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Im Jahre 1524. Die Familie der Flötenspielerin Laila benötigt dringend Geld. Deshalb willigt Laila ein, die am Gemüt erkrankte Franca gegen gute Entlohnung auf einer Reise über die Alpen zu begleiten. In Florenz bei einem Medicus soll das Mädchen Heilung erfahren. Doch warum suchen im Verlauf der Reise immer mehr Menschen die Nähe zu Franca? Verbirgt sie ein dunkles Geheimnis? Als in Ulm Francas Verlobter tot aufgefunden wird, spitzt sich die Lage zu. Kann Laila herausfinden, was hinter all dem steckt?
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Seitenzahl: 378
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Susann Rosemann
Das Lied der Flötenspielerin
Historischer Roman
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Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch
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Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2016
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung der Bilder: © https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Angelo_Bronzino_007.jpg und © https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Albrecht_Dürer_028.jpg
und ©https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Florence1493.png
ISBN 978-3-8392-5082-2
Es war eine gute Entscheidung gewesen. Federico lehnte sich in seinem Sessel zurück und schaute durch das Fenster über die Dächer von Urbino. Von seinem Palast aus hatte er den Blick auf die umliegende Landschaft, die welligen Hügel mit den Gehöften, die im Sonnenlicht silbrig glitzernden Olivenbäume, hier und da sah er einen Kirchturm von einem Ort. Sie gehörte wieder ihm, die Herrschaft über diese Ländereien. Und das war richtig so. Er war der rechtmäßige Herzog von Urbino. Und er hatte nicht vergessen, wer ihn damals aus dieser Stadt vertrieben hatte. Deshalb war es eine gute Entscheidung gewesen, die Möglichkeit zu nutzen, seinem Gegner zu schaden.
Federicos Blick fiel auf den Schreibtisch vor ihm, auf dem er zwei Schreiben und ein Schmuckstück drapiert hatte. Er nahm einen der Briefe in die Hände und las ihn zum wiederholten Mal. Sie nehme sein Anliegen ernst, teilte Ludovica ihm mit, befürworte es sehr und werde ihn nach Kräften unterstützen. Es war nicht einfach gewesen, ihren Wohnort ausfindig zu machen. Er wusste nicht, wie es ihr ergangen war in all den Jahren, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte. Seine alte Bekannte Kyrilla Nehlin aus Ulm, die er Ludovica damals für ihre Reise in den Norden empfohlen hatte, war auch dieses Mal wieder hilfreich gewesen und hatte vermittelt.
Wie Ludovica wohl heute aussah? Wenn er seine Augen schloss, sah er sie vor sich, wie sie damals vor sechzehn Jahren vor ihm stand, pechschwarze Haare und hellblaue Augen, die ein klein wenig zu weit auseinanderlagen. Die Frische und die Jugend waren in der Zwischenzeit sicher vergangen, er sah es an sich selbst, hatte um den Bauch herum zugenommen und seine Haare waren graumeliert. Er überflog den Brief erneut, ihre geschwungene Handschrift, die ihren starken Charakter spiegelte. Sie würde seiner Bitte gemäß das Mädchen Franca seinem Gesandten in Ulm übergeben, damit der es mitnehmen und nach Urbino bringen könne. Sie freue sich, dass sie ihm damit zu Diensten sein könne. Es war nicht die Ludovica, die er von damals kannte. Diese Antwort auf sein Begehr an sie war viel zu zahm.
Es klopfte und auf seine Aufforderung trat ein junger Mann in den Raum, verbeugte sich und blieb erwartungsvoll vor ihm stehen. Federico musterte ihn wohlwollend. Er wusste, dass sein Gegenüber die ihm übertragenen Aufgaben bislang immer zur vollen Zufriedenheit gelöst hatte. Er machte sich gut, der Sohn von seinem alten Schuldner, hatte die Verantwortung für die Fehler seines Vaters übernommen und war in seinem Bemühen, die Geldschuld und den Palazzo seiner Familie auszulösen, zu einem hilfreichen Vasallen herangereift.
