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Matthias Steiner hat die Herzen der Menschen im Sturm erobert. Seine berührende Lebensgeschichte hat viele bewegt, und der sympathische Sportler ist zum Vorbild für Jung und Alt geworden. Doch kaum jemand kennt - trotz unzähliger Berichte in den Medien - die wahre Geschichte hinter der Geschichte. Das Buch beschreibt die Sportlerkarriere eines ehrgeizigen, zielstrebigen und fleißigen Kämpfers, wie sie kaum ein Drehbuchautor hätte erfinden können, und ist zugleich auch ein Ratgeber, wie man trotz großer gesundheitlicher Probleme und schwerer persönlicher Schicksalsschläge die höchsten Ziele erreichen kann. Zusammen mit den Autoren Gerda Melchior und Volker Schütz hat er nun seine unglaubliche Geschichte aufgeschrieben.
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Seitenzahl: 314
Veröffentlichungsjahr: 2009
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.
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1.Auflage 2009
E-Book-Ausgabe (PDF): © 2009 by mvg Verlag, FinanzBuch Verlag GmbH, München.www.mvg-verlag.de
Print-Ausgabe: © 2009 by mvg Verlag, ein Imprint der FinanzBuch Verlag GmbH Nymphenburger Straße 86 D-80636 München Tel.: 089 651285-0 Fax: 089 652096
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Redaktion: Gernot Geurtzen Umschlaggestaltung: Weiss Werkstatt München Umschlagabbildung: © Accu-Chek, © Getty Images, # 84051764 Satz: Jürgen Echter,Landsberg amLech Druck: GGP Media GmbH, Pößneck Printed in Germany
ISBN 978-3-86882-132-1 | Print-Ausgabe
ISBN 978-3-86882-177-2 | E-Book-Ausgabe (PDF)
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Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum.
Vorwort
Prolog
Am Anfang war … Fußball.
Und dann doch Gewichtheben!
Frühe Erfolge und ein Durchhänger
Mensch, ärgere dich nicht!
Knödelakademie und Lehre in Wien
Der erste Schicksalsschlag .
Der Tag vor meinem 18. Geburtstag
Leistungssport und Diabetes – geht das?
Training im Krankenhaus
Wieder ganz der Alte!
Zucker und Eisen
Säge kein Sägemehl!
E-Mail für mich
Meine ersten Olympischen Spiele
Österreich ade oder: Teppichland ist überall!
»Was kann ich für Sie tun, Herr Steiner?«
Abschied von Obersulz
Die Hochzeit mit Susann
Eine Sekunde verändert mein Leben
Die schreckliche Zeit danach
Aus Trauer wird Wut
Letzte Hindernisse — und endlich Deutscher
Klappe: Peking, die Erste
1. Fanclub von Steiner Matthias
Operation Goldmedaille
Thailändisch essen oder: Der gläserne Mensch
Zehn Kilo zum Gold
Wie Freunde und Verwandte meinen Sieg erlebten
Mein Trainer Frank Mantek
Meine Eltern
Meine Schwestern
René Boyer, Obmann des Fanclubs
Inge Posmyk
Meine Großmutter (erzählt von Matthias Steiner)
Herrlich, Olympiasieger zu sein!.
Im Medientaumel
Vom »Kräftigen Mann« in Obersulz zum Terminator nach Ohio
Ich wollte nur die Wahrheit wissen
Blumen aus dem Zeitschriftenladen
Neues Glück mit Inge
Nachwort
Danksagung
Mein Leben war nie einfach. Rückblickend kann ich sagen, dass es immer ein kontinuierliches Auf und Ab gab. Kaum dachte ich, alles sei geregelt, alles sei so, wie ich es mir vorstellte, kam ein Rückschlag, der das Vorhergegangene über den Haufen warf. Dass ich aber gerade aus den schweren Schicksalsschlägen die Motivation zum Weitermachen zog, liegt sicher an meiner Willensstärke, an meiner Erziehung und an meinem unerschütterlichen Kampfgeist.
Der Olympiasieg in Peking im August 2008 stellte von einem Tag zum anderen mein Leben völlig auf den Kopf. Seither ist nichts mehr, wie es war. Dachte ich am Anfang noch, dass sich der Rummel sicherlich nach ein paar Wochen legen wird, so kann ich aus heutiger Sicht sagen, er wurde von Woche zu Woche intensiver.
Ich habe für diesen Sieg sehr, sehr hart gearbeitet, nichts wurde mir geschenkt, und einmal war ich knapp davor aufzugeben. Nach dem Tod meiner Frau Susann war wochenlang nichts mehr für mich wichtig, nur noch Trauer und Wut lösten einander ab. Doch mein Trainer Frank Mantek und meine Familie gaben mir in dieser schweren Zeit hilfreiche Unterstützung und den notwendigen Halt, um weiterzutrainieren und um durchzuhalten. Ich wollte nach Peking zu den Olympischen Sommerspielen und ich wollte Olympiasieger werden! Das war mein Ziel, das war Susanns Ziel, und dem ordnete ich ein Jahr lang alles unter.
Mein Freudentanz nach dem gelungenen dritten Versuch im Stoßen und die Fotos der Medaillenüberreichung gingen um die Welt. Ich wurde in den vergangenen Monaten unzählige Male interviewt, und doch war ich voller Antworten, zu denen mir kein Journalist die entsprechenden Fragen stellte.
Deshalb habe ich mich entschlossen, gemeinsam mit den beiden Autoren Gerda Melchior und Volker Schütz meine Lebensgeschichte zu Papier zu bringen. Um ehrlich und dankbar meine Geschichte zu erzählen und um vor allem Menschen Mut zu machen, nach schweren Schicksalsschlägen die Kraft zum Weitermachen zu finden.
Herzlichst,
Ihr Matthias Steiner
19. August 2008, 19 Uhr Ortszeit
University of Aeronaut & Astronaut, Gewichtheberhalle
Peking, China
Bei den Gewichthebern steht an diesem Tag die Entscheidung in der Königsklasse, dem Superschwergewicht, auf dem Programm. Ernsthafte Kandidaten für einen Medaillengewinn sind der Lette Viktors Ščerbatihs, der wenige Monate zuvor bei der EM in Lignano mit 447 Kilogramm Europameister im Zweikampf geworden war, Jewgeni Tschigischew aus Russland, in Lignano mit 442 Kilogramm EM-Dritter, und der Deutsche Matthias Steiner, Vize-Europameister mit 446 Kilo. Nach Abschluss der ersten Teildisziplin, dem Reißen, liegt der Russe mit 210 Kilo vorn, dahinter haben sich der Ukrainer Artem Udatschyn mit 207 Kilo und der Heber aus Lettland mit 206 Kilo platziert. Matthias Steiner besetzt mit 203 Kilo im Reißen vorläufig Platz 4, nachdem er an den 207 Kilo gescheitert ist.
