Das Geheimnis des Weihnachtspuddings - Agatha Christie - E-Book

Das Geheimnis des Weihnachtspuddings E-Book

Agatha Christie

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  • Herausgeber: Atlantik
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

Weihnachten bei Agatha Christie - dazu gehören natürlich Hercule Poirots graue Zellen und Miss Marples unverwüstliche Neugier: wenn etwa im Weihnachtspudding ein Rubin versteckt ist oder zum Fest der Liebe ein gerissener Mord passiert. Aber auch ohne ihre beiden Lieblingsfiguren kann Agatha Christie wunderbar von Weihnachten erzählen und dabei sogar eine Krimi- mit einer Liebesgeschichte kombinieren. Und dann zeigen zwei ganz und gar nicht kriminelle, sondern besinnliche Geschichten die Autorin von einer gänzlich ungewohnten Seite. Und als Zugabe gibt es noch eine ganz persönliche Weihnachtserinnerung der Queen of Crime.

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Seitenzahl: 140

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Agatha Christie

Das Geheimnis des Weihnachtspuddings

Geschichten zum Fest

Atlantik

Nostalgische Weihnachtserinnerung

Das Abenteuer des Christmas Pudding habe ich geschrieben, um mir selbst eine Freude zu machen, weil sich dabei schöne Erinnerungen an die Weihnachtstage meiner Jugend einstellen. Nach dem Tod meines Vaters verbrachten meine Mutter und ich Weihnachten immer bei der Familie meines Schwagers in Nordengland – herrliche Tage für ein Kind. Abney Hall hatte einfach alles. Im Garten gab es einen Wasserfall und einen Bach, ein Tunnel führte unter der Einfahrt hindurch. Zu den Feiertagen wurde gewaltig geschlemmt. Ich war ein mageres und scheinbar zartes Kind, in Wirklichkeit aber sehr robust und ständig hungrig. Die Jungen und ich veranstalteten in dieser Zeit wahre Wettessen. Für Austernsuppe und Steinbutt konnten wir uns weniger begeistern, dann aber kam der Truthahn – geschmort und gebraten – nebst einer riesigen Rinderlende auf den Tisch. Die Jungs und ich vertilgten von allem drei Portionen. Danach gab es Plumpudding, Mince Pies, Trifle und alle nur denkbaren Desserts. Nachmittags stopften wir uns mit Schokolade voll. Ich habe nie erlebt, dass einem von uns je schlecht geworden wäre. Wie schön, elf Jahre alt und so gefräßig zu sein.

Der fünfundzwanzigste Dezember war stets ein denkwürdiger Tag – angefangen mit dem reichgefüllten Strumpf frühmorgens im Bett, gefolgt von Kirchgang und Weihnachtsliedersingen, dem Essen und der Bescherung, bis endlich die Kerzen am Baum angezündet wurden.

Und wie dankbar bin ich der gütigen Gastgeberin, die den Weihnachtstag so liebevoll gestaltet hat, dass er mich als beglückende Erinnerung bis ins hohe Alter begleitet. Ich widme deshalb dieses Buch dem Andenken an Abney Hall und der herzlichen Gastfreundschaft, die dort herrschte.

Und frohe Weihnachten allen, die dieses Buch lesen.

Agatha Christie

Das Geheimnis des Plumpuddings

Ich bedauere außerordentlich …«, sagte Monsieur Hercule Poirot.

Er wurde unterbrochen. Allerdings nicht rüde. Es war eine geschmeidige, geschickte, diplomatische Unterbrechung, kein Widerspruch.

»Bitte sagen Sie nicht von vornherein Nein, Monsieur Poirot. Es handelt sich hier um wichtige Staatsangelegenheiten. Man wird Ihre Kooperation an höchster Stelle zu schätzen wissen.«

»Zu gütig«, winkte Hercule Poirot ab, »aber ich kann Ihrer Bitte unmöglich nachkommen. Zu dieser Jahreszeit …«

Erneut unterbrach ihn Mr Jesmond. »Weihnachten«, sagte er gewinnend. »Ein traditionelles englisches Weihnachtsfest auf dem Lande.«

Hercule Poirot schauderte. Die Vorstellung, die Weihnachtszeit in England auf dem Lande verbringen zu müssen, behagte ihm ganz und gar nicht.

