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Mit dem Segen der Götter wird ein Kind in das Adelsgeschlecht der Fujiwara im alten Japan geboren. Unter den Augen des Mondes wird es leiden, wachsen und Licht in die Welt bringen. - Ein Märchen über Liebe, Vertrauen und Güte, aber auch die Herausforderungen des Lebens, die unseren Glauben zerstören oder härter denn je schmieden können.
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Seitenzahl: 205
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Das Märchen
von
Prinzessin
Hase-Hime
Nacherzählt von
Zoé Waltermann
Für Opa, der mir in einer kleinen, dunklen Kammer Märchen vorlas und mich Wertschätzung spüren ließ, wenn es kein anderer tat.
Und für E. Michel, die liebste Frau, die ich kenne.
Um Sie, lieben Leser, und mich, die Schöpferin dieses Buches, vor eventuellen Enttäuschungen und Anschuldigungen zu wahren, sei gesagt:
1. Ich bin nicht japanischer Abstammung. Sollte es also ein Problem für Sie darstellen, dass ich als ziemlich deutsche Frau ein japanisches Märchen aufgearbeitet habe, rate ich Ihnen, dieses Buch am besten gleich fortzulegen.
2. Obwohl ich für meine Geschichte mehrere Stunden an Recherche verbracht habe, ist dies kein Sachbuch.
Nicht alle geschichtlichen Begebenheiten mögen sich daher mit den, in diesem Buch vorhandenen Beschreibungen decken.
Inhaltsverzeichnis
Das Gebet
Der Tod
Die Hochzeit
Das Fest
Das Unwetter
Der Verlust
Das Dorf
Die Lehre
Das Wunder
Die Rückkehr
Das Ende
Nachwort
Mein Dank
Das Gebet
Es war einmal, vor langer, langer Zeit, im alten Japan, da lebte der weise Staatsmann Prinz Fujiwara no Toyonari mit seiner Frau, Prinzessin Murasaki. So ist es nun so, dass viel Macht des Einen in aller Regel auch viel Arglist, Neid und Hass des Anderen mit sich bringt. Dieses hohe Paar jedoch war so gerecht, so herzlich und stark, dass sich sagen ließ, dass jeder einzelne ihrer Untertanen, vom Adeligen, zum Bettler, zur winzigen Maus, sie aufrichtig liebte. Die Jahre verstrichen unter ihrer Herrschaft, gefüllt mit Reichtum, Wohlstand und Heiterkeit. Währenddessen wuchs mit jedem Tag in den Eheleuten der urtümliche Wunsch nach einem Kind. Aber so sehr sie auch hofften, beteten und flehten, dieses Geschenk wurde ihnen nicht gewährt. Eines Nachts schreckte Prinzessin Murasaki aus ihren Federn auf, als hätte man sie im Schlafe tief gestochen. Zügig durchkämmte sie den Palast nach ihrem Gatten. Nach einiger Zeit wurde sie im Garten, den Toyonari ihr einst zur Verlobung schenkte, in dem dieser aber oft selbst Trost suchte, wenn ihn seine Kinderlosigkeit arg zu sehr grämte, als dass er zu irgendeiner Form der Ruhe kommen könnte, fündig. Besorgt lief er Murasaki entgegen, sobald er sie erblickte.
