten verwundert. Yuudai gab jedoch keine weiteren Erläuterungen und entließ die beiden Samurai, die darauf ihren Heimweg antraten. Der Meister selbst verschwand in den Wäldern und kam erst nach zwei Monaten zurück in sein Haus. Wenige Wochen danach starb er im Alter von 77 Jahren.
Isamu konnte sich nicht damit abfinden, sein Ziel verfehlt zu haben. Die anfängliche Niedergeschlagenheit verwandelte sich zunehmend in immer größeren Neid auf Takeo, weil dieser genau das bekam, was er sich selbst erträumte. Nachdem Isamu vom Tod Yuudais erfuhr, suchte er seinen alten Freund auf und machte diesem unmissverständlich seinen Entschluss deutlich: „Solltest Du wirklich unbesiegbar sein? Im Schwertkampf bin ich genauso gut wie Du, vielleicht sogar besser. Ich fordere Dich zu einem Kampf auf Leben und Tod heraus. Dann werden wir sehen, wer von uns unbesiegbar ist.“ Alle Versuche Takeos, Isamu von seinem Vorhaben abzubringen, schlugen fehl. Isamu war derart entschlossen und in unbändigem Neid verstrickt, dass er keinen anderen Gedanken zuließ.
So kam es zum Kampf zweier Samurai, die seit ihrer Kindheit miteinander befreundet waren und zu den besten Kämpfern des Landes gehörten. Zehn Minuten lang wechselten sie sich mit gegenseitigen Attacken ab und hielten den Angriffen ihres Gegners stand. Dann entwickelte Takeo während des Kampfes einen Plan: Er wollte Isamu so entwaffnen, dass er ihn besiegen konnte, ohne ihn dabei zu töten. Seine Gedanken hatten einen Moment der Unachtsamkeit zur Folge. Diesen Augenblick nutzte Isamu und fügte ihm eine schwere Wunde oberhalb des rechten Knies zu. Durch seine Verletzung fiel es Takeo überaus schwer, seinen festen Stand beizubehalten, geschweige denn, sein verletztes Bein zu bewegen. Diese Schwäche nutzte Isamu, der nun mit regelmäßigen Attacken ganz gezielt die rechte Seite seines Gegners angriff. Mit seiner enormen Schnelligkeit konnte er einen weiteren Treffer am Bein landen. Dann folgte ein Schwerthieb. Takeo konnte gerade noch seinen Kopf zur Seite bewegen, deshalb traf ihn das Schwert nicht voll. Isamus Katana streifte ihn jedoch über seinem rechten Auge.
Takeos Blut lief die Augenbraue hinunter. Nach kurzer Zeit konnte er mit seinem rechten Auge nichts mehr erkennen und sah nur noch auf dem linken etwas. Er wusste, dass mit dieser Verletzung eine Verteidigung auf Dauer unmöglich wäre.
Da entschloss er sich für ein Vorgehen, mit dem Isamu nicht rechnen würde. Blitzschnell ließ er sich trotz seines verletzten Beines auf die rechte Seite fallen und löste gleichzeitig seine rechte Hand von seinem Schwert, so dass es nun in seiner linken Hand lag. Wie aus einer Eingebung heraus tat er das genau in dem Augenblick, als Isamu einen weiteren Angriff auf die rechte Seite Takeos vornahm. Durch die Vorwärtsbewegung der Kampfhand Isamus war dessen Körper während eines kurzen Augenblicks ungeschützt. Takeo traf ihn mit seinem Katana tödlich. Das alles ging so schnell, wie ein Augenaufschlag dauert.
In den Wochen nach diesem Kampf wurde Takeo von quälenden Fragen gepeinigt: Warum musste er seinen Freund töten? Hätte er es vermeiden können, wenn er einfach geflohen wäre? Wie viele weitere Samurai würden ihn herausfordern, die sich gegen ihn, den Unbesiegbaren, beweisen wollten? Kann er sich jemals sicher fühlen? Ist er dazu verdammt, bis an sein Lebensende kämpfen zu müssen? Immer wieder tauchten die Bilder vom Tod seines Freundes Isamu auf. Und es sollte nicht der letzte Kampf gegen einen Freund sein.
