Das Leben ist zu kurz für diesen Scheiß - Lea Blumenthal - E-Book
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Das Leben ist zu kurz für diesen Scheiß E-Book

Lea Blumenthal

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Beschreibung

Schluss mit Selbstoptimierung! Weniger macht glücklicher Der neuer Anti-Ratgeber von der Autorin des Bestsellers "Mach's wie die Möwe, scheiß drauf!". Für alle, die ihr Leben verbessern wollen – ohne viel Aufwand, Motivation und Disziplin. Ganz nach dem Motto: Faul lebt es sich einfach zufriedener. Zum #thatgirl und zurück Gesünder essen? Häufiger die Treppe nehmen? Nur noch grünen Strom beziehen und aufs Fliegen verzichten? Lea Blumenthal hat viele gute Vorsätze, die sie aber leider nie umsetzt. Vom Leben eines "That Girls" ist sie weit entfernt.  - That Girl: Menschen, meist junge Frauen, die um 5 Uhr morgens aufstehen, meditieren, Sport treiben, gesund essen und alle guten Vorsätze schon vor dem 1. Januar umsetzen.Mithilfe ihrer Psychologenfreundin Tina (die aktuell für einen Halbmarathon trainiert, ansonsten aber sehr nett ist) ergründet Lea, was in ihrem und den Oberstübchen vieler anderer Menschen so abgeht. Sie probiert allerlei motivierende Kniffe aus der Coachingkiste und schafft es sogar, einige Dinge konsequent umzusetzen, die sie sich vornimmt.  Für eine Weile ernährt sie sich gesünder, steht morgens früher auf, nimmt die Treppe und führt regelmäßig achtsam Dankbarkeitstagebuch. Bis sie eines Tages merkt: Sich ein Leben lang selbst zu optimieren kann einfach nicht der Schlüssel zum Glück sein. Und interessanterweise kommen faule Menschen meist ebenso gut ans Ziel... So verbessert sich Ihr Leben, wenn Sie aufhören, sich ständig selbst zu verbessern Lea Blumenthal hat versucht, sich selbst zu optimieren, damit Sie es nicht tun müssen. Mit "Das Leben ist zu kurz für diesen Scheiß" hat sie einen humorvoller Anti-Ratgeber mit vielen biografischen Anekdoten und leicht verständlichen psychologischen Hintergründen geschrieben.  Das perfekte "Selbsthilfebuch" für Gegner*innen der ständigen Selbstoptimierung, das zeigt: Mit mehr Gelassenheit lebt es sich besser!

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Seitenzahl: 254

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Lea Blumenthal

Das Leben ist zu kurz für diesen Scheiß

Easy ans Ziel kommen ohne Selbstoptimierung

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Über dieses Buch

Gut ist selten gut genug, besser geht es immer. Doch oft artet der Selbstoptimierungsdrang in Stress aus. Als Lea Blumenthal ein paar Wochen nach Neujahr merkt, dass sie mal wieder keinen einzigen guten Vorsatz ihrer zugegebenermaßen sehr kurzen Liste umgesetzt hat, fragt sie sich: Wieso ist es so viel schwerer, sich zum Sport aufzuraffen, als eine neue Serie anzufangen? Mithilfe ihrer Freundin Tina (die aktuell für einen Halbmarathon trainiert, ansonsten aber sehr nett und noch dazu Psychologin ist) ergründet Lea, was in ihrem und den Oberstübchen vieler anderer Menschen so abgeht. Sie probiert zahlreiche Coaching-Tipps aus und schafft es sogar für eine Weile, die Dinge konsequent umzusetzen, die sie sich vornimmt. Bis sie sich eines Tages fragt: Ist eine lebenslange Selbstoptimierung tatsächlich der Schlüssel zum Glück? Oder ist alles eine Frage der richtigen Prioritäten?

Inhaltsübersicht

Motto

Vorwort

War was?

Wollen ist wie machen für Faule

Alles so schön gemütlich hier

Morgen fang ich an – versprochen!

Irgendwas ist hier faul – oh, das bin ja ich

Zur Sache, Schätzchen!

Wenn es einfach wär, würden es alle machen

Es ist nie zu spät, nichts zu tun

Heute nichts erlebt. Auch schön

Vier Nieten und eine Richtige

Leas Erfolgsrezept

1. Motivation – oder warum willst du dich eigentlich verändern?

2. Loslegen – oder wie du den Hintern vom Sofa bekommst

3. Ziele setzen – oder wo willst du eigentlich hin?

4. Visualisieren – oder wie du den Fokus nicht verlierst

5. Planung – oder wie du von A nach B kommst

6. Probleme einplanen – oder wie es dir gelingt, nicht gleich wieder aufzugeben

7. Mitstreitende suchen – oder warum geteiltes Leid halbes Leid ist

8. Prioritäten – oder warum es sich manchmal lohnt, vom Sofa aufzustehen

9. Belohnung – oder wie gut es tut, sich etwas Gutes zu tun

10. Einsicht – oder warum es manchmal besser ist, den ganzen Scheiß einfach sein zu lassen

Glossar

Danksagung

Eigentlich hatte ich heute viel vor.

Jetzt habe ich morgen viel vor.