»Meine Prinzessin, ist etwas nicht in Ordnung? Hattet Ihr einen schlechten Traum, dass Ihr mich nun hier, in der Kälte, zu so später Stunde noch aufzusuchen pflegt?«
»Ihr irrt, mein Gatte. Sollte es irgendwo auf der Welt etwas Kältegleiches geben, so läge mir im Moment nichts ferner, als dieses als solches zu erkennen.«
»Wie das? Nun quält mich nicht weiter mit Unwissenheit, sondern erhellt auch meinen Geist mit dem Ursprung Eurer
Freude… Oder ist es doch Furcht, die Euch die Kälte vergessen lässt?«
»Aber nein, mein Liebster, es ist die Aufregung. Mir kam im tiefsten Schlummer die Eingebung, nach Hase zu pilgern, um dort die große Kannon um ihren Segen zu bitten, uns ein Kind aufziehen zu lassen.«
Toyonari wandte den Blick von seiner geliebten Frau ab, da ihre unverhohlene Hoffnung ihn beinahe zerriss, wo sie doch beide wussten, dass die Götter sich nur zu selten in die Belange der Menschen einmischten und noch seltener in solch banalen Wunsch, wie sie beiden ihn hegten. Betrübt betrachtete er die Blüten des großen Kirschbaumes in der Mitte des Hofes, dessen rosafarbene Blätter im fahlen Licht des Vollmonds beinahe zu leuchten schienen.
»Ich fürchte diese Bemühungen werden vergebens sein«, brachte er seine Mutlosigkeit zum Ausdruck.
»Sagt mir, wer sollte uns eher erhören, als die Göttin der Barmherzigkeit?«
Toyonari schwieg eine lange Zeit, dann sagte er: »Ich weiß es nicht.«
»Dann lasst es uns versuchen«, flehte Prinzessin Murasaki.
»Wir folgen den Lehren des Buddhas, wir sind bereit, Kannon alle Ehrerbietung entgegen zu bringen, die sie nur verlangen könnte und wichtiger noch: Wir haben doch nichts zu verlieren, oder?«
Mit einem Seufzen wischte der Prinz eine einsame Träne von ihrer Wange, die sich aus ihrem linken Augenwinkel gelöst hatte.
»Sollte dies Euer Wunsch sein, so soll es geschehen. Doch ich habe die böse Ahnung, dass, egal wie dies hier enden solle, im Mindesten einer von uns daran zu Bruch gehen werde.«
Dankbar ließ sich Murasaki in seine Arme sinken.
»Sei es so, so wird es immer noch besser sein, als das haltlose Flehen, welches unsere beiden Geister zermürbt. Hab Vertrauen, mein Liebster, mit der Zeit wird schon alles seinen richtigen Lauf nehmen.«
***
Sobald die ersten Sonnenstrahlen die Erde küssten, begannen Prinz Fujiwara no Toyonari und Prinzessin Murasaki ihre Reise zum Tempel der Kannon in Hase. Die Berater des Prinzen waren zwar vorerst skeptisch gegenüber dieses spontanen Unterfangens gewesen, doch wollten sie die Provinz gerne in den Händen eines direkten Nachfahrens des geliebten Paares wissen und ließen sich dadurch schnell in ihrer Ablehnung besänftigen. Mit nicht mal hundert Mann im Gefolge ritten der Prinz und die Prinzessin durch das Land. Es wäre eine Reise von nicht mal zwei Tagen bis zum Tempel gewesen, wären nicht die Zufälle arg boshaft mit ihnen umgesprungen. So benötigten sie ganze vier Tage, da Regen, Sturm und Hindernisse auf dem Pfad alles daran zu setzen schienen, sie aufzuhalten. Die weise Murasaki erkannte jedoch, dass dies bereits die ersten Prüfungen waren, die ihnen von den Göttern gestellt wurden, um die Aufrichtigkeit ihres Wunsches zu testen. Mit eisernem Willen kämpften sie sich weiter voran, ließen einige gute Männer zurück und schöpften ein ums andere Mal neue Kraft aus ihrem Glauben und den Jubelrufen der Untertanen, denen sie begegneten. In Fäden prasselte der Regen zur Erde und die Blitze ließen die Nacht zum Tage werden, als sie am vierten Tag ihrer Reise, mit nur noch knapp fünfzig Mann, den ersehnten Tempel erspähten. Die Reise hatte ihnen allen viel abverlangt, doch erfüllte sie der Anblick ihres Ziels mit so viel Erleichterung, dass es nichts mehr gab, was die Gruppe hätte aufhalten können. Sie erreichten die Pforte zum
Tempel und die Mönche, die bereits vom Nahen des Prinzen Toyonari und seiner Frau gehört hatten, erwarteten sie mit gesenkten Köpfen. Schweigend geleiteten sie die Reisenden in ihre bescheidenen Wohnräume, gaben ihnen zu essen und zu trinken und ein kleines Feuer, an dem sie sich wärmen konnten.