»Ein schönes, traditionelles Weihnachtsfest!«, betonte Mr Jesmond noch einmal.

»Ich, ich bin kein Engländer«, sagte Hercule Poirot. »In meinem Land, da ist Weihnachten ein Fest für die Kinder. Was wir feiern, ist das neue Jahr.«

»Aha«, sagte Mr Jesmond, »aber in England ist Weihnachten etwas ganz Besonderes, und ich garantiere Ihnen, in Kings Lacey erwartet Sie ein Fest vom Feinsten. Wissen Sie, das ist ein wunderschönes altes Gebäude. Ein Flügel stammt sogar aus dem 14. Jahrhundert.«

Wieder schauderte Poirot. Bei dem Gedanken an ein englisches Herrenhaus aus dem 14. Jahrhundert beschlich ihn tiefe Beklemmung. Zu oft hatte er in historischen englischen Gebäuden schlechte Erfahrungen gemacht. Dankbar blickte er sich in seiner gemütlichen, modernen Wohnung mit ihren Heizkörpern und den neuesten technischen Vorrichtungen gegen Zugluft um.

»Im Winter«, sagte er entschieden, »bleibe ich in London.«

»Ich glaube, Sie sind sich nicht ganz darüber im Klaren, um was für eine ernste Angelegenheit es sich hier handelt, Monsieur Poirot.« Mr Jesmond blickte kurz zu seinem Begleiter und wandte sich dann wieder Poirot zu.

Poirots zweiter Besucher hatte bis dahin außer einer höflichen Begrüßungsformel nichts gesagt. Er saß da, starrte auf seine blank polierten Schuhe und trug einen durch und durch niedergeschlagenen Ausdruck in seinem dunklen Gesicht. Dieser junge Mann von höchstens dreiundzwanzig Jahren bot unverkennbar ein Bild des absoluten Jammers.

»Ja, ja«, sagte Hercule Poirot. »Natürlich ist es eine ernste Angelegenheit. Darüber bin ich mir schon im Klaren. Seine Hoheit hat mein aufrichtiges Mitgefühl.«

»Die Lage ist äußerst delikat«, erwiderte Mr Jesmond.

Poirot wandte den Blick von dem jungen Mann ab und richtete ihn auf seinen älteren Begleiter. Müsste man Mr Jesmond mit nur einem Wort beschreiben, dann wäre es »Diskretion«. An ihm war aber auch alles diskret. Seine gut geschnittene, aber unauffällige Kleidung, seine angenehme, kultivierte, sich kaum je über ihre wohltuende Monotonie aufschwingende Stimme, sein sich an den Schläfen ein wenig lichtendes hellbraunes Haar, sein blasses, ernstes Gesicht. Hercule Poirot kam es vor, als hätte er im Lauf der Jahre nicht einen, sondern ein Dutzend Mr Jesmonds kennengelernt, von denen alle früher oder später die gleiche Formulierung benutzt hatten: »Eine äußerst delikate Angelegenheit.«

»Wie Sie wissen«, sagte Hercule Poirot, »kann die Polizei sehr diskret sein.«

Mr Jesmond schüttelte energisch den Kopf.

»Keine Polizei«, sagte er. »Um den, äh, um das wiederzubekommen, was wir zurückhaben wollen, wird es sich wohl kaum vermeiden lassen, vor Gericht zu ziehen, aber dazu wissen wir noch zu wenig. Wir haben zwar einen Verdacht, wissen jedoch nichts Genaues.«

»Sie haben mein Mitgefühl«, wiederholte Hercule Poirot.

Falls er dachte, sein Mitgefühl würde seinen Besuchern irgendetwas bedeuten, so hatte er sich allerdings getäuscht. Die beiden wollten kein Mitgefühl, sie wollten praktische Hilfe. Mr Jesmond begann abermals, die Vorzüge eines englischen Weihnachtsfests auf dem Lande zu preisen.