Vorwort

Wie alles begann, oder: Eine unglaublich blöde Idee

Mein Gürkchen brennt an!«

Boris zieht hastig das Pfännchen aus dem Raclette und schaut verärgert auf das angekohlte Gemüse.

»Du hast mal wieder zu hochgestapelt«, bemerke ich trocken, scheine aber die Einzige zu sein, die den Witz versteht.

Für sprachliche Raffinesse ist an diesem Abend schon zu viel Alkohol geflossen. Der Sekt macht mich etwas duselig, und vom vielen Käse im Magen bin ich unglaublich müde geworden.

Ich bin jetzt in einem Alter, in dem ich eigentlich an keinen Feiern mehr teilnehme, die bis Mitternacht dauern. Das war früher die Zeit, in der ich das Haus verließ, um zu aufregenden Partys zu gehen. Heute freue ich mich über Freunde, die wegen ihrer Kinder alle Festlichkeiten auf den frühen Nachmittag verlegen. Das bedeutet nämlich, dass ich an einem Samstag spätestens um 21 Uhr mit Wollsocken auf dem Sofa liege und mir eine Serie auf Netflix reinziehe.

Doch heute ist Silvester. Der einzige Tag des Jahres, an dem selbst ich akzeptieren muss, dass es merkwürdig wäre, sich am Nachmittag zu treffen. Zumindest sind wir mittlerweile alle Ende 30, und keiner verspürt mehr den Ruf, sich die Nächte um die Ohren zu schlagen. Heißt: In drei Stunden, um zehn nach zwölf, wenn wir angestoßen haben, werden sich Tina und Arne unter dem Vorwand verabschieden, dass sie morgen die Familie treffen. Kathi, die letzte verbliebene Singlefreundin, die ich noch habe, wird bis halb eins in der Küche sitzen und alle Alkoholreste leer trinken, darauf hoffend, dass wir unsere bequemen Hintern doch noch mal hochkriegen und sie in irgendeinen Club begleiten. (Ihre Hoffnung wird vergebens sein, das weiß sie, das wissen wir, und trotzdem stirbt selbige zuletzt.) Selbst Malte, Boris’ Kollege aus der Firma, der spontan dazugestoßen ist, weil seine Frau sich am zweiten Weihnachtsfeiertag relativ überraschend überlegt hat, dass es ihrer beider persönlicher Entwicklung besser täte, wenn sie zukünftig getrennte Wege gingen, wird sich von Kathi nicht überreden lassen. Sein Liebeskummer steht ihm ins Gesicht geschrieben, er hat mehr getrunken, als einer Leber guttut, und wird es maximal noch bis ins Taxi nach Hause schaffen.

Ich kann Silvester nicht viel abgewinnen, weil man eben so fürchterlich lange wach bleiben muss, aber ich liebe die Berechenbarkeit des Abends: Raclette. Bleigießen. Anstoßen. Und wieder ein Jahr geschafft.

»Nehmt euch ein Beispiel an mir. Ich arbeite mit zwei Pfännchen«, sagt Malte und hebt demonstrativ ein leeres und ein befülltes Pfännchen hoch, in dem der Käse brutzelt. »Ich muss nicht so viel übereinanderstapeln und minimiere damit die Verbrennungsgefahr.«

»Du hast deine Pfännchennutzung optimiert?«, fragt Kathi ungläubig.

Ihr ist anzusehen, dass sie Malte in diesem Moment von der Liste der potenziellen Spielgefährten streicht, selbst wenn sie heute Abend deswegen leer ausgeht. Den Liebeskummer hätte sie sich vielleicht irgendwie noch schöngeredet. Aber einen Typ, der sein Nutzungsverhalten von Raclettepfännchen optimiert, den willst du nicht im Bett haben. Und wenn der zu Hause auch so drauf ist, wovon man guten Gewissens ausgehen kann, verstehe ich seine zukünftige Ex-Frau in diesem Moment ein bisschen besser.

»Wollen wir jetzt Blei gießen?«, fragt Kathi eine halbe Stunde später, als die letzten Käsescheiben an den heißen Glühstäben des Raclettes verkohlt und alle Gürkchen und Maiskölbchen vertilgt sind.

»Muss das sein?«, mault Boris. Letztes Jahr ist der Versuch, sein verkrüppeltes Etwas zu deuten, in einen handfesten Streit ausgeartet. Boris hat darin eine Mauer sehen wollen (Bedeutung: Deine Ausdauer zahlt sich aus), Arne aber eine Wiege (Du wirst Baptist). Am Ende hat Tina das Ding noch mal eingeschmolzen und beschlossen, dass das neue Gebilde ein Baum sei (wachsende Fähigkeiten). Darauf hat sich Boris eingelassen. Welche Fähigkeiten im vergangenen Jahr bei ihm aber gewachsen sind, wissen vermutlich nur er und der Gott des Bleigießens.