»Deine Mutter hat dir die deutsche Sprache beigebracht, ist das richtig?«
Der Mann nickte. »Das ist wahr.«
»Du beherrschst diese Sprache also gut? So gut, dass du dich mit einem deutschen Mädchen unterhalten kannst?«
»Ich spreche das Deutsche fast so gut wie das Italienische.«
»Wunderbar.« Federico tippte mit einem Finger vor sich auf die Briefe. »Du wirst in meinem Auftrag über die Alpen nach Ulm reisen. Dort erwartet dich eine alte Bekannte von mir. Sie wird dir ein Mädchen übergeben, das auf den Namen Franca hört. Verlange, dass sie dir ihr goldenes Medaillon zeigt. Es ist diesem hier sehr ähnlich.« Er hob das Schmuckstück hoch und ließ es an der goldenen Kette baumeln. »Das wird dir bestätigen, dass sie die Richtige ist. Du bringst das Mädchen unversehrt zu mir.«
»Zu Euren Diensten.«
War da eine Unsicherheit in seiner Geste oder täuschte er sich? Federico nahm das Medaillon in seine Hand und betrachtete es nachdenklich. Er war sich dessen bewusst, dass er seinem Vasallen eine Aufgabe anvertraute, die nicht problemlos war. Er hatte sich deshalb zu einer gewissen Absicherung entschlossen. Doch davon musste sein Gegenüber nichts wissen.
»Auf dem Hinweg kannst du dich einem meiner Boten anschließen. Die kennen den kürzesten Weg und die nötigen Formalien. Auf dem Rückweg wirst du euch bei einem Handelszug einkaufen, damit die Sicherheit des Mädchens garantiert ist und sie komfortabel reisen kann. Hier habe ich dir das Gasthaus notiert, in dem du absteigen wirst, und dies ist das Haus, an das du die Nachricht von deiner Ankunft senden wirst. Das Mädchen heißt Franca, die Frau, die es dir übergibt, Ludovica. Hast du verstanden?«
»Ja. Das habe ich.«
»Ich brauche nicht zu betonen, dass Franca heil und gesund zu mir zu bringen ist. Sollte es Schwierigkeiten geben, erwarte ich, dass du mich informierst. Mit der Rückreise kannst du dir die Zeit lassen, die du brauchst. Sicherheit ist wichtiger als Schnelligkeit. Einen Geleitbrief habe ich dir ausgestellt.«
Sein Vasall bestätigte den Auftrag und nahm die Unterlagen und einen Beutel mit den für die Reise benötigten Münzen an sich sowie Wechsel, die er in Ulm gegen Geld für die Rückreise tauschen konnte.
Als er den Raum verlassen hatte und Federico wieder alleine an seinem Schreibtisch saß, kam ihm sein Vorhaben gewagt, aber doch durchführbar vor. Er musste an den morgendlichen Disput mit seinem Freund Niccolo denken. Der weilte gerade zu Besuch bei ihm in Urbino, und wann immer sie die Zeit dafür fanden, tauschten sich Federico und er über die Politik aus. Über das ideale Staatswesen und über Niccolos Tätigkeit des Bücherschreibens, die er betrieb, seit er seine Ämter in Florenz verloren hatte. Sie waren nicht in allen Dingen einer Meinung, Federico schien sein Freund oft zu verbissen und in manchen Dingen uneinsichtig. Bei einem Punkt aber dachten sie bedingungslos gleich. Die Macht der Medici in Florenz musste endlich gebrochen werden. Sie dauerte inzwischen viel zu lange an und die Familie war zu mächtig geworden, stellte bereits den zweiten Papst. Es wurde Zeit, die Geschicke in eine andere Richtung zu lenken. Darin waren er und Niccolo Machiavelli sich einig. Es würde interessant werden zu beobachten, ob ihnen oder anderen das gelang.
Wie sehr sich in den vergangenen Monaten doch ihr Leben verändert hatte. Und es hatte sich nicht zum Besseren gewandelt, ganz sicher nicht. Es war nur auf andere Art schwierig geworden.
Laila hatte sich in den Schatten einer jungen Eiche zurückgezogen und beobachtete die Fischerboote auf der Donau. Es war ungewöhnlich warm für diese Zeit im Jahr. Der Sommer kündigte sich an, obwohl die Bäume und Wiesen noch voller Blumen und Blüten waren. Laila liebte dieses Farbenspiel. Bunte Tupfer auf dem Grün der Uferböschung mit dem dunklen Wasser dahinter hätten einen schönen Hintergrund für ein Gemälde geliefert, vor allem in dem hellen Frühsommerlicht. Gegenüber wurde ein Floß flussaufwärts getreidelt, gezogen von zwei Ochsen. Was es geladen hatte, blieb unter Planen verborgen. Die Tiere zogen die Last gleichmäßig und schienen sich an den anfeuernden Rufen eines Mannes nicht zu stören.
