Das Herz der Lady - Rexanne Becnel - E-Book
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Das Herz der Lady E-Book

Rexanne Becnel

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Beschreibung

Ist sie seine Rettung – oder sein Verhängnis? Der historische Liebesroman »Das Herz der Lady« von Rexane Becnel jetzt als eBook bei venusbooks. England, 1156. Er ist unschuldig zum Tode verurteilt worden – und der sonst so unerschrockene Schwertkämpfer Blacksword ahnt, dass es diesmal keinen Fluchtweg für ihn gibt. Doch dann tritt eine betörend schöne Frau nach vorne: Sie bietet ihm die Gnade einer Galgenhochzeit an, durch die er sein Leben retten kann. Zu seinem Erstaunen stellt er fest, dass die junge Lady eine Adlige von hohem Stand ist, die seines Schutzes bedarf. Nun muss Blacksword entscheiden, was ihm wichtiger ist: Soll er Rache an den Feinden üben, die ihn zu Unrecht angeklagt haben – oder soll er Lady Rosalynde zur Seite stehen, und dabei sein Leben und sein Herz riskieren? Jetzt als eBook kaufen und genießen: der historische Liebesroman »Das Herz der Lady« von Rexane Becnel. Lesen ist sexy: venusbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 648

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Über dieses Buch:

England, 1156. Er ist unschuldig zum Tode verurteilt worden – und der sonst so unerschrockene Schwertkämpfer Blacksword ahnt, dass es diesmal keinen Fluchtweg für ihn gibt. Doch dann tritt eine betörend schöne Frau nach vorne: Sie bietet ihm die Gnade einer Galgenhochzeit an, durch die er sein Leben retten kann. Zu seinem Erstaunen stellt er fest, dass die junge Lady eine Adlige von hohem Stand ist, die seines Schutzes bedarf. Nun muss Blacksword entscheiden, was ihm wichtiger ist: Soll er Rache an den Feinden üben, die ihn zu Unrecht angeklagt haben – oder soll er Lady Rosalynde zur Seite stehen, und dabei sein Leben und sein Herz riskieren?

Über die Autorin:

Rexanne Becnel ist gefeierte Autorin zahlreicher historischer Liebesromane. Während mehrerer Aufenthalte in Deutschland und England in ihrer Jugend begeisterte sie sich so sehr für mittelalterliche Geschichte, dass sie Architektur studierte und sich für den Denkmalschutz mittelalterlicher Gebäude einsetzt. In ihren Bestseller-Romanen haucht sie der Geschichte auf ganz andere Art neues Leben ein. Sie lebt glücklich verheiratet in New Orleans.

Bei venusbooks erscheinen von Rexanne Becnel:

»Die Sehnsucht des Lords«

»Das Herz des Lords«

»Das Verlangen des Ritters«

»Der Pirat und die Lady«

»Das wilde Herz des Ritters«

»Ein ungezähmter Gentleman«

»In den Armen des Edelmanns«

»Rosecliff – Der Ritter und die zarte Lady«

»Rosecliff – Der Ritter und die schöne Rächerin«

»Rosecliff – Die Ritter und die stolze Geisel«

Bei venusbooks erscheint außerdem der Sammelband »Gefangen«, der die drei Teile der Rosecliff-Saga in einem eBook vereint.

***

eBook-Neuausgabe April 2021

Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1992 unter dem Originaltitel »The Rose of Blacksword« bei Dell Publishing, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1996 unter dem Titel »Lady Rosalynde« bei Heyne.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1992 by Rexanne Becnel

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1996 Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2021 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von © shutterstock: anetta und © Adobe Stock: Chris

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-96898-126-0

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Besuchen Sie uns im Internet:

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Rexanne Becnel

Das Herz der Lady

Roman

Aus dem Amerikanischen von Christa von Hadeln

venusbooks

In tiefer Zuneigung widme ich dieses Buch all jenen, die so viel zu meiner Karriere als Schriftstellerin beigetragen haben:

SALLY LIVERETT, die meine ersten Schreibversuche mit so viel Anteilnahme und Begeisterung gelesen hat;

PAMELA GRAY AHEARN, mein Agent Extraordinaire, die an mein Talent glaubte, als ich es nicht mehr tat;

TERRY MCGEE, alias Emilia Richards, die mich dazu angehalten hat, Mitglied ihrer Schriftstellerinnen-Gruppe zu werden;

RUTH GOODMAN, auch bekannt unter dem Namen Meagan McKinney, die unsere erste Kritikerrunde ins Leben rief,

BEVERLY WALSDORF, die mir den Job verschaffte, den ich brauchte, um mir das Schreiben leisten zu können;

MARK GROTHE, für den zu arbeiten so wunderbar war, weil er mich immer unterstützte und immer für alles Verständnis hatte;

DEBORAH GONZALES, auch bekannt unter den Namen

Deborah Martin und Debora Nicholas, die so viel mehr für mich ist als nur eine konstruktive Kritikerin meiner Bücher; und schließlich der historischen Abteilung des SOUTHERN LOUISIANA RWA Ortsvereins.

Ich glaube, wenn nur einer von Euch nicht für mich dagewesen wäre, hätte ich das Schreiben schon vor langer Zeit aufgegeben.

»IHR WOLLT NUR DAS EINE VON MIR!« IHRE STIMME ZITTERTE BEI DIESER BESCHULDIGUNG.

»Und das wäre?« Seine Augenbrauen hoben sich bei der spöttischen Frage.

»Meine ... meine ... oh, Ihr wißt es! Ich soll Euch zu Willen sein, Ungeheuer, das Ihr seid!«

»Mir zu Willen?« Er lachte und drückte sie an sich, daß ihr der Atem stockte und ihre Sinne tobten. Er wühlte in ihrem Haar, fand mit seinem Mund ihr Ohr. »Wir wissen beide, daß Ihr mir zu Willen sein müßt, wann immer ich es wünsche«, flüsterte er begierig.

»Oh!« Rosalynde versuchte sich zu befreien. »Laßt mich los, widerlicher Hundesohn!« befahl sie und wollte ihn wegschieben.

»Eure wundervollen Lippen sprechen von Haß. Aber Euer Körper, Rose, erzählt etwas anderes.« Rosalynde wollte den abscheulichen Worten widersprechen, aber sie wußte, daß er die Wahrheit sprach. Ein Schauder durchfuhr sie, als sein Blick sie traf. Dann schloß sie die Augen, unfähig, sich gegen die Wahrheit noch länger zu wehren.

»Meine süße Rose«, flüsterte er und küßte sanft ihre Augenbrauen, ihre Stirn, ihre Wange. »Sagt mir noch einmal, wie sehr Ihr mich haßt ...«

Prolog

1992

Wenn der Wind aus einer ganz bestimmten Richtung weht und die Blüten voll aufgegangen sind, zieht der Duft der Rosen bis hinauf zu den Zinnen von Stanwood Castle. Das widerstandsfähige, harte Gestein der Burgmauern scheint nicht recht zu der romantischen Atmosphäre zu passen, aber gerade in diesem abweisenden, trutzigen Rund der alten Steinquader gedeihen solch Blüten am prächtigsten.

Die Burg ist ein beliebtes Ausflugsziel und für ihre Gärten berühmt, von denen man sagt, daß sie seit der Zeit Heinrichs II. ununterbrochen gepflegt werden. Im Kräutergarten, einst von einem Kastellan angelegt, gedeihen noch heute Schafgarbe, Verbenen, Lungenkraut und Frauenmantel. Die zierlichen Birnbäume, die von fachkundiger Hand kunstvoll am Spalier gezogen wurden, sollen von einer Pflanzung aus der Zeit König Stephans abstammen.

Aber der wahre Ruhm der Burg ist auf die Rosen zurückzuführen. In regelmäßigen Reihen sind einst langstielige Sorten gezogen worden, die sich besonders gut verschneiden und pflegen lassen. Die Stanwoodrosen blühen wild und üppig, klettern an Wänden empor, winden sich unter Gesimsen entlang, kriechen über Freitreppen. Sie wurzeln in schmalen Spalten und blühen an den unwahrscheinlichsten Orten. Sogar im Winter wird man hie und da eine zähe kleine Pflanze entdecken, die ihre Blüten unbeirrbar an einer geschützten Südecke hervorbringt.

Ein Plätzchen im Geviert dieser lieblichen Umgebung jedoch lockt den aufmerksamen Betrachter besonders. Im hinteren Teil des Burghofes umrahmt eine dichte Hecke der Rosa Gallica ein einladendes Rasenstück. Hier wirft ein mächtiger Walnußbaum seinen Schatten auf zwei behauene Steinbänke, während auf der anderen Seite eine alte bronzene Sonnenuhr auf einer schlichten schmalen Säule steht, umgeben von einem dicken Teppich aus Thymian.

Die Jahre haben der Bronze eine dunkle Patina verliehen, hineingebrannt von der Sonne und dem jahrhundertelangen englischen Nieselregen. Die Buchstaben auf der Sonnenuhr aber glänzen wie eh und je, als wären sie gestern erst gegossen worden. Vieler Menschen Hände haben sie nachgezeichnet. Sie erzählen eine Legende, so alt, daß keiner mehr ihren Ursprung kennt, und versprechen all den Jungvermählten, die die Worte entziffern, ein langes und glückliches Leben.

Eine Rose – süß durch die Dornen,Ein Schwert – scharf durch des Schmiedes Feuer,Eine Liebe – heilig durch des Eides Macht.