Murasaki, wollte nicht mit ihrem Gebet warten, trat sogleich wieder hinaus in das Tosen des Sturms und läutete die metallene Gebetsglocke, die ihr die Aufmerksamkeit der Gottheit verschaffen sollte. Durchnässt wie sie war, kniete sie sich vor dem Schrein nieder und begann so innbrünstig zu beten, dass die große Kannon sogar den Sturm abklingen ließ, um der Stimme der Prinzessin besser lauschen zu können.
»Oh große Kannon«, sagte diese mit zum Boden gerichtetem Blick, »Göttin der Barmherzigkeit, ich flehe Euch an, gewähret mir, was mein Herz sich sehnlicher wünscht, als mein eigenes Leben: Ein Kind. Mir gleich, von welcher Gestalt, mir gleich, von welchem Gemüt, nur bitte, bitte, ein Wesen, dem ich all meine Liebe schenken, und dass ich formen kann, nach den Werten des Buddhas, dass es ein weiser und guter Herrscher für mein Volk wird.«
Die Göttin beobachtete Murasaki noch mehrere Stunden, in ihrer gebückten Haltung. Mit den ersten Morgenboten betrat auch der Prinz die Gebetshalle und wie er seine Frau so in der Lache aus Regenwasser vorfand, war es ihm, als würde sich eine Würgeschlange um seinen Brustkorb legen und ihn zum Bersten bringen wollen.
»Mein Herz«, sagte er sanft, »ruht Euch aus.«
»Nein, ich werde bleiben bis man mich erhören, oder der Tod mich finden wird.«
»Bitte, sagt nicht so böse Worte! Ich werde Euren Platz bis zum Abend einnehmen und mich nicht rühren, bis die Nacht hereinbricht. Dann sollt Ihr mich ablösen, auf dass die große
Kannon selbst kein Auge zu tun kann, ehe sie uns nicht geantwortet.«
»Wie könnt Ihr so was sagen?«, rief die Prinzessin erschrocken aus. »Was, wenn Ihr die Gottheit dadurch verärgert?«
»Beruhigt Euch, mein Herz, sie wird mir mein unbedachtes Reden gewiss nicht aufwiegen, wo sie doch weiß, welch Verzweiflung mir den Sinn vernebelt«, antwortete Toyonari, aber auch ihn hatte die Furcht vor dem Zorn der Göttin bleich werden lassen.
Schließlich gab sich Murasaki geschlagen und ließ sich, mit einer letzten ehrerbietigen Verbeugung zur goldenen Statue der Kannon, von den guten Mönchen des Tempels hinausgeleiten.
Da es zuvor dunkel gewesen war, konnte sie erst jetzt die strahlende Schönheit des Tempels erkennen: Die jadefarbenen Dachschindeln, das weiß-rot gestrichene Gebetshaus, der große Lampion am Eingang und die vielen Kirschbäume in und um das Gelände herum, die auch nach dem starken Unwetter vom Vortag noch alle ihre Blüten in voller Pracht trugen und einen süßen Geruch verströmten. In dieser Schönheit würde sie mit ihrem Gemahl noch sechsundzwanzig Tage verweilen, einer von ihnen steht’s vor Kannons Schrein kniend, zumeist noch unterstützt von ihrem treuen Gefolge, das ihre Gebete mit aufnahm, bis sich die Göttin schließlich ihrer erbarmen würde.
