Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Eine Legende stirbt - Philip kann sich dem Druck der auf ihm lastet, kaum noch stellen. Er trifft die Entscheidung aus dieser Welt zu entfliehen, und lässt Lumina, seine Freunde und seinen Feind hinter sich. Doch der Schwarze Magier wartet bereits auf ihn.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 543
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Für die Menschen, die mein Debüt gelesen und mir so ein unglaubliches Feedback gegeben haben. Ich hoffe, ihr wisst, dass es dieses Buch nur wegen euch gibt.
Kapitel 1: Vorbereitet
Kapitel 2: Ein Teil der Vergangenheit
Kapitel 3: Der erste Schachzug
Kapitel 4: Ein alter Freund
Kapitel 5: Ungeahnte Ereignisse
Kapitel 6: Der zweite Schachzug
Kapitel 7: Lüge und Wahrheit
Kapitel 8: Im Namen der Sicherheit
Kapitel 9: Der dritte Schachzug
Kapitel 10: Neue Mächte
Kapitel 11: Das Qi
Kapitel 12: Ein schweres Vermächtnis
Kapitel 13: Ein Freund an der Seite hält niemanden auf, etwas Dummes zu tun
Kapitel 14: Unermüdlicher Zorn
Kapitel 15: Freunde in der Not
Kapitel 16: Ein ehrenvoller Tod
Kapitel 17: Einer kehrt immer zurück
Kapitel 18: Nur vielleicht
Kapitel 19: Die einzige Lösung – oder?
Kapitel 20: Hexenmagie ist doch nicht so schlimm, was?!
Kapitel 21: Wäre es nicht besser, wenn ...?
Kapitel 22: Ein letzter Atemzug
Kapitel 23: Bizarre Fremde
Kapitel 24: Rauch, Feuer, kein einziger Kratzer
Kapitel 25: Wasser, überall Wasser
Kapitel 26: Mit mir stimmt etwas nicht!
Kapitel 27: Elefanten fürchten sich vor Mäusen
Kapitel 28: Offene Wunden
Kapitel 29: Zeit bleibt nicht stehen
Kapitel 30: Eine gänzlich andere Bedeutung
Kapitel 31: Thomas Stark
Kapitel 32: Damit hätten sie schon lange rechnen müssen
Kapitel 33: Die ultimative Geheimwaffe
Kapitel 34: Nur ein Hauch einer Chance
Kapitel 35: Einige Leute kann man eben einfach nicht leiden
Kapitel 36: Dem Ziel so nah
Kapitel 37: Ein Etwas im Nichts
Kapitel 38: Eomonia
Kapitel 39: Eine letzte Übereinkunft
Kapitel 40: Sieg bedeutet nicht gleich Sicherheit
Kapitel 41: Einer, der die Magier beherrscht
Kapitel 42: Wahre Macht
Kapitel 43: Meine Armee
Kapitel 44: Ein ernstzunehmender Gegner
Kapitel 45: Optimismus mit Füßen getreten
Kapitel 46: Stück für Stück
Kapitel 47: Eine Ansprache aus Überzeugung
Kapitel 48: Rache
Kapitel 49: Wer hat gesagt, dass Schwarz gleich Böse bedeutet?
Kapitel 50: Wenn ich gehe ...
Epilog
Adrenalin flutet meinen Körper, Schweißperlen tropfen mir von der Stirn. Ich schaue mich um. Er könnte überall sein und mich jeder Zeit zur Strecke bringen. Kampfbereit halte ich meine Hände auf Brusthöhe. Ich kann ihn im Dickicht des Waldes nirgends entdecken und irre ziellos weiter. Emanuel würde mich schelten, wenn er das hier sehen würde. Nein, mich anbrüllen, was ich für Blödsinn treibe. Hier geht es um Leben und Tod, und ich stelle mich wie eine Zielscheibe an, die nur darauf wartet, erledigt zu werden. Ich höre ein Rascheln. Es ist so nah, dass ich mich umdrehe. Da erkenne ich ein Leuchten, trete sofort die Flucht an, quer durch das Waldgebiet. Hinter einem großstämmigen Baum verstecke ich mich, um kurz durchzuatmen. Ich spitze die Ohren, um ihn zu orten. Es wird für meinen Geschmack etwas zu still. Wo sind bloß die ganzen Vögel hin?
Eine riesige Baumwurzel fährt aus dem Boden, umklammert meine Brust und meine Hände und trägt mich nach oben. Ich schreie auf und winde mich erfolglos im Gehölz. Die Wurzel hat mich im Griff. Es ist aus, diese Schlacht habe ich verloren. Die Wurzel stoppt, als ich hoch in der Baumkrone stecke und wie aus dem Nichts einen harten Schlag mit einem Stock auf dem Kopf bekomme.
»Dummkopf«, flucht William. Er hält einen Ast in der Hand und macht Anstalten, mich erneut zu schlagen. »Du servierst dich auf dem Silbertablett, wenn du planlos am Boden herumstürzt und deine Umgebung nicht beachtest. Du musst achtsamer werden, schneller reagieren. Deine Kräfte sind stark, nutze sie.« Es folgt ein weiterer Schlag gegen meine Stirn. Ich schüttle mich, würde den Schmerz gern wegreiben. Das Training wurde härter nach der Enthüllung, dass ich der Weiße Magier bin. Einen Sonderstatus bekam ich dadurch nicht und verändert hat es mich ebenso wenig. Was hätte ich anderes erwarten sollen? Schließlich habe ich den schwarzen Magier begnadigt. Dass er wieder angreifen wird, bliebt nur eine Frage der Zeit. Und das ist uns allen bewusst.
»Das Training zehrt an mir. Ich bin müde.« Durch meinen neuen Platz im Senat habe ich die Pflicht, andauernd anwesend zu sein. Das bedeutet, dass ich von Sonnenaufgang bis zum frühen Abend trainiere und nach Sonnenuntergang Rat mit dem Senat halte. Niemand zeigt dafür Verständnis. »Und wenn der Schwarze Magier dich tagelang pausenlos durch Wald und Wiesen jagt, hast du auch keine Zeit, um müde zu sein.«, schnauft William dazu. Wieso, um alles in der Welt, sind die meisten Magier Luminas so engstirnig und stur? Der Senat triezt mich, wo er kann. Jede Zusammenkunft wird genutzt, um mich mit Fragen zu löchern; was wir tun sollten, was ich machen werde, welche Pläne ich schmiede, um die dunklen Magier anzugreifen und den Schwarzen Magier, James, zu Fall zu bringen. Ich habe gar keine Zeit, mir den Kopf darüber zu zerbrechen. Er ist mächtig und wird seine Fähigkeiten revolutionieren. Die größte Sorge bereitet mir der Gedanke, dass er bereits einen Plan hat - im Gegensatz zu mir. Ich weiß, dass er nicht nur auf eine Revanche aus ist, sonst hätte er schon lange wieder zugeschlagen. Will zieht mir erneut mit dem Stock eins über.
»Hast du mir überhaupt zugehört?« Ich seufze und übernehme die Macht der Schlingpflanze. Ich lasse mich wieder zu Boden führen, öffne die Schlinge und versenke die Wurzeln im Boden.
»Es tut mir leid, ich gehe zurück.« William hetzt vom Baum hinab und will mich davon überzeugen, dass es nicht schlau ist, das Training abzubrechen, da wir nicht wissen, wann James wieder angreift. Doch ich höre nicht auf ihn, bis seine Stimme verklingt. Wenn der Tag kommt und der Schwarze Magier zurückkehrt, bin ich nicht darauf vorbereitet.
Emanuel sollte jeden Moment in der Türzarge stehen und mich rügen, weil ich der Senatssitzung nicht beiwohne. Ich werde stutzig, als er nicht auftaucht. Also klettere ich aus dem Bett und gehe zu meiner Tür, öffne diese einen Spalt, um zu lauschen, ob er schon zuhause ist. Ich höre seine Zimmertür leise ins Schloss fallen, gefolgt von einem eindeutigen Klacken. Ungewöhnlich, dass er abschließt. Ob sein Verhalten etwas mit der Sitzung zu tun hat? Jetzt ärgere ich mich darüber, hiergeblieben zu sein. Ob ich ihn nach seinem Befinden fragen sollte? Forschen, ob alles in Ordnung ist oder ob es Schwierigkeiten gibt? Seitdem er die Regel aufhob, dass ich mich in einigen Räumen dieses Hauses nicht bewegen darf, hat er mir Vertrauen entgegengebracht. Also respektiere ich seine Entscheidung, nicht gestört werden zu wollen. Draußen verschwindet die Sonne hinter dem Horizont. Ich schaue aus dem Fenster und beobachte die tieforangeglühende Scheibe, die in den Weiten der Wälder versinkt und einen dunkelgrau bewölken Himmel zurücklässt. Es wird bald regnen. Kurzerhand beschließe ich, dass ich eine kleine Runde spazieren gehe, bevor der Himmel aufgibt. Ich ziehe mir meinen schwarzen Mantel mit rotem Innenfutter an, den mir Emanuel hat maßschneidern lassen, und werfe mir die Kapuze über. Ich trete hinaus und ein frischer Luftzug füllt meine Kapuze mit dem Duft nach Regen. Ich schließe die Augen und nehme einen tiefen Atemzug, der meinen Körper mit einer gewissen friedvollen Stimmung erfüllt. Als ich die Lider wieder öffne, erkenne ich, dass Wachen ums Haus patrouillieren. Es kommt hin und wieder vor, dass die Wachen nach dem Rechten schauen, deshalb hinterfrage ich es nicht, bis ich die Stadttore erreiche. Ein Magier in graphitfarbenen Umhang und schweren, eisernen Accessoires versperrt mir den Weg. Diverse Wachen laufen Patrouille um die Grenzen der Stadt herum.
