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In dieser neuartigen Romanausgabe beweisen die Autoren erfolgreicher Serien ihr großes Talent. Geschichten von wirklicher Buch-Romanlänge lassen die illustren Welten ihrer Serienhelden zum Leben erwachen. Es sind die Stories, die diese erfahrenen Schriftsteller schon immer erzählen wollten, denn in der längeren Form kommen noch mehr Gefühl und Leidenschaft zur Geltung. Spannung garantiert! Gewaltsam versuchte Dorina, das Grauen in sich zu bekämpfen, weil sie spürte, dass sie sonst dieser Wahnsinnigen ausgeliefert war. Verzweifelt irrte ihr Blick umher. Es gab keinen Fluchtweg. Vor ihr stand die andere, sprungbereit wie ein Tiger – hinter ihr das Moor – das Moor – das auch ihrer Vorgängerin schon zum Verhängnis geworden war. »Ich weiß wirklich nicht, ob ich Ihrem Plan zustimmen soll, Fräulein Lohhausen.« Rechtsanwalt Dr. Durand sah die junge Dame ernst an. »Wenn Sie unbedingt etwas tun müssen, weil Sie dieses untätige Leben nicht ertragen, dann gibt es doch bestimmt genug Aufgaben, die weniger schwierig und verantwortungsvoll sind.« Dorina Lohhausen lachte leise. Es klang weich und melodisch. Ihr schönes klares Gesicht mit den leuchtendblauen Augen sahen ihr Gegenüber belustigt an. Der weiche rote Mund zeigte beim Lachen zwei Reihen kräftiger weißer Zähne. »Sie möchten mich am liebsten wie mein Paps in Watte packen, Onkel Durand. Aber ich bin kein kleines Mädchen mehr, das ihr behüten müßt. Ich werde in zwei Monaten volljährig und kann gut auf eigenen Füßen stehen.« Sie wurde unvermittelt ernst. Sie beugte sich etwas vor, und ein entschlossener Zug lag auf ihrem jungen straffen Gesicht. In diesem Augenblick erinnerte Rechtsanwalt Dr. Durand sie stark an seinen alten Freund, ihren Vater, mit dem er seit fünfundzwanzig Jahren eng befreundet gewesen war. »Ich weiß, es ist für manchen sehr schwer zu verstehen, daß ich etwas anderes tun will, als ein untätiges Leben zu führen.
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Seitenzahl: 127
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Gewaltsam versuchte Dorina, das Grauen in sich zu bekämpfen, weil sie spürte, dass sie sonst dieser Wahnsinnigen ausgeliefert war. Verzweifelt irrte ihr Blick umher. Es gab keinen Fluchtweg. Vor ihr stand die andere, sprungbereit wie ein Tiger – hinter ihr das Moor – das Moor – das auch ihrer Vorgängerin schon zum Verhängnis geworden war.
»Ich weiß wirklich nicht, ob ich Ihrem Plan zustimmen soll, Fräulein Lohhausen.«
Rechtsanwalt Dr. Durand sah die junge Dame ernst an. »Wenn Sie unbedingt etwas tun müssen, weil Sie dieses untätige Leben nicht ertragen, dann gibt es doch bestimmt genug Aufgaben, die weniger schwierig und verantwortungsvoll sind.«
Dorina Lohhausen lachte leise. Es klang weich und melodisch. Ihr schönes klares Gesicht mit den leuchtendblauen Augen sahen ihr Gegenüber belustigt an. Der weiche rote Mund zeigte beim Lachen zwei Reihen kräftiger weißer Zähne.
»Sie möchten mich am liebsten wie mein Paps in Watte packen, Onkel Durand. Aber ich bin kein kleines Mädchen mehr, das ihr behüten müßt. Ich werde in zwei Monaten volljährig und kann gut auf eigenen Füßen stehen.« Sie wurde unvermittelt ernst. Sie beugte sich etwas vor, und ein entschlossener Zug lag auf ihrem jungen straffen Gesicht.