Der anschließende Wettkampf im Stoßen gerät zu einem wahren Nervenkitzel. Der Russe Tschigischew schafft in seinem letzten Versuch 250 Kilo und setzt sich so mit einer Gesamtleistung von 460 Kilo an die Spitze des Feldes. Viktors Ščerbatis scheitert im letzten Versuch an 257 Kilo, für ihn bleibt es so bei 448 Kilo im Zweikampf. Matthias Steiner bringt im ersten Versuch die 246 Kilo nicht zur Hochstrecke, stößt aber im zweiten Versuch 248 Kilo und hat dadurch bereits die Silbermedaille sicher. Aber er hat noch die Chance auf Gold und will sie nutzen. Im dritten und entscheidenden Versuch setzt der deutsche Trainer Frank Mantek alles auf eine Karte und lässt für seinen Schützling 258 Kilo auflegen – unglaubliche 10 Kilo mehr als bei Versuch Nummer zwei –, um den russischen Konkurrenten noch in letzter Sekunde zu übertrumpfen. Ein solches Gewicht hat der 25-jährige Athlet noch nie vorher gestoßen.
Die Zuschauer in der ausverkauften Halle und vor den Bildschirmen in aller Welt halten den Atem an, als Matthias Steiner die Hantel zunächst mit einem abschätzenden Blick mustert und die Stange dann mit festem Griff packt. Jetzt zählt nur noch der eiserne Wille, diese ungeheure Last zur Hochstrecke zu bringen. Die Hantelstange biegt sich unter dem Gewicht der aufgesteckten Scheiben, aber Matthias Steiner bringt sie sicher bis an die Schulter. Ein kurzer Moment der Konzentration, dann ist die Hantel oben, und Matthias Steiner hält sie souverän, bis das Kampfrichterzeichen erfolgt, und wirft sie dann krachend zu Boden. 258 Kilogramm im Stoßen, das bedeutet, der Russe Chigishev ist in der Gesamtwertung um 1000 Gramm geschlagen, und Matthias Steiner hat olympisches Gold errungen!
Unter dem tosenden Jubel der Zuschauer gibt der 146-Kilo-Koloss Steiner seiner Freude Ausdruck, wirft sich erst wie zum Dank über die Hantel, die ihm den Sieg gebracht hat, springt dann wie ein wild gewordener Gummiball über die Bühne, umarmt seinen Trainer und reißt sich zum Schluss die Träger seines Trikots von den Schultern, um stolz auf den Bundesadler auf seiner Brust zu zeigen. Nur wenige ahnen zu diesem Zeitpunkt, dass Steiner diese Goldmedaille nicht nur für Deutschland und auch nicht nur für sich erkämpft hat, aber wenig später geht seine Geschichte um die Welt.
Denn die anschließende Siegerehrung wird vor den Augen eines Millionenpublikums zu einer ganz besonders emotional geprägten Veranstaltung. Matthias Steiner, der mit diesem Sieg auch den Titel »Stärkster Mann der Welt« errungen hat, hält nicht nur stolz die Goldmedaille in die Kameras der versammelten Weltpresse und der Fernsehstationen aus aller Welt, sondern auch das Foto einer sympathischen jungen Frau. Seiner Frau, die ein Jahr vorher bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war.
Sie hätte eigentlich in diesem Augenblick des großen Triumphs dabei sein und ihrem Mann zujubeln sollen, aber das Leben wollte es anders. Und deswegen widmet Matthias Steiner an diesem Tag sein Olympiagold der großen Liebe, die er verloren hat, und ein Millionenpublikum rund um den Erdball wird Zeuge eines Moments, der in seiner ganzen Intimität und Vertraulichkeit eigentlich für nur zwei Menschen bestimmt ist. Die dahinterstehende Lebens- und Liebesgeschichte und der immer wieder von Schicksalsschlägen begleitete Weg, der Matthias Steiner schließlich bis auf das Siegerpodest in Peking führte, wird den Menschen erst in den darauffolgenden Tagen und Wochen durch unzählige Berichte und Interviews bekannt und bewusst werden.
»Und, Herr Steiner, wie sind Sie ausgerechnet zu einer Sportart wie Gewichtheben gekommen?« Diese Frage wird mir in Interviews immer wieder gestellt. Wenn ich dann meine Antwort beginne: »Also, mein Vater ist auch Gewichtheber ...«, dann kommt in den meisten Fällen sofort ein »Aaah!«, ein »Aha!« oder der Satz: »Dacht’ ich mir doch!«, weil das natürlich für viele die logische Schlussfolgerung ist: Der Steiner wollte halt so sein wie sein Vater, hat viel geübt, und am Ende gewann er eine Goldmedaille!
Nein, ganz so einfach war es dann doch nicht. Zwar kommt man als Kind auf den Geschmack, wenn man das Vorbild des Vaters vor Augen hat. Und ich habe auch bewundernd zu meinem Vater aufgeschaut und war immer stolz auf das, was er machte. Denn mein Vater ist ein wahres Multitalent. Alles, was er anpackt, macht er mit einer großen Leidenschaft. So auch das Gewichtheben, das eines seiner Lieblingshobbys ist. Aber dennoch: Ganz so einfach und gerade, wie sich das mancher vorstellt, war mein Weg zum Gewichtheben nicht.
Natürlich war ich von Anfang an dabei, wenn mein Vater zweimal wöchentlich in Mödling trainierte oder an Wettbewerben und Meisterschaften teilnahm. Und von Anfang an hieß es bei mir, dass ich schon im Mutterleib den Lärm von zu Boden fallenden Hanteln mitbekommen haben muss, denn meine Mutter war bei allen Veranstaltungen eine begeisterte Zuschauerin. Wie sie erzählt, habe ich dann später als Baby auch beim größten Lärm immer friedlich geschlafen. Kein Wunder, ich war die Geräusche halt gewöhnt.
So gehörte Gewichtheben von klein auf zu meinem Leben, wobei ich weniger von dem Sport an sich fasziniert war als vielmehr von dem, was sich drum herum abspielte und die kindliche Entdeckerlust reizte!