»Was ist los?«, erkundige ich mich bei ihm.
»Ihr solltet Euch nachts nicht mehr draußen aufhalten. Das ist gefährlich«, ermahnt er mich. »Frauen und Kinder dürfen nach Anbruch der Dunkelheit schon gar nicht mehr das Haus verlassen.«
»Wer hat das denn veranlasst?« Diese Regel ist mir neu. Normalerweise werden Entscheidungen im Senat erst gefällt, wenn alle Sieben anwesend sind, inklusive mir. Außerdem werden Sicherheitsmaßnahmen nie demokratisch entschieden, sondern nach der absoluten Mehrheit. Der Wachmann bedenkt mich mit einem Blick, als könnte er nicht begreifen, warum ausgerechnet ich ihn danach frage. »Heute Nachmittag gab es neue Sicherheitsanweisungen für die Stadt. Die Wachposten sollten verdoppelt werden, Frauen und Kinder dürfen das Haus nach Sonnenuntergang nicht mehr verlassen, mehr Sicherheit für die Sieben und Extraüberwachung der Anwesen der Senatsmitglieder.« Meine Kinnlade klappt herunter. Mehr Sicherheit für den Senat?! Ich fasse es nicht. Ausgerechnet die mächtigsten Magier Luminas brauchen Extraschutz? In meinem Beisein wäre diese Anweisung nie zustande gekommen. Außerdem war davon zuvor nie die Rede. Ich erahne, wer dahintersteckt, verstehe jedoch nicht, wieso da eine Einigung zustande kam.
»Sicherheit steht vor allem, das stimmt. Aber ich bitte dennoch inständig um Ausgang.« Um das Flehen authentisch wie nur möglich rüberzubringen, falte ich meine Hände zusammen. Die Wache seufzt auf, verharrt mit seinem Blick auf mir und nickt dann zur Seite. Ich habe keine andere Reaktion erwartet. »Ich danke Euch. Ich brauche nicht lange, keine Sorge.« Widerwillig lässt er mich passieren. Wäre ich nicht der Weiße Magier, würde er mich nicht rauslassen. Ich schreite durch das kniehohe Gras und vernehme von Weitem einen Donnerschlag. Ein Gewitter baut sich in der Ferne auf. Ich verharre für einen Moment.
»Die Luft ist schwer vor aufziehender Nässe.« Meinen Verfolger habe ich bereits an den Stadttoren mitbekommen und wundere mich, dass er sich erst jetzt bemerkbar macht. Er musste mit der Wache nicht einmal um seinen Freigang debattieren. »Ja, ganz Recht«, erwidere ich. Stark gesellt sich zu mir und wir setzen den Weg gemeinsam fort.
»Emanuel hat dich heute vermisst«, deutet er auf mein Fehlen im Senat hin. »Wo warst du?«
»Ich ...«, beginne ich die Lüge, die ich jedoch nicht auszusprechen gedenke. »Ich könnte dir nichts vormachen, daher formuliere ich es direkt.« Außer Hörweite fremder Ohren platzt es aus mir heraus. »Ich kann nicht mehr. Ich will keinen Krieg führen, noch weniger möchte ich über ihn entscheiden. Und trotzdem ist es unausweichlich. Ich frage mich, was soll dann passieren? Ich werde den Schwarzen Magier nicht liquidieren können. Das widerstrebt mir und widerspricht sich in meinem Inneren. Dem Grundsatz, dass Nacht und Tag zusammengehören. Außerdem... sind wir ehrlich. Ich bin schwach. Meine Magie ist gewaltig, ja, aber was nützt das, wenn ich nicht damit umgehen kann?« Stark erträgt mein Leiden schweigend und es dauert eine Weile, bis er dazu etwas sagt. »Der Eifer, deinem Schicksal gerecht zu werden, ehrt dich. Doch ein Krieger, der im Gefecht fällt, ist trotzdem tot.«
»Thomas, bitte keine Metaphern«, jammere ich und wir kehren vor dem Waldesrand um. »Philip, kein Magier trifft eine Entscheidung leichtfertig. Letztlich sind es die Konsequenzen, die jeder selbst zu tragen hat. Wenn ich mich dafür entscheide, mich hinter dem Weißen Magier zu verstecken, dann bist du nicht für mein Schicksal verantwortlich.« Seine Worte jagen mir einen Schauer über den Rücken. Obwohl er sich nicht direkt ausgedrückt hat, ist mir klar, was er mir sagen will. Und dennoch bereitet es mir Unbehagen, zu wissen, dass sich die Lichtmagier auf mich verlassen. Schweigend spazieren wir in die Stadt zurück. Unsere Wege trennen sich am Tor. Stark legt ermutigend eine Hand auf meine Schulter, bevor ich gehe. Als würde das was nützen ...
***
Schon früh verlasse ich das Haus. Der Morgen ist die einzige Tageszeit, zu der ich Edward treffen darf. Ich musste stundenlang mit den Senatsmitgliedern debattieren, dass er hierbleiben kann. Edward ist ein Mensch und hat in Lumina nichts zu suchen. Ihn wegzuschicken konnte ich nicht über mich bringen. Unter der Auflage, dass mein Training und der Senatssitz nicht darunter leiden, haben sie meine Bitte gewährt. So habe ich kaum Kontakt zu ihm. Zum Glück wird er herzlich umsorgt und kommt ohne mich zurecht, wächst und gedeiht prächtig. Sein Alterungsprozess ist normal geblieben, während meiner seit dem Anstoß scheinbar stillsteht. Dabei zeigt er mir immer wieder auf, wie lange wir schon hier sind. Nun lebt er unter den Fittichen einer Magierfrau, die sich mütterlich um ihn kümmert und ihm die Selbstverteidigung gegen magische Energie beibringt. Er wird auf Schnelligkeit und Ausweichmanöver trainiert, außerdem erlernt er nebenbei, wie er sich im Nahkampf wehren kann, ohne, dass ein magisches Wesen ihm Schaden zufügt. Doch sein Training gestaltet sich simpler als das Meine. Ducken und Ausweichen ist einfacher, als ein Mann gegen Mann Kampf. Außerdem erfahre ich von ihm, dass er sich in ein Magiermädchen seines Alters verguckt hat. Ich muss bei dem Gedanken seufzen, dass Edward eine solch angenehme Zeit hat, am liebsten würde ich mal mit ihm tauschen. Nur bei ihm habe ich das Gefühl, wieder in Solome zu sein. Zusammen in unserer Bruchhütte, wo die größte Sorge die war, zurück ins Waisenhaus zu müssen. Nur William hat einen Überblick darüber, wo ich mich zu welcher Zeit herumtreibe. Mein Freund und Mentor passt mich auf dem Weg zu Edward ab.
»Guten Morgen, heute ist ein wunderbarer Tag, um eine weitere Trainingseinheit zu absolvieren«, trällert er quietschvergnügt. Ich komme nicht umhin, mit den Augen zu rollen. Als bestünde mein Leben nur noch aus Wills Training. Wenn es nach ihm ginge, würde ich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang nur nach seiner Pfeife tanzen. »Für dich ist jeder Tag dafür bestens geeignet.« Mein Schnauben bringt ihn zum Lachen. »Ich verspreche dir, dass wir heute ein entspanntes Training absolvieren. Und glaub mir, dafür kommt dieses Wetter wie gerufen. Du sollst dich ja nicht erkälten.« Die Art und Weise, wie er seine Begeisterung herüber bringt, verstimmt mich. Als wäre jemals eine Trainingseinheit entspannt. Ich verabschiede mich von dem Gedanken, meinen Ziehbruder Hallo sagen zu können und werde von William mitgeschleift.
***
Die Morgensonne heizt mich auf, allein das Stehen treibt mir Schweißperlen auf die Stirn. Obwohl wir in einem kühlen Bachlauf meine Wassermagie trainieren und ich durch meine Tollpatschigkeit mit einer erfrischenden Abkühlung beschenkt werde, nimmt mich William extra hart ran und treibt mich ans Ende meiner Kräfte. Er versteht zwar nichts vom Wasser und wie viel Kraft es benötigt, diese Magie unter Kontrolle zu bringen. Dafür lehrt er mich Beinarbeit, einen sicheren Stand und Fokus.
»Ablenkung ist dein Tod«, pflegt er immer zu sagen. Damit hat er nicht ganz unrecht. Kein Feind wartet darauf, bis ich mich dem Kampf widme. Nicht mal Will, der im selben Atemzug eine Wurzelschlinge aus dem Boden auftauchen lässt, die meine Füße wegzieht. Sie zieht mich unter Wasser. Erst als mir die Luft knapp wird, begreife ich, dass ich mich wehren muss. Begreife, dass die Wassermagie in diesem Moment das Einzige ist, das mich rettet. Unter dem Wasserdruck presse ich meine offene Hand auf die Schlinge, die im Nu in tausend Fetzen zerschnitten wird. Um Luft ringend tauche ich aus dem Bach.