Masaru dachte oft an die Worte Yuudais, die dieser am letzten Schulungstag zu ihnen sprach: „Der vierte Grad ist nicht der höchste, den Ihr erreichen könnt. Einer von Euch wird noch in diesem Jahr eine Entdeckung machen, die nicht nur sein Leben völlig verändert, sondern auch das der Menschen, die mit ihm in Verbindung stehen. Irgendwann in ferner Zukunft wird es sogar die ganze Welt verändern.“ „Einer von Euch“, wer war mit „einer von Euch“ gemeint? War er es oder vielleicht doch Takeo? Sollte er das dem Zufall überlassen? Nein, das konnte er nicht. Nur er selbst durfte dieser eine sein. Nur er, sonst niemand. Wie wahnsinnig steigerte sich Masaru in diesen Gedanken hinein.
Und nun entschied sich Masaru zu einem Vorhaben, das Takeo verzweifeln ließ: Er forderte seinen ehemaligen Schüler heraus. Nicht Neid war Masarus Antrieb, wie das bei Isamu der Fall war. Er war getrieben von seinem unbändigen Verlangen, der mächtigste Samurai des Landes zu sein. Macht, Ruhm und Ehre – alles andere seines Lebens ordnete er dem unter. Zwar wäre er vielleicht ohnehin derjenige, der die große Entdeckung machen würde. Er konnte aber nicht ausschließen, dass nicht er, sondern Takeo dazu berufen wäre, die von Yuudai prophezeiten Veränderungen in Gang zu bringen. Doch was würde geschehen, wenn wirklich Takeo der Auserwählte wäre? Er könnte nicht mit der Schande leben, nur Zweiter zu sein. Masaru wollte kein Risiko eingehen. Lieber würde er sterben, als mit anzusehen, wie ein anderer diese Macht ausübte, die er selbst um jeden Preis anstrebte.
So geschah das Unvermeidliche: Ein Kampf auf Leben und Tod zwischen den beiden besten Kämpfern des Landes. Diese Auseinandersetzung sollte nicht innerhalb eines Ortes stattfinden, wie die gegen Isamu. Sie würde auf einem Platz fernab von jeder Öffentlichkeit ausgetragen werden. Die Kämpfer hatten sich auf eine Lichtung geeinigt, die sich mitten im Wald am Fuße der Berge befand. Beide Samurai hatten sich zuvor das gegenseitige Versprechen gegeben, im Falle eines Sieges für eine würdige Bestattung des Unterlegenen zu sorgen.
Takeo stand in der Waldlichtung und wartete auf seinen Gegner. Je länger Takeo am vereinbarten Ort stand, desto mehr wuchs seine innere Spannung. Erinnerungen an seinen Kampf gegen Isamu stiegen in ihm hoch. Warum musste er nun ausgerechnet noch gegen Masaru kämpfen, den Einzigen, der neben ihm selbst als der Unbesiegbare galt?
Takeos Gedanken wurden unterbrochen, weil er bemerkte, dass sich etwas zwischen den Bäumen bewegte. Dann sah er seinen Gegner auf sich zukommen, auf den er schon seit über einer Stunde wartete. Masaru war von imposanter Gestalt. Auch Takeo war eine stattliche Erscheinung, doch Masarus Körpergröße überragte ihn noch um drei Fingerbreiten.
Takeo nahm einige tiefe Atemzüge und konzentrierte sich auf die bevorstehende Herausforderung. Nach einer kurzen Begrüßung gingen beide Kämpfer in Position. Die knisternde Anspannung wurde vom ersten Hieb Masarus unterbrochen, den Takeo geschickt abwehrte. Beide Schwerter waren in Kopfhöhe gekreuzt und spiegelten mit ihren glänzenden Oberflächen die hell scheinende Sonne. Masaru trat einen Schritt zurück. Sofort darauf schnellte er vor und versuchte einen Stich auf die linke Seite seines Gegners zu setzen. Aber auch diesen Angriff machte Takeo unwirksam, indem er Masarus Stoß von oben mit seinem Katana blockierte.
Gegen eine kurze Folge von Attacken hatte Takeo sich erfolgreich verteidigt. Nun ging er seinerseits zum Angriff über. Doch auch Masaru leistete hervorragende Abwehrarbeit. Beide Kämpfer schienen die versuchten Hiebe des Gegners vorauszuahnen und wählten immer genau die passenden Gegenmaßnahmen. Nachdem der Kampf auf diese Weise gut zehn Minuten lang hin und her ging, erhöhten beide das Tempo und die Schlagkraft. Es entstand ein wahrer Wirbel aus Schwertschlägen. Die gegenseitigen Angriffe wechselten zwischen kraftvollen Hieben und blitzschnellen kurzen Stößen ab. Keinem der beiden gelang es, seinen Gegner zu treffen oder diesen in eine unterlegene Position zu drängen. Alle Bewegungen waren von kraftvoller Ästhetik gezeichnet und enthielten dennoch eine pfeilschnelle Leichtigkeit. Und ausgerechnet solch einem Kampf wohnten keine Zuschauer bei. Niemand konnte Anteil nehmen an einem Ereignis, das es noch nie in dieser Form gegeben hat und auch in Zukunft vielleicht nie mehr geben wird. Dieser Kampf sollte nur demjenigen in Erinnerung bleiben, der ihn überleben würde. Doch keiner der beiden Samurai dachte in diesem Augenblick daran, anderen Menschen später einen „Beweis“ für diese Begebenheit geben zu können.
