Das Mord-Phantom - Günter Dönges - E-Book

Das Mord-Phantom E-Book

Günter Dönges

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Beschreibung

Exzellent – das ist er im wahrsten Sinne des Wortes: einzigartig, schlagfertig und natürlich auch unangenehm schlagfähig. Wer ihn unterschätzt, hat schon verloren. Sein Regenschirm ist nicht nur sein Markenzeichen, sondern auch die beste Waffe der Welt. Seinem Charisma, Witz und Charme kann keiner widerstehen. Der exzellente Butler Parker ist seinen Gegnern, den übelsten Ganoven, auch geistig meilenweit überlegen. In seiner auffallend unscheinbaren Tarnung löst er jeden Fall. Bravourös, brillant, effektiv – spannendere und zugleich humorvollere Krimis gibt es nicht! Parker und das »Mord-Phantom« Paul Walton war mehr als zufrieden. Schnaufend stieg er von dem schmalen und hohen Barhocker herunter und nickte dem Koch hinter dem Tresen des Schnellimbiß anerkennend zu. Dann ging er mit den schnellen, kleinen Schritten, wie sie korpulenten Personen eigen sind, hinaus zu seinem Wagen und setzte sich ans Steuer. Er war eigentlich in zweifacher Hinsicht mehr als zufrieden. Das eben servierte Steak hatte sich als überraschend zart, saftig und würzig erwiesen. Und das Auftragsbuch in seiner großen Ledertasche war genauso gut gefüllt wie jetzt sein Magen. Paul Walton war Vertreter für Schnellkochtöpfe. Zwei Tage lang war er unterwegs gewesen. Im Gegensatz zu seinen sonstigen Reisen hatte er diesmal seine Zunge kaum zu strapazieren brauchen. Die Auftragsbücher hatten sich fast von allein gefüllt. Die lange Nachtfahrt zurück nach Chikago schreckte ihn nicht. Schließlich hatte er ein Radio an Bord. Und schließlich war da die innere Freude über die eingeholten Aufträge. Solch ein gutes Geschäft hatte er schon lange nicht mehr gemacht. Nachdem Walton sich eine Zigarette angezündet hatte, steuerte er den Ford auf die Landstraße hinaus, schaltete hoch und ging dann auf Reisegeschwindigkeit. Die Nacht war zwar etwas dunstig, doch das machte ihm nichts aus. Walton fuhr ohnehin niemals schnell. Dazu fühlte er sich zu alt. Er war immerhin bereits 53 Jahre und lag in einem Dauerkampf mit seinem leicht erhöhten Blutdruck.

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Der exzellente Butler Parker – 97 –

Das Mord-Phantom

Günter Dönges

Parker und das »Mord-Phantom«

Roman von Günter Dönges

Paul Walton war mehr als zufrieden.

Schnaufend stieg er von dem schmalen und hohen Barhocker herunter und nickte dem Koch hinter dem Tresen des Schnellimbiß anerkennend zu. Dann ging er mit den schnellen, kleinen Schritten, wie sie korpulenten Personen eigen sind, hinaus zu seinem Wagen und setzte sich ans Steuer.

Er war eigentlich in zweifacher Hinsicht mehr als zufrieden.

Das eben servierte Steak hatte sich als überraschend zart, saftig und würzig erwiesen. Und das Auftragsbuch in seiner großen Ledertasche war genauso gut gefüllt wie jetzt sein Magen.

Paul Walton war Vertreter für Schnellkochtöpfe. Zwei Tage lang war er unterwegs gewesen. Im Gegensatz zu seinen sonstigen Reisen hatte er diesmal seine Zunge kaum zu strapazieren brauchen. Die Auftragsbücher hatten sich fast von allein gefüllt.

Die lange Nachtfahrt zurück nach Chikago schreckte ihn nicht. Schließlich hatte er ein Radio an Bord. Und schließlich war da die innere Freude über die eingeholten Aufträge. Solch ein gutes Geschäft hatte er schon lange nicht mehr gemacht.