Da gab es zum Beispiel diese Magnesia-Würfel, mit denen sich die Sportler die Hände einrieben, mit denen man sich aber auch wunderbar weiße Striche auf die Klamotten malen konnte. Oder es gab ganz kleine Hantelscheiben, die man als Kind geschäftig hin und her tragen konnte. Oder man konnte versuchen, die Hantelstange – ohne Gewichte natürlich – nach dem Vorbild der Großen wenigstens schon einmal bis Hüfthöhe zu heben. Aber das kam bei mir, so wie bei anderen Kindern dort auch, aus einem ganz normalen Spieltrieb heraus und nicht aus einem besonderen Interesse für das Gewichtheben.
Trotzdem wusste ich als Kind schon genau, was ich wollte, und mein eiserner Wille zum Durchhalten und auch zum Gewinnen kam schon damals des Öfteren zum Vorschein.
Im Herbst 1987 – ich war gerade fünf Jahre alt –flogen wir nach Puerto Rico. Dort fand in jenem Jahr die Senioren-Weltmeisterschaft im Gewichtheben statt, und natürlich war mein Vater einer der Athleten. Diese jährlichen Reisen zu den Austragungsorten in aller Welt wurden von vielen Teilnehmern meist auch gleich als Familienurlaub genutzt. So schlug man zwei Fliegen mit einer Klappe, wenn man denn schon so weit weg von zu Hause war. Und so flogen meine Mutter und ich mit.
Zum Freizeitprogramm gehörte auch ein Ausflug mit unserer ganzen Reisegruppe auf eine kleine Nachbarinsel, ich glaube, um dort Wale zu beobachten, aber so genau weiß ich das nicht mehr. Aber an ein Erlebnis, das ich beim Strandspaziergang auf dieser Insel hatte, kann ich mich genau erinnern, weil es mich für mein späteres Leben geprägt hat.
Auf den tropischen Inseln in der Karibik gibt es Bambus im Überfluss. Zum Spaß und aus sportlichem Übermut schnappte ich mir eines der dort herumliegenden Bambusrohre von sicher 10 Zentimetern Durchmesser und 2,5 Metern Länge. Es bis auf Schulterhöhe zu heben, war für mich keine Schwierigkeit, aber es dann mit gestreckten Armen über dem Kopf zu fixieren, da war ich kräftemäßig schlichtweg überfordert. Das blöde Ding war schwerer, als es den Anschein hatte.
Ich probierte es noch einmal und schaffte es wieder nur bis zur Schulter. Und noch einmal, jetzt brachte ich es bis über meinen Kopf, auf dem ich das Stück Bambus ablegen musste, weil ich meine dünnen Arme nicht durchstrecken konnte. Leider gibt es von diesem Versuch ein Foto, das meine Eltern geschossen haben und mit dem sie mich noch lange Jahre aufzogen.
Obwohl ich erst fünf Jahre alt war, wollte ich mich dieser Stange nicht geschlagen geben, erst recht nicht, als ich sah, dass meine treue Spielgefährtin Birgit Legel, nur knapp ein Jahr älter als ich und eben ein Mädchen, die Bambusstange beinahe lässig – so kam es mir jedenfalls vor – hochhob und sie sogar einige Zeit mit gestreckten Armen hochhalten konnte.
Nein, nicht mit mir!
Obwohl Birgit und ich fast wie Geschwister aufwuchsen – ihr Vater Walter Legel, der Jahre später mein erster Trainer werden sollte, und mein Vater waren seit der Kindheit beste Freunde – gönnte ich ihr den sportlichen Erfolg, den Sieg über die Bambusstange und den Applaus der umstehenden Spaziergänger nicht. Mir ging die Tatsache, dass sie es schaffte und ich nicht, gehörig gegen den Strich!
Zwischen Birgit und mir herrschte unterschwellig immer ein kleiner Konkurrenzkampf. So nach der Devise: Wer bekommt den schöneren Ball zum Spielen, wer die bessere Mundharmonika? Diese Duelle verlor ich ohnehin meistens, weil meine Eltern mir die teureren Sachen oft einfach nicht kaufen wollten, aus Angst, mich zu sehr zu verwöhnen.
»Okay, wenn ich schon nicht den schöneren Ball bekomme, dann will ich aber beim Bambusrohrheben gegen Birgit gewinnen!«, dachte ich mir damals, das weiß ich heute noch genau. Mein Stolz war zutiefst verletzt, ich kam mir lächerlich vor und hatte die Sorge, die Leute um mich herum könnten mich jetzt für einen Schwächling halten.
Also mobilisierte ich meinen schon damals vorhandenen Kampfgeist, probierte es noch einmal und wieder fiel mir dieses Stück Holz einfach vorne runter. Inzwischen schon mit einer richtigen Wut im Bauch, packte ich das Teil noch einmal, hob es mit aller Gewalt hoch und schaffte es letztendlich wirklich, es gültig zur Hochstrecke zu bringen. Es existiert sogar ein Super-8-Film (also noch ohne Ton) von diesem Kraftakt, und man sieht darauf auch den anschließenden Freudensprung, der auf meine damalige Körpergröße bezogen den späteren Luftsprüngen in Peking schon sehr nahekam.
Ich hatte also bereits als Kind den unbändigen Willen, eine Sache zum Erfolg zu bringen, ich musste nur lernen, diesen Willen entsprechend einzusetzen. Diese Erkenntnis brachte ich von Puerto Rico mit nach Hause. Ich habe mir oft die Frage gestellt, ob diese Eigenschaft zu kämpfen angeboren ist oder ob man sich das im Laufe des Lebens anlernt. Heute bin ich mir sicher, dass der eine mehr von einer Kämpfernatur in seinen Genen hat als der andere, dass aber die Erfahrungen, die man im Laufe des Lebens macht, notwendig sind, um sich selber seiner Fähigkeiten, seines Talents bewusst zu werden.
Schon als Kind habe ich an mir selbst festgestellt, dass ich einfach nicht verlieren konnte, und oftmals habe ich sogar bei unwichtigen Dingen jähzornig reagiert, wenn ich verloren hatte. Später habe ich dann an mir gearbeitet, und das »Nicht-verlieren-Können« wurde zu einem »Nicht-verlieren-Wollen«! Zu diesem Thema komme ich später noch. Nun aber zurück zum eingangs erwähnten Satz, dass ich erst auf Umwegen zum Gewichtheben kam.
