Das Grauen schleicht durch München: Phenomena 6 - Klaus Frank - E-Book

Das Grauen schleicht durch München: Phenomena 6 E-Book

Klaus Frank

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Beschreibung

Phenomena 6 von Klaus Frank Der Umfang dieses Buchs entspricht 108 Taschenbuchseiten. Ein fehlgeschlagener Raub in einer Tankstelle, die Angestellte liegt im Koma. Ab diesem Zeitpunkt beginnt eine unheimliche Mordserie, die mit dem Selbstmord eines der Räuber beginnt. Doch die Leiche verschwindet auf geheimnisvolle Weise, und plötzlich ist niemand mehr seines Lebens sicher.

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Seitenzahl: 114

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Klaus Frank

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Inhaltsverzeichnis

Das Grauen schleicht durch München: Phenomena 6

Copyright

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Das Grauen schleicht durch München: Phenomena 6

Phenomena 6

von Klaus Frank

Der Umfang dieses Buchs entspricht 108 Taschenbuchseiten.

Ein fehlgeschlagener Raub in einer Tankstelle, die Angestellte liegt im Koma. Ab diesem Zeitpunkt beginnt eine unheimliche Mordserie, die mit dem Selbstmord eines der Räuber beginnt. Doch die Leiche verschwindet auf geheimnisvolle Weise, und plötzlich ist niemand mehr seines Lebens sicher.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author /COVER STEVE MAYER

© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Alles rund um Belletristik!

1

Kevin Bassmann fühlte sich unwohl. Der kalte Schweiß, der auf seiner Stirn perlte, und das in explosiven Schüben auftretende Ziehen in seinen Eingeweiden waren unleugbar das Ergebnis der Situation, in der er sich befand. Weit fort wünschte er sich, wie immer, wenn er sich mit einem Durcheinander konfrontiert sah, das er nicht überblicken konnte. Er fragte sich, wie es überhaupt so weit hatte kommen können. Warum nur hatte er sich darauf eingelassen, warum nicht protestiert, als seine Freunde vorschlugen, die Tankstelle zu überfallen? Natürlich kannte er die Antwort. Er war ein Mitläufer, so würde er sich selber charakterisieren, allerdings war er es aus Eigennutz, denn er wusste, Vitali und Georg duldeten ihn nur deswegen in ihrer Nähe. Wenn einer von ihnen einen Vorschlag machte, gab es von seiner Seite nie einen Widerspruch sondern stattdessen Zustimmung, manchmal aufrichtige, meist geheuchelte.

Sie taten ihm nicht gut, auch das wusste er. Doch nun war es zu spät für Bedauern. Er war mitgegangen, und nun hatte er Angst; eine mürbemachende, ihm die Sinne verdrehende Scheißangst.

Adrenalin summte in seinem Körper, in seinen Fingern, die sich unentwegt schlossen und öffneten, genauso wie in seinem schmerzenden Schädel.

Er konnte nicht erkennen, ob seine Freunde Ähnliches empfanden, sie wirkten gefasst und überlegen, als wäre die Situation nachgerade ein Genuss für sie. Georg Lannertz hatte ein Grinsen auf den Lippen, das er vermutlich stundenlang vor dem Spiegel erprobt hatte. Sein rechter Mundwinkel hing ein wenig höher als der auf der anderen Seite. Das wirkte in Kevins Augen so, als sei sein Freund ein schwachsinniger Idiot, aber er war nicht derjenige, der Lannertz damit aufziehen konnte.

Vitali hingegen blickte finster drein wie eine fleischgewordene Drohung. Sein kantiges Gesicht und die dunklen, fast schwarzen Augen gaben ihm im kalten Licht der Neonröhren ein fast dämonisches Aussehen. Die schattenlose Helligkeit ließ ihn bedeutend älter aussehen, als er war. Vor einigen Wochen hatten sie auf seinen dreißigsten Geburtstag angestoßen.

Mit weit geöffneten Augen blickte Bassmann auf die Schusswaffe in Vitalis Hand, die nicht um ein Jota zitterte. Er hielt sie auf eine junge Frau gerichtet, die so hübsch war, dass ihre Angst unglaublich anziehend wirkte. Sie mochte eine Südamerikanerin sein, vielleicht stammte sie aus Brasilien, war höchstens Mitte zwanzig, wahrscheinlich jünger. Eine Studentin, schätzte Kevin Bassmann, die in den Abendstunden in der Tankstelle arbeitete.

Plötzlich fuhr ein Auto in die Auffahrt zur Tankstelle.

»Verdammt!«, flüsterte Lannertz. Verwunderung schwang in seiner Stimme mit, als sei die Möglichkeit, dass ein Kunde kam, überhaupt nicht in seinem Kopf vorhanden gewesen.

