Das Kind im 13. Vollmond - Daniela Mimm - E-Book

Das Kind im 13. Vollmond E-Book

Daniela Mimm

4,4

Beschreibung

Rätselhafter Fund auf Burg Bischofstein! Ein rostiger Haken, lose Steine im Mauerwerk, dahinter ein verborgener Hohlraum. Megan Linderau glaubt ihren Augen nicht zu trauen, doch das gefundene Lederkästchen mit äußerst brisantem Inhalt auf ihrer Hand ist keine Halluzination. Zufall oder Schicksal, dass ausgerechnet Megan damit einem Geheimnis auf die Spur gekommen ist, das nicht nur bis weit in die Vergangenheit der Burg, sondern, wie sie feststellen muss, auch zu ihren eigenen Wurzeln zurückreicht? Fest entschlossen begibt sie sich auf die Suche nach der Wahrheit, nicht ahnend, in welches "Wespennest" sie damit sticht.

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Zu diesem Buch:

Rätselhafter Fund auf Burg Bischofstein: Bei einem Putzwochenende des Ehemaligenvereins Fichte-Gymnasium Krefeld, kurz „EFG“ genannt, stößt ausgerechnet die junge Amerikanerin Megan Linderau, die eigentlich nur zu Gast in Deutschland weilt und ihren Vater eher widerwillig zu der Aktion begleitet hat, rein zufällig auf ein altes Lederkästchen, verborgen in einem Hohlraum hinter lockeren Mauersteinen. Es enthält eine goldene Halskette mit Mondstein-Amulett und einen recht seltsamen Brief. Doch dessen nicht genug … als sie das Amulett öffnet, glaubt sie, ihren Augen nicht trauen zu können …

Schnell wird Megan bewusst: Die alte Burg birgt ein dunkles Geheimnis, das bis in die Schulzeit ihres Vaters zurückführen muss. Seine sonderbare Reaktion beim Anblick des Schmuckstücks wirft erneut Fragen zu seiner Vergangenheit auf, über die er sich von je her beharrlich ausschweigt.

Doch Megan wäre nicht Megan, ließe sie die Sache einfach ruhen. Sie ahnt allerdings nicht, in was für ein „Wespennest“ sie damit sticht …

Mit „Das Kind im 13. Vollmond … Spurensuche auf Burg Bischofstein“ bringt Daniela Mimm ihren vierten Roman heraus.

Von Daniela Mimm ebenfalls bei BoD erschienen:

„Ehemann umständehalber abzugeben“

(Neuauflage im Frühjahr 2018)

„Schnitzeljagd in die Vergangenheit“

(Neuauflage im Oktober 2017)

„Villa der Wahrheit“

(Neuauflage im Oktober 2017)

Liebe Leserinnen und Leser,

lassen Sie sich entführen … nicht nur an vertraute Schauplätze von Krefeld, sondern diesmal auch vor die einzigartige Kulisse der Burg Bischofstein, die hoch über dem wunderschönen Moseltal majestätisch auf ihrem Felsensporn thront.

Tauchen Sie ein in die spannende Geschichte um einen seltsamen Fund zwischen alten Mauersteinen.

Nun wünsche ich Ihnen viel Spaß bei der Lektüre.

Viele Grüße

Daniela Mimm

Anmerkung:

Seit Jahrzehnten dient Burg Bischofstein, im Eigentum des Verein zur Förderung des Fichte-Gymnasiums Krefeld und des Schullandheims Burg Bischofstein e.V. als Schullandheim für die Schüler des Fichte-Gymnasiums.

Tatkräftig und mit allen Mitteln wird die Erhaltung der Burg unterstützt durch den Ehemaligen-Verein Fichte-Gymnasium, kurz „EFG“ genannt, der in diesem Jahr sein 30-jähriges Bestehen feiert.

Explizit zu diesem Jubiläum erscheint der vorliegende Roman. Die Handlung ist absolut frei erfunden, etwaige Namensgleichheiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären – mit gewissen Ausnahmen – rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Prolog

1983

In ihrer dunklen Kleidung hob sich die Gestalt kaum wahrnehmbar von der Schwärze der Nacht ab. Vorsichtig, um auf den nassen Steinstufen nicht auszurutschen, tastete sie sich mit der Hand an der Mauerbrüstung in die Tiefe.

Sie fluchte in sich hinein. Der eben noch feine Nieselregen wurde stärker und verteilte sich rasch und klamm auf ihrem Gesicht. Schützend presste sie den Stoffbeutel an ihren Körper. Wenn alles durchnässt war, würde sie mit dem Inhalt später vielleicht nicht mehr viel anfangen können.

Ihr fuhr der Schrecken in die Glieder, als plötzlich ein greller Schein durch das Fenster über ihrem Kopf fiel und bizarre Schatten auf den unteren Burghof warf, der ansonsten dunkel und verlassen am Fuße der Treppe lag. Rasch drückte sie sich an die Bruchsteinfassade des Palas, zählte im Stillen die Sekunden. Mist! Warum musste der alte Haberland aber auch jedes Mal seine Ohren an die Türen der Schlafsäle hängen, selbst, wenn er bloß zur Toilette stiefelte? Wahrscheinlich hatte er ausgerechnet jetzt wieder ein paar zu laute Flüsterstimmen ertappt und brachte die Übeltäter zur Räson.

Für einen Moment glaubte sie tatsächlich, den donnernden Unterton einer Rüge zu hören, doch wurde jegliche Sequenz dessen sofort durch das dicke Mauerwerk und das Prasseln des Regens verschluckt.

Wie blöd musste man sein, um sich von dem erwischen zu lassen! Die Gestalt grinste zynisch. Selbst schuld! Ihr jedenfalls würde das nicht passieren!

Endlich! Das Licht erlosch wieder und die Fensterfront des unteren Schlafsaales zeigte nur noch Schwärze. Eine fast mystische Stille breitete sich aus, nur unterbrochen durch das Rauschen des Niederschlags und ihren eigenen Atem.

Im Schutz der Mauersteine drückte sie sich vorsichtig weiter an der Fassade entlang. Zwar kam ihr zugute, dass die Außenlaternen am diesseitigen Haupteingang abgeschaltet waren, dafür musste sie jetzt höllisch aufpassen, nicht über die Beeteinfassung und die ausgetretenen Stufen vor den Wirtschaftsräumen zu fallen.

Kein leichtes Unterfangen, wenn man gleichzeitig den Zugang zum gegenüberliegenden Gebäudetrakt im Auge behalten musste. Von dort konnte ihr schließlich immer noch der verschrobene Burgwart in die Quere kommen, dessen Wohnung sich genau unter dem so genannten Rittersaal auf einer tieferen Ebene befand.

Doch auch auf dieser Seite blieb alles ruhig.

Sie atmete auf. Bestimmt lag der alte Griesgram in seinem Suff auf der Couch vor dem laufenden Fernseher und schnarchte so laut vor sich hin, dass nicht einmal das Burggespenst ihn hätte wach kriegen können.

