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Glaubt ihr, dass Flüche abergläubischer Hokus Pokus ist? Die zehnjährige Laura Wallner auf jeden Fall. Erst recht. als sie mit ihrer Familie, Urlaub in einem Schloss in Transsilvanien macht. Doch was sie nicht weiß: Ein alter Fluch liegt auf dem Schloss! Und schon während der ersten Nacht verwandelt sich ihre Familie in furcherregende Monster. Nur, wenn Laura drei schwere Aufgaben löst, kann sie Ihre Familie von dem Zauber befreien. Und sie hat nur drei Tage Zeit!
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Seitenzahl: 286
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Über den Autor
Christina Dohr, geboren 1997 in Wien, lebt aber seit knapp vierundzwanzig Jahren in Gumpoldskirchen (Niederösterreich). Volksu. Hauptschule abgeschlossen, Mit achtzehn Jahren Diagnose: Asperger Autismus, dadurch sehr erschwerter Berufsweg. Aufgrund eines Traumes, hat sie begonnen, diesen in eine Geschichte zu verwandeln. Somit entstand der Wunsch Autorin zu werden. Sie hat ein großes Herz für Tiere und ist Spenderin für mehrere Tierorganisationen.
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Christina Dohr
Das Geheimnis von Schloss Halloween
© 2022 Christina Dohr
Lektorat: Senta Herrmann
Coverdesign von: Christina + Andrea Dohr
Buchsatz von tredition, erstellt mit dem tredition Designer
ISBN Softcover: 978-3-347-59128-8
ISBN Hardcover: 978-3-347-59129-5
ISBN E-Book: 978-3-347-59130-1
Druck und Distribution im Auftrag des Autors:
tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Germany
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.
Kapitel 1
Gehört ihr auch zu denjenigen, die nicht an Halloweenmonster oder Flüche glauben? Ich werde euch eines Besseren belehren, denn ich habe ein Abenteuer erlebt, das ihr euch in euren kühnsten Träumen nicht vorstellen könnt. Lasst mich euch erzählen, was sich auf Schloss Halloween zugetragen hat.
Es liegt nun schon etwas zurück, dass meine Eltern bei einem Preisausschreiben gewonnen haben. Ich weiß noch genau, dass ich an diesem besonderen Tag mit meiner Mama und meinem jüngeren Bruder am Küchentisch beim Frühstück saß. Plötzlich stürmte Papa ganz aufgeregt herein, nachdem er die Post geholt hatte.
„Wir haben gewonnen, wir haben gewonnen!“, rief er.
Mama schüttelte verständnislos den Kopf. „Was haben wir gewonnen?“
Papa sagte: „Na, du weißt schon … das Gewinnspiel, an dem ich teilgenommen habe. Das, bei dem man eine Reise gewinnen konnte.“ Mamas Augen weiteten sich und sie nickte. „Tja, und wir sind eine der glücklichen Familien.“
„Ach was? Das ist ja toll!“ Begeistert klatschte Mama in die Hände, während ich neugierig von meiner Müslischüssel aufsah. „Und wohin geht die Reise?“
„Wir fahren nach Transsilvanien!“ Papa sah uns nacheinander grinsend an.
Meinem Bruder stand der Mund offen. „Transsilvanien? In die Stadt der Vampire und Werwölfe? Ist ja cool!“
Mein Bruder Simon steht total auf solche Kreaturen, ganz im Gegensatz zu mir. Er ist erst acht Jahre alt, natürlich glaubt er an so was. Ich finde ja, Monster und Gruselgestalten sind Jungskram.
Da ich aber schon zehn und die Ältere bin, glaube ich nicht daran. Das heißt: Ich habe nicht daran geglaubt, bis zu unserer Reise. Hätte ich vorher schon geahnt, was uns in Transsilvanien erwarten würde, hätte ich meinen Eltern von Schloss Halloween abgeraten.
„Vampire?“ Papa lachte. „Du hast wirklich eine blühende Fantasie, Simon.“
Mama trocknete sich die Hände am Geschirrtuch ab und lehnte sich gegen die Arbeitsplatte. „Und wann geht die Reise los?“
„Am Freitagmorgen.“ Voller Tatendrang rieb er sich die Hände.
„Diesen Freitag?“ Simon jubelte. „Das ist der 31. Oktober. Halloween!“
„So ist es, Kumpel. Das ist eine Halloween-Reise übers Wochenende. Wir werden in einem alten Schloss übernachten.“
„Wie heißt das Schloss?“, wollte ich nun wissen.
„Schloss Halloween!“
Die nächsten Tage waren wir mit Packen beschäftigt. Immerhin wollten wir nichts vergessen.
„Glaubst du, wir brauchen auch dicke Jacken?“, rief Papa Mama aus dem Schlafzimmer zu.
„Ja, es ist Herbst und es wird nicht mehr so warm.“ Simon und ich schauten dabei zu, wie sie Kosmetikartikel in eine Tasche sortierte. Ziemlich viel Aufregung für ein Wochenende.
