Das Liebesleben der Vögel - Ernst Paul Dörfler - E-Book

Das Liebesleben der Vögel E-Book

Ernst Paul Dörfler

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Beschreibung

Euronatur-Preisträger und Vogelexperte Ernst Paul Dörfler über das vielfältige und überraschende Liebesleben der Vögel

Treue Stadt-Amseln, Meisen mit Vaterkomplex und polygame Wachteln – das Liebesleben der Vögel ist variantenreich und immer wieder überraschend. Der Euronatur-Preisträger und Vogelexperte Ernst Paul Dörfler eröffnet die Beziehungswelt von über fünfzig heimischen Vogelarten und gibt Einblicke, die man sonst nirgends findet. So leben Vögel weit weniger monogam, als häufig angenommen, und der Klimawandel verstärkt diese Tendenz sogar noch: Extreme Schlechtwetterlagen beflügeln den Partnerwechsel unter Vögeln. Mit Witz und Leichtigkeit erzählt der Autor von den Bindungsmustern und Fortpflanzungstaktiken unserer gefiederten Nachbarn. Dieses Buch verändert den Blick auf das, was in Garten und Busch passiert.

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Das ist das Cover des Buches »Das Liebesleben der Vögel« von Ernst Paul Dörfler

Über das Buch

Euronatur-Preisträger und Vogelexperte Ernst Paul Dörfler über das vielfältige und überraschende Liebesleben der VögelTreue Stadt-Amseln, Meisen mit Vaterkomplex und polygame Wachteln — das Liebesleben der Vögel ist variantenreich und immer wieder überraschend. Der Euronatur-Preisträger und Vogelexperte Ernst Paul Dörfler eröffnet die Beziehungswelt von über fünfzig heimischen Vogelarten und gibt Einblicke, die man sonst nirgends findet. So leben Vögel weit weniger monogam, als häufig angenommen, und der Klimawandel verstärkt diese Tendenz sogar noch: Extreme Schlechtwetterlagen beflügeln den Partnerwechsel unter Vögeln. Mit Witz und Leichtigkeit erzählt der Autor von den Bindungsmustern und Fortpflanzungstaktiken unserer gefiederten Nachbarn. Dieses Buch verändert den Blick auf das, was in Garten und Busch passiert.

Ernst Paul Dörfler

Das Liebesleben der Vögel

Mit Illustrationen von Ute Bartels

Hanser

Einleitung

Liebes lesendes Weibchen bis Männchen,

es gibt Momente im Leben, da könnte man sich fragen, ob wir, die Gattung Homo sapiens, tatsächlich für lebenslange Beziehungen, für Ehe und Familie geschaffen sind. Blicken wir auf unsere nächsten Verwandten, die Klasse der Säugetiere, mit denen wir die meisten Gene teilen, dann müssen wir diese Frage klar verneinen. Egal ob Schimpanse, Hirsch, Hase oder Maus — die Bindung zwischen den Partnern zweierlei Geschlechts hält nur für die kurzen Momente des Hochgefühls. Eheähnliche Beziehungen oder gar Vater-Mutter-Kind-Familien lassen sich in unserer biologischen Verwandtschaft nur schwer finden. Typisch für Säugetiere sind Mutter-Kind-Familien. Der Vater macht sich gewöhnlich aus dem Staub. Es sind seltene Ausnahmen, wie bei Wolf und Biber, wo die Bande zwischen den beiden Geschlechtern kein rasches Verfallsdatum kennt und eine Partnerschaft zum beiderseitigen Vorteil und zum Nutzen der familiären Nachkommenschaft tatsächlich gelebt wird.

Das Zusammenleben der Geschlechter ist in der Tat höchst verschieden. Sich paarweise zusammenzufinden, um den Lebensalltag gemeinsam zu meistern, ist keineswegs der Normalfall. Bei den hoch entwickelten Säugetieren läuft die Sache oft ganz anders. Da begegnen sich Mann und Frau nur für ein kurzes Stelldichein. Es ist die Zeit der Begattung, oder anders gesagt: die Zeit der Befruchtung oder Zeugung. So kommen unsere Rothirsche im September zusammen, tragen ihre spektakulären Kämpfe aus, und der stärkste Hirsch erwirbt sich das Recht, die weiblichen Mitglieder des Rudels zu bespringen. Nach der erschöpfenden Aufgabe geht der Hirsch wieder seiner Wege und überlässt die Sorge um die Nachkommenschaft ganz und gar den Müttern. Der Nachwuchs muss ohne väterlichen Beistand auskommen und rasch auf eigenen Beinen stehen.

Anders sieht es in der Welt der Vögel aus. Um die Leichtigkeit und damit die Flugfähigkeit zu gewährleisten, haben die Vögel im Gegensatz zu den Säugetieren die Schwangerschaft in ein Nest ausgelagert. Hierbei hat sich der paarweise Zusammenschluss als nützlich erwiesen. Der Nestbau, das Brüten, das Verteidigen und das Versorgen der oft völlig hilflosen Jungvögel lassen sich im partnerschaftlichen Zweierteam leichter bewältigen als allein. Mehr als zwei sollten es aber auch nicht sein. Die meisten Vögel favorisieren gerade diese Zweierbeziehung zwischen Männchen und Weibchen. Warum tun sie das? Sind mehr als zwei Partner an einer Partnerschaft beteiligt, steigt die Wahrscheinlichkeit von Konflikten. Jeder dritte Beteiligte kann zum Störfaktor werden. Das ist nicht anders als bei den Menschen. Dreieckskonflikte füllen nicht umsonst unendlich viele Romane und Filme. Weibchen tolerieren meist ebenso wenig andere Weibchen in ihrer Umgebung wie Männchen andere Männchen. Während der Paarungszeit gibt es keine Kompromisse, und so vertreiben Männchen wie Weibchen ganz entschieden ihre Geschlechtsgenossen und Geschlechtsgenossinnen. Sie wollen ihren Partner nicht mit anderen Vögeln teilen müssen. Bei diesen Ansprüchen bietet sich das Familienmodell geradezu an.

