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Das letzte Schiff der Föderation ...oder... Der Nanitenkrieg Admiral Thomas Brander ist der legendäre Gründer der Erdföderation und ihrer Raumflotte, der Earth Federation Space Navy. Nun kehrt er nach 35 Jahren aus dem Ruhestand zurück, in den er nach einer verlustreichen Schlacht gegangen ist. Jung geblieben dank mittlerweile selbstverständlich gewordener lebenserhaltender Technologien will er noch einmal ein Kommando haben.Er kommandiert sein altes Schiff, die Fregatte "Moondreamer". Ein Schiff, das von der Menschheit in eine Reihe mit der "Mayflower" gestellt wird. Oder der "Santa Maria" von Christopher Kolumbus - und das genauso umstritten ist. Der Admiral wird auf eine Goodwill-Tour zu einer fremden Rasse geschickt. Doch dann geschieht das Undenkbare. Eine noch nie dagewesene Bedrohung aus einer anderen Dimension streckt ihre Klauen nach der Galaxis aus und der Admiral, seine Crew und das alte Schiff müssen noch einmal ihr Bestes geben, um den Untergang der eigenen und anderer Zivilisationen zu verhindern. Denn als das Ende hereinbricht, sind sie buchstäblich das letzte Schiff der Föderation. Allein hinter den feindlichen Linien wagt der Admiral das Unmögliche... Eine Military-Space-Opera über den Kampf mit einem Feind aus den Untiefen des Multiversums im 23. Jahrhundert einer geeinten Menschheit. Karl Layton hat ein facettenreiches Romanuniversum mit zahlreichen Fremdrassen und neuen Technologien geschaffen, das den opulenten Hintergrund für diese abenteuerliche Space-Opera bildet. +++ Eine Bemerkung zur Zeitdilatation, weil das von Lesern angesprochen wurde. In diesem Roman reisen die Raumschiffe mit Überlicht-Geschwindigkeit durch einen parallelen (Hyper)-Raum, in dem die Zeit schneller verläuft. Hingegen hätte in der Wirklichkeit heute (ohne Überlichtantrieb und solchen Parallelraum) ein auf einen Teil der Lichtgeschwindigkeit beschleunigendes Schiff (im Normalraum) einen verlangsamten Zeitablauf im Inneren. Anderer Raum, andere Naturgesetze. +++ AUF EINEN BLICK Admiral Fuhrmann ist auf diplomatischer Mission mit seinem Schiff, als um ihn herum die Hölle losbricht und eine bizarre Macht aus den Tiefen des Multiversums nach der Föderation greift. Die Föderation der Erde - Saga: Prequel: Das letzte Schiff der Föderation (dieser Roman) Band 1: Das Schiff der Vergessenen Band 2: Der Verräter des Herrgotts (weitere Romane in unmittelbarer Vorbereitung)
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Seitenzahl: 679
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Vor etwa 14.000 Jahren
Die Box
Das Schiff
Der Angriff
Ende und Anfang
Epilog
Und während der Abspann schon läuft
Personenverzeichnis
Zeitleiste
12355 v.Chr.
Nähe Avianischer Industrieplanet
Die schlanke, mit einer Art Federkleid bedeckte Gestalt sitzt auf ihrem Kommandantenplatz. Ein weißer Einteiler, der kaum vom Federkleid zu unterscheiden ist, ist das einzige Kleidungsstück. Blitzende, silberne Symbole sind auf der Brust und an anderen Stellen angebracht. Die Kommandozentrale, in der sie sich aufhält, ist am ehesten mit einem irdischen Konzertsaal vergleichbar, dessen Seitenwände bis auf die vordere Bühne mit Logen über drei Etagen ausgestattet sind. Logen allerdings, die kein Geländer haben. Auf der „Bühne“ gibt es einen riesigen, Kino-artigen Hauptbildschirm, auf dem die Ansicht des schwarzen Weltraums mit ein paar nicht weiter spektakulären Sternformationen zu sehen ist. Kleinere Bildschirme rechts und links zeigen Diagramme und sich verändernde Farbfelder, deren Bedeutung sich einem uneingeweihten Betrachter nicht erschließt. In den zahlreichen Logenreihen stehen andere grob vogelartige Gestalten wie sie selbst, deren tief angesetzte Arme flaumige Befederung haben und in krallenartigen, aber feingliedrigen Händen enden. Alle tragen die unauffälligen, mit verschiedenen Abzeichen besetzten Einteiler. Die Wesen sind fast alle der „Bühne“ mit ihren diversen Displays zugewandt und arbeiten an bunten, projizierten Feldern, die vor ihnen in der Luft schweben und bisweilen wie Computertastaturen wirken. Auch Bildschirme sind so bei den zahlreichen, beschäftigten Avianern, wie man sie nennen könnte, in die Luft projiziert.
„Captain“, ruft eine der Gestalten in ihrer hohen Stimme aus, die ganz unten im Erdgeschoss an einer Art konventioneller Konsole mit echten Tastaturen und Bildschirmen sitzt. An den Notarmaturen, die kaum ein Avianer da unten freiwillig bedienen würde. Mit einer im Missfallen gekräuselten Kinnfalte unterhalb seiner kurzen, gebogenen, grob schnabelartigen Schnauze blickt der Angesprochene von einem zentralen Sitz missmutig auf den Anrufenden im Erdgeschoss. Er drückt mit einem Krallenfinger der rechten Hand einen Knopf auf einer der zwei vor ihn projizierten Tastaturen als Bestätigung. Nie werde ich verstehen, denkt sich der Kapitän, was der Kommunikationsoffizier an dem Parterre findet. Schließlich ist dieses auf dem Boden herumkriechen für jeden Avianer eine entwürdigende Tätigkeit. Unten beugt sich der Kommunikationsoffizier an seinem Parterreplatz vor und spricht in ein konventionelles Mikrofon. Seine Stimme wird akustisch direkt neben den Kapitän projiziert.
„Ich habe hier ungewöhnliche Ausschläge im Band T12 bis T19.“ Erwartungsvolle Stille kehrt ein. Es scheint so, als würden all die bislang emsig auf ihre Displays guckenden und auf ihre Lufttastaturen drückenden Avianer innehalten und entweder auf den Kommunikationsoffizier oder auf den Kapitän blicken.
„Das... das sind die Bänder, die eine Verstärkung der Instabilität des Raumes anzeigen, Skipper.“
Der Kapitän schnaubt verächtlich. Nicht wegen den beunruhigenden Sensordaten, sondern wegen der respektlosen Anrede Skipper, die sich der Kapitän zwar von seinen Brückenoffizieren bieten lässt, die ihm jedoch von dem schäbigen Erdkriecher kommend deplatziert erscheint. Der Kapitän räuspert sich, was für menschliche Ohren eher wie ein Trällern klingt. Er drückt eine andere Taste.
„Warum bekomme ich Sensormeldungen aus der Kommunikation und nicht von der Wissenschaftsstation?“ Dort ist schließlich sein XO. Die Offizierin, die zwar dienstfrei hat, aber dort nach dem Rechten sieht.
„Was sagt denn der Wissenschaftsoffizier dazu?“, fragt er. Der Kapitän hat dem Satz eine Ehrenbezeichnung und ein melodisches Pfeifen und Keckern hinzugefügt. In menschliche Sprache übersetzt hat der Satz auf „Herr Vividigo“ geendet, wenn man das Pfeifen und Keckern des Namens des Wissenschaftsoffiziers wegen einer groben Lautähnlichkeit so übersetzen will. Doch bevor der Wissenschaftsoffizier aus dem ersten Obergeschoss der theaterar-tigen Kommandobrücke antworten kann, meldet sich wieder der Kommunikationsoffizier aus dem Erdgeschoss.
„Verzeihung... Sir. Herr Kapitän. Das war nicht ich, der die Sensoren abgelesen hat, sondern die Meldung kam aus dem Labor. Chefwissenschaftler Indigi“. Der Kapitän weist sich gedanklich selbst zurecht, dass er wertvolle Zeit mit solchen institutionellen Fragen verschwendet hat, wo doch eigentlich klar war, dass der Kommunikationsoffizier diese wichtigen Sensordaten direkt aus dem Labor hat. Dort, wo unzählige Wissenschaftler die Sensordaten der „Blauer Seeadler“, eines der modernsten und schlagkräftigsten Schiffe der avianischen Raumflotte, wesentlich detaillierter analysieren können, als es dem Wissenschaftsoffizier und seinem Assistenten auf der Brücke möglich gewesen wäre.
„Natürlich“, grummelt der Kapitän.
„Das heißt, wenn tatsächlich etwas durchbricht aus einer Art... anderer Dimension, dann steht dieses Ereignis unmittelbar bevor.“
Die Stimme des Wissenschaftsoffiziers ist zögerlich, denn die merkwürdigen Instabilitäten des Raumes, die die avianische Flotte schon vor Monaten in weit schwächerem Maße gemessen hat, sind immer noch wissenschaftlich umstritten. Durchgesetzt hat sich jedoch die These, dass etwa eine Art Durchbruch aus einer anderen Dimension bevorstehen könne. So ließen sich jedenfalls die gängigen Theorien zusammenfassen. Nur vier Lichtjahre entfernt von der Heimatwelt der Avianer ist das ein sehr beunruhigender Gedanke. So beunruhigend, dass der Kapitän, wie auch viele andere in das Projekt eingeweihte Offiziere, seine Familie schon längst auf einen längeren Urlaub auf eine der entfernteren Kolonialwelten geschickt hat. Sicher ist sicher. Doch was da durchbrechen kann, ist ein völliges Mysterium. Soweit er die Ausführungen der Wissenschaftler richtig gedeutet hat, wird es eher kein konventionelles Schwarzes Loch sein. So viel steht jedenfalls fest. Für ein Schwarzes Loch gäbe es hier im Leerraum auch gar keine astrophysische Erklärung. Auch Feindaktivität kann man ausschließen, ist die einhellige Meinung in der Flotte. Denn weder das manchmal in den Avianerraum vordringende Gloak-Imperium noch die Clankultur, deren Raum an den der Avianer drängt, verfügen über entsprechende Technologie. Jedenfalls nach allem, was bekannt ist.
„Taktik: Schilde hoch, gelber Alarm.“ Die Kommandos des Kapitäns kommen militärisch präzise. Keine Zeit, sich in persönlichen Animositäten zu verlieren, denkt er entschieden. Dann wird er aus seinen Gedanken gerissen, als es auf dem großen Schirm vor ihm flimmert.