Kapitel 1

England, Anno Domini 1156

Der dürre Rosenstrauch bestand mehr aus Dornen denn aus Blättern. Nicht eine einzige Knospe trug er und wirkte unendlich verloren in der kahlen Erde. Vielleicht war es wirklich ein abgestorbener Stock, die Mühe nicht wert, die auf ihn verwandt wurde. Aber für Lady Rosalynde war dieser armselige Strauch alles, was sie ihrem kleinen Bruder noch geben konnte.

Bleich und leer war ihr Gesicht, als sie auf dem Erdreich niederkniete. Sie achtete nicht auf den Schmutz, der ihren hellblauen Umhang verunzierte, als sie sich bemühte, ein ausreichend großes und tiefes Loch in die schwere schwarze Erde zu graben, um dann eine reichliche Gabe gut vermoderten Stallmists hineinzufüllen.

Sie fuhr sich mit dem Handrücken über das Gesicht. Er hinterließ einen schwarzen Streifen auf der tränenüberströmten Wange, aber das störte sie nicht. Ein Schluchzer entrang sich ihrer Brust und ein zweiter, als sie den Strauch einsetzte. Sie weinte laut auf, als sie schließlich das Loch wieder mit Erde füllte. Mit erdverkrusteten Händen und schwarzen, eingerissenen Fingernägeln preßte sie das Erdreich um die Wurzeln fest. Dann erst kauerte sie sich nieder und starrte gedankenverloren auf das einsame, kleine Grab mit dem dornigen Rosenbusch und dem frischen Grabstein.

Hinter ihr stand ein junger Page, Cleve. Barhäuptig drehte er verlegen seine Kappe in den Händen und beobachtete seine Herrin. Zögernd wagte er sich schließlich mit einem Eimer voll Wasser, das er vom nahen Brunnen geholt hatte, näher.

»Soll ich ihn jetzt begießen, Milady?« fragte er leise. Rosalynde blickte zu ihm auf. Trotz ihrer tiefen Trauer sah sie doch, daß auch er vom Tod des jungen Giles erschüttert war. Aber er wehrte sich tapfer gegen dieTränen, als sie ihn traurig anlächelte. »Ich möchte es gern selbst tun.«

Er reichte ihr den Eimer ohne Widerrede, aber der besorgte Ausdruck auf dem sonst so frischen und heiteren Gesicht war Rosalynde nicht entgangen. Sie wußte, daß diese Situation für alle um sie herum sehr schwierig war. Man versuchte sie aufzuheitern, weil man nicht wußte, wie man sonst mit ihr umgehen sollte. Der Tod schien den Menschen immer unbequem zu sein. Als sie Lady Gwynne erzählt hatte, daß sie einen Rosenstrauch auf Giles Grab pflanzen wollte, war ihre arme Tante beinahe wieder in Tränen ausgebrochen. Aber sie hatte sich beherrscht, die Lippen fest aufeinandergepreßt und genickt. Auch Cleve hatte ihren Wunsch stillschweigend hingenommen. Aber jetzt, als sie den armseligen dürren Strauch vorsichtig mit Wasser begoß, überkam sie das Gefühl, daß diese Geste ihrem einzigen Bruder gegenüber vollkommen sinnlos war. Der Rosenstrauch änderte nichts. Nichts konnte das Vergangene ungeschehen machen. Sie drückte den leeren Eimer fest an sich. Giles war noch immer tot. Sie hatte ihn an das Fieber verloren, das seinen schwächlichen Körper in drei qualvollen Tagen ausgezehrt hatte. Giles war tot, trotz ihrer verzweifelten Versuche, ihn zu retten. Niemals hatte sie sich verlassener gefühlt. Zuerst ihre Mutter. Dann, aus Gründen der Vernunft, ihr Vater. Und nun auch noch Giles. Obwohl ihre Tante und ihr Onkel immer gut zu ihr gewesen waren, überkam sie jetzt das Gefühl, vollkommen allein auf der Welt zu sein.

Cleve bewegte sich. Unruhig drehte er die zerknautschte Kappe in seinen Händen. Rosalynde fühlte seine Traurigkeit und holte tief Luft.

»Der Strauch wird blühen, wenn seine Zeit kommt«, sagte sie leise zu ihrem eigenen und zu Cleves Trost. »Ich weiß, er sieht recht kümmerlich aus, aber wenn der Sommer vorüber ist ...« Ein letztes Mal schnürten ihr die Tränen die Kehle zu, und sie mußte den Blick von dem einsamen, kleinen Grab abwenden.

»Bitte, Milady, kommt jetzt mit mir. Erlaubt mir, Euch zu Lady Gwynne und Lord Odgen zurückzubringen. Eure Tante ist sehr besorgt und möchte, daß Ihr Euch ausruht.« Zögernd tat er einen Schritt auf die kleine, gebeugte Gestalt zu. »Hier gibt es nichts mehr zu tun. Laßt uns gehen.«

Er wich zurück, als sie ihm ihr bleiches, gequältes Gesicht zuwandte. Ihre Augen leuchteten noch mehr als sonst. Die goldgrüne Iris schimmerte hinter dem Schleier der Tränen.

»Nein, hier gibt es nichts mehr zu tun für mich.« Ihre Stimme war sanft und nachdenklich. Geistesabwesend rieb sie sich den Schmutz von den Händen. Es war, als ob der Gedanke, der sie seit einigen Tagen nicht mehr losgelassen hatte, an Klarheit gewann.

»Ich muß meinen kleinen Bruder jetzt nicht mehr pflegen. Es gibt keinen Grund mehr, noch länger auf Schloß Millwort zu bleiben, oder?« Sie seufzte und blickte auf die Hände. Mit Schrecken erkannte sie plötzlich, was nun zu tun war. »Giles bedarf keiner irdischen Hilfe mehr. Es ist Zeit, daß ich nach Hause zurückkehre.«

»Nach Hause?« Cleve trat auf das trauernde Mädchen zu. »Aber Milady, dies hier ist Euer Zuhause! Ihr braucht doch nicht fortzugehen. Lady Gwynne wäre gewiß untröstlich, Euch zu verlieren. Und außerdem – solange Euer Vater vom Tode des jungen Herrn ...«, er bekreuzigte sich, »noch nichts weiß, und nichts entscheiden kann, dürft ihr nicht an eine Abreise denken. Nein, keinesfalls!« wiederholte er streng.

Rosalynde strich sich eine Strähne ihres dunklen, mahagonifarbenen Haares aus der Stirn. »Und wer soll Lord Stanwood die Nachricht vom Tod seines Sohnes überbringen, wenn nicht ich? Ich, der er seinen einzigen männlichen Erben anvertraut hat?« Noch einmal fiel ihr Blick auf den kleinen Erdhügel und den dornigen Rosenstrauch. Obwohl sie noch sehr klein gewesen war, erinnerte sie sich der ernsten Abschiedsworte ihresVaters vor vielen Jahren, als er sie und den jüngeren Bruder in Millwort zurückgelassen hatte. Und er hatte diese Worte bei den wenigen Besuchen, die er ihnen in diesen langen acht Jahren abgestattet hatte, oft genug wiederholt. »Gib gut auf deinen Bruder acht«, hatte er sie ermahnt. »Gib gut auf ihn acht, meine kleine Rosalynde.«

Ungeachtet Giles’ schwacher Gesundheit hatte sie immer alles darangesetzt, dem väterlichen Wunsche nachzukommen. Sie hatte versagt. Wieder kamen ihr die Tränen und strömten unaufhaltsam über die blassen Wangen. Sie wußte nicht einmal, ob sie diesmal aus Kummer über ihren Bruder weinte oder vor der unerklärlichen Furcht, ihrem Vater unter die Augen zu treten. Dennoch wußte sie, daß sie sich dieser Aufgabe nicht entziehen konnte. Mit großen, trostlosen Augen starrte sie auf das Grab ihres Bruders. »Ich und kein anderer muß es tun. Ich muß meinem Vater sagen, daß sein Sohn und Erbe uns verlassen hat.«

Rosalynde blickte sich noch einmal in dem freundlichen, hellen Mädchenzimmer um, das in den vergangen Jahren ihr Reich gewesen war. Es war ihr viel mehr Heimat als das alte Schloß in Stanwood, in dem sie zur Welt gekommen war und wo sie die ersten elf Jahre ihres Lebens verbracht hatte. Seit dem Tode ihrer Mutter waren Lady Gwynne und Lord Odgen ihre Zuflucht gewesen. Sie hatten ihre Herzen und ihr Haus einem verängstigten kleinen Mädchen und ihrem neugeborenen Bruder geöffnet. Als ihre Mutter im Kindbett gestorben war, schien es Rosalynde, als hätte sie beide Eltern verloren, denn der Vater war für sie zu einem gereizten, unberechenbaren Fremden geworden. Bald darauf, als der zarte Säugling reisefähig war, hatte man sie beide nach Schloß Millwort gebracht, damit sie dort aufwuchsen. Lady Gwynne hatte die Kinder ihrer Schwester mit offenen Armen aufgenommen und war ihnen in den kommenden Jahren Mutter gewesen, so gut sie es vermochte.

Giles hatte niemals andere Eltern als Lady Gwynne und Lord Odgen gekannt. Der schweigsame, finstere Fremde, der sie nur dreimal in all den Jahren besucht hatte, war kein Vater für ihn. Rosalynde jedoch hatte ihre leiblichen Eltern niemals vergessen. Jedesmal wartete sie voller Freude auf den Besuch desVaters, der dann jedoch stets herzzerreißend grausam verlief. Seine Zurückhaltung und der Abstand, den er zwischen sich und seinen Kindern aufrechterhielt, rissen jedesmal die alten Wunden auf. Das Gefühl derVerlassenheit ergriff dann wieder Besitz von ihr und machte sie blind für alles außer ihrem eigenen Schmerz.