Auch wenn den Vögeln Gefühle wie Liebe nicht oder nur unter großen Vorbehalten zugestanden werden, sind sie es, die sich so eindeutig wie keine zweite Tierklasse für Partnerschaften zum Nutzen für die ganze Familie und damit auch für ihre Arterhaltung entschieden haben. Es mag für manche Leserin irritierend klingen, wenn in diesem Buch über Vögel und gleichzeitig über Liebe, Ehe und Familie erzählt wird, über Kategorien, die wir normalerweise für uns beanspruchen. Ich erzähle aus dem Leben der Vögel in unserer menschlichen Alltagssprache, um lebendigere Bilder entstehen zu lassen, um die Lesefreude und den Erkenntnisgewinn zu steigern. Ornithologische Fachbegriffe verwende ich eher sparsam, schließlich ist es ein Buch, das auf unterhaltsame Weise Naturwissen barrierefrei vermitteln und begeistern will.

Je mehr die Wissenschaft in die Geheimnisse der Vogelwelt vordringt, umso mehr müssen wir erkennen, dass wir Menschen den Vögeln viel näher stehen, als wir bislang glaubten. Vögel sind lernfähig, so wie wir Menschen, und sie haben Gefühle wie wir. Ich benutze deshalb gern Mensch-Vogel-Vergleiche und halte sie nicht für abwegig, beleidigend oder gar für unzulässig. Sie sind eine bewährte Methode, um Aufmerksamkeit und Interesse an der Natur zu steigern. Nicht zuletzt wird die Botschaft vermittelt: Das alles hat auch etwas mit mir zu tun!

Beziehungsfragen gehören für uns Menschen zu den wichtigsten Themen unseres Daseins. Kein Tag vergeht, ohne dass wir darüber nachdenken. Für die meisten Vogelarten ist die Sache glasklar: Seit Millionen von Jahren praktizieren sie ein ehe- und familienartiges Zusammenleben in unendlich vielen Spielarten — mit Erfolg, wie wir erfahren werden! Um Moral und Anstand ihres Benehmens kümmern sich Vögel nicht. Aus tradierten Verhaltensweisen auszubrechen kommt ihnen nicht in den Sinn, auch wenn diese für manches Individuum Enttäuschungen versprechen. Jeder Kohlmeisenpapa muss damit leben, dass er nicht mit allen Küken im Nest verwandt ist. Unter den Hühnervögeln kann sich jeder Hahn freuen, der es überhaupt jemals zur Vaterschaft bringt. Was man den Vögeln abgucken kann, ist die Vielfalt. In einer sich ständig verändernden Welt hilft ihnen Diversität, Anpassung zu ermöglichen, auch bei kooperativen sozialen Beziehungen.

Die Vögel waren lange vor uns auf dieser Erde. Schon seit über 150 Millionen Jahren bewohnen sie diesen Planeten. Damals war an uns noch nicht zu denken, unser Bauplan noch längst nicht entworfen. Menschen treiben sich erst seit gut einer Million Jahren auf der Erde herum, Homo sapiens erst seit 200.000 Jahren. Die Vögel haben demzufolge einen gewaltigen Vorsprung in Überlebensfragen.

Die Partnersuche beginnt

Bevor an Familie zu denken ist, ja, bevor überhaupt eine Beziehung zustande kommt, müssen sich die Beteiligten erst einmal gefunden haben. Bei uns Menschen ist inzwischen das Internet nach dem Kennenlernen im Freundeskreis die wahrscheinlichste Möglichkeit, eine Partnerin oder einen Partner zu finden.

Vögel finden meist dort zueinander, wo die ihnen bekannten Lieder erklingen. »Wo man singt, dort lass dich ruhig nieder«, diese Volksweisheit, die auf den Dichter Johann Gottfried Seume (1763—1810) zurückgeht, gilt offenbar auch für Vögel. In vertrauten Gefilden klingt es nach Heimat. Es ist schlüssig: Dort, wo man es selbst geschafft hat, das Erwachsenenalter zu erreichen, sollten die Bedingungen auch für den Nachwuchs stimmen. Doch in einer zunehmend dynamischen und verwundbaren Welt kann das ein Trugschluss sein. Oft genug macht sich deshalb der Mensch auf den Weg in eine neue Heimat. Die Kinder sollten es einmal besser haben. Und die Vögel?

Für Vögel ist die Heimat unstrittig: Sie ist und bleibt ihr Geburtsort. Dessen Koordinaten werden bei vielen Arten lebenslang abgespeichert und vererbt. Dorthin kehren Zugvögel nach jeder Flugreise zurück, und die sesshaften Standvögel verlassen ihre Heimat erst gar nicht, sie streifen bestenfalls umher. Sich in der bekannten heimatlichen Umgebung umzuschauen ist sinnvoll und leicht zu erklären, denn ein Waldvogel wird seinen Partner kaum in einer baumlosen Ackersteppe finden, und ein Wasservogel wird sich in Wüsten verlassen vorkommen.

Doch es gibt auch zahlreiche Ausnahmen. Notgedrungen wandern Tiere aus, wenn der Platz in der alten Heimat eng oder die Nahrung knapp wird. Und nicht selten entfernen sich Männchen oder Weibchen, um in der Fremde die Gene zu durchmischen.

Bei den Singvögeln, die im Frühling in unseren Wäldern, Parks und Gärten eintreffen, ist beziehungsmäßig noch alles offen. Sie gehen im Herbst frei und ungebunden auf die Reise und kommen ledig in ihrer Heimat an. Dabei ist es gleichgültig, ob sie im Schwarm fliegen oder als Alleinreisende unterwegs sind. Einmal angekommen, suchen sich die Vogelmännchen ein Revier, einen guten Platz zur Familiengründung. Ohne eigene Immobilie mit einer guten Futtergrundlage läuft rein gar nichts. Am liebsten beziehen die Vögel jenen Ort, an dem sie im Vorjahr gewohnt haben. Ist der Platz noch nicht besetzt, kann alles gut werden. Hier gilt das alte Sprichwort aus der Müllerzunft: »Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.« So beeilen sich die Vogelmännchen nach Kräften. Sie kommen oft ein bis zwei Wochen vor den Weibchen an und halten den Platz an ihrer Seite ganz gentlemanmäßig, aber nicht ganz uneigennützig von Konkurrenz frei.