„Sensorik, was sehe ich da?“
„Hauptbildschirm funktioniert normal, Sir“, tönt es von weiter unten aus der großen Kommandobrücke und die Stimme wird noch einmal neben den Kapitän projiziert. „Fehleranalyse Bildschirm läuft“, fügt der Techniker von der Sensorik entschlossen hinzu.
Guter Mann, denkt sich der Kapitän. Denkt wenigstens mit.
Dann wird von einer Sekunde zur anderen alles völlig anders. Ein bläulicher Farbring ist zu sehen, in dessen Zentrum sich das Flimmern zu einer Art Tunnel stabilisiert, dessen Seitenwände silbrigblau schimmern. Ein Wurmloch? Die kennen wir bislang auch nur aus der Theorie, denkt er. Schnell erholt er sich von seinem Schrecken und drückt ein paar Knöpfe auf seiner Tastatur.
„Rotalarm. Gefechtsstationen. Herr Vividigo, was sehe ich da?“
Hektisches Flöten ist vom Angesprochenen zu hören. „Es ergibt keinen Sinn, Sir, was die Sensoren sagen. Aber es sieht aus wie...“, er zögert.
„Ein Wurmloch, ja“, beendet der Skipper den Satz. „Irgendwas auf der COM?“
Niemand reagiert. Der Skipper hämmert förmlich auf die Lufttastatur, deren projizierte Formenergie dadurch wie Gummi durchgebogen wird. „Komm-Station? Irgendwelche eingehende Kommunikation?“
Der Kapitän hört, wie der im Erdgeschoss befindliche Kommunikationsoffizier einen melodischen Anruf der Muttergöttin ausstößt. Dass er noch diesem archaischen Glauben anhängt, denkt sich der Skipper. Doch dann fasst sich der Parterre-Offizier schnell. „Oh ja“, antwortet er erstaunt. „Alle... alle bekannten Bänder sind voll mit Daten, aber alles... unbekannte Formate.“
„Na ja, Aliens funken halt nicht im avianischen Standardprotokoll“, bemerkt der Kapitän trocken. „Den Hauptcomputer analysieren lassen!“
„Natürlich Sir“, antwortet der Kommunikationsoffizier. Er drückt hektisch mehrere Tasten. Dann flimmert der Hauptbildschirm in nie gekanntem Ausmaß. Und nicht nur der, sondern auch alle anderen Bildschirme. Und die Deckenlampen gehen aus.
Mit einem Anflug von Panik blickt der Kapitän auf die sinnlos blinkende und sich merkwürdig verformende Tastatur, die rechts vor ihm schwebt und die anfängt, mit seiner Zweittastatur zur Linken einen gemeinsamen, gummiartigen Streifen vor ihm zu bilden. Merkwürdige Blasen bilden sich in der Formenergieoberfläche und fasziniert beobachtet er, wie Zahlen und Buchstaben auf der Tastatur ineinanderfließen. Das nervöse Geschnatter überall auf der Brücke lässt ihn aufblicken. Überall spielen sich solche Szenen ab. Ein völlig hysterischer Offizier, den der Kapitän nicht genau erkennen kann, hat scheinbar einen der in die Luft projizierten Formenergie-Bildschirme um den Kopf gewickelt und flattert aus seiner Loge im zweiten Obergeschoss herunter in den Leerraum im Zentrum. Die hektischen Schläge seiner wie bei allen Avianern für den Körper zu kleinen Flügel lassen ihn langsam tiefer sinken. Offensichtlich raubt ihn das jetzt übermäßig hellglänzende Anzeigefeld, das wie eine bizarre Haube auf seinem Kopf sitzt, jede Orientierung.
Das ist der Moment, als auch die künstliche Schwerkraft des Schiffes zwischen halber und doppelter Schwerkraft schwankt und vielen Crewmitgliedern den Mageninhalt emporkommen lässt. Dann fühlt der Kapitän einen beißenden Kopfschmerz, so dass sein Sichtfeld dunkel wird. Und er ruft den Gott der Avianer an, als sich der Schmerz wie eine glühende Klinge anfühlt, die sich in sein Hirn bohrt.
Etwa 14000 Jahre später
29.04.2235, 18:07 Greenwich-Erdzeit
Planet New Age II, Futura City, ca. 700 Lichtjahre von der Erde entfernt
Captain James Thorau
„Okay“, sagt der kräftig gebaute Terraner in unauffälligen, dunkelblauen Klamotten, als er durch die Bartür kommt. „Wo ist Doktor H?“
Der Barkeeper in dem dunklen Loch verzieht schmerzhaft das Gesicht. Er ist ein Mensch, wie alle anderen in der Bar auch. „Keine Namen!“, murmelt er eindringlich und fügt dann leise „im Hinterzimmer“ hinzu und deutet auf die entsprechende Tür. „Wie im schlechten Film“, murmelt der Hereingekommene und sieht sich um. In der düsteren Bar mit dem hübschen Namen „Xiaojie Light“, was etwa so viel wie „leichtes Mädchen“ bedeutet in einem wüsten Mandarin-Englisch, sitzen zwei verkommene Gestalten und trinken desinteressiert aus schmutzigen Gläsern.
„Die hören eh nix“, erklärt der Mann, bevor der Hereingekommene auf die Hintertür zugeht. Die verhärmten Gestalten in der Bar, zu denen auch perfekt der Barkeeper gehören könnte, bringen das Kunststück fertig, wie Ende Fünfzig auszusehen. Und das in einer Zeit, in der Dank die Körper erhaltener Behandlungen sonst alle wie Ende Zwanzig oder Dreißig wirken. Sofern sie nicht tatsächlich noch jünger sind.
Im Hinterzimmer sitzt er, der mysteriöse Doktor H, wie er sich in der vorhergehenden Kommunikation genannt hat.
„Ah Mister.... gut dass sie da sind.“ Doktor H., ein kleiner, unscheinbarer, dunkelhaariger Mann, der wie ein Anfang-Dreißiger mit Glatze aussieht, geht gebückt. „Sie können ruhig geradestehen, uns sieht hier keiner“, erklärt der Hereingekommene grinsend, sich in dem mit allerlei Krimskrams vollgestopften, kleinen Zimmer umsehend.
„Und meinen Namen können Sie auch ruhig sagen, wir müssen hier keinen drittklassigen Agentenfilm nachspielen. Außerdem war der Treffpunkt draußen im Park und Sie sind nicht aufgekreuzt.“
Der „Doktor“ stutzt. „Und wie haben Sie mich dann gefunden? Und wenn Sie wollen, kann ich Sie gerne Captain Thorau nennen. Von der Raumflotte, ich weiß, ich weiß.“ Er kichert dazu, als habe er ein Geheimnis entlarvt.
„Zeigen Sie sie mir, dann bekommen Sie Ihre Bezahlung. Echte Föderations-Credits, nicht diese verdammten Kolonie-Credits, die ihr hier habt.“
„Okay, okay“, leiert der Doktor und ruft etwas in Richtung eines Vorhanges. Was immer sich da verbirgt, Kapitän Thorau weiß es schon längst. Denn trotz seines unscheinbaren Äußeren hat er reichlich Zugang zu Militärtechnologie, mit der er den Treffpunkt längst in jeder Hinsicht durchleuchtet hat. Der Vorhang teilt sich und eine schlanke Leonin betritt das Zimmer. Thorau zieht beim Anblick der eleganten Erscheinung eine Augenbraue hoch. Leonen sind grob katzenartig wirkende Humanoide, neben den reptiloid wirkenden Tarts und den Greys eine der drei Rassen, die man hier auf diesem von insgesamt vier Spezies besiedelten Planeten antrifft. Ein Versuch, ein neues Kapitel in der Gesichte der sich in der Vergangenheit oft feindselig gegenüberstehenden Rassen aufzuschlagen. Insgesamt kennt die Menschheit neben Leonen, Tarts und Greys noch die völlig feindseligen Luminos, wie sie wegen ihrer durchsichtigen Haut und teils leuchtender Organe genannt werden. Außerdem die zurückgezogenen Nova-Gloaks. Von den beiden letztgenannten Spezies sind freilich keine Mitglieder auf der Welt New Age II - kurz nur New Age genannt - zu finden, wie sich diese Kolonialwelt nur halbwegs fantasievoll nennt.
„Schön oder?“, grinst der Doktor anzüglich. „Wenn Sie mögen...“, sagt er vielsagend und deutet auf die sehr stolz wirkende und ruhige dastehende Frau, deren schlanker und muskulöser Körper bis auf das Gesicht von einem kurzen, fast goldenen Fell bedeckt ist. „Es gibt viele Menschen, die das mögen und Laris ist da nicht abgeneigt. Wenn die Credits stimmen...“
Der Captain verneigt sich vor der elegant mit einem vorgereckten Bein dastehenden Leonin und kann nicht umhin, mit hochgezogener Augenbraue die goldenen Brustwarzenabdeckungen an ihren freiliegenden, nackten acht Brüsten zu bewundern.
„Ich muss leider passen, mein schwacher Körper könnte den Liebkosungen nicht standhalten.“ Die Leonin nickt und das Verziehen von dem, was man als Lefzen bezeichnen könnte, lässt spitze Zähne erkennen.
„Laris ist zart wie ein...“, beginnt der Doktor, der sich etwas gerader aufrichtet.
„Das Paket bitte!“, unterbricht ihn der Kapitän scharf.“ Der Doktor murmelt etwas und sagt der Leonin ein paar Worte in einem Kauderwelsch aus Englisch, Chinesisch und Leonisch, das einen Linguisten zur Verzweiflung getrieben hätte. Laris wendet sich zum Gehen und kommt kurz darauf mit einem altmodischen Handwagen herein, den sie hinter sich herzieht. Darauf liegt eine große weiße Kunststoffkiste mit blinkenden Lichtern.
„Alles drin, alles dran. Was noch dran sein soll“, feixt der Doktor. Er wedelt Laris mit der Hand fort und die elegante Leonin entfernt sich auch prompt.
„Sie sollten ihre zarte...“, beginnt der gebeugte Doktor wieder, doch ein scharfer Blick von Thorau bringt ihn zum Verstummen.
„Also, alles drin, alles dran?“, fragt der Kapitän mit Blick auf die große Kiste in unernstem Tonfall.
„Sie nehmen diese Transaktion merkwürdig leicht!“, unterstellt der Doktor dem Kapitän. Doch dieser grinst nur schief. „Sagt einer, der von vielen Körperteilen befreite junge Damen in einer Bar namens Leichtes Fräulein verkauft“, kontert Thorau.