Ich war zwar gerne bei Wettkämpfen mit dabei, weil ich dann meinem Vater zusehen konnte, und es waren auch immer andere Kinder da, mit denen ich spielen und herumtollen konnte. Außerdem fand ich die etwas anrüchige Wirtshausatmosphäre ganz spannend. Und etwas Gutes zu essen gab es dort auch. Aber das Gewichtheben an sich stand für mich als Kind nicht im Mittelpunkt.
Rumlaufen und rennen war das, was mir als Sechsjährigem am meisten Spaß machte, denn ich hatte immer schon einen ausgeprägten Bewegungsdrang. Etwa zu der Zeit, als ich auf die Grundschule kam, entwickelte ich eine Riesenlust auf Fußball. Dabei spielte sicher auch eine Rolle, dass fast alle meine Freunde gute Sportler waren, und deswegen meldeten wir uns mit Zustimmung unserer Eltern geschlossen beim SV Sulz im Weinviertel an und trainierten dort auch regelmäßig in der Gruppe. Von den damals sieben Spielern (es wird ja bei unter Zehnjährigen noch auf dem Querfeld gespielt) waren alleine schon drei Spieler aus meiner Schulstufe. Der Vater eines dieser Spieler war gleichzeitig unser Trainer.
Nur in der schönen Jahreszeit zu trainieren und zu spielen war mir und meinen Freunden zu wenig, und deshalb haben wir auch im Winter mit dem Trainer Extraeinheiten mit Kraftzirkeltraining und Ausdauertraining absolviert, was uns sportlich und konditionell bedeutend weiter-brachte. So habe ich damals schon die Erfahrung gemacht, dass sich Fleiß und Beharrlichkeit irgendwann bezahlt machen!
Im letzten Jahr unserer C-Knaben-Karriere (so hießen in Österreich die unter Zehnjährigen und tun es wahrscheinlich immer noch) waren wir schon äußerst erfolgreich für einen so kleinen, bescheidenen Klub. Man muss sich einmal vorstellen: Unsere Ortschaft Obersulz, wo der SV Sulz beheimatet ist, hatte gerade mal 800 Einwohner, und da war es schon etwas Besonderes, wenn wir zum Beispiel gegen den Klub von Zistersdorf, das gut 5000 Einwohner hatte, mit 15 : 0 gewannen. So ein Ergebnis war natürlich nicht die Regel, aber zuletzt hatten wir in der Weinviertel-Liga Nord einen regelrechten Durchmarsch veranstaltet. Und zum Schluss kämpften wir dann im letzten Spiel der Saison auswärts gegen das 20 Kilometer entfernte Jedenspeigen, knapp vor der slowakischen Grenze. Und da ging es um nichts weniger als um den Meistertitel!
Und damit komme ich schon zu meinem zweiten einschneidenden Erlebnis im Jugendalter, das mich sportlich mit Sicherheit am meisten geprägt hat. Obwohl wir noch niemals zuvor in einem so wichtigen Spiel gestanden hatten, lag durch unseren sportlichen Ehrgeiz und unseren unbändigen Siegeswillen schon ziemlich viel Spannung in der Luft. Wir sieben Mannschaftskameraden sind also an diesem sonnigen Samstag mit unseren Eltern nach Jedenspeigen gefahren, haben uns für das Spiel umgezogen, in der Kabine noch ein paar motivierende Sprüche losgelassen und sind dann geschlossen, den Sieg vor Augen, auf den Platz eingelaufen.
Es war kein Spiel wie immer, wir haben noch konzentrierter und abgeklärter gespielt als sonst. Schließlich ging es ja dieses Mal um den Titel. Wir führten zuerst 2 : 0, kassierten aber dennoch im weiteren Verlauf des Spiels zwei Gegentore. Das war leichtfertig, denn wir mussten gewinnen, wollten wir den Meistertitel holen.
Dann passierte etwas für uns Großartiges. Unser Stürmer wurde im Strafraum gefoult und der Schiedsrichter gab Siebenmeter. Und auf einmal riefen meine Mitspieler:
»Matthias, hau ihn rein!«
»Matthias, mach das Tor!«
Die ganze Mannschaft brachte mir das Vertrauen entgegen (vielleicht aber wollte sonst niemand die Verantwortung übernehmen?), ich sollte den entscheidenden Treffer schießen. Nun muss man wissen: Ich spielte in der Verteidigung und hatte auch schon ein paar Tore geschossen, sonst war aber vorne für mich nicht allzu viel zu tun. Doch ich sah das für mich als Chance, als die Chance, etwas Besonderes, etwas Entscheidendes zu tun, zumal es ja ein paar Minuten vor Schluss die Entscheidung sein konnte. Ich legte mir also den Ball zurecht, fackelte nicht lange und versenkte ihn unhaltbar im linken oberen Eck. Damit stand es 3 : 2 für uns.
Die letzten paar Minuten verbrachten wir nur mehr damit, diesen Spielstand zu verteidigen, und das unter dem immer lauter werdenden Geschrei der gegnerischen Spielermütter, die uns das Ballhalten und das Siegestor natürlich übel nahmen. Als dann der erlösende Schlusspfiff kam, wollten wir eigentlich schon auf dem Platz gebührend jubeln und feiern, immerhin war es seit 20 Jahren wieder der erste Meistertitel für unseren Verein.
Aber dazu kam es gar nicht mehr!
Die Anhänger der Gegner traten erst den Schiedsrichter zu Boden und spuckten ihn an, und auch auf uns versuchten die anderen Spieler loszugehen. Wir sind dann nur noch schnurstracks in unsere Kabine, haben, ohne zu duschen, unsere Sachen zusammengerafft und sind zu den Autos gesprintet. Solche Ausschreitungen! Es war echt der Wahnsinn, und das bei den C-Knaben im Weinviertel!
Wir feierten dann zu Hause und machten dort die Pokalübergabe. Urkunde, Mannschaftsfoto und eine Medaille folgten auch noch. Meine erste Goldmedaille, meine erste Medaille überhaupt, und ich hatte das unheimlich gute Gefühl in mir, den entscheidenden Siebenmeter geschossen zu haben.