Laila rutschte am Stamm des Baumes nach unten und spürte, wie die Rinde am groben Stoff ihres Kleides rupfte. Das Gras fühlte sich weich an, als sie mit den Fingern darüberstrich. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie noch länger so ausgeharrt, wäre einfach sitzen geblieben, an den Baumstamm gelehnt, und hätte ihre Umgebung beobachtet. Doch ihre Pflicht rief und auf die wenigen Münzen, die sie damit verdiente, konnte sie nicht verzichten.
Auch wenn sie froh darüber war, wieder in Ulm zu leben und nicht mehr mit Gauklern durch die Gegend zu ziehen, an schlechten Tagen Hunger zu leiden, im Winter in zugigen Quartieren zu frieren, manchmal vermisste sie den Zusammenhalt der Gruppe und die Hoffnung, die sie alle angetrieben hatte. Hoffnung auf einen guten Auftrag, auf gutes Geld und darauf, irgendwann aus dem Elend herauszukommen, weil sie in ihrer Kunst perfekt genug waren, um an Fürstenhöfen zu spielen. Dieser Traum hatte sich nicht erfüllt.
Rufe der Fischer hallten zu ihr herüber und sie sah, wie zwei Männer auf einem Boot ihren Fang an Bord zogen. In dem Netz zappelte es, sie hatten Mühe, es einzuholen und die Fische in mit Wasser gefüllte Eimer zu schmeißen. Am Ufer rannten Kinder übermütig zwischen einer Gruppe von Frauen herum, die Wäsche zum Bleichen am Boden ausbreiteten. Große Laken wurden gemeinsam glatt gezogen, sorgsam hingelegt und dann mit Steinen beschwert. Dem guten Zustand der Wäsche nach zu urteilen, waren es Mägde aus einem reicheren Haushalt. Die Kinder beachteten sie nicht, nur wenn sie den Laken zu nahe kamen, wurden sie barsch zur Ordnung gerufen. Ein besonders vorlauter Junge fing sich eine Ohrfeige ein. Es gelang ihm nicht, rechtzeitig unter dem Arm der Magd zu verschwinden.
Laila erhob sich. Sie nahm ihren Beutel und machte sich auf den Weg durch das Tor, um das Fischerviertel zu durchqueren. Eng standen die Fachwerkhäuser aneinander, es roch nach Kohlsuppe und Unrat, der sich auf der Straße angesammelt hatte. Eine Katze spielte mit einem abgenagten Fischkopf. Wäsche hing aus den Fenstern und überdeckte Löcher und Risse in den Fassaden. Zwei Frauen unterhielten sich vor einer Tür, Laila erkannte die eine, bei ihr kaufte ihre Mutter immer Fisch auf dem Markt. Die Frau nickte freundlich zurück.
»Wie geht es zu Hause?«, fragte sie.
»Gut, sehr gut«, antwortete Laila und setzte ein strahlendes Lächeln auf. Es war gelogen, ihnen ging es nicht gut, dem Vater nicht und der Mutter auch nicht. Aber das musste niemand wissen. »Wir haben unser Dach reparieren lassen, nun kann der nächste Frühsommerregen kommen.« In Wirklichkeit hatte es kein Handwerker, sondern ihr Bruder in tagelanger Arbeit repariert. Laila hatte ihm geholfen, so gut es ging.
»Was macht der Bruder?«
»Er hat seine Gesellenprüfung abgelegt und ist vor ein paar Tagen auf Wanderschaft gegangen. Für ein Jahr.« Die Familie vermisste ihn jetzt schon. Seine ruhige, zupackende Art, die ihm bei seinem Beruf als Steinmetz zugutekam, brachte Ordnung in ihrer aller Leben.