Bei einigen wenigen Vogelarten beginnt das Beschnuppern schon deutlich früher. Es sind die Reisebekanntschaften. So kann es durchaus während einer Fernreise durch Afrika, im Winteraufenthalt am Mittelmeer oder unterwegs auf den Flugrouten zwischen zwei Vögeln funken, so wurde es gelegentlich bei Störchen festgestellt. Wenn sie dann im Frühling in ihren Brutgebieten ankommen, sind sie schon verpaart. Sie nutzen die kollektive Flugreise, das gemeinsame Segeln und Landen, um sich kennen und vielleicht auch lieben zu lernen. Die gefahrvollen und anstrengenden Zeiten und die Bewährungsproben bieten gute Gelegenheiten, um die Stärken und Schwächen eines möglichen Partners in Erfahrung zu bringen. Doch die eigentlichen Flitterwochen gehen erst in den heimatlichen Gefilden los.

BUCHFINK, GOLDAMMER, PFAU — Eine Frage des Stils

Die Hauptakteure bei der Anbahnung einer Beziehung mit Familienperspektive sind die Vogelmännchen — zunächst jedenfalls. Sie präsentieren sich von ihrer besten Seite! Ihr Bühnenauftritt findet oft an exponierten Orten statt, auf einem Ast, auf einer Baumspitze oder gar im Luftraum. Für Männchen ist es im Frühling Pflicht, aufzufallen, wenn sie Erfolg bei den Weibchen haben wollen. Neben der akustischen Darbietung spielt daher das Aussehen eine große Rolle. Nur mit gepflegtem Äußeren lässt sich das Interesse des anderen Geschlechts wecken. Ein liederliches Federkleid bietet dagegen keinen Anlass für weibliche Zuneigung. Hinzu kommen weitere optische Reize. Als Hingucker werden kräftig schillernde Farben und blinkende Abzeichen vorgezeigt.

Während sich Menschen im Laufe des Älterwerdens Sorgen um ihr Aussehen machen, haben Vögel einen beneidenswerten Vorteil: Man sieht ihnen ihr Alter nicht an! Graue Haare und Falten im Gesicht? — Fehlanzeige! Im Gegenteil: Die Farbenpracht der Männchen nimmt mit dem Älterwerden sogar zu, und auch die Weibchen bewahren ihre Schönheit und sind bis ins Sterbejahr fortpflanzungsfähig.

Jede Vogelart hat strenge Standards fürs Aussehen, man trägt eine Art Uniform mit gewissen Extras. Diese Uniform unterliegt tatsächlich modischen Veränderungen, die sich allerdings nicht in jeder Saison, sondern nur im Laufe von Jahrhunderten bemerkbar machen. Fast Fashion ist unbekannt. Den entscheidenden Einfluss auf den Modetrend nehmen die Weibchen über die sexuelle Selektion, also über ihre Partnerwahl. Sie allein entscheiden, was gefällt und auf wen sie sich einlassen wollen. Unfreiwillig schwanger zu werden ist für sie kaum eine reelle Gefahr, denn der Körperbau der Vögel lässt erzwungenen Sex nicht zu. Schon aus diesem Grund müssen die Männchen öffentlich brillieren, um die Weibchen für sich zu gewinnen.

Schauen wir uns den zahlenmäßig am häufigsten in Mitteleuropa vorkommenden Vogel an, es ist — wer hätte es erwartet? — der sangesfreudige Buchfink. Seine kaum überhörbaren Liedstrophen beginnen mit einem harten »Finkenschlag«, einem Trillern, und am Schluss folgt ein sogenannter Überschlag, man könnte ihn auch als Ausrufezeichen deuten. Überlieferte Merksprüche lauten: »B-b-b-b-bin ich nicht ein schöner Bräutigam!« sowie »Ich, ich, ich bin der Unteroffizier!«, in neuerer Zeit wird »B-b-b-b-bring mir ein Glas mit Weizenbier!« bevorzugt.

Der Buchfink hält sich gern in der oberen Etage von Bäumen auf und legt dort auch sein Nest an. Zur Futtersuche kommt er jedoch gern auf den Boden. Dabei begegne ich ihm häufig an Wegrändern im Wald, eine gute Gelegenheit, ihn genauer in Augenschein zu nehmen. Die kontrastreichen weißen Binden an Schultern und Flügeln fallen als Erstes auf — und zwar bei beiden Geschlechtern. Darüber hinaus hat das Männchen mit seinem Prachtkleid großartige Farbkompositionen zu bieten: Seinem blau-grauen Oberkopf schließt sich eine rot-braune Kopf-Hals-Partie an, sein Rücken erstrahlt moosgrün, die Bauchseite tendiert farblich ins Rosa. Besonders bei Sonnenschein im Frühling verblüffen diese Farben, denn in der Zeit der Werbung erreicht die Schönheit ihren Höhepunkt. Das ist kein Zufall, die Weibchen wollen es so, und sie honorieren es — nicht nur durch ihre Bewunderung.

Auf die Goldammer trifft man niemals im tiefen Wald, sondern in abwechslungsreichen, offenen Landschaften mit Büschen und Hecken. Im zeitigen Frühjahr aus dem Mittelmeerraum zurückgekehrt, machen sich die Männchen mit dem immer gleichen Lied bemerkbar: »Wie-wie-wie-hab-ich-dich-lieeeeb.« Sie flirten mal mit diesem, mal mit jenem Weibchen, und die Weibchen fliegen mal in dieses und mal in jenes Männchenrevier zum gemeinsamen Probewohnen ohne Trauschein. Man beschnuppert und beäugt sich und findet sich sympathisch oder eben nicht. Das ist eine Art Verlobung light, die eben mal schnelle Verlobung mit der Möglichkeit einer schnellen Entlobung.