Nachdem Walton sich eine Zigarette angezündet hatte, steuerte er den Ford auf die Landstraße hinaus, schaltete hoch und ging dann auf Reisegeschwindigkeit. Die Nacht war zwar etwas dunstig, doch das machte ihm nichts aus.

Walton fuhr ohnehin niemals schnell. Dazu fühlte er sich zu alt. Er war immerhin bereits 53 Jahre und lag in einem Dauerkampf mit seinem leicht erhöhten Blutdruck.

Der Verkehr auf der gut ausgebauten Überlandstraße war gering. Nach 22 Uhr gingen die meisten Fahrer von der Straße. Walton setzte sich bequem in seinem Sitz zurecht und schaltete das Radio ein. Irgendein stadtnaher Sender brachte genau die richtige Musik für ihn. Leichter Swing, der den Ohren schmeichelte. Die eingeblendeten Reklamedurchsagen ließen sich verschmerzen. Sie waren immerhin witzig.

Walton überholte nacheinander einige Trucks und mußte plötzlich voll in die Bremsen steigen, als er hinter einer scharfen Biegung in eine überraschend dichte Nebelwand geriet. Für Bruchteile von Sekunden verlor er die Richtung, doch dann strahlten die Begrenzungspfähle am Straßenrand wie Katzenaugen auf. Walton fing den Wagen ab und brachte ihn wieder auf Kurs.

Langsam tastete er sich durch den dichten Nebel, der von einem nahen Bach aufstieg. Die Frontscheibe des Wagens beschlug. Er mußte die Wischer in Tätigkeit setzen. Die Swingmusik erwies sich jetzt als störend. Walton beugte sich vor und schaltete das Radio aus.

Genau in diesem Augenblick sah er vor sich im Nebel eine undeutliche Gestalt, die winkte.

Walton bremste den langsam rollenden Wagen noch weiter ab. Er kniff die Augen zusammen und war ungemein verblüfft. Dort vor ihm im wallenden Nebel stand ein Chirurg.

Der Mann trug das weiße randlose Käppchen der Chirurgen, den weißen, langen Operationsmantel und Gummihandschuhe. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Selbst die weiße Mundbinde war vorhanden.

Walton dachte sofort an einen Unfall, der sich dort irgendwo zugetragen haben mochte. Sicherheitshalber hielt er den Wagen an und kurbelte die Wagenscheibe an seiner Seite herunter.

»Kann ich helfen, Sir...?« rief er dem entgegeneilenden Chirurgen zu.

»Unfall...!« kam die prompte Antwort des Arztes. Die Stimme des schlanken, mittelgroßen Mannes klang gehetzt. »Unfall... Zusammenstoß.«

»Soll ich die Polizei alarmieren?« fragte Walton und stieg aus dem Wagen.

Der Chirurg stand inzwischen vor ihm.

Irgendwie sah dieser Mann in seiner Berufskleidung unheimlich und drohend aus. Und Walton bedauerte es fast, daß er angehalten hatte und ausgestiegen war.

Dennoch hatte Paul Walton nicht etwa Angst. Dazu hatte er in seinem Leben als Vertreter schon zuviel erlebt. Zudem führte er kaum Bargeld mit sich. Die täglichen Abrechnungen und Bargeldeinnahmen brachte er Tag für Tag zur Bank. Und jedes noch so kleine Nest verfügte über eine Bankfiliale. Daran war kein Mangel.

»Soll ich die Polizei informieren?« fragte Walton noch einmal. Es irritierte ihn, daß der Chirurg nicht antwortete. Das Gesicht des Mannes verschwand hinter der Mundmaske. Nur die schwarzen, großen Augen waren zu erkennen.

»Polizei...?« fragte der Chirurg gedehnt zurück.

»Natürlich. Hier muß doch abgesperrt werden«, sagte Walton. »Hinter mir kommen ein paar dicke Lastwagen!«

Sein Blick glitt hinüber auf die Gummihandschuhe des Arztes. Sie waren blutverschmiert.

»He, Mann, hören Sie doch... Hier muß abgesperrt werden«, wiederholte Paul Walton noch einmal.