In diesem Augenblick erinnerte Rechtsanwalt Dr. Durand sie stark an seinen alten Freund, ihren Vater, mit dem er seit fünfundzwanzig Jahren eng befreundet gewesen war. »Ich weiß, es ist für manchen sehr schwer zu verstehen, daß ich etwas anderes tun will, als ein untätiges Leben zu führen. Aber ich will endlich einmal etwas Vernünftiges tun, will das Gefühl haben, gebraucht zu werden. Dieses Wissen bedeutet mir wirklich ungeheuer viel.« Voll sahen die blauen Augen den Mann an. »Sie müßten es doch verstehen, Onkel Durand. Denn Sie sind doch auch ein Mann der Tat. Könnten Sie sich ein Leben vorstellen ohne Pflichten?«
Nun mußte der Mann lächeln. Es war ein gutiges, väterliches Lächeln. Er mochte Dorina Lohhausen sehr gern, hatte sie fast wie eine eigene Tochter in sein Herz geschlossen. Es gab eine Zeit, da hatte er davon geträumt, daß aus seinem Sohn und Dorina eines Tages ein Paar würde. Aber die beiden jungen Menschen waren wie Bruder und Schwester zusammen. Von Liebe konnte zwischen ihnen keine Rede sein, sehr zur heimlichen Enttäuschung der beiden Väter. Aber beide dachten keinen Augenblick daran, Schicksal zu spielen und das Leben der beiden in ihrem Sinne zu leiten. Sie mußten ihren Weg zum Glück allein finden, und nur ihr Herz sollte das letzte Wort sprechen. »Nein, Dorina.« Nun nannte er sie wieder bei der vertrauten Anrede ihrer Kindheit. Seitdem sie aus dem Internat zurückgekommen war, hatte er sie steif Fräulein Lohhausen genannt, was sie zuerst befremdete. Aber sie kannte seine korrekte, oft etwas steife Art und wußte, es hatte keinen Sinn, ihn darauf aufmerksam zu machen, daß sie keinen Wert darauf legte, von ihm als junge Dame behandelt zu werden.
Daß er sie jetzt wieder mit ihrem Namen ansprach, verriet ihr, daß die geschäftliche Seite abgeschlossen war und man jetzt zum vertraulichen Gespräch übergehen konnte.
Geschmeidig stand sie auf. Sie war klein und zierlich. Niemand hätte diesem zarten Persönchen solche Energie und Tatkraft zugetraut.
»Sehen Sie, Onkel Durand, auch ich kann es nicht. Solange Vater noch lebte und ich wußte, daß er mich brauchte, war mein Leben ausgefüllt. Aber seit er mich verlassen hat, halte ich es einfach in dem einsamen Haus nicht mehr aus.«
Er nickte verstehend.
»Aber muß es denn eine so schwierige Aufgabe sein, Dorina?« fragte er ernst zurück. »Ich fühle mich für dich verantwortlich. Daß du nun sofort so weit von hier weggehen willst, bereitet mir Sorgen.«
Lächelnd wehrte sie ab.
»Aber Onkel Durand, England ist doch keine Entfernung. Ich verspreche hoch und heilig, sollte ich einmal nicht mehr allein weiter wissen, dann rufe ich Sie zu Hilfe.« Sie war auf ihn zugetreten und streckte ihm die kleine feste Hand hin, die er mit warmem Druck umschloß. »Ich weiß doch, daß Sie mich nie im Stich lassen werden.«
»Denke immer daran, Kind.« Es klang zärtlich und es war das erste Mal, daß der Mann das Mädchen zärtlich in seine Arme nahm.
»Ich werde es nicht vergessen, Onkel Durand. Ich schreibe sofort, wenn ich angekommen bin. Sie brauchen sich wirklich keine Gedanken zu machen. Sie wissen ja, Vati hat mich sehr selbständig erzogen. Ich finde mich schon zurecht.«
Die beiden Menschen nahmen herzlich Abschied voneinander. Dorina Lohhausen schied mit der tröstlichen Gewißheit, in dem alten Freund ihres Vaters immer einen Beschützer und ehrlichen Berater zu haben.
In diesem Haus würde sie immer eine Zuflucht finden, sollte das Leben gar zu arg mit ihr umspringen.
*
Der mächtige Herrensitz machte auf den ersten Biick einen gewaltigen Eindruck auf das Mädchen, das einen Augenblick förmlich den Atem anhielt, als der Wagen in den weitläufigen großen Hof einbog.
Schon während der Fahrt in dem hübschen Zweisitzer, mit einem jungen Mann, der sich als Verwandter ihres zukünftigen Brotherrn vorstellte, hatte Dorina wie verzaubert gesessen und konnte sich nicht satt sehen.