Von da an war mein sportlicher Ehrgeiz nicht mehr zu bremsen, und ich wurde regelrecht süchtig nach Erfolg. Ich hatte gemerkt: Es gibt nichts Schöneres, als nach erbrachter Leistung zu sagen: »Ich hab’s geschafft!«
Unsere Siegermannschaft löste sich kurz darauf allerdings auf, weil zwei der besten Spieler und auch der Trainer nach Wien umzogen und wir damit zu wenige Spieler waren und natürlich auch keinen Trainer mehr hatten. Zusammen mit einem Schulfreund meldete ich mich im Fußballclub im einige Kilometer entfernten Ort Prottes an. Weil ich aber neu in der Mannschaft war und auch der Jüngste, saß ich während der Spiele meist auf der Reservebank und kam gar nicht zum Einsatz. Offenbar spielten mein Ehrgeiz, mein Trainingsfleiß und nicht zuletzt der Siegestreffer im Pokalendspiel meiner vorherigen Mannschaft in der jetzigen keinerlei Rolle.
Meiner Motivation war das nicht förderlich, und deswegen machte mir auch das wöchentliche Training keinen Spaß mehr. Aus lauter Langeweile begann ich schließlich, abseits des eigentlichen Geschehens der Mannschaft mit meinem Freund aufs Tor zu schießen. Ich hatte aber nicht damit gerechnet, dass meine Mutter zufällig vorbeifuhr und die Sache beobachtete.
Am frühen Abend wurde ich gleich von meinem Vater zur Rede gestellt: »Matthias, warst du beim Training?«
Entschlossen sagte ich: »Ja!« Natürlich hatte ich damit gelogen, aber immerhin war ja ein Funken Wahrheit dabei, dachte ich mir, denn ich war auf dem Platz, wenn auch nicht beim Training.
Wieder bekam ich die gleiche Frage gestellt, diesmal etwas schärfer: »Warst du beim Training?«, und wieder antwortete ich mit einem: »Ja!«
»Matthias, warst du wirklich trainieren?«, wurde ich zum dritten Mal gefragt, und wieder gab es von mir ein: »Ja!« Zack, hatte ich mir eine Ohrfeige eingefangen, die sich gewaschen hatte. Und das, obwohl mich mein Vater vorher nie geschlagen hatte, hinterher auch nie mehr. Denn was mein Vater absolut nicht tolerieren kann, ist, wenn man lügt.
Dieses Erlebnis war ziemlich heftig für mich, und ich war von meinen Eltern fürchterlich enttäuscht. Ich verstand nicht, warum ich eine Ohrfeige kassiert hatte, denn ich konnte ja nicht wissen, dass meine Mutter zufällig am Trainingsgelände vorbeigefahren war. Danach war erst mal Schweigen angesagt im Hause Steiner.
Erst am Abend, als ich mit meinem Vater im Badezimmer stand, kam das Thema wieder zur Sprache. »Ich sag dir, Matthias, fang ja nicht mit der Lügerei an«, begann mein Vater. »Und merk dir eines fürs Leben: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht!«
Doch da ich mir noch immer meiner Sache sicher war, fragte ich: »Woher wollt ihr denn wissen, dass ich nicht beim Training war?«
»Weil deine Mutter zufällig in Prottes vorbeigefahren ist und dich fernab von der Mannschaft mit deinem Kumpel rumballern gesehen hat!«, klärte mich mein Vater auf.
Zuerst war ich fürchterlich sauer auf meine Mutter und fühlte mich von ihr verpetzt. Aber dann begriff ich, dass ich mir im Grunde mit meiner Lügerei nur selbst schadete. Das Training bei dem Verein in Prottes hatte mir ja ohnehin schon längere Zeit keinen Spaß mehr gemacht, weil ich nicht meinen Möglichkeiten entsprechend gefordert und gefördert wurde und keine Erfolge hatte. Also bat ich meine Eltern um Entschuldigung.
Meine Mutter überließ mir die Entscheidung. Ihr Prinzip war schon damals: Mein Sohn kann alles machen, nur wenn er was macht, dann richtig, und dann unterstütze ich ihn auch voll.
»Matthias, du kannst gerne weiter Fußball spielen, wenn du das möchtest«, sagte sie, »aber du musst nicht. Wenn du nicht mehr willst, wirst du abgemeldet.« Ich überlegte nicht lange, ich wollte mit dem Fußballtraining aufhören.
Damit war ich aber immer noch nicht beim Gewichtheben angelangt. Nachdem es mit dem Fußballtraining zu Ende war, probierte ich auch noch einiges anderes aus, und durchaus mit Erfolg. Mit neun fing ich mit Tennisspielen an, nahm Kurse und spielte auch regelmäßig, aber immer nur bei uns in Obersulz. Als ich zehn war, meldeten mich meine Eltern am katholischen Gymnasium der Schulbrüder in Strebersdorf im 21. Wiener Gemeindebezirk an. Strebersdorf – was für ein Name für einen Internatsstandort!
Sport stand auf dieser Schule hoch im Kurs, und ich begann dort intensiv Tischtennis zu spielen. Das machte mir viel Spaß, ich habe täglich gespielt und sogar nachmittags nach dem Unterricht noch extra Trainingskurse genommen. Allerdings passte mein Lernverhalten nicht zum Gymnasium, sprich, ich war zu faul. Weil die Privatschule außerdem ziemlich viel Geld kostete, ergab das Ganze keinen Sinn und ich brach nach einem Jahr ab.
Von da an besuchte ich die Hauptschule in Hohenruppersdorf, 6 Kilometer von meinem Wohnort Obersulz entfernt. Tischtennis habe ich auch dort weitergespielt und sogar mal bei einem überregionalen Schulturnier eine Medaille gewonnen. Aber ich hatte das Gefühl: Weder Tennis noch Tischtennis waren meine Sportarten.
Eigentlich ganz nebenbei begann ich mit dem Gewichtheben. Man kann sagen, ich musste meinen Vater erst davon überzeugen. Denn es war nicht etwa so, dass mein Vater mir von klein auf gezeigt hätte, wie man Gewichte stemmt. Schon während meiner Fußballzeit, so ungefähr mit acht Jahren, wollte ich ihm beweisen, dass auch ich Ambitionen zum Gewichtheben habe. Aber er ignorierte dies, weil er sah, mit welcher Begeisterung und mit welchem Können ich Fußball spielte. Zudem glaubte er, dass ich wenig Zukunft in dieser Sportart hätte. Meine Mutter musste ihn ein halbes Jahr lang regelrecht bedrängen, mir aus einem einfachen Rohr eine Hantel zu schweißen. Schließlich ließ sich mein Vater breitschlagen. Mit dieser ersten Hantel, die ich heute noch besitze, konnte ich dann zu Hause auf dem kleinen Rasenstück vor unserem Holzschuppen meine ersten holprigen Versuche machen. Aber auch jetzt schenkte mir mein Vater wenig Aufmerksamkeit.