„Nicht so laut!“, fordert der sogenannte Doktor und sieht sich nervös im leeren, vollgestellten Zimmer um. Doch Thorau macht schon eine knappe Handbewegung und der Doktor sieht mit praktisch herunterklappendem Unterkiefer, wie die Schlösser der Kiste mit einem deutlichen Klack aufspringen und der Deckel wie von Geisterhand in die Luft schwebt.
„Wie...?“, fragt der Doktor entgeistert, doch Thorau grinst nur und tritt an die Kiste heran. Natürlich wäre es mit dem aktuellen Stand der Technologie machbar, eine auf Handzeichen reagierende Aufbewahrungsbox zu bauen und auch die Antigravtechnologie für einen schwebenden Deckel ist längst Standard. Jedoch ist diese Kiste eine ganz und gar einfache ohne derartige Technologie. Umso verblüffender muss es für den eigenartigen Verkäufer sein, der in einschlägigen Kreisen den Ruf hat, Körperteile intelligenter Rassen für jeden Zweck und in jedem Zustande zu verkaufen. Oder eben auch ganze und ggf. physisch angepasste Wesen. Auch für die schlimmsten PsiSim-Junkies verkauft er lebendig gehaltene Torsen oder gar nur Köpfe, die von manchen kranken Mitmenschen als zusätzlicher mentaler Reaktionsraum für ihre direkt ans Hirn angebundenen Simulationen verwendet werden.
In der Kiste liegt eine junge Frau. Oder das, was von ihr übrig ist. Nicht nur hat die Frau mit einem länglichen, durchaus hübschen Gesicht mit vollen Wangenknochen eine komplette Glatze und auch keine Augenbrauen mehr, sie hat auch ihre Arme und Beine komplett eingebüßt. Thorau erkennt, dass die Frau dort, wo der Hals eigentlich jeweils in eine Schulterpartie übergeht, eine etwas grau gefärbte Kunsthaut hat, die das unebene Gebiet, wo die Oberarme fehlen, einigermaßen sanft abrundet. Die schlanke junge Frau trägt nur ein Höschen aus silbernem Stoff. Aus dem Höschen treten aus biologischen Gründen zwei Schläuche aus und verschwinden in der Oberfläche, auf der die Torsofrau liegt. Thorau lässt sich kurz von dem immer noch graziösen Körperbau der jungen Frau ablenken. Trotz ihres arm- und beinlosen Zustands ist sie ein hübscher Anblick, stellt er fest. Verblüfft sieht er, dass die Frau viel Makeup trägt, das ihre Wangenknochen noch mehr hervorhebt. Auch reichlich Liedschatten und falsche Wimpern sind vorhanden.
„Hübsch“, bemerkt Thorau grinsend. „Dachten Sie, ich wolle sie heiraten, oder weswegen die Kriegsbemalung?“
Der verkrüppelt wirkende Doktor, der sich immer noch nicht gerade aufgerichtet hat, kichert heiser. „Ich frage nie, was die Kunden mit ihren ... kompletteren ... Werkstücken anfangen wollen. Aber ein bisschen hübsche Präsentation schadet nie. Neulich hatte ich einen PsiSim-Junkie, der hat seinen Reaktionsraum als seine Verlobte bezeichnet. Kann man sich das vorstellen?“ Er feixt. „Manche legen halt Wert auf gutes Aussehen.“
„Ja, ja“, erklärt Thorau in leicht genervtem Tonfall. „Das Auge isst mit.“ Er sieht den Doktor an, der ihn verblüfft anschaut und glaubt, etwas verstanden zu haben.
„Nein“, grinst Thorau schief. „Ich will sie nicht wirklich essen. Das war nur eine Redewendung.“
Der kleine, flache Bauch der schlafenden Torsofrau hebt und senkt sich und sie scheint friedlich zu schlafen. Der Kapitän weiß, dass der Doktor meist künstlich geschaffene Sentients verkauft. Sentients hier als neumodisches Wort für intelligente Rassen, inklusive der Menschheit. Doch er musste leider eine natürlich geborene Person anfordern, da die oft zurückgebliebene Geisteskraft der künstlich generierten Menschen nicht in der Lage wäre, seine Anforderungen zu erfüllen. Wirklich leid tut es ihm freilich nicht, das muss er sich eingestehen.
Der Doktor macht eine auffordernde Geste und hält einen kleinen Tablettcomputer in der Hand, dessen Oberfläche langweilig die Uhrzeit zeigt, statt irgendeine der modischen Ruheanimationen. Thorau nickt und setzt mit einem Gedankenbefehl eine Transaktion in Gang, die einen nicht unerheblichen Betrag von nicht rückverfolgbarem Netzgeld auf ein entsprechend anonymes Konto des Verkäufers transferiert. Das Handterminal des Doktors ziept und ein grün-blaues Fenster verkündet ihm das Eintreffen der Zahlung. Ein billiges Endgerät ist es, das der Verkäufer da in der Hand hält, ohne beliebig expandierbaren Formenergie-Monitor. Doch Thorau weiß, dass das nur Fassade ist. Der Doktor wundert sich nicht über die Plötzlichkeit der Geldtransaktion, ohne dass sein Gegenüber auch ein Handterminal gezückt hat. Hirnimplantate als besserer Ersatz für Handterminals sind längst Standard.
Die junge, verstümmelte Frau ist eine Prostituierte, drogensüchtig. Außerdem illegal auf dem Planeten und von Jackson alias Doktor H betäubt und entführt, um Thoraus Bestellung zu erfüllen. Das hat er alles genau recherchiert, weil er bei dieser Angelegenheit lieber über alle Details in Kenntnis gesetzt werden will.
„Bestimmt eine Lehrerin oder Ärztin, so wie sie aussieht, oder?“, neckt Thorau.
„Genau“, kichert der Doktor und kriegt sich offenbar vor Belustigung kaum wieder ein. Thorau weiß natürlich, dass Jackson die drogensüchtige Prostituierte noch eine ganze Weile aufgepäppelt hat, damit sie bei so guter Gesundheit ist. Alles Umstände, die ihm kein Mitleid mit der unschuldigen Frau entlocken.
Gelangweilt macht Thorau eine weitere Handgeste und die Kiste mit der Frau schließt sich durch den heranschwebenden Deckel wieder und flimmert kurz auf. Danach ist sie scheinbar verschwunden, in Wirklichkeit aber komplett unsichtbar. Wieder stößt der Doktor einen Laut des Unglaubens auf.
„Das ist wirklich keine Standardtechnologie“, gibt er verblüfft von sich.
„Es war schön, mit Ihnen Geschäfte zu machen, Doktor H“, sagt Thorau tonlos und bewegt sich auf die Tür zu, die sich wie von selbst geöffnet hat. Als er heraustritt, den kopfschüttelnden Doktor zurücklassend, bleibt die Tür noch einen Moment länger auf, um die unsichtbare Kiste hindurchschweben zu lassen.
Der Doktor setzt sich in einen einfachen Stuhl und sackt dann sofort in sich zusammen, als habe man die Luft aus ihm herausgelassen oder eher als sei er eine Gliederpuppe, dessen Puppenspieler seine Tätigkeit eingestellt hat. Die Leonin betritt durch den Vorhang das kleine Zimmer, wirft sich wortlos die merkwürdig schlaffe Erscheinung des verhutzelten Mannes über die Schulter und verlässt den Raum. Sehr weit entfernt nimmt sich ein attraktiver Mann, der aussieht wie Anfang Vierzig, eine Art Kopfhörer mit blinkenden Lichtern von seinem Kopf, den eine ausgeprägte Blondmähne ziert. Der Mann lacht, als er aufsteht. Dass der verkrüppelt wirkende Doktor H von seinen Geschäftspartnern immer wieder als authentisch angesehen wird, ist für ihn ein Quell nie enden wollenden Amüsements. Er kratzt sich gerade hinter den durch den „Kopfhörer“ verschwitzten Ohren und macht sich auf den Weg zum einem luxuriösen Ledersofa in diesem lichtdurchflutenden Wohnzimmer mit gläsernen Wänden und Blick auf Dünen und einen blauen Ozean, als direkt vor ihm ungefragt ein Formenergiebildschirm erscheint. Er zuckt zusammen, und begreift nicht, wie das sein kann. Er bekommt eine Gänsehaut, als er in das lächelnde Gesicht von Kapitän Thorau blickt, der anders als eben noch seine dunkelblaue Space Navy-Uniform mit den blitzenden, goldenen Rangabzeichen trägt.
„Herr Jackson. Ich wollte Ihnen noch persönlich für ihre freundlicherweise durchgeführte Transaktion danken.
„Nein!“, haucht Jackson.
„Leider werden sich unsere Wege nun trennen...“
Jackson spürt einen brennenden Schmerz in seinen Händen, der sich schnell überall in seinem Körper ausbreitet. Seine erhobenen Hände zeigen ihm, wie das Fleisch seiner Finger zu glühen anfängt und weiter die Hände herunterrast. Ein unheimliches, schwarz-rotes Glimmen erfasst seinen ganzen Körper.
„Naniten“, hört er noch die Erklärung von Thorau. „Und nicht die Art, die Ihnen ein langes Leben ermöglicht.“
Von Jackson bleibt Augenblicke später nur ein Haufen Asche übrig, bis sich auch dieser zersetzt und höchstens noch ein Rauchfähnchen im Raum zurückbleibt.
18.07.2235, 11:02 Greenwich-Erdzeit
Privat-Asteroid Mon Caillou, Sol-System
Fleet Admiral Thomas Brander
„Kommst du?“, ruft er ungeduldig. Er, das ist Fleet Admiral Thomas Brander. Seit 35 Jahren nun schon im Ruhestand der Marine der Erdföderation und vom Äußeren her immer noch einem Mitt-Vierziger entsprechend. Allerdings weist ihn das Geburtsregister als im Jahre 2042 geboren aus. Im 23. Jahrhundert ist es allerdings die Regel, ein optisches Erscheinungsbild irgendwo zwischen Zwanzig und Vierzig zu haben, moderner medizinischer Technologie sei Dank. Sie, das ist Lieutenant Junior-Grade Lucy Willard, persönliche Adjutantin des Admirals, die ihn auch in den Ruhestand gefolgt ist, der nun bald enden soll. Lucy und den Admiral verbindet offensichtlich mehr, als nur eine Dienstbeziehung. Lucy müht sich mit einem schweren, altmodischen Koffer des Admirals ab. Offenbar keiner der modernen Antigrav-Koffer. Die Frau ist vom Erscheinungsbild her Ende Dreißig, von üppiger, aber noch schlanker Figur und hat schwarze Haare, die sie zu einem Haarknoten auf dem Hinterkopf gesteckt hat. Die recht stark geschminkte, attraktive Frau trägt eine mittelblaue Kombi aus Jacke und Rock, der vor den Knien endet. An den Füßen hat sie aus der Mode gekommene schwarze Sandaletten mit ultrahohen Absätzen.
