Das Hotel an der Alster: Drei Romane in einem Band - Christian Pfannenschmidt - E-Book
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Das Hotel an der Alster: Drei Romane in einem Band E-Book

Christian Pfannenschmidt

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Beschreibung

Drei Glücksromane in einem Band: »Das Hotel an der Alster« von Bestseller-Autor Christian Pfannenschmidt jetzt als eBook bei dotbooks. Hamburg statt Hitzacker, Pumps statt Gummistiefel! Marie, Mitte Dreißig, hat genug vom Leben in der Provinz und wagt in der mondänen Weltstadt einen Neuanfang: Im glamourösen Hotel Grand Hansson bekommt sie durch ihre Freundin Ilka einen Job im Sekretariat. Doch als wären das Chaos des Büroalltages und eine intrigante Kollegin nicht schon Herausforderung genug, verliebt sich Marie ausgerechnet auch noch in Ronaldo Schäfer – den gleichermaßen galanten wie unerreichbaren Direktor des Sterne-Hotels … Aber Marie ist mit ihrem Liebeskummer nicht allein, denn auch die sonst so toughe Ilka leidet unter akutem Herzschmerz – zum Glück haben die beiden ihre Freundschaft, die nichts und niemand auf die Probe stellen kann. Oder etwa doch? Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Das Hotel an der Alster« von Christian Pfannenschmidt versammelt erstmals die Romane »Fünf Sterne für Marie«, »Freundschaft auf den dritten Blick« und »Zehn Etagen bis zum Glück« in einem Band – und weckt Erinnerungen an den TV-Millionenerfolg »girl friends – Freundschaft mit Herz«. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 1289

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Über dieses Buch:

Hamburg statt Hitzacker, Pumps statt Gummistiefel! Marie, Mitte Dreißig, hat genug vom Leben in der Provinz und wagt in der mondänen Weltstadt einen Neuanfang: Im glamourösen Hotel Grand Hansson bekommt sie durch ihre Freundin Ilka einen Job im Sekretariat. Doch als wären das Chaos des Büroalltages und eine intrigante Kollegin nicht schon Herausforderung genug, verliebt sich Marie ausgerechnet auch noch in Ronaldo Schäfer – den gleichermaßen galanten wie unerreichbaren Direktor des Sterne-Hotels … Aber Marie ist mit ihrem Liebeskummer nicht allein, denn auch die sonst so toughe Ilka leidet unter akutem Herzschmerz – zum Glück haben die beiden ihre Freundschaft, die nichts und niemand auf die Probe stellen kann. Oder etwa doch?

Über den Autor:

Christian Pfannenschmidt, geboren 1953, war Journalist und Reporter für die Abendzeitung München, den Stern und das Zeit-Magazin. Heute lebt er als Autor in Köln und Berlin. Von ihm stammen unter anderem die Drehbücher der ZDF-Erfolgsserie »Girlfriends«. »Die Villa am Seerosenteich« wurde in mehrere Sprachen übersetzt und in der Verfilmung als ARD-Zweiteiler, verfolgten über 6 Mio. Menschen die Karriere von Isabelle, dem Mädchen vom Lande, das zur Chefin eines Modeimperiums aufsteigt. 2003 gründete er eine eigene Fernsehproduktion und setzte seine persönliche Erfolgsgeschichte mit TV-Serien wie u.a. »Die Albertis« und »Herzensbrecher – Vater von vier Söhnen« sowie der erfolgreichen Freitagabend-Reihe »Meine Mutter ist unmöglich« fort.

Bei dotbooks erschienen Christian Pfannenschmidts Romane »Die Villa unter den Linden«, »Der Klang unserer Seelen«, »Die Villa am Seerosenteich« und »Die Albertis«.

Außerdem haben ihn die Charaktere der »Girlfriends«-Serie nicht mehr losgelassen. Und so hat er – basierend auf den Drehbüchern – sieben Romane über die Freundinnen Marie, Ilka und Elfie geschrieben:

Band 1: »Fünf Sterne für Marie«Band 2: »Freundschaft auf den dritten Blick«Band 3: »Zehn Etagen zum Glück«Band 4: »Demnächst auf Wolke sieben«Band 5: »Kurz vor zwölf im Paradies«Band 6: »Das 1x1 zum großen Glück«Band 7: »Frühstück für zwei«.

Das vorliegende eBook enthält die ersten drei Bände.

Die Website des Autors: www.christianpfannenschmidt.de

Der Autor im Internet: www.facebook.com/PfannenschmidtChristian

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eBook-Sammelband-Originalausgabe Oktober 2019

Einen Quellennachweis für die in diesem Band vorliegenden Romane finden Sie am Ende dieses eBooks.

Copyright © der Originalausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/Olexandr Panchenko, Soyka und portumen

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (CG)

ISBN 978-3-96655-006-2

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Das Hotel an der Alster« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

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Christian Pfannenschmidt

Das Hotel an der Alster

Drei Romane in einem Band

dotbooks.

Fünf Sterne für Marie

Kapitel 1

Es goß in Strömen. New York! Frühling in New York? Konnten denn die Dinge nicht wenigstens einmal im Leben vollkommen sein? Ilka sah aus dem Fenster des Taxis, auf die von Regen gepeitschte Park Avenue. Hochhäuser, vom Unwetter verdunkelt, verwandelten die glanzvolle Straße in eine düstere Schlucht. Menschen stemmten sich mit ihren Schirmen gegen den Wind wie kleine, sich vergeblich mühende Spielfiguren. Die Siele konnten die Wassermassen nicht mehr schlucken, und so bildeten sich Pfützen, Ströme, Seen, aufspritzend unter den Autoreifen, es herrschte Weltuntergangsstimmung, und das schon am 29. Mai.

Ich könnte kotzen, dachte Ilka, und legte, wie zur Beruhigung, ihren Arm über den Berg Einkaufstüten, der neben ihr auf der Rückbank des Yellow Cab stand. Der Flug, die Zeitumstellung, dann ein Geschäftstermin nach dem anderen, Lunch mit dem Boss und Dinner mit dem Oberboss, stets derselbe Ablauf und dieselben Gespräche: Jaja, blabla, erstklassige Hotel-Kette, können wir uns ’ne Scheibe von abschneiden, Super-Rendite, genau, Sekretärin im Hansson-Hotel Hamburg, Direktionssekretärin, und zwar gern, nee, nicht verheiratet, nee, leider bin ich nun auch schweinemüde, ja, Ihnen auch eine gute Nacht.

Bitte schön lieb sein, bitte ordentlich Hausaufgaben machen, bitte was Anständiges lernen, bitte zum Diktat, bitte ins Bett, bitte meine Socken, bitte, was gibt’s zu essen?, bitte neun Monate nicht hysterisch sein, bitte Biesterpäppeln, bitte Mitverdienen, bitte reg dich nicht auf, bitte versteh mich doch, bitte willige in die Scheidung ein: Dauernd wollen Männer was von einem. Das Leben ist entsetzlich anstrengend, und bei Licht besehen liegt das immer nur an den Männern.

Der Taxifahrer brabbelte in gebrochenem Englisch. Sie sah im Rückspiegel seinen Hungerblick und sein Geier-Grinsen. Er fragte sie etwas. Ilka verstand ihn nicht. Schon wieder ein Mann, der was wollte. Sie fragte nach, immer schön höflich zu diesen Jungs. »Germany«, sagte der Taxifahrer, »do you like Hitler?« Ach du Schande.

»Why should I?« entgegnete Ilka kühl.

»Because he’s your leader.«

Ilka wußte: Alarmstufe rot. Taxifahrer in New York konnten wunderbar sein, aber meistens waren sie, wie auch in Deutschland, schlecht gelaunt, aggressiv, reaktionär. Ilka hatte keine Lust auf eine Unterhaltung mit diesem Menschen. Er sprach von Juden, und davon mußte er ihr, Ilka Frowein, nun wirklich nichts erzählen. Am liebsten wäre sie ausgestiegen. Aber für rechtschaffene Empörung war der Mann zu blöd und das Wetter zu schlecht. Und außerdem mußten sie gleich beim Hotel Pierre sein. Ilka besah prüfend ihre Tüten, während der Depp weiter monologisierte.

Sie hatte nur eine kleine Stunde fürs Shopping Zeit gehabt. Kosmetik aus dem Kaufhaus Saks, rote Slipper von Gucci, zwei Hemden von Brooks Brothers für Frank und einen idiotischen Stoffelefanten von Macy’s für Marie, die heute Geburtstag hatte. Fünfunddreißig und steckengeblieben, da drüben, in Deutschland, in Hitzacker, der kleinsten Stadt Norddeutschlands. Meine beste Freundin, dachte Ilka, und wir mögen uns so sehr, seit den federleichten Kindertagen. Ach, Marie, du bist mein Stück Erinnerung, mein Wegträumen, meine sentimentale Ader. Du bist die Ruhe, wenn ich der Sturm bin, du bist das Zuhause und ich die Ferne, du bist die heitere Quelle und ich der harte Fels, und das macht unsere Freundschaft aus, eine Freundschaft fürs Leben.

Während der Fahrt hatte Ilka ihre durchnäßten Wildlederpumps ausgezogen. Jetzt hielt das Taxi vor dem Hotel. Der Taxifahrer war mittlerweile beleidigt und drückte wortlos auf die Tastatur des kleinen Belegautomaten, der ratternd die Quittung ausspuckte. Während der Portier, einen großen Schirm in der einen Hand, mit der anderen die Tür öffnete, freundlich grüßte und die Tüten aus dem Taxi nahm, reichte Ilka fünf Dollar nach vorn, stieg flink aus, knallte die Tür zu und marschierte auf den Hoteleingang zu. Das Taxi brauste davon. Erst als sie im Schutz des Portals stand und der Portier ihr bedeutete, sie möge durch die Drehtür hineingehen, erst da wurde ihr klar, daß sie barfuß war. Die Wildlederpumps für 598 Mark, ein wahr gewordener Fiebertraum, Lieblingsschuhe natürlich, die Wildlederpumps, die selbst Frank bombig fand, lagen im Taxi des Nazis, und irgendeine fiese Nazi-Braut würde sie heute abend aschenputtelgleich über die Füße gezwängt kriegen und glücklich sein. Mist.