Nachdem Takeo und Masaru bereits über 20 Minuten gekämpft hatten, spürten sie eine starke Erschöpfung. Nun war es wichtig, mit den Kräften zu haushalten. Beide Samurai stellten sich darauf ein, die außerordentlich hohe Belastung auch noch über eine längere Zeit durchstehen zu können. Deshalb nahmen sie das Tempo ein wenig heraus. Beide verteidigten weiter hochkonzentriert und suchten immer wieder nach Möglichkeiten, ihren Gegner mit einem schnellen Konterangriff zu überraschen und zu überwältigen. Doch was sie auch versuchten, der andere wehrte alle Angriffe erfolgreich ab.
Masaru setzte wiederholt Schläge in Schulterhöhe an und zog dabei sein Katana von rechts oben schräg hinunter nach links. Einige dieser Schläge wehrte Takeo so ab, dass sich die Klingen beider Kämpfer kreuzten. Dann jedoch reagierte er überraschenderweise völlig anders: Mit voller Wucht schlug er mit seinem Katana gegen Masarus Schwert und drehte sich anschließend blitzschnell mit seinem gesamten Körper um die eigene Achse. Dadurch veränderte sich seine Position. Takeo stand nun frontal zu Masarus linker Schulter. Mit einem kräftigen Hieb zielte er auf Masarus Rücken. Doch dieser wich dem Schlag mit einer dreiviertel Drehung aus. Takeo setzte mit weiteren schweren Schlägen nach. Fing Masaru nun an zu wanken? Es hatte kurzzeitig den Anschein. Doch dann musste Takeo sich selbst einigen Attacken erwehren, die ihn vom Gegenteil überzeugten. Er hatte nun keine Idee mehr, wie er Masaru überraschen konnte. Schließlich hatte er hier seinen Lehrmeister vor sich, der ihm alle Künste des Schwertkampfes beigebracht hatte. Während unzähliger Lehrstunden hatten die beiden sämtliche Manöver immer und immer wieder geübt. Takeo war ein wahrer Meister im Schwertkampf. Jedem Gegner war er überlegen – jedem, außer Masaru.
Nun dauerte der Kampf schon über eine Stunde und niemandem war es bisher gelungen, auch nur einen einzigen Treffer zu landen. Die Kräfte der beiden Samurai schwanden zusehends und das Tempo verlangsamte sich immer mehr. Takeo dachte, während er kämpfte, darüber nach, worin überhaupt der Sinn dieser Auseinandersetzung liegen sollte: Zwei Samurai, die offensichtlich die besten Kämpfer des gesamten Landes sind, bemühten sich darum, den anderen zu töten. Beide waren absolut gleich stark und keiner konnte irgendeinen Vorteil erzielen. Sollte der Kampf solange weitergehen, bis bei einem die Kräfte und die Konzentration so weit nachließen, dass er einen verhängnisvollen Fehler machte? Und wenn das passierte, was sollte das beweisen? Warum in aller Welt sollte überhaupt einer der beiden sterben?
Mitten in diesen Gedanken bemerkte Takeo eine Veränderung in Masarus Gesichtszügen. Wollte dieser ihm etwas mitteilen, ohne dabei zu sprechen? Plötzlich hatte Takeo das Gefühl, Masaru verstanden zu haben. Laut rief er: „Halt ein!“ Beide Samurai hörten sofort auf zu kämpfen. Takeo blickte Masaru in die Augen. Dann fragte er etwas zögernd: „Was geschieht hier gerade?“ Masaru entgegnete ihm mit halblauter Stimme: „Lass uns die Waffen niederlegen und miteinander reden.“ Takeo zeigte sich mit diesem Vorschlag einverstanden und steckte sein Katana in seinen Gürtel.