»Wissen Sie, es stirbt langsam aus«, sagte er, »das richtige, traditionelle Weihnachten. Heutzutage feiern die Leute in Hotels. Aber ein englisches Weihnachten, im Kreise der Familie, die Kinder mit ihren Weihnachtsstrümpfen, der Weihnachtsbaum, der Truthahn und der Plumpudding, die Knallbonbons. Der Schneemann vorm Fenster …«

Im Interesse der Genauigkeit intervenierte Hercule Poirot.

»Um einen Schneemann zu bauen, braucht man Schnee«, sagte er streng. »Und den kann man nicht einfach bestellen, auch nicht für ein englisches Weihnachten.«

»Ich sprach gerade heute mit einem Freund beim Wetterdienst«, entgegnete Mr Jesmond, »und der meinte, es werde aller Wahrscheinlichkeit nach zu Weihnachten Schnee geben.«

Das hätte er nicht sagen sollen. Hercule Poirot schauderte heftiger denn je.

»Schnee auf dem Land!«, sagte er. »Das wäre ja noch grässlicher. Ein großes, kaltes Herrenhaus.«

»Ganz im Gegenteil«, erwiderte Mr Jesmond. »In den letzten zehn Jahren haben sich die Dinge gehörig geändert. Ich sage nur so viel: Ölzentralheizung.«

»Es gibt eine Ölzentralheizung?«, fragte Poirot. Zum ersten Mal schien er zu schwanken.

Mr Jesmond ergriff die Gelegenheit. »Ja, in der Tat«, sagte er, »und eine hervorragende Warmwasseranlage. In jedem Zimmer befinden sich Heizkörper. Ich versichere Ihnen, mein lieber Monsieur Poirot, Kings Lacey bietet im Winter Komfort par excellence. Es könnte sogar sein, dass es Ihnen in dem Haus zu warm wird.«

»Das wäre höchst unwahrscheinlich«, entgegnete Hercule Poirot.

Mit routiniertem Geschick wechselte Mr Jesmond dezent das Thema.

»Sie können sich vorstellen, in welch furchtbarem Dilemma wir stecken«, sagte er in vertraulichem Ton.

Hercule Poirot nickte. Es war tatsächlich ein vertracktes Problem. Ein junger Thronanwärter, der einzige Sohn des Herrschers eines reichen und wichtigen indischen Fürstenstaates, war vor wenigen Wochen in London eingetroffen. In seinem Land herrschten Unruhe und Unzufriedenheit. Während die öffentliche Meinung gegenüber dem Vater, der die östlichen Traditionen hochhielt, loyal blieb, betrachtete das Volk die jüngere Generation eine Spur argwöhnischer. Die Extravaganzen des Sohnes entsprangen dessen westlichen Vorstellungen und stießen daher auf Ablehnung.

Vor Kurzem war jedoch seine Verlobung bekannt gegeben worden. Er sollte eine leibliche Cousine heiraten, eine junge Frau, die, obwohl sie in Cambridge studiert hatte, darauf achtete, in ihrer Heimat keine westlichen Einflüsse zur Schau zu stellen. Der Hochzeitstermin stand fest, und der junge Prinz reiste nach England, um einige der kostbaren Juwelen seines Hauses von Cartier in angemessene moderne Fassungen einsetzen zu lassen. Unter den Edelsteinen befand sich auch ein berühmter Rubin, der aus einer klobigen, altmodischen Kette herausgelöst und von den renommierten Juwelieren zu neuem Leben erweckt worden war. So weit, so gut, doch dann begann der Ärger. Niemand hätte einem derart reichen und geselligen jungen Mann ein paar Eskapaden verübelt. Niemand hätte ihm ein Abenteuer missgönnt. Von jungen Prinzen wurde geradezu erwartet, dass sie sich amüsierten. So hätte man es ganz natürlich und angemessen gefunden, wenn der Prinz mit seiner aktuellen Freundin die Bond Street entlanggebummelt und ihr die Freuden, die sie ihm gewährt hatte, mit einem Smaragdarmband oder einer Diamantbrosche vergolten hätte – im Grunde nichts anderes als die Cadillacs, die sein Vater seiner aktuellen Lieblingstänzerin zu spendieren pflegte.

