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Eine abenteuerliche Suche im China der Kaiserzeit!Der Junge Cao Shi lebt im China zur Zeit des ersten Kaisers (221-216 v. Chr.). Sein Vater Cao Shi, welcher Armbrustschütze der kaiserlichen Armee ist, scheint spurlos verschwunden. Gleichzeitig macht seine Freundin Meiling eine ungewöhnliche Entdeckung. In einem Feld fällt ihr der Kopf einer kleinen Tonfigur in die Hände, die Cao Shis Gesichtszüge hat. Könnte sein Verschwinden tatsächlich mit den Terrakotta-Kriegern zu tun haben, die für das Mausoleum des Kaisers gedacht sind?-
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Seitenzahl: 86
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Franjo Terhart
Mit Illustrationen von Volker Fredrich
Saga
Das Geheimnis des stummen Kriegers – Ein Abenteuer aus dem alten ChinaCopyright © 2009, 2019 Franjo Terhart und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726166781
1. Ebook-Auflage, 2019
Format: EPUB 2.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com
»Ehrwürdiger Nachbar Gi Liang, ich bin außer mir vor Wut!«, donnerte die Stimme von Lai Dan vom Garten aus ins Haus hinein.
»So beruhigt Euch doch, ehrenwerter Nachbar Lai Dan! Es besteht kein Grund, sich an diesem schönen Morgen aufzuregen. Die Vögel zwitschern, die Blumen schenken uns ihre schönsten Gesichter. Glaubt mir, wir werden eine Lösung für unser Problem finden!«
Meiling gähnte. Die beiden Streithähne hatten sie unsanft geweckt. Verschlafen stand sie von ihrem Nachtlager auf, blickte zum engen Eingang des Hauses. Dieser stand weit offen. Es war frühmorgens und die Sonne so groß wie ein Wagenrad. Meilings Vater stand auf der Straße und diskutierte wild mit dem Nachbarn, dem ehrwürdigen Herrn Gi Liang. Der alte Mann besaß einen zahmen Fuchs, der jedoch nachts gern unter den Hühnern der Nachbarschaft wilderte. Vermutlich hatte die Fähe ein weiteres Huhn von ihnen gefressen.
»Jetzt reicht es mir aber!«, rief Meilings Vater aufgebracht. »Dieser Fuchs gehört eingesperrt oder noch besser erschlagen.«
Seelenruhig hörte der ehrwürdige Nachbar zu, was Lai Dan wutschnaubend gegen den diebischen Fuchs vorbrachte. Meiling schmunzelte, weil der alte Mann so ruhig blieb, während ihr Vater wie immer aus der Haut fuhr. Die Hühner waren Lai Dans stolzer Besitz und ihre Eier schmeckten köstlich. Doch wenn es dem Füchslein noch öfter nach dem zarten Fleisch der Hühner gelüstete ...
Meiling streifte ein knielanges Hanfkleid über den nackten Körper. Dann zog sie ihre Schuhe aus Bambusgeflecht an und überlegte, was als Erstes im Haus getan werden musste. Brot und Gemüse besorgen, frisches Wasser vom Dorfbrunnen holen, Brennholz sammeln. Dabei fiel ihr Blick auf den Sack in der Ecke neben dem Herd. Sie hatte ihn gestern Abend dort abgelegt, nachdem sie auf dem Feld etwas Sonderbares gefunden hatte: eine beschädigte schwarze Tonfigur. Meiling hatte sie eilig in den Sack gesteckt, den sie immer bei sich hatte, wenn sie Kräuter und Pilze sammeln ging. Ein wenig war ihr die Tonfigur unheimlich. Deshalb hatte sie diese nicht am Abend eingehender untersucht, sondern alles auf den heutigen Tag verschoben. Meiling wusste lediglich, dass die kleine Figur einen Krieger des Kaisers zeigte. Zudem besaß sie ein Gesicht, das ihr merkwürdig bekannt vorkam. Aber das wollte Meiling sich lieber im Hellen ansehen. Sie überlegte, ob sie jetzt nach dem Sack greifen sollte. Ach, das hat Zeit, sagte sie sich. Die Sonne würde noch lange am Himmel wandern, bis sie unterging. Dämonen kommen erst bei Einbruch der Dunkelheit, um die Menschen zu erschrecken, hatte ihre Großmutter Lu stets erklärt. Meiling dachte gern an sie zurück. Seitdem Lu vor einem Jahr an einem Schlangenbiss gestorben war, lebte Meiling mit ihrem Vater allein im Haus und musste sich um alle anfallenden Arbeiten kümmern. Ihre Mutter hatte sie nie kennengelernt. Ihr Vater hatte sie angeblich verstoßen, weil sie ihn betrogen hatte.