Nachdem auch Masaru sein Schwert in die Scheide geschoben hatte, begann er, was ihn bewegte, zum Ausdruck zu bringen: „Unser Kampf war sehr hart und einer von uns ist ebenso stark wie der andere. Meine Kräfte ließen mit der Zeit immer mehr nach und Dir ging es genauso. Was dann geschah kann ich mir nicht erklären. Es war, als würde meine Seele zusehen, wie mein Körper weiter kämpft. Ich spürte weder Anstrengungen noch Schmerzen, obwohl ich auch weiterhin mit meinem Schwert auf Dich einschlug und Deine Hiebe abwehrte. Dann sprach etwas zu mir, ein Kampf, der zur Vernichtung des anderen führe, sei der falsche Weg. Es war keine Stimme, die ich mit meinen Ohren vernahm. Ich bekam diese Worte direkt in meine Gedanken gesprochen. Gleichzeitig spürte ich einen großen Frieden, der meinen Geist reinigte. Ich habe keine Ahnung, wessen Stimme das war und ob sie sich innen oder außen befand. Aber nun weiß ich, dass wir keinen Sieger brauchen und niemand von uns sterben muss. Nicht nur einer allein ist zu Höherem bestimmt. Nein, wir beide haben eine besondere Berufung und können diese Welt verändern. Yuudai sagte, dass einer von uns noch in diesem Jahr eine große Entdeckung machen wird. Inzwischen verstehe ich, dass auch derjenige von uns, der dieses große Geheimnis nicht entdecken wird, dennoch ein Auserwählter ist. Ich weiß nicht, was geschehen wird, doch ich bin mir gewiss, dass jeder von uns seinen Weg gehen soll und dass etwas Großes auf uns wartet.“
Takeo hörte aufmerksam zu und sagte erleichtert: „Ich bin froh, diese Worte aus Deinem Mund zu hören. Mich bewegen ähnliche Gedanken und Gefühle, auch wenn diese nicht so klar und deutlich sind wie Deine. Jeder von uns gehe seinen Weg für sich selbst, um seine Antworten zu finden. Ich wünsche Dir, dass Du entdecken mögest, wonach Du suchst.“ „Ich danke Dir“, erwiderte Masaru. „Auch Dich begleiten meine guten Wünsche. Ich freue mich darauf, Dir irgendwann wieder zu begegnen. Doch sollte dieser Tag niemals kommen, dann beuge ich mich vor der Bestimmung, die größer ist, als wir selbst es sind. Leb wohl, mein Freund.“
Takeo dachte wochenlang über die vergangenen Ereignisse nach, vor allem über seinen Kampf gegen Masaru und das anschließende Gespräch. Nachts lag er oft stundenlang wach und immer wieder ging ihm das Erlebte durch den Kopf.
Eines Morgens machte Takeo einige Besorgungen im Nachbardorf. Unterwegs traf er Shigeru, einen Samurai der Goldenen Schlange im zweiten Grad, der gemeinsam mit Takeo ausgebildet wurde. Sie hatten sich über ein Jahr nicht mehr gesehen. Beide waren gespannt zu erfahren, wie es dem anderen inzwischen ergangen war. Irgendwann berichtete Shigeru von einem alten Mann, der in den Bergen lebt. Von einem Reisenden habe er gehört, dass dieser über eine Kampftechnik verfüge, wie sie sonst nur die Samurai der Goldenen Schlange besäßen. Wer dieser geheimnisvolle alte Mann wäre, darüber konnte er allerdings nichts in Erfahrung bringen. Takeo hörte aufmerksam zu. Sollte dieser alte Mann etwas mit den Antworten zu tun haben, die er suchte?
Takeo fasste einen Entschluss: Er wollte sich auf die Suche nach dem alten Mann in den Bergen machen. Möglicherweise würde es ein schwieriges Unterfangen werden. Es gab hier sehr viele Berge. Er hatte nicht einmal einen Anhaltspunkt, in welchem Gebiet sich dieser Mann aufhalten könnte. Sein Verstand sagte ihm, dass es unmöglich wäre, diesen Mann zu finden, doch sein Herz trieb ihn unaufhörlich, so schnell wie möglich aufzubrechen.