„Ich komme ja, Admiral, ich komme ja.“ Sie spricht seinen Titel mit sarkastischer Betonung. Er nickt ungeduldig. „Und es ginge schneller, wenn ich nicht immer in diesen Klamotten aus dem Geschichtsbuch rumlaufen würde“, wie sie schnaubend anfügt und den Koffer auf eine kurz über dem Boden ruhende Antigrav-Plattform wuchtet. Eine Art Gepäckwagen des 23. Jahrhunderts. „Ich weiß es zu schätzen, meine Liebe, dass du in den vergangenen 35 Jahren Ruhestand meinen modischen Ratschlägen gefolgt bist“, bemerkt der Admiral trocken und bewegt sich den langen, mit grauem Plastik verkleideten Gang entlang auf eine schleusenartige Tür zu. Eine Leuchte an einem Paneel zeigt Grün an. „Und ich freue mich wirklich auf meine Uniform“, bemerkt die sich den Schweiß von der Stirn wischende Frau. „Und wenn wir diesmal auf der Erde keine flachen Schuhe und bequemen Klamotten für mich einpacken, wenn wir auf diesen gottverlassenen Steinhaufen zurückkehren, dann musst du dir eine andere … Adjutantin suchen, mein Lieber.“ Der Admiral nickt nur und drückt auf den Öffnungsknopf. „Wieso trägst du eigentlich den Koffer, wenn er eine Antigrav-Funktion hat?“
„Weil sie kaputt ist. Und du gleich vorangetrabt bist, statt das Ding selber zu tragen.“
Beide gehen in den großen, grob aus dem Gestein des Asteroiden geschlagenen Hangar, in dem neben zahllosen grauen Frachtcontainern auch ein kleiner Raumer steht. Ein flacher, altmodischer Jäger mit grob quaderförmiger Grundkonstruktion mit eckiger Antriebsdüse hinten. An den vorn abgestuft abgeflachten Zentralquader sind an Auslegern zwei röhrenförmige Waffensysteme angebaut. Eine lange Röhre rechts, eine links. Die stahlartige Oberfläche ist so dunkel, dass sie fast schwarz ist und matt glänzt, wo diverse Kräfte ihre Furchen und andere Spuren in der manchmal sogar pockennarbigen Außenhaut hinterlassen haben. Eine weißliche, geschwungene Schrift weist den Raumer auf Deutsch statt dem üblichen Englisch als Unbezahlbar aus.
Wie von Geisterhand fährt eine metallene Plattform aus dem Jäger und an der linken Vorderseite öffnet sich eine Schleuse. Blinkende Lichter warnen, während die Plattform zu Boden schwebt. Als Admiral Brander und seine Adjutantin auf die Plattform steigen, bilden sich sofort blau-transparente Umzäunungen, die für Sicherheit der Passagiere sorgen sollen. Missmutig betrachtet die Adjutantin das Schiff. „Und ich finde es nicht witzig, im einem Uraltraumschiff der Ancients durch das Sonnensystem zu fliegen. Wie alt ist die Kiste doch gleich?“ Der Admiral räuspert sich. „Etwa zehntausend Jahre, das weißt du doch.“ Missmutig nickt Lucy, während die Plattform langsam höher schwebt, der Schleuse in etwa drei Metern Höhe entgegen. „Ich weiß. Und das Ding war in einem Stasefeld gelagert, bla, bla, bla“, äfft sie seine vormaligen Erklärungen nach. „Aber ein modernes Erdschiff würde mich mehr überzeugen. Gerade bei einem so kleinen Raumer.“
Ohne weitere Diskussion treten beide in die enge, mit weißem Kunststoff ausgekleidete Schleuse, die wie alles im Schiff mit modernen, für Menschen gemachten Kontrollen versehen ist. Die äußere Luke schließt sich und die innere öffnet sich. Ein enger Gang erwartet die Beiden, in dem man nicht recht stehen kann und der sich zum Kopf hin verjüngt. Grau und Schwarz sind zahllose eckige Ausbuchtungen hier, an denen kleine Kontrollleuchten und mysteriöse Displays von der Wichtigkeit der Gerätschaften zeugen.
„Und hier stößt man sich ständig den Kopf an, weil die verdammten Ancients so schmale Rübenköpfe hatten“, beschwert sich Lucy, während beide gebückt auf die sich öffnende Luke zum Cockpit hinbewegen. „Kein Rassismus bitte“, mahnt der Admiral. Doch Lucy seufzt nur. „Erstens sind die Ancients ausgestorben“, sagt sie schließlich, „und zweitens hatten sie wirklich Köpfe wie umgedrehte Rüben. Sogar mit Borsten oben dran, die wie die ausgerissenen Wurzeln…“, beginnt Lucy, beendet den Satz aber nicht. Das Cockpit ist eng und bietet zwei Druckliegen. Überall sind Paneele mit Schaltern und Displays, ein breiter weit vorn in der Vorderwand des Cockpits versenkter Panoramabildschirm täuscht eine breite Frontscheibe vor. Durch sie sieht man den hell erleuchteten Hangar mit dem verschlossenen, stahlglänzenden Doppeltor. Lucy und der Admiral setzen sich, während wie von Geisterhand Hosenträger-Sicherheitsgurte heranschweben. Nervös leuchten mehre Bildschirme vor den beiden Druckliegen auf und Zahlen- und Textkolonnen erscheinen. Irgendwo piepst eine halbwegs leise Kakophonie vor sich hin. Das langsame Aufgleiten des doppelten Hangartores ist gut im Raumer sichtbar. Vibrationen erfassen das Schiff, als die eigene Gravitation und diverse andere Systeme hochfahren. Der Admiral überfliegt die Statusmeldungen auf dem entsprechenden Display. Sanft und lautlos, von dem sowieso vorhandenen Brummen abgesehen, schwebt die Unbezahlbar dem offenen Tor entgegen, durch das man erst nur Schwärze und dann die schwachen Formen weiter entfernter Asteroiden und Sterne sieht. „Außerdem hören die Nova-Gloaks das gar nicht gerne mit den umgekehrten Rübenköpfen“, merkt der Admiral an. „Da können die wirklich sauer werden.“ Er hebt schulmeisterlich den Zeigefinger. „Du weißt ja schon, dass sie nach dem Vorbild der Ancients von eben diesen geschaffen worden sind.“
„Aber…“, wendet Lucy mit Schalk in der Stimme ein, „die NovaGloaks haben viel breitere Köpfe.“ Brander nickt. „Richtig, leider nennt man sie auch Glockenköpfe.“ Sich einschaltende Bildschirme links und rechts neben dem fensterartigen Hauptbildschirm vorn zeigen den rasch kleiner werdenden Asteroiden mit seinem sich schließenden Hangartor; umgeben von blinkenden Lichtern, während die Unbezahlbar mit ihrem Graviton-Unterlichtantrieb fliegt. „Eine Stunde bis Terra“, bemerkt Brander überflüssigerweise. Seine Adjutantin weiß es natürlich selbst, haben die beiden die Reise doch schon oft genug gemacht. Adjutantin Lucy wackelt derweil mit ihren in den hohen Sandaletten steckenden Füßen. „Stöckelschuhe im Weltraum, unmöglich“, murmelt sie. „Und wenn du diesmal die flachen Schuhe wieder rauswirfst, suche ich mir einen anderen Job!“ Brander sagt nichts und grinst nur. Wirst du nicht, denkt er. Denn als ich dich geschaffen habe, tief im Bauch des Asteroiden und du in einem Wachstumstank herangereift bist, habe ich sichergestellt, dass wir zu gut zueinander passen. Kaum hat er diesen Gedanken, empfindet er auch schon tiefe Scham für sein damaliges Handeln. Doch jetzt ist es zu spät, meine damaligen Experimente, von denen niemand anders etwas weiß, zu bereuen. Und ohne dich käme ich auch nicht mehr klar.
„Flache Schuhe diesmal, klar Ma‘am“, gluckst er und verdrängt die dunklen, schuldbewussten Gedanken.