***
Rund und hell blickte der Mond auf den Tempel der Göttin der Barmherzigkeit herab und wunderte sich, die schöne Prinzessin Murasaki noch immer, wie all die Nächte zuvor, im Gebetshaus knien zu sehen. Er konnte schließlich nicht wissen, dass sie, sobald die Sonne ihre Herrschaft antrat, von ihrem Gemahl abgelöst wurde und rätselte deswegen schon seit einer
ganzen Weile darüber, wie ein Menschlein nur solche Kräfte aufbringen konnte. Es sollte die letzte Nacht sein, die er sie in Kannons Tempel vorfand, denn endlich entschied die Göttin, dass der Prinz und die Prinzessin ihren Willen bewiesen hatten.
Hinter ihren geschlossenen Augenlidern erschien Murasaki ein goldenes Licht, so blendend, dass sie ihre Augen im ersten Moment zusammenkneifen wollte, bis ihr aufging, dass sie sie bereits geschlossen hatte. Sie wusste, dass dies das ersehnte Zeichen von Kannon sein musste und wartete still, ob noch mehr geschehen würde. Plötzlich war es ihr, als spräche eine Stimme in ihrem Kopf zu ihr.
»Ich habe dich vernommen«, sagte die Stimme. »Ich bin bereit, dir zu geben, was du begehrst, doch möchte ich dich warnen, dass alles Geschehen im Universum stets seinen Preis hat.«
Mit einem Mal wusste Murasaki, was sie zu zahlen hätte, doch ohne zu zögern antwortete sie in Gedanken: »Ich werde geben, was auch immer Ihr von mir verlangt, große Kannon.«
Ohne ein weiteres Wort verschwand das Licht aus ihrer Sicht und ließ sie in einer Dunkelheit zurück, die ihr zuvor nie so tief und schwarz erschienen war.
»Danke«, flüsterte Murasaki gen Schrein und die Tränen die sie vergoss waren nicht länger salzig vor Trauer, sondern süß wie Honig.
Sie ließ sich Zeit für ihre Dankesworte, bis sie sich schließlich erhob und die Kammer ihres Gemahls aufsuchte.
Am liebsten hätte sie ihn sogleich geweckt, um ihre Freude mit ihm zu teilen, doch wie sie ihn so schlafen sah, die tiefen Furchen, welche sich in den letzten Tagen in sein Gesicht gegraben hatten, etwas ebenmäßiger als sonst, brachte sie es nicht übers Herz, seinen Frieden zu stören. Leise legte sie sich neben ihn und versuchte ebenfalls etwas Schlaf zu finden. Die Aufregung über den Segen der Göttin, hielt sie noch für
mehrere Stunden wach, in denen sie sich ausmalte, wie glücklich sie sein würde, wenn sie endlich ihr Kind in ihren Armen halten, oder auch nur in ihrem Bauch treten spüren würde.
***
Als Prinz Fujiwara no Toyonari am nächsten Morgen seine schöne Frau neben sich schlafend fand, verstand er erst nicht, was dies zu bedeuten hatte. Da schlug sie schon die Augen auf und die pure Freude, die in ihren Blick stieg, beantwortete all seine Fragen mit einem Mal.
»Ist es wirklich wahr?«, musste er dennoch fragen, denn nach all den Jahren des verzweifelten Flehens, weigerte sich sein Verstand dagegen, die Möglichkeit baldiger Erfüllung seines sehnlichsten Wunsches anzuerkennen.
»Es ist so wahr wie das Zwitschern der Vögel, das gerade an Euer Ohr dringt, mein Liebster. Jedoch«, sagte sie und ein Schatten legte sich über ihre schönen Augen, »gibt es etwas, was ich Euch wohl sagen muss, auch wenn ich mir wünschte, Eure Freude nicht trüben zu müssen.«
»Sagt, mein Herz, was ist es?«, fragte der Prinz besorgt ihre Hände umhüllend.