Gebannt schauten sie durch das große Panoramafenster. Doch der Wagen fuhr nicht bis zu den Zapfsäulen vor. Das Blinklicht wurde eingeschaltet, dann rollte das Auto wieder auf die Straße und fuhr in die Gegenrichtung davon.

Vitali und Georg stießen ein Lachen aus.

»Schwein gehabt!«, meinte Lannertz und schlug seinem Freund auf die Schulter.

»Den hätte ich umgelegt«, rief Vitali fröhlich. Als er sich halb umwandte, zeigte das Mündungsloch plötzlich auf Kevin, der starr vor Angst in die tiefe Schwärze blickte. In der Sekunde, in der er es dort aufblitzen sähe, wäre er bereits bei den Engeln. Er spürte ein Kribbeln in seinem Schritt, als erfreue ihn diese Aussicht.

Doch dann wandte Vitali sich wieder um. Mit wütendem Blick musterte er die Frau.

»Ich sag es nicht noch mal«, sagte er mit seiner harten, osteuropäisch klingenden Stimme. »Geld und Kippen her.« Er wedelte mit der Hand, in welcher die Pistole beinah winzig wirkte. »Steck alles in den Rucksack!«

»Bitte …«, jammerte die Frau. Ihr Gesicht war nass vor Tränen, und Kevin wettete, dass dies ihr letzter Arbeitstag an dieser Tankstelle war. Wir haben sie gebrochen, dachte er. Ihr Gesicht war verzerrt, wilde Angst zerknautschte es auf eigentümlich reizende Weise.

»Red nicht!«, herrschte Vitali sie an, der Schulter an Schulter mit Georg Lannertz stand, als wären sie siamesische Zwillinge. Sein Gesicht drückte nichts als Freudlosigkeit aus, als wäre er in der Hölle geboren. Seine Augen sagten, dass er den Abzug betätigen würde, falls es notwendig sein sollte. Er war, wie Bassmann wusste, als kleines Kind mit seiner Mutter aus Russland nach Deutschland gekommen. Seinen Vater hatte er nie erwähnt. Vom ersten Tag ihrer brüchigen Freundschaft hatte er sich in der Hierarchie ganz oben angesiedelt, als sei dies eine Selbstverständlichkeit. Lannertz war sein Stellvertreter, während Bassmann das meinungslose Fußvolk darstellte. Lannertz hatte Kevin vor Jahren den Namen Smutje verpasst. Er nahm es hin, wusste er insgeheim doch, dass Smutjes eine große Verantwortung trugen und nicht selten als wichtige Personen an Bord angesehen wurden, denn ohne eine vernünftige Verpflegung taugte die beste Mannschaft nichts. Ihm war klar, dass Lannertz ein anderes Bild vor Augen hatte, nämlich das des schmuddeligen, ungewaschenen Kochs, der aus Würmern, verschimmelten Kartoffeln und brackigem Wasser eine Mahlzeit zauberte. So sahen sie ihn: als das lausige Opfer, das noch Dankbarkeit empfinden sollte für die Herumschubserei.

Eine träge Fliege summte über ihren Köpfen, angelockt vom schweren Duft ihres Schweißes. Vitali fuchtelte mit seiner Waffenhand nach ihr, und für einen Augenblick sah es aus, als wolle er auf das Insekt schießen.

Erneut schluchzte das Mädchen, und Bassmann blickte sie an; für eine Sekunde gab es einen Blickkontakt zwischen ihnen, doch offenbar gefiel ihr nicht, was sie in seinem Gesicht sah, denn sie schlug sofort ihre Augen nieder. Kevin runzelte die Stirn. Sie musste doch erkennen, dass nicht er der Bösewicht war, sondern die beiden anderen. Schau zu mir, Kleine, dachte und beschwor er, doch die Botschaft gelangte nicht zu ihr.

Stattdessen wandte Vitali Borger seinen Quadratschädel, und sein Blick hing schmerzhaft an Bassmann. Fünf, zehn endlose Sekunden musterte sein Freund ihn, dann blickte er wieder nach vorn, und Kevin atmete erleichtert auf. Sein Respekt vor Borger löste sich langsam auf und wandelte sich um in Angst, die sich mit der Gründlichkeit einer Raupe durch seine Eingeweide fraß.

Er traf eine Entscheidung für sein Leben: Er musste die Freundschaft zu den beiden beenden. Diese Sache hier noch überstehen und dann eigene Wege gehen.

Im Hintergrund lief leise ein Radio. Der Moderator sprach, euphorisiert von sich selber, bereits vom kommenden Wochenende, dann kündigte er den nächsten Song an: einen Klassiker der Beach Boys.

Die junge Frau entnahm der Kasse einige Geldscheine und warf sie in den Rucksack, der Lannertz gehörte.