Das Pflaster unter ihren Turnschuhen war glitschig und das aufgeweichte Gummi ihrer Sohlen ließ sie straucheln, als sie nicht auf den lockeren, vorstehenden Pflasterstein zu ihren Füßen achtete. Nur so gerade eben konnte sie noch das Gleichgewicht halten und fluchte erneut. Sie musste besser aufpassen. Nicht auszudenken, wenn sie hier stürzte und sich die Knochen brach.

Langsam schlich sie weiter, die Seitenpforte bereits in greifbarer Nähe.

Sie langte in ihre Jackentasche. Der Dietrich in ihrer Faust wog etwas schwerer als ein normaler Zimmerschlüssel.

Die Taschenlampe hätte sie leicht verraten, daher tastete sie mit der bloßen Hand im Dunkel das Schloss ab und schob ihn behutsam in die Öffnung. Mit einem leisen Klacken sprang die Holztür auf und gab den Weg auf das verbotene Plateau frei.

Lautlos huschte sie über die Schwelle, lehnte die Tür hinter sich vorsichtshalber an, um in derselben Sekunde zu Tode zu erschrecken. Hatte sich vorne am Torhaus nicht etwas bewegt? Sie versuchte, ihre aufkommende Unruhe zu unterdrücken, konzentrierte den Blick auf die Finsternis, um schließlich erleichtert aufzuatmen. Da war nichts! Ihre Augen hatten ihr offensichtlich einen Streich gespielt.

Nun aber voran, bevor sie sich wegen solch dummer Halluzinationen noch verriet.

Hastig strebte sie die wenigen Stufen hinab und richtete sich nach links der Mauerwand entgegen, deren oberer Abschluss eins zu werden schien mit dem verregneten Nachthimmel. Selbst die Lichter der kleinen Ortschaft Burgen, die drüben auf der anderen Moselseite lag, versiegten im milchigen Dunst über dem Fluss.

Dreckswetter! Sie war mittlerweile nass bis auf die Haut.

Nur gut, dass sie es in die Schatulle getan hatte.

Wo aber war sie jetzt, die Öffnung zu jenem Hohlraum, von dem er gesprochen hatte? Sie fixierte jeden Mauerstein in greifbarer Höhe an dieser scheinbar unbezwingbaren Außenwand, in der sie hoch über sich die bunten Spitzbogenfenster der Kapelle wähnte. Hier konnte niemand durch den Schein der Lampe aufmerksam werden.

Sekunden später tanzte der Lichtkegel die Wand hinauf und hinunter. Da … das musste die Stelle sein! Nur erkennbar, wenn man genau hinsah. So, wie sie jetzt. Ein paar Steine … wie es schien, einfach locker ins Mauerwerk geschoben.

Vorsichtig zog sie diese nun heraus, holte die Schatulle aus dem Beutel und legte sie in die Öffnung. Einen Moment haderte sie. War es wirklich richtig, was sie tat? Doch der Gedanke, was passierte, wenn sie nicht machte, was er sagte, ließ ihr keine Wahl …

1

2015

Bislang war ich nur zahlendes Mitglied“, hörte Ally zunächst nur von fern. Ein Lachen folgte, dann setzte die Stimme fort: „Ich bin gerade erst aus den Staaten zurück, aber ich habe vor, hier in Deutschland wieder sesshaft zu werden und die Arbeit des „EFG“ in Zukunft auch physisch zu unterstützen.“

Das war der Moment, in dem sie entsetzt von der Couch hochschrak, auf der sie es sich vorhin erst bequem gemacht hatte. Diese Stimme ... dieses Lachen … das konnte doch wohl nicht wahr sein!

Verwirrt sah Ally sich um, merkte erst jetzt, dass sie fast eine ganze Stunde weggenickt war. Im Fernseher lief bereits das späte Mittwochsmagazin. Glaubte sie zunächst noch, nur schlecht geträumt zu haben, so musste sie nun feststellen, dass der Mann dort vor ihr auf dem Flachbildschirm durchaus real war und es sich bei seiner Stimme exakt um jene handelte, die soeben in Nullkommanichts bis tief in ihr Unterbewusstsein vorgedrungen war. Die Stimme, die sie nie wieder hatte hören wollen.

Auf dem niedrigen Rauchglastisch warteten wie jeden Abend die Chips mit dem Paprikageschmack und das Glas Rotwein. Doch jetzt sah Ally keine Chips mehr und auch keinen Wein. Ally saß da wie zur Salzsäule erstarrt. Ihre Augen klebten nur noch an dem Mund und vor allem an dem Gesicht, zu dem die Stimme gehörte.

Es dauerte ein Weilchen, bis sie sich einigermaßen fasste. Als könne sie sich nur auf diese Weise vergewissern, keinem Trugschluss aufzusitzen, kniete sie mit hastiger Bewegung vor den Bildschirm und stieß so heftig mit dem Fuß gegen das Tischbein, dass obendrauf das Glas mit dem Flecken versprechenden Inhalt gefährlich schwankte.

Aber Ally registrierte es nicht. All ihre Sinne hafteten an dem schlanken, hoch gewachsenen Mann, der da lässig mit Jeans und dunklem Sakko über dem weißen T-Shirt im Gästesessel des Studios lehnte und vor den anwesenden Zuschauern bereitwillig auf die Fragen des Moderators antwortete.

„Nicht nur sämtliche Freunde und Förderer, auch diese Schülervereinigung hat Großartiges geleistet, das kann an dieser Stelle nicht oft genug erwähnt werden …“

Franjo!

Zu welchem Thema konkret, und wieso ausgerechnet er in dieser Runde saß, war bisher noch nicht in Allys Sinnen angekommen. Stattdessen sog sie wie im Trance jede seiner Bewegungen auf, verfolgte, wie er jetzt die Beine übereinander schlug und die Hände im Schoß faltete.

Genau wie damals, ging es ihr durch den Sinn. Franjos typische Haltung, wenn er mit sich und der Welt zufrieden schien.

Großartig verändert hatte er sich äußerlich nicht. Höchstens sein einst dunkelbraunes, volles Haar war weißen Schläfen gewichen. Doch war es ein Weiß, das seine maskuline Attraktivität, die Ally ihm ohne Wenn und Aber zugestehen musste, ohne Zweifel nur unterstrich.

Ja, gut aussehen tat er immer noch. Doch sofort meldete sich in ihr der Trotz. Na, und? Sollte er doch! Sie prustete sich eine vorwitzige Haarsträhne aus der Stirn. Er war nicht mehr ihr Franjo! Dieser Mann ging sie schlicht und einfach nichts mehr an!

Ally spürte einen dumpfen Schmerz im Magen – die Erinnerung, die tief in ihr zu brodeln begann.

Weit über dreißig Jahre war es her und trotzdem vergaß sie nicht, wie sehr sie sich bereits bei Franjos erstem Auftritt als Neuer auf dem Schulhof in seinen Bann gezogen fühlte. Sie, gerade achtzehn geworden und leider ohne großes Maß an Selbstvertrauen, hatte sich deshalb bemüht, ihre Schwärmerei zu verbergen. Um keinen Preis wollte sie sich vor ihm und dem Pulk Jungs, mit denen er seit seinem Einzug in die Parallelklasse ständig herumhing, lächerlich machen. Abgesehen davon himmelten ihn die Mädchen scharenweise an und von denen sah mit Sicherheit manche viel besser aus als sie, Ally. Warum also sollte er sich ausgerechnet mit ihr abgeben?