Der frühe Abend war mild und wundervoll, Marie fühlte sich wie mit Seide übergossen und war bereit, ihn voller Leidenschaft zu genießen. Sie lag auf der Wiese, die zum Seegrundstück ihrer Eltern gehörte. Neben ihr lag Peter, ihr Verlobter, Worte flüsternd, die sie nicht verstand, die aber schön klangen und Maries Herz zum Schweben brachten. Sie sah den Himmel über sich, die Wattebausch-Wolken – so sanft, so leicht, so schön konnte das Leben sein. Es mußte einen lieben Gott geben. Sie lächelte, ›so von innen heraus‹, wie ihre Mutter immer sagte. Doch plötzlich stand Peter auf, zog sich das Hemd aus, befeuchtete mit der Zungenspitze seine Lippen und öffnete mit metallenem Klacken den Gürtel seiner Hose. Jetzt verstand Marie auch, was er sagte. Sein Ton war lauter als vorher, fordernd, bestimmend.

Sie richtete sich auf. »Das geht doch nicht … die Gäste kommen gleich …« Er zog sich weiter aus, die Hose, das Unterhemd, die gepunkteten Boxershorts, bis er schließlich nackt neben ihr stand.

»Peter? Du bist verrückt … meine Eltern …«

Er kniete sich neben sie. »Geburtstag«, sagte er, »ich habe doch sonst kein Geschenk für dich … Mäuschen.«

Dieses »Mäuschen« klang in Maries Ohren irgendwie ernüchternd. Aber ehe sie sich darüber weiter Gedanken machen konnte, küßte er sie, knöpfte ihre Bluse auf, fuhr mit der Hand an der Innenseite ihres Schenkels hoch, sank auf sie, bedrängte sie, verführte sie, und es war wie immer: Peter bestimmte, Marie fügte sich, Widerstand war zwecklos, alles wurde vertagt, auf morgen vielleicht, aufs nächste Jahr: Sie liebten sich. Keiner von beiden hörte, wie Maries Mutter von der Terrasse herüberrief: »Mariechen! Mariechen? Wo biste denn? Dat Ilka ist am Telefon!«

»Danke, Frau Harsefeld«, sagte Ilka, »grüßen Sie Marie bitte ganz lieb von mir, richten Sie ihr meine herzlichsten Glückwünsche aus. Ich versuche, mich später noch einmal zu melden.«

Ilka legte auf. Sie hatte von der Halle des Pierre aus telefoniert und war, wie immer, in Eile. Ihr Chef wartete auf sie.

»Alles klar?«

»Eine private Sache, sorry.«

»Dann lassen Sie uns rasch gehen … Hansson wartet nicht.«

Sie liefen zum Ausgang. Es hatte aufgehört zu regnen. Der Portier pfiff mit einer Trillerpfeife ein Taxi heran.

»Aufgeregt?« fragte Ilka.

Ronaldo grinste. »Sehe ich so aus?«

Ilka stieg ins Taxi, Ronaldo drückte dem Portier zwei Dollarnoten in die Hand und setzte sich neben seine Sekretärin. »Hansson Tower, please.«

»Times Square, Corner 42nd Street«, ergänzte Ilka. Der Fahrer fuhr los. Ilka und Ronaldo waren ein erprobtes Team. Die Vermutung, sie hätten ein Verhältnis miteinander, war weit verbreitet, aber falsch: Ilka war nicht der Typ Frau, der sich mit dem Chef einläßt. Und Ronaldo war glücklich verheiratet.

Ronaldo Schäfer war in jeder Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung. Das fand nicht nur Ilka, die ein klares Bild von Männern hatte: Erstens seien neunzig Prozent der Männer, wie sie gern zu sagen pflegte, dingdong-fixiert. Der Schwanz als Wünschelrute. Ilka konnte sich über ihr Bild kaputtlachen. Daß Männer so sex-getrieben waren, so fremdgeh-bestimmt, daß sie sich nicht kontrollieren konnten, bremsen, wenn ihnen der Sinn nach dem lebendigen Austausch von Körperflüssigkeiten stand – die armen Schweine. Zweitens waren fünfundneunzig Prozent der Männer Autisten. Sie waren nicht in der Lage mitzuteilen, was sie wirklich bewegte; die Stimmungen und Empfindungen der Außenwelt erreichten sie nicht, prallten an ihnen ab. Arme, arme Jungs: Das Leben rauschte an ihnen vorbei, und sie merkten es nicht einmal.

Ronaldo war ein anderer Fall. Er war klug, ernsthaft, humorvoll. Er verband die guten Eigenschaften, die Gott für seine Menschen erfunden, aber ungerecht verteilt hatte, in einer – seiner Person. Zunächst einmal sah er fabelhaft aus: schlank, sehnig, fast zwei Meter groß. Er hatte einen schmalen Kopf mit dem berühmten griechischen Profil. Sein Haar war voll, fast lockig, dunkel, und an den Schläfen verführerisch ergraut. Wache blaue Augen verrieten Ehrgeiz und Strenge, doch der Mund war weich und nachgiebig. Er hatte eine seltsame Art zu sprechen. Selbst wenn er die nettesten Dinge sagte, klang es fast immer ein wenig abweisend, spröde, von oben herab. Aber irgendwie, fand Ilka, paßte das auch zu seiner Größe. Es schien, als sei sie ihm beinahe unangenehm. Er ging, wie viele große Menschen, etwas krumm, als wolle er sich der Erde näher fühlen. Bei Unterhaltungen beugte er sich stets ein wenig zu seinem Gesprächspartner herunter. Das konnte aufmerksam wirken. Oder herablassend. Auffällig war, daß er dann nicht zu wissen schien, wo er seine langen Anne lassen sollte. Beim Gehen schlenkerte er mit ihnen herum wie mit lästigen Anhängseln. Stand er, wirkte seine Gestik unentschlossen – alle paar Sekunden nahm er eine andere Haltung an. Mal verschränkte er seine Arme vor der Brust, mal steckte er die Hände in die, Hosentaschen, mal verbarg er sie auf dem Rücken, was ihm etwas Jungenhaftes gab, etwas Verletzliches. Ohnehin war er ein charmanter Mann. Seine Komplimente waren niemals peinlich, sein Witz wirkte immer heiter, intelligent, und gelegentlich ein ganz klein wenig böse.

Und noch eines gefiel Ilka an ihrem Chef: Er konnte, allein durch seine Anwesenheit, Nähe herstellen, eine unerklärliche Sicherheit, Ruhe, Gelassenheit. Nichts männlich Abweisendes, sondern etwas weiblich Vertrautes. In gewisser Weise, das war klar, liebte Ilka ihren Chef. Hätte sie jemand darauf angesprochen, ihre Freundin Marie Malek vielleicht, hätte sie vielleicht gesagt: »Stimmt. Ich liebe ihn – als Menschen.«

Mittlerweile waren sie vor dem Hansson-Tower angekommen.

»Dann wollen wir mal«, sagte Ronaldo Schäfer und schloß seinen Aktenkoffer. »Wenn Hansson grünes Licht gibt …«

»Dann wird aus einem Hamburger Hoteldirektor ein schwedisches Vorstandsmitglied!« vollendete Ilka.

»Aber nur, wenn Sie mitkommen, Ilka!« sagte er, zahlte und stieg aus.

»Eigentlich furchtbar, daß man sich sein ganzes Leben lang Prüfungen unterziehen muß.« Ilka lief neben ihm her. Er war ein Mann der großen Schritte.

»Geschenkt wird einem nichts!« sagte er und ging auf den Hansson-Tower zu. »Jedenfalls habe ich das noch nie erlebt.«

Ilka legte einer jungen Bettlerin, die schriftlich darüber informierte, daß sie aidsinfiziert war, eine Zehn-Dollar-Note in den leeren McDonald’s-Kaffeebecher. »Och … ich schon!« murmelte sie, aber da war Ronaldo Schäfer bereits in dem 91-Stockwerke-Haus verschwunden.

Zwischen die alten Kastanienbäume hatte Maries Stiefvater, Erich Harsefeld, Lichterketten mit bunten Lampions gehängt, die bunt und kirmesmunter in die Frühsommernacht strahlten.

Entlang der großen Terrasse, auf der die Gäste saßen, aßen und tanzten, brannten Gartenfackeln. Über das Grundstück, das reetgedeckte Haus, den See und die Wälder und Wiesen an seinem Ufer ergoß der Vollmond sein weiches, romantisches Licht. Es lag ein Zauber über dem Fest. Die Menschen waren glücklich. Marie, mittendrin, geliebt von Peter, beschenkt von Freunden, umgeben von Leuten, die ihr nur Gutes wollten, dachte: Es gibt ihn eben doch, den Augenblick der Vollkommenheit. Und sie nahm sich fest vor, einem Schwur gleich: Daran will ich mich erinnern, wenn ich einmal wieder traurig bin.

Alexander Hofstädter kam, zwei von Vater Harsefeld gezapfte Biere balancierend, durch das Gedränge hindurch auf Marie zu. »Kommen Sie, Marie«, sagte er, »ich möchte mit Ihnen auf Ihr Wohl anstoßen.« Er reichte ihr ein Glas. »Ich wünsche Ihnen Glück, Gesundheit, ein … ein frohes Herz. Mögen die Dinge im neuen Lebensjahr so laufen, wie Sie es sich wünschen.«

»Danke.« Marie stieß mit ihm an und trank.