»Das Geschenk der Kannon hatte seinen Preis. So werde ich mein Leben für das unseres Kindes geben müssen.«
»Nein!«, rief da der Prinz in jähem Schmerze aus. »Das kann nicht wahr sein! Wie konnte die Göttin der Barmherzigkeit uns nach all unseren Mühen nur solch hinterlistigen Handel unterschieben?«
»Redet nicht so! Alles im Universum hat seinen Preis, unabhängig davon, ob ihn die Kannon bestimmt, oder jemand anderes. Und sie ist barmherzig. So wird sie mir nicht nur ein
Kind schenken, sondern ebenfalls noch sieben Jahre, die ich mit ihm verbringen darf.«
»Es sind mir nur noch sieben Jahre an Eurer Seite vergönnt?
Oh, wie furchtbar doch das Schicksal mit mir umspielt. Ihr werdet gehen und mich vergessen, doch ich werde dazu verdammt sein, zurückzubleiben, mit der Trauer über meinen Verlust, da ich unser Reich im Namen des Kaisers lenken, und einen würdigen Nachfolger heranziehen muss.«
»Gewiss habt Ihr recht, dass Ihr mehr leiden werdet, als ich«, sagte Murasaki ruhig. »Und doch werdet Ihr ein Kind bei Euch haben, welches Eure Tage erhellt und vielleicht auch irgendwann eine andere Frau, die Ihr wie mich zu lieben lernen werdet.«
»Wie könnte ich daran denken, eine andere Frau zu lieben, wenn doch alles, wofür mein Herz schlägt, in diesem Moment vor meinen Augen ist? Wie könnte ich daran denken, einem Kind die ihm zustehende Liebe zu schenken, wenn es doch der Grund sein wird, dass ich meine eigene Liebe auf ewig verliere?«
»Gatte«, sagte die Prinzessin und ihre Stimme nahm eine so ungewohnte Schärfe an, dass Toyonari kurz daran zweifelte, kein Trugbild vor sich zu haben.
»Ihr werdet dieses Kind lieben, weil ich es schon jetzt so sehr liebe, dass ich für es mein eigenes Leben gebe«, fuhr Prinzessin Murasaki fort. »Auch wenn ich selbst dieses Leben hinter mir lassen werde, so werdet Ihr doch jedes Mal, wenn Ihr unserem Sohn oder unserer Tochter ins Gesicht blickt, mich in ihm oder ihr erkennen. Und ich möchte, dass Ihr wisst, dass es die sieben Jahre, die mir noch bleiben, tausendfach so schön machen wird, wie es noch fünfzig Jahre ohne Kind vermögen würden. Nun lasst uns Heim kehren, die frohe Botschaft unseren treuen Bürgern verkünden, dass sie bald einen Prinzen oder eine Prinzessin ihr Eigen nennen können.«
Obwohl Toyonari noch immer nicht gänzlich von der Richtigkeit des Schicksallaufs überzeugt war, wusste er doch, dass sein Widerstand die Dinge nur erschweren würde.
Stattdessen nahm er sich vor, jeglichen Gedanken an das Schicksal seiner geliebten Frau zu verdrängen, auf dass zumindest die kommenden sieben Jahre mit Glückseligkeit getränkt wären, und vielleicht sogar die Götter selbst den verhängnisvollen Handel mit seiner Gemahlin vergessen würden.
***
Die Rückreise verlief ohne jegliche Unannehmlichkeiten, sodass sie schon am Mittag des zweiten Tages ihren Palast erreichten. Ihre Pferde waren von Blumen geschmückt, die ihnen die Leute, denen sie auf dem Weg begegnet waren, als Zeichen ihrer Freude über die baldige Ankunft eines kleinen Prinzen oder einer kleinen Prinzessin, angesteckt hatten. Sie alle waren fest davon überzeugt, dass ein Spross ihres geliebten Herrscher-Paares gewiss alle Tugenden, die man sich nur wünschen konnte, besitzen würde. Dass sie dafür ihre jetzige Prinzessin verlieren würden, wurde ihnen verschwiegen.
Tatsächlich sollte nie jemand Gewissheit über den Preis des Segens haben, außer Muraki, Toyonari, der Mond und Kannon selbst. Stattdessen würden sie das Dahinscheiden nur für ein großes Unglück halten und ohne trübenden Schleier ihre neue Prinzessin ehren.