»Klar muss das sein«, beschließt Tina und steht vom Tisch auf, um das Bleigieß-Set zu holen. »Das ist Tradition!«

»Das ist Scheiße«, grummelt Boris, hat sich aber bereits geschlagen gegeben. »Davon wird doch sowieso nichts eintreffen. Als ob Lea mit ihrer Möwe mehr Erfolg im Beruf gehabt hätte.«

»Das war ein Adler«, korrigiere ich ihn. »Und der steht nun mal dafür.«

»Nein, das war ein Falke«, sagt Arne, »jemand ist eifersüchtig auf dich.« Er schaut mich an. »War jemand eifersüchtig auf dich im letzten Jahr?«

»Ich wüsste beim besten Willen nicht, worauf man bei mir eifersüchtig sein könnte.«

Boris zieht die Augenbrauen hoch. »Hallo? Du lebst mit einem Traumtypen zusammen.«

Tina und ich schauen gleichzeitig in Richtung des Körbchens, in dem der Hund selig döst. Wir haben ihn heute Morgen mit Cannabis-Öl abgefüllt, damit ihm die Böllerei nichts ausmacht. Vielleicht hätte ich Boris auch eine Portion verabreichen sollen.

»Vom Traumtypen mal abgesehen, gibt es bei mir aber nicht viel zu beneiden«, kürze ich die Sache ab. »Ich bin durch und durch normal. Keine besonderen Fähigkeiten, keine herausragenden Talente. Vom Schlafen mal abgesehen, darin bin ich wirklich gut.«

Tina grinst. »Womit wir auch schon bei den guten Vorsätzen wären. Habt ihr welche?« Sie öffnet die Verpackung des Bleigieß-Sets und holt die Utensilien heraus.

»Du bist echt so eine richtige Stimmungskanone«, giftet Boris weiter, der offensichtlich gerade Fahrt aufnimmt. Er kann Silvester genauso wenig leiden wie ich. Möglicherweise sollten wir das Fest nächstes Jahr ausfallen lassen oder an einen Ort fahren, an dem der Jahreswechsel zu einem anderen Zeitpunkt gefeiert wird. Wir hüpfen einfach ganz elegant darüber hinweg und ersparen uns den Zinnober. Ob ich das als ersten guten Vorsatz vorschlagen soll?

»Also«, kommt Malte mir zuvor, »ich möchte mich im nächsten Jahr mehr auf mich konzentrieren. Jetzt, da Christiane weg ist, bleibt mir auch nicht viel anderes übrig.«

Alle schweigen betreten. Wenn Malte seine Ex-Frau erwähnt, muss er immer anfangen zu weinen. Zum Glück zieht er diesmal nur lautstark die Nase hoch und nickt sich selbst aufmunternd zu.

»Ich werde einen Halbmarathon laufen«, verkündet Tina, und alle sind froh, dass das Thema Ex-Frau umschifft wurde. »Im Juli. Wenn es geht, möchte ich unter zwei Stunden 15 bleiben.«

Allein die Vorstellung, zwei Stunden und 15 Minuten zu rennen, ist verstörend. Gott sei Dank muss ich das nicht mehr mitmachen. Quatsch, Gott sei Dank kann ich mittlerweile Nein sagen! Am Ende hätte mich Tina zu diesem Halbmarathon geschleppt, wenn ich den Mut nicht aufgebracht hätte, ihr zu sagen, dass ich Joggen hasse … eine grauenhafte Vorstellung.

»Und du, Boris?«

Er sagt entschieden: »Im Job weiterkommen. Ich will endlich Teamleiter werden.«

Malte grinst schief, die anderen nicken.

»Arne?«

Er seufzt. »Ahhh, mein Lieblingsthema.« Mit liebevollem Blick schaut er Tina an. »Ich will endlich mit dem Rauchen aufhören.«

Tina quiekt, fällt ihm um den Hals und küsst ihn. Sie ist aufrichtig erfreut und scheint keine Ahnung gehabt zu haben, was Arne sich vorgenommen hat.

»Ich unterstütze dich, wo ich kann«, verspricht sie ihm. »Wann willst du denn loslegen?«

Er wiegt den Kopf hin und her. »Am besten ist immer sofort, oder?«

Tina reißt die Augen auf. »Echt?«

In diesem Moment scheint Arne klarzuwerden, was er da gerade angekündigt hat. »Oder sagen wir ab dem neuen Jahr.« Er erhebt sich sichtlich nervös. »Ich muss mal eine rauchen.«

Während sich Arne auf den Balkon verdrückt, um bei frühlingshaften 15 Grad zu rauchen, schaut Tina Kathi an. »Und was nimmst du dir vor?«

»Äh …« Sie schlägt die Augen nieder. »Ich habe mir vorgenommen, im neuen Jahr die Partnersuche einzustellen. Dieses ganze Tindern und Daten ist so krass anstrengend. Ich glaube inzwischen, dass ich mit jedem Versuch, den Kerl für den nächsten Lebensabschnitt zu finden, weiter von meinem Ziel abkomme. Deswegen«, sie seufzt, »werde ich alle Apps deinstallieren. Und mir vermutlich einen Vibrator kaufen.«

Malte verschluckt sich an seinem Wein und fängt zu husten an. Tina schlägt ihm lachend auf die Schulter. »Geht’s?«

Er nickt mit tränenden Augen. »Ja. Ich muss … nun ja, ich muss mich an das alles erst noch gewöhnen.«

Kathi verkneift den Mund, schweigt. Sie ist seit vier Jahren Single, und das, obwohl sie keinen nennenswerten Dachschaden hat. Ziemlich merkwürdig, dass die tollsten Frauen einfach keine Typen finden.

»Du kannst mir dann ja in einem Jahr erzählen, wie deine Erfahrung auf dem Datingmarkt so war, Malte«, schlägt Kathi vor und hebt das Glas zum Anstoßen.