Allerdings war der Prinz sehr viel indiskreter gewesen. Er hatte einer Dame, deren Interesse ihm schmeichelte, den berühmten Rubin in seiner neuen Fassung gezeigt und ihr schließlich törichterweise sogar die Bitte erfüllt, ihn – nur einen Abend lang – tragen zu dürfen!

Der Schlussakt war kurz und schmerzhaft. Die Dame erhob sich beim Diner vom Tisch und zog sich zurück, um sich die Nase zu pudern. Die Zeit verging. Sie kehrte nicht zurück. Sie hatte das Restaurant durch die Hintertür verlassen und sich in Luft aufgelöst. Bedauerlicherweise war der Rubin in seiner neuen Fassung ebenfalls verschwunden.

Wollte man keine gravierenden Konsequenzen heraufbeschwören, so konnte dieser Sachverhalt unmöglich publik gemacht werden. Der Rubin war mehr als nur ein Rubin, er hatte einen enormen historischen Wert, und die Umstände seines Verschwindens waren derart delikat, dass jedes unnötige Aufsehen äußerst schwerwiegende politische Folgen haben konnte.

Mr Jesmond war nicht in der Lage, diesen Sachverhalt in einfache Sätze zu kleiden. Er verpackte sie gleichsam in einen Wust aus Worten. Wer Mr Jesmond genau war, wusste Hercule Poirot nicht. Er hatte im Lauf seiner Karriere viele Mr Jesmonds kennengelernt. Ob er jetzt für das Innenministerium, das Außenministerium oder eine andere diskrete Behörde tätig war, wurde nie im Einzelnen dargelegt. Er handelte im Interesse des Commonwealth. Der Rubin musste gefunden werden.

Und Monsieur Poirot, darauf bestand Mr Jesmond mit großem Feingefühl, sei der Einzige, der ihn wiederbeschaffen könne.

»Ja, vielleicht«, gab Hercule Poirot zu, »aber Sie können mir so wenig konkrete Details liefern. Vermutungen, Verdachtsmomente, das bringt einen nicht sehr weit.«

»Kommen Sie, Monsieur Poirot, das übersteigt doch sicher nicht Ihre Fähigkeiten. Ich bitte Sie.«

»Ich habe nicht immer Erfolg.«

Doch diese Bescheidenheit war nur gespielt. Poirots Ton verriet eindeutig, dass für ihn die Annahme eines Auftrags mehr oder weniger gleichbedeutend mit einem erfolgreichen Abschluss war.

»Seine Hoheit ist noch sehr jung«, sagte Mr Jesmond. »Es wäre schade, wenn sein ganzes Leben lediglich aufgrund einer jugendlichen Unüberlegtheit ruiniert wäre.«

Poirot bedachte den niedergeschlagenen jungen Mann mit einem gütigen Blick. »Die Jugend, das ist die Zeit für Eskapaden«, sagte er aufmunternd, »und bei einem gewöhnlichen jungen Mann spielt so etwas auch keine große Rolle. Der gute Papa, der zahlt; der Familienanwalt, der hilft, die Unannehmlichkeiten aus der Welt zu schaffen; der junge Mann, der lernt aus seinen Erfahrungen – und alles nimmt ein gutes Ende. Ihre Lage ist allerdings wirklich schwierig. Die bevorstehende Hochzeit …«

