Das Leuchten der Rentiere - Ann-Helén Laestadius - E-Book + Hörbuch

Das Leuchten der Rentiere Hörbuch

Ann-Helén Laestadius

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Beschreibung

Die unvergessliche Geschichte eines Sámi-Mädchens, das in einer im Verschwinden begriffenen Welt für seinen Platz im Leben kämpft. Ein Roman, so fesselnd und bezaubernd wie die schneebedeckte Weite, in der er spielt.  Die Sámi Elsa ist neun Jahre alt, als sie allein Zeugin des Mordes an ihrem Rentierkalb wird. Der Täter zwingt sie, zu schweigen. Sie kann nichts tun und fühlt sich doch schuldig, gegenüber ihrer Familie und allen, die ihr nah sind, denn wieder einmal sieht die Polizei keinerlei Anlass, in einem Verbrechen zu ermitteln. Elsas Rentier gilt schlicht als "gestohlen". Als die Bedrohung der Sámi und ihrer Herden dramatisch zunehmen und auch Elsa selbst ins Visier des Haupttäters gerät, findet sie endlich die Kraft, sich ihrer lange unterdrückten Schuld, Angst und Wut zu stellen. Aber wird sie etwas ausrichten können gegen die Gleichgültigkeit der Behörden und die Brutalität der Täter?   »Was immer Sie sonst noch im Leben vorhaben: Diesen Roman müssen Sie lesen!« Dagens Nyheter

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Zeit:11 Std. 6 min

Sprecher:Jana Marie Backhaus-Tors
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Ann-Helén Laestadius

Das Leuchten der Rentiere

Roman

Aus dem Schwedischen von Maike Barth und Dagmar Mißfeldt

Hoffmann und Campe

Teil 1Dálvi, Winter, 2008

1 – okta

Elsa drehte sich nicht um. Sie streckte den Rücken durch und konzentrierte sich darauf, ihren Rhythmus zu finden, musste aber doch nach unten auf die Skier linsen, damit sie in der Spur blieben. Eigentlich war es wohl schon etwas zu dunkel, um noch nach draußen zu gehen, aber sie freute sich so.

Ihre Wangen wurden im Fahrtwind steif, und aus dem Augenwinkel sah sie, dass ihr dunkles Haar, das unter der Mütze hervorlugte, silbergrau wurde. Auch die Wimpern nahmen eine andere Farbe an, und sie spürte die kalte Feuchtigkeit, wenn sie blinzelte. Es war, wie eine andere zu werden.

Den See überzog ein Geflecht aus Motorschlittenspuren, die nach Hause und von dort wegführten. Zu den Nachbarn und Cousins und Cousinen. Zum Rentiergehege. Sie fuhr auf der breitesten Schneemobilspur, hatte den Rhythmus gefunden, und die Skier zischten unter ihr. Sie war neun Jahre alt, war jetzt ein großes Mädchen, mit eigenen Skiern, nicht von Mattias übernommenen.

Sie hatte starke Arme, stieß sich kräftig ab und glitt weit. Sie wusste, dass das Haus hinter ihr bald nur noch als Punkt zu erkennen wäre. Der See ging in Wald über, aber da war nichts zu befürchten. Sie hatte nie Angst, weil sie genau wusste, wo sie war, und sie fand immer nach Hause. Obwohl sie den See normalerweise nicht verließ. Aber jetzt war sie ja schon groß.

Anfang Januar kehrte die Sonne zu ihnen zurück, doch kaum war sie aufgegangen, drehte sie schon wieder um und hinterließ einen rosa Schimmer. Heute verschluckten die Wolken das Licht schneller, als sie gedacht hatte, schwarz wurde es eine Zeit lang jedoch noch nicht. Sie würde es hinschaffen. Der Schnee drückte die Fichten und Birken nach unten. Es sah aus, als würden sich alle vor ihr verbeugen, sie zu Hause willkommen heißen. Kaum zu glauben, dass sie sie erkannten, trotz ihrer silbergrauen, vereisten Haare und den neuen Skiern.

Sie hörte die Rentiere und fuhr schneller, obwohl ihre Oberschenkel taub und müde waren. Ihr Atem ging rascher, und es stach im Hals. Sie durfte sich nicht die trockenen Lippen lecken, weil sie dann rot werden und aufreißen würden. Sie mochte den Geschmack von Blut nicht.

Niemand war jetzt da. Das wusste sie. Mama, Papa und Mattias waren zu Hause. Es war noch nicht Zeit, die Rentiere zu füttern. Aber sie wollte sie überraschen, die Pellets vorbereiten, die Säcke hinschleppen und vielleicht sogar reingehen und ein bisschen ausschütten. Sie wollte Rentierflechten in der Hand halten, damit sie kamen und sich um sie versammelten, überhaupt nicht ängstlich.

Als sie einen Motorschlitten anspringen hörte, bremste sie abrupt. Die Enttäuschung. Sie hatte es nicht geschafft, als Erste herzukommen. Der Motorschlitten stand im Leerlauf. Sie stieß sich fast lautlos mit den Stöcken ab, hielt sich an einem Kieferstamm fest und spähte vorsichtig nach vorn.

Da war er.

Seinen Namen sprach sie nie aus.

In seinem Mund, zwischen angespannten Lippen, steckte das weiche Flaumige. In seiner Hand ein blutverschmiertes Messer. Elsa umklammerte die Stäbe so fest, dass die kalten Fingerknöchel in den Fäustlingen schmerzten.

Er nahm das Stück Ohr aus dem Mund und steckte es in die Tasche seiner schmutzigen gelben Hose. In so eine, wie sie die Männer auf den Straßenbaustellen trugen. Die breiten Reflektoren leuchteten, als er an den Scheinwerfern des Schneemobils vorbeiging. Das tote Kalb lag am Zaun, auf der Außenseite. Er bückte sich – um es mitzunehmen? Ihr Ren. War es ihrs? Doch. Sie erkannte den weißen Fleck auf der Stirn, Nástegallu. Der Laut aus ihrem Hals verriet sie, und er hatte ihn gehört, ließ den Blick schweifen, schnell und erfahren, bis er sie fand. Erkannte er sie mit dem silbergrauen Haar vielleicht nicht?

Er sah aus, als würde er fluchen. Er stiefelte los, auf sie zu. Er schob die Zunge unter die Oberlippe, drückte sie auf den Snus.

Dann grinste er, zeigte auf sie, legte einen Zeigefinger, der sie zum Schweigen mahnte, auf die dünnen Lippen, und fuhr sich danach mit dem Finger über den Hals. Tod. Das bedeutete Tod, das wusste sie.

Er ging zum Schneemobil zurück, zog schwarze Handschuhe aus der Hosentasche und schwang ein Bein über den Sitz, ohne zu merken, dass er nicht nur die Handschuhe herausgezogen hatte. Das kleine Flaumige segelte leise in der Luft und landete im Schnee: Ein Ohr mit einem Renzeichen als Nachweis, dass das Kalb zu ihrer Herde gehörte.

Er beschleunigte und hinterließ den Gestank von Auspuffgasen, aber auch den von etwas anderem Unbestimmbaren, von dem Elsa die Nase rümpfen musste.

Sie fuhr mit weichen Knien auf den Skiern vorwärts, zerrte sich die Fäustlinge herunter, nahm das Ohr, wischte den Schnee ab und bekam Blut an die Handfläche. Das Ohr war nicht ganz, er hatte den äußeren Teil mit dem Renzeichen abgeschnitten.

Sie schielte zu dem toten Körper am Zaun, wollte nicht näher herangehen und sich vergewissern, dass da ihr Ren lag. Aber sie musste es tun.

Es war Nástegallu; obwohl sie keine Ohren mehr hatte, wusste Elsa es. Der weiße Fleck zwischen den Augen und die ungewöhnlich langen Beine. Blutstropfen hingen in dem weichen Fell. Ihr Ren, ohne sein Zeichen, das zeigte, wo es hingehörte. Sie konnte nicht weinen, nicht schreien. Doch in ihrem Kopf rauschte es beängstigend: der Gedanke, dass sie ihn eines Tages umbringen würde.

2 – Guokte

Mama und Papa flüsterten über ihrem Kopf. Sie war in eine Decke gewickelt und auf den Schneemobilschlitten gebettet worden. Die Skier lagen unter der Rentierhaut. Niemand schien auch nur entfernt daran zu denken, dass sie die ganze Strecke auf Skiern zum Zaun gelaufen war. Niemand verlor ein Wort darüber. Elsa schloss die Augen, und die Schneeflocken, die ihr Gesicht streiften, schmolzen schnell. Der silbrige Frost im Haar war verschwunden, und sie war wieder sie selbst.

Enná und Isa hatten sie bei ihrem Ren sitzend gefunden. Sie fragten, was passiert war, aber sie war stumm. Im Fäustling umschloss sie das kleine Ohrstück. Das Blut war geronnen, aber der Flaum war immer noch weich. Das zeigte sie den beiden nicht, auch nicht als sie aufgeregt darüber sprachen, dass »der Scheißkerl« die Ohren mitgenommen hatte, ein ganzes Ohr und die Hälfte vom anderen. Manchmal brauchte man das Ohrzeichen, um beweisen zu können, dass einem das Rentier gehörte, das angefahren oder von einem Raubtier gerissen worden war. Aber dieses Ohr würde niemand bekommen. Ihre Nástegallu war tot.

