Das kleine Buch der großen Risiken - Jakob Thomä - E-Book

Das kleine Buch der großen Risiken E-Book

Jakob Thoma

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Beschreibung

Warum es wahrscheinlicher ist, dass wir einem Zombie begegnen, als von einem Hai gefressen zu werden. Wir haben wenig Ahnung davon, welchen Risiken wir tagtäglich ausgesetzt sind. Der Think-Tank-Begründer Jakob Thomä nimmt uns mit auf eine spannende Reise zu den größten Gefahren unserer Zeit und erklärt, was uns nachts wirklich wachhalten sollte. Haben Sie sich auch schon einmal gefragt, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass Außerirdische die Erde angreifen? Wie groß das Risiko für einen Asteroideneinschlag oder Supervulkanausbruch ist? Oder ob die Matrix wirklich existiert? Täglich hören wir von diesen möglichen Ereignissen und ihren Folgen. In seinem neuen Werk untersucht Jakob Thomä von A wie Atombombe bis hin zu Z wie Zombieapokalypse die 26 kleineren und größeren Risiken für unsere Zivilisation. Mithilfe wissenschaftlicher Fakten und unterhaltsamer Anekdoten führt er uns vor Augen, wie gewiss es ist, dass uns ein Schwarzes Loch verschluckt oder »The Walking Dead« Realität wird – und was wir im Zweifel dagegen tun können. Humorvoll, aufschlussreich und dazu charmant illustriert.

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Seitenzahl: 246

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Dies ist der Umschlag des Buches »Das kleine Buch der großen Risiken« von Jakob Thomä, Jörn Pinnow

Jakob Thomä

Das kleine Buch der großen Risiken

Von Atombombe bis Zombieapokalypse

Aus dem Englischen von Jörn Pinnow

Klett-Cotta

Impressum

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

© 2024 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Rothfos & Gabler, Hamburg

unter Verwendung von Abbildungen von Shutterstock/Magicleaf; Shutterstock/WinWin artlab; Shutterstock/galacticus

Abbildungen Innenteil: Shutterstock/Dav_782; Shutterstock/Martial Red; Shutterstock/WinWin artlab; Shutterstock/Ilonka K-Art; Shutterstock/Winner Creative; Shutterstock/WEB-DESIGN; Shutterstock/; Shutterstock/Yuliia Markova; Shutterstock/Magicleaf; Shutterstock/galacticus

Gesetzt von C.H.Beck.Media.Solutions, Nördlingen

Gedruckt und gebunden von CPI – Clausen & Bosse, Leck

Lektorat: Doreen Fröhlich, Chemnitz

ISBN 978-3-608-96601-5

E-Book ISBN 978-3-608-12323-4

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Wie viel Zeit bleibt uns noch?

Atombombe

Bevölkerungskollaps

Cyberrisiken

Du

Ewiges Leben und Genmanipulation

Fauna- und Flora-Kollaps

Geoengineering

Hitze und Klimawandel

Interplanetare koronale Massenejektion (Sonneneruption)

Jüngstes Gericht

Künstliche Intelligenz

Labor (Krankheiten aus dem)

Matrix

Nanotechnologie

Kollaps der Ozeanströmungen

Planetoideneinschlag (Asteroiden)

Quantencomputer

(Antibiotika-)Resistenzen

Schwarzes Loch

Totalitärer Staat

Ufos

(Super-)Vulkane

(Massenvernichtungs-)Waffen

X-Faktor

Y-Chromosom

Zombies

Danksagung

Literaturverzeichnis

Einleitung

A – Atombombe

B – Bevölkerungskollaps

C – Cyber-Risiken

D – Du

E – Ewiges Leben und Genmanipulation

F – Fauna- und Flora-Kollaps

G – Geoengineering

H – Hitze und Klimawandel

I–Interplanetare koronale Massenejektion (Sonneneruption)

J – Jüngstes Gericht

K – Künstliche Intelligenz

L–Labor (Krankheiten aus dem)

M – Matrix

N – Nanotechnologie

O – Ozeanströmungen

P – Planetoideneinschlag (Asteroiden)

Q – Quantencomputer

R – (Antibiotika-)Resistenzen

S – Schwarzes Loch

T – Totalitärer Staat

U – Ufos

V – (Super-)Vulkane

W – (Massenvernichtungs-)Waffen

X – X-Faktor

Y – Y-Chromosom

Z – Zombies

Wie viel Zeit bleibt uns noch?

Diese Frage steht im Mittelpunkt dieses Buches. Indem wir uns im Folgenden mit Atombomben, Künstlicher Intelligenz, dem Klimawandel und Vulkanen, aber auch seltsameren und womöglich unterschätzten Risiken wie Zombies, dem Tag des Jüngsten Gerichts, Außerirdischen, Schwarzen Löchern oder der Matrix beschäftigen, eröffnet dieses Buch Schritt für Schritt den Blick auf das Was, Wie und Warum der großen, existenziellen Risiken für die Menschheit – aber auch auf das »Wann?«, das dabei für uns und unser Fortbestehen eine Schlüsselrolle spielt.