Klatschnass kehre ich nach Hause zurück. Ich bin mir dessen nicht sicher, ob mich William wahrhaftig umbringen oder wann er von mir ablassen würde. Es fällt mir weiterhin schwer, mich außerhalb brenzliger Situationen meiner Magie zu bedienen, doch Will lehrt mich, es wenigstens zu versuchen. Kleine Magiewirkungen gelingen mir, seitdem wir miteinander trainieren. Doch das ist noch nicht genug. James könnte jederzeit angreifen, das steht fest. Und dieses Mal bin ich unter Umständen nicht in der Lage, gegen ihn anzukommen.
Ich trete ins Anwesen ein und bemerke sogleich, dass Emanuels Schreibzimmer hell erleuchtet ist. Zwei fremde Stimmen dringen aus der angelehnten Tür heraus. Neugierig verhalte ich mich still und folge dem Gespräch.
»... und ihr seid euch dem sicher?«, ertönt Emanuels markantes Brummen.
»Ja, wir haben es mit eigenen Augen gesehen. Ich dachte mir, dass Ihr es zuerst wissen solltet«, erklärte ein junger Mann, dessen Stimme ich bisher noch nie vernommen hatte.
»Dabei bleibt es. Kein Wort davon zum Senat!« Seine Gäste geloben ihm, niemanden davon zu berichten, bevor sie sich ehrenhaft verabschieden. Leise verschwinde ich hinter der Tür, die bloß einen kleinen Augenblick später aufspringt. Ein Mann und eine Frau in enganliegenden braunen Gewändern treten heraus, beachten mich zum Glück nicht. Sie tragen die typische Kluft der Informationsbeschaffer, bepackt mit schweren Beuteln. Erst nachdem sie die Tür hinter sich schließen und Stille einkehrt, rüttelt mich die ernste Tonlage des zurückgebliebenen Magiers wach.
»Wie war das Training?«, ertönt Emanuels Stimme direkt in meinem Ohr. Ich zucke zusammen und richte meine Aufmerksamkeit auf den Mann im Türspalt der Zarge. Es überrascht mich nicht, dass er mich bemerkt hat. Gehorsam schiebe ich mich hinter der geöffneten Tür hervor und trete in den Raum ein. Emanuel setzt sich an seinem Schreibtisch und sortiert einen Stapel Briefe und Dokumente, die scheinbar auf ihre Abarbeitung warten. Trotzdem kann ich sein zerknirschtes Gesicht im Schein der Kerze ausmachen. Das bedeutet nur eines: »Ging es eben um James? Ist etwas passiert?«, will ich wissen, doch er schüttelt bloß den Kopf.
»Nein. Er hält sich erschreckend ruhig. Dass er uns noch nicht angegriffen hat, spricht dafür, dass er an einem Plan arbeitet.« Er dreht sich auf seinem Stuhl zu mir herum. »Um welche Information handelt es sich sonst, wenn sie dem Senat nicht zugeführt werden darf?« »Früher oder später werde ich mit dir darüber reden. Doch die Zeit ist noch nicht reif. Du hast genug zu tun, diese Information würde dich nur belasten.« Ein kleines Lächeln umspielt seine Lippen. Doch es erstirbt, als er meinen misstrauischen Blick betrachtet. »Mich belasten auch die Senatssitzungen und das Training, die den ganzen Tag einnehmen. Meint Ihr wirklich, dass eine Botschaft mich so umwerfen würde, dass ich mich dem nicht mehr widmen kann?«, zornig balle ich meine Hände zu Fäusten. »Es steht die Frage nach Krieg im Raum und von mir wird erwartet, das Problem zu lösen. Ich bin weiterhin nur Philip, ob nun Weißer Magier oder nicht. Vor kurzem war meine größte Sorge, dass ich etwas zu essen habe. Jetzt, wie ich gedenke, die Lichtmagier zu beschützen, ohne James zu töten. Eine Aufgabe, die mich überfordert, neben dem sowieso schon harten Training von William.« In Emanuels Augen spiegelt sich Bestürzung wider. Er sitzt eine Weile bloß da, sein Blick haftet auf mir, bis er sich räuspert und aufsteht. »Komm, ich werde dir jetzt etwas zeigen.« Er geht an mir vorbei, aus dem Schreibzimmer hinaus. Er passiert die Haustür, wartet gar nicht darauf, dass ich ihm folge. Ich eile ihm gehorsam nach, direkt in die Richtung des Senats. Sein Weg führt ihn in den großen Festsaal, den ich damals durch Zufall verdreckt vorgefunden hatte und welchen ich selbst putzen durfte, ganz zur Freude Starks. Wir erklimmen die Treppe und schieben uns mitten in den Raum.
»Tu mir den Gefallen und mach es ein bisschen heller hier drin«, weist er mich an. Daraufhin nicke ich und verschränke die Arme vor meinem Gesicht, die Hände bleiben dabei ausgestreckt. Meine Hände glühen rot auf, danach lasse ich meine Arme zur Seite schnellen. Das Glühen verteilt sich um uns herum und entzündet die Kerzenhalter an den Wänden, sodass der ganze Raum hell erleuchtet wird. Wenn sich alle Elemente nur so wirken lassen würden, wie das Feuer, wäre ich zufrieden. Emanuel bewegt sich kein Stück von der Stelle, steht dabei mit dem Rücken zu mir. Sein Kopf ist nach oben gebeugt, was mich dazu bringt, seinem Blick in die Höhe zu folgen. Er starrt zu dem Bild der sieben Urmagier. Er zückt seinen Stab unter seinen Mantel, die Ornamente leuchten auf und ein hellblauer Blitz schnellt zu dem Bild. In null Komma nichts weicht das Gemälde auf und Farbe tropft auf den Boden. Ich beobachte das Schauspiel geduldig. Emanuel setzt seine Macht immer gewissenhaft ein, er würde kein Bild grundlos zerstören. Nach einer gewissen Zeit erkenne ich, was er angestellt hat. Hinter den abgetropften Farben erscheint ein anderes Bild. Selbiges hing bei Elric im Wohnsaal, darauf zu sehen sind alle Mitglieder der Sieben, einschließlich Emanuel, Stark, Elric und Adams. Und ganz am äußeren linken Rand steht ein mir gänzlich unbekannter, achter Urmagier. Langes braunes Haar fällt ihm über die Schultern, dazu trägt er ein seinem Teint schmeichelndes grünes Gewand. »Es handelt sich dabei um ein Geheimnis der Lichtmagier. Nur die Urmagier wissen noch davon. Ich selbst hatte diese Zeit vergessen wollen und war beinah erfolgreich«, erklärt er mir. »Du hast mich wieder daran erinnert, Philip. Vor vielen Jahren weilte ein weiterer Magier unter den Urmagiern. Damals hatte jeder von uns eine Bestimmung, der er Folge leisten musste. Die meisten akzeptierten ihr Schicksal, andere wiederum nicht. Dennoch gab es kein Entrinnen dieser Bestimmung. Den Mann da«, er deutet auf den äußeren Rand, »den du dort siehst, nannte man Alexander Levié. Er war mächtig, besaß drei Grundelemente, mehr als jeder andere der Ur-Magier. Doch ihm wurde eine schwere Aufgabe auf die Schultern gelegt. Denn er wurde als derjenige auserkoren, der den Weißen Magier finden und zur Stadt bringen sollte. Mutig stand er seiner Aufgabe gegenüber und verließ unsere Stadt vor einer ganzen Ewigkeit.«
»Warum kam er nie zurück?« Gleich schießen mir Gedanken im Kopf herum, dass die Dunklen Magier ihn zuvorgekommen sind und daran hinderten, seine Suche fortzusetzen. »Du musst wissen, damals galt es, dem Weißen Magier den Garaus zu machen, damit er nicht in die Versuchung kommt, auf die dunkle Seite zu stoßen.« Ein mulmiges Gefühl macht sich in meiner Magengegend breit. Wann sie diesen Plan wohl niedergelegt hatten? »Als er loszog, war er noch fest davon überzeugt, seiner Bestimmung nachzugehen. Doch mit der Zeit kam das Bewusstsein, womöglich keinen Erfolg zu haben. So wollte er auf keinen Fall nach Lumina zurückkehren und begann damit, sich ein Leben unter dem Menschenvolk aufzubauen. Er verliebte sich in eine Sterbliche, kurze Zeit später erwarteten die beiden ein Kind. Die Frau brachte einen gesunden Jungen zur Welt, in dem magische Energie schlummerte. Die Aura, die der Junge versprühte, war kraftvoll. Ausgeprägte Kräfte, wie sie nur in dem Weißen Magier schlummern konnten.« Emanuel dreht sich zu mir um und schaut mir direkt in die Augen. »Um das Leben seines Sohnes zu schützen, versiegelte er diese Kräfte und setzte seine Suche nach dem Weißen Magier fort, die ab jetzt ohne Erfolg enden würde. Denn er ist der Vater des Weißen Magiers. Dein Vater.«
Ich verbringe die Nacht schlaflos vor dem Bild, starre den Mann an, der mein Vater sein soll. Dieser Mann hat mich nur deshalb verlassen, weil er mich beschützen wollte? Und wo ist meine Mutter? Woher weiß Emanuel das alles? Was hat das alles mit den beiden Kurieren zu tun, die in Emanuels Schreibzimmer standen?