Hofstädter wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Bin ganz außer Atem. In meinem Alter tanzt man ja nicht mehr so viel, wissen Sie.«

Hein und Gundi walzerten schwungvoll an ihnen vorbei und rempelten dabei Hofstädter an. Sie summten fröhlich mit, obgleich sie ebensowenig wie Roger Whittaker verstanden, was er da sang: Abschied ist ein hartes Schwert.

»Lassen Sie uns ein paar Schritte gehen«, bat Hofstädter, »raus aus diesem Trubel hier?«

Sie gingen zum See hinunter und unterhielten sich dabei über Gott und die Welt. Alexander Hofstädter war einer der reichsten Grundbesitzer der Gegend, Anfang Fünfzig, Witwer und kinderlos. Er besaß Wälder, die er verpachtet hatte, er betrieb Pferdezucht und Landwirtschaft, und sein Gutshaus, erbaut Mitte des 19. Jahrhunderts und seitdem in Familienbesitz, gehörte zu den schönsten in Niedersachsen. Marie und er kannten sich aus der Baumschule Steunert, in der sie als eine Art Mädchen für alles arbeitete. Er war dort einer der besten Kunden. Auch kaufte er in der Schlachterei Harsefeld ein, schließlich war es die erste Adresse am Ort und hatte Maries Eltern wohlhabend gemacht. »Mit ff-Fleischwaren wird ff verdient?« sagte Vater Harsefeld immer wieder gern, besonders dann, wenn es unangebracht war.

Auf dem Holzsteg angekommen, blieben die beiden stehen. »Die Steunerts sind nicht da?« fragte Hofstädter.

Marie schüttelte den Kopf »Ich will mir doch meinen Geburtstag nicht versauen lassen!«

»Grün sind Sie denen nicht, was?«

»Ach …« Marie winkte ab. Darüber wollte sie nun heute wirklich nicht reden.

»Ich sage es Ihnen nicht zum erstenmal: Kommen Sie zu mir. Kommen Sie auf meinen Hof. Ich brauche jemanden, der die Verwaltung übernimmt, mir zur Seite steht. Bei Steunerts versauern Sie doch, Marie!« Er sah sie an. »In Ihnen steckt so viel mehr. Das weiß ich. Und das wissen Sie auch!« Hofstädter nahm ihre Hand und wollte sie küssen, als er den Ring bemerkte. »Ich wußte gar nicht, daß Sie verlobt sind!« Er ließ ihre Hand los. »Mit Peter Wolf? Dem …«

»Herr Hofstädter!« Frau Harsefeld kam munter zum Steg heruntergelaufen. »Walzer!«

»Er ist nicht so, wie alle immer sagen …«

Wieder einmal versuchte Marie vergeblich, ihren Freund zu verteidigen. In einer so kleinen Stadt wie Hitzacker sprachen sich die Dinge schnell herum. Peter Wolf, Koch in der Stadtkate, galt als ausgemachter Hallodri. Es war bekannt, daß er gern große Reden führte, über seine Verhältnisse lebte, ein Meister darin war, andere auszunutzen, auch Marie.

Frau Harsefeld nahm Hofstädter bei der Hand und zog ihn fort. »Entschuldige, Mariechen, aber Herr Hofstädter hat mir den Walzer versprochen.«

Marie blieb allein zurück, und schon beschlich sie wieder dieses Gefühl unerklärlicher Traurigkeit. Eigentlich hatte sie allen Grund, glücklich zu sein, dachte Marie dann oft. Sie hatte einen Job, einen Freund, eine Wohnung oberhalb der Schlachterei, in der sie mietfrei wohnen konnte. Sie war gesund, sie lebte in Frieden und in Freiheit. Da oben, auf der Terrasse, lärmten die Freunde und Verwandten, die sie mochten, und der Steg und all das Schöne um sie herum, dies Stück Zuhause und Geborgenheit, würde eines Tages ganz in ihren Besitz übergehen. Ihre Zukunft war gesichert. »Ich habe alles«, hatte sie einmal ihrer Freundin Ilka gesagt, »und mir fehlt so furchtbar viel!«

Sie hatte das Gefühl, das seltsame und scheinbar unbegründete Gefühl, daß sie an einem Wendepunkt ihres Lebens stand. Wie oft hatte sie davon geträumt, noch einmal ganz von vorne anfangen zu können. Alles hinter sich lassen, alle Brücken abbrechen, laufen, laufen, irgendwohin, wo alles anders war, neu, vielversprechender, erfüllender. Aber wenn solche Gedanken sie forttrugen, krochen gleichzeitig die alten Ängste in ihr hoch, die sie umklammerten und festhielten, und dann kam sie sich klein vor, verloren und schwach. Was konnte sie, Marie Malek, der Welt schon Besonderes zeigen? Wer der Welt nichts bietet, dem bietet die Welt nichts. Marie seufzte. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und ging langsam den Hang hinauf zum Haus zurück.

Lange Zeit hatte sie geglaubt, in Peter das Fehlende, das Ersehnte, die Ergänzung gefunden zu haben. Er steckte so voller Pläne, voller Energie und konnte sie mitreißen. Man sollte, man könnte, man müßte … aber dabei blieb es dann auch. Er sprach aus, wovon sie träumte. Doch im Umsetzen von Plänen, das hatte sie sehr bald bemerkt, waren sie beide gleich schlecht. Immerhin hatte sich Peter seinen MG gekauft, den Kindertraum-Sportwagen. Auf Maries Kosten. Immerhin hatte er sich an einer Kneipe in Lüneburg beteiligt. Auf Maries Kosten. (Die Kneipe war längst dicht.) Immerhin wollte er jetzt an seinem Plan arbeiten, ein deutsches Restaurant in Kenia aufzumachen. Auf Maries Kosten, klaro, Mäuschen.

Das alles machte ihr nichts aus. Sie wollte nicht zuhören, wenn ihre Eltern über Peter schimpften. Sie wollte sich keine tieferen Gedanken machen, wenn die Bank schrieb, Marie müsse eine Bürgschaft für Peter unterschreiben. Sie wollte großzügig sein. Sie wollte Peter eine faire, verständnisvolle Partnerin sein. Sie wollte ihm trauen. Denn sie wollte von ihm geliebt werden.

Marie hatte noch keine Lust, zu den Gästen zurückzugehen. Sie schlenderte eine Weile durch den Garten, um das Haus herum, die schmale Rhododendron-Allee hoch, an den parkenden Autos vorbei. Und dann sah sie es. Dann sah sie, an ihrem fünfunddreißigsten Geburtstag, in der Nacht, die einem schönen Tag folgte, und der ein seidiger Abend vorausgegangen war, daß ihre Liebe ein Irrtum gewesen war. Sie sah, wie Peter Wolf in dem von ihr bezahlten Auto eine andere Frau liebte, so wie er wenige Stunden zuvor sie geliebt hatte.

Marie kannte die andere Frau. Er war täglich mit ihr zusammen, denn sie war seine Kollegin. Katrin Ladiges arbeitete als Kellnerin in der Stadtkate. Nie wäre Marie darauf gekommen, daß es zwischen den beiden mehr geben könne als eine Zusammenarbeit. Nie hätte sie vermutet, daß dieses zwanzigjährige Ding mit seiner schrillen Kleidung und der piepsigen Stimme irgendeine Anziehung auf Peter ausüben könne. Nie hätte sie sich vorstellen mögen, daß Peter, nach all den Jahren, bei all ihrer Nähe und allem, was sie miteinander verband, sie betrügen würde.

Oder doch? War dies vielleicht sogar die logische Konsequenz aus allem? Je mehr die anderen Peter kritisiert hatten, desto mehr hatte sie ihre Freundschaft mit Peter beschönigt. Sie hatte sich zur Gutgläubigkeit gezwungen. Und sie hatte Konflikte gefürchtet. Denn eines hatte sie immer und vor allem verhindern wollen – verlassen zu werden, allein zurückzubleiben. Maries Ängste hatten einen fruchtbaren Boden für Peters Egoismus abgegeben.

Auch jetzt hatte sie das Gefühl, sie sähe schon wieder nicht die Wirklichkeit, sondern nur einen Film. Sie beobachtete, wie er sich auszog, an der Innenseite von Katrins Schenkel mit seiner Hand hochfuhr, sich auf sie legte, sie bedrängte, sie liebte. In diesem Augenblick brach eine Welle von Panik über Marie herein, begleitet von einem Gefühl unendlicher Einsamkeit. Es schmerzte so sehr, es war so haltlos, daß sie nicht einmal weinen konnte, nicht einmal schreien konnte, nicht einmal eingreifen konnte. Es war der ganz alltägliche Betrug, der da vor ihren Augen vollzogen wurde, alltäglich, unerträglich. Es war auch der Beginn eines vollkommen neuen Lebens für Marie Malek, doch das konnte sie in diesem Moment noch nicht ahnen. »Nichts ist so schlecht im Leben«, sagte ihre Mutter häufig, »als daß nicht etwas Gutes darin läge« Dieser Gedanke blieb Marie, angesichts von Peter, der sich nun stöhnend in Katrin vergrub, fern. Sie drehte sich einfach nur weg und ging zurück, zu den bunten Lampions, zur Musik, zum Lachen.

Immer auf den letzten Drücker. Frank Melson ärgerte sich selber darüber, aber dies schien das Motto seines Lebens zu sein. Er gab Gas. Wenn Ilka pünktlich am Hamburger Flughafen Fuhlsbüttel gelandet war, gab es zwei Möglichkeiten. Entweder sie hatte sich bereits ein Taxi nach Hause genommen. Dann war sie jetzt stinksauer. Oder sie saß noch in der Ankunftshalle und wartete. Dann war sie jetzt auch stinksauer.