Giles hatte das alles nie verstanden. Lady Gwynne aber hatte Rosalynde stets die Tränen getrocknet und sie getröstet. Sie könne, sagte sie dann, nicht erwarten, daß ein so mächtiger Ritter wie Sir Edward, Lord von Stanwood, Zärtlichkeit und Liebe zeige, wie sie es erwarte. Männer seien eben nicht so, hatte sie erklärt.

Aber Rosalynde hatte es besser gewußt. Sie erinnerte sich an einen Vater, der sie hoch in der Luft herumgewirbelt hatte, trotz der lachenden Proteste ihrer Mutter. Sie erinnerte sich an einen Vater, der ihr zwei Holzpferdchen geschnitzt hatte – einen Hengst und ein Stute. Das dazugehörige Fohlen hatte er ihr versprochen. Sie wußte noch ganz genau, wann er dieses Versprechen gegeben hatte: Ihre Mutter hatte oben in ihrem Gemach gelegen und darum gekämpft, einem Kind das Leben zu schenken, während Vater und Tochter unruhig und voll Sorge in der Halle unten gewartet hatten.

Während der nicht enden wollenden Stunden dieses Tages, dann des Abends und schließlich der Nacht hatte sich ihre Hoffnung zur Furcht und schließlich zu grauenhafter Angst gewandelt. Das Kind war endlich gekommen, so winzig und zart, daß niemand glaubte, es würde die Nacht überleben. Ihre Mutter jedoch, die schöne, strahlende Lady Anne, war einfach dahingangen. Kein Wort erreichte den Gemahl oder die Tochter. Keine Klagen oder Schmerzensschreie die Frauen, die sie betreuten. Leise und unbemerkt hatte sie die Erde verlassen. Zurück blieb eine drückende Düsternis, die wohl noch heute auf Stanwood lastete.

Rosalynde seufzte und rieb sich die brennenden Augen. Vielleicht hatte gerade dies ihrem Vater am meisten zu schaffen gemacht, dachte sie. Er hatte keine Gelegenheit gehabt, der Frau, die sein ein und alles war, Lebewohl zu sagen. Als Folge davon hatte sich sein Herz verhärtet – gegen alle Menschen, auch gegen seine Kinder.

Wie würde er mit dem neuenVerlust umgehen? fragte sie sich. Was würde er ihr antworten, wenn sie, ohne Vorwarnung, mit dieser furchtbaren Nachricht erschien? Obwohl er niemals auch nur andeutungsweise Gefühle für dieses Kind gezeigt hatte, das die Schuld am Tod seiner geliebten Frau trug, war Rosalynde überzeugt, daß das Wohlergehen seiner Kinder und seines zukünftigen Erben ihm aufrichtig am Herzen lag. Aus diesem Grunde hatte er sie nach Millwort in die Obhut seiner Schwägerin und seines Schwagers geschickt. Rosalynde sollte in allen weiblichen Künsten unterwiesen werden, und Giles, sobald er alt genug war, lesen und schreiben lernen sowie all die anderen Dinge, die ein Mann können muß. Rosalynde sollte schließlich mit dem passenden Mann vermählt werden, und Giles würde einmal Stanwood Castle und die dazugehörigen Ländereien erben.

Aber die Jahre waren ins Land gegangen, und ihr Vater hatte es trotz aller Ermahnungen Lady Gwynnes versäumt, ihr einen passenden Gemahl auszuwählen. Immer wieder hatte er die Entscheidung verschoben, ohne einen richtigen Grund dafür zu haben. Lady Gwynne fürchtete, er wolle es einfach nicht wahrhaben, daß Rosalynde bereits im heiratsfähigen Alter war.

Insgeheim war Rosalynde darüber erleichtert. Sie verspürte kein Verlangen, wieder in ein neues Zuhause umziehen zu müssen, weit weg von der liebgewonnenen und vertrauten Umgebung. Auf Schloß Millwort war sie glücklich. Sie wußte, daß ihre Heirat mit einem Lord, den ihr Vater erwählen würde, unausweichlich war und doch wartete sie nicht darauf. Sie war es zufrieden, mit ihrem Onkel und ihrer Tante auf Millwort Castle zu leben. Mit Freude erlernte sie den Umgang mit Kräutern, Heiltinkturen und Gewürzen und ließ sich in die Pflichten einer Hausfrau einweisen, ja sie nahm sogar an Giles Unterrichtsstunden teil. So war sie bald des Lesens und des Schreibens in erstaunlich hohem Maße kundig. Der mürrische Mönch, der sie unterrichtet hatte, war immer wieder empört darüber, daß eine Weibsperson diese Künste so gut beherrschte. Das ziemt sich nicht für eine Lady, brummte er dann. Aber Lady Gwynne hatte ihn stets mit besonderen Leckereien aus der Küche verwöhnt, um ihn zu besänftigen. Und so vergingen die Jahre in Frieden und Harmonie.

Aber jetzt war alles zu Ende.

Liebevoll strich Rosalynde noch einmal über die bestickte Satindecke auf ihrem Bett. Sie und Lady Gwynne hatten viele Winterabende daran gearbeitet. Nun ja, vielleicht würde sie eines Tages zurückkehren und wieder darunterschlüpfen, sagte sie sich. Vielleicht dauerte es gar nicht lange und sie würde wieder in Millwort sein.

»Du mußt nicht gehen«, beschwor Lady Gwynne Rosalynde wieder. »Du kannst deine Meinung immer noch ändern und Lord Odgen bitten, einen Boten mit der Nachricht zu deinem Vater zu senden.«

»Ich muß ihm diese Botschaft überbringen. Das bin ich ihm schuldig«, antworte Rosalynde ernst und lächelte ihre besorgte Tante entschuldigend an.

»Er hat mir Giles anvertraut.«

»Er hat Giles Lord Odgen und mir anvertraut«, gab die gute Tante nun beinahe ärgerlich zurück. »Du warst damals ein kleines Kind, und daran hat sich nicht sehr viel geändert.« Dann wurde ihre Stimme wieder sanft. Liebevoll umfaßte sie Rosalyndes Wangen mit ihren Händen. »Es war der Wille unseres Herrn, Giles zu sich zu nehmen. Und wir dürfen seinen Willen niemals in Frage stellen.«

Rosalynde blickte in das freundliche Gesicht der Tante und wünschte sich innig, sie könne ihren unbeirrbaren Glauben an Gott teilen. Obwohl sie glauben wollte, daß ihre Tante recht hatte – vor Giles Tod hatte sie niemals Gottes Willen angezweifelt –, war sie sich jetzt nicht mehr sicher. Sie seufzte laut und brachte ein schwaches Lächeln zustande.

»Wie auch immer, es ist Zeit, daß ich heimkehre. Auch wenn mein Vater mich nicht sehen will, so braucht der Haushalt dort zweifellos eine weibliche Hand.«

Rosalynde wußte, daß ihre Tante diesem Argument nicht widersprechen konnte. Oft genug hatte sie selbst diesen Gedanken geäußert. Nichtsdestoweniger schenkte ihr die ältere Frau nur ein tränenverschleiertes Lächeln, als sie ihrer Nichte ein letztes Mal über die Wangen strich.

»Sei ein gutes Kind«, ermahnte sie Rosalynde, als die Tränen über ihre faltigen Wangen rannen. Dann steckte sie Rosalyndes Mädchenzopf unter die Kapuze des waldgrünen Umhanges. »Sei ein gutes Kind und vergiß nie, was du gelernt hast.«

»Nein, bestimmt nicht«, versicherte Rosalynde der geliebten alten Dame, als sie sie innig umarmte. »Danke. Danke für alles ...« Ihre Stimme erstickte in Schluchzen, als ihr bewußt wurde, daß sie nun wirklich abreiste. »Ich werde Euch niemals enttäuschen, geliebte Tante«, flüsterte sie unter Tränen.

»Ich bezweifle auch, daß es dir gelingen würde, selbst wenn du wolltest.« Lady Gwynne lächelte traurig und drückte noch einmal die Hand ihrer jungen Schutzbefohlenen.

»Und fürchte deinen Vater nicht, kleine Lady.« Lord Odgen umarmte sie kurz und unbeholfen. Auch er war nicht ganz Herr seiner Gefühle. »Er ist ein schwieriger Mensch. Vielleicht entspricht er nicht den Erwartungen eines jungen Mädchens, aber er ist dein Vater, und du schuldest ihm deinen Respekt.«

»Das weiß ich«, murmelte Rosalynde. »Ich werde Euren Rat beherzigen.« Traurig lächelte sie ihren Onkel und ihre Tante an. Konnte sie ihnen jemals genug für alles danken, was sie für sie und Giles getan hatten? Sie blickte auf ihre gesenkten Köpfe und biß sich auf die Unterlippe, um ihren Abschiedsschmerz zu unterdrücken. Wie sehr würde sie die beiden vermissen!

Dann wurde ihr falbenfarbener Zelter vorgeführt, und noch ehe sie sich’s versah, half man ihr schon in den Sattel, und alles war zum Aufbruch bereit. Lord Odgen gab noch einige letzte Anweisungen an die bewaffneten Reiter, die ihre Eskorte bilden würden. Sie sollte immer in der Mitte reiten, niemals voraus oder hinterher. Ihre persönliche Zofe war guter Hoffnung, und so hatte man ihr eine andere zur Begleitung mitgegeben. Zusätzlich zu diesem nicht gerade glücklichen Mädchen hatte Rosalynde darum gebeten, daß Cleve sie nach Stanwood begleitete, und Lord Odgen hatte in einer schwachen Minute zugestimmt. Der schlaksige Bursche lenkte jetzt sein kräftiges Pferd neben ihre Stute und sah sie aufmunternd an.

