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Am 27. August 1843 um vier Uhr nachmittags besteigt Franz Grillparzer in Wien ein Dampfschiff, um sich auf die letzte große Reise seines Lebens zu begeben. Es ist ein Sonntag, doch feierlich ist ihm nicht zumute, von Aufbruchstimmung keine Spur. Aber die Reise soll ja auch dazu dienen, ihn "mit Gewalt" von seiner brütenden Lethargie zu befreien, also macht er sich auf den Weg: die Donau hinunter über Budapest und Belgrad ans Schwarze Meer und in die Hauptstadt des Osmanischen Reichs, von dort durch die Dardanellen über die Kykladen nach Athen. Konstantinopel, Troja, Smyrna, Parnass und Delphi, der Klang dieser Namen lässt ihn "das Großartige" erwarten, doch die Unbill folgt ihm von Anfang an auf dem Fuß: Durchfall, Seekrankheit, Regen, üble Kost, miese Quartiere, schlechte Straßen, lästige Reisegefährten, unverschämte Preise, Herbststürme, Langeweile, Quarantänebestimmungen … und kaum ist all das durchlitten, tobt in Athen die Revolution, und Grillparzer muss fürchten, für einen Bayern gehalten zu werden!
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Seitenzahl: 85
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© 2023 Jung und Jung, Salzburg
Alle Rechte, einschließlich der Vervielfältigung, Veröffentlichung, Bearbeitung und Übersetzung, bleiben vorbehalten
Josef Matthias Aigner: Franz Grillparzer, 1845
Umschlaggestaltung: BoutiqueBrutal.com
ISBN 978-3-99027-302-9
FRANZ GRILLPARZER
Tagebuch auf der Reise nach Griechenland
Das habe ich mir anders vorgestellt
Anmerkungen
27. August 1843. Abreise mit dem Dampfschiffe um vier Uhr nachmittags. Die Fröhlichs kamen ans Ufer hinaus. Katty weinte sehr und war ganz außer sich über die gefahrvolle Reise. Ich suchte ihr zu beweisen, wie widersinnig diese Furcht sei, indes ich mir heimlich gestand, daß meine Reise noch viel widersinniger sei als diese Furcht. Mein vorausgesetzter Reisegefährte hat mich nämlich ohne Zweifel angesetzt. Indes er mir schrieb, mich bis 10. September in Konstantinopel zu erwarten, erhalte ich nun keine Nachricht von ihm, indes einige sagen, er werde erst bis Ende November von Trapezunt in den Bosporus zurückkehren; andere, er sei bestimmt, in Semlin an der Seite des Kommandierenden zu amtieren; beim Einschiffen endlich sagte mir der gute jüngere Schlechta, man erwarte ihn alle Tage in Wien zurück. Klar also ist, ich muß auf seine Begleitung Verzicht leisten, und die lange beschwerliche Reise in meinem vorgerückten Alter mit meiner gebrechlichen Gesundheit so ganz allein, so als Student zu machen, grenzt wirklich an den Unsinn. Indes hatte ich sie beschlossen, und da meine hypochondrische Unentschlossenheit eben eines der Hauptübel ist, zu deren Heilung ich das Gewaltmittel anzuwenden beschloß, so konnte ich doch mir selbst gegenüber den gefaßten und durch alle Vorbereitungen durchgeführten Plan unmöglich aufgeben, und die Abreise erfolgte.
Meine Laune ist schwer zu beschreiben. Mir war zumut wie einem, der zuerst nicht aufs Wasser, sondern ins Wasser geht. Aber gerade darum sollte ausgehalten werden. Der gute Schlechta, der entfernteste meiner Bekannten, war eigens an den Abfahrtsplatz gekommen, um mich dem Kapitän, den er kennt, zu empfehlen. Sonst von Freunden oder Teilnehmenden keine Spur. Die Fröhlichs, versteht sich, ausgenommen. Die Wasserfahrt langweilig. Erst zwischen Petronell und Haimburg wird die Gegend angenehm. Letzteres liegt wunderschön. Ebenso Presburg, wo wir um halb sieben Uhr anlangten. Des Landtages wegen in den Wirtshäusern nirgends Platz. Muß mich endlich entschließen, im »Roten Ochsen« mit einer Art Gaststube vorlieb zu nehmen, in der man in aller Eile eine Art Bette, nicht länger als einer meiner Arme, aufschlägt. Unendlich verstimmt. Konnte mich durchaus nicht besinnen, was denn eigentlich mein Zweck bei dieser Reise sei. Ging ein wenig durch die Stadt, traf den Kapitän des Dampfschiffes, mit dem ich auf dem öffentlichen Spaziergange herumschlenderte. Endlich müde nach Hause. Traf an der Wirtstafel ein paar Offiziere, die mich kannten, aber ich sie nicht. Schwatzten ganz angenehm. Frühzeitig zu Bette in meiner Gaststube. Als ich erwachte, schlug die Uhr zwei Viertel. Eine Weile darauf rief der Nachtwächter die Stunde aus. Es war zwei Uhr nach Mitternacht. Das Bett war zu kurz und die Decke so schwer, daß ich wie ein Verdammter schwitzte. Gegen Morgen schlief ich doch noch auf ein Stündchen ein und war um fünf Uhr schon auf den Beinen. Bekomme endlich doch das Zimmer eines um sechs Uhr Abgereisten und sitze nun hier etwas getröstet und der Dinge harrend, die da kommen werden.