»Das ist schön«, die Frau tätschelte Lailas Arm. »Er soll auf sich achtgeben, ich werde für ihn beten. Sind unruhige Zeiten da draußen.«
»Er hat sich eine sichere Route gewählt. In Straßburg hat er von einem bekannten Baumeister gehört, für den er eine Empfehlung im Gepäck hat.«
»Grüße deine Mutter. Sie kann gerne auf einen Plausch vorbeikommen, auch wenn sie nichts kaufen möchte«, meinte die Frau zum Abschied und Laila nickte nur. Bei ihnen hatte es seit Wochen keinen Fisch mehr gegeben, nur Linsenbrei mit Brot aus grobem Korn, das die Mutter nach ihrer Arbeit abends am Herd buk. Wenn es zu dunkel wurde, um die Bücher, die aus der Druckerei kamen, zu binden. Kerzen waren in ihrem Haushalt rar geworden, weil der Vater viel zu viel Zeit mit seinem rastlosen Umherstreifen in der Stadt verbrachte, statt irgendetwas zu arbeiten, und die Mutter von ihrem mageren Verdienst nun noch einen Esser mehr zu ernähren hatte. Laila hatte mithilfe ihres Bruders in ihrer Kammer eine kleine Nische in die Wand eingearbeitet. Dort stand ein Tongefäß mit Deckel, in dem sie die wenigen Münzen, die sie bislang auf die eine oder andere Art verdienen konnte, aufbewahrte. Für ihre Mitgift, wie die Mutter dachte. Laila hingegen hatte die Hoffnung immer noch nicht aufgegeben, irgendwann die Buchbinderwerkstatt des Vaters zurückkaufen zu können. Auch wenn ihr dafür dringend etwas Besseres einfallen musste. Mit ihren momentanen Einkünften würde sie in hundert Jahren noch nicht genug beisammen haben.
Sie ließ das Fischerviertel hinter sich und kam in eine Gegend, in der Kaufleute und betuchtere Familien wohnten. Vor einem der Häuser blieb sie stehen und klopfte energisch gegen die Tür. Es dauerte nicht lange, bis sie von einer Magd geöffnet wurde, die Laila eine ganze Weile missbilligend anblickte, bevor sie den Weg freigab. »Du bist wieder zu spät. Wenn das so weitergeht, brauchst du dich gar nicht mehr blicken zu lassen.«
Laila nickte ergeben und verkniff sich die Antwort, dass das wohl nicht die Magd zu entscheiden hatte, ob sie herkam oder nicht. Sie war es von ihrer Zeit mit den Gauklern gewohnt, von oben herab behandelt zu werden. Trotzdem ärgerte es sie. Sie war die Tochter eines Buchbinders, und wenn ihr Vater nicht diesen Fehler begangen und seine Werkstatt verspielt hätte, dann stünde sie gesellschaftlich über dieser arroganten Magd.
Laila stieg die Treppen hoch, ging den Flur entlang und klopfte an eine Tür, neben der ein Bündel frischer Knoblauchknollen an einem Nagel an der Wand hing. Der Geruch lag nur leicht in der Luft und sollte gegen den bösen Blick und alles weitere Übel helfen, welches das Mädchen in dem dahinterliegenden Raum verhext haben mochte. Laila hielt nicht sehr viel von diesem abergläubischen Kram, doch Franca schien es zu beeindrucken.
Laila wartete kurz auf eine Antwort und trat ein, als keine kam. Franca saß auf ihrem Bett. Sie trug ein wunderschönes Kleid aus grünem Barchent, um das Laila sie beneidete, sooft sie es an ihr erblickte. Die Beine hatte sie ausgestreckt, ihre nackten Füße nebeneinander, so als habe sie bis eben ihre Zehen betrachtet. Mit dem Rücken lehnte sie am hölzernen Gestell, dessen Verzierungen aus Ranken und Blüten ihr in den Rücken drücken mussten. Sie blickte Laila aus dunklen Augen an und sagte kein Wort. Ihr schwarzes Haar fiel auf ihre Schultern, glatt und glänzend.
»Guten Morgen, Franca.« Laila legte einen fröhlichen Ton in ihre Stimme und wusste, dass sie den nun eine Weile durchhalten musste. Franca schien mal wieder in ihrer trüben Stimmung gefangen zu sein und das waren für Laila die schwierigeren Tage. »Wie geht es dir, hast du eine gute Nacht gehabt?« Laila nahm ein Kissen und schob es Franca in den Rücken. Die ließ sich das gefallen, starrte Laila weiter an und schwieg. Gut. Laila dachte an den Rat des Medicus, der Franca gegen die Melancholie tägliche Musik verordnet hatte. Er war davon überzeugt, dass ihr das Flötenspiel helfen konnte. Sie schluckte ihren Unmut hinunter, lächelte wieder und setzte sich neben die Kranke auf das Bett.