Mama setzte sich neben Elsa und drückte sie an sich. Sie weinte, Elsa wusste es. Enná weinte immer. Sie versuchte sich zu beherrschen, zu warten, bis sie zu Hause waren, damit sie sich ins Schlafzimmer einschließen konnte, wo es, wie sie glaubte, niemand hörte.

Papa und Mattias kümmerten sich um ihr Ren, behutsam. Es war schon lange dunkel, und Elsa konnte nicht alles sehen, was sie taten. Aber sie hörte ihr Gemurmel.

»Sie muss angekommen sein und sie überrascht haben, sonst hätten sie das Ren mitgenommen«, meinte Mattias.

»Nein, die wollten nur töten und es uns zeigen.«

Papa ging mit eingeschalteter Taschenlampe in den Schneemobilspuren. Elsa hätte ihm zeigen können, in welche Richtung er gefahren und welche Spur seine war, konnte aber ihre Hand nicht heben. Es war, als ob das Ohr sie festhielt und ihren Arm nach unten drückte. Sie hatte das Zeichen für Tod gesehen, und sie wusste, dass es ernst gemeint war.

Der Lichtkegel sprang über Schneewehen, sich biegende Bäume und Schneemobilspuren. Papa bückte sich und machte mit dem Handy ein Foto, machte mehrere. Sie hatten auch Aufnahmen vom Ren gemacht, bevor sie es wegbrachten. Sie hätten bestimmt die Polizei angerufen, aber jeder wusste, dass heute Abend niemand kommen würde.

»Wir müssen jetzt los, Nils Johan. Sie friert«, sagte Mama.

Elsa fror nicht, aber sie zitterte. Mama hielt sie fester und rubbelte ihren ganzen Körper mit entschlossener Hand. Es half nicht.

Papa beschleunigte so stark, dass sie auf dem Schlitten nach hinten gedrückt wurden. Mattias überholte sie auf seinem Schneescooter. Er fuhr über die Schneewehe, und der Motor röhrte im Wald. Elsa wusste, dass er wütend war. Dem Schneemobil konnte man immer anhören, ob Mattias wütend war. Bald waren die roten Rücklichter nur noch zwei Punkte in weiter Ferne auf dem See.

Sie tastete unter der Rentierhaut und fand die Skier, fühlte die glatte Oberfläche. Sie würde nie wieder auf Skiern zum Gehege fahren.

3 – Golbma

Mattias hatte den ganzen Abend über etwas in ihrem Zimmer zu erledigen. Sie guckte ihn an, den großen Bruder: Stuoraviellja. Sieben Jahre älter, kein Kind mehr, aber auch noch kein Erwachsener. Dazwischen, Gasku, wie Áhkku das immer nannte. Papas Mutter kannte Worte für alles, aber nur auf Samisch. Auf Schwedisch hatte sie kaum Worte, die ausreichten, meinte sie selbst. Doch sie musste, wenn sie Samisch sprach, hin und wieder auf ein schwedisches Wort zurückgreifen.

Die Erwachsenen behaupteten, Mattias sei wie Mama, er war lang wie sie, und sie sagten, er sei auch so groß, aber Elsa fand, dass er im Gesicht wie ein kleiner Junge aussah. Mama und Mattias hatten die gleiche dunkle Haarfarbe und gleiche Augen. Wobei Mattias’ Augen wachsamer waren. In Elsas Zimmer kramte er im Schrank in der Ecke, sagte aber nicht, wonach er suchte.

»Hast du ihn gesehen?«, fragte er, ohne sich umzudrehen. »War es Robert Isaksson?«

Sie lag unter der Decke, und in ihrer Hand war das Ohr. Sie durfte es nicht zu fest halten, sonst würde es verschwitzt werden und nicht mehr so lebendig und flaumig sein, wie es sollte. Aber sie traute sich nicht richtig, es loszulassen.

»Du musst reden, sonst denken sie, du bist verrückt geworden und musst ins Krankenhaus.«

Mattias trampelte herum wie ein unruhiges Rentier. Unter der Decke war es so heiß, dass sie schwitzte, weil Áhkku die Heizung im Zimmer aufgedreht hatte. Für sie war Hitze die Lösung für alles. Nicht unbedingt Nähe, denn ihr fiel es schwer, die Arme zu heben, wenn sie umarmt wurde. Es war unangenehm, jemanden zu umarmen, der die Umarmung nicht erwiderte, aber wenn Elsa die Arme um sie legte, konnte es vorkommen, dass sie sie ebenfalls umarmte. Und manchmal bewegten sich Áhkkus Finger schüchtern über Elsas Rücken.

Noch hatte niemand ein Wort darüber verloren, dass es Elsas Ren war, das sie selbst markiert hatte. Mit dem kleinen Messer, das immer an ihrem Gürtel steckte. Ihre Finger strichen über die Schnitte an dem Ohr. Sie konnte die Markierung zeichnen, sie schneiden und vor sich sehen. Die zu ihr gehörte, zu ihrer Familie gehörte. Sie glitt mit dem Zeigefinger über die kleine Schnittkante und erinnerte sich, wie schwierig es gewesen war, sie hinzukriegen. Die größere abgerundete Kante war einfacher gewesen, genauso wie der Schnitt, der die äußere Spitze des Ohrs knapp einen Zentimeter spaltete.

Sie wollte es Mattias wirklich erzählen, aber er würde dann etwas Dummes tun, das wusste sie. So war das immer, schon als er noch in die Schule gegangen war. Er verteidigte sich, aber das interessierte niemanden, er bekam trotzdem die Schuld. Áhkkus Meinung nach war Mattias wie Áddjá in dem Alter. Auch Opa hatte sich auf dem Schulhof geprügelt. Aber Mattias konnte einen erwachsenen Mann nicht besiegen. Und niemals ihn. Er war groß, größer als alle anderen, und er hatte breite Schultern und große Hände.

Mattias massierte sich mit den Fingerspitzen die Kopfhaut, tigerte hin und her.

»Du brauchst nur zu nicken, unna Oabba. Nicke, damit ich weiß, er war es.«

Elsa musste stocksteif liegen, um nicht zu nicken. Sie schloss zur Sicherheit die Augen. Aber das machte Mattias wütend, sie hörte sein Schnauben, und es war besser, wieder zu gucken.

Vielleicht konnte sie nicht sprechen, so fühlte es sich an, als ließen sich die Worte nicht mehr aussprechen. Das machte ihr Angst, es war wichtig, in der Schule sprechen zu können. Sie räusperte sich, versuchte es nur ein wenig, und Mattias sah sie scharf an. Sie wollte ihn nicht enttäuschen, wollte aber auch nicht, dass er starb.

»Warum bist du allein auf Skiern hingefahren?«, giftete er am Ende.

Da musste sie schwer schlucken und an etwas ganz anderes denken.

4 – Njeallje

Am Abend machte Papa die Tür zu ihrem Zimmer einen Spalt auf. Elsa schloss die Augen, atmete ruhig wie im Schlaf. Sie wusste, dass er es war, hatte seine Schritte erkannt. Jetzt zog er die Tür wieder zu, vorsichtig, aber sie knarrte trotzdem.

Als davor niemand mehr zu hören war, setzte sie sich im Bett auf, ließ ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnen. Das Nachthemd klebte ihr am Rücken, und sie zog es aus. Sie bekam Gänsehaut und glitt lautlos aus dem Bett, schlich zum Fenster, das zum See hinausging. Der Wind wehte heftig und heulte zwischen den Häusern, die um den See verstreut standen. Die Straßenlaterne am oberen Ende der Kuppe hatte Schluckauf. Das Licht flackerte. An der Straße vor ihrem Haus sollten nach Beschluss der Gemeinde keine Laternen mehr brennen. Das wäre zu teuer, hatte Elsa als einzige Erklärung gehört. Darum war es jetzt nur noch im stärker bebauten Teil des Dorfes hell. Bei ihnen, ganz am Ende des Sees, war die Laterne aus. Papa hatte stattdessen eine eigene Beleuchtung am Haus angebracht, die sich einschaltete, sobald jemand den Hof betrat. Elsa schlich ab und zu auf die Vortreppe, wenn ihr die Dunkelheit draußen zu unheimlich wurde. Der Scheinwerfer beleuchtete den ganzen Hof, und niemand konnte sich verstecken.

Das Haus war nicht groß, sie und Mattias hatten jeweils ein Zimmer und Mama und Papa ihr Schlafzimmer, obwohl Papa meistens im Wohnzimmer auf einer Matratze schlief, die er morgens zusammenrollte. Elsa konnte ihn dort schnarchen hören, und wenn sie nachts aufwachte und kein Schnarchen zu hören war, bekam sie Angst und musste aufstehen. Dann konnte Papa mit einer Tasse Kaffee in der Hand am Herd stehen. Obwohl es mitten in der Nacht war. Er war aschfahl im Gesicht, seine Bartstoppeln wurden langsam grau, er war insgesamt grauer geworden.

Áhkku und Áddjá wohnten im Haus nebenan. Wenn sie die Nase an ihr Fenster drückte, konnte sie ein Stück vom Haus der beiden sehen. Es war auch klein, und Áhkku hatte gesagt, dass es irgendwann in den Fünfzigerjahren vom Staat gebaut worden war, als Rentierhalter sesshafter gemacht werden sollten. Elsa wusste nicht, was »sesshaft« bedeutete; Áhkku spuckte das Wort immer aus, wenn sie es sagte. Obwohl solche Dinge selten für Elsas Ohren bestimmt waren, hörte sie es trotzdem.