Und das Allerwichtigste: Warum rückt er erst jetzt damit raus? Ich sehe zu ihm, er sitzt auf einem Stuhl neben mir und weicht mir nicht von der Seite. Er schweigt und lässt mir meinen Gedanken freien Lauf nehmen. Er wartet, dass ich ihm Fragen stelle, die er nicht zu beantworten gedenkt.
»Du siehst ihm in hohem Maße ähnlich.« Ich sehe zum Bild und fahre mir dabei durch die Haare, die seit meiner Verwandlung in den Weißen Magier ebenso silberweiß sind. »Nun ja, fast.« Er lächelt mir zu, doch wirkt bedrückt. »Ich war mir eine Weile unsicher, ob dem tatsächlich so ist. Meinen Recherchen zufolge besteht kein Zweifel, dass du Alexanders Sohn bist. Wenn alle Fakten nebeneinanderliegen, ergibt es die logischste Erklärung.«
»Unfassbar, dass der Weiße Magier ursprünglich beseitigt werden sollte ...«, ist alles, was ich zu diesem Thema zu sagen habe. Dieser Gedanke schwirrt unaufhaltsam in meinem Kopf herum.
»Glaub mir, keiner hätte ein Kleinkind hingerichtet«, versichert er mir. An seiner Aussage zweifelt er selbst, denn er zupft nervös an seinem Mantel herum und fährt mit dem Blick durch den Raum. Er denkt nicht mal daran, Augenkontakt mit mir einzugehen. Das macht mich stutzig. Und als das nervöse Herumzupfen schlimmer wird, kann ich nicht mehr innehalten. »Ein Kleinkind nicht, aber einen jungen Erwachsenen? Emanuel, Ihr solltet mir verraten, wann von der Idee abgelassen wurde, den Weißen Magier zu töten.« Er hat gehofft, dass ich diese Frage nicht stelle.
»Um ehrlich zu sagen ... Erst nachdem du hier warst«, gesteht er zögerlich. Ich gebe keinen Laut von mir, da er fortfährt. »Nachdem Alexander nie wieder hier aufgetaucht ist, beschloss der Senat, dass jemand anderes seine Aufgabe beenden muss. Die Wahl fiel auf mich. Eigentlich war es nur Zufall, dass ich dich fand. Und als ich mitbekam, wer du bist, war es schon zu spät. Glücklicherweise konnte ich damals den Senat davon überzeugen, dich am Leben zu lassen.« Eine angespannte Stille kehrt ein und Emanuel seufzt lautstark. »So, es ist gesagt. Ich erwarte, dass du jetzt zornig die Treppen hinunterstürzt und aus der Stadt rennst.« Gelassen sehe ich ihm in die Augen. In mir brodelt Wut. Jedoch habe ich kein Interesse daran, ihn mit meiner Flucht zu strafen. »Und dann? Emanuel, ich bin kein Kind mehr.« Was schlichtweg eine Lüge ist. Tief in mir drin bin ich nach wie vor sechzehn Jahre alt, auch wenn ich äußerlich nicht mehr so erscheine. Wie gern hätte ich ihm irgendwelche Parolen an den Kopf geworfen. Nicht nur, weil er mich ursprünglich töten sollte. Er hat mir die ganze Zeit verschwiegen, dass er weiß, wer mein Vater ist. »Aus welchem Grund habt Ihr mir das verschwiegen?«
»Hätte es etwas geändert? Alexander war wie vom Erdboden verschluckt. Bis jetzt.« Die Anspielung auf den Besuch der Informationsbeschaffer. Ich blicke ihn fordernd an. »Alexander treibt sich wieder in bekanntem Gebiet herum. Ich bin mir sicher, dass er dessen unterrichtet worden ist, dass du hier bist und deine Bestimmung gefunden hast.«
»Und er kommt nicht her, weil er Angst hat, bestraft zu werden?«, will ich von ihm wissen. Andererseits hat er möglicherweise Furcht, mir gegenüberzustehen.
»Ich gehe davon aus, dass dem so ist«, grübelt mein Gesprächspartner. Aber so beruhigt er mich nicht. Sein nachdenklicher Gesichtsausdruck bestätigt mein Bauchgefühl. Es gibt einen anderen Grund, warum er sich verborgen hält.
***
Gleißendes Sonnenlicht flutet den Raum. Ich stelle das erste Mal fest, wie todmüde ich bin. Emanuel steht vor mir und reicht mir die Hand.
»Ich regle diese Angelegenheit mit William, du gehst jetzt in dein Bett.« Zustimmend stehe ich mit seiner Hilfe auf und trete den Rückweg nach Hause an. Wir sind kaum durch die Tür getreten, da hören wir aufgewühlte Stimmen. Emanuel, der neben mir herläuft, schenkt mir einen vielsagenden Blick und bedeutet mir, mitzukommen. Ich folge ihm in die Richtung des aufgeregten Stimmenwirrwarrs, und erkenne weiße Kutten, die mir die Sicht auf den Brennpunkt versperren. Es ist seltsam, dass der Senat schon so früh morgens tagt, zumal ich kein Wissen davon hatte. Ein schneller Blick zu Emanuel bestätigt mir, dass es ihm ebenso ergeht. Meine Neugierde treibt mich durch die umstehenden Magier hindurch, direkt zu den Mitgliedern des Senats, welche mir augenblicklich Platz machen. Auf dem Boden liegt ein Mann auf dem Rücken in weißer Kutte. Seine Lippen sind kreidebleich, die Augen aufgerissen und blutunterlaufen, sein Brustkorb hebt und senkt sich nicht. Chadwick Adams liegt regungslos da. Keiner sagt ein Wort. Bestürzt knie ich mich neben den Körper und schaue mir die Senatstracht an. Sie ist ihm zu eng und zu lang, und ich kann mit Gewissheit sagen, dass Adams seine Kutte nicht mit zu James nahm. Mein Blick fliegt über das Gewand und entdeckt etwas Besorgniserregendes. Ich ziehe ein silberblondes Haar von ihr ab und halte es dicht vor mein Gesicht. Chadwick hat keine silbernen Haare. Aber es gibt einen Magier, der ebendiese Farbe trägt. Ein Blick nach oben in die Gesichter der mir Umstehenden genügt, um festzustellen, dass sich dieser Magier nicht unter uns befindet. Emanuel, der sich zwischenzeitlich neben mich kniet, fasst das Haar und schnippt nach oben. »Wo ist Thomas Stark?« Die Weißkutten sehen sich um, rufen nach ihm beim Namen, die anderen laufen los, um ihn zu suchen. Uns ist sofort klar, dass Stark nicht mehr in der Stadt ist.
Emanuel erbittet eine Notfall-Sitzung. Es dauert nicht lange, bis wir uns alle im Senat eingefunden haben. Die Medimagier haben sich sogleich um den Toten gekümmert und aus den Augen des Volkes geschafft. Die Kutte hat Emanuel an sich genommen. Er zittert vor Sorge um seinen Freund. Aber seine Stimme bleibt gefasst, als er das Wort ergreift. »Thomas ist ein zäher Magier. Dennoch vermute ich, dass er in die Hände der Dunklen Magier gefallen ist.« Obwohl er das Offensichtliche ausspricht, sehe ich in fassungslose Gesichter. Nur eines trägt einen finsteren Blick: Nicolas Law, der Bruder von Elric Law. Einer der strengsten Senatoren in diesem Raum und der frostigste Magier, den ich kenne, legt seine Stirn in Falten.
»Es ist doch hoffentlich keine Frage, dass wir ihn aus diesen Fängen befreien«, raunt er in meine Richtung. Auf seine Äußerung schweige ich, woraufhin er ungeduldig wird und sich an Emanuel wendet. »Ich überlasse dem Weißen Magier nicht die Entscheidung, Thomas retten oder sterben zu lassen.« Dass er mich nicht leiden kann, ist mir seit dem ersten Tag an klar geworden. Jeder Magier hat mich im Senat herzlich willkommen geheißen, nur Nicolas nicht. Er verschränkte nur die Arme und nahm einen Schritt Abstand und irgendwann ist er einfach gegangen. Seitdem muss ich mir ständig spitze Kommentare anhören. Und, obwohl er es nicht offen sagt, sämtliche Diskriminierungsattacken hinnehmen. »Er ist ein Kind und sich dem Ernst dieser Situation gar nicht bewusst«, droht er Emanuel und geht so nah an ihn heran, bis ihre Körper sich berühren, umso leise wie möglich zu sprechen. Emanuel legt seine Fingerspitzen auf Nicolas‘ Brust und schiebt ihn ein Stück von sich weg. Nicolas ist mir nicht wohlgesinnt, er würde mir keine Entscheidung überlassen, niemals. So langsam wird mir klar, wer die neuen Sicherheitsanweisungen veranlasst hat. Doch mein Mentor lässt es sich nicht nehmen, Nicolas zurechtzuweisen.