Frank machte sich nichts vor: Er, der Schönheitschirurg, den die tollsten Frauen schier anhimmelten; der wohlhabende Porschefahrer, dessen Vergangenheit solide, dessen Gegenwart brillant und dessen Zukunft göttlich war; der Freund, der es gut meinte und besser machte, er, Doktor Frank Melson, war Ilka Froweins Sklave. Er warf einen kurzen, prüfenden Blick in den Rückspiegel. Es stimmte alles. Er war klasse. Nur Ilka schien das nicht zu merken.

Seit vier Jahren waren sie ein Paar. Er machte stets, was Ilka wollte. Während der übrigen Zeit machten alle anderen, was er wollte. Er war ganz zufrieden damit. Jede Art von Schwäche betrachtete er als weitere Facette seines charakterlichen Reichtums, jede Unterlegenheit als Zeichen seiner Anpassungsfähigkeit, jeden verlorenen Kampf um die Führung in dieser komplizierten Partnerschaft als Sieg seiner Vernunft.

Mit Schwung fuhr er auf den Gehsteig vordem Flughafengebäude. Dabei krachte er gegen das Rücklicht eines Joghurtbechers. Er schaltete den Motor aus, sprang aus dem Wagen und besah sich den Schaden. Joghurtbecher – das waren für ihn alle Autos, die klein waren und wenig kosteten. Die von Leuten gefahren wurden, die klein waren und wenig verdienten. Das Rücklicht war vollständig demoliert. Normalerweise sah Frank über solche Kleinigkeiten hinweg. Aber für eine arme Familienmutti, die mit ihrem armen Joghurtbecher ihren armen Familienpapi nach der Dienstreise abholte, bedeutete so ein 200-Mark-Schaden sicher eine Katastrophe. Normalerweise hätte er ein paar Scheine unter den Scheibenwischer gelegt, Rest ist für euch. Aber man konnte ja heutzutage niemandem mehr trauen. Also knallte er seine Visitenkarte drunter und rannte in das Gebäude.

Ilka hatte sich auf einen der modernen Drahtstühle in der Halle gesetzt, ihre Schuhe ausgezogen, die Beine auf den Gepäckwagen gelegt und blätterte in der neuen amerikanischen Vogue, allerdings eher beiläufig. Sie war auf hundertachtzig.

»Engel!« Frank stürzte auf sie zu.

»Ich wollte gerade gehen!« maulte sie, ließ sich aber trotzdem gnädig küssen. »Schäfer ist schon vor ‘ner halben Stunde von seiner Frau abgeholt worden!«

»Und? Wie war’s? Erzähl doch mal!«

»Warum kommst du denn so spät?« Sie schwang die Beine vom Gepäckwagen und versuchte, ihre Schuhe anzuziehen. »Ich habe derartig dicke Füße …«

»Und ich stehe seit sechs im OP, Engel!«

»Och, du Armer.« Endlich hatte sie die Schuhe wieder an den Füßen. Sie erhob sich. »Ich freu mich so auf meine Wohnung, Frank, ich sag’s dir, es war so anstrengend … der totale Streß, ich will in die Wanne, Entspannungsbad …« Sie streckte sich, während Frank den Gepäckwagen beiseite schob. » … und dann schmusen mit dir.«

Er seufzte. »Daraus wird nichts, Engel, ich muß wieder in die Klinik. Lauter schlaffe Hühner, die gestrafft werden wollen!«

»Nö, komm …« Frank steuerte den Gepäckwagen, Ilka stöckelte neben ihm her. »Du bringst mich nach Hause, und dann bleibst du bei mir, wenigstens zwei Stunden]«

»So lange, meinst du, brauchen wir, ja?« Er grinste.

»Mindestens!« Sie grinste auch. Frank übersah einen Kugelaschenbecher, der im Weg stand, und fuhr ihn mit dem Gepäckwagen krachend um. »Und schon bumst es!« Lachend stellte er den Aschenbecher wieder auf. Ilka hakte sich bei ihm unter. Er war doch ein toller Freund, pflegeleicht, humorvoll, sexy.

Wer die beiden zusammen sah, wie sie schwatzend und albernd auf den Ausgang zusteuerten, dynamisch, modern, gut aussehend, der hätte sich niemals vorstellen können, daß sich hier zwei Menschen mit jedem Tag, mit jeder Stunde, mit jeder Minute einem Abgrund näherten.

Ilka wohnte in einer Jahrhundertwende-Villa im Stadtteil Harvestehude, in einer ruhigen, grünen, noblen Straße, unweit der Alster. Sie hätte sich diese luxuriöse Etage mit Terrasse und Gartenblick, mit Kamin und Marmorbad von ihrem Sekretärinnen-Gehalt nicht leisten können. Ursprünglich hatten Frank und sie zusammenziehen wollen und die Wohnung gemeinsam angemietet. Doch dann, noch bevor sie eingezogen waren, hatte Ilka entschieden, daß es besser sei, wenn jeder, wie sie es ausdrückte, »sein eigenes Reich« besäße. Frank, ganz Gentleman, hatte ihr im Wortsinne den Vortritt gelassen, sich eine eigene kleine Wohnung in der Nähe gesucht und trotzdem generös die Miete von Ilkas Wohnung zur Hälfte übernommen. »Schließlich verbringe ich auch die Hälfte der Zeit nicht nur mit dir, sondern bei dir, Engel«, hatte er gesagt und auf dieser Regelung bestanden.

»Droh mir nicht so, Frank!« hatte Ilka geantwortet, »die Hälfte der Zeit! Mensch, ich hab doch mit mir genug zu tun. Ich hasse dieses Kleben und Kletten. Also wirklich.«

Natürlich war es dann so geschehen, wie Ilka es wollte. Man traf sich an den Wochenenden, und auch dann nur, wenn Ilka Lust hatte, Frank zu sehen. Abendessen unter der Woche, ganz teuer, ganz selten, war erlaubt, insbesondere dann, wenn Ilka Ärger im Büro hatte und Dampf ablassen wollte: »Also, mir ist noch ganz schlecht von heute morgen, Frank … Nee, für mich einen Prosecco … Kommt doch der Schäfer und sagt: Ich gehe nach Stockholm, in den Vorstand. Hansson will mich in New York nur noch seinen Oberfuzzis vorstellen, und dann zack-knack, mein Stellvertreter rückt auf … Saalbach? sage ich, und er nickt … also hör mal, was denkt der Mann sich, Frank? Saalbach, diese Lusche. Ich dessen Sekretärin? Ich könnte …«

Frank wirkte auf Ilka wie eine Dosis Valium. Er verfügte über die Gelassenheit eines buddhistischen Mönchs sowie die kostbare Gabe, zuhören zu können, stundenlang. Was andere Frauen als langweilig empfunden hätten, empfand Ilka als angemessen: Wenn sie redete, hatte er Pause.

Trotz zahlreich eingestreuter Wendungen wie »Nun sag doch mal«, »Wie findest du das?«, »Was sagst du?«, »Und nun kommst du« – Ilka wollte Franks Meinung gar nicht hören, denn ihr genügte ihre eigene. Und von der rückte sie auch selten ab.

»Na ja, und nachdem Schäfer dann da oben im x-ten Stock seinen Vortrag, natürlich in feinstem Oxford-Englisch, beendet hat, kloppen alle auf den Tisch, es gibt Drinks, und Hansson sagt: Wunderbar mein lieber Ronaldo, so habe ich es mir gedacht, dann kommen Sie also nach Stockholm …« Ilka schloß die Haustür auf, während Frank stumm das Gepäck schleppte und zuhörte – » … und Sie, meine liebe Ilka, Sie kommen mit!«

Durch das kühle, marmorweiße Treppenhaus gingen sie hinauf in den ersten Stock. »Seid Ihr Männer denn alle bescheuert? Darf ich vielleicht mal selber entscheiden? Ich bin doch kein Kamel, das immer dahin trabt, wo man es hinhaben will …«

Frank stellte Koffer und Taschen vor Ilkas Wohnungstür ab. »Aber ist vielleicht auch eine Chance, Engel!«

Ilka steckte energisch den Schlüssel in das obere der beiden Schlösser. »Eine Chance, Frank? Stockholm? Das ist ja noch schlimmer als Hamburg.« Sie zog den Schlüssel heraus und wandte sich langsam zu Frank um. »Und wir?« fragte sie ganz leise.

Er umfaßte ihren Po und drückte sich gegen sie. »Wir machen jetzt erst mal …«

»Genau !« sagte Ilka. »Und denn gucken wir mal …«

»Und denn schauen wir mal!« ergänzte Frank, während Ilka sich wieder umdrehte und das untere Schloß öffnete. Er packte mit einem Griff ihre vollen, dunklen, schulterlangen Locken, legte ihren Nacken frei und küßte ihn.

In der Wohnung ließ Frank das Gepäck fallen, und Ilka atmete laut auf. Home, sweet home. »Frank, hol aus dem Kühlschrank eine Flasche Champagner, ja?«

Frank ging in die Küche, Ilka den Flur entlang ins Wohnzimmer. Sie hörte noch, wie Frank sagte: »Engel, was ist denn hier los?« Doch schon im selben Moment durchfuhr sie dieser Schock, der alles ausschaltet – das Hören, das Sprechen, das Denken. Ilka blieb stehen, rührte sich nicht und hielt sich nur die Hand vor den Mund. Das Wohnzimmer war vollständig zerstört. Die Sofas aufgeschlitzt, der niedrige italienische Glastisch zertrümmert, die Bücher aus den Regalen gerissen und zu Boden geworfen, der kleine antike englische Sekretär durchwühlt. Die Einbrecher hatten auf dem südpersischen Afschar-Teppich ihre brennenden Zigaretten ausgedrückt, und der Schirwan-Gebetsteppich, das kostbare Stück mit der elfenbeinfarbenen Bordüre, seinen mitternachtsblauen Vögeln, Krickenten und dem tomatenroten Pferd, dieses wunderbare Erinnerungsstück an eine große, längst vergangene Liebe, es war verschwunden. Gestohlen. Gestohlen wie das Silbertablett, das auf dem Glastisch gestanden hatte, wie die bronzene französische Kaminuhr, wie die Miniaturen, die seitlich des Sekretärs gehangen hatten, und das Aquarell von Fußmann – Ginster, ein gelber See von Blüten, ein Geschenk von Frank.