***
Die Wochen vergingen, und mit jeder wölbte sich der Bauch der Prinzessin Murasaki mehr. Tritte spürte sie nie. Doch immer wenn sie begann, sich Sorgen um das Wohlergehen ihres
stillen Kindes zu machen, war es ihr, als würde sie einen Herzschlag unter ihrem Eigenen verspüren. Die Ärzte sagten ihr, dass dies nicht möglich sei, aber Murasaki schenkte ihrem pragmatischen Urteil keine Beachtung, da sie doch wusste, dass es viele Dinge zwischen Himmel und Erde gab, die niemand mit Fakten und Zahlen zu ergründen vermochte.
***
Prinzessin Hase-Hime wurde zu Vollmond geboren. Ihre Mutter hatte ihr den Namen gegeben, als Dank an die Göttin Kannon, obwohl ihr Gemahl sich gegen ihn ausgesprochen hatte, weil es für ihn eine ständige Erinnerung an das Opfer war, welches sie im Tempel von Hase gelassen hatten. Er fürchtete, dass er sein Kind weniger lieben werde, wenn sogar sein Name ihm wie Spott der Götter vorkam. Diese Sorge stellte sich als unbegründet heraus. Sobald er seine Tochter, Prinzessin Hase, das erste Mal erblickte, war all sein Kummer, all seine Verbitterung hinfort gespült. Das Kind weinte nicht.
Es lag nur ruhig in den Armen seines Vaters, blickte aus großen, dunklen Augen zu ihm auf und schien auf etwas zu warten. Der Mond wartete ebenfalls. Er wusste ja von der Bürde, die auf Toyonaris Gemüt lag und anders, als die zuversichtliche Prinzessin Murasaki, bangte er darum, dass die kleine Hase keinen liebenden Vater bekommen würde. Der Prinz neigte seine Lippen zu der Stirn des Kindes und hauchte einen so behutsamen Kuss auf sie, als fürchtete er, sie könne jeden Moment unter seiner Berührung zu Staub zerfallen. Ein Herrscher sollte zwei Dinge lieben: Sein Volk und seine Krone.
Fujiwara no Toyonari hatte ein großes Herz, denn er liebte alle Leute in seinem Reich, er liebte seine Frau, er liebte die Schönheit der Wälder und Berge, der Städte, der Naturgewalten, aber von diesem Moment an, würde sein Herz
nicht mehr reichen, um all seine Liebe zu halten. Mit der Zeit würde es wachsen, aber vorerst war er so überwältigt von seinen Gefühlen, dass er das erste Mal seit zwei Jahrzehnten eine Träne vergoss. Murasaki lächelte mild, als sie ihren Mann so verwundbar sah. Sie hatte nie daran gezweifelt, dass er ihre Tochter so sehr lieben würde, wie sein ganzes Volk, die Schönheit der Wälder, Berge, Städte und Naturgewalten zusammen.
Der Tod
Die Zeit verging schnell. Es kam dem Mond vor, wie nicht mehr als ein Atemzug, bis er die kleine Prinzessin Hase nicht mehr an der Brust ihrer Mutter schlafen, sondern an ihrer Hand durch den nächtlichen Garten spazieren sah. Allerdings war er ja auch schon alt und sein Zeitempfinden damit nicht mit dem der Menschen zu vergleichen. Das kleine Mädchen mochte den Mond. Er erschien ihr wie ein gutmütiger Onkel, der schon seit Anbeginn ihres Lebens ein behütendes Auge auf sie hatte. Die erste Nacht, in der sie bemerkt hatte, dass ihr Freund nicht wie sonst bleich zwischen den Sternen stand, hatte sie bitterlich um ihn geweint und Zuflucht in den Armen ihrer Mutter gesucht, wo sie doch meinte, ihr Beschützer sei auf ewig verschwunden.