Seit sie aus dem Zug gestiegen war, erschien ihr alles wie ein Traum. Der kleine verträumte Bahnhof, der, nachdem der Zug wieder abgefahren war, in seine Stille zurücksank. Dann der junge Mann, der einen sehr guten Eindruck auf sie machte und sie in gutem Deutsch, das er mit kaum wahrnehmbarem Akzent sprach, sehr herzlich begrüßte. Deutlich stand in seinen graublauen Augen die Bewunderung, die er bei ihrem Anblick empfand.
Dann die Fahrt durch die unebene Straße, an kleinen weißen Häusern vorbei mit roten, tief herunterhängenden Dächern und Blumengärten, die die Straße säumten.
Nach einer Weile bog der Wagen ab. Es ging durch grüne Wiesen, über die sich ein wolkenloser strahlender Himmel von durchsichtiger Bläue spannte.
Und dann tauchte das Haus auf. Wie ein riesiger weißer Fleck hob es sich zwischen dem dunklen Grün der hohen Bäume ab, die es förmlich einschlossen.
Es war ein großes prachtvolles Gebäude aus schneeweißem Gestein. Zur Rechten lag ein großer See, der wie das Meer anmutete, und wohin das Auge nur traf, standen Blumen in den wundervollsten Farben, daß man das Gefühl hatte, in einem Farbenmeer zu ertrinken.
Das mächtige Portal schien ita-lienische Schmiedekunst zu sein. Die Räder knirschten über den kiesbestreuten Weg, als der Wagen einbog. Der breite Weg war mit blühenden Azaleen gesäumt. Sie standen in herrlich abgestimmten Farben, vom hellsten Rosa bis zum tiefsten Gelb.
Das Haus hatte drei Stockwerke. Die Fenster über dem mächtigen Portal hatten grüne Fensterläden. Eine breite Veranda zog sich um das ganze Haus.
Der Wagen war zum Stehen gekommen. Der junge Mann, der sich ihr als Richmond Stuart vorgestellt hatte, beeilte sich, ihr beim Aussteigen behilflich zu sein.
Mit einem tiefen Aufatmen stieg Dorina aus. Ganz tief sog sie die würzige Luft ein, die süß und schwer vom Blumenduft war.
In diesem Augenblick kam ein schlanker, hochgewachsener Mann durch das Portal, verhielt einen Moment den Schritt, als er ihrer ansichtig wurde und Dorina sah deutlich, wie nach der ersten Verblüffung so etwas wie unmutige Überraschung in seine kantigen Züge trat, die aber schnell einer beherrschten Höflichkeit Platz machte.
Elastisch kam er die weiße Marmortreppe herunter. Alles an dem Mann verriet geballte Kraft. Seine Schultern waren breit und ausladend. Er war kräftig gebaut, und sein Körper verriet bei jeder Bewegung den durchtrainierten Sportler.
Der Mann streckte ihr eine schlanke, kräftige Hand entgegen. »Miss Lohhausen, ich heiße Sie auf White-Castle willkommen.« Seine Stimme klang kühl. Er sprach ein leidlich gutes Deutsch, aber mit sehr starkem Akzent. Als er nun weitersprach, redete er in seiner Muttersprache, als setze er voraus, daß sie die englische Sprache beherrschte.
Irgendwie fühlte Dorina sich von dem Mann beeindruckt. Es ging etwas von ihm aus, das sie anzog, aber im gleichen Augenblick auch wieder abstieß. Was es war, hätte sie nicht zu sagen vermocht. Er machte eine einladende Handbewegung zum Haus hin und schritt dann neben ihr die Treppe hinauf, während Richmond einen Diener herbeiwinkte und ihn beauftragte, das Gepäck der Miss auf ihr Zimmer zu bringen.
Sie betraten eine große Halle. Eine breite elegante Marmortreppe schwang sich mitten in der Halle hinauf zur Galerie. Die weißen Wände waren von feinen Goldstreifen eingerahmt, und an der linken Wand stand ein zierlicher Tisch mit geschwungenen Beinen, über dem ein goldgerahmter Spiegel hing.
Auch hier standen Blumen, wohin das Auge traf. Sie waren in mächtige Bodenvasen aus feinstem chinesischem Porzellan gefüllt, und ihre Blütenzweige hoben sich von der weißen Wand wundervoll ab.
Einen Moment verhielt das Mädchen den Schritt und sah sich mit leuchtenden Augen um.
»Wie wundervoll«, entrang es sich ihr selbst ungewollt.
Sekundenlang schien sich das finster scheinende Männergesicht zu erhellen. Besitzerstolz leuchtete aus seinen hellen Augen, die einem bis auf den Grund der Seele zu schauen schienen.