Bei den Goldammern suchen sich die Weibchen gern das im wahrsten Sinne des Wortes goldigste Männchen aus. Der leuchtend gelbe Kopf und die kräftig gelbe, gestrichelte Unterseite sind zusammen mit der rötlichen Brust und bräunlichen Flügeldecken eine Augenweide ersten Ranges, dazu der Bürzel in edlem Zimtbraun.

Die Fähigkeit, auf jedes noch so kleine Detail zu achten und zwischen den Bewerbern zu vergleichen, ist ein maßgebliches Indiz für ein vorhandenes Bewusstsein der Vögel, so sieht es die Biologin Eva Jablonka von der Universität Tel Aviv. Es ist das wählerische Verhalten der Weibchen, es sind ihre hohen Ansprüche an farbliche Harmonie und an Ästhetik, die im Laufe der Evolution zur Herausbildung von Schönheit in der Natur geführt haben — und das schon seit über einhundert Millionen Jahren!

Ihnen, den Vogelweibchen, haben wir die Erfindung der natürlichen Schönheit zu verdanken, lange bevor der Mensch die Bühne betrat. Wir Menschen dürfen uns an den prachtvollen Kleidern erfreuen. Und doch sehen wir nur den halben Glanz, denn im Vergleich zu den Vögeln sind wir die »blinden Hühner«. Vogelaugen haben das zehnfache Auflösungsvermögen und nehmen ein breiteres Farbenspektrum bis weit in den UV-Bereich wahr. Wir Menschen ahnen nicht einmal, was uns an Schönheit und Anmut entgeht.

Die natürliche Schönheit ist kein rein äußerliches Phänomen, weder bei Menschen noch beim Vogel. Die begehrten Farbkomponenten sind ein Gemenge aus Karotinoiden, natürliche Farbstoffe, die uns von Karotten bekannt sind, aber auch in vielen anderen roten, gelben und blauen Früchten vorkommen. Schon über 800 verschiedene Substanzen wurden identifiziert, sie sind in der natürlichen Nahrung enthalten und werden vom Körper verwertet und in die Organe eingebaut, so auch in Haut und Gefieder. Diese Stoffe steigern zudem die Abwehrkräfte gegen alle möglichen Krankheiten. Wer sie im Überfluss hat, sieht nicht nur gut aus, er ist auch kerngesund. Die Schönheit ist somit ein Spiegelbild der inneren Verfassung, eines guten Ernährungszustandes, der Fitness und eines gesunden Selbstbewusstseins. All das ist den Weibchen bei der Partnerwahl sehr wichtig.

Was uns kaum bewusst ist: Vögel haben es schon lange vor uns Menschen geschafft, das Schöne mit dem Nützlichen zu verbinden. Dieser Leitsatz aus der Epoche der Aufklärung wurde erstmals in der Gestaltung des heutigen UNESCO-Welterbes »Dessau-Wörlitzer Gartenreich« vor gut 200 Jahren in einem Landschaftspark realisiert, der Obstanbau sowie Methoden der ökologischen Landwirtschaft in den landschaftlichen Zauber integrierte. Mit ihrem Federkleid haben Vögel dieses Prinzip vorweggenommen: Das Gefieder schützt vor Kälte und Hitze gleichermaßen, es entspricht einer CO2-neutralen Klimaanlage und zeigt damit einen Weg zum effizienten Einsatz von Energie — ein für uns Menschen bleibend aktuelles Thema.

In eben diesem Park — wie auch in vielen anderen Parkanlagen weltweit — lebt jene Vogelart mit dem wohl opulentesten Gefieder und der verblüffendsten Federzeichnung, der Pfau.

Er gilt in vielen Kulturen als Symbol für Schönheit, Reichtum, Stolz, aber auch für Arroganz und Eitelkeit. Der Pfau geht regelrecht verschwenderisch mit Farben, Mustern und Dimensionen um. Der Hahn ist an Hals, Brust und Bauch leuchtend blau. Je nach Lichteinfall kann das Gefieder grünlich und golden schimmern. Auf seinem Kopf thront eine fächerförmige Federkrone. Seine Besonderheit sind die Schwanzdeckfedern, sie können bis zu anderthalb Metern Länge wachsen. Diese »Schleppe« kann der Hahn zu einem fächerförmigen Rad mit strahlenden »Augen« aufrichten. Sie sollen Fressfeinde abschrecken. Ganz sicher aber dienen diese visuellen Ornamente der Partnerwahl als Indikator für die genetische Fitness des Bewerbers. Zur Balz richtet der Hahn seine »Augenfedern« nicht nur zu einem Rad auf, er erzeugt durch wiederholtes Federnzittern ein bemerkenswertes Rasselgeräusch. Beim Fliegen wirkt die lange Schleppe eher als Behinderung, denn das »Federgewicht« ist alles andere als federleicht. Ein so ausgestatteter Pfauenhahn schafft es gerade mal so, auf einen Baum zu fliegen, um einem Raubtier zu entkommen. Doch gerade dieses Handicap gilt für die Weibchen als ein Beweis für eine hohe Überlebensfähigkeit und für gute Gene. Es gilt das Prinzip der größten Behinderung: Die Hähne, die es trotz größter Flugbehinderung geschafft haben zu überleben, sind unter den Hennen am gefragtesten. Nach Abschluss der Balz samt Paarung folgt die Mauserzeit, und die ganze Pracht wird als unnützer Ballast abgeworfen.