Ja, so hatte sie tatsächlich gedacht, klein und unscheinbar, wie sie sich damals fühlte. Bis zu jenem Tag, an dem sie sich rein zufällig am Eingang des Kinos gegenüberstanden. „Nanu, das nenn ich aber eine Überraschung!“, hatte Franjo gerufen und sie sich bestimmt nicht eingebildet, dass er sich sogar darüber freute. „In welchen Film gehst du?“, wollte er sogleich wissen.

Sie hatte die Befürchtung, er lache sie aus, wenn sie zugab, sich die laufende Liebesschnulze schon zum dritten Mal anschauen zu wollen. Als er zu ihrer Überraschung dann offen gestand: „Ich auch!“, erhaschte sie zum ersten Mal einen Blick hinter seine sonst eher machohafte Fassade.

„Magst du dich zu mir setzen?“, fragte er durchaus ernst und sah sie bittend an. „Nur erwähne nie den anderen gegenüber was davon!“

„Meinst du jetzt den Film damit oder dass ich mich neben dich setzen soll?“, hatte sie sogleich gekontert, weil sie es natürlich auf letzteres bezog.

Einen Augenblick lang sah er sie recht verdattert an, dann begriff er. „Nein, nein! Es braucht nur niemand wissen, dass ich diesen Film sehr mag. Du bist jetzt die einzige, die mein Geheimnis kennt“, stellte er schnell klar und lächelte gewinnend. „Versprichst du mir, dass es dabei bleibt?“

Bei der Art, wie er sie ansah, schlug ihr Herz schneller. In diesem Moment hätte sie ihm wahrscheinlich alles versprochen.

Am liebsten wäre ihr gewesen, der Film ginge nie zu Ende. Nicht wegen der Handlung oder den Darstellern, die kannte sie ja schon in- und auswendig. Nein, diesmal war alles anders. Zum ersten Mal teilte Franjo nicht nur großzügig sein Popcorn mit ihr und spendierte obendrein eine Cola – zum ersten Mal spürte sie auch seine körperliche Nähe, einzig getrennt durch die Sessellehne. Sein Blick brannte regelrecht auf ihrer Haut, wenn er sie von der Seite her ansah und ihr Herz pochte dabei so laut bis zum Hals, dass sie Angst hatte, er könne es hören.

Diesen Nachmittag würde sie in ihrem ganzen Leben nie vergessen, denn er war der Anfang von allem. Von da an trafen sie sich regelmäßig. Nicht nur zum Kino, auch zum Eis essen, Flippern in der Pommesbude und Paddeln auf dem Stadtwaldweiher.

Es dauerte nicht lange, bis er sie zum ersten Mal in ihrem kleinen Zimmer in der Wohngemeinschaft, die sie mit zwei Freundinnen unterhielt, besuchte.

Ally sah ihr altes Reich in der großzügig geschnittenen Dreizimmer-Altbauwohnung in der Nähe des Klinikums wieder genau vor sich: Typisch hohe Wände, die sie aus einer Laune heraus in sattem Gelb gestrichen hatte, verziert mit weißen Stuckleisten an der Zimmerdecke. Die weiße Sitzbank, ein Geschenk ihrer Eltern, die knapp ein Jahr zuvor mit ihrem Bruder Piet nach Kanada ausgewandert waren, eingepasst direkt in den Fenstererker, und die Flut der von ihr selbst bemalten Leinwände in allen Größen, die über dem breiten französischen Bett hingen. Selbst den einst von Großtante Minchen genähten Patchworküberzug, den sie jedes Mal vor Franjos Besuch im Schrank verstaute, hatte sie noch genau im Visier.

Dort in ihrem kleinen gemütlichen Refugium, auf ihrem Bett mit der bunten Kissensammlung, erkundeten seine Hände zärtlich ihren jungen Körper und dort schworen sie sich ewige Liebe.

Sie war so glücklich damals. Ausgerechnet Franjo Linderau, der eigentlich nur Schnipp machen brauchte und sogleich jedes andere Mädchen haben konnte, hegte wahrhaftig dieselben Gefühle wie sie für ihn.

Nur, dass er ausgerechnet in der Schule ein so großes Geheimnis aus ihrer Beziehung machte, tat weh. Vor allem, weil er wie gehabt mit denselben Hühnern, wie Ally drei gewisse Grazien aus seiner Klasse bei sich nannte, herumflirtete, ihr selbst dagegen in den Pausen offensichtlich gezielt aus dem Weg ging und sie noch nicht einmal aus der Ferne anschaute.

Sie hatte ihn darauf angesprochen, beim nächsten Mal unter vier Augen, bei sich zu Hause auf ihrer großen Lümmelwiese, wie Franjo das breite Bett gerne titulierte.

Er hatte ihr die Zweifel einfach weggeküsst. „Ich möchte unser Glück für uns bewahren. Es geht niemanden etwas an, nur uns beide.“

Heute war ihr schleierhaft, wieso, aber damals hatte sie sich mit seiner Aussage zufrieden gegeben, wollte um jeden Preis an ihrer Liebe festhalten.

Ally erinnerte sich aber auch noch an den Streit mit ihrer Mitbewohnerin. Es war ungefähr drei Wochen, bevor es mit dem Mathe-Leistungskurs ein letztes Mal gemeinschaftlich zur schuleigenen Burg Bischofstein gehen sollte, als Bea ihr unverblümt um die Ohren haute: „Mensch Mädchen, werde endlich wach! Der nutzt dich bloß aus!“

Sie hatte aufbegehrt, Bea entgegen geschleudert, wie sie dazu käme, so etwas zu behaupten, wo sie ihn doch kaum kenne.

„Mag sein“, platzte diese heraus, „aber ich kenne genug Leute, die über deinen Franjo ganz gut informiert sind. Der braucht dich hier allerhöchstens als Betthupferl und nach dem Abi ist er eh weg!“

Beas Warnung traf sie bis ins Mark. Trotzdem weigerte sich ihr Herz, das ernst zu nehmen. „Quatsch, wo soll er denn hin?“, verteidigte sie ihn trotzig. „Damit du es nur weißt, wir haben uns geschworen, zusammen zu bleiben!“

Beas Blick war voller Mitleid. „Der alte Linderau ist als ziemlich scharfer Hund bekannt und wenn der sagt, dass sein Sohn im kommenden Juni nach dem Abi in die USA geht, glaube mir, dann wird es auch so sein!“

Franjo in die Staaten? Kein Wort hatte er bisher davon gesagt. Bestimmt hätte er doch mit ihr darüber gesprochen. Oder nicht? Ob es ihr gefiel oder nicht, durch Beas Worte keimten sämtliche Zweifel, die Franjo ihr noch am Tag zuvor erfolgreich ausgeredet hatte, erneut auf.

Ach, hätte sie damals doch nur auf Bea gehört! Jetzt, wo alles wieder hochkam, spürte Ally, wie sehr die alten Wunden noch immer stachen.

Niemals würde sie ihm verzeihen, was er getan hatte. Franjo Linderau – war es Wut oder Hass? Allys Magen rebellierte plötzlich, sie fröstelte – wie gern hätte sie allein schon diesen Namen vergessen, aber nicht einmal das war ihr möglich.