»Wir sind dazu angehalten, dem Weißen Magier Handlungsfreiheit einzuräumen. Überlassen wir ihm die Entscheidung.« Wütend schnaubt Nicolas, als hätte sich eben alles gegen ihn verschworen. Dabei habe ich nicht vor, Stark sich selbst zu überlassen.
»Ich glaube an Thomas Stark. Das sollten wir alle. Diese Leiche in Starks Kutte war keine freundliche Einladung, wenn Ihr das glaubt«, gebe ich schnippisch zurück. Ich begutachte ihn argwöhnisch, doch nicht eine Regung durchzuckt sein Gesicht. »Es handelt sich um eine Falle. Ich halte es für unklug, jetzt ins Territorium der Dunklen Magier einzufallen.« Mein Blick sucht die anderen Senatoren ab. Elric nickt zustimmend, der prinzipiell nicht auf der Seite seines jüngeren Bruders steht und mischt sich ins Gespräch ein.
»Zumal keiner von uns sicher sagen kann, dass er auch wirklich dort ist. Niemand weiß, wie die Kutte in fremde Hände gelang. Eine Wache hatte ihn zuletzt gestern Abend zu Gesicht bekommen. Da trug er sie nicht.« Elric bedenkt seinen Bruder mit einem Blick, der sich nur schwer deuten lässt. Nicolas‘ Wangen erröten empört.
»Bislang waren die dunklen Mächte friedlich, eine weitere Auseinandersetzung kann vermieden werden«, erkläre ich sachlich. Nicolas sieht ein, dass das Beste für die Lichtmagier Nichtstun ist, seufzt, und dreht sich zu mir um.
»Wir bleiben hier und drehen Däumchen?!«
»Geben wir ihm drei Tage, um wieder nach Hause zu kommen. Wo er auch immer sein mag. Dann entsenden wir eine Gruppe von drei Mann, die die Dunklen Magier ausspähen. Sollte er dort und in Gefahr sein, werden wir ihn befreien.« Ich atme erschöpft aus. Das bedeutet Krieg. Sogleich verschwindet die Wut in Nicolas‘ Augen. Er nickt einverstanden, die Übrigen tun ihm gleich. Die einstimmige Entscheidung der Anwesenden erteilt meinen Worten den Zuschlag.
Trotz dieses Triumphs lasse ich mich schweren Herzens auf meinen Stuhl fallen, Emanuel setzt sich kurz darauf neben mich. Er räuspert sich, nachdem er sich versicherte, dass unser Gespräch in der Geräuschkulisse untergeht.
»Krieg?« Er sieht mich an, bedenkt mich mit einem mitleidsvollen Blick.
»Ich hoffe es nicht. Mir fällt sicher eine andere Lösung ein. Ich bete dafür, dass Stark einfach nur lange spazieren geht.« Bleiben die Fragen offen, wer zum Teufel an Thomas‘ Kutte kam und wer Chadwick in Lumina abgelegt haben könnte. Weil Emanuel mich aufmuntern will, zerzaust er mir die weißen Haare.
»Du entscheidest klug. Thomas ist schon lange ein Freund von mir. Ich habe ihn kämpfen sehen. Ich bin mir sicher, dass er zurückkommen wird, bevor diese drei Tage verstrichen sind.« Beruhigend legt er seine Hand auf meine Schulter. Er schreckt auf, als ein Magier in einem hellgrünen Kasak die Tür aufstößt. Der Medimagier hastet eilig zu uns. Er ist jung und etwas verhalten. Es dauert eine Weile, bis er mit der Sprache herausrückt.
»Was ist?«, fährt es Nicolas über die Lippen, seine Tonlage bringt den armen Kerl zum Schlottern.
»Also ... nun ...« Er scheint seinen ganzen Mut zusammenzunehmen, wobei er mich an mich selbst erinnert. All die Augenpaare, die ungeduldig auf ihn hinabblicken, würden mir an seiner Stelle einen kalten Schauer über den Rücken laufen lassen. Der Medimagier räuspert sich, richtet den Rücken gerade und setzt einen ernsten Blick auf. »Der aufgefundene Magier wurde durch schwarze Macht hingerichtet. Wir konnten Rückstände dunkler Elementarmagie nachweisen. Der Bund der Medimagier überlässt dem ehrwürdigen Senat, den Befund zu beurteilen.« Der Junge deutet eine Verneigung an, aber hält inne, als Nicolas wutentbrannt vor ihn springt und mich kritisch beäugt. »Philip, wollt Ihr dieses Schicksal auch über Thomas Stark ergehen lassen?« Mein Gegenüber baut sich vor mir auf und schlägt mit der Faust auf das nächstgelegene Möbelstück. Unbeeindruckt verschränke ich die Arme. Als ich den Mund aufmache, hoffe ich, dass sich das Zittern in meiner Kehle nicht über meine Stimme legt.
»Unsere Entscheidung steht fest.« Schon schlägt er, direkt vor meiner Nase, mit der Faust auf den Tisch ein. Im selben Moment springt Emanuel von seinem Stuhl auf.
»Respekt ist eine Tugend, die Ihr wahren solltet«, ermahnt er Nicolas laut. Aufgrund dieser Worte tritt er vom Tisch weg, dreht sich um und stürmt erregt aus dem Saal. Emanuel fährt sich über den Bart. Mir ist bewusst, dass Nicolas mich nicht ausstehen kann. Aber diese Reaktion scheint doch etwas übertrieben, in Anbetracht der Sache. Während der Sitzungen wirken Stark und Nicolas sonst wie zwei Fremde. Auch, wenn sie beide einander respektieren und die Meinung des anderen schätzen, blieb nie der Eindruck übrig, dass dort noch mehr sei. Warum also so ein Aufstand? »Da ... da wäre noch eine Kleinigkeit, die ich übermitteln soll.« Emanuel setzt sich wieder und schaut den jungen Medimagier an, der sich kaum aufrecht halten kann. Das Schlottern seiner Knie ist kaum zu übersehen. »In seinem Körper gibt es keine Spuren magischer Energie. Er gleicht einem Menschen.« Dann bricht laute Entrüstung los.
Gemeinsam mit Emanuel verlasse ich das Gebäude, meine Gedanken sind momentan bei Stark und wie ich einen Krieg verhindern kann. Emanuel schwelgt selbst in Gedanken und seufzt unheimlich oft. Obwohl ich weiß, wie viel ihm an Stark liegt, komme ich nicht drumherum, ihn zu fragen, was ihn bedrückt. Anstatt mir zu antworten, schweigt er weiter, passiert die Stadttore und streift durch die Wiese. Ich habe das Gefühl, ihm Folge zu leisten. So tapse ich wie ein Hund hinter ihm her. Wir umrunden die Stadt, seine Augen fliegen prüfend in der Umgebung herum. Dabei flucht er leise vor sich hin. Es ist offensichtlich, was er tut.
»Emanuel, das macht doch keinen Sinn!«, rede ich auf ihn ein. Er sucht nach Hinweisen auf den Verbleib seines Freundes. »Erinnerst du dich, was der Medi vorhin gesagt hat?« Ich erinnere mich an jedes Wort. »Ein Magier stirbt nur durch eine fremde Hand. Dann kleben sich seine magischen Kräfte an ihn. Normalerweise verlassen sie den Körper nicht. Doch Adams trug keine mehr in sich. Zu welcher Schlussfolgerung kommst du?« Ich blicke zu Boden und denke nach. Das kann nur eins bedeuten.
»Ihr meint, er starb menschlich?« Er nickt. »Wie?«
»Das ist die Frage.« Wir schlagen eine zweite Runde um Lumina ein. »Es ist unwahrscheinlich, dass Thomas vor den Toren der Stadt entführt wurde. Normalerweise bleibt er immer innerhalb des schützenden Kreises, zwanzig Fuß des äußeren Stadtrings entfernt. Aber es gibt keinen Hinweis auf einen Kampf. Und Stark ist niemand, der ohne Nachricht fernbleibt. Ich bin ernsthaft besorgt.« Es bricht mir das Herz, Emanuel so zu sehen. Panik macht sich in jeder Faser seines Körpers breit. Der flehende Blick bringt mich dazu, ihm einen Vorschlag zu machen.
»Auch wenn die Sterne ungünstig stehen, lasst mich ein paar Magier schicken, die nach dem Rechten sehen. Sie bekommen sicher raus, ob Stark überhaupt bei James ist.« Ein kleiner Funke Hoffnung schwappt auf ihn über und er stimmt meinem Vorhaben zu. Unter der Bedingung, dass die Auserwählten nicht in Gefahr geraten. Doch ich bin nicht bereit zu versprechen, dies einzuhalten.
»Das ist zu riskant. Was glaubst du, wird passieren, wenn der Kerl uns entdeckt? Uns wird es genauso ergehen, wie Adams. Und wie es Thomas Stark ergehen wird. Tut mir leid, doch dieser Plan ist kopflos.« William tobt. Er erkennt die Dringlichkeit der Sache nicht. Ich bin nicht zu ihm gekommen, um mir einen Appell über Wagemut anzuhören. Ich möchte, dass er mich auf diese Mission begleitet – ohne Wenn und Aber. »Will, du musst! Niemand wäre besser dafür geeignet. Du bist mein Trainer, nur du hast die Fähigkeit dazu. Und du bist mein Freund, ich vertraue dir.« Für einen Moment lang hält er inne, doch dann schüttelt er wieder den Kopf. Er läuft in seinem Wohnzimmer auf und ab.