Am nächsten Morgen machte er sich auf den Weg. Wochenlang zog Takeo umher. Jeden, den er unterwegs traf, fragte er nach diesem alten Mann. Doch keiner konnte ihm etwas sagen, das ihn weiterbrachte. Eines Tages begegnete ihm ein eigenartig aussehender Mann. Er war Ende 60, trug einen langen Bart und war seltsam gekleidet. Takeo richtete an ihn die gleichen Fragen, die er allen anderen in den letzten Wochen gestellt hatte. Der Mann sprach in ruhigem Ton: „Komm mit mir! Ich werde Dir die Antworten auf Deine Fragen zeigen.“ Takeo zögerte zunächst, zeigte sich aber dann bereit, mit dem Mann mitzugehen. Vielleicht hatte dieser eigenartige Geselle ja tatsächlich einen wichtigen Hinweis für ihn. Falls nichts Brauchbares dabei herauskommen sollte, dann würde er einfach wieder gehen und woanders weitersuchen. Er hatte nichts zu verlieren, außer vielleicht die Zeit, die er einsetzte.
Beim Gehen fragte Takeo den Mann, was genau er ihm zeigen wolle. Doch der antwortete nur freundlich: „Gedulde Dich ein wenig! Noch vor Anbruch des Abends werden wir am Ziel sein. Morgen wirst Du sehen, wonach Du suchst.“ Takeo und der Mann gingen wortlos einen schmalen Bergpfad entlang. Nach einigen Stunden hatte Takeo großen Durst und wurde hungrig. Er wollte dem Mann gerade vorschlagen, sich auf die Suche nach Nahrung und etwas Trinkbaren zu machen. Da wandte sich dieser sich um: „Du bist durstig. Wir werden den Pfad verlassen. Hinter dieser Felsformation befindet sich eine Quelle.“ Er streckte seine Hand aus und zeigte schräg links nach vorne. „Was Deinen Hunger betrifft, so habe noch ein wenig Geduld. Es ist nicht mehr weit. Am Ziel gibt es genügend Vorräte.“ Takeo stieg hinter dem Mann einen Felsen hinauf. Von oben sah er die andere Seite hinunter und tatsächlich – vor ihm lag eine sprudelnde Quelle. Sie war von unten nicht zu sehen. Aus der Quelle entsprang ein kleiner Bach, der nach wenigen Metern in einer kleinen Höhle verschwand und unterirdisch weiter floss. Es war herrlich erfrischend, von diesem Quellwasser zu trinken.
Nachdem beide getrunken hatten, stiegen sie weiter den Berg hinauf. Nach einer halben Stunde hielt der Mann plötzlich und sagte: „Wir sind angekommen.“ „Wie angekommen?“, dachte Takeo bei sich. Er sah nichts als Felsen und wusste nicht im Geringsten, was sie hier sollten. „Komm mit mir!“, sagte der Mann in freundlichem Ton. Sie gingen um einen Felsen herum. Takeo traute seinen Augen nicht: Dort stand ein Haus – mitten in den Bergen. Die hintere Wand wurde durch einen Felsblock gebildet. Der größte Teil der unteren Hälften der beiden Seitenwände war ebenfalls aus Felsen gehauen. Der Rest der Seitenwände und die vordere Wand waren gemauert. Es gab je ein Fenster in der rechten und in der linken Seitenwand. Vor den Fenstern hingen Fensterläden, die wie die Tür in der vorderen Wand aus Holz waren. Die aus Felsgestein bestehende Bodenfläche links neben dem Haus war begradigt und bildete eine Terrasse. Dahinter lag eine Höhle, an deren Eingang sich eine kleine Feuerstelle befand. In der Höhle selbst lagerten größere Mengen Holz. Daneben lagen mehrere Fässer und einige Werkzeuge.
Takeo kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Wie war es möglich, aus diesem harten felsigen Boden eine solch ebene Terrasse zu bilden? Das Gleiche galt für den Boden innerhalb des Hauses. Die Felsenwände so weit auszuhöhlen, um ein Haus entstehen zu lassen, muss eine unglaublich langwierige und anstrengende Arbeit gewesen sein. Und wo kam das ganze Holz her? Es gab zwar einen Wald in Sichtweite, doch dieser lag sehr weit unten am Berg. Wie hatte der Mann es geschafft, das Holz nach oben zu transportieren?
Der Mann bat Takeo, in das Haus einzutreten und forderte ihn auf, darin Platz zu nehmen und ein wenig auszuruhen. Er würde währenddessen einige Vorbereitungen treffen. Nach einiger Zeit rief der Mann, Takeo möge zu ihm auf die Terrasse kommen. Dort hatte der Mann eine Decke ausgebreitet und darauf gebratenes Fleisch und Tee serviert. Selten hatte Takeo ein Mahl mit einem solchen Genuss verspeist, wie an diesem Abend. Inzwischen war die Dämmerung eingetreten und er hatte seit den frühen Morgenstunden keine Nahrung mehr zu sich genommen.