Áddjá hatte das Haus in sonnigem Gelb neu gestrichen. Er wollte es ausbauen, aber die Typen in der Stadt, die über Häuser entschieden, lehnten das ab. Also baute er einen ebenso gelben Tischlerschuppen, in dem er oft schlief. Wenn Elsa es recht bedachte, gab es nicht viele Erwachsene, die gemeinsam in einem Raum schliefen. Aber die Väter waren auch viel mit den Rentieren unterwegs.

Zwischen den Häusern stand die Holzkote, in der sie Fleisch räucherten. Die Fleischstücke wurden in langen Reihen von Stahldraht unter dem Dach zum Trocknen in der Luft aufgehängt. Elsa lief das Wasser im Mund zusammen, als sie an Goike Biergu dachte. Auf dem familieneigenen Hof standen Quads, Anhänger, zwei Autos, zwei Schneescooter und unter der Plane beim Schuppen noch ein altes Schneemobil, das eigentlich verkauft werden sollte. Der nächste Nachbar gegenüber von Áhkku und Áddjá hatte sich darüber beschwert, dass es auf ihrem Hof »beschissen« aussähe. Elsa hatte gehört, dass sie »Hof der Lappen« gesagt hatten. Die Nachbarn mähten den Rasen gerne gleichmäßig und pflanzten Blumen. Sie liebten die Stille, und wenn Gabo bellte, waren sie noch saurer. Aber Hunde bellen, das wissen doch alle. Elsa wünschte, Gabo wäre jetzt in ihrem Zimmer, damit sie ihre Nase in ihr Fell stecken konnte. Sie hätte die Hündin mit zum Gehege nehmen sollen, hätte sie auf ihn loslassen können.

Gabo war eine Mischung aus verschiedenen Rassen, aber zum größten Teil war sie ein Aussie, der beste Rentierhütehund, den sie je gehabt hatten, sie konnte Gefahren schon aus mehreren Kilometern Entfernung riechen.

Elsa lehnte ihr Gesicht an die Fensterscheibe. Der Wind stieß immer wieder an die Hauswände. Vielleicht wollte er sie auch verschieben, sie und ihre Familie woandershin blasen.

Aus der Küche war Gemurmel zu hören, sie schlich zur Tür und legte ihr Ohr an die kühle weiße Fläche.

»Wir müssen uns heute Nacht am Gehege ablösen.« Papas Stimme war scharf. So klang er oft, wenn er telefonierte.

»Jetzt verweht jede Scheißspur und die Polizei hat keine Zeit zu kommen.« Er machte eine Pause. »Ich weiß, dass Sonntag ist, aber seit wann arbeitet die Polizei sonntags nicht mehr?«

Es wurde still, dann sprach er mit gedämpfter Stimme, und sie konnte nur einzelne Worte verstehen.

»Es war Elsas … gefunden … die Ohren waren weg … unter Schock.«

Ihre Wangen glühten. Zum ersten Mal sagte jemand, dass es ihr Ren war. Es schien, als hätten sie gehofft, dass sie nicht begriffen hatte, welches Rentier es war. Aber natürlich wusste sie es. Sie war neun Jahre alt. Sie erkannte ihr Ren.

Papa sagte seinen Namen, Robert Isaksson. Sie bekam eine Gänsehaut auf den Armen.

»Nein, Elsa hat ihn nicht gesehen.«

Sie warf sich unter die Bettdecke und drückte den rauen Bezug fest, der neu und ungemütlich war. Sie hatte nicht gelogen. Nichts sagen war nicht Lügen. Es war nur Nichts-Sagen.

5 – vihtta

In der Küche duftete es nach Kaffee und nassem Hund, Gabo war aber wieder nach draußen gelassen worden. Elsa verkniff sich ein Gähnen, als sie am Küchentisch Platz nahm, wo Papa und Mattias bereits saßen. Mama konnte sich wie üblich morgens nicht hinsetzen. Ihr fehlte die Ruhe zum Sitzen, auch wenn sie zu Abend essen wollten. Aber trotzdem nicht so schlimm wie bei Áhkku, die immer am Herd stand und eine Extraportion Suovas briet oder die Kartoffeln mit einer Nadel testete.

»Ich komme«, sagte Mama immer, wenn Elsa sie bat, sich hinzusetzen.

Aber sie kam nicht, und wenn sie sich dann endlich setzte, waren die anderen schon fertig.

Jetzt wühlte sie in den Gefrierfächern, um das Brot zu finden, das sie letzte Woche gebacken hatte. Auf dem Herd tutete der Wasserkessel bedrohlich vor sich hin. Papa stand schnell auf, mit einem Butterbrot im Mundwinkel, sodass die Käsescheibe fast auf den Boden gefallen wäre, und schob den Kessel beiseite. Mama warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. Sie konnte gut böse gucken. Eine Menge Blicke schossen an diesem Morgen über den Tisch. Papa schüttelte den Kopf, wusste bestimmt nicht, ob er etwas falsch gemacht hatte. Männer wussten das selten. Das sagte Áhkku oft zu Elsa. Áhkku war sogar noch besser darin, böse zu gucken. Sie machte alles ein Fünkchen besser als Mama. So war das einfach.

»Du musst mit zur Polizei kommen«, sagte Papa kurz angebunden.

Elsa stockte mit dem Milchglas am Mund und sah ihn an. Er hatte sich rasiert. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, und das Weiße in ihnen war rot, aber sein Kinn war glatt und glänzte fast.

»Warum?«

»Du musst sagen, wo du das Ren gefunden hast.«

Sie starrte ihn an.

»Ja, dein Ren«, stellte er klar. »Ich will nur, dass sie begreifen, was du durchgemacht hast. Vielleicht hast du auch jemanden gesehen? Hast du?«

Da ging ihm die Luft aus. Er brachte es nicht fertig, ihr in die Augen zu schauen.

»Dieses Mal haben sie nur getötet, um uns das Leben zur Hölle zu machen. Und die Polizei wird den Unterschied nicht kapieren. Sie denken, uns geht es ums Geld! Wenn sie überhaupt glauben, dass es unser Ren war.« Mattias’ Stimme zitterte. Nicht, weil er weinen wollte. Er war wütend, und Elsa traute sich nicht, ihn anzusehen.

»Hör auf!«, keifte Papa. »Nicht jetzt.« Er nickte leicht in Elsas Richtung.

»Aber ist doch wahr!« Mattias kippelte auf dem Kiefernstuhl und balancierte gleichzeitig das Saftglas in der Hand.

Mama stellte die Butter weg, den Käse wickelte sie in eine Plastiktüte und ließ den Käsehobel in die Spüle fallen. Sie räumte die Milchpackung und den Saftkarton ab, schob nachlässig die Krümel zusammen und holte Kaffeetassen für sich und Papa heraus.

Elsa trank die Milch unendlich langsam, während sie darüber nachdachte, wie ungesetzlich es genau war, einen Polizisten anzulügen. Gefängnisungesetzlich oder nur ein bisschen ungesetzlich? Mattias’ Meinung nach belog die Polizei sie alle ununterbrochen, aus welchem Grund sollte Elsa das nicht auch machen dürfen? Sie dachte ans Ohr, das sie vorläufig unter dem Bett, unter ihren Klamotten versteckt hatte. Sie hatte es eine Weile in der Hand gehalten, bevor sie eingeschlafen war, hatte sich aber nicht getraut, es im Bett zu lassen, weil Mama sie immer wecken musste.

Die Wanduhr tickte laut. Mama setzte sich endlich hin.

»Ich halte es für besser, wenn wir sagen, Mattias hat es gefunden. Sie ist zu klein.«

Mattias kam mit den Stuhlbeinen laut auf dem Boden auf und stellte das Saftglas mit einem Knall ab.

»Klar! Mache ich.«

Elsa blickte sehnsüchtig auf die große Straße. Wenn sie doch nur jetzt dort mit Anna-Stina stehen und auf den Bus warten könnte und nicht an die Polizei zu denken brauchte oder daran, dass sie verloren hatte, was ihr gehörte.

Mama rieb sich die Schläfen, und Elsa betrachtete die grauen Haarsträhnen, die sich zwischen die dunklen geschummelt hatten. Silbrige Streifen. Vielleicht war Mama auch dabei, eine andere zu werden, so wie Elsa im Wald. Denn sie erkannte sie eigentlich nicht mehr wieder. Sie weinte oft und schimpfte noch mehr, meistens mit Mattias, der den Kopf einzog und sich verdrückte.

Mama war Rivgu genannt worden. So nannten böse Zungen Frauen, die keine Saminnen waren. Mama war aus der Stadt. Marika aus der Stadt. Elsa glaubte nicht an das mit der Rivgu, denn Mama sprach doch Samisch, nähte Kolts, besaß eigene Kolts und war Rentierhalterin. Aber sie hatte gesagt, dass sie all das erst lernen musste, als Papa beschloss, dass er sie zur Frau haben wollte.

»Er war sich sicher, und du weißt ja, wenn Papa sich etwas in den Kopf gesetzt hat, kann ihn niemand davon abbringen.« Und dann lachte sie.

Jetzt war es schon lange her, dass sie Elsa daran erinnerte, wie Liebe entstehen konnte. Jetzt war meistens dicke Luft.

Es war nicht klar, ob es böse gemeint war, wenn man »Rivgu« sagte, man musste genau hinhören, in welchem Ton es ausgesprochen wurde. Es konnte sein, dass man damit nur zum Ausdruck bringen wollte, dass sie keine samischen Wurzeln hatte. Denn es war wichtig, zu wissen, wer mit wem verwandt war.