»Keine Chance!«, schmettert er mein Erbitten erneut ab. Schüchtern kommt eine zierliche, junge Frau um die Ecke und stellt sich neben William, der ihr einen kurzen Kuss auf die Stirn gibt. Sie ergreift seinen Arm und klammert sich an ihn. Ich ahne, woher die Sturheit rührt.
»Ich akzeptiere deine Beweggründe.« Damit deute ich auf die Bindung der beiden hin. »Aber momentan zählt die Sicherheit der Gemeinschaft und nicht die Bedürfnisse des Einzelnen. Bitte denk noch mal drüber nach, es wäre wirklich wichtig.« Er schnauft entrüstet, doch ich warte nicht auf die Retourkutsche, sondern gehe stattdessen hinaus. Erschöpft blicke ich zur Abendsonne, die hinter dem Stadtwall allmählich versinkt, und gähne. Die Müdigkeit liegt schwer auf mir, doch ich habe keine Zeit, um mich schlafen zu legen. Ich muss gehen, Starks Sicherheit Willen und um Emanuel zu beruhigen. Sollte ich auf James treffen, weiß ich nicht, ob ich dieses Mal wieder allein gegen ihn kämpfen und gewinnen kann.
Besorgt streife ich durch die Stadt, hin zu Emanuels Anwesen. Ich hoffe, ich bete, dass Stark unversehrt zurückkehrt. In meinem Kopf blitzen die Gedanken seiner ersten Gefangenschaft auf. Wie er in der Folterkammer ausharrte und auf seinen Tod wartete. Ich habe ihn nie gefragt, was James ihn angetan hat, bevor die Wirkung des Gifts einsetzte.
Ich betrete das Anwesen und gehe die Treppe nach oben. Die beiden Kuriere, die gestern hier waren, kommen mir entgegen. Sie neigen ihre Köpfe respektvoll, schweigen jedoch auf den Weg nach draußen. Emanuel ruft mich prompt zu sich. Ich bleibe respektvoll vor der Tür zum Schlafzimmer stehen, die nur ein spaltbreit geöffnet ist.
»Ich habe Neuigkeiten.«
»Ich habe gerade genug von Neuigkeiten«, winke ich ab und trete einen Schritt zurück. Beim Umkehren füge ich hinzu: »Morgen früh, bevor die Sonne aufgeht, werde ich mich auf den Weg machen.«
»Allein?« Er steckt den Kopf aus seinem Zimmer. Ich gehe weiter und verschwinde in meinen vier Wänden, das Schloss einrastend. Ich bin wütend auf William, dass er den Ernst der Lage nicht wahrnimmt. Enttäuscht von mir, dass ich keine andere Lösung finde. Und sogar sauer auf Stark. Wenn wir in den Krieg ziehen, wird es Tote geben, einschließlich mir. Der letzte Kampf mit James hat mich alles gekostet. Seitdem habe ich nicht das Gefühl, an Stärke gewonnen zu haben, trotz des vielen Trainings. Wohingegen ich mir sicher bin, dass sich James unermüdlich auf einen nächsten Kampf vorbereitet. Seine Macht und meine Magie trennen Welten. Und meine Angst vor ihm lässt mich nur zusätzlich schwächeln. Mit diesen Gedanken schlafe ich ein, mein Unterbewusstsein spielt dabei jede Möglichkeit durch, wie ich im Gefecht fallen könnte.
***
Ich packe einen Sack mit Reiseproviant zusammen, so knapp bemessen, dass ich mich motiviere, innerhalb drei Tagen wieder zurück zu sein. Es wäre mir nicht recht, wenn Emanuel einen Suchtrupp nach mir entsenden würde. Das Haus verlasse ich, bevor Emanuel wach ist. Eine Diskussion würde mich nicht davon abbringen. Außerdem befürchte ich, dass er mich begleiten würde. Aber er muss dringend hierbleiben, um den Senat im Zaum zu halten. Sonst entstehen weiterhin Regeln, die ich nicht befürworte. Draußen ist die Luft kühl, deshalb knöpfe ich mir meinen schwarzroten Mantel zu. Dabei schaue ich in den bewölkten Himmel. Wenn ich Pech habe, wird es auf dem Weg regnen. Um nicht aufzufallen, darf ich nicht zu viel meiner Magie benutzen. Übrig bleibt mir nur die dünne Kapuze aus Stoff.
Ich passiere das Tor, bloß eine Wache begrüßt mich leise. Er ist müde, die Ablöse wird sicher bald kommen. Kaum bin ich ein paar Schritte durch die von Tau benetzte Wiese gegangen, höre ich, wie jemand meinen Namen ruft.
»Warte bitte!« Ich bleibe stehen und drehe mich zu William, der auf mich zusprintet. Auch er trägt einen kleinen Beutel bei sich und hat sich einen Mantel übergeworfen, der aber nur halb angezogen über seinen Schultern flattert. Geduldig warte ich, bis er mich erreicht hat. »Ich kann dich nicht alleinlassen, du stirbst, ehe du dich versiehst.« Sein neckisches Lächeln erheitert meine Seele. Ich freue mich, dass er hier ist. Und gleich im nächsten Augenblick, bereue ich, dass ich sauer war.
»Ich dachte ...«
»Du hast mich im falschen Moment erwischt, ich hatte zuvor eine Auseinandersetzung mit meiner Liebsten. Ich weiß, dass du mich brauchst. Ohne mich würdest du da draußen umkommen«, erklärt er ernst. Auch wenn eine gewaltige Prise Wahrheit in seinen Worten liegt, übertönt er diese mit Humor. Dann legt er seine Hand auf mein Schulterblatt. »Wir sollten los, damit wir bald wieder da sind.« Gemeinsam mit William mache ich mich nun auf den Weg, direkt in den angrenzenden Wald hinein. »Weißt du eigentlich, wo genau wir hingehen?«, will er von mir wissen. Ich nicke, denn ich war schon mal vor Ort. In Nox, um genau zu sein, James‘ geheime Lagerstätte.
»Vermutlich sind wir bei Anbruch der Nacht dort. Ich schlage vor, ab Mittag wirken wir keinerlei Magie mehr, nicht, dass die Dunklen Magier auf uns aufmerksam werden.«
»Einverstanden.« Ab dann füllt Schweigen unseren Weg. Die Wolken brechen, als wir tief im Wald unterwegs sind. Die hohen Kronen der Laubbäume schützen uns nur bedingt vor dem hereinbrechenden Sturzregen und die Kälte klettert unsere Knochen hinauf. »Sollten wir nicht allmählich da sein?«, fragt Will, der sich die Augen reibt, als es zunehmend dunkel wird. »Wir sind ganz in der Nähe«, versichere ich ihm. Ich höre keine Stimmen, sehe kein Licht. Nur der Mond, der von oben auf uns herab leuchtet, erhellt die Umgebung. Ich trete aus dem Wald hinaus, direkt auf eine große Wiese, wo vorher eine Stadt voller Magier stand. Nun sind die Häuser alle leer, keine Seele ist zu sehen. Ich traue meinen Augen kaum und eile näher, um Gewissheit zu erlangen. Doch auch die große Halle, in der das sogenannte Konzil James‘ Ideen unterstützte, ist wie leergefegt. Selbst sein thronartiger Stuhl ist mit ihnen verschwunden. Langsam tritt William neben mich.
»Sie sind weg?«
»Ja, das sind sie«, bestätige ich. »Dem hohen Gras nach zu urteilen, schon lange.« Was für ein Schachzug der Dunklen Magier, ihren Standort zu ändern, damit wir sie nicht finden können. Und unter ihnen wohl auch Stark.
Bedrückt von der Situation, schlagen wir ein Nachtlager auf. Um auf unangenehme Besucher zu verzichten, nehmen wir Abstand von der Geisterstadt und machen unter dem freien Nachthimmel ein kleines Feuer. Dann legen wir uns hin, schweigend, weil keiner von uns beiden weiß, was er sagen soll. Ich weiß aber, dass wir beide dasselbe denken. Wenn wir ihren Standort nicht wissen, können wir Stark nicht retten, insofern er wirklich dort ist. Und noch weniger kann dann ein Krieg geführt werden. Zwanghaft denke ich darüber nach, was wir jetzt tun sollten. Obwohl mir die Lider schwer sind und mir die Augen beinah zufallen, komme ich nicht zur Ruhe. Auch Will ist putzmunter. Ich sehe ihn durch das kleine Feuer an, das ich mithilfe meiner Magie entfachte. Wozu jetzt noch verstecken? William ist der Erste, der sich zu Wort meldet.
»Was nun?« Er klingt so, wie ich mich fühle: Ernüchtert. »Wir gehen erstmal zurück. Etwas anderes bleibt uns nicht übrig. Schließlich könnten sie überall sein.« William seufzt. Vermutlich hat er gehofft, ich hätte einen anderen Plan.