Und jetzt wagte ausgerechnet dieser Mensch, auch noch ungefragt in ihr Wohnzimmer einzudringen? Saß einfach so vor ihr? Zweiunddreißig Jahre später. Nur durch den Bildschirm getrennt.

NEIN! In einem Anflug geballter Aggression schaltete sie den Apparat aus und nahm einen ordentlichen Schluck Wein, diesmal direkt aus der Flasche. Mit dieser in der Hand ging sie zum Fenster, riss die die Balkontür auf und trat hinaus.

Der Himmel war bedeckt, kein einziger Stern am Firmament. Die kühle Nachtluft tat gut und Ally versuchte, gleichmäßig ein und aus zu atmen. Doch half es nicht wirklich beim Kampf gegen die Gedanken, die Franjo Linderau mit seinem unvorhergesehenen Fernsehauftritt ausgelöst hatte.

Es war nicht zu fassen, schon brachte er ihr Leben wieder durcheinander. Ally spürte ihr Herz hart gegen die Rippen pochen. Mit einer abwertenden Handbewegung, als könne sie wenigstens damit die bösen Erinnerungen auslöschen, versuchte sie das Gefühlschaos in sich zu unterdrücken. Hilflos drehte sie die Flasche in der Hand. Dann setzte sie sie an die Lippen und trank sie in einem Zug leer.

„Warum machst du denn nicht die Tür auf? Ich hab zigmal geklingelt! Ally? Ach herrje, was ist denn hier los?“

Nur schemenhaft nahm Ally die Gestalt wahr, die hoch aufgerichtet in der Wohnzimmertür stand und ihre erschreckte Miene durch den Raum gleiten ließ. Sie blinzelte und streckte schläfrig die bleischweren Glieder.

„Hast du eine Party veranstaltet oder was ist passiert?“ Die sonst vertraute, doch ziemlich hohe Frauenstimme hallte jetzt unangenehm schrill in Allys Gehörgängen.

„Ally, wach auf! Hier sieht es aus wie nach einem Einbruch.“

Einbruch? Ally riss die Lider hoch. „Was? Nei…!“ Benommen richtete sie sich auf, fasste sich aber sogleich an die Stirn. Ihr Kopf fuhr Karussell und mittendrin surrte ein ordentlicher Bienenschwarm. Außerdem schmerzte ihr Nacken wie verrückt. Kein Wunder, so verkrümmt, wie sie auf der Couch gelegen hatte.

Dann erst nahm sie das Chaos um sich herum bewusst wahr und mittendrin eine besorgte Carola, die gleich nebenan, Wand an Wand mit ihr, die zweite Etage in diesem Haus bewohnte.

Ally war geneigt, sich wieder nach hinten sacken zu lassen. Schreck, lass nach! Nicht nur ihr Glas von gestern Abend, auch die zwei leeren Rotweinflaschen auf dem Tisch verströmten eine unangenehme Duftnote abgestandenen Alkohols. Daneben eine aufgerissene Packung kleiner Likörauswahl. Die Chipstüte lag zerrissen auf dem gänzlich verkrümelten Teppich und alle drei Schubladen der Kommode, in der sie die alten Fotoalben aufbewahrte, hingen heraus, als habe jemand darin gewütet.

Und dann kam plötzlich die Erinnerung zurück. Franjo! Zweiunddreißig Jahre später. Einfach so. Im Fernsehen.

„Hast du das etwa alles allein getrunken?“, bohrte Carola ohne Umschweife. Doch es klang, als kenne sie die Antwort bereits im Voraus.

„Könnte … man … so nennen!“, stöhnte Ally. „Du ahnst nicht, wer … oder hast du gestern Abend …“ Ihre Stimme holperte und sie sah aus, als sei ihr ein Gespenst begegnet.

„Ich glaub, du brauchst erstmal einen starken Kaffee und eine kalte Dusche!“, befand Carola und machte Anstalten, die Freundin von der Couch zu ziehen. „Danach geht es dir bestimmt besser und du erzählst mir in aller Ruhe, was …“

„Gibt nicht viel zu erzählen“, schnitt Ally ihr grimmig das Wort ab, „der Linderau war hier.“ Und als sie Carolas wirren Blick auffing, setzte sie schnell hinterher: „Sozusagen.“

„Wie bitte?“ Carola fuhr der Schreck in alle Glieder. „Du redest doch wohl nicht von Franjo Linderau?“, vergewisserte sie sich vorsichtig und hoffte inständig, Ally möge nur dessen Vater meinen, der nach wie vor in seiner Villa am Stadtwald lebte. Wenn ihr auch schleierhaft war, was den zu Ally treiben könnte.

„Doch, genau von dem rede ich!“, belehrte Ally sie umgehend eines Besseren. „Franjo Linderau!“

Carola fühlte plötzlich einen Kloß, der rasend schnell in ihrem Hals anschwoll. „Was will der denn auf einmal von dir?“ Sie verstand rein gar nichts mehr und bereute zutiefst, den Abend nicht zu Hause verbracht zu haben. Zumindest wäre ihr dann nicht entgangen, dass der Kerl vor Allys Tür stand.

„Nein, nein, nicht wie du jetzt denkst!“, beeilte sich Ally richtig zu stellen, als sie merkte, welche Schlüsse die Freundin zog. „Er war nicht leibhaftig hier in der Wohnung, er war im Fernsehen … in diesem Magazin … irgendein Bericht über Denkmalschutz in Deutschland. Aber allein das hat mir schon gereicht!“

„Ach so!“ Carola fiel ein Zentnerbrocken vom Herzen.

Ally kicherte albern. „Jetzt hast du aber die Muffe gekriegt, was? Brauchst du nicht! Er kann mir nicht mehr gefährlich werden!“

Das sieht man!, dachte Carola, sagte aber nichts.

„Ach, Carolein, mach doch nicht so ein ernstes Gesicht.“ Ally glaubte zu wissen, was in ihr vorging. Schließlich war Carola nicht nur ihre Nachbarin, sondern auch diejenige gewesen, die sie, Ally, vor vielen, vielen Jahren mühselig aus ihrer Apathie herausgeholt und wieder ins Leben zurückgeführt hatte. Wenn sie so zurückdachte, war es nicht überhaupt verrückt, dass sich ausgerechnet Carola, einst in der Oberstufe ihre ärgste Widersacherin, später zu ihrer besten Freundin gewandelt hatte?

Allys Kopf schien sich auch ohne Kaffee und Dusche zu regenerieren. Ein Gefühl von unendlicher Dankbarkeit durchfuhr sie. Nicht zuletzt, weil Carola ihr obendrein auch die schicke Wohnung mit Blick auf den Stadtgarten vermittelt hatte, in der sie seit ihrer Scheidung lebte. Damals, in Zeiten notorischer Geldknappheit, schien es für sie selbst schier unmöglich, an eine solche heranzukommen. „Der Vermieter ist ein Onkel von mir“, hatte Carola lachend erklärt. „Ich hab ihn einfach ein bisschen beschwatzt. Und wie du siehst, mit Erfolg!“

„Carolein, komm setz dich mal her zu mir!“, bat Ally leise.