»Alles wird gut, Milady, Ihr werdet sehen.« Dann grinste er. Offenbar freute er sich auf die Reise zu seinem neuen Zuhause. Er war bisher niemals von Millwort fort gewesen, abgesehen von einem kurzen Besuch in der Abingdon Abbey. Nun aber ging es fünf Tage nach Osten, nach Stanwood, und er konnte seine Freude nicht verbergen. Rosalynde war froh, diesen heiteren, stets gut aufgelegten Jungen als Gefährten bei sich zu haben. Ein kaum wahrnehmbares Lächeln erhellte ihre edlen Züge, als sie sich in die Gruppe einfügte. Zwei Männer ritten vor ihr, zwei weitere Ritter sowie ein Karren mit ihrer Zofe, ihrem Gepäck und den Reisevorräten folgten nach.

»Mir scheint, du möchtest ebensogerne abreisen, wie ich hierbleiben möchte.« Sie lächelte Cleve wehmütig an. »Tut es dir denn gar nicht leid, deine Heimat zu verlassen?«

»Nein, überhaupt nicht.« Die Antwort kam ohne Zögern. »Aber Ihr müßt nicht fort, Lady Rosalynde. Ihr nicht. Ein Bote kann EuremVater die Nachricht überbringen. Es ist nicht nötig, daß Ihr das tut.«

»Doch, das ist es«, antwortete sie. Die bernsteinfarbenen Augen blickten gedankenverloren in die Ferne. »Mein Vater hat nur noch mich – auch wenn ihn das nicht zu kümmern scheint. Giles war mir anvertraut. Ich werde ihm unseren Verlust mitteilen.«

Dann schwieg sie, und der Junge fand es klüger, nicht weiter in sie zu dringen. Mit der Zeit würde sie diese Traurigkeit überwinden, die so schwer auf ihr lastete. Wenn sie erst einmal zu Hause angekommen und die Unglücksnachricht losgeworden war, würde sie sich bald besser fühlen. Einer der Ritter verscheuchte ihn von der Seite seiner Herrin. Seine dunkelbraunen Augen ruhten jedoch weiter auf ihrem sorgenvollen Gesicht.

Diese dumpfe Trübsinnigkeit paßte nicht zu ihr. Ihre tiefe Trauer um den Jungen machte Cleve zu schaffen, denn gerade sie hatte solches Leid nicht verdient. Für ihn war Lady Rosalynde immer die schönste und bezauberndste Jungfrau im ganzen Land gewesen. Oder zumindest die schönste, die er je gesehen hatte. Aber es war viel mehr als das prachtvolle, glänzende dunkle Haar und das Leuchten ihrer ungewöhnlichen, goldfarbenen Augen. Jede andere hätte mit der gleichen Gestalt nicht so anmutig gewirkt wie Rosalynde. Keiner anderen hätte der durchscheinend helle Teint mit den rosenfarbenen Wangen diesen Zauber verliehen. Und seine Herrin dachte immer zuerst an andere und dann erst an sich selbst. Überall um sich herum sah sie nur Schönes und Gutes. Sie war ein Juwel unter den Flußsteinen, ein glitzernder Edelstein mitten unter wertlosen Kieseln. Wo sie ging, leuchtete die Sonne heller, war das Gras dunkler und satter, sangen die Vögel süßere Melodien.

Er schüttelte den Kopf über seine poetischen Anwandlungen. Anscheinend war er auf dem besten Wege, sich in sie zu verlieben – wie fast alle anderen Jungen, die auf Millwort dienten. Für jeden, der ihren Weg kreuzte, hatte sie ein freundliches Wort. Aber mit seinen sechzehn Jahren war er drei Jahre jünger als sie – und welche Hoffnungen durfte er, ein kleiner Page, sich schon machen? Schließlich war sie eine Lady königlichen Geblüts. Trotz alledem aber genoß er ihre Nähe, auch wenn sie für ihn unerreichbar war. Für seine Lady Rosalynde würde er alles tun. Als er sie so gedankenverloren anstarrte, richtete sie sich plötzlich auf, so daß die Kapuze ihres Umhangs von ihrem Kopf rutschte. In dem klaren Morgenlicht leuchtete ihr Haar wie ein Heiligenschein auf. Nein, Cleve konnte sich an ihrer zarten, edlen Schönheit einfach nicht sattsehen! Als sie ihre weiche, leise Stimme erhob, klang sie wie Engelsgesang in seinem Ohr.

»Wir sollten nicht trödeln. Die Reise ist noch lang genug, und ich möchte so schnell wie möglich zu meinem Vater.«

Kapitel 2

Die Reise war für Rosalynde so neu wie für Cleve, obwohl sie sie vor Jahren bereits in umgekehrter Richtung gemacht hatte. Und wenn sie in Schweigen versank, so war Cleve voller wacher Neugier. Er wurde der wechselnden Landschaft niemals müde und bestürmte sowohl sie als auch die die reiseerfahrenen Ritter unermüdlich mit Fragen. Trotz des traurigen Anlasses, dessentwegen sie die Reise angetreten hatte, wich ihre trübe Stimmung angesichts der überschäumenden Freude von Cleve.

»Diese Burg ist abgerissen worden«, antwortete einer der Ritter mit rauher Stimme auf Cleves Frage, als er eines gewaltigen Trümmerhaufens ansichtig wurde, der sich am Ufer des Stour auf einem Hügel erhob. »Der neue König Heinrich befahl, alle Burgen abreißen zu lassen, die unter seinem Onkel, König Stephan, ohne Genehmigung errichtet worden sind. Diese hier gehörte auch dazu.«

Cleve schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn. »Was macht das für einen Sinn, Burgen niederzureißen, wenn anderswo Menschen in Lehmhütten leben müssen?!« Dann hellte sich die Miene des Jungen auf. »Aber ich nehme an, daß man die Steine benutzen kann, um andere Häuser damit zu bauen. Und vielleicht, um Zäune auszubessern.«

»Vielleicht macht man das mit anderen Ruinen – aber nicht mit dieser hier.« Mißtrauisch beäugte der Ritter die steineren Reste vor ihnen.«In dieser Burgruine soll es spuken.«

»Spuken?« Cleve machte große Augen, und sogar Rosalynde blickte neugierig zu den eingestürzten Mauern und Türmen hinauf.

»Die Bauern hier erzählen, daß Sir Medwyn erst seine Gemahlin und dann sich selbst tötete, nur um sich dem neuen König nicht unterwerfen zu müssen«, antwortete der Mann und lachte leise. Aber auch er blickte etwas verunsichert zum Hügel.

Polternd nahm ein anderer Ritter das Gespräch auf. »Wahrscheinlicher ist wohl, daß der Geist des alten Königs Stephan hier umgeht. Er spukt noch im ganzen Land umher«, fügte er mit nicht zu überhörender Verachtung hinzu.

»England hatte wahrlich einen schlechten König, und die vielen befestigten Burgen, die während seiner Herrschaft erbaut wurden, konnten ihn am Ende doch nicht schützen.«

Verwirrung sprach aus Cleves dunkelbraunen Augen, als er Rosalynde anblickte. »Wer soll einen König verstehen, der Burgen schleifen läßt?« Wieder schüttelte er den Kopf. »Ist denn Millwort vor König Heinrich sicher? Oder Stanwood?«

Rosalynde mußte bei so viel kindlicher Verunsicherung lächeln. »Das sind beides alte Festungen, die schon zur Zeit Wilhelms des Eroberers erbaut wurden. Nur Burgen neuerer Zeit, wie eben die dort oben, sind in Gefahr.«

»Es scheint mir aber doch Verschwendung zu sein«, erwiderte der Junge und blickte erneut zum Hügel hinauf. »So viel Arbeit, und dann ist alles umsonst.«

Er hat recht, dachte Rosalynde im stillen, als sie sich den Überresten der Burg näherten. Aber es war schwer, den verschlungenen Gedankengängen des Königs zu folgen. Einerseits beschützte er sein Volk. Andererseits versetzte er seine Untertanen mit hohen Abgaben und unverständlichen Erlassen in Angst und Schrecken. Lord Odgen selbst hatte nur zu oft die widersinnige Politik König Stephans beklagt. Er konnte sich noch gut an die Ordnung im Lande erinnern, die zur Zeit des ersten Königs Heinrich geherrscht hatte. Im sicheren Kreise seiner Familie hatte er oftmals die charakterlichen Schwächen König Stephans getadelt. Nun aber saß der Enkel des greisen Königs auf dem Thron. Obwohl er sich mit einer Beurteilung des jungen Königs Heinrich II. noch zurückhielt, hoffte er inbrünstig auf Frieden in England. Als die kleine Gruppe am Fuße des Ruinenhügels haltmachte, fragte sich Rosalynde, ob ihr Vater wohl die Ansichten Lord Odgens teilte.

Das grasbewachsene Flußufer bot sich als Rastplatz an. Es war ein ungewöhnlich warmer Tag, und die Sonne strahlte am wolkenlosen Himmel, als die Gruppe absaß. Rosalynde dehnte ihre verspannten Muskeln, und Cleve führte die Pferde zum Wasser, während die Ritter sich im Schatten einer knorrigen Eibe im Gras niederließen.