Und dann war es so weit, der Tag der Abreise war gekommen. Mama und Papa trafen noch die letzten Vorbereitungen, wovon Simon und ich allerdings kaum etwas mitbekamen. Es war erst 4:30 Uhr morgens. Da unser Flug jedoch um 6:00 Uhr ging, mussten wir so früh aufstehen. Im Halbschlaf stiegen wir nach dem Frühstück ins Auto. Immer wieder schlief ich während der Fahrt ein, bemerkte aber dennoch, wie wir uns dem Flughafen näherten.
„Wacht auf, wir sind da“, hörten wir Mama flüstern. Während Papa unsere Koffer aus dem Auto lud, gingen wir mit ihr schon einmal vor. Obwohl es so früh war, war am Flughafen ordentlich was los. Überall warteten Menschen auf ihr Flugzeug.
Endlich kam Papa nach. Er schleifte ächzend das Gepäck hinter sich her und Mama eilte an seine Seite. „Warte, ich helfe dir!“
Keuchend bedankte Papa sich und zog unsere Flugtickets aus seiner Manteltasche.
„Ah, Sie haben also auch gewonnen.“ Ich drehte mich um und vor uns stand ein junger Mann mit kurzem, blondem Haar und einer Brille auf der Nase. „Ich auch“, redete er weiter.
Er hielt uns sein Ticket hin – und es stimmte. Seines sah genauso aus wie unseres: Es war ein ganz besonderes Ticket mit einem Halloweenkürbis im Hintergrund.
„Ja, richtig“, stimmte Papa zu, nachdem er einen kurzen Blick auf die Karte geworfen hatte.
„Oh, Entschuldigung. Oft rede ich einfach drauflos, ohne nachzudenken.“ Zerknirscht lächelte der Mann uns an.
„Das macht doch nichts.“ Gut gelaunt winkte Papa ab. „Wenigstens wissen wir jetzt, dass wir nicht als Einzige gewonnen haben.“
Offenherzig gab Papa ihm die Hand. „Ich bin Thomas Wallner. Und das ist meine Familie. Meine Frau Emma und unsere Kinder Laura und Simon.“
Nach einer knappen Begrüßung stellte der junge Mann sich uns als Markus vor. „Ich bin Geschichtsstudent“, schob er nach. „Ich freue mich schon so auf diese Reise, weil ich mich dadurch umso besser auf mein Referat vorbereiten kann.“
„Etwa ein Referat über Halloween?“, fragte mein Bruder ganz aufgeregt.
Amüsiert grinste Markus ihn an. „Aber nein. Über das Schloss. Es ranken sich viele Mythen und Legenden um Schloss Halloween. Es heißt sogar, das Schloss sei verhext. Es gab angeblich Leute, die in das Schloss zwar hineingegangen, aber niemals wieder herausgekommen sind. Ich belege zurzeit einen Kurs über Mythologie.“
Bei dem Gedanken durchfuhr mich ein eiskalter Schauer. Und in dem Schloss übernachten wir, dachte ich.
Markus zuckte mit den Schultern. „Aber das sind wahrscheinlich nur Geschichten. Kein Grund zur Sorge.“
„Oh, da wäre ich mir nicht so sicher.“ Wir alle drehten uns um. Der Fremde vor uns war ein paar Jahre älter als Mama und Papa. Ziemlich düster und finster sah er aus. Er hatte pechschwarze Haare, die ihm so tief ins Gesicht hingen, dass man es kaum erkannte. Einzig seine grünen Augen blitzten hinter den Strähnen hervor. Sein Blick war kalt und freudlos. Ich kann es nicht beschreiben, aber er wirkte irgendwie hasserfüllt und machtbesessen.
Skeptisch musterte Papa ihn. „Wieso sagen Sie das?“
Der Mann verzog seine Lippen zu einem fiesen Grinsen. „Es heißt, dass eine geheimnisvolle und mächtige Kraft im Schloss Halloween versteckt sein soll“, antwortete er. „Ich schätze, wir werden es bald herausfinden.“ Dann zog er etwas aus seiner Manteltasche.
Nein, das ist nicht wahr, dachte ich, als er uns sein Flugticket zeigte. Auch er war ein Gewinner des Preisausschreibens. Na toll, das kann ja heiter werden.
Das Einchecken ging rasch und wir mussten unser Gepäck abgeben. Wir stiegen ins Flugzeug und suchten unsere Plätze. Mama saß außen, ich in der Mitte und mein Bruder hatte natürlich den besten Platz direkt am Fenster. Typisch. Bald wurden wir aufgefordert, die Gurte anzulegen. Nun ging es los. Das Flugzeug startete. Ganz sacht hob es vom Boden ab. Mama bot uns Gummibärchen oder Kaugummi an, um etwas gegen den Druck in unseren Ohren zu unternehmen.
„Na, geht’s euch gut?“ Papa, der eine Reihe vor uns saß, drehte sich zu uns um.
„Ja, es ist super!“, platzte es aus Simon heraus.
Der Flug selbst dauerte nicht lange, aber mir kam es wie eine Ewigkeit vor. Simon quasselte mich durchweg mit Stärken und Schwächen der Halloweenmonster voll. „Zum Beispiel verachten Vampire Knoblauch und Tageslicht. Werwölfe hassen alles aus Silber, Dämonen kann man am besten mit Weihwasser oder Kreuzen von sich fernhalten.“ Simon holte Luft. „Übrigens … Was die wenigsten wissen: Knoblauch hilft auch bei Zombies. Es heißt, wenn du ihnen Knoblauch in den Mund stopfst, dann verlieren sie vorübergehend ihren Kopf.“
„Ih, wie eklig!“ Ich schüttelte mich bei dem Gedanken.