Die kam der Aufforderung sofort nach. „Ja?“, kam es bekümmert über ihre Lippen.

Ally nahm sie in den Arm. „Du bist einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben! Nie werde ich vergessen, was du für mich getan hast! Deshalb mache dir auch bitte keine Sorgen. Es wird nicht wieder von vorn losgehen!“

Sie spürte den festen Gegendruck von Carolas Körper und nicht zum ersten Mal überkam Ally dabei das leise Empfinden, die Freundin hege für sie ein Gefühl, das weit über die normale Sympathie hinausging. Innerlich rang sie schon länger mit sich, Carola einfach darauf anzusprechen, hatte sich aber bisher aus für sich selbst unerfindlichen Gründen davor gescheut. Was, wenn sie sich das nur einbildete? Schließlich hatte sie schon einige Männer in Carolas Leben kennen gelernt. Nur war bei ihr auch jedes Mal die Frage hängen geblieben, warum die Beziehungen der Freundin immer nur kurzfristig hielten. Seit etwa einem Jahr glaubte Ally die Antwort zu kennen. Jörg Basler, ihres Erachtens ein wirklich netter Kerl, der offen seine Gefühle für Carola zeigte, war an jenem Samstagabend fluchtartig und mit bösen Bemerkungen auf der Zunge aus der Nachbarwohnung gestürmt. Carola ahnte nicht, dass sie, Ally, ganz deutlich das Wort „Lesbe“ mitbekommen hatte und sich seither so ihre Gedanken machte.

Auch diesmal wusste sie nicht recht, wie sie reagieren sollte. Um keinen Preis lag ihr daran, Carola vor den Kopf zu stoßen. So straffte sie sich unbeholfen und atmete insgeheim auf, als Carola augenblicklich von ihr abließ. Sollte sie sich jetzt zurückgewiesen fühlen, ließ sie sich nichts anmerken.

„Rechnest du damit, dass er zurückkommt?“, fragte sie stattdessen.

Ally zuckte die Schultern. „In dem Interview sprach er davon, in Deutschland wieder sesshaft zu werden und die Arbeit des „EFG“ auch physisch zu unterstützen. Keine Ahnung, was damit gemeint war.“ Nachhaltig betonte sie: „Interessiert mich auch nicht!“

Carola dagegen verstand sofort, während ihr Teint in Sekundenschnelle wechselte. „Ally, verstehst du wirklich nicht?“, rief sie schrill. „Der will im „EFG“ aktiv werden!“

„Na und? Lass ihn doch aktiv werden, wo er will! Hauptsache, ich hab damit nichts mehr zu tun!“, wehrte die stur ab.

„Mensch Mädchen, komm zu dir! Es geht um den Ehemaligenverein des Fichte-Gymnasiums.“

Befremdet, aber klar, als sei ihr Verstand ganz plötzlich wieder in voller Aufnahmebereitschaft, schaute Ally sie aus großen Augen an.

Carola nickte noch einmal bestätigend und hätte jetzt viel darum gegeben, Franjos Fernsehauftritt sei nur ein schlechter Traum gewesen. „Du weißt, was das bedeutet?“

Die Erkenntnis traf Ally wie ein Giftpfeil mitten in die Eingeweide.

2

Dad, muss das wirklich sein?“ Die junge Frau schlang dem hoch gewachsenen Mann, der es sich mit einer Zeitung im Gartensessel auf der Terrasse bequem gemacht hatte, von hinten die Arme um den Hals. „Schau, wir sind doch erst eine Woche hier und …“, sie stockte einen Moment, verlegte sich aufs Bitten, „kannst du mir nicht erstmal die Stadt zeigen, bevor du mich auf so einen alten Kasten verschleppst, um Unkraut zu jäten?“

Franjo Linderau lachte und legte die Zeitung neben sich auf den Tisch. Er wirbelte die bildhübsche, junge Frau mit den ausdrucksvollen bernsteinfarbenen Augen zu sich herum.

Glucksend landete sie auf seinem Schoß.

„Meine kleine Principessa, das ist nicht einfach nur ein alter Kasten“, belehrte er sie sanft, „sondern ein imposanter Ort mit Vergangenheit. Wart nur ab, du wirst staunen, wenn du Bischofstein in Natura siehst!“

„Dad, bitte, nenn mich nicht immer kleine Principessa! Du weißt, ich mag das nicht“, schmollte sie, weil er sich so gar nicht erweichen ließ. „Außerdem, was soll an dieser Burg so besonders sein? Disteln wachsen da ja wohl wie anderswo.“

„Du tust, als ob ich dich nur zum Ackern mitschleppen will.“

„Ist es denn nicht so?“

„Hör zu, meine kleine Principessa …!“

Sie löste sich von ihm, sprang auf. „Dad!“

„Sorry, ich meine natürlich kleine Meg …“

Megan Linderau rollte die Augen. Für ihren Vater würde sie wohl nie erwachsen werden. Dabei war sie inzwischen sechsundzwanzig Jahre alt und durchaus in der Lage, eigene Entscheidungen zu treffen.

„Du hast noch nie in deinem Leben eine echte mittelalterliche Burg gesehen. Glaub mir, wenn du erst auf Bischofstein bist, willst du gar nicht mehr weg.“

Was Megan für ein Gerücht hielt. Sie hatte sich natürlich längst im Internet schlau gemacht und eine ganze Litanei von Webseiten gefunden, die auch Bilder aufwiesen. Doch im Gegensatz zu den freudestrahlenden Beschreibungen ihres Vaters hinterließen die hohen alten Mauern einen eher düsteren Eindruck bei ihr. Niedlich fand sie höchstens die Etagenbetten, die seit Jahrzehnten Krefelder Schülern, vor allem denen des Fichte-Gymnasiums, welches einst auch ihr Vater besuchte, zum Schlafen dienten.

Sie seufzte. „Muss ich wirklich unbedingt mit? Lass mich doch hier bei Grandpa bleiben! Ich verspreche dir auch, ganz artig zu sein und gut auf ihn aufzupassen, während du in aller Ruhe das ganze Wochenende deinen alten Kameraden beim Ackern hilfst.“

Eine Dackelhündin hätte treuer nicht blicken können. Schon spürte Franjo, wie sein Widerstand schwand.

„Also gut“, lenkte er ein, „du bist schließlich erwachsen und ich kann dir nicht mehr vorschreiben, was du zu tun oder zu lassen hast. Wenn ich dich partout nicht dafür begeistern kann …“, er hielt inne und Megan sah ihm die Enttäuschung an, „dann muss ich wohl ohne dich fahren. Sei du mir dann aber bitte auch nicht böse, wenn ich dich hier allein lasse.“

Eigentlich hätte Megan jetzt zufrieden sein können. Doch sie war es nicht, in ihr keimte ein schlechtes Gewissen. Dabei verzichtete er jetzt sogar freiwillig auf ihre Begleitung und sie konnte sich fast drei Tage lang ohne väterliche Begleitung in ihrer neuen Zweitheimat umsehen und sich vielleicht des Abends ins Krefelder Nachtleben stürzen. Bisher hatte sie gegen die Wünsche des Vaters nie großartig aufgemuckt, trotzdem ging ihr sein Beschützerinstinkt manchmal ein wenig auf die Nerven.