»Das ist es. Genau das ist es.« Zum ersten Mal sprudelten Worte aus dem jungen Mann heraus. »Verstehen Sie, sie ist ein sehr, sehr ernsthafter Mensch. Sie nimmt das Leben sehr ernst. Sie hat in Cambridge sehr viele sehr ernst zu nehmende Anregungen aufgegriffen. Es soll in meinem Land ein Bildungssystem entwickelt werden. Es soll Schulen geben. Und vieles andere mehr. Alles im Namen des Fortschritts, verstehen Sie, im Namen der Demokratie. Es wird, sagt sie, nicht so bleiben wie zu Zeiten meines Vaters. Natürlich weiß sie, dass ich mich in London vergnüge, aber einen Skandal darf es nicht geben. Nein! Der Skandal ist das Problem. Es handelt sich nämlich um einen sehr, sehr berühmten Rubin, verstehen Sie. Er hat eine lange Geschichte. Viel Blutvergießen – viele Tote!«

»Tote«, sagte Hercule Poirot nachdenklich. Er sah zu Mr Jesmonds hinüber. »Man hofft natürlich, dass es dazu nicht kommt?«

Mr Jesmonds machte ein seltsames Geräusch, wie eine Henne, die sich entschlossen hat, ein Ei zu legen, und sich dann eines Besseren besinnt.

»Nein, nein, auf gar keinen Fall«, sagte er recht steif. »So etwas ist völlig ausgeschlossen, da bin ich mir sicher.«

»Ganz sicher kann man sich da nicht sein«, entgegnete Hercule Poirot. »Egal, wer den Rubin jetzt hat, es kann durchaus noch andere Personen geben, die ihn in ihren Besitz bringen wollen und die vor nichts haltmachen würden, mon ami.«

»Ich bin wirklich nicht der Meinung«, sagte Mr Jesmond und klang dabei steifer denn je, »dass wir uns derartigen Spekulationen hingeben müssen. Äußerst unergiebig.«

»Ich«, sagte Hercule Poirot und kehrte plötzlich den Ausländer heraus, »ich, ich prüfe die Möglichkeiten, ganz wie die Politiker.«

Mr Jesmond blickte ihn zweifelnd an. Sich zusammenreißend, sagte er: »Ich kann also davon ausgehen, Monsieur Poirot, dass die Sache geregelt ist? Dass Sie nach Kings Lacey fahren?«

»Und wie soll ich meine Anwesenheit dort erklären?«, fragte Hercule Poirot.

Mr Jesmond lächelte zuversichtlich.

»Das, glaube ich, lässt sich sehr leicht arrangieren. Ich versichere Ihnen, es wird alles ganz natürlich wirken. Sie werden sehen, die Laceys sind äußerst charmant. Reizende Menschen.«

»Und mit der Ölzentralheizung binden Sie mir keinen Bären auf?«

»Nein, nein, auf gar keinen Fall«, antwortete Mr Jesmond gequält. »Ich versichere Ihnen, Sie werden dort allen erdenklichen Komfort genießen.«

»Tout confort moderne«, murmelte Poirot, in Erinnerungen schwelgend. »Eh bien, ich nehme den Auftrag an.«

Die Temperatur in dem lang gestreckten Salon von Kings Lacey betrug angenehme zwanzig Grad, als Hercule Poirot an einem der großen Sprossenfenster saß und sich mit Mrs Lacey unterhielt. Mrs Lacey war mit einer Handarbeit beschäftigt. Sie saß jedoch weder an einer Petit-Point-Stickerei noch stickte sie Blumen auf Seide. Stattdessen widmete sie sich der prosaischen Aufgabe, Geschirrtücher zu säumen. Während sie nähte, sprach sie mit einer leisen, bedachten Stimme, die Poirot als äußerst charmant empfand.