»Wieso in einem Jahr?«, will Malte mit ängstlichem Ausdruck in den Augen wissen. Offenbar hegt er noch die Hoffnung, in einem Jahr nicht mehr mit irgendwelchen bekloppten Leuten Silvester feiern zu müssen, sondern bereits in irgendeiner neuen liebevollen Beziehung gemeinsam vor dem Kamin den Jahresausklang zu feiern … armer Irrer.

»Na, wir müssen uns doch in einem Jahr wiedersehen und schauen, wie sich unsere Vorhaben entwickelt haben«, erwidert Kathi lachend.

Das ist ja eine tolle Idee. Nicht.

In diesem Moment fällt Tinas Blick auf mich, und ich habe das Gefühl, Saurons Auge habe sich auf mich gerichtet. »Lea hat noch gar nicht gesagt, was sie sich für das neue Jahr vornimmt.«

»Uff. Ja. Nee«, winke ich ab. »Ich habe keine guten Vorsätze.«

»Ach, komm schon. Wir haben alle welche«, stichelt Boris.

»Nein, ich bin echt zufrieden«, flunkere ich. Denn wer bitte ist schon »echt zufrieden«? Es gibt doch eigentlich immer etwas zu meckern. Mein Gewicht scheint sich beispielsweise nur noch in eine Richtung zu entwickeln, und zwar nach oben. Leider kann ich mich nach dem Joggingdesaster letztes Jahr zu gar keinem Sport mehr aufraffen. Das ist immer so … anstrengend.

»Dann denk dir halt was aus!«, fordert Boris mich auf.

Vielleicht sollte ich mich Maltes Vorhaben anschließen und mich ebenfalls mehr auf mich konzentrieren. So ganz ohne meinen piesackenden Freund.

Kathi, Malte, Boris und Tina schauen mich herausfordernd an. In diesem Moment kommt Arne rein, umgeben von einer Wolke Zigarettenqualm, und fragt: »Was ist los?«

»Lea will uns ihre Neujahrsvorsätze verraten.«

»Oh, spannend.« Er setzt sich. »Und?«

Schnell! Ich brauche etwas.

Irgendetwas, das man mir glauben kann, das aber gleichzeitig auch so erreichbar ist, dass ich mich nicht ein Jahr lang kasteien muss dafür. Etwas Leichtes, das eigentlich jeder hinbekommt. So einen Dulli-Vorsatz wie netter sein, sparsamer werden, mehr spazieren gehen …

»Ich möchte abnehmen«, sage ich zu meinem eigenen Entsetzen. Und als ob das noch nicht genug wäre, blubbert es aus meinem Mund: »Acht Kilo.«

»Wow!«, findet Tina und grinst. »Das ist ein toller Vorsatz.«

Nein. Ist er nicht. Das ist ein beschissener Vorsatz. Ich hasse Diät. Ich hasse Abnehmen.

»Boah, nee, Lea«, sagt Boris und verdreht die Augen. »Wenn du abspeckst, bist du immer so schlecht gelaunt!«

Ich lächle schief. Mitgefangen, mitgehangen.

»Nur Abnehmen, oder hast du noch mehr vor?« Malte schaut mich an. »Ich meine, acht Kilo sind ja schnell geschafft.«

Zur Erklärung, Malte ist einen Meter 90 groß und wiegt etwa 80 Kilo. Der hat sein Leben lang noch kein Gramm abnehmen müssen, während ich bereits wie ein Hefeteig aufgehe, wenn der Geruch von Pizza in meine Nase drängt.

Am liebsten würde ich sagen: Mach dir keine Sorgen, dass du einsam bleibst, Malte. Dein Stoffwechsel leistet dir sicher tolle Gesellschaft!

Stattdessen sage ich etwas ganz anderes.

»Ich würde grundsätzlich schon gern mehr schaffen, also ganz generell. Und ein bisschen mehr Struktur täte mir gut. Manchmal glaube ich, ich mäandere so durchs Leben, ohne Plan, ohne Ziel. Andere machen Karriere, gründen Familien, laufen Halbmarathons, und ich … ich bin.«

Scheiße. Wo kam das denn her? Ich versuche eine Verbindung zu meinem Unterbewusstsein aufzunehmen. Ab jetzt bitte Schnauze halten, danke!

»Aber das ist doch schön, dass du bist«, sagt Tina mit einem Lächeln und legt mir die Hand auf den Arm. »Dafür lieben wir dich doch.«

»Na ja, wenn sie etwas motivierter wäre, würden wir sie auch noch lieben«, murmelt Boris.

Alle drehen sich zu ihm um.

»Entschuldigung?«, frage ich spitz.

»Ich meine ja bloß. Du beschwerst dich immer wieder, dass du nicht weißt, wo es für dich hingehen soll. Ich finde es gut, wenn du das Thema mal angehst. Vielleicht findest du nächstes Jahr ja deinen Purpose.«

»Ihhh! Du hast das böse Wort mit P gesagt!«, mache ich mich über ihn lustig im verzweifelten Versuch, von mir und meinen Unzulänglichkeiten abzulenken.

Alle lachen. Immerhin das kann ich gut. Ablenken vom Wesentlichen.