Andererseits wusste sie, er meinte es nicht böse. Irgendwo tief in seinem Inneren saß von jeher eine unterschwellige Verlustangst. Woher diese rührte, darüber schwieg er sich allerdings vehement aus. Letztendlich ging deswegen auch die Ehe ihrer Eltern in die Brüche.

Im Gegensatz zu etlichen Freundinnen allerdings hatte Megan noch Glück im Unglück. Ihre Eltern neideten und bekämpften sich nicht, gingen freundschaftlich miteinander um, boten ihr sogar jeweils ein eigenes Zimmer. Egal, was war: Megan konnte immer zu beiden kommen, erlitt dadurch nie das Gefühl der Zerrissenheit.

Erst als Kathy, ihre Mutter, ihren jetzigen Ehemann kennen lernte und ihr Vater nicht das geringste Zeichen von Enttäuschung signalisierte, kam bei ihr die Frage auf, ob er ihre Mutter jemals wirklich geliebt hatte. Zumindest so, wie Megan für sich den Begriff Liebe interpretierte: Feuer, Leidenschaft, Sehnsucht, hin und wieder ein ordentliches Gewitter, das die Luft reinigte. Zwischen ihren Eltern hatte es dergleichen nie gegeben und solange sie denken konnte, führten sie ein eher kameradschaftliches Verhältnis zueinander. In Megans Augen ein Indiz, warum es nach der Trennung nicht zur Schlammschlacht kam. Außerdem wollte es irgendwie nicht in ihr Weltbild passen, dass zwei Menschen, die sich einmal aufrichtig geliebt hatten, anschließend einfach nur Freunde sein konnten.

Und dann, scheinbar von jetzt auf gleich, kam bei ihrem Vater das Heimweh hoch. Bis heute fragte Megan sich, ob vielleicht diese vornehm wirkende und trotz ihres fortgeschrittenen Alters auffallend hübsche, dunkelhaarige Frau etwas damit zu tun hatte, deren Zeitungsbild sie einst zerknüllt neben der Papiertonne fand?

Megan hatte nicht die geringste Ahnung, wer die Frau war und warum ihr Vater den dazugehörigen Artikel offenbar ausgeschnitten hatte und irgendwo in seinem Arbeitszimmer versteckt hielt. Seitdem aber ließ sie das Gefühl nicht los, dass es mit ihr eine ganz besondere Bewandtnis haben musste. Das Gesicht mit dem sanften Lächeln, der schmale Hals mit dem ovalförmigen Amulett – Megan hatte es sich gut eingeprägt.

Doch blieb es bei einem einzigen Versuch, den Vater nach ihr zu fragen. Seine Reaktion war ihr regelrecht unheimlich vorgekommen. Erst hatte er sie zornig gemaßregelt, ihn damit in Ruhe zu lassen und dann war er wie ein kleiner Junge mit dem Kopf auf ihren Schoß gesackt und fing an zu weinen. Noch nie hatte sie ihn so gesehen. Es war nur ein klitzekleiner Moment, in dem er ihr einen Blick in sein wahres Seelenleben gab. Sofort hatte er sich wieder aufgerichtet, sich entschuldigt und gebeten, ihn nie wieder auf die Frau anzusprechen.

Seitdem besaß Megan zwar die Gewissheit, dass es ein Geheimnis im Leben ihres Vaters gab, aber was nützte es, wenn er es auch weiterhin tief in sich verschloss?

Mit den Jahren hatte sie gelernt, den Wunsch ihres Vaters zu respektieren und das Thema im Zuge der Pubertät für eine Weile sogar vergessen.

Dafür wurde sein Heimweh deutlich stärker und als beim letzten Weihnachtsfest zum ersten Mal das Wort Rückkehr fiel, hatte sie selbst ihn noch dazu ermuntert.

Zunächst hatte er sich noch dagegen gewehrt, wollte seine Principessa nicht einfach zurücklassen. Bis sie sich spontan entschied: „Dad, weißt du was, ich komme mit!“

Ihr Vater war so unermesslich glücklich gewesen, als sie sich entschloss, ihre Wohnung zu Hause in Atlanta unterzuvermieten und ihn für die nächsten drei Monate nach Deutschland zu begleiten. Was er allerdings nicht ahnte, sie hatte sich mehr oder weniger zu diesem Schritt entschieden, weil ihr der Job samt Bürostuhl von jener neuen Kollegin abspenstig gemacht wurden, die sie wenige Tage zuvor auch noch mit Mick, ihrem eigenen Freund, in ihrem eigenen Bett erwischte. In diesem Bezug dämmerte ihr mittlerweile auch, wer die anonyme Anruferin war, die ihr mit aufgesetzt besorgter Stimme nahe legte, auf der Stelle nach Hause zu fahren und nachzusehen, was ihr Freund gerade so trieb.

Noch jetzt, und bereits hier in Krefeld, schüttelte Megan sich vor Ekel bei dem Gedanken an das Bild, was sich ihr bot, als sie die Tür aufschloss. Doch still schmetterte sie jegliches Anzeichen von Frust ab und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.

Franjos Gesicht hingegen zeigte deutliche Betrübnis. „Weißt du, ich hatte mich so sehr darauf gefreut, dir die Stätten meiner Jugend zu zeigen und gerade Burg Bischofstein war damals Kult. Jedes Schuljahr sind wir mit der Klasse für eine Woche dort hingefahren, erlebten Unterricht auf eine völlig andere Art. Nur bei der letzten Fahrt konnte ich nicht mit …“ Augenscheinlich versank er in Melancholie.

Eigenartig. Lag es an seinem wehmütigen Blick oder an der auffälligen Röte, die seine Wangenknochen hervorhob? Plötzlich wallte in Megan doch Interesse auf. „Wann war das denn?“

„Anfang der Achtziger?“, antwortete er unschlüssig. „Lass mich nachdenken …!“ Es dauerte einen Moment, dann hatte er es wieder im Kopf. „1983, in der Oberstufe, Leistungskurs Mathe. Die Gruppe war dafür, noch einmal gemeinsam hinzufahren. Schließlich wussten alle, dass wir Abschied von unserer guten alten Burg nehmen mussten. Die große Abschlussfahrt ging ja dann nach Hamburg.“

„Ist aber ziemlich lange her! Dass du dich noch so gut erinnern kannst …“

„Es gibt Dinge, die vergisst man nie!“ betonte er streng und irritiert bemerkte Megan den eigenartigen Glanz seiner Augen, der im krassen Widerspruch zu dem ungewohnten Ernst seiner Stimme stand.

Augenblicklich begriff sie. „Damit meinst du jetzt aber nicht die Burg, oder?“

Der Glanz in seinen Augen erlosch. „Ach, lassen wir das besser!“

Er streifte ihre Bemerkung einfach ab wie eine lästige Fliege? Ein klares Zeichen. Natürlich meinte er nicht die Burg. Nur wegen einem alten Gemäuer so komisch zu werden – sie kannte ihn ja fast nicht wieder.