„Es ist aber so!“, beteuerte Simon.
„Böse Geister und Dämonen können nichts betreten, das heilig ist. Zum Beispiel Kirchen oder Klöster. Und darum muss man in solchen Situationen immer ein Kreuz oder so dabeihaben.“
„Aber es wird nie eine solche Situation geben, weil Geister nicht existieren“, warf ich ein.
Simon verschränkte verärgert die Arme. „Na schön, aber komm ja nicht heulend zu mir, wenn Vampire dein Blut trinken oder Dämonen deine Seele holen wollen.“
„Oh, wie ich mich fürchte!“ Mit gespieltem Entsetzen schlug ich mir die Hände an die Wangen.
Der Rest des Fluges verlief recht angenehm. Von Wien nach Rumänien dauerte es eine dreiviertel Stunde. Unser Reiseziel war also einen Katzensprung entfernt. Sobald das Flugzeug zum Stehen kam, sprang ich auf. Mama gab Simon und mir die Hand, damit wir bei den vielen Menschen nicht verloren gingen. Dann holten wir unsere Koffer an einem der Fließbänder ab.
Vor dem Gebäude kam ein Mann mit braunem Haar und schwarzem Mantel auf uns zu. Er pfiff und hob eine Hand.
„Alle mal herhören! Alle, die bei dem Halloween-Gewinnspiel gewonnen haben, warten bitte vor dem Eingang! Ich bin euer Touristenführer und bringe euch zum Schloss.“
Meine Familie und viele andere Personen schlossen sich ihm an. Schließlich wies er uns an, in einen alten und heruntergekommenen Bus einzusteigen.
„Wir sollten da lieber nicht reingehen“, nuschelte ich. „Der Bus sieht nicht sicher aus.“
Mama nahm meine Hand. „Süße, du brauchst dich nicht zu fürchten.“
Simon hingegen fing an zu lachen. „Guck mal, wer jetzt Angst hat!“, spottete er. „Simon, hör auf.“ Mama warf ihm einen tadelnden Blick zu. Ich wollte nicht, dass ausgerechnet mein kleiner Bruder dachte, ich hätte Angst. Also ließ ich Mamas Hand los, stieß Simon unsanft beiseite und stieg in den Bus. Vorsichtig fuhr er los. Es ging über Hügel, durch Städte und Wälder, bis wir nach einer Weile anhielten.
„Wir sind da!“, verkündete der Touristenführer. „Bitte alle aussteigen.“ Erst durch das Gedränge merkte ich, wie viele Leute gewonnen haben mussten. Draußen sah ich mich um. Wir waren in einem kleinen Dorf angekommen, das einen sehr traurigen Anblick bot. Alle Häuser waren verfallen und überall waren Löcher in den Dächern. Die Fenster waren kaputt und einige der Scheiben sogar zugenagelt. Die Blumen, die Blätter, die Bäume und Büsche, die Obst- und Gemüseplantagen, alles war verwahrlost. Ich ging etwas näher an einen Rosenbusch heran und kniff die Augenbrauen zusammen. Die Rosen hatten eine pechschwarze Farbe. Sie waren richtig verbrannt. Und nicht bloß sie. Die anderen Pflanzen sahen genauso aus. Alles wirkte dunkel und unheimlich. Sogar der Himmel war über und über mit schweren Regenwolken bedeckt. Mit dem Finger berührte ich eine der Rosen und sie zerbröselte sofort zu Asche.
Der Touristenführer räusperte sich. „Bitte folgen Sie mir! Ab hier müssen wir laufen.“
Flüchtig schaute Mama sich um und gesellte sich an seine Seite. „Ist es sehr weit?“
„Aber nein. Wir müssen nur durch das Dorf und den Berg hinauf und schon sind wir da.“ Er deutete auf einen großen Berg, der rundherum mit Bäumen bedeckt war. Und oben erhob sich stolz ein prächtiges Schloss. Das musste es sein – Schloss Halloween.
Damit marschierten wir los. Zuerst durch das kleine Dorf am Fuße des Berges. Hier begegneten wir zwar ein paar Leuten, doch der Anblick blieb beunruhigend. Geschäfte und Häuser waren zerstört, die Bewohner hatten Schatten um die Augen und ihr Haar war kreidebleich, auch bei den Kindern. Sie waren dünn und blass wie Gespenster. Mir lief ein eiskalter Schauer über den Rücken.
„Warum ist alles so gruselig?“, murmelte ich vor mich hin. „Am Flughafen war nicht eine Wolke zu sehen, aber hier ist alles grau und freudlos.“
„Das ist der Fluch“, hörte ich jemanden sagen. Es war der Mann mit dem schwarzen Haar und dem finsteren Blick.
Ich presste die Lippen aufeinander und schluckte. „Welcher Fluch?“, fragte ich nach einigen Momenten.