Kathi hebt wieder ihr Glas. »Also gut, dann treffen wir uns in einem Jahr wieder und schauen mal, wer seine guten Vorsätze in die Tat umgesetzt hat!«

Boris stößt mit ihr an. »Und was ist der Einsatz?«

»Wie, Einsatz?«, frage ich alarmiert.

»Na, wir brauchen doch einen Ansporn. Ansonsten gibt sich doch keiner Mühe.«

»Mal überlegen …« Tina denkt nach. »Ich weiß es. Wer sein Ziel in einem Jahr nicht erreicht hat, muss alle zu einem Wochenendtrip einladen.«

»Ne«, sagt Boris entschieden und tippt sich an die Schläfe. »Ich zahl euch doch nicht den Urlaub.«

»Wieso?«, feixt Kathi. »Du planst doch eh die Gehaltserhöhung. Oder glaubst du, dein guter Vorsatz könnte unrealistisch sein?«

Eines muss ich ihr lassen: Sie weiß, wie man Boris kriegt.

Er legt den Kopf schief. »Lächerlich. Der Einsatz ist gut.« Boris lehnt sich zurück und verschränkt die Arme hinter dem Kopf. »Ich freue mich darauf, von euch eingeladen zu werden.«

»Das werden wir ja sehen«, sagt Kathi, und in ihren Augen blitzt es.

»Also«, Tina zeigt auf sie. »Ein Jahr kein Dating.«

Kathi nickt entschieden.

»Mit dem Rauchen aufhören.«

Arne guckt unglücklich.

»Du konzentrierst dich auf dich.« Sie zeigt auf Malte.

»Und wie wollen wir entscheiden, ob Malte sich an seinen Vorsatz hält?« Boris guckt kritisch.

»Ich mache eine Präsentation am Ende des Jahres, was ich alles für mich gemacht habe, und ihr überlegt, ob euch das reicht«, schlägt Malte vor. »Mit PowerPoint.«

Das scheint Boris zu überzeugen.

»Dann wäre das geklärt. Ich laufe einen Halbmarathon, und Lea«, sie schaut mich an, »nimmt acht Kilo ab.«

»Und findet ihren Purpose«, fügt Boris mit einem Grinsen hinzu.

Als die Gläser zur Bestätigung unseres Versprechens klirren und draußen die ersten Stimmen den Countdown rückwärts zählen, ahne ich: Ich hab mich da in etwas Grauenhaftes reingeritten.

Frohes neues Jahr.

1

War was?

Jedem Anfang wohnt ein Arschtritt inne

Fräulein Blumenthal! Frohes neues Jahr wünsche ich Ihnen.«

Es scheint ein Naturgesetz zu sein, dass unsere Nachbarin Frau Pressel immer dann hinter ihrer Tür lauert, wenn ich am wenigsten vorzeigbar bin.

Es ist der 5. Januar. Ich trage schon länger meinen Schlafanzug, als ich vor mir oder anderen zugeben möchte. Wenn wir keinen Hund hätten, würde ich vermutlich gar nicht vor die Tür kommen, glücklicherweise stört sich der Köter aber nicht an meinem Aufzug. Essen kann man sich liefern lassen. Mittlerweile sogar Klopapier. Es gibt also keinen, wirklich gar keinen Grund, warum ich den Schlafanzug gegen vernünftige Kleidung eintauschen sollte.

Es sei denn, ich treffe Frau Pressel im Flur. Dann schäme ich mich ein bisschen, weil sie wieder so aufgedonnert ist, als wäre sie auf dem Weg zu einem Tanzkränzchen, bei dem vermögende Witwer erwartet werden. Sie ist eingedieselt in eine schwere Wolke Tosca und hat sich die Haare ganz offensichtlich frisch gefärbt.

»Ihnen auch ein frohes neues Jahr«, ringe ich mir ab.

Einen Moment lang stehen wir uns schweigend gegenüber. Den internationalen Konversationsregeln zufolge muss ich jetzt eine Frage stellen. Oder ein Kompliment machen. Am besten beides.

»Sie sehen ja toll aus, Frau Pressel. Sind Sie unterwegs zu einer Verabredung?«

Blumenthal, douze points.

Die Pressel wirft ihre praktische, kurze Fönwelle nach hinten und lächelt breit. Auf ihrem Schneidezahn klebt magentafarbener Lippenstift. »Ich gehe aus. Ins Casino!« Verschwörerisch beugt sie sich zu mir, und die süßen Moleküle ihres Parfüms dringen mit derselben Penetranz in meine Nase, die Frau Pressel bei der Einhaltung des Flurputzplans an den Tag legt. »Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, im neuen Jahr ein bisschen weniger zu zocken. Aber was soll der Geiz? Man lebt schließlich nur einmal!«

Einerseits freue ich mich, weil Frau Pressel offenbar auch schon alle guten Vorsätze hat sausen lassen. Andererseits fällt mir in diesem Moment siedend heiß ein, dass bereits fünf Tage verstrichen sind, ohne dass ich nennenswerte Anstrengungen gemacht habe, Gewicht zu verlieren. Eher im Gegenteil.

Wie konnte das passieren? Ich ahne Schreckliches. Ich habe es einfach vergessen. Leider kenne ich das schon von mir. Ich nehme mir Großes vor, und dann verschwindet es einfach. Und zwar genau in dem Augenblick, in dem ich mich erinnern müsste.