»Nun komm schon, Nelda«, rief Rosalynde ungeduldig der ständig maulenden Zofe zu. »Je schneller wir das Mahl bereitet haben, desto eher können wir weiter. Und desto schneller kannst du wieder nach Millwort zurückkehren«, fügte sie ermunternd hinzu. Rosalynde wußte, daß die junge Frau unglücklich darüber war, aus der gewohnten Umgebung von Millwort herausgerissen zu sein. Eigentlich hatte Rosalynde es nicht für nötig befunden, eine weibliche Begleitperson mitzunehmen – in der Tat war Neldas Anwesenheit mehr Hindernis denn Hilfe –, aber Lady Gwynne hatte darauf bestanden. Es sei absolut unschicklich für eine Lady, allein mit Männern zu reisen, hatte sie gepredigt, und ganz besonders für eine unverheiratete Jungfrau. Eine Dienerin müsse immer bei ihr sein.

Während Rosalynde zwei Brote, einen halben Laib Käse sowie den sorgfältig eingewickelten Korb mit getrockneten Früchten auspackte, wünschte sie, die Zofe wäre in Millwort geblieben. Neldas Anwesenheit war es zu verdanken, daß man den Karren mitführen mußte, denn nur wenige Dienerinnen konnten reiten. Das wiederum bedeutete, daß sie sehr viel langsamer vorankamen, als wenn sie mit Cleve und den Rittern zu Pferde gereist wäre. So aber hatten sie erst knapp die Hälfte der Wegstrecke zurückgelegt. Auch wenn sie Stanwood möglichst schnell erreichen wollte, freute sich Rosalynde keineswegs auf das Wiedersehen mit ihrem Vater, geschweige denn darauf, ihm die schreckliche Nachricht zu überbringen.

Seufzend schnitt sie sich eine kleine Scheibe Käse ab und brach ein Stück Brot aus dem Wecken. Dann ging sie hinunter zum Fluß.

»Seid nicht so bekümmert, Milady.«

Rosalynde blickte auf. Sie saß allein auf einem Felsen, der ein wenig ins Wasser ragte. »Ich bin nicht bekümmert, Cleve. Mach dir keine Sorgen.« Sie zwang sich zu einem Lächeln, als sie den besorgten Ausdruck auf Cleves Gesicht sah. Dann warf sie ein Stückchen Brot in den träge dahinfließenden Fluß und sah zu, wie zwei Fische danach schnappten. »Stanwood ist ein wunderbarer Ort. Es wird dir gefallen.«

»Wie sieht es dort aus?« fragte er und setzte sich auf einen Grasbuckel. Rosalynde blickte auf ihn hinab und sah zu, wie er mit dem Heißhunger des Heranwachsenden sein Essen verschlang. Er hatte es sich offensichtlich in den Kopf gesetzt, sie aufzuheitern. Einerseits wäre sie gern mit sich und ihren Gedanken allein gewesen, aber sie war auch dankbar für seine ehrliche Anteilnahme.

»Stanwood ist ... nun ...« Sie dachte eine Weile nach und versuchte die Stätte ihrer Kindheit so zu beschreiben, wie sie auf einen Besucher wirken würde – frei von ihrer emotionalen Bindung zum Haus ihrer Eltern. »Stanwood hat hohe Mauern und ist alt.« Sie lächelte melancholisch. »Es ist dort wärmer als in Millwort, wenn ich mich recht entsinne. Weil das Meer so nahe ist. Manchmal, wenn der Wind kräftig genug aus Osten bläst, kann man die salzige Luft riechen.«

»Ihr habt das Meer gesehen?« Cleve vergaß zu kauen. »Ihr seid wirklich schon am Rande des Meeres gewesen und habt das Wasser berührt?«

»Natürlich.« Ihr Lächeln war tatsächlich heiter, als sie Cleves staunende Augen sah. »Ich bin sogar schon darin gelaufen. Und das kannst du auch. Wir beide werden einmal zusammen zum Meer hinuntergehen, und dann siehst du es.«

»Also, das wäre ja einfach großartig!« Der Junge strahlte sie begeistert an und biß ein großes Stück Käse ab.

»Stanwood ist auch ganz anders als Millwort«, fuhr sie fort. »Es ist nicht so groß, hat einen Burgfried und vier Stockwerke. Und es gibt sogar eine eigene Kapelle. Und sehr viele Fenster. Es ist drinnen wirklich sehr sonnig und hell, und der Innenhof ...« Ihre Stimme wurde weich bei der Erinnerung. »Als ich klein war, konnte ich nie ganz durch den Schloßhoflaufen. MeinVater ...« Sie hielt inne. Ein Stirnrunzeln verdunkelte das eben noch so vergnügte Gesicht. »Stanwood ist nicht so geschmackvoll und vornehm wie Millwort. Die Mauern wurden nicht aus geschliffenen Steinquadern erbaut, sondern zum Teil aus Kieselsteinen und Mörtel. ›Schotterwände‹ hat mein Vater sie immer genannt.« Sie stand auf und schleuderte den letzten Bissen Brot in den eiskalten Fluß. »Ich bin sicher, daß ich es viel schöner in Erinnerung habe, als es eigentlich ist«, schloß sie gefaßt.

»Es klingt wunderbar.« Der Junge nickte aufmunternd. »Gibt es viele Bedienstete?«

Rosalynde zögerte mit der Antwort. »Als ich dort lebte, schien das Schloß stets voller Menschen zu sein: Köche, Mägde, Junker, der Verwalter, der Seneschall. Es war ein geselliges, lebendiges Haus. Ich kann mich nicht erinnern, jemals allein gewesen zu sein.«

Aber wie sah es heute dort aus? Auf diese Frage hatte Rosalynde keine Antwort, und sie war erleichtert, daß Cleve keine weiteren Fragen stellte. Im Innersten war sie überzeugt davon, daß sie nicht mehr das geborgene Zuhause ihrer Kindheit vorfinden würde. Ihre Mutter hatte das Schloß mit ihrer Liebe erfüllt. Sie war es gewesen, die Mann und Kind glücklich gemacht hatte. Mit ihrem Tod starben auch die Liebe und das Glück. Von Herzen wünschte sich Rosalynde, wenigsten wieder einen Zipfel dieses Glücks auf Stanwood zu erhaschen, aber sie glaubte nicht daran.

Mit einem Satz sprang sie von dem Felsen herunter und holte die Schuhe, die sie auf dem Gras ausgezogen hatte. Dann blickte sie gedankenverloren auf das Wasser, sah zu, wie ein abgebrochener Ast gegen einen Felsbrocken getrieben wurde, dann im seichten Uferwasser an den Flußkieseln entlangschabte und schließlich in tieferes Wasser abtrudelte. Cleve hatte sich in der milden Frühlingssonne ausgestreckt und hielt ein Nickerchen.

Als die Ritter, die weiter flußabwärts lagerten, die ersten Rufe ausstießen, sah Rosalynde nicht einmal auf. Sie war so vertieft in ihre Gedanken, daß sie den Lärm kaum wahrnahm. Cleve jedoch schlief nicht so fest, wie es schien. Beim ersten Schrei öffnete er die Augen und richtete sich ein wenig auf. Beim zweiten Schrei aber sprang er plötzlich erschreckt auf.

»Duckt Euch, Milady«, zischte er und kroch auf allen vieren zu ihr hin.

»Wie bitte?« Rosalynde sah ihn an und war über sein merkwürdiges Gebaren erstaunt.

»Kauert Euch auf den Boden!« drängte er. »Irgend etwas stimmt nicht da drüben. Ich weiß auch nicht genau, was los ist, ich weiß nur, wir müssen uns verstecken!«

Rosalynde wandte sich zum Rastplatz um, wo Nelda und die vier Ritter sich nach dem Mahl zur Ruhe niedergestreckt hatten. Der kurze Blick genügte, um das Blut in ihren Adern gefrieren zu lassen. Eine Horde von Männern, einige beritten, andere zu Fuß, hatte mit brutaler Zielstrebigkeit den kleinen Tross aus Stanwood überfallen. Einer der vier Ritter lag bereits zusammengekrümmt am Boden. Die anderen drei kämpften um ihr Leben. Sie hörte einen schrillen Schrei – Nelda, begriff sie entsetzt. Dann packte Cleve sie am Arm und zog sie, ohne ein Wort zu verlieren, hinter den schützenden Felsen.

»Oh, mein Gott, sie bringen sie alle um!« rief Rosalynde außer sich vor Angst und vor dem, was sie mit ansehen mußten. »Wir müssen ihnen helfen!«

»Wie denn?« fragte der Junge keuchend. Seine Stimme zitterte. »Wir haben nicht einmal ordentliche Waffen, und sie sind in der Überzahl.« Er drückte sie noch tiefer zu Boden und spähte vorsichtig hinter der Felskante hervor. Er hatte seinen kurzen Dolch gezogen und hielt ihn fest mit der Rechten umklammert.

Ihre Augen weiteten sich vor Schreck, als sie die Waffe sah. In den Händen der Marodeure hatte sie Schwerter und Speere gesehen. Dagegen wirkte Cleves Dolch geradezu lächerlich.

Scheinbar eine Ewigkeit kauerten sie hinter dem Felsen. Mit den Füßen im eiskalten Wasser mußten sie die schrecklichen Geräusche des Gefechtes mit anhören. Metall klirrte auf Metall. Fruchtbares Gebrüll, Flüche und grauenhafte Schmerzensschreie. Bei jedem neuen Aufschrei krümmte sich Rosalynde zusammen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie war vor Angst wie gelähmt. Sie starben. Sie starben alle. Und es war nur eine Frage der Zeit, bis auch sie und Cleve entdeckt und erschlagen wurden.