Eine typische Spezies überdauert durchschnittlich ein paar Millionen Jahre auf diesem Planeten. Statistisch gesehen haben wir Menschen also noch etwas Zeit vor uns, je nachdem, ab wann man zu zählen beginnt. Der Homo sapiens ist seit etwas weniger als 300 000 Jahren aktiv. Einige Spezies haben es sogar über Hunderte Millionen Jahre geschafft, hier auf Erden ein Zuhause zu finden: Bienen und Haie soll es schon zu Zeiten der Dinosaurier gegeben haben. Andere wiederum hatten weniger Zeit: Das Wollhaarmammut zum Beispiel schaffte keine 300 000 Jahre. Es gibt eben sowohl die dauerbrennenden Sonnen als auch die verglühenden Kometen – eine Minute lang hell leuchtend, in der nächsten verschwunden.

Die Menschen befinden sich in einer etwas kuriosen Lage auf dieser Erde. Wir können Bücher wie dieses schreiben, das die Risiken für unsere Gesellschaften erkunden und verstehen will und vielleicht etwas dazu beitragen kann, sie abzumildern. Wir verfügen inzwischen über technologische Fähigkeiten, Asteroiden durch gezielten Beschuss von ihrem Kurs abzubringen. Eine solche Maschine hätten die Dinosaurier ziemlich gut gebrauchen können. Aber damit nicht genug: Die Menschheit gedeiht zudem in allen möglichen Lebensräumen, auf Eis, im Sand, auf dem Wasser, an Land. Dadurch steigt unsere Überlebenswahrscheinlichkeit ganz erheblich. Wir empfinden nicht nur – wie vermutlich alles Leben auf Erden – den Drang zu überleben, sondern verfügen in zunehmendem Maße auch über die Möglichkeiten, dieses Überleben für uns zu sichern.

Deshalb wird mein Buch auch keine Horrorgeschichte, bei der einem die Haare zu Berge stehen. (Ein Kapitel beschäftigt sich sogar mit dem »ewigen Leben« – wird diese Enzyklopädie etwa zur Feel-good-Story!?) Das kleine Buch der großen Risiken soll vielmehr ein Geigerzähler sein, ein neutraler Kompass in einer Welt voller Gefahren, der in rauer See ebenso unbestechlich nach Norden zeigt wie im friedlichen Hafen. Welche Risiken sind real, welche nicht? Und kann uns die unglaubliche Resilienz des menschlichen Lebens am Ende vor den aufkommenden Bedrohungen retten?

Die Kehrseite der Medaille ist die vergiftete Frucht des technologischen Fortschritts. Viele der Risiken in diesem Buch haben wir selbst zu verantworten – eine technologische Evolution, dank derer wir Waffen entwickeln und einsetzen, die den gesamten Planeten zum Kollaps bringen können. Dazu kommen noch Waffen, die womöglich außer Kontrolle geraten, wie die Künstliche Intelligenz (KI), die in ferner (oder naher) Zukunft möglicherweise ihre Kraft gegen ihre Erschaffer richtet. Die Dinosaurier hatten vielleicht nicht die Mittel, um Asteroiden abzuschießen, doch dafür mussten sie sich auch nicht mit durchdrehenden KI-Robotern oder Nanobots herumschlagen, die die Weltherrschaft übernehmen wollen.

Die von uns entwickelten technologischen Fähigkeiten stellen eine Gefahr für uns alle dar. Jeder von uns trägt aber auch seinen Teil dazu bei, Risiken zu mindern – oder eben zu erhöhen. Deshalb bekommen wir selbst – in Form des kollektiven »Du« – ein eigenes Kapitel. In gewisser Weise spielt das »Du« in (fast) jedem Kapitel eine Rolle. Denn es sind letztlich unsere/deine Taten (oder unsere Untätigkeit im Angesicht der Risiken), die über unsere Zukunft entscheiden. Auf der einen Seite treten wir als Verursacher auf, auf der anderen Seite als Retter in höchster Not.

Die Vielfalt unserer Fähigkeiten sorgt dafür, dass die Welt der großen Risiken ein bunter Garten ist. Zu jedem Risiko gehört ein ganz eigenes Drama, trifft es uns auf der Bandbreite unserer Verletzlichkeit an verschiedenen wunden Punkten. Es geht nicht nur um Umweltrisiken, sondern auch um soziale, politische, technologische und sogar wirtschaftliche, metaphysische oder religiöse Faktoren (man denke an den Tag des Jüngsten Gerichts!).

Während ich an diesem Buch arbeitete, schickten Freunde und Kolleginnen mir fast täglich Artikel zu dem einen oder anderen Thema. »Hast du die Leichen der Außerirdischen gesehen, die im mexikanischen Parlament präsentiert wurden?« »Was hältst du von der neuen Studie über Erdbeben?« »Bricht der Golfstrom wirklich zusammen?« »Sind wir zum Untergang verdammt?«

Wir leben in einer Zeit, in der sich Menschen sehr verletzlich fühlen und in der sie jeden Tag mit Nachrichten über die Vielzahl an Risiken und die Verwundbarkeit des modernen Lebens bombardiert werden. Nicht ohne Grund sind Ausdrücke wie »Polykrise« oder »Dauerkrise« in der politischen Debatte und den Konferenzsälen großer Unternehmen omnipräsent. Der Vorsitzende von Moody’s, eine der größten Finanz-Ratingagenturen weltweit und womöglich die wichtigste globale Institution, wenn es um Risikoeinschätzung geht, spricht gar von der »Ära der exponentiellen Risiken«.