Diese Nichtbeachtung spornte meinen Ehrgeiz so an, dass ich immer häufiger zur Hantel griff. Mit zehn Jahren hatte ich meinen ersten Wettkampf im Verein meines Vaters in Mödling. Ich merkte, dass mir das Training immer größeren Spaß machte, und daher rückte mit zwölf Jahren dann mehr und mehr das Gewichtheben in den Vordergrund. Dass ich so schnell daran Gefallen fand, das habe ich einem ganz besonderen Menschen zu verdanken: Walter Legel, dem Vater meiner Kinderfreundin Birgit.
Walter Legel war einer der erfolgreichsten österreichischen Gewichtheber. Er begann 1957, im Alter von 17 Jahren, für diese Sportart zu trainieren und qualifizierte sich bereits zwei Jahre später für die Teilnahme an den Olympischen Spielen 1960 in Rom. Bis zu seiner schweren Erkrankung im Jahre 1998, also über mehr als vierzig Jahre, nahm er an 13 Europameisterschaften und 14 Weltmeisterschaften teil, wobei er sich regelmäßig unter den Top 10 platzierte. Bei der EM 1974 in Verona gewann Walter Legel als einziger Westeuropäer gegen die Übermacht der osteuropäischen Athleten zwei Bronzemedaillen – im Reißen und im Olympischen Zweikampf.
Walter Legel startete nach 1960 noch dreimal für Österreich bei Olympischen Spielen, nämlich in München 1972, in Montreal 1976 und in Moskau 1980, jeweils in der Kategorie bis 67,5 Kilogramm.
Nach Erreichen der Altersgrenze von 35 Jahren errang Walter Legel bei den Meisterschaften der European Masters insgesamt 13 Meistertitel und bei den World Masters insgesamt 14 Meistertitel. Dabei gewann er Jahr für Jahr nicht nur in seiner Gewichtsklasse, sondern wurde immer Tagessieger seiner gesamten Altersklasse bzw. des gesamten Turniers.
Walter Legel war 53-mal österreichischer Meister in der Allgemeinen Klasse, davon 22-mal im Zwei- und Dreikampf und 31-mal in den Einzeldisziplinen Reißen und Stoßen. Er galt auch als »Rekordfabrik« mit insgesamt 68 österreichischen Rekorden in der Allgemeinen Klasse, den letzten bei den European Masters 1993 im deutschen Schrobenhausen im Alter von 53 Jahren.
Seine persönlichen Bestleistungen erreichte Walter Legel am 28. November 1981 in seiner Klasse bis 67,5 Kilogramm mit 130,5 Kilogramm im Reißen, 161,0 Kilogramm im Stoßen und somit 290,0 Kilogramm im Zweikampf.
Walter Legel starb am 4. Juli 1999 im Alter von nur 59 Jahren an den Folgen eines Gehirntumors.
Walter Legel und mein Vater waren Schulfreunde gewesen in Bruck an der Leitha, wo beide herstammen, und beim Gewichtheben waren sie, seit sie damit 1957 gemeinsam angefangen hatten, Trainingskollegen. Walter war als Gewichtheber ein echter Ausnahmekönner und hat in seiner Sportart in Österreich Geschichte geschrieben. Viermal hatte er an Olympischen Spielen teilgenommen, schon in Rom 1960 war er dabei und dann nacheinander in München, Montreal und auch noch – mit inzwischen 40 Jahren – 1980 in Moskau.
Seit ich denken kann, waren mein Vater und ich regelmäßig bei ihm, und Walter wurde mit der Zeit wie ein sportlicher Ziehvater für mich. Er hatte sich in seinem Haus in Deutsch-Wagram im Keller einen Trainingsraum mit zwei Gewichtheberplattformen und ein paar kleinen Gerätschaften eingerichtet, um zu Hause trainieren zu können. Denn in unserer ländlichen Umgebung gab es sonst kaum eine Möglichkeit dazu. Auch mein Vater trainierte dort zweimal in der Woche. Ich glaube, Walter Legel hat damals als Erster mit erfahrenem Blick meine besonderen Anlagen erkannt, und unter seiner Anleitung begann ich dann mit dem wirklich ernsthaften und regelmäßigen Training. Mein Vater war zwar immer dabei, versuchte sich aber in keiner Weise als mein Trainer. »Ich habe dafür nicht so ein gutes Auge wie Walter«, erklärte er dazu.
In dieser Zeit begann ich auch, meine Leistungen in einem Wettkampfverzeichnis festzuhalten. Im Mai 1994, mit noch nicht zwölf Jahren, schaffte ich schon 30 Kilogramm im Reißen und 42,5 Kilogramm im Stoßen, und das bei einem Körpergewicht von knapp 50 Kilogramm! Unter Walters Training gingen die erzielten Leistungen beständig nach oben. Ein Jahr später riss ich schon 45 Kilogramm und stieß 57,5 Kilogramm.
Wettbewerbe im Gewichtheben werden in den Teildisziplinen Reißen und Stoßen ausgetragen. Die Leistungen des einzelnen Athleten in den beiden Teildisziplinen werden addiert und führen zum Gesamtergebnis im Zweikampf, das für die Platzierung im Wettbewerb entscheidend ist.
Es werden auch Medaillen für die in den Einzeldisziplinen erzielten Leistungen vergeben, so bei Europa- und Weltmeisterschaften, wobei allerdings die Platzierung im Zweikampf als sportlich wertvoller gilt. Bei den Olympischen Spielen hingegen ist ausschließlich das Gesamtergebnis aus Reißen und Stoßen, also der Zweikampf, von Bedeutung für einen Medaillengewinn.
Reißen und Stoßen unterscheiden sich durch den dabei vorgeschriebenen Bewegungsablauf. Bei beiden Disziplinen liegt die Hantel zunächst horizontal vor den Füßen des Hebers und wird von diesem mit den Handflächen nach unten gefasst.