Als Mama und Papa heirateten und dann Mattias kam, wurde immer seltener von »Rivgu« gesprochen. Sie konnte auch anfangen, einen Kolt zu tragen. Áhkku hatte das erklärt. Elsa mochte das Wort Rivgu nicht. Und Mama hatte gesagt, dass die Leute keine Ahnung hatten, wovon sie redeten.

»Auch ich bin eine echte Samin«, hatte sie Elsa eines Abends ins Ohr geflüstert, als sie ihr noch Märchen vorlas.

Elsa, die nie etwas anderes geglaubt hatte, hatte die Mitteilung schweigend zur Kenntnis genommen. Und Mama hatte plötzlich ein entsetztes Gesicht gemacht. Als hätte sie ein Geheimnis ausgeplaudert.

»Du bist noch zu klein«, hatte sie gemurmelt.

»Wir sind gleich«, hatte Elsa entschlossen gesagt.

Mattias behauptete, es wäre unmöglich, sich an Erlebnisse von vor dem sechsten Lebensjahr zu erinnern, aber Elsa erinnerte sich.

Das mit der Rivgu hatte sie auch im Dorf gehört, als jemand Mama beiläufig erwähnte. Als sie nach Hause kam und danach fragte, hatte Mama über die alten Schachteln gelacht, die nur Klatsch und Tratsch verbreiteten. Das Lachen war nicht echt gewesen, denn Elsa wusste, wie es sich anhörte, wenn es aus dem Bauch nach oben sprudelte.

Etwa zur gleichen Zeit hatte sie begriffen, dass Áhkku und Áddjá und auch Mamas Eltern Namen hatten, und dass »Áhkku« Oma mütterlicher- und väterlicherseits und »Áddjá« auch Opa mütterlicher- und väterlicherseits bedeuten konnten.

Elsa konnte immer schon am besten Samisch, besser als Schwedisch, also fühlte sich ihre Zunge im Haus nebenan am wohlsten. Da fiel es leicht, zu reden und zu sagen, was man wollte. Bei Oma und Opa in der Stadt war das schwer. In der Schule gewöhnte sie sich ans Schwedische. Obwohl es eine samische Schule war, gab es immer noch Mitschüler, die am liebsten Schwedisch sprachen.

Sie konnte sich nicht mehr hinter Erinnerungen verstecken, als sich Papa neben ihr laut räusperte.

»Elsa kommt mit mir. Wenn wir jetzt anfangen zu lügen und das rauskommt, glaubt man uns nie wieder, und wir erleben keine Gerechtigkeit.« Er wartete Mamas Reaktion nicht ab, sondern stand schnell auf, um seine Kaffeetasse auszuspülen.

Mattias zuckte seufzend die Schultern. Mama starrte auf Papas Rücken, und Elsa spürte, dass ihr das Frühstück wieder hochkam. Sie schluckte und schluckte.

Papa ging zum Schlafzimmer, Mama stand ebenfalls auf und entfernte sich.

»Elsa! In deinem Zimmer riecht es schlecht. Hast du wieder halb aufgegessenes Obst oder ein nasses Handtuch in der Tasche vergessen, oder was ist das?« Mama kam mit einem Stirnrunzeln zurück.

Das Ohr! Danach roch es vermutlich. Sie selbst hatte nichts wahrgenommen.

»Ja, kann sein, das ich was vergessen habe. Ich gucke nach«, murmelte sie.

Mama ging weiter zum Schlafzimmer, und Elsa rannte in ihr Zimmer. Doch, vielleicht roch es ein wenig. Sie musste das Ohr in den Schuppen bringen, sobald sie von der Schule nach Hause kam. Dort würde es richtig trocknen. Sie leerte schnell ihre kleine grüne Schachtel mit der Halskette und legte stattdessen das Ohr hinein. Dann stellte sie die Schachtel mit zwei Büchern beschwert ins Bücherregal. Jetzt würde wohl kein Gestank nach außen dringen.

Sie ging zurück in die Küche. Aus Mamas und Papas Schlafzimmer war wütendes Gemurmel zu hören.

Sie lehnte sich über den Küchentisch, damit sie die Bushaltestelle sehen konnte. Das Halteschild war fast vollständig mit Schnee bedeckt. Der Schneepflug war am Morgen vorbeigefahren und hatte den Schnee zu Wällen aufgetürmt.

Anna-Stina stand allein da draußen. Nur zwei Mädchen aus dem Dorf gingen in die samische Schule: Anna-Stina und Elsa. Die anderen besuchten die schwedische Dorfschule, die neben der samischen Schule lag. Anna-Stina war zwei Jahre älter als Elsa und ging in die vierte Klasse, trotzdem verstanden sie sich gut. Dazu waren sie gewissermaßen gezwungen, weil es sonst niemanden gab.

Sie fasste einen Entschluss, lief in den Flur und zog ihre Jacke an, schob die Füße in die immer noch zu großen Stiefel, ohne sie zuzubinden, wickelte den Schal zweimal um den Hals, zog die rote Mütze in die Stirn, nahm die Handschuhe in die eine und die Schultasche in die andere Hand und war kurz darauf aus der Tür. Der Schnee auf der Treppe knirschte unter ihren Schuhen, und sie sprang über die letzte Stufe. Aus dem Wald war zu hören, dass sich der Bus näherte. Der Morgen war so still, dass ein Bus in einer Entfernung von mehreren Kilometern zu hören war. Auf den Wangen war der Frost beißend kalt, und ihre Lunge zog sich zusammen. Es konnten gut zwanzig Grad unter null sein. Sie lief zur Straße, und Anna-Stina winkte.

6 – Guhtta

Mattias startete den Phazer und zog den Halsschutz über die Nase. Die Mütze drückte er weit über Stirn und Ohren. Nur noch die Augen schauten heraus und tränten in der kalten Luft, bis er seine Schneemobilbrille aufsetzte. Die Jacke raschelte in der Kälte. All seine Bewegungen waren steif, und trotz der Kleidung war sein Körper kalt. Nicht so, dass er fror, aber kalt war ihm.

»Der Helm!«, rief Mama, als er zur Abfahrt bereit war.

»Ach was!«

Er drückte kräftig aufs Gas, und der röhrende Motor und die vibrierende Kraft unter ihm waren genau das, was er brauchte. Er fuhr wie ein Profi zwischen den Birken hindurch, zog den Kopf ein und legte sich in die Kurven, um sich nicht festzufahren.

Auf dem Fluss konnte er noch schneller heizen. Wäre er noch eine Sekunde länger zu Hause geblieben, hätte er etwas zertrümmert. Er hatte von allen so verdammt die Schnauze voll. Diese Scheißfeiglinge! Alle wussten, wer ihre Rentiere killte und klaute, rührten aber keinen Finger.

Er steuerte auf den Buckel zu, um das Schneemobil fliegen zu lassen. Zweihundert Kilo Maschine hoben ab, und der Sprung war der längste, den er je hingelegt hatte. Beim Landen wirbelte der Schnee um ihn auf, und er spannte jeden Muskel im Körper an, um die Kontrolle zu behalten. Sein weitester Sprung, und niemand hatte es gesehen.

»Scheiße!«

Das Gebrüll hallte in den Wäldern um ihn wider. Er gab mehr Gas, vor ihm lag eine lange Strecke aus Schneemobilspuren. Der Fluss schlängelte sich zwischen den Dörfern und verband sie. Im Sommer fuhr er immer mit dem Scooter auf dem Fluss. Selbst dann hatte er keinen besonders beschleunigten Puls, er wusste, was er tat. Er wusste, wie viel Gas man geben musste, um ihn über Wasser zu halten. Es gab nichts, was er nicht hinkriegte. Er fuhr seit dem fünften Lebensjahr Scooter, und je älter er geworden war, desto öfter schlich er sich allein nach draußen. Mama konnte stinksauer werden, aber Papa verstand es; ihm war es genauso gegangen. Er sagte ihr ruhig, dass Mattias fahren können musste. Sie nörgelte, dass es illegal war. Nicht einmal, als er fünfzehn und es legal wurde, hörte sie damit auf, genauso scheißsauer wie vorher, wenn er nach draußen ging.

Er näherte sich dem Nachbardorf und drosselte die Geschwindigkeit. Rauch kam aus den Schornsteinen, Hundegebell war zu hören, als er an einigen Häusern vorbeikam, aber sonst war es ohrenbetäubend still, wie es das immer war, wenn Schnee die Dörfer zugedeckt hatte.

Er hatte keinen echten Plan, wollte nur zu dem Haus fahren, nachsehen, wo der Scheißkerl mit den Rentieren abgeblieben war, die er getötet hatte. Doch immer bestand die Gefahr, dass er sich nicht würde beherrschen können. Er prügelte sich nicht unnötig, aber manchmal konnte er nicht anders. Dieses schwelende Gefühl hatte er auch jetzt im Bauch. Er müsste jemanden anrufen, sollte nicht allein hinfahren. Es war allgemein bekannt, dass Robert Isaksson verrückt war. Genau wie sein Vater, der ein Säufer war. Aber sie waren zu zweit, er war allein. Als sich die Idee festsetzte, zögerte er. Das ärgerte ihn noch mehr.

Der Phazer brummte im Leerlauf. Er schob den Halsschutz weg und beugte sich seitwärts, als er den Rotz aus der Nase spritzte.

Was brachte es, sein Haus zu sehen? Die Polizei würde sich auch diesmal einen Dreck darum kümmern.

»Scheiße!«

Er riss den Lenker mit einem Ruck nach rechts, machte sich auf den Heimweg, sah, wie der Tachometer in die Höhe schoss.