Und auch Forscherinnen, die diese Risiken untersuchen, tragen nicht immer dazu bei, dass wir uns beruhigen. Eine kleine Industrie nährt inzwischen die modernen Kassandras, die an jeder Ecke den Weltuntergang ausmachen. Natürlich brauchen wir die Forschung, ohne sie wäre dieses Buch gar nicht möglich. Aber das alte Sprichwort scheint auch hier zu greifen: Ein Hammer sieht nun mal nichts außer Nägeln.

Das Gefühl der Verletzlichkeit wird zum Teil dadurch genährt, dass die Risiken echt und akut sind, zum Teil jedoch auch dadurch, dass wir sie nicht verstehen, ihre Wahrscheinlichkeit nicht einschätzen können, ihre Auswirkungen und unsere Anfälligkeit ihnen gegenüber nicht kennen. Und das ist ebenso gefährlich wie die Risiken selbst.

Daher habe ich dieses Buch geschrieben: um die Risiken besser zu verstehen und den Geistern, die die öffentliche Meinung in Angst und Schrecken versetzen, die Masken abzureißen. Ich wollte verstehen, ob tatsächlich ein Monster unter dem Bett lauert oder nur ein schmutziger alter Pulli. Wie schon erwähnt, auf uns warten ganz gewiss gewaltige Herausforderungen, und zwar nicht irgendwann, sondern in nächster Zukunft. Wir können uns ihnen jedoch nicht stellen, wenn wir sie nicht entzaubern, wenn wir nicht verstehen, welche Risiken real sind und welche nicht. Die Welt der großen Risiken zu entmystifizieren, wird uns dabei helfen, sowohl die Bedrohung als auch das Gefühl von Verletzlichkeit und Hilflosigkeit zu mindern.

Auf der Reise durch die Welt der existenziellen Risiken erfahren wir mehr über die Gefahren, die unser Leben bedrohen. Gleichzeitig erkennen wir, dass viele dieser Gefahren nicht direkt unser Leben bedrohen, uns als einzelne Menschen mit schlagendem Herzen, sondern vielmehr unser Zusammenleben, die Menschheit als globale Gemeinschaft. Daher gibt es kein passenderes Abschlusskapitel als das über Zombies. Was auf den ersten Blick wie ein misslungener Versuch aussehen mag, ein Risiko für den Buchstaben Z zu finden, ist in Wahrheit die bestmögliche Lösung, um dieses Buch zu beenden. Ohne die anderen Risiken abwerten zu wollen, ist es vielleicht das Risiko von Zombies, welches mir am meisten Sorgen bereitet, verhalten wir uns doch teilweise bereits heute wie Zombies, untot, unbeeindruckt, ungerührt, untätig, wenn es um die uns bedrohenden Risiken geht. Und selbst wenn wir es schaffen sollten, nicht wie die Zombies aus Horrorfilmen zu enden, so blühen der Menschheit doch einige Risiken, die eine zombieartige Welt entstehen lassen.

Ich weiß aus persönlicher Erfahrung, wie Terrorismus auf den Geist wirkt, wie die Angst von den Gedanken Besitz ergreift, wie lähmend sich diese Angst auf ein konstruktives Engagement in der uns umgebenden gefährlichen Welt auswirken kann. Und auch wenn die militärische Antwort auf den Terror häufig kraftvoll und entschieden ausfällt, so wirkt er doch auf viele paralysierend. Letzten Endes lähmt uns die Angst vor dem Unbekannten, das macht den Terrorismus eben so effektiv.

Ich beobachte ein ähnliches Phänomen bei den Risiken in diesem Buch, vielleicht nirgendwo sonst so ausgeprägt wie beim Thema Klimawandel. Die Furcht vor dem Klimawandel – um einmal das wahrscheinlich am besten untersuchte und verstandene große Risiko anzuführen – hat inzwischen sogar seinen eigenen Namen: Öko-Furcht (oder Eco Anxiety). Immer mehr Menschen geben im Anbetracht der Klimakrise die Hoffnung auf. Wenn es sowieso kein richtiges Leben im falschen gibt, dann kann man es auch ganz lassen, so das Motto.

Wir agieren auf dieser Welt nicht wie Pippi Langstrumpf, wir machen sie nicht, wie sie uns gefällt. Aber Defätismus ist ebenso fehl am Platz. Auf den folgenden Seiten wird, von A bis Z, jedes Kapitel auf die gleiche Weise beginnen: mit der Beschreibung des Risikos in einem Satz und einer Einschätzung, ob wir uns darüber Sorgen machen müssen. Enden sollen die Kapitel stets mit einem Vorschlag, was wir nun tun können und, falls möglich, auch mit einem Hinweis, wie wir einer Gefahr entgegentreten und sie abmildern können, damit wir ein gesundes Verhältnis zu ihr entwickeln. Schließlich sind nicht alle in diesem Buch erkundeten Risiken es wert, sich den Nachtschlaf von ihnen rauben zu lassen (so steht zum Beispiel – ohne die Pointe vorwegnehmen zu wollen – nicht unmittelbar zu befürchten, dass die Erde von einem Schwarzen Loch verschluckt wird).