Mehr vermochte er nicht mehr zu sagen. Er wollte noch entsetzt aufschreien, als die blutverschmierten Gummihandschuhe sich blitzschnell um seinen Hals legten. Doch dazu kam es nicht mehr. Wie Stahlklammern schnürten ihm die Finger die Luft ab. Dann verlor Walton sein Bewußtsein und sein Leben...!

*

Josuah Parker servierte das Dinner.

Unnahbar, in gestreifter Weste und dunkler Hose, stand er seitlich hinter seinem jungen Herrn und reichte ihm die vielen, kleinen, lukullischen Spezialitäten, die er in der Küche der gemeinsamen Dachgartenwohnung in der Lincoln Park Avenue zubereitet hatte.

Anwalt Mike Rander hatte sich längst an diese Zeremonie gewöhnt. Butler Parker war einfach nicht dazu zu bewegen, sich ebenfalls an den Tisch zu setzen. Für einen eingeschworenen Butler, wie er einer war, blieb es undenkbar, sich zwanglos an den Tisch der Herrschaft zu setzen.

Mike Rander hatte einen langen Arbeitstag hinter sich. Er war zur Zeit mit einem äußerst wichtigen Zivilprozeß beschäftigt. Nach dem Dinner wollte er sich in sein Arbeitszimmer zurückziehen und einen Schriftsatz auf Band diktieren.

Parker wußte von dieser Absicht. Er mißbilligte sie ungemein. Seiner Ansicht nach arbeitete Mike Rander zuviel, und das augenblickliche Leben verlief ohnehin zu eintönig. Parker fehlten die aufregenden, prickelnden Kriminalfälle.

Er servierte seinem jungen Herrn gerade den abschließenden Mokka, als das Telefon klingelte.

»Ich bin nicht zu Hause«, sagte Rander, als Parker zum Apparat ging, das auf einem Sideboard stand.

»Auch für Ihre Freunde nicht, Sir?« erkundigte sich Parker, bevor er den Hörer in die Hand nahm.

»Grundsätzlich nicht«, gab Mike Rander mit einer abwehrenden Handbewegung zurück.

Parker nickte würdevoll zurück, ohne sich von dem gereizt klingelnden Telefon nervös machen zu lassen. Dann hob er mit genau abgezirkelten Bewegungen den Hörer ab und meldete sich.

Mike Rander war in Gedanken bereits bei seinem Schriftsatz und drehte sich nicht zu seinem Butler um, der stocksteif, als habe er einen Ladestock verschluckt, vor dem Sideboard stand und den Anruf entgegennahm.

Ein Umdrehen hätte sich allerdings vielleicht für ihn gelohnt.

Parker, dessen Gesicht kaum eine Regung zeigte und eigentlich immer wie die undurchdringliche Maske eines erstklassigen Pokerspielers aussah, Parkers Antlitz zeigte diesmal so etwas wie Bewegung. Seine Gesichtshaut rötete sich. Seine eisgrauen Augen nahmen einen interessierten Ausdruck an.

Nach wenigen Minuten legte der Butler wieder auf und ging würdevoll wie ein Haushofmeister zum Tisch zurück.

»Anruf von Leutnant Madford«, meldete der Butler dann. »Er bedauert es ungemein, daß er Sie, Sir, nicht sprechen konnte.«

»Was liegt denn an?« erkundigte sich Rander desinteressiert.

»Leutnant Madford ist vor wenigen Minuten darüber verständigt worden, Sir, daß Steve Bradsen die Flucht aus der geschlossenen Abteilung der staatlichen Heilanstalt gelungen ist.«

»Wer ist geflüchtet?« Mike Rander setzte die Mokkatasse ab und sah seinen Butler verständnislos an.