18.07.2235, 11:12 Greenwich-Erdzeit
Planet New Age II, Anwesen nahe Futura City
Captain James Thorau
Gedankenverloren sitzt Thorau auf dem Stuhl vor dem breiten Bett in dem Kellerzimmer seines Anwesens in der Tundra-artigen Landschaft nahe der Hauptstadt Futura City. Die Kiste, in der er die „gekaufte“ Frau hergebracht hat, steht geöffnet auf der Antigravtrage im Raum. Die junge Frau ist nackt und jetzt auch kahlköpfig. Er hat sie von allen Applikationen befreit. Allerdings ist ihr Hirn immer noch von den Drogen vernebelt, die ihr der falsche Doktor gegeben hat. Thorau schmunzelt, als er seinen Blick über den nackten, immer noch attraktiven Körper der schlanken Frau gleiten lässt, der ihrer Arme und Beine beraubt ist. „Gehen kannst du nicht mehr, aber fliegen wirst du mit mir in virtuellen Welten“, schmunzelt er und sagt es halblaut vor sich hin. Er steht auf, beugt sich über die immer noch ruhig und schlafend daliegende Frau und drückt ihr einen Kuss auf den glattrasierten Schädel. „Lass mich dein Prinz sein“, säuselt er und für einen kurzen Augenblick kommt sogar er sich bizarr und widerwärtig dabei vor. Er seufzt. „Ich brauche dich nun einmal als Testbett für die neuen Naniten“, murmelt er mehr zu sich selbst als zur schlafenden Frau. Naniten, die für den Angriff programmiert sind. Auf geistigen Angriff. Er lächelt und streicht ihr über den sich sanft hebenden und senkenden Bauch. Zart und warm fühlt sich ihre Haut an. Bedauernd blickt er über die Narbengewebe, die die junge Frau an Arm- und Beinstümpfen hat. „Du wirst es nie merken. Oder fast nie. Versprochen“, sagt er laut. Er glaubt zu spüren, wie die unsichtbar kleinen Naniten wieder, wie auch schon bei allen vorherigen Berührungen, aus seinen Fingerspitzen treten und in die Haut der jungen Frau eindringen. Mikroskopisch kleine Maschinen, die sich im Körper zu einem Nano-Computernetzwerk zusammensetzen. Da die junge Frau sicher einen Standardsatz konventioneller irdischer Naniten hat, die bereits ihren Körper gesund und weitestgehend jung halten, ist die Funktion der von ihm injizierten Wildtyp-Naniten auf den mentalen Angriff beschränkt. Was ja auch der Zweck ihres Daseins ist. Thorau konzentriert sich. Dann bemerkt er ein schwaches Kribbeln in seinem Hirn. Vorne hinter der Stirn. Ein Gefühl, dass er schon kennt. Ein Gefühl, das von seinen eigenen, eigentlich verbotenen Ancient-Naniten ausgelöst wird, die sich fast immer im Stealth-Modus befinden und daher von Föderationsscannern nicht entdeckt werden können. Und die von den offiziell erlaubten Föderations-Standardnaniten, die er auch in seinem Körper duldet, nicht als Fremdkörper erkannt werden. Die uralten Naniten sind es, die Thorau zu dem gemacht haben, was er heute ist. Die schon lange auf der Welt sind. Lange bevor die in den Weltraum aufbrechende Menschheit mit den Ancient-Naniten durch Raumfahrt bekannt wurde und diese Technologie als Basis für die eigenen, kommerziell vertriebenen Naniten übernommen hat. Wir sind schon lange hier. Und es ist nun an der Zeit, dass er sich ein eigenes Netz aufbaut. Eines, in deren Zentrum er sitzt. Mit dieser jungen Frau hier als Testbett. Er schließt die Augen und stellt den Kontakt her. Die junge Frau heißt Selina und träumt, sie schlafe in einem paradiesischen Garten. Auf einer grünen Wiese, umgeben von dschungelartigen Pflanzen. Es ist helllichter Tag in ihrem Traum. Die Sonne brennt vom Himmel und in einer Lücke der Dschungelpflanzen sieht er einen Sandstrand und blaues Meer unter blauem Himmel durchschimmern. Unwirklich silbern wird das Sonnenlicht auf den Wogen reflektiert. Natürlich hat Selina in ihrem Traum noch alle Gliedmaßen. Sie trägt ein dünnes, weißes Sommerkleid, das nur ihre nackten Füße freilässt und hat sich mit dem Oberkörper aufgerichtet. Sie sieht ihn fragend an. Kräuselt ihre Stirn. Ihr Gesicht zeigt Angst, als er selbstbewusst auf sie zusteuert. Er tritt aus dem Dschungel heraus und sieht an sich selbst herunter. Er trägt dieselben Klamotten, die er eben auch anhatte. Barfuß, kurze braune Hose und ein recht unpassendes, blaues Hemd mit Kurzarm. Grinsend schüttelt er den Kopf. Schlagartig ändert sich sein Aussehen und er trägt die dunkelblaue Ausgehuniform der Raummarine. Eine Uniform, die in der traditionsbewussten Earth Federation Space Navy, kurz EFSN, immer noch stark den Marineuniformen des 20. und 21. Jahrhunderts ähnelt. Schlagartig verändert sich Selinas Gesichtsausdruck und zeigt freudiges Interesse. Romantische Schwingungen sind plötzlich in der Luft, die wie dicke Wogen der Glückseligkeit Thoraus Körper durchdringen. Hier bestimmen die Gefühle von Selina, denn es ist ihr Hirn, ihr Traum, in dem er sich befindet. Lächelnd tritt er nah an sie heran und sie erhebt sich freudig lächelnd. Da er sich selbst als attraktiv ansieht und ein uniformierter Marineoffizier wahrscheinlich zu einem romantischen Traum passt, ahnt er, in welche Richtung der Traum gehen wird. Selinas Hände spielen allerdings mit den Knöpfen seines Uniformsakkos, was ihn wundert. „Hübsch golden“, sagt sie. Dann kichert sie und die Szenerie ändert sich. Und es dauert eine Weile bis er versteht, was er sieht. Ich bin eine Art Soldatenfigur in einem Regal in einem Kinderzimmer! Der Blick auf die riesenhafte Selina, die vor dem Regal steht und ihre riesengroße Hand nach ihm ausstreckt, lässt keinen Zweifel aufkommen. Genauso wenig wie der Affe-mit-Schellen und die Barbiepuppe neben ihm. Bedrohlich kommen Selinas Finger näher und haben ihn fast erreicht. Doch plötzlich lacht er. Hat sich losgerissen aus diesem Traum, der ihn mitzuziehen droht. Er sieht auf ihre Füße. Riesig wie die ganze Frau. „Den roten Nagellack hättest du dir sparen können, Schatz!“ Dann sieht sie sich erschreckt um, denn die Umgebung verändert sich. Sie liegt nackt als Torso vor ihm, so wie sie wirklich aussieht. Allerdings in einem romantischen Himmelbett mit wehenden weißen gardinenartigen Vorhängen. Sie windet sich hilflos. Er steht am Fußende und sieht lächelnd auf sie herab. „So siehst du wirklich aus, Darling.“ Sie hat ihren Kopf angehoben und sieht entsetzt auf ihre fehlenden Arme und Beine. Ihr Gesicht wird aschfahl. „Aber jetzt lassen wir dich besser wieder schlafen.“
Eine Weile später, in der realen Welt, hat er sie in eine gläserne Kiste verfrachtet, die auf einer Werkbank im Keller steht. Sie liegt rücklings darin auf einer Schaummatte. Alles ist ihren Torso-Ausmaßen angepasst. Längst ist sie wieder in einer Traumwelt und hält alles nur für einen kurzen, bösen Traum. Die Kiste hat einen dicken stählernen Boden und einen noch dickeren Deckel, der mit einem kleinen Monitor, Leuchten und Knöpfen versehen ist. Thorau, der zufrieden die Ausbreitung der von ihm extra modifizierten Wildtyp-Variante der Naniten ist, betätigt einen Schalter und einen Drehknopf. Ein schwaches blaues Leuchten erfüllt den Glaskasten. „Versetzen wir Schneewittchen in einen leichten Stasezustand mit stark verlangsamten Lebensfunktionen“, murmelt er zu sich selbst. Bis ich mir das mit den Naniten noch mal genauer angesehen habe. Denn ihre Programmierung muss perfekt sein. Soll sie doch bald dafür sorgen, dass Thorau ein sehr großes Netz von Menschen kontrollieren kann.
18.07.2235, 11:31 Greenwich-Erdzeit
Nähe Asteroid Mon Caillou, Sol-System
Fleet Admiral Thomas Brander
Seine Adjutantin und Lebensgefährtin scheint zu dösen, während Brander per Gedankenbefehl eine schwach leuchtende, weiße Fläche mit schwarzer Schrift vor sich in der Luft erscheinen lässt. Das Gegenstück des 23. Jahrhunderts einer Email. „Ja, es war wohl naiv anzunehmen, dass man mich nach 35 Jahren wieder mit Kusshand aufnimmt.“ Seine Adjutantin im Nebensessel des Cockpits seufzt. „Thomas, da haben wir doch nun oft genug drüber gesprochen. Du kannst dich nicht aus allen Power-Plays der Admiralität für so lange zurückziehen und dann nach einer halben Ewigkeit erwarten, dass man dich mit Kusshand aufnimmt und dir wieder ein großes Stück vom Kuchen gibt.“
„Richtig“, stimmt er ihr seufzend zu. „Sogar, wenn man den Laden praktisch groß gemacht hat.“
„Ja, ja“, tönt es leicht genervt von ihr. „Den Erstkontakt zu den Nova-Gloaks hergestellt, zu den Luminos und eine komplette Raumflotte-in-Stase der Ancients gefunden.“ Der Admiral brummt zustimmend. „Hast die dicksten Haufen gemacht von allen Admirälen und als du deinen Kindern das Feld überlassen hast, wollen sie dem Papa natürlich die Tür zuhalten, wenn er zurückkommt.“
Wieder brummt Brander nur. „Trotzdem hätte ich gedacht, sie sehen das ein bisschen entspannter. Ist schließlich üblich heutzutage, nach dem Ruhestand wieder zu arbeiten, wo keiner mehr dauerhaft in Rente geht.“ Deutlich merkt man an der Geräuschkulisse, wie der Jäger stark beschleunigt. Was allerdings keinerlei Andruck im Innenraum erzeugt.
„Ja aber…“, beginnt Lucy mit fast schon verzweifeltem Unterton, um dann mit einem genervten „Ich lass es jetzt“ zu enden. Brander wischt unterdessen auf der simulierten Papierseite vor ihm in der Luft herum. Er hat ihr den Vorzug vor einer Projektion ausschließlich in seine Gedankenwelt gegeben, um Lucy mit in die Diskussion um den Text einbeziehen zu können.
„Erst das Angebot eines Referenten bei der Ersten Flotte“, er spricht den Jobtitel mit sarkastischer Betonung aus. „Und jetzt auch noch das Angebot, die Akademie der Flotte zu leiten. Leiter der Akademie, das Ultimate Karrierekiller-Abstellgleis!“, klagt er. Das trägt ihm neuerliches Seufzen seiner Nachbarin ein, die genervt auf die monoton blinkenden Bildschirme starrt. „Vierzig Minuten bis Maximalschub“, liest sie ab. Sie hofft irgendwie, die Zeit würde dadurch kürzer werden. Denn erst in fünf Minuten wird der Jäger weit genug entfernt sein, dass die Antienergie/Energie-Haupttriebwerke gezündet werden können anstatt der Graviton-Manövriertriebwerke. „Und ich kann mir durchaus vorstellen, mal ruhig in einer Villa in San Francisco zu sitzen, während du dich mit Lehrplänen herumschlägst. Anstatt zu überlegen, ob du zurückkommst, wenn du irgendwelche Alien-Ruinen umgräbst und den schlummernden Sicherheitssystemen ausweichst, auf dass sie dir nicht den Hintern wegbrennen.“ Die Vibration ändert sich, als die Haupttriebwerke kurze Zeit später Schub geben. Das in-den-Sitz-Pressen, das ein Mensch des prä-Antigrav-Zeitalters erwartet hätte, bleibt jedoch komplett aus.
Wenn ich das nächste Mal heimlich einen künstlichen Menschen schaffe, dann einen mit gewählterer Wortwahl. Ich muss eine gedankliche Notiz dazu anlegen.