Beim Reißen ist die Langhantel in einer einzigen fließenden Bewegung und ohne Pause vom Boden zur Hochstrecke zu bringen, das heißt in eine Lage über dem Kopf, wo sie mit senkrecht ausgestreckten Armen gehalten wird. Dabei ist es gestattet, einen Standwechsel vorzunehmen oder in die Hocke zu gehen. Ein Nachdrücken ist nicht erlaubt. Sobald der Körper des Hebers mit gestreckten Armen und Beinen völlig bewegungslos ist, hat das Kampfrichterzeichen zum Abstellen der Hantel zu erfolgen.
Das Stoßen erfolgt in zwei Teilbewegungen. Beim Umsetzen wird die Langhantel zunächst in einer einzigen Bewegung bis in Schulterhöhe gebracht, wobei es gestattet ist, einen Standwechsel vorzunehmen oder das Gewicht in der Hocke umzusetzen. Die Hantel soll dann auf der Brust, den Schlüsselbeinen oder den vollständig gebeugten Armen des Hebers zur Ruhe kommen. Beim nachfolgenden Ausstoßen wird die Hantel in einer fließenden Bewegung zur Hochstrecke gebracht, bis die Arme vollständig gestreckt sind. Nachdrücken macht den Versuch ungültig. Für das Kampfrichterzeichen gilt das Gleiche wie oben zum Reißen.
Bei den Superschwergewichtlern (+ 105 Kilogramm) liegt der Weltrekord im Reißen derzeit bei 213 Kilogramm, der im Stoßen bei 263 Kilogramm. Der aktuelle Weltrekord im Zweikampf liegt bei 472 Kilogramm.
Walter Legel hatte wirklich das perfekte Auge und feilte unerbittlich an meiner Technik. Nachdem ich etwa ein halbes Jahr recht stupide trainiert hatte, hielt er die Zeit für gekommen, mir den Daumenklemmgriff beizubringen. Dabei wird der Daumen zwischen der Hantelstange und den anderen vier Fingern eingeklemmt.
»Später, für höhere Lasten, ist der Daumenklemmgriff unabdingbar«, erklärte er mir damals, »sonst kannst du das Gewicht gar nicht halten!«
Als Kind konnte ich das nur schwer verstehen, denn die ersten paar Tage hatte ich in meinen Daumen, die dabei ziemlich gequetscht wurden, entsetzliche Schmerzen. Ich wollte auch zuerst nicht glauben, dass das wirklich notwendig sein sollte, sah es aber später ein. Der Mensch gewöhnt sich eben an alles, auch an den Daumenklemmgriff !
Zur gleichen Zeit nahm ich auch an den ersten Schülercups teil, wie die Mehrkampfmeisterschaften des Österreichischen Gewichtheberverbandes für die Acht- bis Vierzehnjährigen hießen. Gewichtheben – Reißen und Stoßen – gehörte dazu, das konnte ich natürlich, aber dann waren da noch die 40-Meter-Sprints aus der Bauchlage, der Fünfsprung aus dem Stand und das Kugelschocken, bei dem eine Eisenkugel mit beiden Händen rücklings über den Kopf hinweg möglichst weit geworfen werden musste. Diese Eisenkugel machte mir keine Probleme, den Umgang mit schweren Gewichten war ich ja gewohnt. Springen und Laufen hingegen, das entsprach zwar meinem natürlichen Bewegungsdrang, nur musste ich, um darin wirklich gut zu sein, trainieren. Und dabei hatte ich ein Problem: Weil ich in diesen Disziplinen eben nicht so besonders gut war, wollte ich nicht, dass mir jemand beim Training zusieht. Deswegen übte ich die Sprints und die Sprünge allein weit außerhalb von Obersulz auf den Feldern, und allmählich wurde ich auch darin besser.
So habe ich dann im Alter zwischen 12 und 14 Jahren einige dieser Wettkämpfe mitgemacht, sogar einen zwischen Nieder- und Oberösterreich. Meine Mutter hat mich in allem unterstützt und mich überall hingefahren, wofür ich ihr heute noch unendlich dankbar bin.
Als außergewöhnliches Talent im Gewichtheben galt ich anfangs übrigens nicht. Denn die Resultate auf dem Papier waren meist niedriger als die der Gegner. Allerdings hatte ich nur zweimal die Woche trainiert, die anderen vier- bis fünfmal. Von einigen »Trainern« oder selbst ernannten Experten wurde ich sogar ein wenig belächelt, weil ich eben immer in Begleitung meiner Mutter kam.
Doch beim Gewichtheben kommt es nicht darauf an, dass man es von Anfang an gut kann, wichtig sind die Lernfähigkeit und der feste Wille, und von beidem besaß ich mehr als genug! Außerdem brachte ich hervorragende körperliche Voraussetzungen mit: sehr gute Hebel und eine ungeheuer gute Muskelqualität, besonders an den Oberschenkeln und am Po. Und diese ausgeprägten Muskeln sind für einen Gewichtheber wie mich ein wahres Geschenk, weil ich so im Vergleich zu anderen mehr Beinkraft entwickeln kann und dadurch müheloser aus der Hocke hochkomme. Mir wurde von Masseuren auf der ganzen Welt – zuletzt vom Masseur der chinesischen Nationalmannschaft, der mich ein paarmal bei seinem Deutschlandbesuch im Juni 2009 massierte – immer wieder bescheinigt, dass ich da mit etwas ganz Besonderem ausgerüstet bin. Aber das hat damals niemand erkannt, außer Walter Legel, und der hatte zusätzlich noch die Fähigkeit, diese Anlagen bei mir zu fördern.
»So, Matthias«, eröffnete er mir eines Tages, »neben dem ständigen Training hier bei mir im Keller fährst du im Sommer für zwei Wochen in die Steiermark zu einem ganz speziellen Training nach Stubenberg. Auf der Bundessportschule auf Schloss Schielleiten werden spezielle Seminare für Gewichtheber im Jugendalter angeboten.«
Der Sommer kam und ich fuhr das erste Mal von vielen noch kommenden Sommern in die Steiermark.
Die Anlage hatte alles zu bieten, was ein Sportler benötigt: eine eigene Gewichtheberhalle, eine Sauna, Sportanlagen, einen Badeteich, und zu allem Überfluss wohnten wir auch noch in einem Schloss mit traumhafter Umgebung. Jeder Tag begann erst einmal mit Frühsport, es wurde viel Leichtathletik betrieben, außerdem standen, zur Förderung der Koordination, häufig Ballspiele auf dem Programm. Das brachte mir unglaubliche Leistungssteigerungen in kurzer Zeit, weil ich in diesen zwei Wochen ein Trainingspensum schaffte, für das ich ansonsten zwei Monate gebraucht hätte. Ich war ständig in Bewegung, und während meine Altersgenossen nach einer Woche Training völlig ausgepumpt waren, war ich immer noch fit, wollte weitermachen und fragte, was ich denn wohl noch trainieren könnte.