7 – Čieža

Der säuerliche Geruch in der Luft kam von den nassen Skihosen und verschwitzten Fleecepullis, die vor dem Klassenzimmer an den Haken hingen. Durch das Fenster waren vom Schulhof Stimmen, Lachen und Rufe zu hören. Auf Samisch und Schwedisch. Elsa zog sich langsam an, zerrte den kratzigen grauen Pullover über den Kopf, sodass die Haare wie ein schwebender, elektrischer Heiligenschein um ihr Gesicht abstanden. Der Pony klebte an ihrer Stirn.

Sie sah ihn da draußen. Markus, der mit ihm verwandt war. Montag war am schlimmsten, weil sie zur gleichen Zeit Pause hatten. Vielleicht wusste er, was sie gesehen hatte. Das Blut am Messer und das Ohr im Mund. Was machte man mit denen, die zu viel gesehen hatten? Sie hatte gelesen, was jemand auf Papas Facebook gepostet hatte: Nur ein toter Lappe ist ein guter Lappe. Danach las sie nichts mehr auf Papas Seite. Obwohl sie gern sehen wollte, wenn er schöne Bilder aus dem Rentierwald einstellte.

In der Küche lagen in der dritten Schublade neben der Spülmaschine Papiere von der Polizei, das hatte Mattias ihr gesagt. Dort war alles, was bei Notfällen unterschiedlichster Art gebraucht werden könnte: Heftpflaster, Klebeband, Scheren, Alvedon, Lupe, Angelköder, Schorfpflaster und Flaschenöffner. Man musste mit den rotgelben Angelködern aufpassen, damit man sich keinen Haken einfing. Elsa hatte gesehen, wie Papa Mama operiert hatte, als sie beim Angeln im Fluss mit dem Daumen an einem Köder hängen geblieben war. Der Trick beim Entfernen der Widerhaken war, dass man erst die Biegung des Hakens mit einer Kneifzange abknipste und ihn anschließend am geraden Teil, der im Finger steckte, herauszog.

Elsa hatte die Polizeipapiere nicht gesehen, dachte aber jetzt, dass sie vielleicht hineinschauen sollte. Einmal war ein Polizist zu ihnen nach Hause gekommen und hatte etwas in ein Notizbuch geschrieben. Es ging um einen Schlachtplatz, und das fand sie seltsam, weil gar keine Schlachtzeit war. Bei dieser Gelegenheit hörte sie den Namen, der immer wieder auftauchen sollte. Er war gefährlich, aber auf welche Weise, wurde ihr nicht erklärt. Jetzt wusste sie es. Robert Isaksson aus dem Nachbardorf war ein Rentiermörder.

Sie hatte Mama und Papa nach dem Polizisten in ihrer Küche gefragt, und beide hatten gelacht, leicht angestrengt, und geantwortet: Da war nichts, unna Oabba. Unna Oabba, kleine Schwester. Wenn man die Kleinste war, brauchte man nicht alles zu wissen. So einfach war das. Sie nannten sie selten Elsa, weder ihre Eltern noch Mattias. Sie war ihre unna Oabba.

Markus starrte zum Fenster, und Elsa rutschte auf der Bank schnell zur Seite. Ihr Herz klopfte wie wild. Er suchte nach ihr! Wenn Mattias doch nur noch zur Schule gehen würde. Er hätte sie beschützt. Sie wusste, dass Mattias und Markus sich voriges Jahr einmal geprügelt hatten. Markus hatte viele Freunde mitgebracht, und sie hatten Mattias getreten. Eine ganze Woche lang hatte er eine dicke Lippe gehabt. Papa hatte bei der Polizei Anzeige erstattet und in der Schule angerufen, bekam aber nur zu hören, dass doch jeder weiß, wie Jungs sind.

Mit zittrigen Fingern band sie sich die Schnürsenkel zu. Die Minuten tickten dahin, und bald war die Pause zu Ende. Vielleicht musste sie überhaupt nicht mehr nach draußen gehen.

Markus war inzwischen auf die Schneewehe vor dem Fenster gestiegen, und als er ans Fenster hauchte, bildete sich ein Nebel, der langsam verflog, und danach war er wieder sichtbar. Sein Blick war finster. Unterm Kinn hatte er ein Gewirr aus Pickeln. Er machte keine Drohgebärden, nein, er starrte sie nur an, bis sie nach unten auf ihre Schuhe schauen musste.

Ein Schneeball donnerte mit solcher Wucht an die Scheibe, dass es im Flur dröhnte und sie zusammenzuckte. Markus drehte sich lachend um und verschwand unterhalb der Schneewehe. Elsa kickte die Schuhe aus, zog die Beine auf die Bank und rollte sich zu einem kleinen Bündel zusammen. Sie schlang die Arme um die Schienbeine und drückte so fest, dass die Luft aus der Lunge gepresst wurde. Sie lehnte die Stirn an die harten Kniescheiben.

»Was machst du da?« Anna-Stina stand am Ende des Korridors.

»Mein Bauch tut weh.«

»Soll ich die Lehrerin holen?«

Elsa schüttelte den Kopf.

»Ist was passiert?«

Elsa sah ihr Ren vor sich. Sie bedauerte, dass sie das Ohr nicht in die Schule mitgenommen hatte. Sie hatte das Bedürfnis, das Flaumige in der Hand zu fühlen. Und auf einmal kamen die Tränen. Ihre Wangen wurden nass, ihr lief der Rotz, und es schmerzte weit unten im Hals, verkrampfte.

Anna-Stina machte zögernd ein paar Schritte auf sie zu. Elsa legte sich auf die Bank, als hätte sie zum Sitzen nicht mehr genug Kraft. Sie hatte Schweißperlen auf der Stirn, es war anstrengend, so viel zu weinen.

Eine Klassenzimmertür öffnete sich, und Marja kam heraus. Sie sank auf die Knie und strich Elsa eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

»Mii lea dáhpáhuvvan? Anna-Stina? Was ist passiert?«

»Weiß ich nicht. Ich bin gerade eben erst hergekommen.« Anna-Stinas Stimme war weinerlich.

Elsa war klein für ihr Alter. Marja hob sie ohne Probleme hoch und trug sie den Korridor entlang zum Lehrerzimmer. Elsa ließ die Arme fallen, als wäre alles Leben aus ihr gewichen. Marja roch leicht nach Zigarettenrauch. Elsa hatte immer den Verdacht gehabt, dass die Lehrerin im Klassenzimmer heimlich rauchte. In den Pausen lüftete sie andauernd mit weit aufgerissenen Fenstern, obwohl es draußen eiskalt war. Elsa fröstelte ständig, wenn sie sich dort auf ihren kalten Stuhl setzte.

Als Marja sie auf die rote Couch im Lehrerzimmer legte, huschten viele besorgte Gesichter vorbei. Sie hörte Stimmen, die Samisch und Schwedisch sprachen. Jemand sagte, man müsse ihre Eltern anrufen. Elsa schüttelte heftig den Kopf. Marja streichelte ihr übers Haar. Und dann musste sie den Tränen wieder freien Lauf lassen.

»Aber Liebes, meine Kleine, was ist denn passiert?«

Elsa hielt Marjas Nacken fest und zog sie näher zu sich. Sie flüsterte: »Mein Ren wurde getötet.«

»Wie denn? Wurde es überfahren?«

»Nein. Es wurde ermordet.« Als sie die Worte aussprach, kamen sie ihr so unglaublich vor und taten ihr leid, sodass sie sie am liebsten in den Mund zurückgesaugt hätte. Doch Marja riss schon die Augen auf, und es war zu spät.

»Ermordet?«

»Sag das nicht laut. Sag es niemandem!«

Marja wischte Elsa mit der Hand die nassen Wangen ab. Sie hatte auch Rentiere, sie verstand es. Nicht alle taten es, aber Marja schon.

»Ich weiß nicht, ob es getötet wurde. Aber es war voller Blut. Und tot.« Sie konnte der Lehrerein beim Lügen nicht in die Augen schauen.

Marja ballte eine Faust, entspannte sich aber schnell wieder und streichelte Elsa die Stirn.

»Du bist heiß. Du hättest heute zu Hause bleiben müssen.«

Elsa nickte, und plötzlich war sie so müde, dass sie die Augen schließen musste.

»Kann ich hierbleiben, bis der Bus kommt?«

Sie blinzelte und sah, dass Marja auf ihre Uhr schaute.

»Soll ich nicht lieber deine Eltern anrufen, damit sie dich abholen?«

Elsa schüttelte den Kopf, öffnete aber nicht die Augen.

»Na gut, dann ruh dich ein bisschen aus, ich hole dich später ab.«

Sie hielt Marja am Handgelenk fest.

»Sag nichts von meinem Rentier. Zu niemandem.«

Das Gemurmel im Lehrerzimmer war einschläfernd und betäubend. Elsa versuchte, wach zu bleiben, aber es war unmöglich. Es war, wie unter dem Küchentisch zu liegen, wenn die Erwachsenen sich unterhielten. Und das Sofa, das nach Staub roch, war so weich.

8 – Gávcci

Als Elsa aufwachte, saß Áhkku bei ihr. Die kleine, alte Frau war nicht einmal ein Schneidermaßband lang. Sie trug eine melierte Mütze auf dem Kopf, und der Reißverschluss ihrer blauen Steppjacke stand halb offen. Áhkku hatte einen Stuhl ans Sofa gezogen und baumelte mit den Beinen. Sie trug ihre besten Stiefel Nuvttahat, die sie selbst aus weißem Rentierfell genäht hatte. Sie sah nicht im Geringsten besorgt aus wie alle anderen Erwachsenen, wenn etwas nicht in Ordnung war.