Auf der anderen Seite sind Dinge wie Hitze und Klimawandel, Geoengineering, Massenvernichtungswaffen, Supervulkane oder Künstliche Intelligenz wirklich »große Risiken«, die die moderne Gesellschaft vor existenzielle Herausforderungen stellen. Doch so, wie eine Kakerlake einen nuklearen Winter überstehen kann, oder (um uns mit etwas erhabeneren Wesen zu vergleichen) der majestätische Löwe in der Savanne, der Elefant im indischen Dschungel, der Kaiserpinguin in der frostigen Antarktis, so verspüren auch wir einen tief verwurzelten Drang zum Leben! Und zwar nicht nur den evolutionären Drang zum Überleben, sondern einen Drang zu gedeihen!

Dieser Drang eröffnet uns die Chance zur Rettung. Das allein jedoch hilft nichts, solange wir nicht aktiv werden, solange wir untätig bleiben. Wir müssen diesen Drang in Handeln übersetzen. Denn wenn es um die entscheidende Frage geht – wie viel Zeit uns noch bleibt –, dann hängt die Antwort von uns selbst ab …

Atombombe

Das Risiko in einem Satz: Die schier unbegrenzte Energie, die bei der Spaltung oder Fusion von Atomen nutzbar gemacht werden kann, löst entweder eine unkontrollierbare Kettenreaktion aus, die unseren Planeten zerstört, oder wird für eine Waffe genutzt, die Zivilisationen auslöscht.

Muss ich mir Sorgen machen? Natürlich muss es im ersten Kapitel heiß hergehen. Wobei Panikmache unangebracht erscheint. Nach dem derzeitigen Wissensstand in der Physik ist eine von Menschenhand ausgelöste unkontrollierbare (im Gegensatz zu einer kontrollierten) Kettenreaktion, die sich auf die ganze Welt auswirkt, faktisch unmöglich. Dass jemand im Laufe der nächsten 1000 Jahre einen Atombombenkrieg anzettelt, ist deutlich wahrscheinlicher. Und wer weiß, wie dann unsere Welt darauf reagiert?

***

In diesem Buch wird es um große und kleine Dinge gehen. Von riesigen planetenzerstörenden Asteroiden mit mehreren 100 Kilometern Durchmesser bis hin zu winzigen Nanorobotern, die sich selbst replizierende Maschinen bauen und unseren Planeten in »Graue Schmiere« verwandeln. Doch nichts illustriert die Macht des Kleinen so treffend wie die in einem Atom gespeicherte Energie. Ein Milligramm Materie, das Äquivalent einer kleinen Schneeflocke oder eines großen Sandkorns, speichert das Fünffache der Energie, die ein Deutscher in einem Jahr durchschnittlich verbraucht. Wer seine Hand durch den Schnee oder Sand streifen lässt, berührt und spürt die Energie eines Landes, ja, eines ganzen Kontinents. Zwei Handvoll Sandkörner beinhalten genug Energie, um den Jahresverbrauch einer Kleinstadt zu decken. Undenkbar viel Energie. Und undenkbar viel Macht und Zerstörungskraft.

Die über Hiroshima abgeworfene Atombombe wog mehr als 64 Kilogramm und hieß seltsamerweise »Little Boy«, doch die Energie der Explosion kam aus nur einem halben Gramm Material, das Gewicht eines Schmetterlings. Von dieser Katastrophe rührt die Angst vor dem Atom, vor der Atomenergie, der Atombombe. Kein potenziell existenzielles Risiko bereitet die Bühne besser vor für diese Aufführung unserer großen Risiken als der kleinste Grundbaustein aller Materie und damit auch allen modernen Lebens: das Atom.

Unweigerlich müssen wir beim Thema Atombombe mit der wohl berühmtesten Formel der Welt anfangen: E = mc2. Energie ist gleich Masse mal Lichtgeschwindigkeit im Quadrat. Diese Gleichung macht intuitiv klar, warum kleine Dinge derart viel Energie speichern: Wenn die kleinste Masse mit dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit multipliziert wird, ergibt sich immer noch eine gewaltige Zahl. Daran wird direkt deutlich, warum Atomkraft so viel stärker wirkt als fossile Energieträger. Fossile Brennstoffe setzen Energie durch ihre ungepaarten Elektronen in der äußeren Schale des Atoms frei. Atomenergie entsteht durch das Aufspalten des Atomkerns – wir reden also vom Unterschied zwischen dem Abhacken eines Astes fürs Feuerholz und dem Roden eines ganzen Waldes. Deswegen benötigen wir auch deutlich weniger Materie für die Gewinnung von Atomenergie als bei den fossilen Brennstoffen. Wir spalten keine Atome, wenn wir fossile Energieträger verbrennen. Sie sind wie eine Prise geriebener Zitronenschale, sie gehen nicht an den Kern.

