Das Mörder Trio - Günter Dönges - E-Book

Das Mörder Trio E-Book

Günter Dönges

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Beschreibung

Butler Parker ist ein Detektiv mit Witz, Charme und Stil. Er wird von Verbrechern gerne unterschätzt und das hat meist unangenehme Folgen. Der Regenschirm ist sein Markenzeichen, mit dem auch seine Gegner öfters mal Bekanntschaft machen. Diese Krimis haben eine besondere Art ihre Leser zu unterhalten. Butler Parker ist seinen Gegnern, den übelsten Ganoven, auch geistig meilenweit überlegen. In seiner auffallend unscheinbaren Tarnung löst er jeden Fall. Bravourös, brillant, effektiv – spannendere und zugleich humorvollere Krimis gibt es nicht! Ein Auto, das wahrscheinlich schon von Cäsar als hoffnungslos veraltet abgelehnt worden wäre, tauchte im Reigen des »Veteranen-Corsos« auf. Ratternd und asthmatisch schnaufend rollte der offene Wagen an den völlig verdutzten Zuschauern vorüber, eingehüllt in blaue Wolken, die nicht nur aus dem Auspuff stammten. Der Motor klopfte schon nicht mehr. Unter der eckigen Haube schien sich ein Hammerwerk in voller Aktion zu befinden, das kurz vor einer Explosion stand. Die Karosse war längst in Schwingungen geraten und ließ die langen Kutschwagenfedern auf und ab hüpfen. Die Insassen dieser Art Riesenwiege zeigten dennoch Haltung, Vornehmheit und Würde. Am Steuer saß eine majestätisch aussehende Dame, die gut und gern ihre sechzig Jahre hinter sich hatte. Sie hatte sich ihren breitrandigen Hut mit einem Tuch unter dem energischen Kinn festgebunden, um dem Fahrtwind zu trotzen. Hin und wieder nahm die kühne Fahrerin ihre Lorgnette hoch und beobachtete durch die Gläser den weiteren Verlauf der Fahrbahn. Sobald die Dame am Lenkrad sich über den Kurs klar war, nahm sie abrupte Korrekturen des Schnauferls vor, was bei den zahlreichen Zuschauern prompt einiges Entsetzen auslöste. Der Veteran auf Rädern schwenkte dann auf die Mauern zu, die die Straße säumten, und brachte sie ins Wanken. Doch die Fahrerin beherrschte ihr Auto und zwang das Schnauferl durch geschickte Bremsmanöver zurück auf die Straßenmitte, steuerte gegen und nickte nach solch geglückten Unternehmungen ihrem Beifahrer triumphierend zu. Der Begleiter der Dame paßte in diesen Wagen, doch er übertrieb seine Anpassungsfähigkeit ein wenig. Mit dem Bambusgriff eines altväterlich gebundenen Regenschirms hielt er seine schwarze Melone auf

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Butler Parker – 126 –

Das Mörder Trio

Günter Dönges

Ein Auto, das wahrscheinlich schon von Cäsar als hoffnungslos veraltet abgelehnt worden wäre, tauchte im Reigen des »Veteranen-Corsos« auf. Ratternd und asthmatisch schnaufend rollte der offene Wagen an den völlig verdutzten Zuschauern vorüber, eingehüllt in blaue Wolken, die nicht nur aus dem Auspuff stammten.

Der Motor klopfte schon nicht mehr. Unter der eckigen Haube schien sich ein Hammerwerk in voller Aktion zu befinden, das kurz vor einer Explosion stand. Die Karosse war längst in Schwingungen geraten und ließ die langen Kutschwagenfedern auf und ab hüpfen. Die Insassen dieser Art Riesenwiege zeigten dennoch Haltung, Vornehmheit und Würde.

Am Steuer saß eine majestätisch aussehende Dame, die gut und gern ihre sechzig Jahre hinter sich hatte. Sie hatte sich ihren breitrandigen Hut mit einem Tuch unter dem energischen Kinn festgebunden, um dem Fahrtwind zu trotzen. Hin und wieder nahm die kühne Fahrerin ihre Lorgnette hoch und beobachtete durch die Gläser den weiteren Verlauf der Fahrbahn.