Amsel — Liebeslieder

Seit die Menschen auf der Erde unterwegs sind, werden sie von den Liedern der Vögel begleitet. Wahrscheinlich waren Vögel die ersten Musiklehrer unserer Vorfahren und regten zur Nachahmung an. Egal ob bei der Jagd, beim Ackerbau oder auf der Weide beim Hüten von Schafen und Ziegen — Vögel waren zu jeder Zeit, an jedem Ort dabei. Aus diesen engen Beziehungen entstanden im Laufe der Jahrhunderte ganz sicher auch viele Volkslieder, in denen gerade die Amsel oft eine tragende Rolle spielt, wie in der »Vogelhochzeit« und in »Alle Vögel sind schon da«.

Neben der Vokalmusik hat auch die Instrumentalmusik eine lange Geschichte. Das älteste erhaltene Musikinstrument wurde in der Schwäbischen Alb 2008 in der Höhle »Hohle Fels« bei Blaubeuren entdeckt. Es ist eine 35.000 Jahre alte Flöte, die in der Steinzeit aus einem Knochen des Gänsegeiers gefertigt wurde. Andere erhaltene Flöten mit Grifflöchern fand man in der »Geißenklösterle-Höhle«, kunstvoll hergestellt aus Schwanenknochen. Somit inspirierten Vögel nicht nur zum Singen, sie lieferten auch das Rohmaterial für die Musikinstrumente.

Schon sehr früh kam der Mensch auf die Idee, Vögel zu fangen und sie als Unterhaltungskünstler in den eigenen vier Wänden zu halten. Der Beruf des Vogelfängers galt einst als ehrbar und einträglich. Amseln, Finken, Hänflinge, Gimpel und Rotkehlchen gehörten zu den beliebtesten »Stubenvögeln«, die auch bei armen Leuten frei in der Stube umherflogen. Eingefangene ältere Amseln standen nach Christian Ludwig Brehm in dem Ruf, den Genuss des Gesanges »in seiner ganzen Reinheit« zu bieten, wie er im Handbuch für den Liebhaber der Stuben-, Haus- und aller der Zähmung werthen Vögel (1832) schrieb. Von Hand aufgezogenen Vögeln brachte man dagegen auch eigene Melodien bei.

Im Mittelalter soll es unter adeligen Damen den Brauch gegeben haben, den Vogelkäfig samt Singvogel gut sichtbar auf der Fensterbank zu platzieren, um dem heimlichen Liebhaber zu signalisieren, dass er just in diesem Moment zum Stelldichein kommen möge, da sich der Hausherr gerade auf Reisen befand. Egal ob dem Vogel zum Singen zumute war: Dem Liebhaber wurde damit ein Zeichen gesetzt, dass er »zu den Vögeln gehen« durfte. Daraus soll sich irgendwann das geflügelte Wort vom »Vögeln« entwickelt haben. So weit zur romantischen Verklärung. Zum wahrscheinlicheren Ursprung später mehr.

Das »Vögeln« unter Vögeln ist erwiesenermaßen ein Saisongeschäft. Die Hochsaison beginnt im Frühling und endet ziemlich abrupt im Sommer. Warum ist das so? Der Frühling ist die fruchtbare Jahreszeit — in jeder Beziehung. Nahrung und Wasser gibt es in Hülle und Fülle, dazu Sonne und Wärme. Um das Hundertfache steigen in dieser Zeit des Aufbruchs die Hormongehalte im Blut. Die Testosteronflut treibt die Männchen zu Höchstleistungen an. Auch der Gesang ist letztlich ein Ergebnis der Hormonschwemme, der Vogel kann nicht anders: Er muss singen. Das Sexualhormon lässt ihm keine Wahl.

Jedes Jahr im Frühling läuft eine Art Wahlkampf ab, bei dem die Männchen die Wahlkandidaten und die Weibchen die Wahlberechtigten sind. Die Männchen präsentieren sich. Bunte Werbung allein genügt den Weibchen aber nicht. Nicht nur der Schönste, es sollte auch der Gesündeste und der Kräftigste sein. Der Gesang des Männchens gilt als Indiz für seine Fitness. Es sind schwierige Entscheidungen von großer Tragweite. Bei den meisten Singvögeln hält sich das Risiko einer unglücklichen Partnerwahl allerdings in Grenzen, denn bei ihnen geht es meist nicht um den Partner fürs Leben, nicht um Bindung für alle Ewigkeit. Ein Irrtum straft nicht für das ganze Leben ab. Die aktuelle Saison steht im Blickpunkt — nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das dazugehörige Modell heißt Saisonehe mit anschließender Saisonfamilie.

Eine erste Kontaktaufnahme erfolgt in der Vogelwelt oft frei nach dem Motto: »Was sich neckt, das liebt sich.« Das Männchen nimmt ein Weibchen in den Blick und nähert sich, das Weibchen flieht. So läuft das Spiel eine ganze Weile, manchmal tagelang. Erst wenn die weiblichen Fluchttendenzen nachlassen, kommen zwei Vögel sich wirklich näher. Um sich zu vereinigen, müssen die Distanzen, die normalerweise einzuhaltenden Mindestabstände zwischen den Vögeln, abgebaut werden. Denn was bei den Pflanzen durch Windbestäubung möglich ist, klappt bei Tieren nicht. So kommen Vögel nicht umhin, sich »auf die Federn« zu rücken. Um die Hemmungen abzumildern und die Gefühle anzugleichen, bedarf es geeigneter Rituale, der Balzspiele. So können sich die Partner in Stimmung bringen und die Lust zur Vereinigung wecken — oder auch nicht.

Läuft alles nach Plan, piepst es bald im Nest, der Nachwuchs meldet sich zu Wort und fordert seinen Tribut. Spätestens dann ist Schluss mit heißer Frühlingsliebe. Sie ist genauso rasch verflogen wie aufgeflammt. Doch der Reihe nach.

Schon in den ersten milden Tagen des Jahres hören wir — zuallererst in den wärmebegünstigten Städten — melancholisch-sehnsuchtsvoll anmutende, tiefe, warme Flötentöne. Man könnte sie als Liebeslieder ansehen. Interpret ist die Amsel, genau genommen der Amselmann, ein begnadeter Sänger, feierlich im schwarzen Anzug gekleidet. »Blackbird« nennen die Briten treffend diesen Vogel, die Franzosen »Merle noir«. Im Althochdeutschen klingt der Name lieblicher: »Amsula«.