»Was machst du hier?«, fragte Elsa.

Áhkku nickte nach hinten zu Marja, die an der Küchenarbeitsfläche stand und einen Teebeutel in ihren Becher tunkte.

»Sie hat angerufen.«

Elsa setzte sich aufrecht hin, steckte eine Haarsträhne in den Mund und sog daran. Anna-Stina fand es eklig, an Haaren zu lutschen, Elsa war aber oft in Gedanken versunken und tat es dann trotzdem.

»Was hat sie gesagt?«

»Dass du wohl Fieber hast.«

Áhkku beugte sich vor, fühlte Elsas Stirn und schüttelte den Kopf. Mama drückte dafür immer ihre Lippen sanft an Elsas Stirn.

»Wir fahren jetzt«, entschied Áhkku und schien es kaum erwarten zu können, wegzukommen.

»Marja hat mir erzählt, dass ihr beide hier auf meine Schule gegangen seid. Damals, als es noch eine Nomadenschule war.«

Elsa hätte wissen müssen, dass sie besser den Mund gehalten hätte. Áhkku wollte nicht über die Nomadenschule reden. Sie hielt es für unnötig, dass man über die Schulen, zu deren Besuch die Kinder der Rentierhalter gezwungen waren, Bücher schrieb oder gar sprach. Oft murmelte sie, dass nichts Gutes dabei herauskam, wenn man es wieder zur Sprache brachte.

Im Korridor atmete Áhkku schnell. Sie öffnete ihre Jacke und fächelte sich damit Luft zu.

»Na, beeil dich, hol deine Sachen.«

Elsa nahm Áhkkus Hand und zog an ihr. Ihre Knöchel fühlten sich wie das Schmirgelpapier an, das Áddjá in der Garage hatte.

»Willst du meine Zeichnung nicht sehen? Im Klassenzimmer.«

Elsa spähte den dunklen Korridor entlang. Markus könnte sich dort herumtreiben. Sie drückte auf den Lichtschalter, es knisterte und flackerte über ihnen, als die Neonröhren aufleuchteten. Áhkku stützte sich an der Wand ab. Auf ihrer Oberlippe hatten sich Schweißtröpfchen gebildet.

»Bitte«, sagte Elsa. »Sonst musst du sowieso hierbleiben. Du darfst mich nicht allein lassen.«

Áhkku stupste sie zwischen den Schulterblättern an und ging los. Elsa fand sofort den Schwung in ihren Beinen wieder.

Vor dem Klassenzimmer zog sie ihre Skihose und ihre Jacke an und lächelte Áhkku die ganze Zeit zu. Ihre Socken verrutschten an den Zehen, als sie ihre Füße in die Stiefel schob. Sie nahm wieder Áhkkus Hand und öffnete die Tür. Ganz hinten im Klassenzimmer hingen die Zeichnungen in einer Reihe. Elsa lief hin und zeigte auf ihre.

»Das bist du! Siehst du das?«

Aber Áhkku schaute nicht hin. Sie hatte ihren Blick fest auf den Boden geheftet und hielt sich mit einem krallenartigen Griff am Türrahmen fest.

Elsa verlor den Faden, stellte sich dennoch auf die Zehenspitzen und zog die Stecknadeln heraus, mit denen die Zeichnung befestigt war.

»Schau! Das bist du«, sagte sie und hielt ihr das Blatt unter die Nase.

Áhkku linste mit einem Auge hin und nickte. Vielleicht gefiel es ihr nicht, dass Elsa sie in dem schwarzen Kolt gemalt hatte. Sie hätte sich für den blauen entscheiden sollen. Sie ließ ihre Hand sinken und ging langsam zur Wand zurück. Die Zeichnung hing schief, als sie sie wieder festgesteckt hatte, aber was machte das nun schon.

Als sie nach draußen kam, schlug ihr die Kälte entgegen. In Elsas Nase wurde es rau, und sie musste husten. Áhkku hatte sich schon ins Auto gesetzt, und aus dem Auspuff quoll eine pilzförmige Wolke. Der Sitz war kalt, und an der Windschutzscheibe waren Eiskristalle. Áhkku schrubbte mit dem Eiskratzer auf der Innenseite der Windschutzscheibe herum und murmelte leise vor sich hin, während Eis auf ihre Beine und den Schalthebel rieselte. Sie stieg aus und kratzte genauso fest von außen an der Scheibe. Sie hievte sich über die Motorhaube, kam aber immer noch nicht bis zur Fenstermitte. Übrig blieb ein weißer Streifen aus Eis. Die Lüftung lief auf Hochtouren, was aber nichts brachte, denn die Luft war eisig kalt. Áhkku kratzte jetzt an der Heckscheibe, obwohl Áddjá es ihr verboten hatte. Als sie im Auto saß, schnallte sie sich nicht an und beschleunigte viel zu lange im ersten Gang. Áhkku konnte nicht übers Lenkrad gucken, sondern spähte wie eine Eule mit gesenktem Kopf hindurch.

Draußen war es stockdunkel wie in der Nacht, obwohl es noch nicht einmal Mittag war. Áhkku nahm ihre Mütze ab, und Elsa sah, dass ihre Haare ganz verschwitzt waren. Sie hatte ihren langen Zopf im Nacken zu einem Knoten aufgerollt.

Es stand nicht fest, ob Áhkku tatsächlich einen Führerschein besaß. Eines Tag fing sie einfach mit dem Fahren an, hatte Papa Elsa erzählt. Áhkku behauptete, sie habe vor langer Zeit einen Intensivkurs in der Stadt besucht, sei aber erst gefahren, als sie es für nötig hielt. Und das war der Fall, als sich Áddjá bei einem Unfall mit dem Schneemobil das Bein in dem Jahr brach, als Mattias geboren wurde. Niemand schien zu wissen, ob es stimmte. Papa sagte immer, das würde sich herausstellen, wenn sie bei einer Verkehrskontrolle angehalten würde. Bislang war das nicht passiert. Die Polizei kümmerte sich aber auch nicht sonderlich um die Dörfer, sodass es kein Wunder war.

»Dein Vater hat angerufen. Wir sollen auf die Polizeiwache.«

Áhkku hatte durch die Scheibe endlich volle Sicht und drückte härter aufs Gas. Schneebeladene Fichten und Birken verbeugten sich wie immer vor ihnen, aber bei dem Tempo war das kaum zu sehen. Der Schneepflug hatte die Straße so abrasiert, dass sie breiter aussah, als sie war. Ein paar Dezimeter zu weit abseits, und man landete im Graben. Aber Áhkku interessierte das nicht, sie fuhr mitten auf der Straße und zwang alle anderen zum Ausweichen.

Ein entgegenkommender Lkw schaltete das Fernlicht aus, aber Áhkku unterließ es, das Gleiche zu tun. »Wie soll ich denn sonst den Elch sehen?«, murmelte sie wie immer. »Es reicht doch, wenn einer von uns das Licht aus hat.« Der Lastwagen blinkte, um Áhkku daran zu erinnern, auf Abblendlicht umzuschalten. Als sie das nicht tat, schaltete auch er die Scheinwerfer an. Elsa kam es vor, als sähe sie den weißen Schimmer, der einen in den Himmel bringt. Der Laster hatte sowohl über als auch unter dem Fahrerhaus Scheinwerfer. Das Licht war grell wie ein Blitz, darum schlossen Elsa und Áhkku die Augen, als der Lkw an ihnen vorbeidonnerte.

»So ein Idiot!«, keifte Áhkku.

Als Elsa die Augen wieder öffnete, war sie noch einen Moment lang blind.

»Ich will nicht zur Polizei.«

»Du musst nur sagen, dass du das Ren gefunden hast und wo.«

»Sonst nichts?«

Áhkku warf ihr einen raschen Blick zu.

»War da sonst noch was?«

Elsa kräuselte die Lippen und biss auf die Innenseite.

»Hast du ihn gesehen?«

Áhkku hatte ein Auto fast eingeholt und schaltete das Fernlicht auch jetzt nicht aus. Der Fahrer neigte seinen Rückspiegel, und es sah aus, als fuchtelte er wütend.

»Hast du’s?«

Elsa zählte, wie viele Leute sie inzwischen belogen hatte. Und Áhkku war außerdem Christin, also konnte es besonders schlimm sein, sie zu belügen.

»Nein.«

Sie fuhren am Dorf vorbei, und Áhkku schaute mehr auf ihr Haus als auf die Straße.

»Áddjá hat auf dem Hof keinen Schnee geschippt.«

Elsa konnte es bei der Geschwindigkeit nicht sehen. Die Reisekrankheit machte sich bemerkbar, und sie suchte in ihrer Jackentasche nach einem salzigen Bonbon.

»Kann Papa nicht einfach sagen, dass ich das Ren gefunden habe? Mama meinte, wir sollten das so machen.«

Áhkku schnaubte.