Sobald die Dame am Lenkrad sich über den Kurs klar war, nahm sie abrupte Korrekturen des Schnauferls vor, was bei den zahlreichen Zuschauern prompt einiges Entsetzen auslöste. Der Veteran auf Rädern schwenkte dann auf die Mauern zu, die die Straße säumten, und brachte sie ins Wanken.

Doch die Fahrerin beherrschte ihr Auto und zwang das Schnauferl durch geschickte Bremsmanöver zurück auf die Straßenmitte, steuerte gegen und nickte nach solch geglückten Unternehmungen ihrem Beifahrer triumphierend zu.

Der Begleiter der Dame paßte in diesen Wagen, doch er übertrieb seine Anpassungsfähigkeit ein wenig. Mit dem Bambusgriff eines altväterlich gebundenen Regenschirms hielt er seine schwarze Melone auf dem Kopf fest, eine Maßnahme, die eigentlich durch nichts gerechtfertigt wurde, denn der Oldtimer fuhr mehr als langsam.

Der Beifahrer trug einen schwarzen Zweireiher, einen Eckkragen und eine schwarze Krawatte, die alles andere als modisch geschlungen war. Er zeigte ein ausdrucksloses Pokergesicht und saß stocksteif auf seinem Sitz, als habe er einen Ladestock verschluckt.

Die energische Fahrerin, die an die Walküre aus einer Wagneroper erinnerte, schaltete so. etwas wie einen Schnellgang ein. Das ging nicht ohne ein ausgiebiges und verdächtiges Krachen und Schleifen vor sich. Danach blieb das Schnauferl einen Moment stehen, sammelte sich offenbar und machte dann einen gewaltigen Satz nach vorn. Mit einem deutlichen Plus von etwa anderthalb Kilometer pro Stunde jagte das betagte Fahrzeug weiter.

Die Zuschauer an den Straßenrändern belohnten diese Tat mit begeistertem Beifall und hielten anschließend den Atem an, um von den Auspuffwolken nicht erstickt zu werden. Der Oldtimer entschwand ihren Blicken und bog auf die Landstraße ein.

Das eigentliche Rennen hatte begonnen!

Lady Agatha Simpson hatte sich auf dieses Rennen sorgfältig vorbereitet.

Es wurde vom Royal Automobile Club von Großbritannien ausgerichtet und stellte eine Neuauflage jenes denkwürdigen Rennens dar, das in grauer Vorzeit schon mal veranstaltet worden war. Damals war das Auto erst salonfähig geworden und schickte

sich an, die Straßen der Welt zu erobern.

Teilnehmen an der jetzigen Rallye durften nur Wagen aus jener Zeit, Automobilmarken, die nur noch Legende waren. Sie mußten sich selbstverständlich im Urzustand befinden und durften auf keinen Fall durch technische Tricks modernisiert worden sein.

Diese Oldtimer-Rennen hatten es in sich, was die Streckenführung anbetraf. Sie verlangte den Veteranen auf Rädern und ihren Fahrern alles ab. Sie führte von dem kleinen Städtchen Kew bei London über Richmond Kingston, Staines, Windsor und Maidenhead bis nach Oxford. Die Strecke entsprach einer Länge von fast 110 Kilometern, für die Veteranen eine fast schon unglaublich lange Distanz. Sie führte in weitem Bogen entlang der Themse und bot landschaftlich einmalig schöne Ausblicke.

Lady Agatha war von der ersten Sekunde an vom Ehrgeiz erfaßt worden. Sie wollte dieses Rennen unbedingt gewinnen und setzte all ihre Hoffnungen auf den Oldtimer, der sich seit Jahren schon in ihrem Besitz befand. Es handelte sich um einen Grand-Victor, eine Marke, die nur noch in speziellen technischen Handbüchern geführt wurde.