Ich will heute einer Landtagssitzung beiwohnen, was der eigentliche Grund ist, warum ich in diesem Neste nur eine Minute über die Notwendigkeit auszuhalten mich veranlaßt finde. Deus providebit.
28. War in der Sitzung. Der Saal ist bloß geweißt, die Draperien, mit Ausnahme der Damengalerie, ärmlich. Das Präsidium sitzt statt im Fond des Saales auf der linken Seite desselben, durch eine Schranke gesondert. Die Mitte ist, durchaus eben, mit Bänken angefüllt, wo die Deputierten, in zwei Hälften geteilt, sich mit den Gesichtern zugekehrt, einander gegenübersitzen. Dagegen sehen die Abgeordneten selbst gescheit und distinguiert aus. Man sprach ohne Stottern, wobei die meisten jedoch einen geschriebenen Entwurf in der Hand hielten. Der Ton war gesteigert, aber anständig. Längere Reden kamen nicht vor. Es galt die alleinseligmachende Kraft der ungarischen Sprache. Später sollte der Kriminalkodex an die Reihe kommen. Ich ging jedoch um elf Uhr, wegen Unkunde der Sprache und daher des Gesprochenen ermüdet. Im Jahre 1836 hatte ich in Stuttgart einer württembergischen Kammer beigewohnt; sie stand, was die Form betrifft, sehr im Nachteil gegen diese ungarische. Hier sprach jedermann besser als dort unser mit Recht gepriesener Dichter Uhland.
Darauf durch die Stadt geschlendert. Sie ist doch hübscher und städtischer, als es im ersten Augenblicke scheint. Unter den Frauenzimmern mitunter auffallend hübsche. In die St. Martins-Domkirche eingetreten, die von außen recht gut aussieht, inwendig aber nicht viel bedeuten will. Das Abbild des Heiligen auf dem Hochaltar, er scheint aus Erz gegossen und kam meinem schlechten Auge aus der Ferne nicht übel vor. Irre ich nicht, so ist er in ungarischer, halb moderner Kleidung, was sonderbar genug wäre.
Für Nachmittag hatte ich mit einem Beamten der ungarischen Hofkanzlei, den ich in der Ständesitzung fand, Verabredung zu einem Spaziergang genommen. Wir verfehlten uns übrigens, und so stieg ich denn allein eine Anhöhe hinauf, die, wie es sich fand, der Schloßberg war. Die Aussicht von der Ruine herab ist wunderschön. Es war übrigens unleidlich heiß, und so legte ich mich im Schatten der Mauern nieder und dachte – nicht viel. Von da auf einem für die Ziegen gebahnten Weg über den berüchtigten Zuckmantel zur Schiffbrücke. An einladenden Gestalten und Mienen fehlt es da nicht. Im allgemeinen ist der Weiberschlag, das Blut in Wien vielleicht hübscher; auffallend schöne Züge aber, deucht mich, gibt es hier mehr. Über die Schiffbrücke in die sogenannte Aue. Ein entzückend schöner Spazierort. Ich erinnere mich kaum, in der Nähe irgendeiner Stadt dergleichen gesehen zu haben. Auffallend die allgemeine Eleganz. Vielleicht nur während des Landtages. Abends aus Müdigkeit in die Arena, um sitzen zu können. Das Theater war, als ob es Tieck angegeben hätte, die immer sich gleichbleibende Dekoration, der Wald nämlich; daß bei Tage gespielt wurde, wenn die Schauspieler auch, wegen supponierten Dunkels, sich wechselseitig nicht erkannten. Leider nur wurden die Frauenzimmerrollen nicht von Männern gespielt, sonst hätte man sich in Shakespeares Zeiten versetzt geglaubt. Ich kann aber nicht sagen, daß die Vorstellung durch diese romantisch-klassische Einrichtung gewonnen hätte. Gespielt wurde übrigens ganz gut. Besonders war der Komiker vorzüglich zu nennen. Der männliche Teil des Publikums rauchte beinahe durchgehends. Übrigens gefällt mir Presburg. Selbst in Wien wird die Gefälligkeit gegen wegunkundige Fremde nicht weiter getrieben.
29. Der heutige Tag so ziemlich verloren. Warum, mag ich nicht beschreiben, da Gutmütigkeit und Gefälligkeit immer dankenswert ist, wenn sie sich auch in der Ausführung vergreifen. Noch einmal in der Landtagssitzung gewesen, die noch weniger Interesse darbot als das erste Mal. Was die Ungarn wollen, wäre kaum zu tadeln, wenn sie ein Volk von dreißig Millionen ausmachten; unter den wirklichen Verhältnissen ist der größte Teil ihrer Anstrebungen lächerlich. Haydns »Schöpfung« als Quartett arrangiert. Nachmittags in der Aue und abends in der Arena. Randhartinger aus Wien angetroffen.
30. Abreise von Presburg um acht Uhr morgens. Eine schöne Ungarin, die mit mir zugleich von Wien gekommen, wieder an Bord, diesmal aber gut gekleidet und sehr zurückgezogen. Zwei Komtessen, von denen die jüngere bildhübsch, aber mit häßlich plumpen Füßen. Anfangs taten sie höchst zimperlich und vornehm, nach Tisch aber lümmelten sie auf allen Bänken herum. Ein Engländer, der in Fiume etabliert ist und gut deutsch spricht, sonst auch ein angenehmer und gescheiter Mensch. Ein einäugiger Berliner, wohl gar Jude, ohne jedoch die doppelte Berechtigung, unangenehm zu sein, zu benützen.
Die Ufer außer Presburg zwischen den beiden Inseln Schütt höchst einförmig und langweilig. Die Festung Komorn ist wohl fester, als sie aussieht. Hier hört die Insel Schütt auf. Das Dorf Nesmühl liegt schon recht hübsch. Nun wird’s immer besser. Gran mit seinem im Bau begriffenen Riesendom, dessen Lage ich mir übrigens imposanter gedacht habe. Der Hügel, auf dem er liegt, ist nicht hoch, und das Ganze wird etwas Gartenterrassenartiges bekommen. Daß der ursprüngliche Plan durch neue Zutaten, in den Säulen nämlich, verpfuscht worden ist, habe ich schon an dem Modell in Presburg gesehen. Bald darauf scheint die Donau das Ziel ihres Laufes erreicht zu haben, aber mit einer gewaltsamen Wendung nach links bricht sie sich den Weg durch die Berge. Die Gegend bezaubernd. Wissegrad, Waitzen. Man begreift die hochstrebenden Ideen der Ungarn, wenn man ihr Land sieht. Ich habe mich ein wenig mit ihren Superlativen ausgesöhnt. Die Sonne geht unter und entzündet Wasser und Luft. Der junge Mond macht sich geltend. Der Berliner fand den Eindruck poetisch, und er hatte recht. Es lag ein unbeschreiblicher Zauber über der Gegend. Nach und nach wird es düster, endlich dunkel. Man muß zu den Mänteln seine Zuflucht nehmen. Es ist schon Nacht, als Reihen von Lichtern zu beiden Seiten des Flusses die Schwesterstädte Pesth und Ofen ankündigen. In der Nacht, wo alle Kühe schwarz sind, hat der Eindruck etwas Ähnliches mit der Reede von Neapel. Böllerschüsse, Ankunft. Der jüngere Sztankovics erwartet mich am Landungsplatze und führt mich ins Gasthaus zur Königin von England, wo meine zwei Reisegefährten schon Platz gefunden hatten.
NB. Der Kapitän, ein prächtiger Venezianer, der aussah wie ein Lämmergeier mit einem Kinnbarte, hatte sich auf der Reise zu mir gesetzt und mich mit vieler Achtung als einen musikalischen Kompositeur angeredet. Auch die schöne Gräfin schien einige Ahnung von meinen durch das Gesicht nicht wahrnehmbaren Eigenschaften zu haben.
31. Gut geschlafen, aber mit einer unangenehmen Empfindung im Magen aufgewacht mit Hinneigung zum Durchfall. Ich habe die letzten Tage sehr mäßig gelebt, aber die ungeheure Hitze und der ungewohnte ungarische Wein mögen Schuld tragen. Mit Sztankovics Pesth besehen. Eine plattierte Stadt. Gegen die Donau zu in die Augen fallende Häuserfronten, die den alten Winkelkram maskieren. Herrlich dagegen der Anblick von Ofen. Man muß übrigens beide noch näher betrachten. Die ganze Gentry muß übrigens während des Landtages in Presburg sein, denn in den Straßen trieb sich nur Gesindel herum. Keine Equipagen, wenig Fiaker. Die Unpäßlichkeit nimmt zu. Trockne Zunge. Durchfall. Setze mich ins Theater, um zu sitzen. Das Haus sehr groß und die Bühne ungeheuer. Der Schauplatz höhlen- und laubenartig zerklüftet, auch mit einer trüben Farbe bepinselt, was einen fatalen Eindruck macht und den Raum scheinbar verkleinert. Gespielt wie in Hietzing oder Baden. Der Direktor Frank ist abgetreten. Wer nicht hören will, muß fühlen. Mich dauert er.