»Paß auf die Pferde auf! Die Pferde!« bellte eine tiefe Stimme. Dann ein Durcheinander von Gewieher und heftigem Schnauben der Rösser. Rosalynde konnte die Spannung nicht länger ertragen. Sie versuchte, hinter dem Felsen hervorzuschauen, als ein Pferd durch das Wasser galoppierte. Blitzschnell zog Cleve sie zurück.

»Wir müssen hier reglos verharren, wie dieser Fels«, ermahnte er sie flüsternd. »Sonst finden sie uns auch, und dann ...« Er hielt inne, als er ihr entsetztes Gesicht sah. Das Siegesgebrüll der Mörderbande drang deutlich zu Rosalynde und Cleve herüber. Zu deutlich.

»Hier ist der Wein, Tom, mein Guter«, sagte einer von ihnen lachend. »Trink einen Schluck, bevor die Kruke leer ist.«

»Na hör mal, ich habe den Kerl niedergemacht! Hätte ich nicht eingegriffen, wärst du mausetot, und jetzt willst du mir meinen Anteil vorenthalten? Gib schon her, Freundchen!«

Rohes Gelächter und Prahlereien waren zu hören. Den Geräuschen nach zu schließen, wurde jetzt der Karren geplündert. Dann ein langer Pfiff und dann Stille. Rosalynde und Cleve sahen einander in namenloser Furcht an.

»Habt Ihr das gesehen? Die feinsten Stoffe. Bestimmt alles Seide. Da wird aber eine feine Lady heute nacht ihre Wäsche vermissen!« Er lachte anzüglich.

»Und Juwelen!« frohlockte ein anderer.

»Zeig her!«

Dann hörten sie Laute und Geräusche einer Balgerei. Rosalynde und Cleve drückten sich noch näher an den Felsen. Sie stellte sich vor, wie diese Halunken ihre Kleider und Wäsche betatschten und die wenigen Schmuckstücke an sich nahmen, die sie besaß.

»Hmm. Viel ist das ja nicht. Aber besser, als in die Hand gespuckt. Er wird uns für diese Beute einen guten Preis zahlen.«

»Aber du weißt doch, was er gesagt hat«, unterbrach ein anderer. »Er nimmt uns nichts mehr ab, jetzt, wo sie den armen Teufel geschnappt und verurteilt haben. Gestohlene Ware kann er jetzt nicht brauchen – zumindest für eine Weile nicht.«

Der andere Mann, offensichtlich der Anführer der Räuberbande, lachte nur. »Er wird alles nehmen, verlaß dich drauf. Und wenn nicht – es gibt noch genügend andere in Hadleigh.«

Der Nachmittag verstrich mit zermürbender Langsamkeit. Rosalynde und Cleve wagten nicht, sich in ihrem unsicheren Versteck zu rühren. So durchlitten sie sämtliche Stufen der Angst und des Zorns, während das Räubergesindel laut gröhlend feierte, bis sie allesamt betrunken waren. Erst als die Sonne schon lange Schatten auf des Flußufer warf und die Geräusche der Räuberbande verebbten, wagte Cleve einen Blick auf das Geschehen.

»Möge Gott sie für ihre Taten zerschmettern und in der Hölle braten lassen«, murmelte er, als er den Schauplatz des Massakers erblickte. Als sich Rosalynde erhob, um ebenfalls hinüberzusehen, legte er seine Hand fest auf die Schulter seiner Herrin. »Oh, nein, Milady. Seht nicht hin. Der Anblick ist zu furchtbar.«

Aber Rosalynde bestand darauf. Was sie sah, drehte ihr den Magen um. Drei Ritter waren erschlagen worden. Die Kleidung hatte man ihnen vom Leib gerissen. Nackt und verstümmelt lagen sie in ihrem Blut. Auch ein erfahrener Krieger hätte diesen Anblick nur schwer ertragen. Sie erbleichte. Ein kaltes Grauen packte sie. Mit Mühe würgte sie ihre Übelkeit hinunter, als sie Cleve ansah. »Was ist mit Nelda? Und ... wo ist der andere Ritter?«

»Vielleicht sind sie entkommen und holen Hilfe.«

»Aber wenn Nelda nicht geflohen ist, dann werden diese Männer ...« Sie brach ab bei der Vorstellung, was diese Bestien Nelda antun würden – jeder Frau, die ihnen über den Weg lief. Sie hatte die Geschichten über Wilhelm den Eroberer und den Einfall der Normannen gehört. Mit großen Augen hatte sie den hinter vorgehaltener Hand geflüsterten Erzählungen über die marodierenden Wikinger in alter Zeit gelauscht. Sie erzitterte, als sie begriff, daß auch sie nicht sicher war. »Bitte, o Gott, bitte, mach, daß sie entkommen sind. Und hilf uns auch«, betete sie in Todesangst. Bedrückt sah Cleve sie an. »Ich hoffe, Gott erhört Euch, Milady. Wir müssen versuchen, unsere Haut zu retten.«

In erneuter Panik weiteten sich Rosalyndes Augen. Was sollten sie denn ausrichten – ein Page und ein junges Mädchen – gegen einen Haufen wilder, betrunkener Mörder? Voller Angst schüttelte sie den Kopf. »Wir können nicht fliehen, Cleve. Wir können sie auch nicht besiegen. Was sollen wir bloß tun?«

Cleve blickte sie lange an. Er war blaß, aber entschlossen. Noch einmal beobachtete er die Gruppe, dann holte er tief Luft.

»Wir können fliehen. Sie wissen nicht, daß wir hier sind. So wie es sich anhörte, haben sie den ganzen Wein getrunken, den Lady Gwynne Eurem Vater senden wollte. Wenn es ein wenig dunkler geworden ist, werden wir uns fortschleichen. Aber nicht am Ufer entlang, da gibt es zu wenig Deckung. Wir müssen zu demWäldchen zurück und an der Burgruine vorbei. Dann können wir Hilfe holen.«

Diese klare Entscheidung war Balsam für Rosalyndes Nerven, und sie nickte zustimmend. »Hoffentlich ist es nicht zu spät, wenn wir warten, bis sie abgezogen sind«, meinte sie besorgt. »Und wenn es zu dunkel ist, finden wir uns in diesem unbekannten Gelände niemals zurecht.«

Die Antwort auf dieses Problem ergab sich ziemlich schnell. Einer der Bande drehte sich stöhnend um und kam langsam auf die Beine. Torkelnd ging er zum Fluß hinunter. Die anderen Männer blieben trunken liegen. Als der Mann auf ihren Felsen zukam, schlugen Rosalyndes Zähne vor Angst aufeinander. Aber die langen Stunden der tatenlosen Hilflosigkeit hatten Cleve neuen, tollkühnen Mut gegeben. Entsetzt sah Rosalynde, wie er erneut seinen Dolch zog.

Kein Wort kam über ihre Lippen, als der Unhold genau auf der anderen Seite des Felsens stehenblieb. Bitte, laß ihn nicht näherkommen, betete sie verzweifelt. Und laß Cleve nichts Unüberlegtes tun.

Aber Cleve wehrte die Hand ab, die ihn zurückhalten wollte, und übersah ihren bittenden Blick. Dann hörten sie, daß der Mann weiterging, um den Felsen herum. Rosalynde erstarrte vor Angst. Cleve jedoch war wachsam und gefaßt. Sprungbereit wie eine lauernde Katze schlich er geduckt am Felsen entlang. Als der Mann sichtbar wurde, sprang er nach vorn.

Der Augenblick war günstig, da der Mann sich am Fluß erleichtern wollte. Mit halb heruntergelassener Hose blieb dem Schurken keine Zeit, um sich zu wehren. Bis zum Heft fuhr Cleves Dolch in seine linke Schulter. Der Überraschte schrie vor Schmerz und Wut auf. Die benebelnde Wirkung des Weines verhinderte, daß er sofort zu Boden ging. Wie ein zottiger Bär drehte er sich langsam um seine Achse, holte weit aus und schlug nach seinem Angreifer.

Cleve wurde mit voller Wucht gegen den Felsen geschleudert. Rosalynde hörte seinen Aufschrei und eilte ihm zu Hilfe. Sofort wandte sich der Schurke ihr zu. Mitten im Schlag hielt er inne. Er wankte, fiel auf die Knie und sackte dann langsam nach vorne. Sie hörte den warnenden Schrei eines seiner Kumpane, kümmerte sich aber nicht darum. Aus Angst und Verzweiflung erwuchsen ihr ungeahnte Kräfte. Sie schlang Cleves Arm um ihren Hals und lief los auf den Wald zu. Den halb bewußtlosen Pagen zerrte und schleifte sie mit sich.

»Milady ...«, murmelte Cleve und versuchte bei Bewußtsein zu bleiben.

»Lauf, Cleve, lauf!« schrie sie und zog ihn weiter mit sich. Sie fürchtete jeden Moment von den Mördern eingeholt und erschlagen zu werden und wagte nicht, einen Blick auf die Verfolger zu werfen. Sie wollte nicht wissen, wie nah ihr der Tod auf den Fersen war. Aber es traf sie kein Schlag, kein Schwerthieb, und als sie den schützenden Wald erreicht hatten, nahm sie ihren Mut zusammen und blickte zurück.