„Ich weiß noch, wie ich die Akademie selbst habe in San Francisco gründen lassen. Nur weil sie damals in dieser alten Fernsehserie auch da war.“
Etwas über vierzig Minuten sitzen beide schweigend nebeneinander. Der Admiral merkt, dass er kurz weggedöst ist. Dann werden die Vibrationen plötzlich weniger. Er sieht, dass der Raumer zwar die vierzig Prozent Lichtgeschwindigkeit erreicht hat, mit denen das Raumfahrtzeug in den Hyperraum eintreten könnte, der auch Überlichtflug ermöglicht. Aber wegen der großen Nähe zur Erde wird der Jäger nicht den Normalraum verlassen, da er auf der kurzen Strecke ohnehin maximal 40 Prozent Lichtgeschwindigkeit erreichen wird. „Hypersprung entfällt“, seufzt Lucy. „Schade, dass wir auf der kurzen Strecke den Hyperraum nicht zu sehen kriegen“, gibt sie enttäuscht von sich. „Es fasziniert mich jedes Mal, dieses konturlosen Grau, das von merkwürdig blassen, farbigen Inseln durchzogen wird.“
„Weiß noch, wie ich das erste Mal gesprungen bin“, sinniert der Admiral. „In den alten Romanen, bevor Menschen in den Hyperraum vorgedrungen sind, war er auch immer als konturloses Grau beschrieben. Oft mit merkwürdigen Schlieren drin. Und stell dir meine Überraschung vor, als der Hyperraum tatsächlich so ausgesehen hat.“
„Na, wer weiß, wer damals Romane geschrieben hat, dass das so genau hingekommen ist“, bemerkt Lucy trocken. ‚Vielleicht war der alte Jules ja auch schon auf dem Mond.“ Sie räuspert sich.
„Gehen auf Kurs Richtung Terra.“ Unterdessen zeigt der Hauptschirm zwischen den Sternen etwas, das wie die noch winzig kleine Kugel der Erde aussieht.
Der alte Jäger beschleunigt nicht mehr. Trotzdem vibriert etwas furchtbar stark. Rechts von Lucy irgendwo in der Wand. „Made by deiner freundlichen, ausgestorbenen Nachbarschafts-Alien-Dominanz-Rasse“, murmelt sie halblaut vor sich hin. Doch dann lässt das Vibrieren schlagartig nach. „Gleitflug mit Null-Komma-Vier Licht, Abbremsen schon wieder in vier Minuten“, liest Lucy von den Instrumenten ab. „Der Admiral nickt. „Kaum gestartet, verzögern wir schon wieder.“
„Aber bei dem Häuschen auf der Flottenbasis in Terrania bleibt es doch oder?“, fragt Lucy, das Thema wechselnd. „Nicht, dass wir erst mal ins ferne Deutschland müssen. Dann doch lieber ein Häuschen auf Malta kaufen“, fabuliert sie. „Nein“, antwortet der Admiral. „Es bleibt bei der Flottenbasis. Das Haus von Coronelson, der ja versetzt worden ist.“ Lucy sieht ihn erstaunt an. „Coronelson hat da gewohnt? Und du willst ausgerechnet da einziehen?“ Der Jäger rast weiter auf die Erde zu, die auf dem Schirm langsam größer wird, einen grellen Schweif aus der eckigen Antriebsdüse hinter sich her ziehend. Admiral Brander lehnt sich zurück und fühlt, wie er wieder wegzudämmern beginnt. Hoffentlich nicht wieder dieser Traum, denkt er noch. Dieser wiederkehrende, eigenartige Traum von den Ereignissen vor vierzig Jahren. Als er einschlummert, eingelullt durch das gleichmäßige Dröhnen und Vibrieren, da merkt er noch, wie er tatsächlich wiederkommt, der Traum. In ihm ist er wieder zurück. An Bord der EFS Asia, damals als die Luminosflotte angegriffen hat. Und durchlebt alles noch einmal. In kristallklaren Details, so als sei er tatsächlich wieder dort. Der Traum beginnt, wie fast jedes Mal.
Zu Anfang des Traumes sitzt Admiral Brander in seinem Gästequartier auf der EFS Asia. Eine neue, 150 Meter lange Korvette der America-Klasse der Erdföderation. Von Menschhand auf Basis der von der ausgestorbenen Alienrasse namens Ancients geerbten Raumschifftechnologie entwickelt. Von dieser Rasse wurde im Proxima Centauri – System einst eine ganze Flotte dieser Schiffe gefunden. Diese waren eine Mischung aus Militär- und Forschungsschiffen und ihr zuerst in Dienst gestelltes Exemplar wurde in einem Anflug von Romantik Moondreamer getauft und von den Menschen später als Fregatte katalogisiert. Diese Moondreamer-Klasse ist etwa doppelt so groß wie die komplett von Menschenhand gebaute America-Klasse. Die Asia ist eines von erst fünf dieser neuen, kompakteren Schiffe, die im Gegensatz zu den alten Ancient-Fregatten nur für militärische Einsätze konzipiert sind und an Forschungseinrichtungen und Lagerraum sparen. Auch das Gästequartier des Admirals auf der Asia zeigt Einsparungscharakter. Es ist ein enger, grauer Raum mit Bett und Schreibtisch an der Wand. Roter Alarm blinkt über der Tür auf, wo mittig die Warnlampe angebracht ist, die Gelb und Rot zeigen kann. Der charakteristische Heulton ertönt über die Deckenlautsprecher. Der Heulton verstummt bald wieder, doch das rote Blinken bleibt. Brander, der einen physischen Tablettcomputer verwendet hat, um sich diplomatische Notizen zu dem geplanten Treffen mit leonischen Admirälen auf der Föderationswelt Socona anzusehen, legt das dünne Gerät weg. Just in diesem Augenblick trifft eine harte Erschütterung das Schiff und den Admiral haut es fast vom Stuhl. „Verflucht“, entfährt es ihm und er stößt ein schnelles vokales Kommando heraus. „Alfred, Schiffs-Statusbericht!“ Alfred, das ist sein persönlicher Schutzroboter. Kampfroboter wäre ein treffendes Wort. Eine etwa vierzig Zentimeter durchmessende, dicke Scheibe, die sich durch eine optische Tarnvorrichtung verborgen mit Hilfe eines Antigrav-Aggregats ständig in seiner Nähe aufhält und längst zu einem unentbehrlichen Assistenten geworden ist. „Angriff dreier Schlachtschiffe der Luminos und vierer schwerer Jäger“, vermeldet eine männliche Stimme in gelangweiltem Ton, die direkt im Kopf des Admirals hörbar ist, ohne wirklich akustisch vorhanden zu sein. „Haben sich von Backbord verdeckt durch Hyperraumanomalien genähert und folgen jetzt achtern mit identischer Geschwindigkeit und feuern. Mehrere Treffer durch Alpha-AE-Waffen. Schilde auf 50 Prozent. Asia erwidert Feuer konzentriert auf nächstes Schlachtschiff. Verfolger sind achtern, Asia versucht mit Beschleunigung zu entkommen.“ Da sich die Asia mit ihrer Höchstgeschwindigkeit von eintausend Licht bewegt, ist dies natürlich die übliche Art und Weise des Auflauerns. Wären die Feindschiffe frontal auf die Asia zugefahren, wäre die Zeitspanne der Schussreichweite viel zu kurz gewesen; von Reaktionszeiten ganz zu schweigen.
Brander entfährt ein Fluch. Als ein Notfall auf einer archäologischen Station aufgetreten war, bei dem unbekannte, offenbar getarnte Raumschiffe involviert waren, haben sich die zwei America-Klasse – Begleitschiffe zur fernen Station aufgemacht und die Asia allein gelassen. Geschickt eingefädelt. Von den Greys? Die die Luminos als Schachfiguren in ihrem Spiel verwenden. Urplötzlich erscheint ein taktisches Display auf dem Schreibtisch, natürlich von Alfred projiziert. Brander bevorzugt es immer noch gegenüber direkt in sein Hirn projizierten Grafiken, die er als zu invasiv empfindet. Die 3D-Darstellung zeigt die Topologie des Hyperraums, mit ihren zahlreichen, extrauniversalen Ausbuchtungen und der Position der Asia und ihrer sieben Verfolger. Die Asia hat Torpedos abgefeuert. Sicherlich die modernen Stealth-Versionen, die nur schwer zu orten sind. Aber wenn sie auf intakte Energieschilde der gegnerischen Schiffe treffen, werden sie nur wenig ausrichten können. Das neuerliche Beschleunigen wird der Asia wenig bringen, konstatiert Brander. Das meiste der Reise im Hyperraum des Plus-100 Universums hat die Asia mit abgeschalteten Triebwerken und ihrer Reisegeschwindigkeit von eintausend Licht zugebracht. Nur gelegentlich beschleunigend, wenn es die Anziehung von inselartigen Hyperphänomenen erforderlich gemacht hat. Lange wird die Korvette sowieso nicht mehr an Geschwindigkeit zulegen können. Zwar ziehen die Triebwerke nach Bauart der Ancients ihre Energie direkt aus einem höherwertigen Kontinuum, aber Antienergie ist nur in bescheidenem Umfang verfügbar. Sie muss eher „tröpfchenweise“ aus einem entsprechenden Kontinuum abgesaugt und mühevoll an Bord des Schiffes gekapselt werden.
Die taktische Situation ist potenziell fatal. In solchen Augenblicken ist es eine schwierige Entscheidung. Soll er Captain Coronelson, der ja ein erfahrener Kommandant ist, die Schlacht überlassen, oder selbst das Kommando übernehmen? In diesem Augenblick erschüttert ein weiterer Treffer das Schiff. Verdammt, diese Schlachtschiffe sind einen Kilometer lang und unsere Asia gerade mal 150 Meter, geht es Brander durch den Kopf, als er auch schon zur Tür hechtet und mit der flachen Hand auf den grünen Türknopf schlägt. Es sind nur etwa dreißig Meter bis zur Schleuse in den Brückenvorraum. Der Stab des Admirals, der für die kommenden Verhandlungen mit den Leonen zusammengestellt worden ist und unter anderem sogar zivile Diplomaten umfasst, ist natürlich in den zugeilten Quartieren geblieben. Eine Durchsage über die Deckenlautsprecher fordert „alle Passagiere“ dazu auf, den nächsten Sicherheitsraum zu benutzen und sich in den Sitzen anzuschnallen. Er ignoriert die Durchsage und rennt weiter. Als er die Schleuse in den Vorraum der Brücke hinter sich gebracht hat und auf den Türöffner des Brückenschotts haut, öffnet sich die dicke Doppeltür und er sieht die Brücke, die in oranger Kampfbeleuchtung erstrahlt. Brander stürmt in den Kontrollraum und er ist der einzige auf den Füßen. Denn die fünfköpfige Crew auf der Brücke, die nicht größer als ein kleinerer Besprechungsraum ist, ist in ihren bequemen Druckliegen in einer halb liegenden, halb sitzenden Stellung und scheint zu schlafen. Bei manchen bedecken silbern glänzende Hauben ihre Köpfe und sind mit einem Schlauch mit den Rückteilen ihrer Sitze verbunden, an denen grüne Statusleuchten glimmen. Der Hauptbildschirm zeigt im Breitwandformat nur Schwärze, aber trotz des scheinbar schlafenden Zustandes der Brückenbesatzung ist auf dem geschwärzten freien Platz vor dem Bildschirm das taktische Holodisplay projiziert, das dem Admiral die schon bekannte Topologie der Schlacht zeigt. Allerdings beginnt ein dickes rotes „Ei“ zu blinken und zu verschwinden, nur um als Umriss zurückzubleiben. „Feindschlachtschiff 1 kampfunfähig. Explosionen an Bord“, meldet die geisterhafte Stimme von Alfred. Links und rechts neben dem Hauptbildschirm werden in Umrissen per Seitenansicht und Ansicht von oben der Rumpf und der Schildzustand der Asia angezeigt. Der Rumpf ist minimal beschädigt, die Schilde auf knapp die Hälfte runter, wie man auf den ersten Blick erkennen kann. Bleiben noch sechs Feindschiffe, konstatiert Brander.