Was habe ich mir im Laufe meines Lebens schon große Pläne gemacht und mir vorgenommen, nicht mehr als 29 Punkte, 1800 Kalorien oder nur innerhalb eines bestimmten Zeitfensters zu essen! Und dann sitze ich am Tisch, meistens mit irgendjemand anderem, es ist gemütlich und grad so schön, und ich denke: nichts. Keine Mahnung, keine Erinnerung, nicht mal ein warnendes Licht leuchtet in meinem Hirn auf. Ernährungsumstellung? Nicht dass ich wüsste. Kalorienbilanz? Was ist das? Die kneifende Jeans habe ich schon längst gegen eine Hose mit ausreichend Elasthan getauscht. Also greife ich wieder und wieder in den Brotkorb, spachtele munter vor mich hin, genieße den Moment und schlucke meine Diätvorhaben wortwörtlich hinunter.

»Haben Sie denn auch gute Vorsätze fürs neue Jahr, Fräulein Blumenthal?«

Pressel: Spiel, Satz und Sieg.

Ihr Blick fällt auf meine Joggingschuhe. Die stehen exakt seit dem Tag auf dem Fußabstreifer, an dem ich beschlossen habe, nie wieder joggen zu gehen. Also seit etwa acht Monaten. Möglicherweise sind sie mit der Fußmatte verschmolzen, und die Atome haben sich für alle Zeit miteinander verbunden, sie können nur von einer höheren, göttlichen Macht wieder getrennt werden.

Frau Pressel seufzt bei diesem Anblick. Ich weiß, sie kann meine Joggingschuhe im Flur nicht leiden. Ich übrigens auch nicht. Sie sind ein Sinnbild meines Versagens und erinnern mich daran, dass ich seit mehr als einem halben Jahr keinen Sport mehr treibe, sondern vielmehr das Spazierengehen zur Kunstform erkoren habe – oder eher: die kurzen Runden um den Block, die ich mit dem Hund mache. Die Schluffirunden und Kurzstrecken. Für die brauche ich keine Joggingschuhe und keine Laufhosen, nur den Vierbeiner, der neugierig vor mir herwatschelt und mich manchmal sogar ein Stück des Weges zieht. Je nachdem, wie viele halb aufgegessene Döner er auf dem Gehweg erschnüffelt. Eine Pulsuhr ist bei dieser Art der Fortbewegung ebenfalls überflüssig. Ich achte sehr darauf, nicht außer Atem zu kommen. Meine Spaziergänge sollen mich auf keinen Fall an die Joggingrunden um die Alster erinnern, die mir im letzten Jahr so einige Sorgen bereitet haben. Weil meine Joggingbegleitung Tina leider nicht wusste, wie sehr ich joggen hasse. Und ich mehrere Monate gebraucht habe, um ihr endlich beizubringen, dass ich nur aufgrund eines eklatanten Missverständnisses mit ihr laufen gegangen bin.

Zum Glück liegt das mittlerweile hinter mir, nur wenn ich manchmal aus angstgetränkten Albträumen erwache, in denen ich Tina kurzatmig hinterherhechle, jedem Buggy neidische Blicke zuwerfe und mir erneut wünsche, drei Jahre alt zu sein und um die Alster geschoben zu werden, denke ich noch daran.

Oder wenn ich eben diese blöden Joggingschuhe sehe. Also jeden Tag beim Verlassen und Betreten der Wohnung.

Eindeutig zu oft. Und jedes Mal nehme ich mir vor, sie endlich wegzuschmeißen, aber dann betrete ich die Bude, hänge meine Jacke auf … und der Gedanke löst sich in Luft auf.

»Die kommen jetzt weg«, entscheide ich in einem geradezu unheimlichen Anflug von Entscheidungsfreude, bücke mich und greife nach den Schuhen – auch wenn mir in diesem Moment klar ist, dass es ohne Joggingschuhe noch schwerer wird als mit, meinen Vorsatz umzusetzen. Aber ich möchte wirklich nie wieder joggen gehen. Ich kann auch anders abnehmen. Kalorien reduzieren. Schwimmen. Hypnose. Shakes. Magenband. Alles ist möglich.

Frau Pressel sieht aus, als hätte ich ihr eine Magnumflasche ihres Parfüms überreicht: sehr glücklich. »Das finde ich toll, Fräulein Blumenthal! Sieht gleich viel ordentlicher aus. Und sicher finden Sie auch in der Wohnung ein Plätzchen, wo die Schuhe stehen können.«

»Eher außerhalb der Wohnung«, murmle ich. »In der Mülltonne.«

»Ach? Haben Sie neue?«, will meine viel zu neugierige Nachbarin wissen.

»Nein, ich gehe nicht mehr joggen«, erkläre ich entschieden.

»Oh«, sagt Frau Pressel, während ihr Blick sehr langsam und sehr aussagekräftig meinen Körper entlangwandert. Der Blick bleibt genau an den Stellen hängen, die seit meinem Ausstieg aus dem Profisport-Business auf wundersame Weise die Flucht nach vorn angetreten haben. Und ihr »Oh« klingt genau wie der Laut, den ich von mir gebe, wenn Boris den letzten Pudding gegessen hat, ohne mich zu fragen, ob ich etwas abhaben will: vorwurfsvoll und anklagend.