»Ich habe vorhin Kinder an der Donau gesehen, wie sie die Mägde geärgert haben, die die Wäsche dort bleichen wollten.«
Franca beobachtete sie. Ein kurzes Lächeln huschte über ihre Lippen, was Laila irritierte.
»Magst du Kinder?«
Franca antwortete nicht. Sie schaute nur.
»Die Kinder waren fröhlich und ausgelassen, ein Junge hat einer Magd die Schürze geklaut. Ausgelassene, wilde Kinder, magst du die? Oder sind sie dir unheimlich?« Vermutlich Letzteres, dachte Laila, doch sie erwartete keine Antwort. Umständlich kramte sie in ihrem Beutel und zog schließlich ihre Flöte daraus hervor. Sie strich über das glatte Holz. Ihre Frage nach dem Lied, welches sie spielen solle, verhallte ebenso unbeantwortet im Raum wie ihre vorherigen Fragen. Also fing sie einfach an und nahm die Melodie, welche ihr als Erstes in den Sinn kam. Ihre Finger bewegten sich auf dem Instrument und sie entlockte ihm die Töne, die sie selbst so liebte. Sie schloss die Augen und gab sich der Musik hin. Eine ganze Weile spielte sie so und als sie einen kurzen Blick auf Franca warf, sah sie, dass das Mädchen ebenfalls mit geschlossenen Augen dasaß. Sie schlief nicht, sie lauschte. Hab ich dich, dachte Laila, während sie sanft weiterspielte.
Sie hatte die Zeit vergessen. Als es unvermittelt klopfte und die Magd eintrat, unterbrach Laila ihr Spiel mitten in einer Tonfolge.
»Das Essen ist auf dem Tisch«, sagte die Frau zu Franca. Laila ignorierte sie. »Die Eltern erwarten, dass Ihr ihnen Gesellschaft leistet.«
»Wunderbar, was gibt es denn?« Mit einem Seitenblick, den Laila sehr wohl bemerkte, rutschte Franca vom Bett und strahlte die Magd an.
»Braten mit Gemüse, soweit ich weiß.«
»Und einen Grießpudding zum Nachtisch, ja? Ich hatte ihn mir gewünscht, sag mir, dass die Köchin ihn nicht vergessen hat.«
»Wenn Ihr gleich mitkommt, werdet Ihr es selber sehen.« Die Magd schien von Francas fröhlicher Lebhaftigkeit überrascht zu sein. Laila hingegen überraschte bei Franca gar nichts mehr. In den Wochen, in denen sie nun schon für sie Flöte spielte, hatte sie so ziemlich alle Facetten des Mädchens mitbekommen. Sie konnte nicht sagen, dass sie ihr alle gefielen. Doch sie nahm es hin. Was hätte sie auch anderes tun sollen. Sie bekam Geld für diese Aufgabe, der Rest hatte sie nicht zu kümmern.
»Franca«, sagte sie ruhig, so dass sich das Mädchen noch einmal zu ihr umdrehte. »Deine Schuhe.« Laila deutete auf ein Paar blaue Stoffschuhe, die neben dem Bett ausgezogen worden waren. Franca machte sich einen Spaß mit ihr und blickte auf die Schuhe, als verstünde sie nicht, was Laila ihr sagen wollte. Laila wusste, dass es diese dunklen Phasen bei ihr wirklich gab. Aber sie wusste auch, dass sie oft genug nur gespielt waren, und obwohl Franca zweifelsohne Hilfe brauchte, ihr das Flötenspiel sichtlich guttat, hatte Laila plötzlich genug, war dieser ganzen Aufgabe so überdrüssig, dass ihr auch kein aufgesetztes Lächeln mehr gelang.
»Soll ich morgen überhaupt wiederkommen?«, fragte sie und zwang sich, Francas Blick standzuhalten.
Zunächst schien es, als wolle das Mädchen ihr auch darauf keine Antwort geben. Doch dann verzog sie ihren Mund.
»Das tust du doch sowieso«, antwortete sie und machte eine kleine Pause, so als würde sie überlegen. »Genauso wie diese nette Frau mit dem italienischen Akzent.« Franca seufzte. »Die dürfte wirklich gerne öfter kommen.« Damit drehte sie sich um und verschwand. Die Schuhe blieben neben dem Bett und ein leichter Knoblauchgeruch kam durch die offene Tür in das Zimmer.