Nun ist es glücklicherweise so, dass die Atomspaltung nicht mal so nebenbei zu bewerkstelligen ist. Deshalb zählen wir nur zwei Atombombenabwürfe (Atomtests ausgenommen), zwei (oder drei) große Atomunfälle in Reaktoren und eine Handvoll Beinahunfälle als Gesamtschaden, den diese Technologie über die Menschheit gebracht hat.1 Vergleicht man diese Kosten mit dem Wohlstand, den die Atomenergie als kohlenstoffarme Energiequelle ebenfalls ermöglichte, wird klar, dass auch diese Medaille zwei Seiten hat. Einige Experten vertreten gar die Meinung, die Atombombe habe während des Kalten Kriegs über das »Gleichgewicht des Schreckens« zu weniger militärischen Auseinandersetzungen geführt. Und doch: Die Angst bleibt, dass das Atom und die gesteuerte oder ungesteuerte Energie, die es freisetzen kann, zu unserem Untergang führen wird.

Wie sollte das möglich sein? Nun, die Energie eines Atoms wird in einem Prozess freigesetzt, bei dem man ein schweres Atom mit einem langsamen Neutron beschießt, um den Atomkern aufzuspalten. Am besten gelingt das bei instabilen Atomen wie Uran oder Plutonium. Da ein Atom, wie schon erwähnt, deutlich weniger als ein Milligramm wiegt, ist seine Energie nur dann für uns wirklich nutzbar, wenn der Beschuss eine (kontrollierte) Kernspaltungskettenreaktion auslöst. Und genau hier lag die Hauptsorge der Wissenschaftler, die ab den 1940er Jahren in Los Alamos (USA) an der ersten Atombombe arbeiteten: dass nämlich als unkontrollierbarer Teil der Atombombenexplosion eine Kettenreaktion auf den Stickstoff und Wasserstoff in unserer Atmosphäre überspringen könnte, was einen Weltenbrand auslösen und für das Verglühen unseres gesamten Planeten sorgen würde. Worüber man sich im Berufsalltag nun mal so Sorgen macht.

Heute steht fest, dass derartige unkontrollierbare Reaktionen im Grunde unmöglich sind, setzen sie doch Temperaturen voraus, die denen im Inneren der Sonne entsprechen (und das wissen wir nicht zuletzt deshalb, weil die Sonne genau das ist: eine einzige unaufhaltsame Kettenreaktion). Wir würden also unseren Planeten in einen Stern verwandeln.

Dabei müssen wir die Welt nicht einmal durch eine unkontrollierbare Kettenreaktion in Brand stecken, um uns die Auswirkungen von Atombomben auszumalen. Bleiben wir bei der Vorstellung, alle existierenden Atombomben gleichzeitig zu zünden. Derzeit lagern Militärs rund 12 000 Stück davon, und sie alle auf einmal zur Explosion zu bringen würde ausreichen, jede Stadt einer gewissen Größe (über 100 000 Einwohner) auf der Welt auszuradieren – es würden dann sogar noch einige Bomben übrigbleiben. Milliarden Tote und ein nuklearer Winter wären die Folge. Man vermag sich die moderne Zivilisation nach einem solchen Ereignis kaum mehr vorzustellen. Faszinierend ist allerdings die Tatsache, dass diese Explosionskräfte immer noch winzig wären im Vergleich zu jenem Asteroiden, der die Dinosaurier auf dem Gewissen hat.

Natürlich kann man sich solch einen Atomkrieg nur in einer Welt vorstellen, in der politische Macht außer Kontrolle geraten ist, womit unsere Probleme nicht mehr allein auf Atomwaffen beschränkt blieben. Es lässt sich vernünftigerweise annehmen, dass bestimmte Kräfte einschreiten würden, bevor es zu einer derartigen Eskalation käme. Falls das nicht gelänge, dürfte die sich ausbreitende Anarchie in diesem Szenario mindestens so zerstörerisch sein wie die Atomwaffen selbst. Ein unbeschränkter Krieg zwischen Atommächten wäre Ausdruck einer ungeheuren Verrohung der Sitten.

Als ich eben von Atomenergie und der Spaltung von Atomen sprach, habe ich ein wenig geschummelt. Die meisten von uns gehen davon aus, dass eine Atombombe genauso funktioniert, dabei haben moderne Kernwaffen (oder Wasserstoffbomben) nichts mit der Spaltung von Atomkernen zu tun, sondern mit der Fusion von Atomen. Während Fissionsbomben (also Bomben, die über die Spaltung von Atomkernen funktionieren) einen Explosionsgrenzwert besitzen, da es nicht so einfach ist, einen Haufen kritischer Masse (also das Mindestvolumen an Masse, um eine Kettenreaktion zu ermöglichen) an einem Ort unterzubringen, haben Fusionsbomben (also Wasserstoffbomben beziehungsweise Bomben, bei denen es zur Verschmelzung von Atomkernen kommt) keine uns bekannte Explosionsobergrenze. Die größte jemals getestete Nuklearbombe – die sogenannte Zar-Bombe – erzeugte 1961 einen Feuerballradius von etwa 3,5 Kilometern. Oder anders ausgedrückt: Diese Wasserstoffbombe war über 1000 Mal stärker als die Bomben auf Hiroshima und Nagasaki zusammen (!) und zehnmal stärker als der gesamte Vorrat konventioneller Bomben, die während des Zweiten Weltkriegs explodierten.