Meiling ging in eine Ecke des Zimmers, wo ein leerer Eimer stand und eine Tragstange danebenlag. Mithilfe der Stange würde sie den vollen Eimer vom Brunnen zurück zum Haus tragen. Das wollte sie zuerst erledigen. Meiling huschte aus der Tür ins Freie hinaus.
»Sei gegrüßt, Vater!«, sagte sie. »Und seid auch Ihr gegrüßt, ehrwürdiger Nachbar Gi Liang!«
Lai Dan nahm sie gar nicht richtig wahr. Seine Wut hatte ihm offenbar den Blick vernebelt. Gi Liang jedoch nickte ihr freundlich zu. Der Alte wartete geduldig ab, bis sich Lai Dan wieder beruhigt hatte. Erst dann würde er ihm einen Vorschlag zur Güte machen. Vermutlich würde er ihm Geld anbieten, viele Scheiben Geld. Lai Dan würde das Geld annehmen, die Scheiben auf seine Schnur fädeln, dabei aber den Nachbarn noch einmal fragen, warum er den Fuchs nicht längst erschlagen hatte. »Ach, das arme Füchslein. Ich mag es doch so sehr!«, würde der Alte lächelnd antworten.
Meiling lief durchs Dorf, dessen Bewohner bereits alle auf den Beinen zu sein schienen. Ochsenkarren beladen mit Körben rumpelten über die lehmigen Straßen. Händler von außerhalb brachten Waren in das Dorf, um sie zu verkaufen. Gemüse, Eier, Fisch, Fleisch, Soja, Bambussprossen, Kräuter, aber auch getrocknete Schlangen, deren Fleisch begehrt war. Vor einem Haus stapelten sich Käfige mit allerlei Federvieh, kleinen Äffchen und Reptilien. Meiling kam am Tempel des Konfuzius vorbei. Sein Dach war mit Schildkröten und Drachen verziert. Drachen waren Symbole des Glücks und der Stärke. Ihr Anblick sollte jedem Kraft geben und den Tempel vor bösen Mächten schützen. In diesem Moment stieß sie jäh mit jemandem zusammen, der viel zu eilig um eine Ecke gerannt kam. Fast wäre Meiling zu Boden gestürzt. Verärgert schaute sie dem Tollpatsch ins Gesicht, der schwer atmend vor ihr stand und eine Entschuldigung murmelte. Doch jeglicher Zorn verrauchte, als sie den Jungen erkannte. Es war Cao Pi, Sohn des ehrenwerten Cao Shi, eines angesehenen Offiziers in der großen Armee des erhabenen Kaisers. Schon lange mochte Meiling den schwarzäugigen Jungen und sein verschmitztes Lächeln. Cao Pi galt als der schnellste Läufer im Dorf. Sogar Erwachsenen rannte er ohne Mühe davon. Cao Pi verbeugte sich kurz vor Meiling. Sie kannten sich, weil das Dorf nicht so groß war, dass man in ihm unerkannt leben konnte.
»Entschuldige, Meiling, wenn ich laufe, dann höre und sehe ich fast nichts von dem, was um mich herum geschieht. Nur deshalb habe ich dich beinahe umgerannt. In Zukunft werde ich besser aufpassen. Das verspreche ich.«
Meiling wurde ein wenig verlegen. Es war doch gut, dass Cao Pi täglich trainierte. Eines Tages würde sich sein Fleiß auszahlen. Cao Pi war eine Laufbahn in der Armee des Kaisers sicher. Der Erhabene brauchte gute und starke Läufer, die Nachrichten von einem Teil seines Reiches ins andere trugen.
Geld im Alten China
Der erste Kaiser von China, Qin Shi Huangdi, führte einheitliche Bronzemünzen ein, die in seinem großen Reich als Zahlungsmittel dienten. Die Münzen waren rund und besaßen in der Mitte ein quadratisches Loch. Damit konnte man das Geld auf einer Schnur aufreihen, um es besser bei sich zu tragen. Wenn also jemand etwas bezahlen wollte, holte er die Schnur mit den daran hängenden Münzen hervor. Danach zählte er so viele Münzen ab, wie es der Höhe des Preises entsprach. Die Form der Münze mit dem quadratischen Loch blieb fast bis 1930 erhalten.