»Steve Bradsen, Sir. Wenn Sie erlauben, rufe ich in Ihre Erinnerung zurück, daß Steve Bradsen...«

»Es hat bereits geklingelt«, sagte Rander, seinen Butler unterbrechend. »Bradsen... War das nicht dieser Gangsterboß, der wegen Mord vor Gericht stand und der mit Unzurechnungsfähigkeit an der Todesstrafe gerade noch so vorbeikam?«

»In der Tat, Sir! Der Richter erkannte seinerzeit auf lebenslängliche Einschließung. Steve Bradsen wurde daraufhin in die staatliche Heil- und Pflegeanstalt eingewiesen.«

»Wo er wie lange blieb, Parker? Sie haben in diesen Dingen ein besseres Gedächtnis als ich.«

»Genau vier Jahre, Sir! Eben bis heute!«

»Schön, und weshalb rief Madford an?«

»Er fühlte sich verpflichtet, Sir, Sie und meine bescheidene Wenigkeit, dringend zu warnen!«

»Ach nee! Und warum?«

»Leutnant Madford, Sir, befürchtet, daß Bradsen sich rächen will, zumal er während der vier Jahre seines Aufenthalts in der Heilanstalt immer wieder intensiv davon gesprochen hat!«

»Na gut, wir werden also aufpassen«, meinte Anwalt Rander lächelnd, »aber wenn Sie mich fragen, Parker, dann hat dieser Bradsen jetzt andere Sorgen, als sich an uns zu rächen!«

»Sir, darf ich darauf hinweisen, daß immerhin Sie und meine bescheidene Wenigkeit der Anlaß dafür waren, daß Steve Bradsen seinerzeit verhaftet und verurteilt wurde?«

»Natürlich dürfen Sie, Parker. Aber wenn Sie mich fragen, dann macht Leutnant Madford sich unnötige Sorgen. Und Sie sich unnötige Hoffnungen, Parker. Mit einem interessanten Kriminalfall brauchen Sie erst gar nicht zu rechnen! Daraus wird nichts...!«

*

Norman Capty stand hinter der Ladentheke und addierte Zahlenkolonnen. Trotz der späten Stunde hatte er sein Geschäft noch nicht geschlossen. Mitternacht war gerade angebrochen, doch Captys Kunden liebten gerade diese Zeit. Sie bestanden zum größten Teil aus Männern, denen das Geld ausgegangen war. Captys Kunden erschienen dann ungeniert, um in seiner Pfandleihe Geld zu pumpen. Daß sie mehr oder weniger wertvolle Gegenstände als Pfand zurückließen, störte Capty nicht. Es störte ihn auch kaum, wenn diese Pfandstücke vielleicht aus einem frischen Diebstahl herrührten. Er besaß Erfahrung in solchen Dingen und wußte die Pfandstücke an den richtigen Mann zu bringen. Denn in der Regel wurden sie niemals wieder abgeholt.

Capty, ein schwerer, massiger Mann von fast 60 Jahren, sah kaum hoch, als die Ladentür aufgedrückt wurde. Er schloß seine Addition erst ab, bevor er auf blickte.

»Was soll’s denn sein?« fragte er und musterte den Kunden. Er sah einen mittelgroßen, schlanken Mann vor sich, der einen viel zu weiten Anzug trug. Dieser Mann hielt ein Päckchen unter dem Arm, das er jetzt auf die Ladentheke legte.

»Ich brauche Geld«, sagte der Kunde. Seine Stimme klang etwas heiser, als habe er sich gerade frisch erkältet.

»Wer braucht das nicht?« seufzte Capty prompt. »Was haben Sie denn anzubieten?«

Während er sprach, überlegte er, wo er den Kunden schon einmal gesehen hatte. Der Mann im schlotternden Anzug war ihm bekannt. Capty wußte im Moment nur nicht, wo und wie er ihn einordnen sollte.

»Das hier!« sagte der Kunde, der Captys Antwort überhaupt nicht zur Kenntnis genommen hatte. Er löste das Einschlagpapier und wies auf zumindest ungewöhnliche Kleidungsstücke.

Es handelte sich um weiße Operationshosen, um einen weißen Operationskittel, um weiße Schuhe und um ein weißes Käppchen.

»Was soll n das sein?« fragte Capty und sah den Kunden überrascht an.