Er schloss zu mir auf und erklärte mit unheimlicher Stimme: „Auf Schloss Halloween soll ein Fluch liegen. Er ist daran schuld, dass es allen hier so schlecht geht.“
„Ein Fluch?“ Ich schüttelte den Kopf. „Aber Flüche gibt es doch gar nicht.“
Der Mann hob abwehrend die Hände. „Wenn du das sagst.“
Bevor ich noch etwas sagen konnte, erklangen die Worte des Touristenführers: „Passen Sie auf, wo Sie hintreten, denn jetzt geht es hinauf zum Schloss.“
Ein schmaler Weg führte in den Wald. Je tiefer wir hineinkamen, desto dunkler wurde es. Die Äste und Blätter bildeten ein dichtes Dach über uns. Das letzte bisschen Tageslicht verschwand immer mehr. Der Weg schlängelte sich steil hinauf. Mühselig kämpfte ich mich den Berg hoch und irgendwann wurde mir etwas klar: Der Wald war nicht nur dunkel und unheimlich, sondern auch verlassen. Während des gesamten Weges hörte ich keine Vögel zwitschern. Als wir an einem kleinen Teich vorbeikamen, sah ich weder Frösche noch Wasservögel. Die ganze Umgebung wirkte wie ausgestorben.
Und dann waren wir endlich oben.
Schloss Halloween lag genau vor uns. Ein düsteres Schloss mit grauen Steinwänden. Die Dächer der Türme waren ebenso schwarz wie die Fensterrahmen. Über dem Schloss kreisten ein paar Raben und bescherten mir eine Gänsehaut mit ihrem unheimlichen Krächzen.
„Da sind wir.“ Der Touristenführer drehte sich mit ausgebreiteten Armen zu uns um. „Schloss Halloween in seiner ganzen Pracht. Kommen Sie, wir gehen hinein.“ Er deutete auf ein großes bogenförmiges Tor. Eine Brücke aus Stein, die mit feinen Kieseln bedeckt war, führte uns hinüber. Am Anfang der Brücke befanden sich links und rechts zwei Sockel, auf denen zwei grauenvolle steinerne Kreaturen hockten. Mir wurde mulmig, als ich sie näher betrachtete. Sie saßen aufrecht und stützten sich mit den Vorderbeinen auf. An Vorder- und Hinterbeinen hatten sie keine Fingernägel, sondern Krallen. Ihre Köpfe waren haarlos, aber sie besaßen Hörner. Und ihre Mäuler waren so weit aufgerissen, dass man ihre spitzen Zähne sah.
„Sind das etwa Teufel?“, fragte ich angewidert.
„Nein“, warf Simon ein, „das sind Goblins. Es heißt, dass sie die Seelen der boshaften Menschen in die Hölle entführen.“
Der Touristenführer winkte uns zu sich. „Nur keine Scheu!“ Er schritt über die Brücke und wir folgten ihm. Mit beiden Händen stieß er die große schwarze Tür auf und wir betraten den Innenhof.
Er war so groß wie ein Fußballfeld. Überhaupt sah das ganze Schloss plötzlich viel größer aus als von außen. Ein Steinweg führte uns zu einer weiteren Tür.
„Dort ist der Eingang“, erklärte der Touristenführer. Während wir auf die Tür zugingen, ließ ich meinen Blick über den Hof schweifen. Neben dem Steinweg wuchs genauso schwarzes Gras wie unten im Dorf. Einige Blumenkästen, die wie Stufen hintereinander platziert waren, reichten so hoch, dass man sogar die unteren Fenster erreichen konnte. Wir stiegen eine Treppe hinauf.
Der Touristenführer drückte die Türschnalle herunter, und als wir eintraten, entfuhr mir ein Seufzen. Wer hätte es gedacht? Das Schloss war von innen genauso gruselig wie von außen. Auf dem Boden lagen hässliche und verschmutzte alte Teppiche. Neugierig blickte ich von der Eingangshalle aus in die verschiedenen Flure. Scheinbar gab es eine Menge Gänge, in denen zu beiden Seiten schwarze Ritterrüstungen aufgestellt worden waren.
Ich rieb mir die Arme, um die Gänsehaut wieder loszuwerden, die mich seit dem Anblick im Dorf begleitete. Als ich meinen Blick weiterschweifen ließ, fiel mir ein langer Teppich ins Auge, der auf eine breite Treppe zuführte. Es war ein roter Teppich wie bei einer dieser Filmpremieren, die man so oft im Fernsehen sieht. Nur dieser hier war grau und löchrig.
Um mich herum herrschte reges Getuschel. Einige der Gewinner linsten wie ich die Gänge hinab, während andere sich die mit Spinnfäden besetzten Ecken anschauten.
„Kommen Sie weiter“, drängte der Touristenführer „Ich führe Sie jetzt nach oben und zeige Ihnen Ihre Zimmer.“ Wir durchquerten den großen Eingangsbereich und stiegen die alten Steinstufen hinauf.
Noch mehr Gänge mit pechschwarzen Rüstungen. Wir gingen an den Blechgestalten vorbei. Jede Rüstung hielt eine andere Waffe in der Hand. Eine hatte ein Schwert, die andere eine Lanze, eine Keule oder einen Morgenstern. Einer der Metallritter trug sogar einen Schild.
Als ich mich wieder auf den Weg konzentrierte, endete der Gang. Links und rechts gingen mehrere Holztüren ab.