Wie viel Geld mochte in einer Tankstelle, in der sie seit fünfzehn Minuten die einzigen Anwesenden waren, wohl zu rauben sein, überlegte Kevin. Was für eine Scheißidee! Er spürte, dass der heutige Tag ein Wendepunkt in seinem Leben darstellen konnte, sicher nicht zum Besseren.

Er sah große Schweißflecken unter den Armen des Mädchens. Ihr Adamsapfel hüpfte auf und ab, als habe sie eine Kröte verschluckt. Sie langte nun nach den Zigaretten, die eine farbenflirrende Wand bildeten, doch Vitalis Stimme unterbrach sie: »Vergiss die Münzen nicht. Wir wollen auch das beschissene Kleingeld!«

Erneut öffnete sie die Kasse und holte die klimpernden Münzen heraus und beförderte sie ebenfalls in den Rucksack. Sie trug ein Namensschild an ihrer Kleidung, aber Kevin konnte es nicht entziffern. Er war sicher, dass dort ein exotischer Name stand, und er nahm sich vor, beim Hinausgehen nah genug an ihr vorbeizugehen, sodass er das Schild lesen konnte. Sie hatte dunkles, lockiges Haar, das ihren Kopf auf ganz reizende und chaotische Weise krönte. Unvermittelt dachte Kevin darüber nach, wie es wäre, eine solche Frau neben sich im Bett zu haben, ihr Haar zu riechen, ihre mokkafarbene Haut zu streicheln.

Dann krochen seine Gedanken hin zu Claudia, seiner Lebensgefährtin, und die Vorstellung zersprang in tausend sinnlose Stücke.

Es war ein regendurchtränkter, windiger Abend, kurz nach 21 Uhr, der Feierabendverkehr spielte keine Rolle mehr, aber dennoch konnte jederzeit ein Autofahrer hier halten.

Und dann?, überlegte Kevin, was sollen wir dann tun? Ihn erschießen, und die Frau dann auch? Gab es hier nicht auch Kameras? Waren nicht alle Tankstellen damit ausgerüstet? Er blickte sich um, konnte jedoch keine Kamera erkennen. Er zog die Kapuze seiner Jacke tiefer ins Gesicht.

Er hatte Durst, seine Zunge lag wie der Kadaver eines ans Ufer gespülten Fischs in seinem Mund, sie fühlte sich taub an und viel größer als sonst. Gerne hätte er nun etwas getrunken, doch er wagte es nicht, sich eine Dose Cola aus dem Kühlregal einige Meter von ihm entfernt zu holen. Das wäre falsch gewesen. Es wäre ein perfider Akt gewesen, genauso wie im Stehen zu pinkeln oder auf einer Beerdigung zu lachen.

Das heißhungrige Klicken in Borgers Hand schreckte ihn auf, dann folgte der Schuss, der jeden anderen Laut übertönte, nur den hellen, spitzen Schrei der Frau nicht. Niemals zuvor hatte Kevin mehr Schmerz und Qual in einem einzigen Schrei vernommen. Er war sicher, Vitali habe einen Warnschuss ins Nichts abgegeben, um sie zu mehr Schnelligkeit anzuregen, doch dann sah er das Blut, das aus ihrem Körper herausspritzte und die Kasse und die Verkaufstheke scharlachrot färbte. Auch ihr Gesicht wurde mit ihrem Blut getränkt; ihre Augen blähten sich auf wie weiße Ballons.

Die Frau stürzte, dabei riss sie einige Gegenstände mit, die auf der Verkaufstheke standen. Ein Wust aus Feuerzeugen, Kugelschreibern, Süßigkeiten und Zeitungen folgten ihr. Das helle Klirren zu Bruch gegangenen Glases erfüllte den Raum.

»Scheiße!«, schrie Georg, den viele seiner Freunde nur Schorsch nannten. »Scheiße, Scheiße, Scheiße!«

Vitali blickte auf seine Pistole, als sei der Schuss ihre eigene Entscheidung gewesen. Mit einem dümmlichen Grinsen blickte er Kevin an und zuckte mit den Schultern. Geräuschvoll zog er die Nase hoch. »Hab gesehen, dass die irgendwo ‘rumgefummelt hat. Sicher ist da ein Notrufknopf. Die wollte uns reinlegen. Nicht mit uns, was? Mann, nicht mit uns, sag ich dir!«

»Nichts wie weg!«, rief Lannertz. »Wenn jemand kommt, sind wir am Ende. Wir müssen weg.«

»Aber wir müssen …«, sagte Kevin und deutete auf die Theke. Seine Stimme klang heiser und verschreckt. Panik zog ihm den Mund zusammen, als habe er bitteren Saft getrunken. Es erschreckte ihn zutiefst, dass die Frau keinen Laut von sich gab. Sie konnte doch nicht tot sein, das war doch nicht möglich, doch dann sah er wieder das Blut vor sich, und er wusste, dass der Schuss durchaus tödlich gewesen sein konnte. Wieder machten sich seine Eingeweide bemerkbar, in seinen Därmen rasselte und rumorte es wie in einem alten Abflussrohr. Plötzlich drehte sich ihm alles vor Augen.