In Deutschland gilt die Amsel als zweithäufigster Brutvogel. Jeder sollte die Amsel schon gesehen und gehört haben. Falls nicht: Augen und Ohren aufgesperrt! Wenn der Amselmann sich in Szene setzt und zum Gesang anhebt, kann man eigentlich nichts anderes tun als innehalten, den Blick nach oben richten und staunen, mit welchem Einsatz der kleine Kerl seine wohlklingenden, für menschliche Ohren gefälligen Flötentöne von der Baumspitze oder dem Dachfirst erschallen lässt. Amselmännchen zeichnen sich als Sänger mit einem großen Strophenrepertoire aus, sie gelten als kreativ in der Erfindung, Kombination und Variation von Motiven. Männchen können über 30 verschiedene Gesangsmotive beherrschen. Als Zuhörerin muss man Geduld haben, bis ein Strophentyp sich wiederholt. An ihren Lieblingsmotiven können wir die einzelnen Sänger durchaus unterscheiden. Die ersten Töne einer Strophe haben individuellen Charakter, damit stellt der Vogel sich quasi namentlich vor. Hinzu kommen lokale Gesangstraditionen, gewissermaßen Dialekte. Von der Funktion her wird zwischen dem kraftvollen Reviergesang von erhöhter Singwarte und dem leiseren, werbenden Balzgesang unterschieden. Mit seinen Liedern hat er eine wichtige Botschaft zu verkünden: »Dies ist mein Reich! Weibchen sind mir willkommen, Männchen mögen verschwinden!«

Nachbarmännchen, wenige Dutzend Meter entfernt, reagieren häufig mit einem Kontergesang eines ähnlichen Strophentyps, frei nach dem Motto: »Das, was du kannst, kann ich schon lange und noch viel besser.« Damit werden Reviergrenzen akustisch abgesteckt. Es lohnt sich vor allem im April und Mai, eine Stunde vor Sonnenaufgang den Kopf aus dem Fenster zu strecken oder zu einem Morgenspaziergang aufzubrechen. Zu dieser blauen Stunde erschallt ein pausenloses Konzert, das man nicht vergessen wird. Auch am Abend gibt es bis zur einbrechenden Dunkelheit eine weitere besonders stimmungsvolle Vorführung, allerdings mit reduziertem Engagement.

Der Amselgesang lässt sich gut in Noten wiedergeben und kommt unserem Harmonieverständnis recht nahe. Ein Original-Amselgesang wurde auch bei Paul McCartneys Song »Blackbird« verwendet.

Sind bei einem so begnadeten Sänger wie dem Amselmännchen die Weibchen zum Schweigen verurteilt? Keineswegs! Sie singen ähnliche Strophentypen, allerdings werden sie gedämpfter und seltener vorgetragen.

Vogelweibchen standen lange Zeit in der Forschung im Schatten der Männchen. Die lauten Männchen waren tonangebend, und die allgemeine Aufmerksamkeit galt ihnen. Die US-Ornithologin Karan Odom ermittelte indessen, dass bei 70 Prozent der untersuchten Vogelarten auch die Weibchen singen! Ihre stimmlichen Äußerungen konzentrieren sich allerdings weniger auf Verteidigung und Werbung, sie dienen mehr dem sozialen Zusammenhalt. Die Wissenschaftlerin machte damit auf eine Forschungslücke aufmerksam.

Es kann sehr schnell gehen, es können aber auch Tage und Wochen verstreichen, ehe sich ein Amselweibchen einfindet und Interesse an dem Sänger und seinem Vortrag bekundet. Als exzellente Zuhörerin beurteilt das Amselweibchen Lautstärke, Qualität und Klangreinheit. Je kraftvoller und wohltönender die Strophen dargeboten werden, umso besser fällt die Benotung aus. Aber auch der Reichtum an Melodien, Variationen und Harmonien geht in die Bewertung ein. Wie schon bei der Schönheit finden wir im Liedgut und der Klangfülle eine faszinierende Vielfalt innerhalb der Vogelwelt vor, für die wir uns ebenfalls bei den Weibchen bedanken sollten. Sie haben die musikalische Auswahl getroffen. Männchen scheinen zu ahnen, worauf es ankommt, und bauen deshalb immer wieder neue Klänge in ihr Repertoire ein. Früher waren es oft die Pfiffe der Schäfer, heute sind es Tonfolgen von Musiktiteln, Handy-Klingeltönen oder Rettungsfahrzeugen, die nachgeahmt werden.

Lieder sind die bewährten Lockmittel bei allen Singvögeln. Je selbstbewusster die Liedstrophen vorgetragen werden, umso größer die Beachtung. Nur wer als kräftiger Sänger auffällt, hat die Chance, von der Weibchenwelt wahrgenommen zu werden. Mit diesem Balzverhalten zeigt das Männchen seine Absichten zur Paarung an, eine Art Heiratsbegehren. Amselweibchen verlassen sich jedoch nicht auf ein einzelnes Auswahlkriterium. Hinzu kommt ein kritischer Blick auf Schnabel und Augen. Ja, Amselweibchen schauen den männlichen Bewerbern tatsächlich tief in die Augen, um zu erkennen, wen sie vor sich haben. In einem kräftigen Orange sollten die Augenringe gefärbt sein, der Schnabel ebenso. Je intensiver diese Färbung, umso fitter und gesünder ist der Vogel. Genau darauf kommt es den Weibchen an. Blassschnäbel hingegen sind wenig beliebt.