»Ich habe ihm gesagt, dass es egal ist, wer von euch mit der Polizei spricht. Die interessiert das sowieso nicht.«

9 – ovcci

Das Polizeirevier, das sich im Stadtzentrum unterhalb des Dorfgemeinschaftshauses befand, war von Schneewällen gesäumt, und das Licht brannte im Parterre in drei Fenstern zur Straße. Áhkku parkte nachlässig schräg vor dem dreistöckigen roten Backsteingebäude. Papas Kia stand etwas weiter vorne, und er lehnte mit verschränkten Armen an der Beifahrertür. Die Fleecemütze hatte er tief in die Stirn gezogen, und sein Atem verwandelte sich in der kalten Luft in weißen Rauch. Die rasch gefallenen Temperaturen näherten sich dreißig Grad unter null. Es tat weh, kalte Luft einzuatmen, und Elsa zog den Schal über die Nase, bevor sie die Autotür öffnete. Áhkku schloss die Tür nicht ab. Sie schlug sie mit voller Wucht zu und umrundete die Vorderseite, bevor sie weiter auf Papa zustapfte, ohne auf Elsa zu warten, die hinterhertrödelte und Schnee vom Bürgersteig kickte.

Papa hielt die Tür zum Polizeirevier auf, Áhkku ging voraus und Elsa ganz langsam hinterher. Sie schaute stur auf den glänzenden schwarzen Steinboden. Mit etwas Glück würde sie mit irgendetwas zusammenstoßen, hinfallen, mit dem Kopf aufschlagen und ohnmächtig werden. Wenn sie richtig Glück hätte, würde sie ihr Gedächtnis verlieren und müsste nicht von ihm erzählen.

Papa stand vorn am Tresen, der ihm bis zur Brust reichte. Elsa beobachtete, wie er sich in seinen rauen Stiefeln auf Zehenspitzen stellte, um größer zu sein. Das tat sie auch, wenn der Sportlehrer in der Schule sie nach der Körpergröße in Teams einteilte.

Elsa war über den grauen Tresen überhaupt nicht zu sehen. Bestenfalls konnten die Polizisten ihre Mütze mit dem Rentiergeweih-Aufdruck sehen. Das Rentiergeweih wurde zu einem Reflektor, wenn man es anstrahlte.

Es summte wie im Gesundheitszentrum, wenn der verglaste Rezeptionsschalter geöffnet wurde. Papa stellte sich mit einer kräftigen Stimme vor, die sie nicht wiedererkannte.

»Haben Sie einen Termin vereinbart?«, fragte die Frau hinter dem Tresen.

Elsa gefiel ihr Ton nicht. So konnte es sich an gewissen Orten anhören, falls sie dort im Kolt ankamen. Aber jetzt trug niemand von ihnen einen Kolt, obwohl Papa natürlich den Ledergürtel umhatte. Er hing ein wenig schief um seine Hüfte und hatte runde weiße, gelbe und rote Ösen. Er kam direkt vom Gehege. Das Messer hing nicht an seinem Gürtel. Das nahm man heraus – wenn man nur tanken wollte, war klar, dass das Messer im Auto bleiben musste. Und zur Polizei ging man erst recht nicht mit einem Messer.

»Ich habe heute Morgen mit Martin Henriksson telefoniert und gesagt, dass ich Anzeige erstatten möchte.«

»In welcher Sache?«

Elsa wich ein wenig zurück, um die Frau zu sehen, die Papa sauer ansah. Sie hatte scharfe schwarze Linien um ihre Augen, dunkle Haare, die zu einem Dutt aus dem Gesicht gezogen waren.

»Ein totes Rentier in einem Gehege.«

»Name?«

»Nástegallu.«

Elsas Stimme war fest und deutlich. Papa, Áhkku und die Frau sahen sie an. Papa schloss kurz die Augen und atmete tief durch.

»Weißer Fleck auf Schwedisch«, erklärte Elsa.

Die Frau schnalzte mit der Zunge.

»Ihren Namen, meine ich.«

Papa antwortete mit weniger autoritärer Stimme, und die Frau klapperte auf der Tastatur vor sich.

Elsa senkte den Kopf und lehnte sich an den Tresen. Am liebsten hätte sie auf den Boden gespuckt.

»Ich bin mir nicht sicher, ob er Zeit hat. Sonst muss ich die Anzeige aufnehmen«, sagte die Frau.

Elsa schielte zu Papa hoch und schüttelte den Kopf. Sie würde nie wieder mit diesem Menschen sprechen.

»Wir brauchen einen guten Polizisten«, begann Papa.

»Ach was.«

In Elsas Ohren klang die Stimme wie Eis, wie Eisschollen, die sich im Frühjahr quietschend aneinander rieben, wenn die Schmelze eingesetzt hatte und die Strömungen den Fluss aufbrechen wollten.

»Ich meine damit nur, dass wir einen Polizisten brauchen, der es gewohnt ist, mit Kindern zu reden. Meine Tochter ist eine Zeugin.«

Elsa musste dringend pinkeln, so dringend, dass es keinen Aufschub duldete. Sie ging ein paar Schritte auf Áhkku zu und flüsterte ihr ins Ohr, dass sie aufs Klo musste.

»Wo ist die Toilette?«, fragte Áhkku laut.

Sie redete nicht gern Schwedisch, konnte weder die Betonung noch die Konsonanten richtig aussprechen. Áhkkus Meinung nach fehlte dem Schwedischen die Melodie des Herzens.

Die Frau seufzte und zeigte hinter den roten Stühlen den Korridor entlang. Elsa stolperte vorwärts, riss die Tür auf und hätte fast ihre Skihose nicht rechtzeitig hinunterziehen können, bevor es kam. Sie blieb lange sitzen. Sie wusch sich dreimal die Hände, schaute sich im Spiegel an, streckte die Zunge heraus und spuckte dann einen großen Rotzklumpen auf den Boden.

Als sie herauskam, hielt ihr ein Polizist die Tür zu einem langen Korridor auf. Papa war schon auf der anderen Seite der Schwelle, aber Áhkku wartete auf sie. Elsa sah zu dem Polizisten hoch, der mindestens zwei Meter groß war, und er streckte eine kühle, trockene Hand aus, die ihre dünnen Finger umschloss.

»Elsa, so heißt du doch, oder?«, fragte er und lächelte.

Sie machte große Augen. Der Polizist hatte eine Zahnspange. Er war wahrscheinlich so alt wie Papa und hatte eine Zahnspange. Wenn das Anna-Stina wüsste.

Von dem langen Korridor gingen geschlossene und offene Türen ab. Irgendwo war Musik zu hören. Elsa versuchte, in alle Büros zu linsen, staunte, dass es so viele Polizisten in der Stadt gab. Aber kein Wunder, dass sie keine Zeit hatten, ins Dorf zu kommen, wenn sie alle in ihren Büros auf ihren Computern herumtippen mussten.

Martin Henriksson hatte das allerletzte Zimmer in dem Korridor. Er saß hinter dem Schreibtisch, Papa gegenüber. Es gab nur zwei Stühle, also musste Elsa auf dem Schoß von Áhkku sitzen. Es war lange her, dass sie auf dem Schoß von jemandem gesessen hatte, und Áhkku spannte ihre Oberschenkelmuskeln an, als wolle sie Elsa abprallen lassen.

Henriksson war neu auf der Polizeiwache, wie sie erfuhren. Aus dem Grund war das Zimmer so kalt, das Bücherregal fast leer und die Fensterbank ohne Blumen. Er war nach einer Ausbildung im Süden und einer Tätigkeit in Stockholm wieder zurück in seine Heimat gezogen. Elsa wartete gespannt, die Zahnspange wiederzusehen, aber Henriksson öffnete seinen Mund beim Sprechen nur sehr wenig.

»So …«, sagte er und drückte eine Taste auf der Tastatur. »Anzeige erstatten, haben wir gesagt, oder?«

Papa nickte. Er hatte seine Fleecemütze abgenommen und die Jacke aufgemacht. Elsa hatte nicht vor, ihre Mütze abzusetzen. Sie war bereit, sie über die Augen zu ziehen, falls nötig. Áhkku erzählte immer von den Prüfungen Gottes und dass alles aus einem bestimmten Grund geschah. Elsa hatte vor langer Zeit beschlossen, dass es diesen Gott für sie nicht gab, und als Nástegallu starb, war sie davon vollkommen überzeugt. Sie wollte Áhkku laut anschreien und fragen, warum ausgerechnet ihr Ren getötet werden musste. Welchen Sinn es hatte, dass sie hier sitzen und von einem Polizisten verhört werden sollte. Und gezwungen wurde zu lügen. Es überkam sie wieder: Sie würde einen Polizisten und eine christliche Áhkku belügen. Papa konnte sie nicht einmal ansehen.

»Also, Elsa, du bist neun Jahre alt, habe ich gehört. Dann kannst du natürlich lesen und schreiben«, sagte Henriksson.

Sie schnaubte. Das hatte sie schon mit fünf Jahren gekonnt. Áhkku versteifte sich unter ihrem Po und kniff sie in den Rücken.

»Ja.«

»Was ist denn dein Lieblingsfach in der Schule?«

Elsa kräuselte die Lippen. Warum wollte er das wissen? Als sie keine Antwort gab, lächelte Henriksson, und sie starrte ihm in den Mund.

»Ich war der Beste in der Pause!«, sagte er gut gelaunt.

»Das ist kein Schulfach«, murmelte sie.

Er schloss den Mund, und sie sank zurück an Áhkku, die zusammenzuckte.

»Und du hast Rentiere. Ist das cool?«

Sie nickte, und Áhkku schien den Atem anzuhalten.

»Wenn ich es richtig verstanden habe, bist du am Sonntag auf Skiern zur Rentierweide gefahren. Das hast du gut gemacht! Denn es ist weit weg, oder?«

Elsa schaute auf ihre Hände. Die Skier standen zu Hause in der Garage, und sie hatte sie nicht mehr angerührt, wollte sie nicht einmal sehen, sehnte sich aber nach ihnen.