»Mist« Frank war ins Zimmer gekommen, ohne daß Ilka ihn bemerkt hatte. »Die sind über den Balkon rein, sieh mal …« Er ging auf die Terrassentür zu, deren Glas um den Griff herum zersplittert war. »Die Küche sieht auch grauenhaft aus. Die haben wohl gedacht, hier wohnt noch die Omi, die ihr Erspartes in der Kaffeedose aufbewahrt«

Ilka lehnte sich gegen die Wand. Warum passiert einem so etwas? dachte sie. Warum darf man nie ungestraft glücklich sein, unbeschwert, eins mit sich und dem Rest der Welt? Warum gab es, immer wieder, aus heiterem Himmel, die Schocks, die schrecklichen Überraschungen, die Niederlagen und Enttäuschungen? Warum konnten die Dinge nicht wenigstens einmal im Leben vollkommen sein?

Sie hätte weinen können. Doch da war dieser Schwur. Der Schwur aus der Kindheit, aus ihrem dreizehnten Lebensjahr. Als sie in Hitzacker, da draußen auf dem Land, wo alles zweitausend Umdrehungen langsamer lief, an jenem Gewitternachmittag mitten auf dem Feld, unter der Krone der Buche gestanden hatte und so traurig gewesen war wie jetzt, so schrecklich geweint hatte, als alles nichts half und niemand ihr helfen konnte und sie sich gesagt hatte: Ich werde nie wieder weinen. Es blitzte und donnerte, der Regen prasselte auf die Buchenblätter und auf das Feld, und Ilka war das traurigste und einsamste Mädchen der Welt. Und sie hatte allen Grund dazu. Aber das war eine andere Geschichte.

Kapitel 2

Das Hansson-Hotel lag auf der Hamburger Fleetinsel, mitten in der Stadt, umgeben von alten Fassaden, hinter denen sich Ateliers und Galerien, Buchhandlungen und Restaurants befanden, und modernen Bürogebäuden, deren Fassaden dem Luxushotel glichen. Rote Backsteine standen für norddeutsche Tradition, das Bewährte, das die Generationen überdauerte. Stahlkonstruktionen gaben dem Gebäude eine zukunftsweisende technische Modernität, meterhohe Glasfronten verliehen ihm Flair, Licht, Transparenz. Eine alte Brücke mit dekorativen Laternen führte zum Entree des Hotels, das eher einer Durchfahrt glich als einem imposanten, einladenden Portal.

Dort, vor der gläsernen Drehtür, flankiert von zwei Buchsbäumen in Teak-Containern, stand Herr Schmollke, der Portier. Allerdings sprach kein Mensch, der ihn kannte, von ihm als ›Herr Schmollke‹. Denn Herr Schmollke, ein kleiner, kompakter Mann Mitte Vierzig, mit der Lebenserfahrung eines Hundertjährigen, Herr Schmollke in Cut und Zylinder, der immer blitzeblanke schwarze Schnürschuhe trug, Herr Schmollke mit seinen Knopfaugen, den runden Backen, dem freundlichen Lächeln, Herr Schmollke war einfach Schmolli. Niemand im Hotel wußte etwas über ihn, über sein Privatleben, über seine Geschichte. Schmolli stand immer an seinem Platz, eine Konstante im Leben aller Hotelangestellten, ein Kumpel, zum Wortwechseln, Wutablassen, ein Kollege, der einen nie übersah, wenn man vorbeiging, immer nickte oder mit dem Zeigefinger an den Zylinder tippte, ein nettes Wort hatte oder einen Hustenbonbon aus der Innentasche seiner Uniform zauberte. Schmolli war kein Mann der großen Worte. Er sagte wenig. Aber was er sagte, war pures Gold. Er hatte manchen wutschnaubenden Angestellten, der aus dem Haus rannte, daran gehindert, einen Fehler zu begehen, beispielsweise zu kündigen, solange er keine bessere Stelle in Aussicht hatte. Schmolli war der perfekte Portier. Auch die Gäste schätzten ihn. Er sah alles, packte stets mit an, war sich für nichts zu schade und half in nahezu jeder Situation weiter. Er konnte Opernkarten organisieren, wenn Domingo in der Staatsoper sang und selbst das Büro des Bürgermeisters sich vergeblich um eine weitere Eintrittskarte bemühte. Er hatte Stadtpläne in der Hosentasche, wenn ein Tourist den Weg zum Hafen nicht kannte, er hielt Regenschirme parat, wenn Gäste besorgt zum schwarzen Himmel hinaufschauten, er wußte, wo man die köstlichsten Fischgerichte der Stadt serviert bekam, wo Hans Albers geboren war, er hatte auf jede Frage eine Antwort, und das in sieben Sprachen fließend, plattdeutsch inklusive. Kurz, Schmolli war der gute Geist des Hansson-Hotels.

Das innigste Verhältnis hatte Schmolli zu den Mädels vom Schreibpool, die da jetzt zu dritt, wie jeden Morgen, über die Brücke angetippelt, gestöckelt, gelaufen kamen: Nicole Bast, Anfang Zwanzig, blond und rotzfrech, war Schmollis Liebling. Belastet mit Intelligenz war sie nicht, aber sie war schlau. Streitlustig, wenn es um ihre Interessen ging, konnte sie doch besonders hilfsbereit sein, wenn andere Probleme hatten oder in Not gerieten. Daß sie sich gerne als ›Mutter Teresa vom Hansson-Hotel‹ bezeichnete, zeugte freilich von vollkommener Fehleinschätzung. Nicole dachte zuerst an sich. Und nach einer Weile immer noch an sich. Und schließlich kam sie, ohne lange nachzudenken, zu dem Ergebnis, daß es ihr nur um sich ging. Zu Recht, fand sie. »Einer muß ja an mich denken!« pflegte sie zu sagen, wenn die anderen sich beschwerten, daß das Ego-Tier in ihr zu laut kläffte. Trotzdem hegte und pflegte Schmolli offene – und ein paar versteckte – Sympathien für Nicole. Sie war, aus seiner Sicht, ein typisches Kind ihrer Zeit. Und diese Zeit wirkte auf ihn so kompliziert und komplex, so undurchschaubar, undurchdringlich und verwirrend, daß er froh war, seinen Platz im Leben gefunden zu haben. Nicoles Lebensrezept fand er für so ein junges Ding nur zu verständlich: aufpumpen, Augen zu und ganz laut durch.

Die Girlfriends, wie Schmolli sie nannte, waren jetzt fast bei ihm angekommen, vertieft in eine Diskussion über einen neuen Film, den Nicole »geil« fand, Elfie »abscheulich« und den Vera gar nicht erst gesehen hatte: »Wann soll ich denn noch ins Kino? Die Arbeit, Flori, der Haushalt … Ich weiß nicht, wie andere das machen …«

Schmolli mochte auch Vera Klingenberg, kaum älter als Nicole, eine stille, fast madonnenhaft schöne Frau, die ihren sechsjährigen Sohn Florian allein großzog, nachdem sie von ihrem Mann verlassen worden war. Vera schenkte Schmolli ein liebes Lächeln und ging ins Hotel. Und dann Elfie Gerdes, tja, die! »Morgen, Schmolli«, sagte sie im Vorbeigehen, wie jeden Tag, ohne stehenzubleiben, ohne hinzusehen, mit diesem aufgesetzten feinen Ton – man arbeitet schließlich in einem Luxushotel.

» Morgen, Frau Gerdes!« Schmolli stellte sich auf jeden ein, und jetzt gab er den feinen Portier, nickte fast feierlich. Elfie verschwand in der Drehtür. Schmolli schätzte sie auf Anfang bis Mitte Dreißig, eine runde, sympathische Vierundvierziger-Kleidergröße, dramatisch über einen Meter dreiundsechzig verteilt. Elfie liebte Farben. Sie trug kanariengelbe, enge Röcke zu heuschreckengrünen Blazern, schreiend himmelblaue Blusen mit tellergroßen, weißen Punkten zu türkisfarbenen Streifen-Leggins. Zurückhaltung ist Schwäche, war ihre Devise. Sie benutzte Nuttendiesel, so süß, daß ihre Kolleginnen im Schreibpool sauer wurden. »Mensch Elfie, mußt du dir jeden Morgen eine ganze Pulle Joop über den Leib schütten? Das ist ja wie ein Überfall! Ätzend!« sagte dann Nicole. Und Elfie war überhaupt nicht beleidigt, sondern sprühte am nächsten Morgen statt dessen Poison auf. Dafür wollte Nicole sie ins Gefängnis werfen lassen. Aber der Mann, der sich am anderen Ende der Leitung meldete, nachdem Nicole 110 gewählt hatte, fand das überhaupt nicht spaßig. »Wir sind für Notfälle da, junge Frau, und nun legen Sie auf«

»Das ist ein Notfall!«

»Sie wissen offenbar nicht, was ein Notfall ist! Und ich kann Ihnen nur wünschen, daß Sie es auch nie erfahren werden.«

Elfie hatte noch andere Vorlieben. Sie mochte Stirnbänder, aus Brusttaschen quellende Einstecktücher, High Heels – »Kinder, das macht ’nen schlanken Fuß« –, sie lebte mit einer Katze, die sie »Komm-her« rief: »Ist der einzige Name, auf den sie hört!« Elfie kochte und aß gern, hatte ständig eine Tüte mit sauren Weingummi-Tieren griffbereit in ihrer Nähe, und sie liebte, auch während der Arbeit, einen kleinen Likör – »So zwischendurch, für’n Kreislauf, ist ja schon halb zwölf, oder?« Auch hängte Elfie sich Dinge an die Ohren, die anderswo als Werkzeuge benutzt wurden, in Kaufhausschaufenstern als Dekoration lagen oder in Kinderzimmern als Spielzeug: Hammer und Amboß aus Silber, Plastik-Peperonis in Originalgröße, Legostein-Clips und selbstmörderische Miniatur-Barbiepuppen, die sich mittels vergoldeter Stricke an Elfies Ohrläppchen aufgebaumelt hatten.