Damit es den Amseln gut geht, lasse ich in meinem Garten das Herbstlaub liegen. Das klingt nach Faulheit, spart aber Arbeit und ist zugleich eine Einladung an die Vögel zum Bleiben. Gerade für den Winter müssen die Vögel Fettreserven aufbauen. Gern schaue ich der Amsel zu, wie sie dürres Laub Blatt für Blatt mit dem Schnabel hastig packt und ruckartig beiseite wirft. Der Lohn winkt unter der Laubschicht: Eiweißreiche Leckerbissen in Form von Schnecken, Asseln und Regenwürmern. Als Nachtisch gibt es die gelb-roten Früchte des Feuerdorns, der in der bunt gemischten Hecke seinen Platz gefunden hat. Im Spätwinter bedienen sich die Amseln auch an den Fruchtständen des Efeus. In all diesen intensiv gefärbten Früchten sind genau jene natürlichen Farbpigmente enthalten, die der Amselmann für die Perfektionierung seines Outfits braucht. So trägt meine nachlässige Gartengestaltung dazu bei, die Erfolgschancen für die Bewerbungen zu optimieren.

»Soll man Vögel ganzjährig füttern?« Diese Frage wird immer wieder gestellt. Mit Futter kann man Tiere aller Art anlocken und sich daran erfreuen. Doch mit Naturschutz hat das nichts zu tun. Das handelsübliche, chemieintensiv produzierte und meist importierte Futter, über dessen Herkunft und Qualität wir nichts wissen, macht die Vögel nicht lebenstüchtiger, sondern abhängiger. So wie der Mensch nicht von Brot allein leben kann, kann auch ein Vogel nicht ohne intakten Lebensraum gesunden Nachwuchs aufziehen. In einer ökologisch intakten Umgebung findet der Vogel sein Futter von selbst. Genau darum sollten wir uns kümmern, in der Stadt und auf dem Land. Das gut gemeinte ganzjährige Füttern schadet mehr, als es nutzt, das hat eine Studie der FU Berlin an Kohl- und Blaumeisen ergeben. Wird während der Brutzeit das handelsübliche Industriefutter angeboten, können auch die Küken darunter leiden, ja sogar daran sterben, denn Fett- und Körnernahrung können sie nicht verdauen, sie brauchen leicht verdauliches Eiweiß für ihr Wachstum. Die Natur bietet es gratis als frisches Lebendfutter — und zwar dezentral über die Fläche verteilt. Zentrale Futterstellen haben auch den Nachteil, dass sie zu unnatürlich hohen Individuendichten führen und zu Hotspots von Krankheitsübertragungen werden. Das Amsel-, Blaumeisen- und Grünfinkensterben tritt vor allem dort auf, wo ganzjährig gefüttert wird.

Eine internationale Studie von Wissenschaftlern aus den Baltischen Staaten und den USA kommt sogar zu dem Ergebnis, dass selbst eine regelmäßige Winterfütterung keineswegs empfehlenswert ist. Kohlmeisen mit permanenter Futterversorgung weisen ein höheres Körpergewicht, einen höheren Body-Mass-Index und damit verbunden eine verringerte Abfluggeschwindigkeit und Überlebensrate auf. Füttern macht Vögel dick und träge. Wenn wir Vögeln wirklich helfen wollen, sollen wir zur Kenntnis nehmen: Die vom Aussterben bedrohten Vogelarten haben in der freien Landschaft und nicht in unseren Gärten oder gar in der Stadt ihr Zuhause. Es sind die Feld- und Wiesenvögel sowie die Vögel der Feuchtgebiete, die besonders gefährdet sind und unseren besonderen Schutz brauchen. Mehr persönliches Engagement für den Naturschutz ist hilfreicher, als Geld in Futterkäufe zu investieren.

Ausreichend natürliches Futter und ein geeigneter Lebensraum mit dichtem, Schutz bietendem Gebüsch sind ein Garant für eine erfolgreiche Paarbildung für unsere Gartenvögel. Hat sich ein Weibchen für einen Antragsteller und einen Nistplatz entschieden, schleppt es allerlei Baumaterial heran und verbaut es völlig eigenständig. So ein Amselnest ist ein ziemlich kompaktes, handtellergroßes Bauwerk, geflochten aus langen Halmen und mit Erde verfestigt. Selbst wenn das Nest noch nicht ganz fertig ist, fordert das Weibchen mit leisen, hohen und gepresst klingenden Lauten zur Kopulation auf. Es duckt sich, das Männchen hüpft auf das Weibchen, das seinen Schwanz beiseite dreht, sodass beide Kloakenausgänge aneinandergepresst werden und die Spermienübertragung erfolgen kann — eine Sekundensache. Behilflich ist dabei ein erektiler Fortsatz der Kloake, der vorgestülpt wird. Kloaken sind bei Vögeln die Universalausgänge für Kot, den weißen Harnstoff, die Spermien und für die fertigen Eier. Jeden Morgen wird ein Ei gelegt, meist sind es insgesamt vier bis fünf Stück, die das Amselweibchen zwei Wochen lang bebrütet. Nach dem Schlupf der nackten Küken wird es für beide Eltern höchst anstrengend: Einerseits darf das Wärmen der hilflosen Jungen nicht vernachlässigt werden, andererseits muss von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, 16 Stunden am Tag, Futter gesucht und in die Schnäbel der bettelnden Küken gestopft werden. Auch wenn die jungen Amseln nach knapp drei Wochen flugfähig sind und das Nest verlassen haben, hört das Betteln um Futter nicht auf. Nach weiteren zwei Wochen ist jedoch endgültig Schluss, der Nachwuchs muss sich selbstständig versorgen.

Um in puncto Nachkommenschaft und Arterhalt ganz sicherzugehen, schließt sich bei vielen Singvogelarten, so auch bei den Amseln, noch eine zweite, manchmal eine dritte Brut an. Meine Amsel brütet regelmäßig dreimal im Jahr. Für jede Brut wird ein neues Nest an anderer Stelle im Garten errichtet, zuerst im immergrünen Efeu, dann im Schlehengebüsch und schließlich zwischen den Blättern des Weinstocks. Danach wird die Saison für beendet erklärt und das Kapitel »Familie mit Kindern« zugeschlagen. Auch die Ehe zwischen Männchen und Weibchen hat ihren Zweck erfüllt und löst sich in Wohlgefallen auf. Die Partner sind wieder frei und ungebunden.