Sie atmete schwer, als sie sich einen genauen Überblick verschaffte. Der Betrunkene lag immer noch an der Stelle, wo Cleves kühner Angriff ihn niedergestreckt hatte. Er winkte schwach, aber seine Gefährten waren offensichtlich zu betrunken, um ihm tatkräftig zu helfen. Einer stolperte über einen Ast, als er schwankend näherkam. Ein anderer taumelte los, sah sich um, rannte in der verkehrten Richtung weiter, blieb wieder stehen und stierte dann dumpf zu Boden, als wisse er nicht, was er eigentlich wollte. Für einen Moment starrte er sogar zum Wäldchen, und Rosalynde stockte der Atem. Dann aber drehte er sich einmal um sich selbst und stürzte taumelnd zu Boden. Endlich wagte Rosalynde wieder zu atmen.

Ohne nachzudenken, lief sie tiefer in das Dickicht aus niederen Bäumen und Büschen und stützte Cleve so gut sie konnte. Sie spürte die kleinen Äste nicht, die ihr ins Gesicht schlugen, sich im Umhang und im langen Haar verfingen. Sie eilte einfach weiter, ohne zu wissen, wohin. Nur fort. Weit fort von dem Mörderpack, das seine Opfer kaltblütig überfallen, niedergemetzelt und ausgeraubt hatte. Cleve stöhnte vor Schmerzen und versuchte ihren stützenden Arm abzuschütteln. Als er jedoch allein weitergehen wollte, trugen ihn die Beine nicht, und er brach auf der Stelle zusammen.

»Cleve. Cleve!« Rosalynde kniete an seiner Seite nieder und hob seinen Kopf. Langsam schlug der Junge die Augen auf, aber die Pupillen drehten sich immer wieder nach oben. Er schien einer Ohnmacht nahe.

»Lady Rosalynde?« murmelte er. Die Augen fielen zu.

»Schsch. Es ist alles in Ordnung, Cleve. Alles ist gut. Ruh dich einen Moment aus, während ich deine Wunden versorge«, sagte sie ruhiger und gefaßter, als ihr zumute war.

»Muß Euch fortbringen ... Sicherheit ... nach Stanwood ...« Er fuhr zusammen, als sie eine bestimmte Stelle an seinem Kopf berührte.

»Halt still. Ich muß mir die Wunde ansehen ...« Rosalynde brach ab, als sie das Blut sah. Ihre Finger und das Haar des Jungen waren mit dickem, dunklem Blut verschmiert. Vorsichtig teilte sie das Haar, um das Ausmaß der Verletzung besser beurteilen zu können. Obwohl das Blut nur noch in kleinen Schüben heraussickerte, war die Wunde ziemlich tief. Rosalynde überlegte, was zu tun war.

Ihre Lage war, gelinde gesagt, schwierig. Im Moment schienen sie zwar sicher, aber wie lange? Sie waren allein, ohne Pferd, ohne Vorräte. Sie befanden sich in einer völlig fremden Gegend. Niemand war da, der ihnen helfen konnte. Und sie waren unbewaffnet.

Dann entdeckte sie zu ihrer großen Erleichterung, daß Cleve es irgendwie fertiggebracht hatte, seinen Dolch festzuhalten, trotz allem, was inzwischen geschehen war. Das Blut des Mannes, den er angegriffen hatte, klebte noch daran. Auch wenn es nur eine kleine Klinge war, sie besaßen eine Waffe, und sie wurden nicht mehr verfolgt. Das war ein Anfang.

Sie atmete ruhig durch, damit ihr Herzschlag wieder gleichmäßiger wurde. Dann biß sie die Zähne zusammen, griff nach dem Saum ihres langen Gewandes und versuchte den Stoff zu zerreißen. Das Leinen war zu fest gewebt. Cleves Dolch würde ihr helfen. Trotz seiner Benommenheit hielt der Junge die Waffe nur noch fester in der Hand und wehrte sie ab.

»Gib mir den Dolch, Cleve«, flüsterte sie eindringlich. »Ich muß Stoffstreifen schneiden, um dir den Kopf zu verbinden. Dann suchen wir uns einen besseren Lagerplatz. Es wird bald Nachte und wir brauchen einen Unterschlupf.« Beruhigend strich sie mit ihrer schmalen Hand über den Kopf des Verwundeten. »Du bekommst den Dolch sofort zurück.«

Cleve öffnete wieder die Augen und sein Blick war etwas klarer geworden. »Beschädigt meinetwegen bitte nicht Euer Gewand.«

»Sei still und füge dich«, antwortete sie bereits etwas zuversichtlicher und hoffte, daß die Verletzung vielleicht doch nicht so schwer war. Als er den Dolch endlich freigab, hob sie ihn mit zwei Fingern hoch. Voller Ekel reinigte sie ihn mit Farnblättern so gut es ging von dem verkrusteten Blut. Schnell trennte sie dann von ihrem Saum zwei lange Streifen ab und umwickelte damit den Kopf des Pagen. Als sie fertig war, lächelte er sie schwach an.

»Tausend Dank, Milady.« Mühsam versuchte er sich aufzurichten, was ihm nur mit ihrer Hilfe gelang. Obwohl er dies verbergen wollte, entging Rosalynde sein schmerzverzerrtes Gesicht nicht. »Ich muß Euch in Sicherheit bringen«, stieß er hervor und sah sich hilflos in dem dichten Gehölz um.

»Damit hat es jetzt keine Eile«, gab Rosalynde zurück. Auch sie blickte sich um und versuchte an das Naheliegende zu denken. »Als erstes brauche ich Wasser, um die Wunde an deinem Kopf ordentlich zu reinigen.« Angestrengt dachte sie über diesen lebenswichtigen Punkt nach und nagte an der Unterlippe.

»Der Fluß.« Cleve wies in die entsprechende Richtung.

»Nein!« gab Rosalynde entsetzt zurück. »Diese furchtbaren Männer würden uns sofort entdecken, wenn wir zum Wasser gehen.« Ein Vogel flog dicht über ihre Köpfe hinweg, und beide fuhren erschrocken zusammen. Rosalynde beobachtete, wie er zu der Burgruine am Hügel hinübersegelte. Ein kleines Lächeln zeigte sich auf ihren Lippen, als die Idee Gestalt annahm. »Auf dieser Burg muß es doch noch einen Brunnen geben. Wir gehen zur Burg hinauf!«

»Ihr habt doch gehört, was die Ritter gesagt haben«, protestierte Cleve mit wachsender Kraft. »Dort gehen Gespenster um. Es wäre Wahnsinn, diesen todgeweihten Ort zu betreten.«

Unbeirrt von der eindringlichen Warnung erhob sich Rosalynde.

Ihre Strümpfe waren zerfetzt, das Kleid war zerrissen und immer noch naß. Sogar der wetterfeste Umhang hatte an einer Seite einen langen Riß bekommen. Aber sie und Cleve waren am Leben. Durch Gespenster bedroht zu werden erschien ihr als das kleinere Übel.

»Uns werden die Gespenster beschützen«, behauptete sie zuversichtlich, als sie sich niederbeugte, um ihm aufzuhelfen. Cleve starrte sie entsetzt an.

»Sie werden uns im Schlaf heimsuchen«, warnte er, als sie ihren Arm um seine Hüfte legte und langsam den ersten Schritt machte. »Sie werden sich uns auf die Brust setzten und das Leben aus uns pressen.«

»Sie werden jeden Menschen abhalten, uns bis dorthin zu folgen«, antwortete sie klug. Allerdings stiegen jetzt doch einige Zweifel in ihr auf. »Wir wollen ihnen nichts Böses. Das werden sie bestimmt merken.«

Cleve hatte noch Bedenken, aber auch keinen besseren Vorschlag, und fühlte sich sehr matt. So blieb ihm nichts anderes übrig, als sich auf den Arm seiner Herrin zu stützen. Geduckt und immer wieder furchtsam zurückblickend stiegen sie langsam zu dem alten Gemäuer empor.

Kapitel 3

Weder das Stöhnen unglückseliger Geister noch schauerlicher Gespenster quälte Rosalynde während der langen Stunden der Nacht. Der tote Sir Medwyn und seine bejammernswerte Gemahlin waren nicht erschienen, als sie sich in den Ruinen der ehemaligen Küche verkrochen, statt dessen verfolgte sie das Bild der hingemetzelten Toten am Ufer des Stour. Ihre Furcht aber galt einzig und allein dem fiebernden Cleve.

Nelda hatte sie nicht begleiten wollen. Da Rosalynde aber darauf bestanden hatte, die Reise nach Stanwood anzutreten, war eine Zofe notwendig geworden. Wenn sie nicht so unbelehrbar gewesen wäre, lebten Nelda und die vier Ritter noch. Obwohl sie nur drei Leichen gesehen hatte, war Rosalynde sicher, daß alle anderen erschlagen worden waren. Die Bilder des Schreckens ließen sich nicht aus dem Kopf verdrängen. Und all das nur meinetwegen, dachte sie voller Schuldgefühl. Ihren armen Seelen war nicht einmal die Würde eines christlichen Begräbnisses zuteil geworden.

Und jetzt hatte sich Cleves Zustand auch noch verschlechtert.

»Heilige Mutter Gottes«, betete sie inbrünstig, »rette diesen – Jungen, ich flehe dich an. Erbarme dich seiner. Er verdient es nicht, so jung zu sterben.«

Einsam hielt sie Wache, allein in der mondlosen Schwärze der Nacht, inmitten der Geräusche allerlei Getiers und der Nachtvögel um sie herum. Sie war dankbar, daß sie überlebt und in der Ruine des verwüsteten Burghofs Schutz gefunden hatten – und doch stiegen jetzt Furcht und Zorn in ihr auf.