Aber dann zeigten seine Augen wieder den kühlen, unpersönlichen Ausdruck, vor dem sie vom ersten Augenblick an zurückgeschreckt war.
»Ich werde Sie jetzt meiner Mutter vorstellen, Miss Lohhausen.«
Ein kritischer Blick glitt über das zierliche Mädchen neben sich, dann schritt er die breite Treppe hinauf, die zum oberen Stock führte.
Beklommen folgte Dorina ihm. Eine merkwürdige Unruhe hatte sie ergriffen, und plötzlich fühlte sie sich gar nicht mehr so sicher und überzeugt davon, den richtigen Weg gewählt zu haben.
Der Mann blieb stehen, öffnete eine Tür zur Linken und bat das Mädchen mit einer Handbewegung, einzutreten.
Es war ein geräumiges Kaminzimmer, in dem trotz der sommerlichen Wärme ein Feuer brannte. Die Hitze, die Dorina entgegenschlug, drohte ihr den Atem zu nehmen, dazu die vom Blumenduft geschwängerte schwere Luft gab ihr das Gefühl, in einem exotischen Gewächshaus zu sein.
Dann sah sie die zierliche, fast kindhaft feingliedrige Frau, die nur langsam den Kopf mit dem schneeweißen Haar wandte und ihnen das Gesicht zudrehte.
Dorina war betroffen von der fast überirdischen Schönheit dieses zarten Gesichtes, das von einem Paar großer brennender Augen beherrscht wurde.
»Mutter, darf ich dir Miss Lohhausen vorstellen«, sagte der Mann, und in seiner kühlen Stimme klang eine herzliche Wärme durch, die Dorina diesem Mann nie zugetraut hätte.
Er war auf die Frau im Lehnstuhl zugetreten und sah Dorina auffordernd an, die bescheiden, aber in selbstbewußter Haltung an der Tür stehen geblieben war.
Die Frau hob eine zarte durchsichtige Hand und winkte das Mädchen näher zu sich heran. Dorina spürte den prüfenden Blick der noch immer im jugendlichen Glanz schimmernden Augen, der über sie hinglitt, und sie hatte das Gefühl, als gäbe es vor diesen Augen kein Geheimnis.
»Herzlich willkommen auf White Castle, Miss Lohhausen.« Sie hatte eine weiche melodische Stimme, die wie leise Musik klang. Als sie nun Dorina die Hand reichte, neigte das Mädchen sich darüber und drückte sie ehrfurchtsvoll an die Lippen.
Ein leichtes, überraschtes Lä-cheln erschien auf dem Gesicht, das in der Jugend von betörender Schönheit gewesen sein mußte.
»Ich hoffe, Sie hatten eine gute Reise.« Sie wartete keine Antwort ab, wandte sich etwas ungeduldig an den Sohn. »Miss Lohhausen wird von ihrer langen Reise ermüdet sein, Rod. Bitte klingle nach Theresa, damit sie Miss Lohhausen auf ihr Zimmer bringt.«
Wortlos kam der Sohn ihrer Aufforderung nach. Es vergingen nur wenige Sekunden, bis ein Mädchen erschien, das höflich nach dem Befehl der Herrin fragte.
Theresa entpuppte sich als ein sehr mitteilsames Mädchen, dessen Mund keinen Augenblick stillstand. Sie hatte eine temperamentvolle Art und unterstrich ihre Worte mit lebhaften Gesten, was Dorina unwillkürlich ein Lächeln entlockte.
»Ich habe das kleine Mädchen noch nicht gesehen«, sagte Dorina, die es kaum erwarten konnte, ihren kleinen Schützling zu sehen.
»Vielleicht ist Sheila in ihrem Zimmer, oder aber sie hockt wieder irgendwo im Park. Bei ihr weiß man nie, wo sie sich gerade befindet«, kam es etwas zögernd zurück.
Dorina sah sie verwundert von der Seite her an.
»Würden Sie mir bitte das Zimmer der Kleinen zeigen?« fragte sie dann ruhig.