Entscheidend aber war: Die Zar-Bombe war so verändert worden, dass der radioaktive Niederschlag (»Fallout«) um 50 Prozent reduziert wurde. Wäre sie wie die Weltkriegsbomben konstruiert worden, hätte sie die doppelte Zerstörungskraft entfaltet.

Es leuchtet nicht ein, warum man Bomben dieser Größe, oder gar ein Vielfaches davon, bauen sollte, um militärische oder sicherheitspolitische Ziele zu erreichen. Dass die Vereinigten Staaten ihre Atomtests bei 15 Megatonnen mit dem Castle-Bravo-Test (der knapp ein Drittel der Sprengkraft der Zar-Bombe hatte) beendeten, war also durchaus »vernünftig«. Wollen wir uns jedoch wirklich auf die Vernunft der Menschen verlassen? Es ist nicht so, dass – wie Willy Wonka uns in Charlie und die Schokoladenfabrik wissen lässt – nur Mister Wonka »unreasonable« ist, unvernünftig also. Wir sind es alle (und haben ja auch ein ganzes Kapitel hierfür reserviert, »Du«). Wir haben erst kürzlich gelernt, mit Waffen dieser Größe umzugehen. Noch ist Zeit, unvernünftig zu sein.

Eine scheinbar unvernünftige Eigenschaft der modernen Gesellschaft ist es, das von Fusionsbomben ausgehende zivilisatorische Risiko mit Atom- und Fusionsenergie in einen Topf zu werfen. Denn mit der zivilen Nutzung von Kernfusionsenergie – an deren Nutzung derzeit geforscht wird und die uns mit grenzenloser Energie versorgen könnte – geht im Grunde gar kein Risiko einher. Da man für die Erzeugung von Fusionsenergie nur winzige Mengen Materie benötigt und dieses Material auch ständig gefüttert werden muss, würde jeder Systemausfall in einem Fusionskraftwerk fast augenblicklich aufgefangen werden. Das ist der Unterschied zum herkömmlichen Atomkraftwerk, in dem unverbrauchtes Brennmaterial – wie in Tschernobyl – noch Jahrzehnte später radioaktiv strahlt.

Atomenergie kann Angst machen. Aber weder stellte sie in der Vergangenheit ein zivilisatorisches Risiko dar noch wird sie in der Zukunft eines sein. Obgleich es wahrscheinlich wieder zu Unfällen in Atomkraftwerken kommen wird, gibt es bisher (zumindest relativ zu den anderen in diesem Buch verhandelten Risiken) kein signifikantes Todesrisiko aufgrund früherer Katastrophen. Was nicht heißt, dass sich eine Gesellschaft nicht dafür entscheiden kann, das Risiko von Atomkraftwerken nicht tragen zu wollen. Dies ist jedoch eine politische, keine wissenschaftliche Entscheidung. Aus der Perspektive des zivilisatorischen Risikos ist die Erfolgsbilanz der Kernenergie – zumindest bis heute – eindeutig.

Die Diskussion über Fusionsenergie wiederum führt uns unweigerlich zurück zur imaginären Medaille, an deren zwei Seiten sich das Gute und das Schlechte in dieser Welt zeigt. Fusionsenergie ist die einzige menschengemachte Technologie, mit der sich unser gesamter Planet vollständig zerstören ließe (die Super-Intelligenz vermag es vielleicht irgendwann auch, ist uns aber nur in der Theorie, nicht in der Praxis bekannt). Doch die aus der Kernfusion gewonnene Energie dürfte, sobald sie genutzt werden kann, fast von ganz allein die drohende Klimakatastrophe abwenden. Die im Erfolgsfall unbegrenzt zur Verfügung stehende Energie könnte zu sehr, sehr, sehr geringen Kosten die Versorgung von Heizungen, Beleuchtung, Mobilität und vielem mehr sichern, und zwar ohne CO2-Ausstoß. Sie könnte sogar all jene technologiebasierten Lösungen antreiben, mit denen wir der Atmosphäre CO2 entziehen, und somit die globale Erwärmung umkehren. Im weiteren Verlauf dieses Buches wird noch deutlich werden, dass Kernfusionsenergie einige ziemlich irre Technologien ermöglichen könnte (siehe etwa »M – Matrix«). Aber natürlich ist eines der Hauptargumente gegen Kernenergie nicht nur das Risiko, das sie selbst darstellt, sondern eben auch, dass sie Einstiegsdroge für Atomwaffen ist.

Klar, der beste Weg, dieses Risiko zu verringern, wäre es, auf dem Verhandlungsweg eine Welt ohne Atomwaffen zu schaffen (steile These!). Aber im Ernst, wir sollten uns bemühen, das Zerstörungspotenzial zu verringern. Für eine weniger gefährliche Welt zu kämpfen, lohnt sich immer.