Nach dem Essen sprach der Mann: „Ich weiß, wer Du bist und habe Dich erwartet. Yuudai hat mir viel über Dich erzählt. Ich wusste, nichts würde Dich davon abhalten, das Geheimnis zu ergründen.“ „Du kennst Yuudai?“, fragte Takeo verwundert. Der Mann goss erneut Tee in die beiden vor ihm stehenden Trinkgefäße. „Yuudai war mein Lehrer. Er sagte mir kurz vor seinem Tod, dass ein Samurai in seinem letzten Ausbildungsdurchgang dazu berufen wäre, unser Werk fortzuführen.“ „Dann bist Du …“, Takeo stockte einen Moment und formulierte seine Frage anders: „Dann gehörtest Du zum ersten Durchgang der Goldenen Schule, oder?“ Der Mann erwiderte mit einem milden Lächeln: „Du hast Recht. Mein Name ist Katsumi. Ich bin Samurai der Goldenen Schlange. Morgen früh werde ich beginnen, Dich in die Geheimnisse einzuweihen, nach denen Du suchst.“
In der Nacht fand Takeo nicht viel Schlaf. Er lag stundenlang wach und dachte darüber nach, was ihn am nächsten Tag erwarten würde. Erst weit nach Mitternacht schlief er ein. Viereinhalb Stunden später, als die Morgendämmerung hereinbrach, war er wieder hellwach. Auch der alte Mann war bereits auf den Beinen und hatte auf der Terrasse Tee und etwas Essen zubereitet. Takeo und Katsumi nahmen sich viel Zeit für ihr Frühstück. Die meditative Ruhe Katsumis übertrug sich zunehmend auf Takeo und dessen aufgeregte Spannung verwandelte sich mehr und mehr in Gelassenheit. Seine neugierige Erwartung blieb weiter bestehen, doch er spürte eine ruhevolle Gewissheit, dass am heutige Tag etwas geschehen würde, dass ihn weiterbrächte.
Nach dem Essen fragte Takeo neugierig: „Wie viele Samurai der Goldenen Schlange brachte Euer Durchgang hervor?“ „Bei uns waren es fünf, von denen drei im folgenden Jahr auch den zweiten Grad erhielten“, antwortete Katsumi. „Auch bei uns erlangten fünf Kämpfer den ersten Rang und es waren sogar vier, die in den zweiten Grad erhoben wurden. Dann wart Ihr am Anfang genauso gut wie wir, allerdings waren wir später die Besseren“, erwiderte Takeo mit einem schelmischen Grinsen und ergänzte: „Außerdem gab es bei uns eine Besonderheit, die es nie zuvor gegeben hatte. Sehr selten erreichte jemals ein Samurai den dritten Grad. Bei uns ist dies gleich zwei Kämpfern gelungen.“ Katsumi konterte schmunzelnd: „Du meinst also, noch nie hätten zwei Samurai gleichzeitig den dritten Grad erreicht? Und wenn ich Dir nun sage, dass es bei uns sogar drei geschafft haben?“ Das Grinsen auf Takeos Gesicht verschwand plötzlich und verwandelte sich in Erstaunen: „Wirklich? Bei Euch gab es drei Samurai der Goldenen Schlange im dritten Grad? Das ist wirklich beachtlich. Gestatte mir eine weitere Frage: Masaru und ich haben sogar den vierten Grad erlangt. Waren wir die Einzigen oder gab es auch bei Euch jemanden, dem das gelang?“
Katsumis Gesichtsausdruck wurde ernst, doch seine Stimme blieb ruhig und freundlich: „Alle drei sind in den vierten Grad erhoben worden.“ „Ist das wahr? Es gab bei Euch wirklich drei Unbesiegbare? So wie Du redest, hört es sich an, als wärest Du einer dieser drei. Stimmt das?“ Katsumi nickte nur und Takeo fuhr fort: „Yuudai sagte zu Masaru und mir, der vierte Grad sei nicht der höchste, den man erreichen könne. Kannst Du mir Näheres dazu sagen?“ Katsumi schwieg für einen Moment. Dann zog er seine Jacke aus. Takeo hatte einiges gesehen und gehört, das ihn in Erstaunen versetzte. Nun aber war er für mehrere Minuten sprachlos. Er zählte sieben tätowierte Schlangen auf Katsumis Arm.