Die Räder und Speichen dieses Vehikels waren noch aus Holz gefertigt, die Reifen bestanden aus Hartgummi. Der Komfort war nicht gerade üppig, denn eine harte Holzbank schien dagegen weich und nachgiebig zu sein. Das alles ignorierte die ältere Dame jedoch. Sie hatte sich inzwischen eine uralte, aber passende Fahrerbrille aufgesetzt und beobachtete die Fahrbahn. Sie brauste mit dem Wagen in eine sanfte Kurve, die sich weit hinzog. Das Durchschnittstempo des Grand-Victor betrug nämlich nicht mehr als vielleicht zwölf bis fünfzehn Kilometer pro Stunde.

»Wo bleiben die Angaben, Mr. Parker? herrschte sie ihren Beifahrer an.

»Mylady haben besondere Wünsche?« erkundigte sich Josuah Parker, seit Jahr und Tag bereits als Butler in Diensten der Lady tätig.

»Wie nehme ich die Kurve, Mr. Parker! Wozu haben Sie sich schließlich das ›Gebetbuch‹ angelegt?«

Mylady sprach damit einen Brauch echter Rallyefahrer an, deren Beifahrer tatsächlich über ein »Gebetbuch« oder über eine »Bibel« verfügten. In diesen Büchern sind die zu fahrenden Strecken fast metergenau aufgezeichnet und enthalten detaillierte Angaben, die sich auf das jeweilige Tempo oder Schalten beziehen. Die Beifahrer »beten« diesen Text herunter und informieren so den Fahrer über das, was er zu tun und wie er zu fahren hat.

Solch ein Gebetbuch hatte auch Josuah Parker anlegen müssen, obwohl er es wegen der zu erreichenden Geschwindigkeit für völlig sinn- und nutzlos hielt. Lady Agatha bestand auf Informationen, die der Butler jetzt lieferte.

»Dreißig Grad Rechtskurve«, ›betete‹ Parker also herunter, wobei er sich äußerst albern vorkam. »Volle Geschwindigkeit, Mylady, aber bitte, den Motor möglichst nicht überdrehen.«

Parker dachte natürlich an die Schwachbrüstigkeit und Empfindlichkeit des ehrwürdig alten Motors, doch Lady Agatha stieß eine Art Jauchzer aus und gab Vollgas.

Der Oldtimer tuckerte auf die Rechtskurve zu, hoppelte dabei wie ein liebestoller Hase und entwickelte bedenkliche Tonfrequenzen.

»Festhalten, Mr. Parker«, rief Agatha Simpson und zog den Oldtimer endlich konsequent in die harmlose Rechtskurve, deren Einfahrt allerdings durch hochstehende Sträucher verdeckt wurde.

Parker tat Lady Agatha den Gefallen und hielt sich mit seinen schwarz behandschuhten Händen vorn an der versilberten Griffstange fest. Dazu legte er sich noch stilgerecht und ein wenig übertrieben in die Kurve.

Sekunden später ließ der Butler sich allerdings weniger stilgerecht vorn auf der eckigen Kühlerhaube nieder und suchte verzweifelt nach einem passenden Halt. Da er ihn nicht fand, rutschte er von der Kühlerhaube ab und landete auf dem links im Kotflügel stehenden Ersatzrad.

Lady Agatha schaute mißbilligend nach ihrem Butler und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf.

»Was soll denn das?« fragte sie grollend, während sie sich die schwere, altertümliche Fahrerbrille auf die Stirn schob. »Sie übertreiben wieder mal.«

Butler Parker verzichtete auf eine Antwort.

Er sah auf die Gestalt, die regungslos neben einem Oldtimer auf der Straße lag, Parker hatte den dringenden Verdacht, daß dieser Fahrer bereits tot war.

*

»Ich begreife das nicht«, sagte der »Tote«, der einen leicht verwirrten Eindruck machte. »Ich bekam plötzlich einen Schlag auf den Hinterkopf. