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Das Inselmädchen ist eine Novelle des Autoren Robert Müller.
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Seitenzahl: 58
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Von allen Erscheinungen der Insel, die ihn beunruhigten, versöhnte den Belgier Raoul de Donckhard das Mädchen auf der Südklippe der Insel zuerst.
Über den Bruchrändern der bassinblauen Muschel der Bucht quoll malachitgrün das Meer, stand Augenblicke wie ein schartiger dicker Stein und zerspähnte sich, bei näherem Hinsehen bewegt, in lange Kammspiralen, die tausendflächig geknittert verkräuselten, von einer unendlich walzenden Maschine aus der Unendlichkeit geschält. Raoul de Donckhard ließ die Bewegung rings um sich wieder narbig versteinern, indem er den Blick von ihr hob. Die Insel lag da wie ein aufgeklapptes Gebiss auf einer Etagere; leer und scharf. Ein blauer Gaumen, unterwölbte sie die Muschel der Bucht. Raoul empfand Abscheu vor diesem Anblick. Die Einsamkeit von Weite und Meer hatte sich zu einem knirschenden Wink gefestigt, ihr Ausdruck war diese weitläufige Klippe.
Raoul nahm das Seeglas vor die Augen. Der harte Schrei fuhr auseinander zu einem Nebel von Linien und Flecken, Raoul schraubte, da gerann es, setzte sich ab in deutlicheren Stufen des Lebens. Die Klippe war leer, aber nicht tot. Aus der Heftigkeit, mir der sie über die Oberfläche gesetzt war, strömte an geborgenen Stellen ein zärtliches Dasein.
Raoul setze ab und blinzelte. Sofort begann der Wellensteinbruch um ihn in Milliarden von Flächen zu zerfallen, arbeitete sich in unendlichfachen Schuppen ab, blätterte, verwitterte augenfällig. Raoul schloß die Augen und sah die Insel und ihre junge Geschichte vor sich.
Auf der Insel war eine blendende, aber zähe Vegetation ausgebrochen. Eines Tages hatte der Meergrund, von einer inneren Wallung getrieben, die Spitzen durch das Meerende oben gestoßen. Das Meer schwoll ab, wie von einem heißen Loch geschlürft. Die Krusten des Meerbodens brachen bei dieser furchtbaren Anstrengung, die kunstvoll gesammelten Korallenbänke zerpulverten an der pressenden Bewegung, die von tiefen Feuermuskeln auf sie überzitterte. Schwarzblasse Tangurwälder starben im kochenden Sonnenschein uns aschten die Ritzen der jungfräulichen Insel, die Verwesung von Fischleichnamen schuf winzige Gärten der Fäulnis, die der herabprasselnde Tropenregen mit unzähligen Händen als Teig der Schöpfung um die ganze Insel knetete. Er stampfte ihn fest, die Sonne gab ihm Halt. Begehrende Erde streckte ihre Schöße, wenn der schwertragende Samenwind von weiten Kontinenten über sie hinschlüpfte und seine feinen Lasten in sie niederließ. Aber Wind und Regen, die Gründe und schräge Hänge und flachen Felder beflorten, wetzte auch die erste furchtbare Verwirrung des Durchbruchs hinweg. Wie schrecklich hart und planlos hier trotzdem noch alles lag! Man konnte am gerechten Sinn der Natur verzweifeln; nur eine starke einfache Idee konnte hier Gerechtigkeit, Form und Wachstum schaffen. Und die Natur, die ihren Anfang so drastisch darbot und die Reste davon unerschrocken aufrecht erhielt, hatte auch diese Idee.
Raoul sah klar vor sich: die Idee. Am Rand und innerst der Insel quetschten polstrige Blöcke die Backen aneinander. Furchtbarer Druck hatte große reine Flächen geschaffen, deren Kanten Meerorkane entschärften. Die Hundertmeter-Erhebungen brachen spitz und steil empor, kleine ausgeprägte Vulkantürme und nichts anderes als zu diesem Zwecke, Rauchschäfte, Essenausgänge; ein gemeiner Winkel herrschte hier vor, eine rücksichtslose Absicht nach oben auch jetzt noch, da alles erloschen war. Von dieser Urabsicht und ihren Bleibseln ging nun wohl die Natur aus. In dieses langsam zu einer organischen Ordnung zerfallende Chaos setzte sie eine gerechte Idee, die sich nicht vollkommen frisch gebärdete, sondern von älterm Willen nährte. Die Natur hält auf Übergänge. Sie setzte eine Vegetation ein, die jene reine Fläche und den übertrieben spitzen Winkel beibehielt, zwei maßlos einfache Prinzipe. Die Baumformen der Insel waren anfängerhaft. Sie wuchsen steif aus der Erde und setzten erst hoch oben Äste an, deren Beblätterung längs des Stammes behälterartig emporstrebte. Ein seltsames Gewächs, eine riesenhaft dicke Distel, knickte ihre Seitensprossen starr nach oben, trug die vollroten Köpfe der Blüte wie die Flammen eines streng geregelten Armleuchters. Die erste Neigung, in die Breite zu gehen, war hier im Kampf einer Natur mit sich selbst zugunsten eines älteren Inselprinzipes gezüchtigt. Raoul vergegenwärtigte sich das lähmende Grauen, das ihn überfiel, so oft er durch den Dschungel der Armleuchterpflanze zu schreiten hatte. Er empfand die gerade Linie, die in den weichen runden Mond hineinwuchs, als faszinierend, aufsaugend, erkältend. Nach oben geschlossen, Gestalten mit vermummten Köpfen, waren die von dem selben Grundsatz hypnotisierten Palmen, die dieser Insel entwuchsen, dabeigestanden.
Steinbäume schlugen ins Blau. Basaltene Sträucher drohten, ein Gewissen der Überlieferung, zum abgearteten Leben verurteilter Grundsatz, Meerweltmotiv, das in Korallenbarrieren vorgelebt haben mochte. Erzenes Adergezweig ahmte in unergründlicher Sehnsucht die Zeichnung nach, die der Wellengang auf der Meerfläche abschlägt. Zäh schlug die Zelle altvorderem Gestaltungstrieb der Welle nach.
Das Zerfallen des Meeres in Flächen war nutzlos. Aber aus den selben Motiven schuf das Meer, Insel geworden, die Typen der Insel, die sie emporbringen sollen, aus reiner Fläche und spitzem Winkel. Erst eine andere Kraft und Überlieferung, dem Meer an Macht und Adel gleich, der Wind, wird anfängerhafte eckige Jugend, Flegeljahre der werdenden Natur, ausgleichen, modellieren und verbreitern.
Raoul sah ein, dass aus der Verwirrung und Beiläufigkeit des Durchbruchs nur eine einfache und harte Idee zur Gerechtigkeit führen konnte. Das neue Leben nahm seine Form vom Toten. Das Tote hatte ihn an dieser Landschaft inmitten schmiedender Hitze kalt bis in die Zunge werden lassen. Er unterdrückte seinen Ekel und anerkannte das Gerechte, das die Natur vorwollte.
Einfach wie ein Kind setzt sie Striche, um eine Ordnung herbeizubringen; dünne riesige Pilze, das waren die Bäume, eine erschreckend simple Landschaft; genug, diese versorgte die Menschen, die von Festländern aus durch Wasser auf sie gedrungen waren. Männer standen Schulter an Schulter in hochgeschwungenen Kähnen, Weiberscharen mit aus den Busen und von den Hüften quellenden Kindern zu Füßen. Mädchen kauerten sich über das Lieblingshuhn, Tauben mit Radaugen saßen Kriegern auf den Schultern und flatterten gegen die Luftwirbel. Der Männer ästig gewachsene Lanzen mit den unebenen Steinsplitterspitzen starrten verkreutzt wie nackte Zeltspieren über das flößende Lager, der Wind faßte sich im Rudel der Stöcke wie in einem Segel und trieb überfüllte Boote an eine Küste, während die Blicke der Insassen noch scheu nach rückwärts loteten, ob die Zornmächte ihrer Urheimat ihnen im Kielwasser folgten.
Sturmhiebe aus der Tiefe des Landes, wandernde Wasserdämme von meerwärts trieben ein großes Volk, als alle Erde dort sich unter Wolkenbrüchen und Flußschwellungen zu gelben Milchfluten quirlte, auf die tanzenden Boote. Tausend Boote kippten in der Schale einer hohlen Woge lautlos um und versenkten mit einschläferndem Schrecken ihre Menschenladung; andere saugten langsam, trugen über Flutsäulen und Wellengrate treu hinweg und schluckten plötzlich irgendwo im stillsten Wasser; Menschen griffen ihren langen Schreien nach, als könnten sie sich an ihnen halten. Die Haie sonnten an diesen Tagen ihre Bäuche. Aber die andern Dutzend Boote blies ein freundlicher Wind an den Stöcken in die Bucht. Seither gilt die Steinscherbenlanze als heilig. War es nicht derselbe Wind, der spät, nachdem die Insel von Kadaveroasen gedüngt und der Leichenhumus in rastloser Arbeit geglättet war, Samen von Kontinenten und anderem Geinsel gebracht hatte? Ein Taifun in asiatischen Meeren saugte Insektenschwärme und Vögel an und führte sie jenseits von stillstehenden Luftbänken über den Erdquadranten, wie Wein in einem Stechheber, bis er flau wurde und alles auf die Insel fallen ließ. Aus den intakten Eiern der ohnmächtigen oder erdrückten Weibchen entstand eine Tierwelt. Diesmal beschämte der Wind die Insel mit Menschen.