Aus diesem Kapitel ließen sich gut und gern auch drei oder vier machen, so viele Themen werden hier verhandelt. Also noch mal zusammenfassend: Atomenergie (über Fusion oder Spaltung) stellt keine zivilisatorische Gefahr dar. So viel wir wissen, stellt sie auch keine signifikante Bedrohung für die Sterblichkeit oder globale Gesundheit dar (obwohl sie natürlich bei Unfällen Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen vor Ort hat). Die bisher existierenden Atombomben können alle Großstädte der Welt vernichten. Fusionsbomben (oder Wasserstoffbomben) können theoretisch ganze Regionen oder Länder auslöschen und, sobald sie ausreichend groß sind, den gesamten Planeten zerstören. Wer an die grundsätzliche Vernunft der Menschheit glaubt, geht davon aus, dass wir diesen Weg nie beschreiten werden (und muss sich zudem mit Willy Wonka auseinandersetzen, der trotz seines lustigen Aufzugs doch auch ziemlich fies sein kann). Allerdings ist die Geschichte dieser Waffe in der Geschichte der Menschheit nur ein winziger Augenblick, und der Gedanke, was ein unvernünftiges Morgen für den Einsatz dieser Waffen bedeuten mag, bleibt eine beängstigende Vorstellung. Allein schon deshalb, weil uns die Macht in der Masse eines Sandkorns bis an das Ende der Geschichte in Atem halten wird.

Bevölkerungskollaps

Das Risiko in einem Satz: Der Geburtenkollaps führt im Verlauf dieses Jahrhunderts zu einem dramatischen Bevölkerungsrückgang mit möglicherweise gefährlichen Konsequenzen für den wirtschaftlichen Wohlstand, den Kapitalismus und den Gesellschaftsvertrag zwischen den Generationen (ein Gegenbild des »Ewigen Lebens« gemäß Kapitel »E«).

Muss ich mir Sorgen machen? Dass es in irgendeiner Form so weit kommt, scheint unausweichlich zu sein, obgleich die UN in ihren Vorhersagen noch immer von einem Bevölkerungswachstum ausgehen. Früher oder später wird der westliche Trend des Geburtenrückgangs global um sich greifen. Die Frage ist natürlich, wie lange das dauert und wie schlimm es werden wird. Die Welt geht nicht gleich unter, so viel steht fest.

***

Journalisten lieben verrückte Wissenschaftsgeschichten. Normalerweise verwöhnen Reporterinnen uns mit der neuesten Erkenntnis, welches Lebensmittel Krebs auslöst oder verhindert. Es gibt sogar eine Metastudie aller Krebsstudien, die – wie zu erwarten war – zu dem Schluss kommt, dass alles, was wir essen, Krebs zugleich verursacht als auch vor ihm schützt. Dabei möchte ich nicht die Wissenschaft insgesamt schlechtreden, aber natürlich sind bestimmte Ergebnisse mit Vorsicht zu genießen. Bei mir persönlich lösen Artikel mit der Einleitung »Eine neue Untersuchung hat ergeben …« eine Reaktion aus, wie ich sie auch bei einem Berliner Yuppie im Berghain erwarte, dem man sonntagmorgens um 11 Uhr die angesagteste Modedroge anbietet. Mich überkommt ein Jucken, dem ich nachgeben muss – und ich klicke auf den dazugehörigen Link. Man darf vielleicht nicht jeder Studie glauben, die durch den deutschen Blätterwald gejagt wird. Doch um den Autor F. Scott Fitzgerald zu zitieren: »Erst nimmst du dir einen Drink, dann nimmt der Drink einen Drink, dann nimmt der Drink dich.« Genau das trifft auch auf verrückte Wissenschaftsgeschichten und mich zu. Und auf die Geschichten in diesem Kapitel.

Als ich also 2021 einen unscheinbaren Link über die Bevölkerungsentwicklung in China anklickte – was mir nicht schwerfiel, da ich ein Jahrzehnt zuvor für ein Jahr im Reich der Mitte gelebt hatte –, machte ich mich bereit, dem Juckreiz erneut nachzugeben, ihn vielleicht sogar zu stillen. Doch diese Studie war anders. Es war eine, die ich nicht so einfach abtun konnte. Professor Quanbao Jiang von der Xi’an Jiatong Universität und seine Kolleginnen prognostizierten, dass sich die chinesische Bevölkerung bis 2050 halbieren könnte. Für all jene, die jetzt zu rechnen beginnen: Wir sprechen von einem Rückgang um 700 Millionen Menschen, knapp einem Zehntel der heutigen Weltbevölkerung. Das ist die Geschichte vom Bevölkerungskollaps. Etwas weniger drastische Studien gehen davon aus, dass diese Halbierung bis zum Jahr 2100 dauert. Zugegeben, das ist doch etwas mehr Zeit, bedeutet aber noch immer eine dramatisch veränderte Welt.