Die Brückencrew ist natürlich nicht bewusstlos, sondern befindet sich in einem Stimulanzzustand, in dem sie geistig mit dem Schiff verzahnt ist und ihre Arbeit gedankenschnell erledigen kann. Der Schiffscomputer nimmt Gedanken in Sekundenbruchteilen auf und aggregiert sie zu taktischen Manövern. Eine vor kurzem von der Flotte eingeführte Technologie, die insbesondere bei Kampfhandlungen blitzschnelles Reagieren der Schiffe ermöglichen soll. Sie läuft über Implantate, die die Crewmitglieder haben oder über ihre Nanitenschnittstelle, falls vorhanden. Beide eher invasiven „Upgrades“ der menschlichen Hirne sind allerdings im Jahre 2195 noch neu und noch nicht wirklich häufig anzutreffen. Wer wie die meisten Menschen im ausgehenden 22. Jahrhundert keines dieser Hirnupgrades hat, wird mit direktem Hirnscan über die sogenannte „Frisörhaube“ aka den Mind-Reader mit der Bord-KI verzahnt, der Künstlichen Intelligenz des Schiffes.
Captain Coronelson sitzt/liegt mittig, vor ihm links und rechts etwas tiefer der Navigator, auch Steuermann genannt und die Rudergängerin. Links am Außengang der Brücke der Taktische und Erste Offizier links und rechts der Operations Officer. „Admiral on Bridge“ ist auf dem großen Statusbildschirm links neben dem Hauptbildschirm zu lesen. Auf der Holodarstellung vorn auf der Brücke ist zu erkennen, was der Captain vorhat. Er tut das Offensichtliche. Er vermeidet es, die Deckung der nahegelegenen Einstülpungen fremder Universen aufzusuchen, die man UniPockets oder auch Extrauniversal-Taschen nennt und die je nach Art des jeweiligen Universums einem sich nahenden Raumschiff sehr gefährlich werden können. Oder eben auch perfekte Deckung geben können, einem ganzen Strauß exotischer Strahlung gedankt. Eben diese Deckung werden die angreifenden Luminosschiffe mit gewissem Abstand ausgenutzt haben, um der Asia so aufzulauern, dass sie sofort in Reichweite der Unterlichtwaffen war, die die Luminosschiffe nur besitzen. So können die Protonenkanonen und die Doppelgeschosse aus Energie und Antienergie die Asia bzw. ihre Schilde sofort treffen und das Föderationsschiff verliert zum Teil seinen Vorteil, seine überlegene Überlichtwaffe einsetzen zu können. Denn nach Kenntnis der Flotte hat noch niemand einen wirklichen Schutz gegen den sogenannten Disruptor, über den alle Ancientschiffe und damit auch die auf dieser Technologie basierenden anderen Föderationsschiffe verfügen. Die wegen ihrer gefährlichen Abstrahlung weit außen an den Schiffen angebrachten Doppelstrahler durchdringen Schilde und Materie egal welcher Natur und sind trotz ihrer bei der America-Klasse nur etwa faustgroßen Einschusslöcher verheerend in der Wirkung. Außerdem sind sie sehr viel effektiver als die langsam fliegenden Torpedos. Die Disruptoren durchdringen ein Feindschiff oft auf ganzer Länge und lassen Energieleitungen platzen, Energiepuffer explodieren oder führen Energie und Antienergie zu allesverschlingenden Explosionen zusammen.
Coronelsons Taktik ist die Offensichtliche. Der Kapitän setzt auf die Überlegenheit eben dieser Disruptoren, die ja bereits das erste Großkampfschiff der Luminos zerrissen haben. Die Feinde wiederum setzen per Brute Force auf die Gewalt ihrer Bordwaffen, die die Schilde der Asia von Sekunde zu Sekunde schwächen und sicher bald Hüllenbrüche und den Ausfall wichtiger Systeme verursachen werden. Wie eben auch der leistungshungrigen und empfindlichen Disruptoren. Ohne sie, nur mit den Anti-Energie/Energie-Waffen und Thermostrahlern wäre die Asia leichte Beute für die Angreifer. Gegen das Verbergen an den Uni-Pockets, wo sich fremde Universen gewissermaßen herausstülpen, spricht der Umstand, dass dieser Quadrant als besonders strahlungsaffin gilt. Jeder Versuch, sich in dem Strahlungscocktail der Pockets zu verbergen, käme selbst bei voll funktionsfähigen Schilden fast einem Todesurteil gleich. Was also tun, denkt sich der Admiral und kennt instinktiv schon die Antwort. Auf der Brücke stehen noch zwei „Gast“-Druckliegen und auf eine dieser bewegt sich der Admiral nun entschlossen zu. Kaum liegt er drin, schnellen automatisch die Gurte hervor. Kaum liegend, verbindet sich sein Verstand auch schon mit dem Zentralrechner; in seinem Fall über seine Nanitenschnittstelle. In einer virtuellen Umgebung, mit der er wegen Stimulierung bestimmter Hirnzonen besonders schnell interagieren kann, nimmt er die taktische Situation als ein holografisches, riesiges Display war, das inmitten eines völlig schwarzen Raumes schwebt. Das Display ist dasselbe, wie es draußen auf die Brücke projiziert worden ist. Als Avatare schweben bildartige Darstellungen der anderen Mitglieder der Brückenbesatzung an den Rändern. Zahlreiche andere Displays, vorranging die Schilde und der Hüllenstatus, sind ebenfalls an die Ränder der Umgebung projiziert.
„Übernehme das Kommando!“, stößt er hektisch hervor. Er spricht die Worte nicht wirklich, sondern es ist mehr ein Gedanke, der stichwortartig in einem Sekundenbruchteil in der virtuellen Umgebung allen fasslich ist und kurz als Text im Zenit der VR-Umgebung erscheint. Ein Protest von Captain Coronelson wird ihm ebenso übermittelt, den der Admiral einfach ignoriert. Der Computer bestätigt die Kommandoübergabe.
„Stealth-Mienen raus, Abwurfmuster 3, Kurs auf …“, kommandiert der Admiral, wobei er gedankenschnell mit einem gelben Cursor, der für alle sichtbar ist, einen Kurs sehr nah an den tödlich strahlenden Uni-Pockets markiert. Sofort verfärbt sich der Kurs rot und eine textuelle Warnung des Zentralcomputers erscheint am Firmament. Brander plant das Herumschwenken der Asia, die ihre Triebwerke in Flugrichtung halten wird, um abzubremsen. Navigator, Rudergänger und Kapitän Coronelson protestieren wegen des Uni-Pocket-nahen Kurses gleichzeitig. Doch da erschüttert es wieder das Schiff, was auch in der virtuellen Umgebung sehr deutlich wiedergegeben wird. Die großen Darstellungen des Schiffsrumpfes mit ihren umgebenden Schilden, die ähnlich wie die auf der realen Brücke, allerdings dreidimensional sind, zeigen den jämmerlichen Schildstatus. Gelb werden jetzt die ausladenden Disruptorgeschütze in den vorher leeren Schiffsumrissen in der Seiten- und Draufsicht angezeigt. Ein Detailfenster zeigt textuell Schwankungen in der Energieversorgung und Probleme mit der strukturellen Integrität der Geschütze an.
„Befehl ausführen!“, kommt es vom Admiral. Verbunden mit dem angefügten Gedanken, dass sonst die Asia bald ein Totenschiff sei. Die Schiffssteuerung reagiert, ohne dass der Rudergänger etwas tun muss. Das Schiff setzt sich behände auf den vorgezeichneten Kurs.
„Das Handbuch empfiehlt zwar im Kampf das Verbergen nahe der Uni-Pockets, aber nicht in einer strahlungsintensiven Zone wie hier! Noch dazu mit Psi-Strahlungsanteil“, kommt der dringende Einwand des taktischen Offiziers Lieutenant-Commander Sandra Nilsson. „Und für unsere taktische Situation empfiehlt das Handbuch den Exitus hinzunehmen!“, entgegnet Brander bissig. Während weitere Mienen ausgestoßen werden, schmiegt sich die Asia näher und näher an gleich drei aneinander liegende Uni-Pockets, deren Abstrahlung rot flimmernd gekennzeichnet ist. Strahlungsalarm wird in Rot und sogar simuliert-akustisch in der virtuellen Umgebung wiedergegeben. Ein noch weitgehend unerforschter Bereich des Hyperstrahlungsspektrums ist die jetzt bedrohliche Psi-Strahlung, dessen betäubende oder sogar tödliche Wirkung sattsam bekannt ist. Weitere Mienen werden ausgestoßen. Die getarnten Mienen sind insbesondere in so einer strahlungsaktiven Zone kaum anzumessen durch den Feind. Da kommt Branders unvermeidlicher Befehl. „Totstellen!“, kann man den gedanklichen Befehl übersetzen. Es handelt sich um das Abschalten aller Energie. Zwar braucht eine Raumschiffcrew, die sich so unsichtbar machen will, im Gegensatz zu den alten U-Bootfahrern nicht auf akustische Stille zu achten. Aber alle anderen Systeme müssen dazu in den ToterMann-Zustand gehen. Auch Lebenserhaltung und sonstiges wird abgeschaltet, schließlich hält sich die Wärme noch eine Weile. Die sich auch abschaltende künstliche Schwerkraft macht sich als „Bauchgefühl“ bei der Crew bemerkbar. Im Schiff sollte ohnehin alle Besatzung längst in Druckliegen gesichert sein. „Abfall auswerfen“, ist ein neuerlicher Befehl von Brander, direkt an den Zentralrechner. Inspiriert vom alten U-Boot-Krieg der Erde führen fast alle Föderationsschiffe vorbereiteten Ballast mit, der Wasser, Sauerstoff und alle möglichen strahlenden Rohrleitungen und derlei Dinge enthält. Der Zentralrechner führt den Befehl aus und Brander stellt eine Verbindung zum Chefingenieur her. Der liegt tief im rückwärtigen Teil des Schiffes in einer anderen Druckliege, ist hier aber ebenso präsent wie die Brückencrew. „Hauptenergie fluktuieren lassen“, ist Branders nächster Befehl. Der wird ausgeführt, aber nicht ohne dass ein sarkastisches „Ach, reicht das bisherige Fluktuieren noch nicht?“ zurückkommt. Lieutenant Nicole Jenkins führt den Befehl trotzdem aus.