Der Touristenführer wandte sich uns zu. „So, hier sind nun Ihre Gästezimmer. Hier im Ostflügel hat man einen guten Ausblick. Und Ihre Zimmer sind schon fertig.“ Einem nach dem anderen übergab er einen Schlüssel mit einem Anhänger. Ich hatte die Zimmernummer 13.
„Bevor Sie Ihre Zimmer beziehen, möchte ich Ihnen noch mitteilen, dass wir heute Abend um 20 Uhr eine große Halloweenparty im Thronsaal veranstalten werden. Die Feier geht bis Mitternacht und jeder ist eingeladen. Und vergessen Sie nicht Ihre Kostüme! Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich muss mich noch um die letzten Vorbereitungen kümmern. Sollten Sie etwas brauchen, lassen Sie es mich wissen.“ Mit den Worten ging er davon.
Papa stemmte die Hände in die Seiten, während die anderen Gäste sich allmählich unter regen Unterhaltungen auf ihre Zimmer zurückzogen. „So, dann sollten wir auch mal unsere Zimmer beziehen.“
Simon sah auf seinen Schlüsselanhänger. „Ich habe die Zimmernummer 13“, jubelte er.
„Echt jetzt? Ich auch“, stöhnte ich missmutig.
„Oh, nein! Wir sind Zimmergenossen.“
„Leider, ja.“ Ein ganzes Wochenende mit meinem Bruder! Das konnte ja nur ätzend werden.
Mama legte uns je eine Hand auf die Schulter. „Das ist doch nicht so schlimm. Es sind gerade mal zwei Tage, die kommt ihr sicher miteinander aus. Stimmt’s?“
Ich seufzte. „Na gut.“
Auch mein Bruder nuschelte: „Na gut, ich versuche es.“
Fröhlich lächelte Mama uns an. „Falls irgendetwas ist, wir sind gleich nebenan.“ Wir nickten stumm.
„Kommt, es wird Zeit auszupacken!“ Papa ging bereits den Gang entlang, um die richtigen Zimmer zu finden.
„Ich komme“, gab Mama zurück, aber Simon hielt sie auf.
„Können wir uns im Schloss ein bisschen umsehen?“
„Ich weiß nicht.“ Nachdenklich sah sie uns nacheinander an. „Ich will nicht, dass ihr euch verirrt.“
„Bitte, Mama, bitte! Ich werde mich schon nicht verlaufen“, bettelte Simon. „Und außerdem ist Laura ja bei mir.“ Mamas Blick blieb an mir hängen. Ich wusste nicht, was mein Bruder so faszinierend an diesem unheimlichen Schloss fand, aber besser als herumzusitzen und nichts zu tun.
Also sagte ich: „Ich pass schon auf.“
Unentschlossen runzelte Mama die Stirn. „Bist du sicher?“
„Ja, ich bin geübt darin, darauf aufzupassen, dass mein kleiner Bruder keine Dummheiten anstellt.“
Simon verschränkte die Arme. „Ich bin doch kein Baby, klar?“
Mama überlegte noch einen Moment, ehe sie zustimmte. „Also gut. Aber nur, wenn ihr mir versprecht, zusammenzubleiben und das Schloss nicht zu verlassen.“
„Versprochen“, echoten Simon und ich wie aus einem Munde.
„Ihr geht nicht in den Keller, verstanden?“, fügte Mama ernst Stimme. „Und vor allem: Haltet euch von den Waffen fern, die diese Rüstungen in den Händen halten. Ist das klar?“
Wir beide nickten und ich antwortete: „Ja, ist klar. Wir werden aufpassen.“ Damit hatten wir unsere Erlaubnis und schauten uns um.
Wir gingen den schmalen Gang zurück, den wir gekommen waren. Durch große Bogenfenster aus Stein, die man oft in den oberen Stockwerken eines Schlosses findet, sahen wir bis nach unten in die Eingangshalle.
Mein Bruder lehnte sich weit über das Geländer und ich zog ihn schnell an seiner Jacke zurück. „Simon, Vorsicht!“
„Ich kann schon auf mich selbst aufpassen!“
„Das bezweifle ich.“ Ich ging einfach weiter. Simon folgte mir widerwillig.
Plötzlich bemerkte ich einen Kronleuchter, der mir vorher nicht aufgefallen war. Er hing über dem Empfangssaal an der Decke, wo ich ihn gut sehen konnte, und bestand aus Knochen und Skeletten. Sie hielten sich an den Händen fest und lächelten uns gruselig an.
Schaudernd machte ich einen Schritt zurück. Auf einmal packte mich etwas am Ärmel und ich zuckte zusammen.
„Lass uns mal dort entlanggehen.“ Simon. Den hatte ich fast vergessen.
Wir liefen durch einen langen, geschwungenen Gang, der zu einer Tür führte.
Simon rieb sich die Hände. „Ich bin gespannt, was da drin ist.“ Ohne zu zögern, stieß er die Tür auf, und wir traten ein. Wir befanden uns in einem riesigen Zimmer voller Bilder. Auf ein paar kleinen Tischen neben den Wänden standen Kerzenhalter mit brennenden Kerzen. Simon und ich sahen uns die Bilder genauer an. Ein ziemlich unheimlicher Anblick. Die Männer und Frauen auf den Gemälden sahen nicht freundlich aus. Ich bemerkte einen Mann, der so weiß war wie ein Gespenst. Er erinnerte mich an die Dorfbewohner, nur, dass seine Augen um die Iris herum rot und nicht weiß waren wie bei normalen Menschen.