Franjo schien sich seiner etwas derben Reaktion bewusst zu werden und legte ihr die Hand auf den Unterarm. „Tut mir leid, ich wollte uns nicht die Stimmung vermiesen.“ Schon lächelte er wieder.

Megan lächelte zwar zurück, hinter ihrer Stirn aber begann sich das Gedankenkarussell zu drehen.

„Was hältst du davon, wenn wir zwei nachher in die Stadt fahren und beim Italiener einen Happen essen?“, schlug Franjo vor.

Sie hielt es eher für reines Ablenkungsmanöver. Bloß keine Fragen aufkommen lassen! Aber gut, wenn er meinte! Selbstverständlich ließ sie sich gerne zu einem leckeren Essen und einem Glas Chianti einladen.

„Und Grandpa“, forderte sie dann ein, „nehmen wir ihn mit?“

„Wenn es dein Wunsch ist.“ Deutlich durchzog eine Spur Unwillen seine Miene, doch setzte er dann lächelnd, als sei nichts gewesen, hinzu: „Fragen wir ihn einfach, ob er überhaupt will!“

„Natürlich will er!“, behauptete sie, obwohl sie sich nicht ganz so schlüssig über die Ambitionen ihres Großvaters war, wie sie vorgab. Zwar hatte Veit Linderau ihnen die große, alte Villa mit dem riesigen Garten drum herum, in der ihr Vater aufgewachsen war, als Unterkunft überlassen, zeigte sich seinem Logierbesuch gegenüber ansonsten jedoch eher zurückhaltend.

Ihr Großvater gab sich freundlich und nett, keine Frage, doch es enttäuschte Megan, dass er so gar keine Emotionen zeigte. Sie wusste noch nicht einmal, ob er sie, die er bislang doch eigentlich nur von Fotos kannte, mochte, geschweige denn, ob er sich freute, seinen einzigen Sohn nach drei Jahrzehnten wieder bei sich zu wissen. Sein unpersönliches Verhalten verwirrte sie zutiefst. Dabei hätte sie sich so gerne einfach in seine Arme geschmiegt und gesagt: „Ich bin deine Enkelin, du hast mir gefehlt!“

Was Megan bislang davon abhielt, waren seine Augen. Eigenartig starr, als ließe er sie bewusst so wirken, um eine unmenschliche Gefühlskälte zu verströmen. Doch da Megan zu jenen gehörte, die erstmal an das Gute im Menschen glaubten, hatte sie sich vorgenommen, ihn nicht, nur, weil er dadurch unsympathisch und unnahbar wirkte, zu verteufeln, sondern den Weg zu seinem Herzen zu suchen. Vielleicht war er ja auch nur ein innerlich vereinsamter Mann, der nach dem Weggang seines Sohnes und der Scheidung von seiner Frau jegliche Art von Gefühl tief in sich verschloss.

Über ihre Großmutter wusste Megan so gut wie gar nichts. Nur, dass ihr Name totgeschwiegen wurde, weil sie mit einem Kerl durchbrannte, und das, als ihr Vater noch ein Jugendlicher war.

Franjo erhob sich aus dem Korbsessel, streckte sich und griff nach der Zeitung auf dem Tisch.

„Besser, ich ruf eben an und reserviere einen Tisch.“

„Wo führst du mich denn hin?“, fragte Megan neugierig.

Er grinste spitzbübisch. „Lass dich überraschen. Ich sag nur: Klein, dafür fein!“

„Okay!“ Sie ging auf seinen Ton ein, setzte aber gleich hinterher: „Ich frage in der Zeit Grandpa. Weißt du, wo er ist?“

„Wahrscheinlich liegt er auf seinem Bett und liest.“

Megan zögerte. „Meinst du, ich kann ihn stören?“

„Wahrscheinlich reißt er dir den Kopf ab“, versuchte Franjo zu witzeln, „vorausgesetzt natürlich, er lässt dich überhaupt in sein Heiligtum.“

„Ach, Dad, jetzt bitte mal im Ernst, ich …“, unbeholfen brach sie ab.

Franjo verstand genau, was sie sagen wollte. Von klein auf kannte er seine Tochter als Frohnatur, die von sich aus vor allem auf zurückhaltende Menschen zuging, aber auch imstande war, ohne Umschweife zu fragen, warum Er oder Sie gerade einen so traurigen oder bösen Blick hatte. Beim eigenen Großvater aber spürte sie dieselbe Hemmschwelle, vor der er selbst seit frühester Kindheit zurückschreckte.

„Vielleicht freut er sich ja sogar, wenn du ihn fragst“, sprach er ihr Mut zu. Glaubte er wirklich, was er da sagte?

Just schlug in der oberen Etage, genau über ihren Köpfen, ein Fensterflügel zu. Wie zwei ertappte Sünder fuhren die Blicke von Vater und Tochter hinauf. Zu erkennen war niemand.

„Sicher ein Windstoß!“, mutmaßte Franjo.

Ohne Wind?, dachte Megan und hatte, scheinbar ganz im Gegensatz zu ihrem Vater, das Gefühl, beobachtet zu werden. Stand Veit hinter der Gardine? Noch einmal schaute sie hinauf, kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Löste sich da nicht ein Schatten vom weich fließenden Organza? Hatte er die ganze Zeit gelauscht? Warum kam er nicht einfach zu ihnen herunter auf die Terrasse?

Wieder so ein Moment, in dem Megan sich ernsthaft fragte, was in dieser Familie passiert war.

Veit Linderau fluchte, als ihm der Knauf aus der Hand glitt und das Fenster in den Rahmen donnerte. Reflexartig huschte er zur Seite und verharrte angespannt hinter der Gardine. Eigentlich hatte er gar nicht die Absicht zu lauschen, doch als er zufällig hörte, dass von ihm gesprochen wurde, konnte er nicht anders. Er war überrascht, dass es da in Gestalt seiner Enkelin plötzlich jemanden gab, der sich um ihn Gedanken machte.

Leise, um sich nicht zu verraten, schlich er aus dem Raum nach nebenan in sein Schlafzimmer, das mit den reich bestückten hohen Bücherregalen rings um das breite französische Bett eher den Charme einer Bibliothek aufwies.

In Windeseile glitt er in den Ohrensessel, der zusammen mit dem Hocker, der alten Stehlampe und dem schmalen runden Tisch eine Leseecke mit direktem Blick über die umliegenden Gärten bildete, und setzte sich mit seinem angefangenen Buch in Position.

Doch Megan ließ auf sich warten. Hatten die beiden es sich doch anders überlegt? Wollten sie doch lieber ohne ihn in die Stadt fahren? Sofort regte sich sein Stolz. Sollten sie doch! Er brauchte sie nicht, war all die Jahre ohne sie ausgekommen!

Als es dann doch klopfte und Megans helle, weiche Stimme durch das Türblatt klang, zuckte er zusammen.

„Grandpa, bist du da drin? Darf ich reinkommen?“

„Ist offen!“

Als sei er schwer in seine Lektüre vertieft gewesen, hob er jetzt den Kopf und blickte sie erwartungsvoll an.