»Abhauen müssen wir!«, schrie Lannertz, direkt an Kevin gewandt. Er verpasste ihm einen heftigen Stoß gegen die Brust. »Kapierst du das denn nicht? Wir sind im Eimer, wenn wir erwischt werden. Komm endlich, Schwachkopf!«

Bassmann wandte sich so heftig um, dass er strauchelte und beinah in das Regal mit den Kartoffelchips gestürzt wäre. Nur mit Mühe hielt er sich auf den Beinen und folgte Lannertz.

Borger wartete bereits an der Tür. Dunkel ruhte sein Blick auf Kevin, wie eine Warnung.

Wie Phantome verließen sie die Tankstelle im Münchner Stadtteil Riemerling, die wie ein hellerleuchtetes Fanal den finsteren Abend beleuchtete.

2

Zwei Tage später entdeckte Kevin Bassmann den Artikel im Lokalteil der Bild-Zeitung. Die Frau war nicht tot, doch ihm schien, als sei ihr Schicksal wesentlich schlimmer. Sie lag im Koma, darüber hinaus würde sie vermutlich, wie es in dem kurzen und neutral verfassten Artikel zu lesen war, gelähmt bleiben. So weit hätte es nicht kommen müssen, wie ein Polizeisprecher zitiert wurde, wenn rechtzeitig Maßnahmen eingeleitet worden wären. Die Frau hieß Jandira Sousa und stammte, genau wie Kevin vermutet hatte, aus Brasilien. Im letzten Absatz stießen Kevins Augen, die von Zeile zu Zeile hasteten, auf die Information, vor der er sich am meisten gefürchtet hatte. Wieder wurde der Polizeisprecher zitiert: Die Täter waren von den Kameras erfasst worden. Man sei zuversichtlich, in Kürze die ersten Erfolge vermelden zu können.

Bassmann sank in sich zusammen. Für mehrere Minuten war er unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. In seinem Kopf herrschte völlige Stille, nur zwischen seinen Ohren hörte er ein wasserfallartiges Rauschen.

Irgendwann zuckte er zusammen, weil er in seiner gekrümmten Haltung Schmerzen im Rücken bekam.

Vitali hatte sie ins Unheil gestürzt. Er und nur er war Schuld an dieser Misere. Er hatte nicht nur die Frau – Kevin schaute in die Zeitung, um sich den Namen wieder in Erinnerung zu rufen: Jandira – erledigt, sondern auch ihn und Georg.

Ein vager Plan an Flucht schoss ihm durch den Kopf, doch er verabschiedete sich sofort wieder von ihm. Wohin sollte er fliehen? Er hatte kaum Geld und besaß nicht genügend Fantasie, sich welches zu besorgen. Sich stellen und seine Freunde verraten? Dadurch bekäme er gewiss eine ermäßigte Strafe. Dennoch bliebe ihm eine Gefängnisstrafe vermutlich nicht erspart. Er wollte nicht in den Knast, auf gar keinen Fall! Draußen war es schlimm, doch dort musste es noch viel schlimmer sein. Er schloss die Augen und sah im Geiste Sträflinge, die einen Neuankömmling wie ihn bei der erstbesten Gelegenheit vergewaltigten. Sie würden sich an seinen Schreien ergötzen, seine Bettelei zum Anlass nehmen, ihn nochmals zu nehmen. Und die Wärter? Die würden grinsend danebenstehen und Wetten abschließen, wann er zusammenbrach.

Niemals!, schwor er sich, niemals gehe ich in den Knast. Eher bring ich mich um.

Eher bring ich mich um. Die Konsequenz des Schwurs hallte in ihm nach. Ihm wurde klar, dass sein Leben, wenn er ihn einlöste, in Tagen oder schon in Stunden vorüber sein könnte.

Er dachte an Claudia, die im Moment in Nürnberg weilte, weil es in ihrer Familie einen Trauerfall gab. Morgen schon wollte sie zurückkehren. Kevin hoffte, dass sie zuerst in ihre Wohnung ging und über das Wochenende auch dort verweilte. Sie kannten sich seit über fünf Jahren. Streits kamen häufiger vor als Bekundungen ihrer Liebe. Claudia Geretz war acht Jahre älter als Bassmann, jedoch immer noch auf der Suche; nach sich selbst, nach einem Mann, dem sie vertrauen konnte. Sie war, dachte er, mindestens so verloren wie er. Er hatte nur dann das Gefühl, sie zu brauchen, wenn sie abwesend war, und sie empfand umgekehrt vermutlich ganz genauso.