Dann kam Nicole. »Morgen, Schmolli«, gurrte sie und blieb hinter ihm stehen. Wohlweislich rührte er sich nicht, denn nun folgte das alltägliche Ritual: Sie griff von hinten in seine Jackeninnentasche und förderte ein Hustenbonbon zutage, manchmal zwei, wenn sie ihrer Kollegin, der Rezeptionistin, auch eine Freude machen wollte.

»Morgen, Frau Bast!«

»Schönen Tag, Schmolli.«

»Für Sie auch, Frau Bast.«

Nicole betrat hinter ihren Kolleginnen die Halle. Hier tat sich eine andere Welt auf, und Nicole genoß es, zu ihr zu gehören. Die Rezeption aus hellem Holz, an der die Gäste aus aller Welt begrüßt und verabschiedet wurden, der weite Blick, vorbei an den Sitzgruppen, vorbei an der Bar, die Renzos Reich war, bis zu dem kleinen Restaurant am anderen Ende der Halle, wo man die offene Küche sehen konnte, in der die Köche japanisches Essen zubereiteten, Sushi, Sashimi, gedünsteten Fisch, Gemüse mit Reis, exotische Früchte zum Dessert.

Rechts bestand die Halle über drei Etagen fast vollständig aus Glas und gab den Blick auf eine der traditionsreichsten Ecken Hamburgs frei: den Rödingsmarkt mit einem Hauch von Hafen, die alte Brücke und das Fleet, das unter ihr hindurchfloß, zur Elbe hin.

Der Stil des Hotel-Interieurs war leicht und modern. Das galt für die Halle ebenso wie für die drei Restaurants, das Fitneßcenter, die unzähligen Bankettsäle, Sitzungsräume, Zimmer und Suiten. Nicole hatte das Gefühl hierherzugehören. Sobald sie das Hotel betrat, änderte sich, ohne daß sie es merkte, ihre Art zu gehen, zu sprechen, sich zu benehmen.

Elfie und Vera warteten am Personallift, der sich in der äußersten Ecke der Halle neben den drei anderen Fahrstühlen für die Hotelgäste befand. Mit leisem Klingeln öffneten und schlossen sich die Automatiktüren, Geschäftsleute, Ehepaare, Alleinreisende Frauen stiegen aus, eilig, wichtig, hellwach und müde, fröhlich und angespannt. Gäste, die auf den Lift gewartet hatten, stiegen ein, Ziel Zimmer oder Treffpunkt Topetage, sie folgten ihren selbstauferlegten oder fremdbestimmten Lebensplänen, legten sich dort oben zu Bett oder badeten, trafen geliebte oder gefürchtete Menschen, mußten sich Vorträge anhören oder selbst Reden schwingen, waren mittendrin, standen am Anfang oder waren am Ende.

Schon oft hatte Nicole sich, während sie hier gewartet hatte, ausgemalt, was es wohl mit den Leuten um sie herum auf sich hatte. Das junge Pärchen da drüben an der Rezeption, das bei der Rezeptionistin eine Nacht in der Cats-Suite bezahlte: Wie beflissen er agierte, mit seiner goldenen Kreditkarte, und wie sie wegsah, von ihm, von sich und ihm – diese Art von Enttäuschung kannte Nicole auch.

Der alte Herr, der gerade die Halle betrat, gefolgt von Schmollke, der seinen eleganten Koffer aus wüstensandfarbenem Kalbsleder trug: Ob er wohl reich war, verwitwet, einsam, ein bißchen nur, vielleicht interessiert an einer jungen, unterbezahlten Stenotypistin?

»Ni-co-hol!« rief Elfie, die mit Vera bereits im Lift wartete. »Länger halte ich die Tür jetzt nicht auf!«

Nicole stieg ein. ›Du träumst zuviel‹ – das hatte schon ihre Mutter immer gesagt.

Die Türen schlossen sich bereits, als Daniela Holm angelaufen kam, die stellvertretende Personalchefin. Blitzartig drückte sie ihre Hand zwischen die Türen, die daraufhin wieder aufgingen, und stieg ein. Sie nickte den drei Kolleginnen kurz zu.

Der Lift fuhr endlich nach oben. Erster Stock, zweiter Stock, dritter Stock. Die Luft war schwer wie Zement. Vera und Elfie sahen sich kurz an. Nicole ließ eine Kaugummiblase zerplatzen. Die Holm, im Schneiderkostüm, die Haare elegant zum Chignon eingeschlagen, stand vor den dreien, spürte, daß die sie von hinten betrachteten, spannte kurz die Beine an, hob leicht die Absätze hoch und senkte sie wieder ab. Sie inszenierte sich perfekt, das mußte man ihr lassen, selbst wenn Nicole das nicht gerne, nicht einmal vor sich selber, zugab. Die beiden waren herzlich verfeindet, denn die Holm hatte ihr einst, als sie noch Freundinnen waren, dicke Freundinnen, Freundinnen fürs Leben, den Kerl ausgespannt. Das hatte Nicole ihr nie verziehen. Den Kerl hatten beide längst vergessen, aber Nicole versuchte unablässig, mit ihren begrenzten Mitteln Rache zu üben. Doch die Holm war ihr überlegen. Genaugenommen war sie Nicoles Vorgesetzte. Sie führte die Personalstämme – die Akten der Mitarbeiter. Sie hatte Einfluß. Auf Herrn Dr. Begemann, den Personalchef, ebenso wie auf Herrn Saalbach, den stellvertretenden Hoteldirektor, der seit Monaten ihr Geliebter war. Und Dieter Saalbach war ein Freund von Ronaldo Schäfer. Ganz schlecht für Nicole, wenn sie es zu weit trieb mit der Holm. Aber ein bißchen Klatsch hier und ein bißchen Fallenstellen dort, das reichte für den Augenblick. Der Tag der großen Rache würde kommen, dessen war sich Nicole sicher. Sie würde in diesem Hause Karriere machen, koste es, was es wolle. Und sie würde Daniela Holm in die Knie zwingen, auch um jeden Preis.

Vierter Stock. Der Lift hielt kurz, ein Zimmermädchen stieg zu. Fünfter Stock. Die Holm trat zur Seite, damit die anderen aussteigen konnten. Elfie, Vera und das Zimmermädchen verließen rasch den Lift, ohne sich zu verabschieden. Nicole zögerte noch einen Moment. Sie drückte sich gegen das kühle verspiegelte Aluminium, kaute auf ihrem Kaugummi und dachte, so schnell es ging, darüber nach, welche Gehässigkeit sie loswerden könne, um der Schnalle den Montagmorgen so richtig zu verhübschen. Doch ihr fiel nichts ein.

»Ni-co-hol«, rief Elfie.

Daniela drehte sich kurz zu Nicole um und prüfte abschätzig deren Outfit. Enges T-Shirt, 501-Jeans, falsche Alden-Slipper: billig. »Mußt du hier nicht raus?« fragte sie. »Ist das hier nicht deine Etage, die Sekretärinnen-Etage?« Sie sagte Sekretärinnen wie andere Leute Penner.

Nicole ging extra langsam hinaus und wandte sich um. »Noch!« sagte sie zuckersüß, »Schätzchen!« Sie lächelte. Daniela lächelte auch und drückte die Halt-Taste des Fahrstuhls, damit die Türen nicht zugehen konnten. »Wenn du wüßtest, wie recht du hast«, entgegnete sie. »Mit dem Schreibpool ist nämlich ab nächstes Quartal finito!«

»Sag das noch mal.«

»Du hast mich schon verstanden!« Daniela schnipste wie beiläufig einen Fussel von ihrer Kostümjacke. »Aber es gibt ja auch ein Arbeitsamt!« Sie schaltete den Fahrstuhl wieder auf On. Die Tür ging zu. Fast. Nicole stellte ihren Schuh dazwischen.

»Der Schreibpool wird geschlossen? Wir werden entlassen? Und du sollst uns das mal eben so auf dem Weg zur Arbeit sagen? Und niemand weiß davon? Du hast doch ‘ne Klatsche!«

Statt einer Antwort trat Daniela nur mit voller Wucht auf Nicoles Schuh. Die Tür schloß sich.

Nicole drehte sich um. Vera war schon vorausgegangen und hatte nicht gehört, was die Holm gesagt hatte. Elfie war stehengeblieben und blaß geworden. »Das kann doch nicht sein!« sagte sie. »Der Schäfer hat doch immer gesagt …«

»Wenn das stimmt«, fauchte Nicole, »dann schneide ich denen da oben den Schwanz ab, dem lieben netten Herrn Direktor Schäfer auch. Und die Stade …« Nicole marschierte den Flur entlang.

Elfie ging mit kleinen Schritten neben ihr her. »Als unsere Chefin müßte die Stade das doch längst wissen«, sagte sie. »Typisch. Die, die’s angeht, erfahren es immer erst am Schluß. Die arme Vera, die dreht durch! Die hat doch sowieso immer Angst und genug Sorgen und kein Geld!«

»Sei bloß nicht so naiv wie Vera, Elfie«, schnaubte Nicole. »Denk nur an die Wilkens, die haben sie doch auch vor die Tür gesetzt. Ohne viel Federlesens.«

»Die Wilkens hat ja auch getrunken.«

»Ist sie doch wohl nicht die einzige, oder? Die wurde gemobbt, ganz klar. Und zwar von der Stade. Und die hat das jetzt auch ausgekungelt, verstehste … uns vor die Tür setzen, und die macht einen auf Karriere. Ich töte sie, glaub’s mir, ich bringe die Butze um!« Nicole riß die Tür zum Schreibpool auf.