Es war nicht gerecht, haderte sie im stillen und legte Cleve ein Stück feuchtes Linnen auf die glühende Stirn. Nichts war gerecht! Giles hätte nicht sterben dürfen. Warum wurden Nelda und die vier Ritter Lord Odgens so grausam abgeschlachtet? Warum steckte sie in all diesem Elend? Und der arme Cleve ...

Er stöhnte und versuchte sich umzudrehen. Wild schlug er mit einem Arm um sich, bis Rosalynde ihn zu fassen bekam und den Fiebernden beruhigte.

»Achtung!« stöhnte er, und eine Träne drang aus den fest geschlossenen Augen. »Gebt acht, Milady!«

Dann schlug er plötzlich die Augen auf und starrte sie an, als sei sie eines der Gespenster, die er so gefürchtet hatte.

»Beruhige dich«, murmelte sie mit sanfter Stimme und tauchte das Linnen in den halb zerbrochenen Krug, den sie gefunden und mit Wasser aus dem Brunnen gefüllt hatte. Vorsichtig tupfte sie den Schweiß von seinem Gesicht. Trotz der Kälte dieser Frühjahrsnacht war sein ganzer Körper naß von der Hitze, die in ihm tobte. Sie wußte, daß es nur noch eine Frage der Zeit war, bis eine Erkältung hinzukam. Warum hatte sie nicht im Hellen nach Verbenen gesucht? Sie hätte ihm jetzt einen fiebersenkendenTee bereiten können. Oder eine Lösung aus Wundkraut oder einen breiigen Umschlag aus Frauenmantel für die entzündete Wunde. Der Tee und die Lösung hätten geholfen, das Fieber zu bekämpfen, das ihn jetzt so peinigte.

Aber in ihrer Eile, einen sicheren Unterschlupf für die Nacht zu finden, hatte sie nicht daran gedacht. Bei Tagesanbruch würde sie sich sofort auf die Suche nach diesen Heilkräutern machen. Wenn die Morgendämmerung die drückende Dunkelheit der Nacht ablöste, würde sie irgend etwas unternehmen. Sie würde alles tun, um ihm zu helfen. Alles!

Es dauerte eine Ewigkeit, bis sich der erste malvenfarbene Streifen am bläulichgrauen Himmel zeigte. Sie fror und war erschöpft. Die Glieder schmerzten von der gekrümmten Haltung, in der sie an der Seite des verletzten Pagen ausgeharrt hatte. Ihre übermüdeten Augen brannten, aber sie war fest entschlossen, etwas zu unternehmen. Cleve war in einen tiefen Schlaf gesunken, der zeitweise von verwirrtem Gemurmel unterbrochen wurde. Langsam stand sie auf und deckte seinen schmalen Körper mit ihrem Umhang zu. Zitternd vor Kälte, verließ sie das nächtliche Obdach und stolperte hinaus in den Burghof. Die Ruine war nicht besonders groß. Ohne Schwierigkeiten konnte sie ausmachen, wo der Burgfried gewesen war, wo sich die Mauern erhoben hatten und welcher Teil einmal als Kapelle gedient hatte. Als sie mit steifen Gliedmaßen in der Morgenkälte dem Tor zustrebte, wünschte sie einmal mehr, daß der neue König Heinrich II. nicht so unerbittlich in seiner Order gewesen wäre, alle widerrechtlich erbauten Burgen zu schleifen. Hätte er Lord Medwyn und seine Gemahlin nicht verfolgt, wäre es diesen Gesetzlosen nicht so leicht möglich gewesen, die Lande unsicher zu machen.

Nachdenklich ging sie an einem Haufen verkohlter Balken vorbei. Schade um diese schöne Burg! Da schoß ihr plötzlich ein Gedanke durch den Kopf. Jeder gute Kastellan hielt sich einen Kräutergarten mit Küchen- und Heilpflanzen. Bestimmt war noch etwas davon übriggeblieben!

Sie brauchte nicht lange, um das verwahrloste Gärtchen zu finden. Inmitten wuchernder Brennesseln, Weiderichbüsche und Senfkraut wuchs noch immer eine kräftige kleine Rabatte all jener Kräuter, die in keinem Haushalt fehlen durften. Wundkraut gab es zwar nicht, aber Schafgarbe erfüllte auch ihren Zweck. Zusammen mit der zerstoßenen Rinde junger Lindenzweige würde dies einen heilenden Umschlag geben.

Als Rosalynde zu dem Schlafenden zurückeilte, fühlte sie sich ungleich wohler als vorhin, trotz Kälte, trotz des bohrenden Hungers. Cleve würde wieder gesund werden, dafür konnte sie jetzt sorgen. Und dann würden sie sich irgendwie in Sicherheit bringen. Einmal mußte sich ja das Blatt zum Guten wenden. Sie strich sich eine Strähne des zerzausten Haares aus der Stirn. Eigentlich konnte nichts mehr passieren.

»Das könnt Ihr nicht tun«, flüsterte Cleve heiser. Er versuchte aufzustehen, aber Rosalynde drückte ihn energisch auf sein Lager aus Blättern und Moos zurück, das sie ihm fürsorglich bereitet hatte.

»Einer muß aber gehen«, widersprach sie. Ihr ärgerlicher Tonfall wandelte sich sofort, als sie sein schmerzverzerrtes Gesicht sah. »Einer von uns muß Hilfe holen, und dazu bist du nicht in der Lage«, erklärte sie bestimmt.

»Es ist zu gefährlich«, beharrte er. Dann fielen seine Augen wieder zu, und er zuckte ergeben mit den Schultern.

»Ja«, sagte sie leise. »Es ist gefährlich. Aber denk doch bitte nach, Cleve. Was sollen wir sonst machen? Du bist nicht reisefähig, und wer weiß ... diese furchtbaren Männer könnten vielleicht zurückkommen. Außerdem muß die Obrigkeit von dieser grauenvollen Untat in Kenntnis gesetzt werden.«

»Aber Ihr könnt Euch doch nicht allein auf den Weg machen«, wandte Cleve wieder ein und blickte seine Herrin eindringlich an. »Was ist, wenn diese Kerle Euch finden? Wenn sie versuchen, von Eurem Vater Lösegeld zu erpressen?«

»Wir können hier nicht ewig warten, bis Hilfe kommt«, antwortete sie ruhig. »Wie auch immer ... ich habe meine Entscheidung getroffen. Ich will mir deinen Umhang ausleihen, wenn du erlaubst. So schmutzig, wie ich bin, mit meinen zerrissenen Kleidern und dem verfilzten Haar, werde ich wie ein armes Dorfmädchen aussehen.«

»Und Ihr glaubt, sie werden Euch nichts tun, nur weil Ihr ein Mädchen aus dem Dorf seid?« rief er erregt aus. Die Augen brannten in seinem bleichen Gesicht. »Sie werden Euch vielleicht nicht umbringen, aber sie könnten Euch viel größeres Leid zufügen.«

Sie setzte zu einer Antwort an und hielt inne, als ihr klar wurde, was ›größeres Leid‹ bedeutete. In Millwort hatte sie Gerüchte darüber gehört. »Oh. Ich verstehe.« Schamhaft und furchtsam senkte sie den Kopf.

»Also seht Ihr endlich ein, daß Ihr nicht gehen dürft?« entschied der Junge mit Bestimmtheit.

»Aber ich muß!« rief sie aus, und ihre Stimme zitterte ein wenig. »Außerdem sind die Verbrecher bestimmt schon weit fort. Ich verspreche dir, daß ich vorsichtig sein werde. Wahrscheinlich bemerkt mich keine Menschenseele.«

Erregt schüttelte Cleve den Kopf. »Ihr redet Euch das ein, weil Ihr es so haben wollt. Aber bedenkt doch, Milady, Eure Verkleidung kann Euch davor nicht ausreichend bewahren.«

Auch wenn Rosalynde seinen Worten keinen Glauben schenken wollte, wußte sie in ihrem Inneren, daß er die Wahrheit sagte. Sie selbst fand sich eigentlich nicht weiter bemerkenswert, aber sie hatte in letzter Zeit festgestellt, daß so manches Männerauge ihr folgte. Etwas anderes kam noch hinzu. Seit frühester Kindheit hatten ihre Augen sie von allen anderen unterschieden. Manchmal war es von Nutzen gewesen, und nun wirkte es sich zu ihrem Nachteil aus.

Als Kind hatte man sie als etwas Besonderes angesehen. Die großen Augen – die golden gesprenkelte Iris umrahmte ein tiefblauer Ring – beherrschten ihr kleines Gesichtchen. Man erzählte sich, daß der Priester bei ihrer Taufe den Segen nicht nur einmal sprach, sondern ihn ein zweites Mal wiederholte. Um böse Geister fernzuhalten, die den klaren Blick des Säuglings trüben könnten, hatte er gesagt. Mit der Zeit jedoch wurden die Augen ihr schönstes Merkmal. Manch Jüngling hatte ihr das Minnelied gesungen und ihr ewige Treue geschworen. Einerlei, ob man nun diese besonderen Augen als eine seltene Laune der Natur oder als ein Schönheitsmerkmal betrachtete, Rosalynde war sich bewußt, das sie auffallen würde. Ratlos biß sie sich auf die Unterlippe und blickte dann wieder zu Cleve hinüber.

»Ich will mir die Kapuze ganz tief ins Gesicht ziehen. Und ich werde den Kopf gesenkt halten und immer zu Boden blicken.« Sie seufzte, erhob sich und griff nach dem groben Umhang. »Mehr kann ich nicht tun.«