Die wiedergewonnene Freiheit öffnet ganz unterschiedliche Wege. Die ziemlich scheue und wachsame Waldamsel, die an ihrem traditionellen Lebensraum Wald festgehalten hat, fliegt im Herbst meist nach Südeuropa, natürlich solo, wobei die Weibchen reisefreudiger sind als die Männchen. Anders jene Amseln, deren Vorfahren schon ab dem 19. Jahrhundert den dunklen Wald verlassen haben, um Städte und Dörfer als neuen Lebensraum zu erobern. Sie haben ihr Verhalten grundlegend geändert. Ihre Fluchtdistanz gegenüber Menschen hat stark abgenommen, sie sind zutraulicher geworden, und auch untereinander rücken sie zusammen, tolerieren eher ihre Nachbarn. So kann die Brutdichte auf städtischen Friedhöfen zehnmal höher sein als in naturnahen Wäldern. Städte sind im Gegensatz zum Wald hell und warm, und quälender Hunger kommt erst gar nicht auf. Stadtamseln lassen es sich in Gärten und Parks mit Wildfrüchten und allerlei vom Boden aufgesammeltem Getier auch im Winter in unseren Breiten gut gehen. Das ist sehr komfortabel und mit weniger Anstrengung verknüpft. So haben die Stadtamseln ihre traditionellen Reisepläne ganz ohne Flugscham aufgegeben und begleiten uns auch durch die kalte Jahreszeit, die immer weniger kalt ist. Ich habe Amselmännchen auf Hausdächern in Großstädten schon um die Weihnachtszeit inbrünstig singen hören, als stünde der Frühling vor der Tür. Manche Stadtamseln bleiben dann sogar als Paar über den Winter zusammen. Sie verwandeln die traditionelle Saisonehe in eine längerfristige Angelegenheit und neigen zur Dauerehe. Unter diesen Umständen brüten sie sogar noch einmal öfter im Jahr. Warum auch nicht?

Hausspatz — Sesshafter als gedacht

Keine zweite Vogelart ist uns so nah, so unmittelbar erlebbar wie der Hausspatz. Spatz gilt als Koseform des eigentlichen Namens Sperling, beide leiten sich vom althochdeutschen »Sparo« und dem indogermanischen »spar« ab, was so viel wie »zappeln« bedeutet. Für unsere Vorfahren war er vermutlich der »Zappelphilipp« unter den Vögeln. Für heutige naturfern lebende Zeitgenossen ist der Spatz der Inbegriff des Vogels an sich: Vogel gleich Spatz. Er ist mit Abstand der bekannteste und uns Menschen vertrauteste Vogel. Doch mit der Artenkenntnis ist es nicht weit her. Egal ob Haussperling, Hausrotschwanz, Grasmücke oder Grauschnäpper, für viele Menschen zählen alle kleinen grauen Vögel als Spatzen. Genauer beobachten und hinhören tut gut!

Der gemeine Spatz ist der häuslichste unter all unseren heimischen, frei lebenden Vögeln. Deshalb heißt er auch Hausspatz oder Haussperling. Wo kein Haus, dort kein Spatz. Farblich passend zu den Häusern, seien sie aus Holz, Lehm oder Stein errichtet, trägt der Spatz sein dezentes graubraunes Kleid. Es ist vor allem die steingraue Kappe des Männchens, an der ich auf den ersten Blick den Haussperling im Vergleich zum Feldsperling mit brauner, erdfarbener Kappe erkenne. Erst bei genauerem Hinschauen wird die Schönheit des Spatzenmännchens offensichtlich: Unter dem grauen Scheitel schließen sich rotbraune Schläfen, weiße Wangen und ein schwarzes Lätzchen an, das Markenzeichen des Spatzen. Würden die Häuser verschwinden und wieder Wald wachsen, würden sich auch die Spatzen aus dem Staub machen. Als die Insel Helgoland nach dem Zweiten Weltkrieg entsiedelt wurde, weil das Eiland gesprengt werden sollte, verschwanden mit den Menschen auch die Spatzen. Erst 1952 kehrten die Vögel mit der Wiederbesiedlung der Insel zurück. Auch Almhütten in den Alpen, die nur zeitweilig von Menschen bewohnt sind, werden vom Haussperling zum Almabtrieb verlassen. Mensch und Spatz bilden seit jeher eine enge Schicksalsgemeinschaft.

Der Hausspatz hat sich gewissermaßen selbst domestiziert, ablesbar auch an seinem wissenschaftlichen Namen: Passer domesticus. Als Kulturfolger wurde er zum »Haustier« aus freier Entscheidung, allerdings mit den größtmöglichen Freiheitsgraden. Er ist und bleibt »Herr« über sich selbst.

Der Hausspatz kann überall dort seinen Lebensraum finden, wo der Mensch sein Zuhause hat. Wir leben mit ihm Tür an Tür — und das seit mindestens 10.000 Jahren. Fossilienfunde in einer Höhle bei Bethlehem lassen darauf schließen, dass selbst die Vorfahren des Spatzen sich schon in der Altsteinzeit vor 400.000 Jahren dem Vormenschen, damals noch Jäger und Sammler, angeschlossen haben — es ist eine uralte Verbundenheit, von der offenbar beide profitierten: Der Vogel bediente sich am Abfall, bekam damit seine bescheidene Spatzenration, und der Mensch hatte einen unterhaltsamen Gefährten. Man könnte fast von einer Symbiose sprechen. Selbst in ihrem Biorhythmus haben sich beide angeglichen. Erst 20 Minuten vor Sonnenaufgang meldet sich der Spatz zu Wort — für Vögel reichlich spät —, und schon vor Sonnenuntergang stellt er seine Lautäußerungen ein und begibt sich zur Nachtruhe. Der Spatz hält bis heute an diesem uralten Schlaf-Wach-Rhythmus fest, der auch für den Menschen die längste Zeit seiner Existenz maßgeblich war.