»Und wenn wir sie aufspüren?«
»Die Lichtmagier würden nach uns suchen, wenn wir nicht zurückkommen«, wende ich ein, doch er kontert gleich.
»Sie sind sicher nicht weit weg. Adams muss irgendwie in die Stadt gekommen sein. Und ein Toter läuft für gewöhnlich nicht von allein in der Gegend herum. Außerdem glaube ich nicht, dass sie sich mit ihrer letzten Niederlage zufriedengeben und das auf sich beruhen lassen. Wir haben drei Tage.« Was er sagt, trägt viel Wahres in sich. Und James treibt gerne Spielchen. William liegt offenbar gar nicht so falsch.
»Also gut, dann machen wir uns gleich bei Tagesanbruch auf den Weg und suchen die Umgebung ab. Ich hoffe, du hast Recht.« Will lächelt und dreht sich dann auf die andere Seite, um zu schlafen. Nicht viel später schnarcht er laut. Wenigstens muss ich mir wegen der Tiere keine Sorgen machen. Hauptsache, er lockt mit diesen Tönen nichts Anderes an.
Es wird hell, der Rest Glut noch nicht erloschen. Ich schlage meine Augen auf. William schläft noch, daher nehme ich mir etwas von meinem Proviant und esse ein wenig Brot, bevor ich mir meinen Mantel überwerfe und Will wecke. Regen ist im Anmarsch, die dicken, schwarzen Wolken lassen den Sonnenaufgang nicht durch sich hindurch. Kühle Luft lässt mich erschaudern. Auch Will fröstelt es, woraufhin er schnell seinen Mantel anzieht und sich die Kapuze überzieht. Mit der Kapuze tief ins Gesicht gezogen, halte ich das anbahnende Gefühl von Tränen zurück. Ich bin nach wie vor enttäuscht und erschrocken darüber, dass wir die Dunklen Magier verloren haben. Warum ist das keinem aufgefallen? Wie, zum Teufel, konnten sie so schnell von hier wegkommen, ohne dass es jemandem auffiel? Ein Marsch von so vielen Personen hätte jemand bemerken müssen. Es sei denn, sie sind nie irgendwohin gelaufen. William setzt sich in Bewegung und ruft schon nach mir, weil ich mich kein Stück von der Stelle rühre. Augenblicklich folge ich ihm zurück in den Wald. Ein weiteres dumpfes Gefühl kommt in mir auf, es widerstrebt sich mir, weiterzugehen. »Ist es nicht gefährlich, bei einem aufziehenden Gewitter in einem Wald herumzulaufen?«, frage ich ihn, als es laut donnert. Will zuckt mit den Schultern.
»Warten dauert zu lange, es könnte jetzt ewig so trüb aussehen. Und am Ende ist es doch nur Donner.« Ich ignoriere mein Unbehagen, um uns nicht aufzuhalten. »Wir wollen vorankommen!«, erinnert er mich eindringlich daran, worum es hier geht. Wir laufen eine ganze Weile, der Regen hält sich in Grenzen. Aber der Donner wird lauter, der Himmel färbt sich schwärzer. Plötzlich ertönt über unseren Köpfen ein lauter Knall und nicht weit von uns entfernt schlägt sofort ein Blitz in einen Baum ein. Der Blitz hinterlässt nur einen glühenden Stumpf. Er hat den Baum pulverisiert. Noch ein lauter Knall. Ich zucke zusammen, als der nächste Blitz über uns hinweg in eine Baumkrone einschlägt. Der Baum spaltet sich in zwei Hälften und stürzt auf andere Kronen, die sofort aufflammen. Ich erstarre. Hier handelt es sich auf keinen Fall um einen normalen Wetterumschwung! Will zieht mich am Mantel. »Wir müssen von hier verschwinden!«, schreit er und zerrt mich mit sich mit. Ich setze meine Beine in Bewegung. Wir laufen um unser Leben. Ungeahnt fällt vor uns ein großer Baum um und landet direkt vor unseren Füßen. Vor Schreck falle ich rückwärts zu Boden. Will zieht mich sofort wieder auf die Beine, dann strecke ich die Hände aus, die sich in rotes Licht hüllen. Doch William ergreift mein Handgelenk und zieht mich weg. »Du schaffst das nicht allein!« Seine Hand fest um mein Handgelenk verkrampft, zieht er mich aus dem Wald. Vorbei an abstürzenden Ästen, glühenden Blättern und aufflammenden Büschen. Entkommen wir der Gefahr. Kaum sind wir raus, brechen die dunklen Wolken, und der ersehnte Regen zwängt das Feuer zischend und dampfend nieder. Wie gelähmt stehen wir vor dem Wald und sehen zu, wie das Feuer zurückgedrängt wird. Noch bevor sich mein Herz beruhigen kann, reiße ich mein Handgelenk an mich und wende mich an William. »War das eben dein Ernst?«, fahre ich meinen Freund an. »Ich kann keine Wassermagie wirken, aber das Feuer hätte ich locker unter Kontrolle gebracht. Warum denkst du, ich schaffe das nicht?«
»Das habe ich nicht gesagt. Es wäre nur zu viel für dich allein gewesen. Meine Magie hätte uns jetzt wenig genützt.«
»Aha, zu viel für mich«, erwidere ich scharf. Er zuckt mit den Schultern und begutachtet meinen eindringlichen Blick. Dass mein Lehrer nicht an mich und meine Fähigkeiten glaubt, enttäuscht mich. Aber verdenken kann ich es ihm auch nicht. Mein Training hat oft genug bewiesen, dass ich nicht jeder Hürde gewachsen bin. Es ist verständlich, dass er sein Leben nicht in meine Hände legen will.
»Du hättest dich unnötig in Gefahr begeben. Ich will ganz bestimmt nicht deinen leblosen Körper zurücktragen. Emanuel wird mich köpfen.« Er boxt mir sanft gegen die Schulter, als Zeichen seines guten Willens. »Außerdem bist du mir zu schwer.«
»Du bist auch nicht gerade ein Fliegengewicht.« Ich atme die Enttäuschung weg, vielleicht habe ich überreagiert. Er hat Recht. Ich sollte mich nicht immer auf die Macht meiner Magie verlassen. Vor einiger Zeit wäre ich schließlich auch lieber weggerannt.
»Jetzt komm, wir müssen den Weg zurückfinden. Ich habe absolut keine Ahnung, wo wir sind.« Ich sehe mich kurz um und versuche, mich zu orientieren. In dieser Gegend habe ich mich noch nie aufgehalten. Und das rettende Sternbild, dass uns zurückführt, wird erst in einigen Stunden auftauchen, wenn die Sonne untergeht. Wir laufen über die Wiese und werden klitschnass. Ich wünsche mir einen Unterschlupf, wenigstens einen großen Baum zum Unterstellen. Die Sachen kleben an mir, der Mantel wird triefendschwer. William schleppt sich unter der Last voran. Auf meine Frage hin, wo er hinwill, bekomme ich keine Antwort. Lediglich ein Schulterzucken deutet er an.
»Sag mal, wie lange ist es eigentlich her, als du das letzte Mal fern der Stadt und ihrer Umgebung warst?« Er wirkt nervös, und das nicht nur, weil er keine Ahnung hat, wo er sich befindet.
»Ist schon eine Weile her«, gibt er zu. Das überrascht mich ein wenig und gleichzeitig steigt die Besorgnis in meinem Magen empor. Ich hoffe nur, wir kommen sicher zurück nach Lumina.
***
»Lass uns hierbleiben, es hat keinen Sinn herumzuirren«, meine ich zu William, nachdem wir eine halbe Ewigkeit über eine Wiese gelaufen sind. Der Wald hinter uns ist noch immer zu sehen, so wie die aufsteigenden Rauchschwaden. Das dumpfe Gefühl in meiner Magengrube lässt nicht nach und etwas sagt mir, dass wir uns immer weiter von der Stadt entfernen. Will kommt meinem Vorschlag gelegen, denn er setzt sich mitten in seiner Bewegung ins Gras und lässt sich dann zurückfallen. Der Boden ist zwar nass, doch die Sonne verdrängt wenigstens die letzten schwarzen Regenwolken vom Horizont. Als ich mich auch auf den Boden setze, vernehme ich ein, nicht weit entferntes, plätscherndes Geräusch. »Wasser?«, frage ich leise zu mir selbst und drehe den Kopf in jede Richtung. Ich stehe wieder auf, um nachzusehen, wo das Geräusch herkommt. Vor uns erstreckt sich eine Barriere aus Laubbäumen, die mir die Sicht versperren. Vorsichtig passiere ich den schmalen Streifen, um auf die andere Seite zu gelangen. Als ich ankomme, reibe ich mir die Augen. Wie eine Sinnestäuschung ragt ein kleines, aus Holz erbautes Häuschen aus einem See heraus. Es steht auf Stelzen, die es über dem Wasser halten. Eine Holztreppe führt aus dem Wasser heraus, direkt an eine Tür. Gleich hier am Ufer liegt ein Boot an. Wem auch immer die Hütte gehört, es ist gerade nicht zuhause.