Vera hatte sich bereits einen Becher Tee geholt und sah im Stehen, während sie trank, ihren Ablagekorb durch. Die Stade saß am Ende des Raumes, natürlich allerschönster Alsterblick, die alte Hexe, und starrte abwechselnd auf ihre Cartier-Armbanduhr und die zwei Kolleginnen, die gehetzt an ihre Arbeitsplätze spurteten. »Zehn nach neun«, bemerkte sie spitz. »Wir fangen hier um neun an.«

»Die Bahn hatte …«, versuchte Elfie zu erklären.

»Gottchen, diese alten Leiern immer. Erzählen Sie doch nicht solchen Unsinn. Ihr ständiges Zuspätkommen ist schon primitiv, da lassen Sie sich doch wenigstens etwas nieveauvollere Entschuldigungen einfallen!« Die Stade stand auf, griff sich einen Stapel Unterlagen und Diktatkassetten und ging auf Elfie zu.

»Apropos Niveau, Frau Stade«, sagte Nicole und riß mit Schwung die Abdeckhaube von ihrem Computer. »Warum sagen Sie uns als Schreibpool-Leiterin eigentlich nicht, was hier los ist?«

Die Stade blieb stehen. »Frau Bast, wovon reden Sie?«

Gudrun Stade war eine der meistgehaßten Frauen im Hansson-Hotel. Eben Ende Vierzig, hatte sie etwas von einer Frau, die kurz vor der Pensionierung stand. Dabei war sie nicht altjüngferlich, sondern schlank, elegant und herb, mit schwarzen, kurzen Haaren, brennend-blauen Augen, einer charaktervollen Nase und einen schmalen, zickigen Mund. Sie mußte als junge Frau schön gewesen sein, und bei näherem Hinsehen (diese Mühe machte sich im Büro allerdings niemand) konnte man erkennen, daß sich hinter ihrer Strenge, ihrem Zynismus, ihrer Härte ein verletzlicher Mensch verbarg. Man konnte ahnen, daß ihre Unerbittlichkeit etwas mit ihren einsamen Nächten zu tun hatte. Man konnte spüren, daß ein wenig Freundlichkeit, Verständnis, ein wenig Mühe im Umgang mit ihr gereicht hätten, um ihren alten Zauber wiederzuerwecken, Freundlichkeit gepaart mit Intelligenz, Fröhlichkeit bereichert durch Charakter. Es war wie so oft bei den Menschen: Sie hatte zu viel Schlechtes erlebt, um gut bleiben zu können.

»Ich rede davon, daß der Schreibpool dichtgemacht werden soll«, sagte Nicole.

Vera guckte Nicole entsetzt an. Frau Stade fielen sämtliche Unterlagen aus den Händen.

Während der vergangenen Tage hatte Dieter Saalbach im Hansson-Hotel das Sagen gehabt. Als Freund und Stellvertreter von Ronaldo Schäfer fühlte er sich dabei auf der sicheren Seite. Eines war klar: Wenn dieser Trip nach New York von Erfolg gekrönt war, dann würden zwei Männer zu Königen ernannt. Ginge Ronaldo endlich nach Stockholm, ins Management, in den Vorstand, dann würde er, Saalbach, in diesem Kasten Direktor sein. Endlich. Endlich. Endlich. Nach all den Niederlagen. Nach all den Kämpfen. Nach all dem Dienern und Buckeln. Ha! Den Wichsern in Stockholm würde er mal zeigen, was man aus diesem Laden alles machen konnte! Saalbach empfand Genugtuung bei dem Gedanken. In den ersten 45 Jahren hatte das Leben ihn ungerecht behandelt. Nach außen hin hatte er Karriere gemacht: Er stammte aus bescheidenen Verhältnissen und hatte mit sechzehn Jahren eine Lehre im Atlantic-Hotel begonnen. Damals glaubte er sich am Ziel seiner Träume. Hotel! Das klang nach allem, was gut ist und teuer, das klang geheimnisvoll, aufregend, spannend, verführerisch. Hotel! Hier war nichts ausgeschlossen, hinter jeder Tür lag ein wunderbares Geheimnis verborgen, das man entdecken konnte, wenn man nur wollte. Hotel! Hier konnte man lernen dazuzugehören. Bald wußte er, daß man Damen stets die Tür aufhielt und aufstand, sobald sie den Raum betraten; daß man Gäste nicht ansprach, sondern höchstens auf Fragen antwortete; daß man beim Servieren des Frühstücks auf dem Zimmer den Gast im Bett nicht ansah und im Restaurant schon auf einen Augenaufschlag reagierte. Er konnte Betten machen und Badezimmer putzen, Reservierungen entgegennehmen und Rechnungen schreiben, einen Martini-Cocktail rühren und einen Gin-Fizz mixen. Er erfuhr, was ein Humidor ist und welche Temperatur ein Sancerre haben muß, er konnte über Tournedos Rossini sprechen, über das Algonquin, über Auslastungsraten oder Paté Sableuse, zu der seine Mutter immer nur Sandkuchen gesagt hatte. Bald servierte er mit größter Perfektion von links Wachtelbrüstchen an Raukesalat, Steinbutt auf Sauce hollandaise, Bayerische Creme mit Waldhimbeeren. Er trug von rechts ab, und fragte stets, ob es recht gewesen sei, und empfand es als Lob, wenn die Befragten sich zurücklehnten, in ihren gepolsterten Sesseln, die Mundwinkel mit den Achtzig-mal-achtzig-Servietten abtupften und jovial nickten. Als Page schleppte er jungen Damen Einkaufstüten auf ihr Zimmer und Geschäftsleuten ihre Koffer vor das Hotel, wo der Portier den Wagenschlag öffnete und das Trinkgeld kassierte. Und er lernte daraus: Am Trinkgeld konnte man Herkunft und Charakter ablesen. Das alte Geld, wie die Hausdame immer zu sagen pflegte, gab wenig, das neue Geld gab viel, meist zuviel; wer das Trinkgeld am Anfang seines Besuchs gab, war anspruchsvoll und berechnend, wer es am Schluß gab, hatte Herz.

Im Atlantic-Hotel hatte er Renate kennengelernt, die auf Friseuse lernte. Bevor er in das Reservierungsbüro des Züricher Dolder geholt wurde, heirateten sie. Mehr aus Spaß. In Wahrheit aus Spaß am Sex. Aber mit der Zeit wurde die Sache stinklangweilig; zu sagen hatten sie sich nichts, miteinander lachen konnten sie erst recht nicht. Renate fand in der Schweiz keine Arbeit, was ihre Stimmung enorm verschlechterte. Wann immer Saalbach nach Hause kam, in die kleine Zwei-Zimmer-Wohnung, saß Renate da und maulte. Dennoch wollten sie sich nicht scheiden lassen, denn sie hatten sonst niemanden. Sie ahnten, daß es besser anders wäre, wußten aber nicht, ob es anders besser sein würde. So kam es Saalbach sehr gelegen, als ihm ein italienischer Hotelkonzern einen Posten in Mailand anbot. Von dort ging es nach Florenz, Sardinien, Rom und schließlich Capri, wo er Ronaldo Schäfer kennenlernte, der im Hotel Quisisana arbeitete. Sie wurden Freunde, was seltsam genug war, denn zwei gegensätzlichere Menschen hätte man sich kaum vorstellen können. Saalbach hatte zwar sein Saufen im Griff, nicht aber seinen Größenwahn. Er steckte voller Pläne und Ideen. Dann starben Saalbachs Eltern, und er erbte fünfhunderttausend Mark. Während Ronaldo sich entschloß, mit seiner Frau Ursula und Tochter Heike als stellvertretender Direktor eines Hansson-Hotels nach London zu ziehen, entschied Saalbach, in Arosa ein eigenes kleines Hotel aufzumachen. Aus einer alten Pension mit zwölf Zimmern machten er und seine Frau den »Saalbach-Hof«. Doch das Hotel lief nicht. Vielleicht lag es an Dieter Saalbachs schlechtem Konzept und daran, daß er sich selber immer überschätzt hatte. Vielleicht lag es auch an Renates Unvermögen, zu verbergen, wie gleichgültig ihr die Gäste waren und wieviel mehr sie den Alkohol schätzte. Zweieinhalb Jahre später ging der Saalbach-Hof in Konkurs. Saalbach war am Boden. In dieser Situation stand ihm ein Freund zur Seite, den er beinahe schon wieder vergessen hatte: Ronaldo Schäfer. Schäfer hatte das Angebot erhalten, im neueröffneten Hamburger Hansson-Hotel Direktor zu werden, und er brauchte einen Stellvertreten Das war die Rettung – einerseits. Andererseits hatte Dieter nie verwunden, daß Ronaldo ihn am Boden gesehen und ihm aufgeholfen hatte. Und er war bis heute noch nicht damit fertig geworden, daß ausgerechnet Ronaldo, den er für pflaumenweich hielt, hier Direktor war und nicht er. Deshalb lauerte er darauf, daß Schäfer, den er als Freund ansprach, aber als Konkurrenten ansah, endlich das Ruder abgeben würde – an ihn.