Ich wandte mich einem anderen Bild zu. Auf diesem war eine Frau abgebildet. Sie hatte struppiges schwarzes Haar und trug ein blutrotes Kleid. Daneben hing ein Bild von einem Mann in einem altmodischen Anzug. Er hatte lange, spitze Fingernägel, die mich an die Krallen der Goblins erinnerten.
Prompt war die Gänsehaut zurück.
„Wer sind all diese Leute?“, fragte ich mich laut.
„Wahrscheinlich die Bewohner dieses Schlosses“, mutmaßte Simon. Alle Personen auf den Bildern standen vor verschiedenen Hintergründen.
Ich stutzte. Diese Leute sahen nicht geradeaus. Jene Personen auf den Bildern, die rechts hingen, schauten nach rechts und jene, die links hingen, schauten nach links.
Gespannt folgte ich ihren Blicken. Sie alle waren auf ein Gemälde am Ende des Saales gerichtet. Vorsichtig näherte ich mich und betrachtete es genauer. Das Gemälde war von einem verschnörkelten schwarzen Rahmen umgeben. Oben war eine Öffnung, die wie ein Stern aussah, und auf der Seite eine, die mich an ein Zepter erinnerte.
„Aber warum?“, flüsterte ich. Wozu diese Löcher wohl gut waren? Meine Aufmerksamkeit landete bei den Personen auf dem Bild: einem Mann und einer Frau.
Sie standen Hand in Hand nebeneinander und waren die Einzigen, die geradeaus blickten.
Der Mann hatte schneeweißes Haar und einen langen weißen Bart. Auf seinem Kopf saß eine glitzernde Krone aus Gold, die mit kostbaren Rubinen, Saphiren und Smaragden besetzt war. Er war in einen langen blauen Mantel mit aufgestickten Sichelmonden und Sternen gehüllt, und in der rechten Hand hielt er ein schwarzes Zepter, an dessen Spitze ein kleiner grinsender Halloweenkürbis zu sehen war.
Die Frau neben ihm hatte grüne Augen, schwarz geschminkte Lippen und aufgestecktes Haar in derselben Farbe. Ihre Haarklammer sah aus wie eine Spinne, die die Strähnen mit ihren dünnen Beinen zusammenhielt. Außerdem trug sie ein rotschwarzes Kleid mit einer langen Schleppe, die mich an ein riesiges Spinnennetz erinnerte. Um ihren Hals hing ein silberner Sternenanhänger.
Im Hintergrund war das Schloss zu sehen. Aber viel schöner und prächtiger, als es jetzt dastand.
Was ist hier vorgefallen?
Unten auf dem Bilderrahmen stand etwas. Ich musste näher rangehen, um es entziffern zu können: „König Lendor und Königin Merig“, las ich laut vor. Darunter stand noch etwas: Die Schatten enthüllen die Wahrheit.
Was sollte das bedeuten?
„Komm schon, Laura!“ Simons Gequengel riss mich aus meinen Gedanken. „Lass uns die anderen Räume erkunden.“
Ich nickte. Nichts wie weg aus diesem unheimlichen Zimmer.
Wir gingen durch schmale Gänge, bogen ab und stiegen ein paar alte Steinstufen hinauf. Das Schloss war wie ein Labyrinth. Irgendwann kamen wir an eine alte Tür, die offenstand. Simon wollte gerade darauf zugehen, als ein dumpfer Knall ertönte.
Ich zuckte zusammen. „Was war das?“
„Finden wir es raus“, wisperte er.
Ich summte. „Nein, lass uns zurückgehen.“
„Ach, komm schon, hast du Angst?“ Simon rannte zur Tür und gezwungenermaßen lief ich hinter ihm her. Vorsichtig spähten wir um die Ecke.
Kapitel 2
Wir sahen einen großen, verstaubten Saal, in dem viele alte Regale mit Büchern standen. Es gab einen Kamin aus Marmor und eine eiserne Treppe führte hinauf in den ersten Stock, wo noch mehr Regale mit Büchern zu sehen waren.
Wieder knallte es und ich fuhr erneut zusammen. Auch Simon erschrak. Ich erkannte eine Gestalt zwischen den Regalen, den unheimlichen Mann mit dem schwarzen Haar vom Flughafen. Er stöberte ungeduldig in einem der Bücher. Wütend schlug er es zu und warf es auf den Boden. Jetzt verstand ich auch, woher dieses Geräusch kam.
Er durchsuchte die Regale, blätterte in den Büchern und tastete den Kamin ab. Es sah so aus, als würde er nach etwas Bestimmtem suchen. Aber wonach?
Plötzlich drehte er sich um und sah in unsere Richtung. Erschrocken zogen wir uns zurück. Schritte kamen auf uns zu.
Er hat uns gesehen. Der Mann war mir vorher schon unheimlich gewesen. Was würde er wohl sagen, wenn er uns erwischte?