»Operationsanzug«, gab der Kunde lakonisch zurück. »Wieviel geben Sie, Capty?«

»Sie kennen mich?« fragte Capty zurück. Er wußte, daß sein Name nicht am Geschäft stand.

»Ungefähr«, antwortete der Kunde. »Also, wieviel rücken Sie raus?«

»Für diesen Plunder?« fragte Capty gereizt zurück. Irgendwie gefiel ihm der Mann jenseits der Theke nicht.

»Nagelneue Sachen«, meinte der Kunde, »sehen Sie mal, was hier in der Tasche steckt.«

Capty beging den Fehler, sich neugierig über den Tresen zu beugen. Er hätte es besser nicht getan, denn so konnte er dem Skalpell nicht mehr ausweichen, das der Kunde plötzlich in der Hand hielt.

Capty wollte schreien, doch dazu hatte er Bruchteile von Sekunden später einfach keine Luft mehr. Röchelnd fiel er zurück, schlug gegen die Zwischenbretter eines Regals und stürzte tot zu Boden.

Der Kunde im viel zu weiten Anzug ging überraschend gelassen zurück zur Tür, riegelte sie zu und drehte das Licht aus. Dann machte er sich daran, das reichhaltige Warenangebot des Pfandleihers zu besichtigen.

Der Kunde wußte genau, was er brauchte.

Interessiert ging er an den Regalen vorbei und sammelte verschiedene Gegenstände ein. Anschließend kleidete er sich im Lager um und entwickelte dabei nicht nur Geschmack, sondern auch äußerst praktischen Sinn.

Nach etwa einer halben Stunde hatte er, was er brauchte. Er packte eine Reisetasche aus Leder prall voll. Dann zündete er sich eine Zigarette an und leerte zusätzlich noch die Ladenkasse. Mit einem kleinen, altmodisch aussehenden Tresor in Captys Büro hielt er sich erst gar nicht auf. Er wußte, daß er ihn nicht knacken konnte.

Dann riegelte der seltsame Kunde und Mörder die Eingangstür auf und betrat die Straße. Ohne Nervosität zu zeigen, schlenderte er langsam die Straße hinunter und hielt auf die nächste Busstation zu.

Unterwegs überholte ihn ein Streifenwagen der Polizei, der langsam durch die Straße patrouillierte.

Der Mörder sah überhaupt nicht hin. Dieser Wagen interessierte ihn nicht. Angst vor einer Entdeckung schien er nicht zu haben. Zielsicher ging er weiter, bis er eine Telefonzelle in der Nähe der Busstation erreicht hatte.

Der Mörder zögerte einen Moment. Dann aber betrat er die Sprechzelle und blätterte im Telefonbuch, bis er eine bestimmte Nummer gefunden hatte. Er hob den Hörer ab, warf eine Münze in den Apparat und wählte die Nummer.

Auf der Gegenseite wurde nach einigen Sekunden abgehoben.

Eine sehr würdevolle und gemessene Männerstimme, baritonal gefärbt, meldete sich und fragte höflich nach den Wünschen des Anrufers.

Der Mörder verzichtete auf eine Antwort.

Er legte wieder auf und verließ die Telefonzelle. Sein Gesicht, das von den bunten Reklamelichtern angestrahlt wurde, wirkte in diesem Moment kalkweiß. Und in diesem kalkweißen Gesicht glühten dunkle, große Augen ...

»Wer hat angerufen?« erkundigte sich Mike Rander, nachdem der Butler aufgelegt hatte. »Etwa schon wieder Leutnant Madford?«

»Der Anrufer meldete sich nicht, sondern legte nach dem hergestellten Kontakt sofort wieder auf, Sir.«

»Falsch verbunden wahrscheinlich«, sagte Mike Rander und widmete sich wieder seinem Diktat. Er sah allerdings irritiert hoch, als Parker stumm und mahnend vor dem großen Arbeitstisch stehenblieb.

»Ist noch was?« fragte der junge Anwalt.