Aufs Zärtlichste hatte Prinzessin Murasaki ihr übers Haar gestrichen und erklärt: »Mein liebes Kind, sorge dich nicht.
Dem Mond wird nichts geschehen, dafür sorgt Tsuki no Usaki.«
»Mutter, wer ist das?«
»Um das zu verstehen, will ich dir die ganze Geschichte erzählen: Es waren einmal drei Freunde, ein Affe, ein Fuchs und ein Hase. Trotz ihrer vielen Unterschiede liebten sie es, zusammen zu spielen, die Welt zu entdecken und einander beim Aufwachsen zur Seite zu stehen. Eines Tages trafen sie im Wald auf einen alten, mageren Mann. Mit schwacher Stimme bat er sie um etwas zu Essen. Sogleich sprangen Affe und Fuchs auf, um ihm seine Bitte zu erfüllen. Der Affe kletterte auf Bäume, süße Früchte zu sammeln, während der Fuchs ihm ein paar Fische aus dem nahen Fluss erjagte. Der Hase aber, wusste nicht, was er dem Alten geben konnte. Er konnte keine Früchte von Bäumen pflücken, wie der Affe, und er konnte auch keine Fische aus dem Fluss fangen, wie der Fuchs. Er
erreichte nur das grüne Gras unter seinen Pfoten, von dem er wusste, dass es den Menschen nicht bekam. Also bat er den Mann darum, ein Feuer zu machen. Kaum war dies vollbracht, rannte er selbst mitten in die Flammen, um sein eigenes Fleisch dem Hungernden anzubieten.«
Erneut füllten sich die großen Augen der kleinen Prinzessin mit Tränen, da sie an den armen Hasen denken musste, der bei lebendigem Leibe verbrannt war. Prinzessin Murasaki lächelte.
»Aber, aber, mein Lotus. Weine nicht, du wirst später mal unsere Provinz verwalten. Um eine gute Herrscherin zu werden, musst du genauso selbstlos sein, wie der Hase aus der Geschichte. Sollte dein Volk hungern, musst du diejenige sein, die daran am meisten Leid trägt. Außerdem geht die Geschichte noch weiter, denn der alte Mann entpuppte sich als Taishakuten, der Herr des Himmels. Er war so gerührt von dieser selbstlosen Geste, dass er den Hasen mit zum Mond nahm, um ihm dort ein ewiges Leben zu ermöglichen. Dort oben sitzt er noch heute, bereitet jede Nacht Reiskuchen mit seinem Mörser zu, damit ihm nicht langweilig wird und ist bei uns als Tsuki no Usaki bekannt.«
»Aber was ist mit dem Affen und dem Fuchs?«, fragte Prinzessin Hase mit all der kindlichen Unschuld, die ein menschliches Wesen in der Lage sein konnte, aufzubringen.
Verwundert zog Murasaki die Augenbrauen zusammen.
»Was sollte mit ihnen sein?«, erkundigte sie sich.
Da erklärte das kleine Mädchen geduldig: »Sie haben ihren Freund, den Hasen, doch bestimmt ganz furchtbar vermisst, wo sie doch jeden Tag bis dahin mit ihm zusammen gespielt hatten.«
Prinzessin Murasaki nickte ernst.
»Oh ja, das haben sie ganz bestimmt. Aber der Lauf der Dinge lässt sich nun mal nicht aufhalten. Außerdem konnten sie ihn beinahe jede Nacht im Mond mörsern sehen und sich ihm
nahe fühlen. Das solltest du übrigens auch, mein Lotus, denn er erinnert uns Menschen an die Wichtigkeit, von Aufopferungsbereitschaft für den Nächsten und dem Zusammenspiel aller Lebewesen auf dieser Welt.«
Prinzessin Hase war noch sehr jung und verstand deswegen nicht genau, was ihre Mutter ihr in diesem Moment mit auf den Weg geben wollte. Sehr wohl besaß sie aber bereits einen aufmerksamen und gewissenhaften Geist, weswegen sie ihr Bestes gab, die Worte ihrer Mutter zu verinnerlichen, um ihnen gehorsam zu sein.