„Sorry, Grandpa, wenn ich dich störe, ich wollte nur fra…“ Der angefangene Satz brach unter der Faszination an den reich bestückten Bücherregalen. Seit einer knappen Woche weilte sie in diesem Haus, doch den Schlafraum ihres Großvaters betrat sie jetzt zum ersten Mal. „Wow! Hast du die alle gelesen?“

„Hab ich!“, betonte Veit knapp. Noch nie hatte es jemanden interessiert, womit er sich die Zeit vertrieb.

Überwältigt studierte Megan die Regalreihen und vergaß fast, dass er sich mit im Zimmer befand.

„Nach Themen und Alphabet sortiert, das war Arbeit!“, stellte sie anerkennend fest.

Veit überraschte, wie schnell sie den Überblick hatte. „Hast du mit Büchern zu tun?“ fragte er, nun wesentlich freundlicher.

„Jetzt leider weniger“, tat sie kund, „aber ich hab mal in einem Buchladen gejobbt. Hat echt Spaß gemacht.“ Ihr Augenmerk richtete sich auf den blauen Buchrücken eines Wälzers mit der Aufschrift: „Adressbuch der Stadt Krefeld 1977“, dann auf die unmittelbar darunter stehende Taschenbuchreihe, deren Titel sie verblüfften. Grandpa las Frauenromane?

„Und warum machst du es dann nicht mehr?“

Veit registrierte die Verwunderung in ihrem hübschen Gesicht, deutete sie allerdings falsch. „Entschuldige, es geht mich natürlich nichts an!“

Zeigte ihr Großvater gerade doch so etwas wie Neugier an ihrer Person? „Natürlich geht dich das was an“, widersprach sie sofort, „du bist mein Grandpa und darfst alles von mir wissen …“ Sie hielt einen Moment inne und setzte dann leise hinterher: „Vorausgesetzt, du möchtest es.“

Täuschte sie sich oder war die Starre aus seinen Augen verschwunden? Megan hielt seinem Blick stand und ihr war, als formiere sich jetzt sogar zaghafte Freude um seine sonst so grimmig wirkenden Mundwinkel.

„Magst du dich einen Moment zu mir setzen?“, bat Veit wider Erwarten.

Sie zog den Hocker heran und wollte sich darauf platzieren, als er abwehrte und ihr seinen Sessel frei machte.

„Danke, Grandpa, das ist lieb, aber es hätte mir jetzt nichts ausgemacht, auf dem …“

„Nichts da!“, unterbrach er sie. „Bei mir sitzt eine junge hübsche Frau wie du im Sessel und nicht halb auf dem Fußboden.“

Geschmeichelt stellte Megan fest, dass er sogar zu Komplimenten fähig war. Überhaupt hatte sie gerade das Gefühl, dieser Mann hier vor ihr sei ein ganz anderer als der Veit Linderau, den er bisher von sich zeigte. Später wusste sie nicht einmal zu sagen, ob der Moment nun der Auslöser war, dass sie ihm ihr halbes Leben erzählte oder mehr der Wunsch, ihrem Großvater auch ihr Vertrauen zu schenken.

Sie unterhielten sich so angeregt, dass Megan vollkommen die Zeit vergaß und selbst Franjos Rufe aus dem Untergeschoss ungehört verhallten. Bis es an der Tür pochte.

„Megan? Vater?“

„Kannst reinkommen, ist offen!“, polterte Veit wieder in gewohnter Manier.

Doch Franjo blieb auf der Schwelle stehen. „Freut mich ja, wenn ihr euch so gut versteht, aber dürfte ich nun wissen, was mit dem Essen ist?“ Er zeigte sich überrascht angesichts der Harmonie, die sich seinen Augen bot. „Meg, du wolltest doch …“

„Sorry, Dad, ich hab’s total vergessen! Grandpa und ich haben uns so prima unterhalten, da bin ich irgendwie gar nicht dazu gekommen, ihn zu fragen.“ Sofort wandte sie sich an Veit: „Dad und ich würden uns freuen, wenn du mit uns zum Essen in die Stadt fährst.“

Dieser betrachtete abwechselnd Sohn und Enkelin. Ja, Megan hätte ihn wirklich gerne dabei gehabt, das glaubte er unbesehen. Aber der undefinierbare Gesichtsausdruck Franjos suggerierte ihm einen faden Geschmack von Abwehr.

„Das ist lieb gemeint, aber ich möchte nicht stören“, lehnte er daher ab.

„Du störst uns doch nicht!“, versuchte Megan es erneut.

Franjo stand noch immer auf demselben Fleck. Er sagte nichts, auch seine Miene blieb unverändert.

„Danke, aber fahrt besser ohne mich! Für meinen Magen ist es nicht gut, wenn ich am Abend noch so schwere Sachen esse“, lehnte er ab, weil er ganz deutlich den Widerstand seines Sohnes spürte.

Es wurde Zeit, dass Franjo sich entschied, ob er in Krefeld blieb oder woanders sesshaft werden wollte. Die Villa war zwar groß genug, um sich aus dem Weg gehen, aber sie wussten wohl beide nur zu gut, auf Dauer würde es nicht gut gehen zwischen ihnen.

„Schade!“ Megan zeigte ihre Enttäuschung ganz offen.

Jäh überlegte Veit, ob er gerade dabei war, einen Fehler zu machen.

„Warum hast du nichts gesagt?“, fragte Megan anklagend, fand aber auch sofort für sich die passende Antwort: „Du bist ganz froh, dass er nicht mitgekommen ist, stimmt’s?“

Sie waren auf dem Weg in die City, wo Franjo im Mammas einen Tisch reserviert hatte.

Er lenkte den Wagen gerade über die Moerser Straße, bog nach links auf die Leyentalstraße ab und musste unvorhergesehen einem Wagen ausweichen, der einfach vor ihm, ohne zu blinken, die Spur wechselte. „Blödmann!“, fluchte er laut.

Sofort bekam Megan das Gefühl, dass ihr Vater nicht nur den Autofahrer meinte.

„Tu mir einen Gefallen, Principessa, ja, mache bitte nicht mich verantwortlich, wenn er nicht mitkommen will!“, kam es denn auch sogleich mit leicht genervtem Unterton. „Du hast doch gehört … sein Magen.“

Augenblicklich wurde Megan in das Polster gedrückt und erschrak. Franjo legte ordentlich an Tempo zu, um noch bei Gelb über die Kreuzung am Bleichpfad zu preschen. Dahinter passte er sich wieder brav dem fließenden Verkehr an und ordnete sich an der Abzweigung Rheinstraße rechts ein.

„Wenn du das noch mal machst, bekomme höchstens ich was am Magen!“, schimpfte Megan.

Franjo lachte. „Kommt nicht wieder vor. Versprochen!“, gelobte er Besserung.

„Zumindest nicht, wenn ich daneben sitze!“, gab sie ernst zurück.

„Sag mal, was ist denn auf einmal los mit dir?“ Der plötzliche Gemütsumschwung seiner Tochter behagte ihm gar nicht. Leider konnte er jetzt nicht hier anhalten und vernünftig mit ihr reden.

„Mist, was ist das denn da schon wieder?“ Gemeint war die Schranke, die sich quer über der Straßenhälfte vor ihm aufbaute und nur die Möglichkeit ließ, entweder zu wenden oder beidseitig in die Luisenstraße zu fahren.