Am Freitag vergangener Woche, kurz vor Feierabend, war Daniela Holm in Saalbachs Büro gekommen. Da hatte er es ihr gesagt: »Daniela, Schäfer hat gerade aus New York angerufen. Es ist geritzt, sozusagen. Das müssen wir feiern!«

Sie war einfach an der Tür stehengeblieben, hatte ihn angelächelt, aber kein Wort gesagt. Dann zog sie langsam den Blazer ihres engen, fliederfarbenen Seidenkostüms aus, ließ ihn wie beiläufig zu Boden fallen und kam langsam näher. Saalbach war sprachlos. Er blieb in seinem schwarzledernen Chefsessel sitzen und glotzte sie an. Kurz vor seinem Schreibtisch ging Daniela in die Knie. Auf allen vieren kroch sie unter seinem Schreibtisch hindurch. Irritiert rollte Saalbach mit seinem Sessel ein Stück zurück. Sie schaute unter dem Schreibtisch hervor, lächelte immer noch, kroch dann ganz dicht an ihn heran, faßte mit der linken Hand in seinen Schritt und flüsterte: »Dann haben wir die Macht, ja? Versprichst du es? Wir beide … das stärkste Team.« Sie strich über den Stoff seiner Anzughose. »Wir werden das Sagen haben, wir werden Erfolg haben, alle miesen Typen fliegen, die guten werden gepuscht, wir machen aus dem Hansson Hamburg die Nummer eins …«

»Ja!« grunzte er, denn sie packte ihn an seiner empfindlichsten Stelle, »ja, Daniela …«

»Und du wirst dich scheiden lassen«

»Ja, natürlich …« Er rutschte fast von seinem Sessel herunter. »Und der Schreibpool?« hauchte sie und senkte den Kopf in seinen Schoß.

Saalbach rutschte wieder hoch. »Hör auf! Wenn jemand hereinkommt.«

»Aber wieso denn? Seit wann hat denn ein Saalbach Skrupel?«

»Daniela. Ich denke doch nur an dich …« Er versuchte sie hochzuziehen.

»Erst eine Antwort.«

»Worauf?« Er nestelte an seiner Pünktchenkrawatte.

»Was mit dem Schreibpool wird. Den Tippmäusen …«

»Was soll mit denen …« Den Rest konnte er einfach nicht mehr sagen, denn mit gekonntem Griff öffnete sie seinen Hosenschlitz und faßte hinein. Saalbach hatte schon viel Liebe im Büro erlebt, aber das noch nicht. Es war noch nicht einmal Feierabend. Jede Sekunde konnte jemand hereinkommen.

»Wir brauchen den Schreibpool nicht«, murmelte Daniela, während sie Saalbach massierte. »Es heißt doch immer: Personal einsparen. Das wäre eine Gelegenheit.«

»Schäfer würde das nie wollen«, stotterte Saalbach.

Daniela zog ihre Hand heraus, erhob sich langsam, beugte sich aber über ihn, indem sie sich mit ihren Händen auf den Armlehnen seines Sessels abstützte. Ihr Gesicht war dem seinen jetzt ganz nah. Er spürte ihren Atem, der nach Vanille roch. »Es geht hier doch bald nicht mehr danach, was Schäfer will, Dieter!« sagte sie leise, aber streng. »Es geht doch bald danach, was wir wollen, oder?«

»Ja.« Er versuchte, sie zu küssen, sie hatte ihn ganz wild gemacht. Sie wehrte ab.

»Aber das geht doch nicht, Dieter!« Sie baute sich vor ihm auf. Ohnehin eine große Frau, wirkte sie in diesem Moment geradezu riesig auf ihn. Geschickt zog sie den Reißverschluß seines Hosenschlitzes wieder zu.

»Warum denn nicht?« wollte er wissen, ganz heiser.

»Ich denke doch nur an dich, Dieter.«

In dieser Sekunde ging die Tür auf, und Dr. Begemann trat ein. Er war sichtlich irritiert, denn die Situation war vollkommen klar. Er blieb in der geöffneten Tür stehen. »Verzeihen Sie, Herr Saalbach, ich …«

Saalbach konnte Begemann nicht sehen, sondern nur hören, denn Daniela stand noch immer unverändert dicht vor ihm. »Aber bitte«, stammelte er, »kommen Sie doch rein, Herr Begemann, kommen Sie herein …«

Daniela drehte sich langsam um, nickte ihrem Vorgesetzten kurz zu und trat einen Schritt zur Seite.

»Wenn ich störe, kann ich auch morgen …«

»Aber nein!« Saalbach erhob sich.

Daniela ging um den Schreibtisch herum auf Begemann zu, der näher kam, sich kurz bückte, ihre Jacke aufhob und sie ihr wortlos reichte.

»Nehmen Sie Platz, Herr Begemann. Was gibt’s?«

»Wo meine Stellvertreterin gerade da ist, Herr Saalbach: Ich wollte gerne das Problem Schreibpool ansprechen.«

»Ach«, entgegnete Saalbach. »Das Thema hatten wir im Momang am Wickel!« Er grinste.

Daniela grinste auch. Begemann sah die beiden abwechselnd an. Er brachte mit seinem Zitronenmund mühsam ein Lächeln zustande. »Sehen Sie … ich darf doch?« Er hätte sich auch ohne die joviale Geste, mit der Saalbachs ausgestreckter Arm auf den Sessel vor seinem Schreibtisch deutete, gesetzt. »Frau Wilkens. Es geht ja immer noch um Frau Wilkens. Da ist ja eine Planstelle frei. Und Frau Stade beklagt sich, daß die jungen Damen zuviel Arbeit hätten, und nun will die wohl, tja, natürlich, wie kann es anders sein heutzutage …«, er räusperte sich, » …die Planstelle wieder besetzen.«

»Nee. Also nee!« Saalbach gab den ernstlich Betroffenen. »Bei allem Verständnis für die Stade. Die sollen reinhauen! Die sollen sich freuen, daß die einen Job haben. Wenn denen ihre Arbeit zuviel ist, können die gehen.«

Daniela, die jetzt am Fenster stand, mischte sich ein: »Ich hatte Herrn Saalbach gefragt, warum wir den Schreibpool nicht einfach auflösen.«

»Auflösen?« Begemann war höchst erstaunt. Bei solchen Gelegenheiten konnte er anwenden, was er als Fünfzehnjähriger vor dem Dielenspiegel in seinem Elternhaus in Heide, Holstein, bis zur Perfektion geübt hatte: Er zog die linke Augenbraue hoch.

Daniela Holm legte nach: »Na ja: Die Korrespondenz, die Werbebriefe an die Gäste, die Hotelzeitschrift, Speisekarten, halt, der ganze Schreibkram …« – sie schaute kurz auf ihre gepflegten, roten Fingernägel – »kann man auslagern. Externes Schreibbüro wird billiger. Dieses Arbeitsplatz-Erhalten um jeden Preis – Unsinn, sage ich. Kein Hotel der Welt leistet sich einen Schreibpool. Außer uns.«

Beide Männer nickten heftig. »Aber machen Sie das mal dem Schäfer klart« wandte Begemann ein. »Der hängt doch an seinem Schreibpool.«

»Ich habe bereits ein Konzept gemacht. Und Herr Saalbach wird Herrn Schäfer sicher erläutern können, wie sinnvoll es ist, an dieser Stelle zu sparen.«

»Entlassungen kosten!« sagte Begemann ernst.

Daniela hatte auch darauf eine Antwort. »Sehen ‘Sie, lieber Herr Dr. Begemann, Frau Stade – die muß bleiben. Die könnte hier oben im Direktionsbüro Frau Frowein unterstützen. Schließlich arbeitet die Arme für zwei Chefs. Und die drei jungen Damen, ach herrje, es gibt Mittel und Wege.«

»Lieber Wege«, sagte Begemann. »Mittel haben wir nicht, jedenfalls keine finanziellen.«

»Wege! Nicht umsonst führe ich die Personalakten. Die kriegen wir alle raus. Ohne größere Probleme. Die Bast ist renitent und arbeitet schlecht, Frau Stade hat sich mehrfach beschwert über sie. Außerdem trinkt sie …«

»Ach.« Saalbach sah Daniela erstaunt an.

»Wird gerade von mir abgemahnt. Die Klingenberg, alleinerziehende Mutter, Herr Saalbach, kriegen wir sofort klein … und der Gerdes anzuhängen, daß wir der festen Meinung sind, sie sei für die Diebstähle in den Personalumkleide …«

Begemann erhob sich abrupt. »Also, Frau Holm, das klingt ja wie eine Hinrichtung. Das geht aber doch so nicht.«

Beide sahen Saalbach an, beide erwarteten von ihm eine Stellungnahme. Er wußte nicht, was er sagen sollte. Daniela Holm führte einen Bleistift zum Mund. Sie legte ihre Lippen um das Ende des Stiftes, so als würde sie nachdenken.

Saalbach stand auf. »Das Prozedere müssen wir ja nicht hier und heute klären«, entschied er. »Und im übrigen überlasse ich das Ihnen. Sie sind schließlich für das Personal zuständig.«

Daniela kniff die Augen zusammen. Saalbach wußte, das war kein gutes Zeichen. Er wollte ein Mann der Tat sein, einer, den man für seine Entscheidungskraft bewunderte. Also gab er sich einen Ruck. »Der Pool wird dichtgemacht, das ist hiermit entschieden!« Das klang fest und entschlossen. Er war sicher, daß es auch Daniela gefallen würde. »Ich werde es Schäfer beibringen, wenn er Montag wiederkommt.« Er sah Begemann an. »Sonst noch was?«

Begemann schüttelte den Kopf.

»Schönes Wochenende, Herr Dr. Begemann!« sagte Daniela, so herzlich sie konnte. Begemann dienerte, während er rückwärts zur Tür ging. Dann verschwand er.

»Bißchen übertrieben, findest du nicht!« Saalbach wandte sich an Daniela. »Deine persönlichen Rachestrategien …«

»Wenn wir dieses Haus übernehmen und zum Erfolg führen wollen, mein Lieber, kommen wir auch an so unangenehmen Schritten nicht vorbei. Ich habe Pläne, die noch erheblich weiter reichen … Aber für heute …« – sie kam wieder an seinen Schreibtisch zurück – » … genügt mir das. Wenn du bei deinem Wort bleibst.«

»Natürlich bleibe ich dabei. In der Sache hast du ja recht. «

»Was ist mit heute abend, Dieter?«

Er sah sie gierig an. »Ich rufe mal an der Rezeption an, ob ein Zimmer frei ist.«