Durch diesen schier unermüdlichen Ehrgeiz und Trainingswillen fiel ich in der Bundessportschule dem Mann auf, der mich im darauffolgenden Jahrzehnt in meiner Sportlerkarriere entscheidend weiterbringen sollte, der Jahre später mein Trauzeuge wurde und der noch heute zu meinen besten Freunden gehört: dem damaligen Jugendsportwart des Gewichtheberverbandes, Peter Lauterer.
Wir waren auf Schloss Schielleiten eine Gruppe von zehn bis zwölf etwa Gleichaltrigen, die – weit weg von zu Hause – natürlich eine Menge Unsinn im Kopf hatten. Peter Lauterer war unser Lehrgangsleiter und, neben Walter Legel, ein weiterer, der mein Talent im Gewichtheben sofort erkannte und der, wie er mir später immer sagte, damals schon genau wusste: Aus dem Jungen wird einmal etwas ganz Besonderes. Deswegen quartierte er mich nicht mit den anderen zusammen ein, sondern in einem weiter entfernt liegenden Flügel des Schlosses bei den Volleyballspielern und absolvierte mit mir auch ein spezielles Trainingsprogramm.
Peter Lauterer, Jahrgang 1957, war nicht nur als Gewichtheber einer der ganz Großen, sondern machte sich auch allgemein um den Sport in Österreich, insbesondere die Jugendförderung, verdient. In seiner aktiven Gewichtheberzeit zwischen 1970 und 1983 war der Vorarlberger in seiner Gewichtsklasse – bis 75 Kilogramm – achtmal österreichischer Meister und erzielte sieben nationale und sage und schreibe 174 Landesrekorde in Vorarlberg. Seine persönliche Bestleistung im Zweikampf liegt bei 292,5 Kilogramm.
In den Jahren 1984 und 1986 legte Peter Lauterer an der Sportuniversität Wien mit ausgezeichnetem Erfolg die Prüfungen zum Staatlich geprüften Lehrwart und zum Staatlich geprüften Diplomtrainer ab und absolvierte außerdem Trainerfortbildungen des Internationalen Gewichtheberverbandes. Ab 1983 war er auf verschiedenen Ebenen als Gewichthebertrainer tätig, so bis 2004 gleichzeitig als Vereinstrainer des AC Woge Bregenz und als Trainer des Gewichtheberverbands von Vorarlberg. Von 1992 bis 1999 war er außerdem österreichischer Jugendsportwart und danach bis 2002 österreichischer Sportwart in der Allgemeinen Klasse (Gewichtheber im Alter von 20 bis 35 Jahren).
Unter seiner Anleitung errangen österreichische Gewichtheber unzählige Medaillen und Titel in nationalen und internationalen Turnieren und brachen über 300 österreichische Rekorde.
Auch außerhalb des Gewichthebersports machte sich Peter Lauterer einen Namen, so als Trainer und Coach bei Fußball, Handball und Eishockey, aber auch in der Leichtathletik, im Skifahren, beim Judo, beim Boxen und beim Ringen. Elf österreichische Meistertitel in den verschiedensten Mannschafts- und Einzelsportarten gehen auf sein Konto als Trainer.
Was ich damals nicht wusste: Peter Lauterer hatte schon für Walter Legel in dessen letzten Jahren als Athlet die Trainingspläne geschrieben und – auf dessen Wunsch – dann auch für mich. Im Grunde hatte er mich also schon gekannt, als ich das erste Mal nach Stubenberg kam, denn Walter Legel hatte ihm natürlich viel von mir berichtet.
Peter Lauterer zählte in Österreich ebenfalls zu den Spitzenathleten unter den Gewichthebern. Das intensive Training mit den beiden Legenden dieses Sports zahlte sich für mich aus. Im Dezember 1996 fanden in Mödling Klubmeisterschaften statt, und ich schaffte es – als 14-Jäh-riger – erstmals die 100-Kilogramm-Grenze im Stoßen zu erreichen, nachdem ich noch einen knappen Monat zuvor »nur« 92,5 Kilogramm zur Hochstrecke gebracht hatte, und wurde damit sogar Klubmeister. Das war für mich die schönste Belohnung für all die Strapazen, die ich vorher auf mich genommen hatte. Eine andere Belohnung war auch, dass ich als Klubmeister beim anschließenden Bankett mit all den anwesenden Damen tanzen durfte, naja, mit einigen auch musste, aber für einen jungen Kerl wie mich war es trotzdem aufregend.
Ich freute mich damals wahnsinnig, und zum ersten Mal hatte ich so richtig Spaß am Gewichtheben. Von allen Seiten bekam ich Lob und Zuspruch, auch von den »Insidern« im Verein, die mich vorher nicht so richtig beachtet hatten. Für mich 14-jährigen war das eine neue Erkenntnis und auch ein tolles Gefühl: Ich war erfolgreich, weil ich fleißig trainiert hatte, und stand deshalb plötzlich im Mittelpunkt. »Ja, das taugt mir. Das möchte ich öfter erleben!«, dachte ich mir.
Doch noch immer hatte ich mich nicht endgültig für das Gewichtheben entschieden. Ich blieb zwar irgendwie dran am Gewichtheben, aber wenn ich »irgendwie« sage, dann deshalb, weil es so viele andere Dinge gab, die mir auch Spaß machten, meistens sogar fast mehr als das Gewichtheben. Ich düste zum Beispiel gerne mit meinen Freunden auf dem Fahrrad herum oder spielte mit ihnen Fußball. Außerdem war ich Ministrant in unserer Kirchengemeinde, wo ich immer mal die Gelegenheit hatte, mir ein paar Schillinge nebenher zu verdienen. Außerdem waren da noch meine beiden Halbschwestern Sabine und Gabi aus der ersten Ehe meines Vaters, die in Wien wohnen und die ich gerne besuchte. Zu Hause bei meinen Eltern war auch immer etwas zu tun, und wenn es Holzhacken für den nächsten Winter war. Ich war also immer beschäftigt, und das Schönste dabei war: Es hat mir alles Spaß gemacht, vielleicht auch wegen der ständigen Abwechslung.