***
Zwei weitere Jahre vergingen, in denen Prinzessin Hase-Hime unter der Anleitung ihrer liebenden Eltern zu einem strahlenden Kind heranwuchs. Sie war der ganze Stolz ihrer Heimatprovinz, mit deren Verwaltung ihre Familie schon seit Generationen vom Kaiser beauftragt war. Doch das Glück sollte nicht von Dauer sein, denn der Tribut an Kannon blieb immer noch zu zahlen. Kurz nach Hases fünften Geburtstag, wurde Prinzessin Murasaki sehr krank. Sie mühte sich, es vor ihren Liebsten zu verbergen, doch nach vermehrten Schwächeanfällen auf Spaziergängen mit ihrem Gemahl, konnte selbst dieser seine Augen nicht mehr vor dem Offensichtlichen verbergen: Seine Frau würde aus seinem Leben heraustreten. Obwohl er wusste, dass dem göttlichen Willen kaum etwas entgegenzustellen war und obwohl Murasaki ihn beschwor, ihr Schicksal zu akzeptieren, rief er die besten Ärzte des Landes zu seinem Palast, auf dass sie seine Gemahlin heilen würden. Jeder von ihnen tat, wozu er in der Lage war. Selbst die Geldgierigsten unter ihnen erweichten, sobald sie die tragische Geschichte der bildschönen Adelsfamilie erfuhren und sahen, wie viel Güte, Weisheit und
Glaube in ihr steckte. Doch alle Bemühungen waren vergeblich.
Mit jedem Tag ging es der Prinzessin schlechter: Ihr Appetit verschwand, sie wurde dünner und dünner, ihre Haut lag zart auf ihren Knochen und unter ihren Augen lagen tiefe Schatten.
Prinz Toyonari war dabei ein Ebenbild seiner Frau, so sehr laugte ihn die Sorge um sie aus. Es kam sogar so weit, dass die von ihm bestellten Ärzte nicht selten ihn als ihren Patienten vermuteten, oder mit wichtigen Minen von übertragbaren Krankheiten sprachen. Die kleine Prinzessin Hase aber, gedieh weiterhin ganz prächtig. Sorglos bestritt sie ihre Tage, da ihre Eltern alles daran setzten, ihr die schlimme Nachricht so lang wie möglich vorzuenthalten. Prinzessin Murasaki wusste, dass ihr nur noch wenige Tage blieben, als ihr ein Gedanke kam: Ihre Tochter brauchte eine Freundin. Hase war ein liebes, wohlerzogenes Kind, weswegen sie unter Gleichaltrigen stets ohne Probleme Anschluss fand. Ja, meist waren es die anderen Kinder, die um ihre Aufmerksamkeit buhlten, die sie im Zuge ihres bereits stark ausgeprägten Sinns für Gerechtigkeit großzügig jedem gleichermaßen schenkte. Jedoch handelte es sich bei diesen Kindern um Sprösslinge von Bauersfamilien eines nahegelegenen Dorfes. Weder Murasaki, noch Toyonari etwas dagegen einzuwenden, dass ihre Tochter mit Bürgerlichen ihre Zeit verbrachte, aber der große Unterschied ihrer Stände ließ sich niemals gänzlich vergessen. So fiel es Kindern zwar sehr leicht, jegliche Unterschiede in ihren Spielen außer Acht zu lassen, doch war es nun mal eine andere Verbindung die sie untereinander teilten, wo sie sich tagaus tagein zusammen rauften, als zur Prinzessin, die sie alle paar Tage einmal zu sich in den edlen Garten ihrer Mutter einlud.
Und erst die Eltern – Sie küssten förmlich den Boden, auf dem Prinzessin Hase wandelte und unterbanden sogleich jegliche Form der Neckerei ihrer Kinder in ihrer Anwesenheit, aus Furcht, den Unmut des mächtigen Clans der Fujiwara auf sich