Demütigungen, ja, die hatte Laila nach dem Absturz der Familie oft erlebt. Aber solange sie kämpfen konnte, solange sie wusste, dass es besser würde, wenn sie etwas tat, konnte sie damit leben. Das Schlimme an ihrer jetzigen Situation war, dass sie einfach keinen Ausweg sah.
Auf dem Weg nach draußen ließ sie sich von der Magd auszahlen. Sie hatte keine Lust, mit ihr zu streiten, als sie ihr nur die Hälfte des vereinbarten Betrages in die Hand drückte. Wegen ihrer Verspätung, erklärte die Frau ihr, und Laila wusste, dass die Magd die andere Hälfte in den eigenen Säckel stecken würde. Draußen auf der Straße hielt sie kurz inne, sah oben am tiefblauen Himmel die Schwalben fliegen. Dann ging sie zum Münster und verteilte aus lauter Überdrüssigkeit das Geld unter den Bettlern, die dort herumlungerten. Von dem letzten Rest kaufte sie sich einen Krapfen und aß ihn auf dem Weg nach Hause. Es lohnte nicht, die mageren Münzen, die sie heute bekommen hatte, zu zählen, geschweige denn sie aufzuheben. Erst als sie bereits in die ärmliche Gasse eingebogen war, in der ihr Elternhaus stand, hielt sie inne, leckte sich das Fett von den Fingern und erinnerte sich an Francas Worte. Sie hatte von einer netten Frau mit italienischem Akzent gesprochen, die sie gerne öfter besuchen könnte. Was war das für eine Frau und warum kam sie zu Franca? Laila seufzte, hob die Hände und betrachtete die klebrigen Spuren, die der Krapfen auf ihnen hinterlassen hatte. Dieses kleine Biest, dachte sie. Verpackt in eine ihrer üblichen Provokationen, schickte sie eine Neuigkeit und wusste genau, dass Laila neugierig genug war, um nachzufragen. Sie weiß, wie sie die Menschen an sich bindet. Genauso wie sie wusste, dass Laila Geld brauchte.
Irene schloss die Tür der Kammer hinter sich, die sie und Reginald seit gestern in diesem Gasthaus bezogen hatten. Ein niedriges Fenster ließ Dämmerlicht in den Flur. Eine Magd wischte am anderen Ende den Boden auf und beachtete sie nicht. Leise summte sie eine Melodie, ohne von ihrer Arbeit hochzuschauen. Irene wandte sich nach rechts und stieg die Stufen in den Gastraum hinunter. Zu dieser Stunde befand sich niemand dort, leere Becher standen auf den Tischen, Schüsseln mit Essensresten stapelten sich auf einem. Eine Fliege zog ihre Kreise über einem Fleischrest, offenbar unschlüssig, ob sie sich draufsetzen sollte. Irene hob einen umgefallenen Hocker auf und schob ihn unter einen der Tische. Dann trat sie nach draußen auf die Gasse.
Reginald hatte sich schon früh auf den Weg gemacht, wohin, das wusste sie nicht. Von Geschäften hatte er gesprochen, er müsse etwas für seinen Vater erledigen. Sie war froh, dem Landgut der Familie für ein paar Tage zu entfliehen und in Ulm ein paar Dinge erledigen zu können. Die Geheimniskrämerei ihres Liebsten missfiel ihr zwar, dennoch hatte sie beschlossen, darüber hinwegzusehen und nicht nachzufragen. Sie freute sich darauf, Laila wiederzusehen. Seit sie nicht mehr zusammen mit der Gauklertruppe durch die Lande zogen, trafen sie sich für ihren Geschmack viel zu selten. Laila wohnte wieder bei ihren Eltern in Ulm, wobei es Irene auf das Landgut von Reginalds Vater verschlagen hatte, wo sie als armes Bauernmädchen und ehemalige Tänzerin einer Gauklertruppe nicht wirklich hingehörte, auch wenn ihr Liebster diese Truppe angeführt hatte, bevor er in den Schoß der Familie zurückgekehrt war. Reginald hielt zu ihr. Noch zumindest. Sie wusste nicht, wie lange er dem gesellschaftlichen Druck standhalten würde, der nicht nur von seinem Vater ausging. Ein Mann aus der Oberschicht Ulms und eine Bauerstochter. So eine Verbindung war nicht möglich, nicht einmal mit einem so freien Geist wie Reginald. Irgendwann würde er nachgeben und heiraten müssen. Nur würde sie nicht die Braut sein, so viel war sicher.
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