Doch in dieser Sache muss ich Frau Pressel leider recht geben. Meine Entscheidung, mich im Sport vornehm zurückzuhalten, hat meiner 40-jährigen Figur – ich erwähnte es bereits – nicht gutgetan. Vermutlich nimmt es mir mein Körper sogar richtig übel, dass ich mich nicht mehr wöchentlich mit Tina quäle, zumindest gibt er sich keine Mühe mehr, in die Jeans hineinzupassen, die letztes Jahr noch eins a saß.

Normalerweise würde ich mir die Hose nun einfach eine Größe größer kaufen. Nur leider bin ich am oberen Ende der Konfektionsskala meines Lieblingsjeansherstellers angekommen. Was bedeutet: Ich könnte den Jeanshersteller mit einer Petition unter Druck setzen, Stichwort: #bodypositivity. Das brächte mir aber mehr Aufmerksamkeit, als mir lieb ist.

Demzufolge muss ich meinen ausladenden Hintern endlich wieder hochkriegen, Wette hin oder her. Der nächste Sommer kommt ja auch. Bis dahin sollte ich die Frühlingsrollen losgeworden sein, wenn ich sie nicht ganzjährig in die Quetschweg-Wäsche schießen will, die ich seit geraumer Zeit trage. Von der Bikinifigur ganz zu schweigen. Es wird ja auch immer wärmer, wegen Klimakrise und so, da sollte man auf sehr heiße Jahreszeiten vorbereitet sein. Und selbst wenn ich es bis zum Sommer nicht schaffe, spätestens am 31. Dezember müssen die acht Kilo unten sein, wenn ich die anderen nicht in den Kurzurlaub einladen will, wofür mir ehrlich gesagt das Geld fehlt.

Die Figur ist aber bei Weitem nicht meine einzige Problemzone. Schon vor dem verhängnisvollen Silvesterabend ist mir aufgefallen, dass ich doch etwas träge geworden bin. Auf Abendveranstaltungen wurde ich seit der Coronakrise nicht mehr gesichtet, für Kultur kann ich mich nicht aufraffen, und irgendwie kommt es mir so vor, als ob die Liste meiner ewigen To-dos immer länger wird.

Seit zwei Jahren habe ich vor, endlich mal wieder die Schränke auszumisten und mich des Gerümpels im Keller anzunehmen, das sich auf mirakulöse Weise genauso zu vervielfältigen scheint wie die Klamotten im Schrank, die ich nicht mehr gern anziehe, weil sie kneifen. Ich habe meine Vorhaben auf einen Zettel geschrieben, ihn mit einem Magneten an die Kühlschranktür gepinnt – und vergessen. Er ist mir erst wieder aufgefallen, als mir meine Kollegin Sophia eine Postkarte aus dem Urlaub geschickt hat, die ich über den nervigen Zettel habe hängen können. Meine Liste verschwindet hinter Ansichten der Cheops-Pyramide, dem frontalen Schnappschuss eines Esels (grinsend) von Mykonos oder den hübschen Blumenansichten von Madeira vor dem Atlantischen Ozean. Damit lösen sich meine Pläne in Luft auf. Simsalabim, hex-hex. Wenn doch nur alles so einfach wäre.

Bis ich das nächste Mal in den Keller gehe und mich über den ganzen Krempel ärgere, mein Fahrrad nicht benutzen kann, weil ich es natürlich nicht zur Werkstatt gebracht habe, und ich den Berg an Klamotten auf dem Stuhl neben dem Schrank nicht mehr ertrage, die da nur liegen, weil es a) die einzigen Kleider sind, die noch passen, und b) im Schrank einfach kein Platz mehr ist, weil da ja der ganze Rest darauf wartet, dass ich bei einer dieser Abnehmsendungen teilnehme.

In solchen Augenblicken denke ich immer: Einmal so hartnäckig wie Bauchfett sein. Das wär’s.

Vermutlich ist das alles vererbt. Meine Mutter ist ähnlich gestrickt wie ich, allerdings bekommt sie irgendwann das, was sie ihren »Rappel« nennt. Sie ärgert sich zwei Minuten lang, weil sie die Steuer schon wieder bis zum letztmöglichen Termin verschleppt, das Chaos im Wohnzimmer nicht beseitigt und die Flüge so spät gebucht hat, dass sie das Doppelte im Vergleich zu vor drei Monaten kosten – dann krempelt sie die Ärmel hoch und legt richtig los. Sie entfesselt eine Energie, über die sich mein 30 Jahre jüngeres Ich nur wundern kann, fegt durch die Wohnung wie ein Tornado und erledigt alles, was zu tun ist, in weniger als 72 Stunden, um danach in eine 363-tägige Erholungsphase zu verfallen. Neulich habe ich von einer Blume gelesen, Königin der Nacht, die einmal im Jahr lediglich ein paar Stunden lang blüht und dabei den Geruch von Schokolade verströmt – um danach wieder ein ganzes Jahr lang nur ein ordinärer Kaktus zu sein.1

Bei mir ist es anders. Ich gehöre weder zur Fraktion Tabula rasa noch zur Gruppe der Jeden-Tag-ein-bisschen. Ich bin immer der Kaktus.