»Ich hoffe, Ihnen gefällt unsere Weihnachtsfeier hier, Monsieur Poirot. Wissen Sie, es wird ein reines Familienfest. Meine Enkelin ist zu Gast, ein Enkel und dessen Freund sowie Bridget, meine Großnichte, Diana, eine Cousine, und David Welwyn, ein langjähriger Freund der Familie. Also lediglich eine Familienfeier. Edwina Morecombe meinte allerdings, genau das hätten Sie sich gewünscht. Ein traditionelles Weihnachten. Niemand könnte traditioneller sein als wir! Wissen Sie, mein Mann lebt ganz und gar in der Vergangenheit. Er möchte, dass alles genau so ist, wie es war, als er mit zwölf Jahren seine Ferien hier verbrachte.« Sie schmunzelte. »Alles genau wie früher, der Weihnachtsbaum und die Weihnachtsstrümpfe und die Austernsuppe und der Truthahn – zwei Truthähne, einer gekocht und einer gebraten – und der Plumpudding mit dem Ring und dem Junggesellenknopf und so weiter und so fort. Sixpencestücke können wir heutzutage nicht mehr einbacken, weil sie nicht mehr aus reinem Silber sind. Dazu all die alten Desserts, Pflaumen aus Elvas und Karlsbader Pflaumen und Mandeln und Rosinen und kandierte Früchte und Ingwer. Mein Gott, ich klinge wie ein Katalog von Fortnum & Mason.«

»Sie stimulieren meine gastronomischen Säfte, Madame.«

»Ich fürchte, morgen Abend werden wir alle entsetzliche Verdauungsbeschwerden haben«, sagte Mrs Lacey. »Man ist es ja gar nicht mehr gewohnt, so viel zu essen, oder?«

Sie wurde von lauten Rufen und schallendem Gelächter vor dem Fenster unterbrochen und blickte hinaus.

»Ich habe keine Ahnung, was die da draußen treiben. Wahrscheinlich spielen sie irgendein Spiel. Wissen Sie, ich habe immer solche Angst, dass unsere Weihnachtsfeier die jungen Leute langweilt. Aber dem ist gar nicht so, im Gegenteil. Mein Sohn und meine Tochter und ihre Freunde hatten nämlich früher ziemlich neumodische Vorstellungen von Weihnachten. Meinten, es wäre alles Blödsinn und zu viel Aufwand und viel besser, irgendwo in ein Hotel zu gehen und zu tanzen. Aber der jüngeren Generation scheint das alles furchtbar gut zu gefallen. Und außerdem«, fügte Mrs Lacey ganz pragmatisch hinzu, »haben Kinder im schulpflichtigen Alter ständig Hunger, stimmt’s? Ich habe das Gefühl, man lässt sie in diesen Schulen regelrecht verhungern. Schließlich weiß doch jeder, dass Kinder in dem Alter so viel essen wie drei starke Männer zusammen.«

Poirot lachte und sagte: »Madame, es ist äußert liebenswürdig von Ihnen und Ihrem Gatten, mich an Ihrer Familienfeier teilnehmen zu lassen.«

»Oh, es ist uns wirklich beiden ein Vergnügen«, erwiderte Mrs Lacey. »Und falls Horace Ihnen etwas unwirsch vorkommt, achten Sie einfach nicht darauf. Das ist nun mal seine Art, verstehen Sie.«

Genau genommen hatte ihr Gatte, Colonel Lacey, gesagt: »Ist mir schleierhaft, warum du zu Weihnachten einen verdammten Ausländer einlädst, der bloß alles durcheinanderbringt. Können wir ihn nicht ein andermal herbitten? Kann Ausländer nicht ausstehen! Schon gut, schon gut, Edwina Morecombe hat ihn uns also ans Bein gebunden. Ich möchte wissen, wie die eigentlich dazu kommt. Warum lädt sie ihn denn nicht zu sich ein?«

»Weil Edwina, wie du ganz genau weißt, immer ins Claridge-Hotel geht.«

Ihr Gatte hatte sie scharf angesehen und gesagt: »Du führst doch hier nicht irgendetwas im Schilde, oder, Em?«

»Etwas im Schilde?«, sagte Em und sah ihn mit ihren großen blauen Augen an. »Natürlich nicht. Wieso sollte ich?«

Der alte Colonel Lacey hatte tief und dröhnend gelacht. »Ich würde es dir durchaus zutrauen, Em. Du führst nämlich immer etwas im Schilde, wenn du deine Unschuldsmiene aufsetzt.«