Ich packte Simon am Arm und rannte los. Wir liefen wieder die Gänge entlang und die Steintreppe hinunter. Still bettelte ich vor mich hin, dass er uns nicht gesehen hatte. Als wir eine Weile gelaufen waren, blieb ich das erste Mal hinter einer Abzweigung stehen. Simon und ich versuchten, wieder zu Atem zu kommen.
Ich schaute vorsichtig um die Ecke, um zu sehen, ob der Mann uns verfolgt hatte. Aber der Flur war leer. Es war so still, dass ich nur unser Keuchen hörte.
Erleichtert lehnte ich meinen Kopf gegen die Wand. „Puh, ich glaube, er hat uns nicht bemerkt. Das war echt knapp.“
„Warum denn?“, lachte Simon. „Hat die große, furchtlose Laura etwa Angst?“
„Das habe ich nicht.“ Ich wurde wütend. Wieso versuchte er laufend, mich damit zu ärgern? „Und außerdem bist du auf den Raum zugelaufen, ohne nachzudenken.“
Simon blickte mich herausfordernd an. „Ich dachte, in der Bibliothek wäre ein Geist, und den wollte ich unbedingt sehen.“
„Du und dein Gruselkabinett werdet uns noch in Teufels Küche bringen. Wann begreifst du endlich, dass es keine Geister gibt?“
Empört stampfte Simon mit dem Fuß auf. „Nur, weil du keine gesehen hast, heißt das noch lange nicht, dass es keine gibt. Wieso kannst du mir nicht einmal glauben?“
„Ich glaube an das, was ich sehe, und ich sehe, dass deine ganzen Monster nicht existieren. Also lass mich damit endlich in Ruhe!“
Simons Augen wurden wässrig. „Schön, dann lass dir halt dein Blut oder dein Gehirn aussaugen.“
„Ach, Simon, wach endlich auf!“, fuhr ich meinen Bruder an „Das ist ein Haufen kindischer Unsinn.“
Schniefend wischte er sich eine Träne von der Wange. „Du bist gemein!“ Damit drehte er sich um und lief davon.
„Simon, Simon bleib hier!“, rief ich ihm hinterher. Aber es war zu spät. Er eilte um die Ecke, und sofort rannte ich hinter ihm her.
Ich sah, wie er den Gang herunterlief und nach rechts abbog. „Simon, bleib stehen!“
Wenige Schritte später schoss ich um die Ecke, aber Simon war verschwunden. Vor mir lagen zwei leere Flure. Von Simon fehlte jede Spur.
Wo ist er hingegangen? Vorsichtig schlich ich über den schwarzen Teppich. Es dauerte nicht lange, bis ich zu einer der vielen Steintreppen kam.
Während ich die Stufen der Wendeltreppe hinunterging, dachte ich an unseren Streit. Ich hätte nicht so gemein zu Simon sein dürfen. Ich sollte mich bei ihm entschuldigen. Das hieß, wenn ich ihn wiederfand. Im Kreis ging es immer weiter nach unten, bis ich den Fuß der Treppe erreicht hatte.
Ich durchquerte eine bogenförmige Tür und landete in der Eingangshalle. Rechts von mir befand sich die Tür, durch die wir bei unserer Ankunft hereingekommen waren.
Aber noch immer kein Zeichen von Simon. Wahrscheinlich hatte er den anderen Gang genommen. Mir wurde schlecht. Wie sollte ich das Mama erklären? Nein, ich konnte nicht zurück, bevor ich Simon gefunden hatte.
Ich wollte mich gerade wieder in Bewegung setzen, als sich die große Eingangstür wie von Geisterhand öffnete. Ich erstarrte. Hier war niemand außer mir. Vielleicht ein Windzug? Als ich mich umdrehen und die Treppe hinaufgehen wollte, hörte ich ein unheimliches Flüstern. Es klang, als käme es aus den Schlossmauern. Ich schüttelte über mich selbst den Kopf. Unsinn, jetzt glaube ich selbst schon an Geister. Doch kaum hatte ich den Gedanken zu Ende geführt, wurde das Flüstern lauter.
Eine Stimme sagte mir, dass ich nach draußen gehen solle. Aber Mama hatte mir doch verboten, nach draußen zu gehen!
„Geh nach draußen, vertrau mir.“ Ich zögerte kurz, ehe ich tat, was die Stimme von mir verlangte. Durch die Tür ging ich nach draußen, stieg die Stufen nach unten und fand mich im Innenhof wieder. Wie eine Tänzerin drehte ich mich um meine eigene Achse, um mich umzusehen. Ich entdeckte ein paar Raben auf dem Dach, aber keine Menschenseele.
„Die Stimme war wohl nur Einbildung.“ Ich wollte gerade wieder die Stufen hinaufgehen, als ich eine Gestalt hinter mir bemerkte. Erschrocken fuhr ich herum.
Es war ein Mann, etwa 30 Jahre alt. Er hatte blondes Haar, das ihm bis zu den Schultern reichte, und trug alte, verschmutzte Kleidung. Seine Schuhe waren voller Schlamm und er trug einen beigefarbenen Rucksack bei sich.
Er stand seitlich zu mir und sah zu einem der Fenster hoch.
Als er seinen Kopf nach rechts drehte, entdeckte er mich. Ich wich zurück.
Auch er schien überrascht über meine Anwesenheit zu sein. Einen kurzen Moment standen wir wie versteinert da.
