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Klaus Hofmanns literarisches Stück handelt von einer fiktiv-utopischen Republik Kanaan, die das heutige Israel mit den Palästinensern in einem Staat vereinigt. Das Stück ringt um niedrigschwellige Formen eines friedlichen Zusammenlebens und ist ebenfalls vor allem temperamentsensibel.
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Seitenzahl: 40
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Kalter Frieden
Inhalt
Klaus Hofmann
Das Märchen von Kanaan
Eine literarische Utopie für Israel und Palästina
Anhang
Über den Autor
Impressum
Klaus HofmannDas Märchen von Kanaan Eine literarische Utopie für Israel und Palästina
Wieder und wieder, in jeder Nachrichtensendung, ist es heute zu sehen: das Hissen der Fahne der Kanaanitischen Republik. Auf dem Bildschirm das tiefe Rot des Fahnentuchs, das den alten Namen sinnfällig macht: Kanaan, Purpurland. Ziel und Ende des langen Prozesses, der den jüdischen Staat Israel durch Einbürgerung der Palästinenser zu einem »Greater Israel« zwischen Meer und Jordan aufblähte und in einer demokratischen Revolution liquidierte. Für mich ist die Zeremonie Wiederholung, ein Déja-vu aus Aris Roman, Aris Zukunftsreport. Dort, auf den ersten Seiten, ist der Flaggenwechsel aufgeführt als Bild aus der Zukunft, einer Zukunft, an die Ari womöglich selbst nicht glaubte, die er nur als Fiktion wagte. So sollte es unter die Leute kommen. So kam es mir vor die Augen. Als Skript. Auf Englisch. The Canaanite Republic.
Wir kannten uns flüchtig, aus Seminaren, aus der Mensa. Ari kam auf mich zu auf der Suche nach einem Übersetzer seines Buchs. Sicherlich sollte ich auch Testleser sein, dessen Reaktionen er erfahren wollte. Ich sollte der Erste eines Publikums sein, das er aus der Erstarrung einer politischen Korrektheit herausreißen wollte, die das Existenzrecht Israels beteuerte und darüber die Unhaltbarkeit der Existenz Israels verkannte. Und dieses Publikum war für ihn ein deutsches. In Deutschland wollte er sein Buch gelesen wissen.
Mich engagierte er. Und ich war engagiert. Gepackt. Vor den Kopf gestoßen. Ari Almog, Israeli, Doktorand der Politikwissenschaft in Frankfurt, gibt mir sein Buch zu lesen, die Vision vom Ende des Staates Israel. Es war die Zeit, da die Errichtung eines palästinensischen Separatstaates noch das Ziel der Progressiven war. Die Zeit, da eine Roadmap unter Politikern und Journalisten herumgereicht wurde, auf welcher zwei souveräne Staaten ihre gemeinsame Grenze einzeichnen. Als Reaktionäre, Extremisten, als Kriegstreiber galten die, die auf einem ungeteilten Territorium zwischen Meer und Jordan bestanden, unter israelischer Flagge nach dem Wollen der einen, unter palästinensischer Flagge nach dem Wollen der andern: Greater Israel hier, Filastin dort. Heute stellt sich heraus, die reaktionäre Absicht war, über den Horizont der Reaktionäre hinaus, politische Weitsicht auf den einen Staat, der das Land nicht spaltet. Weitsicht auf das, was sich heute konstituiert: Kanaan, das Purpurland – wie es Aris Vision vorsah.
Damals kam sie mir verwegen vor. Unglaublich. War sie nicht Verrat des Juden Ari Almog, des israelischen Bürgers, an dem Staat, der die Juden Nation werden ließ, sie als seine Bürger schützte und denen, die noch nicht Bürger waren, Zuflucht versprach. So war es mir zu verstehen gegeben worden, so hatte ich es verstanden, als Schüler, als Student. Israel, das historische Projekt, dessen Gelingen Heil versprach nach dem Unheil, das den Juden von uns Deutschen zugefügt worden war. Israel, in dessen Aufbau und Sicherung wir Deutsche das, was wir Wiedergutmachung nannten, einsetzen konnten. Und nun Aris Attacke auf dieses fromme Weltbild.
»Weißt du«, sagte er – wir saßen über einer Tasse Kaffee in der Rotunde des Frankfurter Campus – »weißt du, euer Enthusiasmus für Israel, ihr macht euch was vor – und uns Israelis auch. Wenn der Führer, so flüstert ihr euch und uns ein, wenn der Führer Millionen Juden umbringen ließ, dann muss das seinen guten Sinn und Zweck gehabt haben, und siehe da, als guter Zweck stellt sich die Gründung des Staates Israel heraus. Indem ihr dazu steht, steht ihr zu den Verbrechen, die die Gründung beförderten.«
Aris Manuskript öffnete mir die Augen für die Übereinstimmung nationalsozialistischer und zionistischer Interessen und Programme in den Dreißigerjahren. Ich ging den da aufgezeigten Spuren nach. Ich erinnerte mich an ein Döblin-Seminar während meines Studiums und an ein Referat über Döblins Engagement in der Freilandbewegung der Dreißigerjahre, wo dieser enthusiastisch ins völkische Horn stieß. Die Referentin las uns damals eine bittere Polemik von Marcuse – war’s Herbert, war’s Ludwig? – vor, der vom Zeitalter der nationalistischen Idiotie sprach, der auch die Juden verfallen seien. Ari sah sich bestätigt, wollte wissen, wo dieser Marcuse nachzulesen sei. Ich lieh mir Joachim Prinz’ Buch Wir Juden aus, geschrieben 1933, veröffentlicht 1934, und fand darin den damals aktuellen Antisemitismus begrüßt als Erwecker eines neuen, selbstbewussten Judentums, fand die Judenfeindschaft geschätzt als Abweisung drohender Assimilation, als Aufruf zur »Nationwerdung des Judentums« und zum Aufbau eines »nationalen Sozialismus« in Palästina. Schon Herzl verließ sich auf den Antisemitismus: »Die Volkspersönlichkeit der Juden kann, will und muss aber nicht untergehen. Sie kann nicht, weil äußere Feinde sie