Aller Ballast ist ausgeworfen und das Schiff gleitet energetisch nur noch minimal abstrahlend an den in der 3D-Darstellung bunt wiedergegebenen Extrauniversal-Zonen entlang. Unheilvoll rot, blau und lila leuchtet es neben dem blauen Icon der Asia. Nur die wichtigsten Rechner auf der jetzt blinden und tauben Asia arbeiten noch. Auch die Auswurfvorrichtungen für die Stealth-Mienen, wie Brander in einem parallelen Gedankenbefehl klargemacht hat. Etwa eine Minute lang, die sich ins Unendliche zu dehnen scheint, lässt er die Asia blind und taub. Wieder ein Protest von Lieutenant-Commander Nilsson. Die schwedisch-stämmige Amerikanerin ist sehr wütend, wie man auch über die gedankliche Verbindung hören kann. Ihre Stellungnahme ist Brander nicht wirklich eine Entgegnung wert. „Ich stelle Ihre Kommandoführung in Frage!“, ertönt es da ernsthaft vom Kapitän. Coronelson, ein gedrungener Mann mit kurzem Haar, der sich im alterslosen, späten 22. Jahrhundert für das Erscheinungsbild eines End-Vierzigers erschienen hat, wirkt nicht minder wütend. „Im Logbuch vermerkt“, bestätigt der Zentralrechner. Brander sieht, dass es unzählige Kommunikationsanfragen des medizinischen Offiziers der Asia gibt, die jedoch alle unbeantwortet geblieben sind. „Wir müssen wissen wo der Feind ist!“, schreit Coronelson fast im Gedankenlink. Parallel dazu warnt der Bordrechner mit roten Bannern im VR-Raum vor Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten der Brückencrew. Und ruft gleich darauf einen generellen Gesundheitsalarm für das ganze Schiff aus. Die Psi-Strahlung, jene noch weitgehend unerforschte Kraft, beeinträchtigt die Crew überall in der Korvette. Wenigstens habe ich uns Zeit erkauft, um uns an den Uni-Pockets zu verstecken, denkt Brander. Sein persönlicher Schutzroboter, der auch in diesem Augenblick optisch getarnt in seiner unmittelbaren Nähe schwebt, warnt ihn durch in den Gedankenlink hineinprojizierte Warnfenster, dass das von ihm aufrecht erhaltende Anti-Psi-Feld nicht mehr als Abschirmung taugt. In der Tat fühlt der Admiral bereits einen ständig in seiner Intensivität zunehmenden, druckartigen Kopfschmerz. Er empfindet Scham, als ihm bewusst wird, dass andere auf dem Schiff, mit Ausnahme vielleicht des Kapitäns, einen solchen Schutz nicht haben. „Passiver Scan!“, kommandiert er schließlich. Nur der Rechner reagiert und bestätigt den passiven Sensorscan, der alsbald auch die vorher blinkenden Icons der Feindschiffe wieder neu plottet. Verblüffenderweise kommt vom Navigator, Fähnrich Larou, nur eine Art Grollen über den Gedankenlink der VR-Umgebung. Die bildliche Darstellung vom drahtigen Quebec-Kanadier wird durch ein bewegtes Avatar ersetzt, das wie ein Brummkreisel rotiert. Die Gesichtszüge Larous sind nicht zu erkennen. Die Brückencrew kann ihre Icons in der bildlichen Darstellung beeinflussen, allerdings ist so ein Unsinn natürlich keineswegs vorgesehen. „Larou, alles in Ordnung?“, bellt Captain Coronelson im Gedankenlink, nur um nach der klar artikulierten Frage in ein Jammern auszubrechen, das wegen des Überlappens mehrerer Worte nicht mehr klar zu verstehen ist. „Er bringt uns alle um“, sind Worte, die in einer Art Echo-Widergabe durch die virtuelle Umgebung hallen. Doch Brander zwingt sich, sich auf die Positionen der Luminosschiffe zu konzentrieren. Er sieht, dass die drei Großkampfschiffe in respektvollem Abstand zur Position der Asia bleiben, die sich wiederum für Sensoren praktisch unsichtbar an die grausam strahlenden Uni-Pockets geschmiegt hat. Die großen Luminosschiffe stehen nicht still, sondern ziehen langsam weiter, aber in einem Schlingerkurs, der Treffer erschweren soll. Eines der Schiffe zieht sich einen Torpedotreffer zu, wie anhand eines kurzen Schildflackerns sichtbar wird. Allerdings hat er keine großen Auswirkungen. Ob noch mehr folgen werden, ist für Brander derzeit recht unwichtig. Insbesondere, da die Tarntorpedos selbst für die Asia derzeit nicht zu erkennen sind. Die Großkampfschiffe feuern mit ihren Anti-Energie/Energie-Werfern, kurz AE-Werfer genannt. Auch die Asia verfügt über solche Waffen, bei denen etwas Antienergie unterlichtschnell eine abgefeuerte Energiesalve verfolgt. Mehr als einen Bruchteil der Lichtgeschwindigkeit schaffen solche Waffen nicht. Treffen sie jedoch, können sie ein gigantisches Zerstörungswerk auslösen. Die Luminos feuern willkürlich in die Nähe der Uni-Pockets und lösen dabei gefährliche Verwerfungen dieser aus, treffen die Asia aber derzeit nicht. Scannt nur schön weiter, denkt sich der Admiral. Denn die Feindschiffe setzen Aktivscans ein und sind durch die feinen Sensoren der Asia daher trotz der Störstrahlung des chaotischen Raums anmessbar. Die vier Jäger der Luminos halten sich in der Nähe der großen Schlachtschiffe. Brander schickt der taktischen Offizierin den Gedankenbefehl, Energie nur auf die Disruptorhauptwaffe zu geben und möglichst schnell eines der Schlachtschiffe anzuwählen und danach nach eigenem Ermessen weiterzufeuern. Doch er erhält keine Antwort. Das Icon der taktischen Offizierin der Asia wird durch ein rotweißes Symbol ersetzt und „dienstunfähig“ erscheint darunter als Text. Der Bordrechner meldet, dass zwölf Crewmitglieder dienstunfähig und verletzt sind, darunter auch der Bordarzt. Natürlich beziehen sich die Verletzungen auf die Beeinträchtigungen durch die Uni-Pocket-Abstrahlungen. Brander wendet sich direkt an den Zentralrechner und das nächste der feindlichen Schlachtschiffe wird angewählt. Klassisch durch eine rote, eckige Klammer im taktischen Display dargestellt. Sekunden später hat der Puffer der Disruptorkanone beidseitig genug Energie für eine Salve. Gedankenschnell feuern beide Geschütze, während sie gleichzeitig nachladen. Doch der Beschuss scheint keine Wirkung zu haben. Die chirurgisch sauberen Schusskanäle eines Disruptors können durchaus nur nicht vitale Systeme eines Feindschiffes treffen, wenn sie sich mit Überlichtgeschwindigkeit durch ein Feindschiff bohren. Dabei stellt der Disruptorstrahl eine Art Aufrippeln der Raumzeit dar, die Energie wie Materie in seinem Weg einfach zerfetzt, wie es Physiker für Laien umschreiben. Ob Wassertanks, Hangare oder Lagerhallen getroffen worden sind, ist für die Asia einfach nicht sichtbar. Wieder lässt Brander feuern und diesmal dauert es nur Sekunden, bis die passive Ortung die sich lichtschnell ausbreitenden Energiefluktuationen des getroffenen Großkampfschiffes anmessen können. Noch bevor es in einer Explosion aufgeht, können Asias Sensoren den überlichtschnellen Rippeleffekt der Explosion messen, die entsteht, als sich Energie und Antienergie im Maschinenkern des feindlichen Schiffes tödlich vereinigen. Und da sind es nur noch zwei. Und drei schwere Jäger.
Prompt kommen die Einschläge deutlich näher. Vermutlich ist es den beiden restlichen Schlachtschiffen gelungen, die ungefähre Position der Asia zu triangulieren. Brander, der das Schiff direkt über den Gedankenlink zum Zentralcomputer steuert, lässt die Korvette ihre Triebwerke hochfahren, um kurze Zeit später die Position zu ändern. Ein Treffer durch die Antienergie/Energie-Salven des Gegners würde die Asia vernichten und es ist jede Menge Zufall im Spiel, ob das geschieht oder nicht. Trotz der Trance in der virtuellen Umgebung merkt Brander, wie ihm der Schweiß ausbricht. Dass so viel Glück bei der Frage dabei ist, ob man überlebt oder nicht, ist eine sehr unangenehme Situation. Er dreht die Korvette, so dass die Front-Disruptoren auf ein weiteres Schlachtschiff zeigen. Da das Feindschiff weiter aktiv scannt, ist es leicht von der Asia anzumessen, auch wenn diese auf eigene Aktivscans verzichtet. „8 Lebenszeichen kritisch“, meldet der Zentralrechner, aber Brander ignoriert es. Schuldbewusst läuft er rot an, während er den Gedanken wegschiebt, dass diese Schlacht nicht ohne eigene Verluste abgehen wird. Er lässt die Korvette feuern. Er gibt fünf Salven aus den beiden Disruptorgeschützen ab, jedes Mal von mehrsekündigem Laden unterbrochen, bis ein weiteres Schlachtschiff explodiert. Doch jeder Triumpf, den er dabei empfindet, wird durch eine Meldung über die ersten zwei Todesfälle ins Gegenteil verkehrt. Die Strahlung fordert ihre Opfer. Die Luminos müssen uns nicht treffen, um uns zu töten.