Überhaupt mag dieses Kapitel einige Leser überraschen. Glaubt man den Google-Trends, dann wird online rund dreißigmal häufiger nach »Überbevölkerung« gesucht als nach »Bevölkerungsrückgang«. Die Sorge um eine Überbevölkerung ist ein Klassiker, und die meisten dürften über Thomas Malthus und die Malthusianische Katastrophe zum ersten Mal davon gehört haben. Hätte Malthus dieses Buch hier geschrieben, hätte er unter »B« statt vom Bevölkerungskollaps vom Bevölkerungswachstum gesprochen.

In seinem 1798 erschienenen Essay on the Principle of Population (auf Deutsch: Das Bevölkerungsgesetz) behauptete der britische Ökonom Malthus, dass das Bevölkerungswachstum die Steigerung der Lebensmittelproduktion übertreffen und die Menschheit an Hunger und Verelendung leiden werde. Obgleich sowohl die Geschichte selbst als auch viele von Malthus’ Kritikern, darunter Friedrich Engels, seine Theorie verworfen haben, blieb die Sorge vor einer Überbevölkerung akut. Ein 1972 verfasstes Äquivalent zum Malthusianischen Szenario war dann der Bericht über die Limits to Growth (Grenzen des Wachstums) des Club of Rome, welcher zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommt wie Malthus, wenn auch unter einem breiteren ökologischen und sozialen Gesichtspunkt. Die populärwissenschaftliche Version dieser Idee lieferte Paul R. Ehrlich in den 1960er Jahren mit seinem Buch The Population Bomb (1971 auf Deutsch als Die Bevölkerungsbombe erschienen). Ehrlich sagt darin voraus, dass die maximale Grenze der Erdbevölkerung bei einer Milliarde Menschen liege und die Lage sich derart zuspitzen werde, dass man Indien in Zonen einteilen müsse, von denen einige »gerettet« werden könnten, während man andere dem massenhaften Hungertod überlassen müsse. Nur wenige Menschen haben sich bei der Vorhersage der Zukunft derart getäuscht wie er, was aber nichts daran ändert, dass Ehrlich weiterhin regelmäßig für das amerikanische Fernsehen interviewt wird. Die US-Amerikaner lieben Verrückte.

Dabei geht es in diesem Kapitel gar nicht um die Überbevölkerung. Ich beziehe mich auf diesen Kontext, um darauf hinzuweisen, dass Überlegungen zum Fruchtbarkeits- oder Bevölkerungskollaps in unserer modernen Gesellschaft etwas völlig Neues sind. Der einzig mögliche historische Referenzpunkt wäre die Pest, die – über einen Zeitraum von fünf Jahren – zwischen einem Drittel und der Hälfte der europäischen Bevölkerung sowie einen etwas geringeren Anteil der Weltbevölkerung dahinraffte. Das war im 14. Jahrhundert. Die moderne Wirtschaft musste zwar punktuell starke Einbußen bei der Bevölkerung hinnehmen, so hatte etwa die Große Hungersnot die irische Bevölkerung Mitte des 19. Jahrhunderts um etwa ein Fünftel verringert, doch im Großen und Ganzen sprechen wir beim Bevölkerungskollaps von einer ganz anderen Größenordnung. Also nicht von örtlich begrenzten Katastrophen, sondern von einer weltweiten Transformation. Entscheidend ist, dass es sich bei all den historischen Beispielen nie um langfristige Erschütterungen handelte; die Bevölkerungszahlen erholten sich immer wieder. Und wo sie es nicht taten, blieb der Rückgang typischerweise überschaubar. Russlands Einwohnerzahl liegt noch immer rund vier Millionen unter dem Stand des Jahres 1990, doch insgesamt betrachtet sind solche Dynamiken ein Rauschen in der Statistik, keine entscheidenden Daten.

Wie also muss man sich diesen Bevölkerungskollaps vorstellen? Die Prognose der Bevölkerungsabteilung der Vereinten Nationen geht nach wie vor von einem Wachstum der Weltbevölkerung auf etwa 10,9 Milliarden Menschen bis zum Ende des Jahrhunderts aus. Damit würden noch mehr Menschen auf der Erde leben als derzeit (beim Verfassen des Buches lag die Zahl bei knapp über acht Milliarden). Um es noch einmal zu betonen: Das sind deutlich mehr Menschen als heute. Wir hören nicht umsonst die Warnungen vor einer Überbevölkerung, vor allem aus der Umweltbewegung. Noch weitere zwei Milliarden Menschen sind keine kleine Herausforderung bei der Bewältigung der Klimakrise.

Und nun mischen sich auch neue Wettbewerber ein. Das europäische Centre of Expertise on Population and Migration (CEPAM) mit Sitz in Wien setzt die Weltbevölkerung am Ende dieses Jahrhunderts bei knapp unter zehn Milliarden an.

Das Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) an der University of Washington hat im Vergleich zu den beiden anderen die drastischste Vorhersage getroffen: Obgleich die Bevölkerung 2100 größer sein wird als heute, wird sie ihr Maximum doch bereits im Jahr 2064 erreicht haben und dann um eine Milliarde zurückgehen. Diese Arbeit, finanziert von der Bill & Melinda Gates Foundation, rief zwar durchaus Kritiker auf den Plan, doch spätestens seit der Covid-19-Pandemie ist das IHME bei den Themen Gesundheit und Tod zu einer bekannten Adresse geworden.