»Geh da lieber wieder weg«, ruft William von hinten. Ich drehe mich zu ihm und sehe ihn aus der Laubwaldschneise stürzen. »Deine Neugier wird dich irgendwann umbringen«, flucht er, während er auf mich zukommt. »Dieses Haus hat eine kräftige, magische Aura. Magier außerhalb Luminas sind nicht immer Freunde.« Ich spüre diese Aura auch, in meiner Magengrube hingegen entwickelt sich keinen Fluchtinstinkt. Trotzdem gebe ich der Bitte meines Begleiters nach, der den Rückweg durch die Schneise antreten will. Wir halten inne. Etwas in einem schwarzen Umhang versperrt uns den Weg. Ein Dunkler Magier! Die schwarze Gestalt baut sich vor uns auf und zückt kurzerhand ein Schwert aus der Scheide an seiner Kutte. Eine große, breite, scharfe Klinge ragt sich uns entgegen. William stößt mich mit seiner Hand leicht zurück und hinter sich. »Das haben wir gleich«, sagt er trocken. Ich packe ihn am Ärmel. Er will doch nicht ernsthaft gegen ihn kämpfen?
»Tu das nicht«, doch er reißt sich los und aus seinen Händen entflammt ein grünes Licht. Er stampft auf die Erde auf, aus seinem Fuß schimmert dasselbe Licht auf. Vor der Gestalt schießen zwei dicke Wurzeln aus dem Boden, ranken sich zu einem Baum zusammen und versperren ihm den Weg zu uns. Will tritt die Flucht an, zieht mich am Arm mit. Doch der Baum wird in ein orangenes Leuchten getaucht, bevor er in tausend Stücke explodiert. Splitter fliegen uns entgegen, von einem Faustgroßen werde ich zu Boden befördert. Die Spitze gräbt sich zwischen meinen Rippen ein und nagelt mich auf dem Erdboden fest. Ich stöhne vor Schmerz und greife nach dem Splitter, wenn man diesen als solchen bezeichnen kann. Die Schmerzen graben sich in mein Bewusstsein und mein Blick verschwimmt einen Moment. Ich blinzle, taste nach dem Stück Holz. Die Berührung bringt mich fast um, trotzdem schließe ich meine Finger um den Splitter. Mit einem Ruck ziehe ich das Holz heraus und raffe mich auf die Füße, die Hand fest auf die blutende Wunde gepresst. Als mein Blick sich wieder klärt, entdecke ich William, der sich seinem Feind stellt. Mit seinen Zeigefingern formt er ein X, hinter seinem Gegner erheben sich zwei Wurzeln. Doch anstatt das sie die gegnerischen Handgelenke packen, schlägt der Fremde sie geistesgegenwärtig nieder. Nichtsahnend rammt er sein Schwert in den Boden und ein orangener Strahl kommt über den Boden direkt auf William zu. Er zerschneidet einen großen Holzstamm, den Will als Schild erschaffen hatte, wie weichen Käse. Mit einem Sprung zur Seite kann er sich gerade noch rechtzeitig retten, bevor ihn die orangefarbene Klinge trifft. Ich muss William helfen! Hektisch eile ich zu ihm und halte ihm die Hand entgegen, um ihm aufzuhelfen. Er schlägt sie aus und brüllt mich an.
»Verschwinde! Du bist noch nicht bereit für sowas!« Vor der nächsten orangenen Klinge schützt uns nur seine Magie. Ich weiß selbst, dass ich noch viel zu lernen habe. Dennoch habe ich schon gegen James gekämpft und gesiegt, wieso lässt er mich nicht? »Los!«, schreit er mich an. Zögernd, ob ich auf ihn hören soll oder nicht, gehe ich ein paar Schritte zurück und entferne mich von diesem Szenario. Ich zucke zusammen und presse meine blutige Hand wieder auf meine Wunde. Kläglich muss ich dabei zusehen, wie William versucht, sein Gegenüber in die Knie zu zwingen. Seine Holzmagie kommt nicht gegen ihn an. Die Metallmagie unsers Gegenübers ist zu mächtig. Der Kampf ist nur von kurzer Dauer. Jeder Angriff durch Williams Holzmagie wird niedergeschmettert, bis er von den orangenen Klingen getroffen wird. Sie schneiden ihm mehrmals ins Fleisch. Will sinkt auf die Knie, seine Kraft ist am Ende. Mein Herz rast. Ich setze mich in Bewegung. Wie in Trance hechte ich auf meinen Freund zu und werfe mich schützend über ihn. Der Magier holt aus und droht die Klinge in unseren Körpern zu versenken. »Lass ihn bloß zufrieden«, raune ich ihm entgegen. Meine Stimme zittert. Ich blicke ihm mutig entgegen und halte Augenkontakt. Durch die Kapuze und einen Mundschutz aus schwarzem Stoff kann ich nur die braunen Augen deuten, die sich für einen Moment weiten, sich dann wieder in die mörderischen Schlitze zurückverwandeln, die sie vorher waren. »Dann verteidige ihn doch.« Er holt mit dem Schwert aus. Angsterfüllt lege ich die blutige Hand auf die Erde und das braune Schimmern meiner Erdmagie bringt den Untergrund zum Vibrieren. Kurzerhand gerät er aus dem Gleichgewicht und rudert mit den Armen. Dabei lässt er das Schwert los und es gräbt sich mit der Spitze voraus in den Matsch. Als er fällt, richte ich mich auf, erhebe den Arm und strecke die Hand aus, die blau aufleuchtet. Das Wasser, das sich im Gras gesammelt hat, legt sich wie eine Schlinge um seinen Hals. Die Erde windet sich um seine Füße. Er ist gefangen. Anstatt sich zu ergeben, schließt er die Augen. Sein Körper hüllt sich in ein lila Glimmen. Lila! Ich weiche einen Schritt zurück und beobachte ihn, ohne meine Macht abzulassen. Die Wasserfessel löst sich auf und er setzt sich auf. Dabei streckt seine Arme nach oben. Das Wasser wandelt sich in zahlreiche kleine Pfeile und gefriert in der Luft. Spitze Eiszapfen schweben in der Luft und bedrohen mich. Prompt feuert er sie auf mich los. Ich denke um und erschaffe einen rot schimmernden Schutzschild vor mir, der die Zapfen zum Schmelzen bringt, bevor sie auf mich niederprasseln. Die Eiszapfen landen mit einem Zischen am Boden und hinterlassen eine Pfütze. Ich löse meinen Hitzeschild auf und konzentriere mich auf die Erdmagie, die ihn nach wie vor am Boden fesseln sollte. Doch er hat sich bereits aufgerichtet. Schnell wie der Blitz rennt er zu seinem Schwert. Er umfasst den Griff und zieht es mit einer Bewegung aus dem Schlamm. Aber anstatt zu mir zurückzukehren, widmet er sich dem leblosen Körper meines Freundes. In meinem Kopf kribbelt es, er tut ihm Unrecht, William hat sich bloß verteidigt und mich beschützt. Wenn er ihm noch ein einziges weiteres Haar krümmt, explodiert mein Inneres. Mein Gegner hebt das Schwert an, hält mit der Spitze über Wills Körper inne. Ein lauter Schrei dringt aus meiner Kehle, mein Körper strahlt in einem satten weißen Licht. Die Aufmerksamkeit des Magiers richtet sich wieder mir zu. Übermannt taumelt er einige Schritte zurück, fällt auf die Knie und legt das Schwert vor sich ab. Er legt die Hände auf seine Schenkel und rührt sich nicht mehr. Erst, als ich mir wirklich sicher bin, dass die Gefahr gebannt ist, komme ich wieder zur Ruhe und zur Besinnung, dann nimmt erst das Leuchten um mich herum ab. Mein Gegner sitzt weiterhin reglos da, überwältigt von dem Bild, das ich ihm geboten hatte. Ich habe ihm gezeigt, dass ich der Weiße Magier bin. Und ich bin mir nicht sicher, ob das eine gute Entscheidung war.
»Philip«, ächzt er. Ich spüre, wie mir sämtliche Farbe aus dem Gesicht weicht. Woher kennt der Fremde meinen Namen? Unwahrscheinlich, dass sich die Nachricht des Weißen Magiers so schnell verbreitet hat. Der Mann schlägt seine Kapuze zurück, nimmt die Stoffmaske ab und sieht mir in die Augen. Erst jetzt erkenne ich sein Gesicht, seine Gestalt.
»Das ist doch nicht wahr.«
Ich eile zu dem blutenden William, knie mich neben ihn und fühle seinen Puls. Er ist schwach, aber er lebt. Währenddessen ich mich über ihn beuge, drücke ich die Hand wieder auf meine Wunde. Der Schmerz ist unerträglich und schwarze Pünktchen verklären meinen Blick. Wir müssen uns so rasch wie möglich von einem Medimagier behandeln lassen, sonst verbluten wir. Er schneller als ich. »Philip«, sagt der erneut, der noch bewegungsunfähig neben uns weilt. »Ich ...«
»Wir haben keine Zeit für ein Kaffeekränzchen. Er braucht Hilfe, sofort.« Plötzlich kehrt die Bewegung in den Körper des Mannes zurück. Er gesellt sich neben mich und frachtet William auf seine Arme.
»In meiner Hütte kann ich euch versorgen.« Ohne auf meine Zustimmung zu warten, trägt er ihn in das Boot, das am Seeufer vor Anker liegt. Sacht platziert er