»Kannst du erzählen, wie dieser Nachmittag war, als du losgefahren bist. War es kalt? Hast du gefroren?«

Martin Henriksson lehnte sich auf seinem mit Leder bezogenen Bürostuhl zurück, dessen Rückenlehne ihm bis zum Kopf reichte. Die Muskeln unter seinem hellblauen Hemd spannten an den Oberarmen. Sein kurz geschnittenes Haar war dunkel, und Elsa fragte sich, ob es sich anfühlte, wie einen Igel zu streicheln, wenn man es berührte.

Jetzt hatte sie wieder zu viel nachgedacht und vergessen, was gesagt worden war. Zum Glück wiederholte Henriksson die Frage.

»Es war ziemlich kalt. Aber ich habe nicht gefroren. Ich habe geschwitzt.«

»Ja, so ist das, wenn man Ski fährt«, meinte Henriksson. »War da jemand, als du ankamst?«

Auf dem Korridor wurde gelacht. Und sie hatte gedacht, auf Polizeidienststellen würde es nur böse und streng zugehen.

»Sitzen hier Kinder im Gefängnis?«, fragte sie mit schwacher Stimme.

Ihre Fingerknöchel liefen weiß an, als sie die Armlehnen umklammerte. Ihre Nägel hinterließen Spuren im Holz. Sie musste schon wieder pinkeln.

»Nein, gar keine. Kinder können nicht ins Gefängnis kommen.«

Sie schluckte schwer. Dann war nur noch Gott übrig, der sie bestrafen konnte, wenn sie log. Und an Gott glaubte sie sowieso nicht.

»Da war niemand«, sagte sie völlig selbstsicher.

Papa und Henriksson sahen sich an, und Henriksson rieb sich das Kinn und nickte langsam.

»Okay. Aber was hast du gesehen, als du ankamst?«

Jetzt brauchte es keine Lüge mehr, war aber immer noch schwer zu erzählen.

»Mu miessi. Mein Kalb«, flüsterte sie schließlich.

Henriksson lehnte sich vor und stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch. Er kam ihr zu nahe, und sie drückte sich an Áhkku, die sich gegen die Rückenlehne ihres Stuhls drückte.

»Erzähl es mir.«

»Es war blutig. Tot.«

Ein Knie von Papa wippte auf und ab. Wenn er das zu Hause machte, wackelte immer die ganze Küchenbank.

»Bist du zu ihm hingegangen?«

Elsa nickte und sah Henriksson direkt an. Jetzt entsprach alles, was sie sagte, der Wahrheit.

»Und was hast du gesehen?«

»Es war getötet worden. Auf dem Fell war Blut. Es hatte erschrockene Augen, obwohl es ja nichts mehr sehen konnte.«

Papas Knie blieb abrupt stehen.

»Und dann warst du natürlich traurig«, sagte Henriksson und legte den Kopf schräg.

Sie nickte und konnte ihn nicht mehr ansehen.

»Wo lag dein Ren?«

»Auf dem Boden, am Zaun. Davor.«

»Nicht drinnen?«

»Nein, davor.«

»Jemand hat also das Rentier aus dem Gehege geholt, um es absichtlich zu töten«, sagte Papa und legte ihr eine schwere Hand auf die Schulter. »Elsa musste ihr Ren tot sehen.«

Henriksson schaute nicht überzeugt aus.

»Kann es sein, dass jemand den Zaun aus Versehen offen gelassen hat?«

»Auf keinen Fall«, antwortete Vater und ließ ihre Schulter los.

Henriksson richtete den Blick auf den Computerbildschirm.

»›Schnittwunde am Hals‹, steht hier. Von einem Messer, haben Sie angegeben. Aber könnte das Tier nicht zu nahe an einen scharfen Teil des Zauns geraten sein?«

»Ausgeschlossen«, antwortete Papa. »Und das erklärt nicht, wie es nach draußen gekommen ist. Und warum seine Ohren fehlen.« Papa lehnte sich zur Seite, um seine Hand in die Hose zu stecken und sein Mobiltelefon herauszuholen. Er blätterte durch seine Fotos und reichte Henriksson das Handy.

»Und wir haben frische Schneemobilspuren gefunden, wie schon gesagt.«

»Ja, da sind Schneemobilspuren, das sehe ich.«

Elsa hörte aufmerksam hin, weil Henriksson nicht mehr so wie vorher klang. Nicht so, wie als er sie nach der Schule fragte.

»Tja, wir haben Sie angerufen, aber es ist niemand gekommen.«

»Nach einem Verkehrsunfall gab es in der Stadt einen großen Einsatz. Außerdem war das Zulassungsdatum unserer Motorschlittenhelme abgelaufen.«

Papas Kiefer spannte sich unter der Haut, bevor er tief Luft holte.

»Sie können die Bilder haben. Wir wissen ganz sicher, dass es keine Spuren von einem unserer eigenen Schneescooter sind.«

»Aber es kann nicht so leicht sein, einfach ein Rentier im Gehege zu fangen. Sie sind doch scheu, zumindest habe ich es so in Erinnerung. Als Junge habe ich viel Zeit im Gehege verbracht. Mein bester Freund hatte Rentiere«, sagte Henriksson.

»Wenn man Futter in der Hand hat, kommen sie«, erklärte Papa mit schroffer und müder Stimme.

»Ist es sinnvoll, die Rentiere zu füttern? Ich habe gehört, davon wird das Fleisch schlechter.«

Papa reagierte nicht. Er nahm das Telefon wieder an sich und presste die Lippen zusammen.

Elsa spürte Áhkkus Herzschlag am Rücken. Schneller und immer schneller. Aber sie saß stocksteif da.

»Wenn Sie gestern mit uns auf Spurensuche gegangen wären, hätten Sie gesehen, in welche Richtung die Spuren führten«, sagte Papa.

Elsa fiel ein, wie Nástegallu immer ankam, wenn sie ihr Rentierflechte hinhielt. Dann durfte sie sie endlich streicheln.

»Unna Oabba, leat go sihkkar ahte it oaidnán ovttage?«, fragte Papa auf Samisch. »Bist du sicher, dass du niemanden gesehen hast?«

Sie schüttelte den Kopf, ohne aufzublicken.

»Mus lea gožžahoahppu«, flüsterte sie. »Ich muss pinkeln.«

»Was? Schon wieder?«

»Sie wissen, dass ich kein Samisch verstehe, oder?«, fragte Henriksson.

»Sie muss auf die Toilette«, sagte Papa.

»Gleich nebenan ist eine. Geh nur.«

Sie rutschte von Áhkkus Schoß, ging unsicher aus dem Zimmer und zur Toilette. Dort roch es schlecht, und sie musste die Luft anhalten. Papas Stimme dröhnte, und sie drückte ihr Ohr an die Wand, verstand aber trotzdem nichts. Sie spülte eine leere Toilette und wusch sich schnell die Hände. Als sie herauskam, war Áhkku bereits auf dem Weg in den Korridor. Papa stand steif neben Henriksson, sie redeten leise. Als sie sich die Hand gaben, sah es so aus, als versuchten sie, sich wie beim Armdrücken gegenseitig umzukippen. Papa faltete ein weißes DIN-A4-Blatt.

»Was ist das?«, fragte Elsa.

Henriksson streckte erneut seine große Hand aus.

»Du warst eine große Hilfe, Elsa. Vielleicht willst du später auch mal Polizistin werden. Wir brauchen mutige Mädchen, die sich trauen, sogar bei Dunkelheit Ski zu fahren.«

Sie rollte die Augen, obwohl man das nicht durfte. Sie versuchte, seine Hand so fest zu drücken, wie er vorhin Papas gedrückt hatte.

Henriksson schloss die Tür, und sie und Papa gingen nebeneinander.

»Was ist das für ein Zettel?«

»Das ist eine Kopie unserer Polizeianzeige. Ein weiterer Diebstahl.«

»Diebstahl? Es wurde doch getötet, nicht gestohlen. Muss da nicht ›getötet‹ oder ›ermordet‹ stehen?«

»Das ist schwer zu erklären.«

»Kriegt die Polizei den, der das getan hat?«

Sie erreichten die Glastür, wo Áhkku wartete.

»Nein, das wird wohl schwierig werden.«

Sie gingen an der Rezeption vorbei, und die Frau sah Elsa scharf an, die zurückstierte.

»Habt ihr angefangen zu streiten?«, fragte sie Papa, als sie vor der Polizeiwache waren.

»Nein, aber ich sehe das so wie du, dass es nicht um Diebstahl geht. Da hätte was anderes stehen müssen. Und sie hätten zum Gehege kommen müssen.« Er verstummte und entriegelte mit einem Klick die Autotür.

»Danke für den heutigen Tag, Enná. Bis bald.«

Áhkku nickte, blieb aber stehen. Elsa wollte sie umarmen, schmiegte sich aber nur ein wenig an ihren Oberarm. Áhkku lächelte.

»Das hast du gut gemacht. Nicht jeder kann mit der Polizei reden.«

Sie ging weg, bevor Elsa etwas sagen konnte. Papa öffnete die Autotür, und als er sie anschnallte, als wäre sie wieder klein, lehnte er seine Stirn an ihre.

Zum Glück ist es dunkel, schwarz wie in der Nacht, sodass Tränen nicht zu sehen sind, dachte Elsa. Und ein Glück, dass Kinder nicht ins Gefängnis kommen können. Das würde sie morgen Anna-Stina erzählen.

10 – Logi