Immerhin, die Entscheidung, die Joggingschuhe endlich auszumisten, fiel mir genauso leicht, wie Frau Pressel mit einer gemurmelten Entschuldigung ins Casino zu entlassen. Alte Zöpfe soll man ja abschneiden, vor allem wenn das Jahr noch so jung ist. Nie wieder in den kommenden zwölf Monaten wird es mir so leicht fallen, neue Verhaltensweisen einzuüben und alte Marotten abzulegen. Heißt es. Aber wie man sieht, kämpfe ich in den ersten fünf Tagen des Jahres genauso sehr damit, mich in Bewegung zu setzen, wie in den folgenden 360. Und mal ehrlich: Nur weil ich einen neuen Kalender aufschlage, werde ich doch nicht sportlicher, ordentlicher und organisierter? Welchen Zusammenhang soll es da eigentlich geben? Unsere Zeitrechnung ist doch sowieso ziemlich willkürlich. In unserer Kultur feiern wir den Jahreswechsel am 31. Dezember. In China wird er aber zwischen dem 21. Januar und 20. Februar begangen, in Thailand und Laos zwischen dem 13. und 15. April, in Äthiopien am 11. September. (Was gut zu wissen ist für die Silvesterplanung der kommenden Jahre …) Und das sind nur drei unterschiedliche Daten, die mir das Internet ausgespuckt hat. Natürlich habe ich den ersten Link angeklickt und nicht bis Seite 17 durchgescrollt, ich bin ja faul.

Warum also unbedingt die ersten Tage des Januars für neue Vorhaben verwenden? Da ist man doch eh so bräsig und faul von den Weihnachtsfeiertagen. Das Hirn ist verklebt von Zucker und Glühwein, die Muskeln sind aufgrund des feiertäglichen Müßiggangs herrlich erschlafft, Körper und Geist sind weich und wabbelig, und der Wille schläft den Rausch aus. Kein Wunder, dass man seine guten Vorsätze einfach vergisst, wenn da oben gar niemand anwesend ist, der die Bestellung annehmen kann. Wenn ich es recht bedenke, ist es sogar die beschissenste Zeit des ganzen Jahres, um mit irgendetwas Neuem anzufangen, für das man erwiesenermaßen Motivation und Energie braucht! Und dann soll man sich ausgerechnet seinen eigenen Macken und Marotten stellen? Die Routinen durchbrechen? Gewohnheiten ablegen? Süchte bezwingen? Ich plädiere dafür, gute Vorsätze auf den 11. Mai zu verschieben. Oder noch besser, auf den 29. Februar. Der findet nur alle vier Jahre statt.

Ich befürchte aber, ich werde keine Kulturrevolution in Gang setzen. Die Menschen sind es gewohnt, am 1. Januar mit den guten Veränderungen loszulegen. In dieser Zeit sind die Buchhandlungen voll mit Büchern, die zeigen, wie das neue, frische, gesunde Leben aussehen kann, wenn man sich nur ein klitzekleines bisschen Mühe gibt. Gesellschaftlich ist keine andere Zeit im Jahr so anerkannt wie die ersten Tage nach dem Jahreswechsel, um den Glimmstängeln ein für alle Mal zu entsagen (armer Arne!), den veganen Januar zu zelebrieren, Alkohol zu fasten, mit Sport anzufangen, in Wohnung und Beziehung aufzuräumen, Unrat auszumisten, manchmal auch den eigenen Partner mit dem alten, nadelnden Tannenbaum vor die Tür zu setzen (armer Malte!) und ein in Gänze völlig anderes Leben zu beginnen. Ganz offenbar öffnet sich in diesen Tagen auf wundersame, übernatürliche Weise ein Fenster im Raum-Zeit-Kontinuum, das den Blick auf eine glänzende, goldene Zukunft ermöglicht, eine bessere Version des eigenen Selbst, die beste Variante unseres bemitleidenswerten Daseins. Siehe!, donnert die göttliche Stimme über das Meer aus Licht, dies ist der Mensch, der du sein könntest! Und wir, diese fleischlichen, armseligen Wichte, flattern dem heilsversprechenden Leuchten entgegen wie die sprichwörtlichen Motten, nur um spätestens am 10. Januar zu merken, dass der Olle auf der Matratze nebenan immer noch schnarcht, die Diät bislang nur aus Cheatdays besteht und wir im Hamsterrad, das wir Leben nennen, schon wieder unsere Runden drehen.

Trotzdem geloben wir jedes Jahr aufs Neue Besserung. Im Dezember 2022 wurden 1001 Menschen nach ihren guten Vorsätzen befragt. 67 Prozent gaben an, im neuen Jahr Stress vermeiden zu wollen. 64 Prozent behaupteten, mehr Zeit für Freunde und Familie haben zu wollen … obwohl ich nicht weiß, wie das mit der Stressvermeidung zusammengehen soll. Ebenfalls 64 Prozent wollten sich umwelt- und klimafreundlicher verhalten. Und immerhin 61 Prozent beabsichtigten, mehr Sport zu treiben.2 Mehr Zeit für sich selbst, gesünder ernähren, sparsamer sein, weniger Fleisch essen, abnehmen, weniger am Handy und Computer abhängen, weniger fernsehen, weniger Alkohol. Klingt alles toll, würde ich nichts dagegen sagen.