Wer ist er? Ich kann mich nicht daran erinnern, dass er mit uns heraufgekommen ist.
„Du musst sofort von hier verschwinden“, raunte er mir zu. „Du bist in großer Gefahr, wenn du hierbleibst!“
„W-Was?“ Ich stotterte, denn mehr brachte ich nicht heraus. Der Mann kam ein wenig näher und instinktiv wich ich zurück.
„Du darfst nicht hier sein, nicht heute Nacht“, fuhr der Mann fort.
„Warum nicht?“
„Weil es nicht sicher ist.“ Er klang besorgt. „Hör mir genau zu: Du darfst nicht bis Mitternacht wach bleiben. Es ist wichtig, dass du vor Mitternacht eingeschlafen bist, denn sonst…“
„Laura!“ Die Stimme ließ mich aufhorchen. „Laura, wo bist du?“
Das war Mama. Über uns öffnete sich ein Fenster und Mama steckte den Kopf heraus. „Laura, ich habe dir doch gesagt, dass du das Schloss nicht verlassen sollst. Komm sofort wieder herein!“ Sie klang ziemlich erbost.
Oh, oh. Das wird Ärger geben.
Da fiel mir der Mann wieder ein. Ich drehte mich um, aber er war weg. Wie kann er auf einmal weg sein?
Ich sah durch das offene Tor bis zur Steinbrücke, doch er war nirgends zu sehen.
„Laura, ich habe gesagt, du sollst hereinkommen!“, riss Mama mich aus meinen Gedanken. Ich lief die Treppe hinauf und machte mich eilig auf den Weg zu unseren Zimmern. Dort erwartete Mama mich bereits mit verschränkten Armen. Ich konnte das Donnerwetter jetzt schon hören. Zu meiner Überraschung stand mein Bruder Simon neben ihr.
„Laura“, zischte Mama. „Ich habe dir doch ausdrücklich verboten, nach draußen zu gehen. Und ich habe euch gesagt, dass ihr zusammenbleiben sollt.“
„Es tut mir leid.“ Als sie uns fragte, was passiert war, mussten wir ihr alles erzählen. Angefangen bei dem Saal mit den Bildern über den schwarzhaarigen Mann in der Bibliothek bis hin zu unserem Streit und der Tatsache, dass Simon weggelaufen war.
„Ich bin nur nach draußen gegangen, um Simon zu suchen“, erklärte ich zum Schluss. Ich erzählte ihr natürlich nichts von der mysteriösen Stimme, das hätte sie mir sowieso nicht geglaubt.
„Verstehe.“ Mama wandte sich zuerst an meinen Bruder. „Du hättest nicht einfach davonlaufen dürfen. Ich dachte, du wärst schon etwas vernünftiger. Ich bin wirklich enttäuscht von dir.“
Simon senkte den Kopf. „Es tut mir leid, Mama.“
Dann blickte sie mich grimmig an. „Laura, du hättest mich holen sollen, anstatt meine Verbote zu missachten.“
Ich schloss die Augen. „Ja, du hast recht“, erwiderte ich bedrückt und entschuldigte mich ein weiteres Mal.
Streng grollte ihre Stimme durch den Raum: „Ich hoffe, dass ihr das nie wieder tun werdet.“
Ich hob die Hand. „Ich verspreche, das kommt nicht wieder vor.“
„Ja, nie wieder“, ergänzte Simon.
„Na gut.“ Mama seufzte. „Kommt, es gibt noch viel auszupacken.“
Während wir ihr beim Auspacken unserer Koffer halfen, fiel mir dieser merkwürdige blonde Mann wieder ein.
„Mama, kannst du dich daran erinnern, ob ein Mann mit schulterlangen blonden Haaren und einem beigen Rucksack mit uns hergekommen ist?“
„Welcher Mann?“
„Na, der mit mir im Innenhof gesprochen hat. Du musst ihn doch gesehen haben!“
Mama drehte sich zu mir um und antwortete: „Da war kein Mann.“
„Was?“, fragte ich ungläubig.
Mama zuckte mit den Schultern. „Ich habe niemanden gesehen.“
Aber sie musste ihn doch gesehen haben. Er kann doch kein Geist sein, oder?
Schlussendlich war Simon derjenige, der das Thema wechselte. „Ich kann die Kostümparty kaum erwarten. Ich habe nämlich gehört, dass es einen kleinen Wettbewerb für das beste Halloweenkostüm geben soll, und den werde ich gewinnen.“ Darüber hatten einige der Gäste beim Marsch hierher gesprochen.
Ich wandte mich Simon zu. „Aber den Preis verleihen sie doch erst um Mitternacht und so lange darfst du nicht aufbleiben.“
„Mama hat es erlaubt!“
„Nur dieses eine Mal“, sagte Mama mit Nachdruck. „Und nur unter der Bedingung, dass du jetzt am Nachmittag etwas schläfst.“
Simon strahlte über das ganze Gesicht. „Ja, das mache ich.“
Die Worte des Mannes geisterten mir durch den Kopf: Du darfst nicht bis Mitternacht wach bleiben. Es ist wichtig, dass du vor Mitternacht eingeschlafen bist. Ich fragte mich, warum.
Er hatte sehr besorgt ausgesehen.