»Dieser gerade erfolgte Anruf, Sir, ließ mich das werden, was man stutzig nennt.«

»Ich sagte doch schon, irgendeine falsche Verbindung.«

»Durchaus möglich, Sir, das räume ich ohne weiteres ein. Es könnte sich aber auch um diesen Steve Bradsen gehandelt haben!«

»ich hab s geahnt, daß Sie auf diesen Gangster noch mal zu sprechen kommen«, meinte der Anwalt seufzend. »Also sagen Sie schon, was Sie auf dem Herzen haben!«

»Vielleicht wollte Mister Bradsen sich nur vergewissern, daß er Sie und meine bescheidene Wenigkeit zu Hause antrifft, Sir.«

»Okay, angenommen, das stimmt, Parker. Was wollen Sie dagegen tun?«

»Man könnte und müßte gewisse Vorkehrungen treffen, Sir.«

»Und wie sollen die aussehen, Parker?« Durch Mike Randers Stimme klang Ungeduld.

»Das weiß ich leider noch nicht, Sir. Aber wenn Sie erlauben, werde ich mir darüber einige Gedanken machen.«

»Tun Sie, was Sie nicht lassen können, Parker!« Rander lächelte versöhnlich, »aber ich glaube nach wie vor, daß Sie auf dem Holzweg sind. Übrigens, seit wann befindet sich Bradsen denn auf freiem Fuß?«

»Seit etwa 22 Uhr, Sir. Zeit genug, um hierher nach Chikago zu gelangen.«

»Okay, kümmern Sie sich um die Vorkehrungen, ich um meinen Schriftsatz, Parker!«

Josuah Parker deutete eine kleine Verbeugung an und verließ das Arbeitszimmer seines jungen Herrn. An der Tür blieb er noch einmal kurz stehen und sah sich prüfend um.

Das breite, niedrige Fenster des Penthouse ging auf den Michigansee hinaus. Und von dort drohte gewiß keine Gefahr. Das Penthouse befand sich ja immerhin auf dem Dachgarten eines massigen Bürohauses, dessen obere Etage von Mike Rander als Anwaltsbüro eingerichtet worden war.

Unter diesem Büro gab es Dutzende von Firmen. Nachtsüber war der riesige Block so gut wie leer.

Parker schloß leise die Tür hinter sich und betrat die große Wohndiele. Von hier aus zweigten die einzelnen Räume ab. Das Penthouse, praktisch ein sehr geräumiger, einstöckiger Bungalow auf dem Dach des Bürohauses, enthielt zwei getrennte Wohnteile. In dem einen Teil wohnte Mike Rander, im zweiten Teil hatte Parker sich wohnlich eingerichtet. In seinem Trakt befand sich auch seine Bastelstube, wie Mike Rander dieses laborähnlich eingerichtete Arbeitszimmer nannte. In dieser erstklassig eingerichteten Werkstatt befaßte der Butler sich mit seinen mehr als originellen Experimenten, die alle darauf hinausliefen, den Gangstern das Leben besonders schwer zu machen.

Parker holte sich ein starkes Fernglas, das für die Nacht eingerichtet war. Damit bewaffnet trat er hinaus auf den großen Dachgarten und suchte die nähere Umgebung ab.

Tief unter ihm, auf der Lincoln Park Avenue, brandete der Verkehr, der selbst um diese Zeit niemals einschlief. Jenseits der Avenue türmten sich die Hochhäuser der riesigen Stadt auf, die sich gegen den Widerschein der eingeschalteten Reklamen und Beleuchtung wie Schattenrisse abhoben.

Drohte von dort irgendeine Gefahr?

Parker nahm seine Ermittlungen sehr genau.

Er wanderte auf dem Dachgarten umher und versuchte sich in die Gedankenwelt jenes Mr. Steve Bradsen zu versetzen. Er fragte sich, wie er als Bradsen handeln würde. Welche Möglichkeiten boten sich ihm dann, möglichst risikolos zu töten?

Plötzlich blieb der Butler stehen.

Mit bloßem Auge kaum zu erkennen, stand jenseits der breiten Avenue ein schlanker, turmhoher Baukran, dessen Ausleger über einem im Bau befindlichen Parkhochhaus stand.