Das Mädchen blieb stehen und sah sie mit einem seltsamen Blick an. »Sie warten damit besser, bis der Herr Sheila zu Ihnen bringt, Miss Lohhausen. Wissen Sie, die Kleine ist ein Problem für den Vater und auch für uns alle hier im Haus. Sie ist ein sehr schwieriges Kind. Aber das werden Sie schon selbst feststellen, wenn Sie sie kennenlernen.«
Das Mädchen öffnete eine Tür und bat Dorina einzutreten. Es war ein schönes, freundliches Zimmer, das sie betraten, sehr geschmackvoll eingerichtet, und es gab dem Mädchen sofort das Gefühl, hier zu Hause zu sein. Die breite Flügeltür führte zu dem Balkon hinaus. Dorina stieß einen entzückten Laut aus, als sie hinaustrat und den wundervollen Ausblick genoß, der sich ihren Augen bot.
Wie helles Silber schimmerte der See durch die Bäume. Ein weißes Segelboot glitt träge in der leichten Brise über das Wasser.
»White-Castle ist wundervoll, nicht wahr, Miss Lohhausen?« hörte sie neben sich das Mädchen sagen.
»Ja. Wenn man dieses alles sieht, dann hat man das Gefühl, als hätten sich die Pforten des Paradieses vor einem geöffnet. Die Menschen hier müssen unbeschreiblich glücklich sein«, sagte Dorina wie träumend.
Ein spöttisches Lachen neben ihr riß sie aus ihrer Versunkenheit in die Wirklichkeit zurück.
»Lassen Sie sich nicht vom ersten Eindruck täuschen, meine Liebe. Oft brodelt unter einer schillernden Oberfläche ein drohender Abgrund, der jeden in die Tiefe reißt, der sich zu nahe heranwagt.«
Etwas fassungslos, so unsanft aus ihren Träumen gerissen zu werden, starrte Dorina die Frau an, die unbemerkt aus dem Nebenzimmer auf den Balkon getreten war.
Es war eine schlanke, hochgewachsene Frau Anfang der Dreißig. Rotschimmerndes Haar umgab ein rassiges Gesicht, dessen Haut so zart wie Alabaster war. Die übergroßen schwarzen Augen boten einen auffallenden Kontrast. Das brodelnde Feuer, das ihr aus ihnen entgegenschlug, ließ Dorina unwillkürlich einen Schritt zurückweichen.
»Sie sind die neue Erzieherin, nicht wahr?« Jeder Spott war nun aus der dunklen, etwas rauchigen Stimme gewichen, von der eine Faszination ausging, der man sich nur schwer entziehen konnte. Eine weiche gepflegte Hand streckte sich Dorina entgegen, die sie etwas zögernd nahm.
»Ich bin Judith Stuart. Ich heiße Sie willkommen auf White Castle.« Ein prüfender Blick, dem Dorina schon wiederholt begegnet war, seitdem sie hier angekommen war, traf sie aus den glimmenden schwarzen Augen, die voll heimlicher Unruhe zu sein schienen.
»Verzeihen Sie, aber ich fürchte, Sie sind etwas zu jung für die Aufgabe, die Sie hier erwartet«, sagte sie jetzt sehr nachdenklich.
»Ich werde in ein paar Wochen einundzwanzig, Miss Stuart«, gab Dorina schnell zurück. »Ich glaube bestimmt, mit meinen Pflichten zu Ihrer Zufriedenheit fertig zu werden.«
Sie wußte selbst nicht, warum ihr so viel daran lag, die Stelle hier zu behalten. Aber der Gedanke, reumütig nach Hause zurückzufahren, zugeben zu müssen, daß sie es sich leichter vorgestellt hatte, auf eigenen Füßen zu stehen, das war ihr einfach unerträglich.
Unwillkürlich preßte sie die Hände zusammen und zwang ihre Stimme zur Ruhe.
»Mir war nicht bekannt, daß ein bestimmtes Alter erwartet wurde. Mit keinem Wort wurde es in dem Brief, den Mr. Stuart an mich schrieb, erwähnt. Es wurde lediglich eine Erzieherin für ein kleines Mädchen gesucht. Dieser Aufgabe fühle ich mich gewachsen.«
Sekundenlang zuckte es unterdrückt in den pechschwarzen Augen der schönen Frau auf, dann teilte ein anziehendes Lächeln den vollen Mund und ließ die schneeweißen Zähne sichtbar werden.
Dieses zauberhafte Lächeln veränderte das eben noch so unruhige leidenschaftliche Gesicht auf eine seltsame Weise. Ließ es um Jahre jünger und anziehender scheinen.
»Sie gefallen mir, Miss Lohhausen, oder darf ich Sie bei Ihrem Vornamen nennen? Das Miss klingt so steif.«
Zustimmend neigte Dorina den blonden Kopf.