»Wer Bambus malen will, muss ihn im Herzen haben, hat meine Großmutter immer betont«, erwiderte Meiling schmunzelnd. »Wer also ein guter Läufer werden will ...«
»Sollte tief im Herzen danach brennen«, fügte Cao Pi hinzu und lachte. »Du hast recht, Meiling. Ich will einmal der beste Bote für den erhabenen Kaiser sein! Für dieses Ziel würde ich mein Leben geben.«
Er war im Begriff weiterzulaufen, als ihn Meiling sanft am Arm fasste. Sie hatte eine Idee.
»Die Götter haben unser beider Wege heute Morgen zusammengeführt«, begann sie. »Du könntest mir vielleicht bei einer geheimnisvollen Sache weiterhelfen.«
Dann erzählte sie dem Jungen von ihrem gestrigen merkwürdigen Fund.
»Ich glaube, das Gesicht der Figur sieht aus wie jemand, den ich kenne. Hier aus unserem Dorf. Willst du es dir mal anschauen?«
Cao Pi wiegte unschlüssig seinen Kopf hin und her.
»Eigentlich wollte ich später noch über die große Straße Richtung Hauptstadt laufen.«
»Das kannst du doch anschließend immer noch tun«, meinte Meiling und blickte Cao Pi auffordernd an.
»Also gut! Dann komme ich vorbei und sehe mir deinen rätselhaften Fund an. Wann soll ich bei euch sein?«
Das lief ja prächtig, dachte Meiling. Sie hatte Cao Pi im Netz, wie der Fischer von seinem Fang sagt.
»Sobald die Sonne am Himmel die Größe eines Tellers hat«, schlug Meiling vor.
»Abgemacht!«, sagte Cao Pi. »Ich werde zur Mittagszeit an eurem Haus ganz am Ende der Dorfstraße sein.«
Meiling nickte begeistert und grüßte zum Abschied. Aber Cao Pi war längst wieder losgespurtet.
Meiling war gerade dabei, das Haus zu fegen, als Cao Pi auftauchte. Er grüßte freundlich. Meiling deutete mit den Händen an, dass er eintreten solle.
»Mmmh, wonach duftet es denn hier?«, fragte Cao Pi.
Meiling stellte den Besen beiseite. »Ich habe Brot geröstet. Magst du?«
»Gerne«, antwortete Cao Pi. Meiling streute eine Prise Zucker über das warme Brot und reichte ihm etwas davon. Sie selbst aß nichts. Während Cao Pi genüsslich das süße Brot kaute, beobachtete Meiling, wie sein Blick durch das kleine Zimmer wanderte. Bei ihm zu Hause war sicherlich alles etwas größer und auch kostbarer eingerichtet. Das lag daran, dass sein Vater in der Armee des erhabenen Kaisers einen gut bezahlten Posten hatte, überlegte Meiling, während ihr eigener Vater hier und da mal als Handlanger arbeitete. Deshalb besaßen sie auch nicht viel. Meiling war es ein wenig unangenehm, dass ihr Haus nur zwei Zimmer besaß. Im hinteren schlief Lai Dan. Vorne gegenüber dem Herd war ihr eigenes Nachtlager. Neben dem Herd befand sich ein Tisch, an dem die Speisen zubereitet wurden. In der Ecke gegenüber, hinter einem abgetrennten Bereich, stand der Nachttopf, den Meiling täglich leeren und säubern musste.
»Dann zeig mir doch mal, was du auf dem Feld so Unheimliches gefunden haben willst«, forderte Cao Pi Meiling auf, nachdem er sein Brot verzehrt hatte.
Meiling blickte ein wenig unsicher zu dem Sack aus Chinagras, der neben dem Herd auf dem Boden lag. Sie war sich nicht sicher, ob sie das Richtige tat.
»Es sieht aus, als ob Magie im Spiel wäre«, hauchte sie.
Cao Pi runzelte die Stirn: »Jetzt bin ich aber wirklich gespannt! Du bist ja schon wie meine Großmutter Hü San. Für sie wird jeder Schatten zum Gespenst oder zum herumirrenden Fluch, der einen arglos treffen kann.«
Zögerlich zog Meiling den Sack aus der Ecke hervor. Wortlos reichte sie diesen Cao Pi.
»Soll ich ihn etwa öffnen? Aber du hast keine Schlange darin versteckt, die mich erschrecken soll?«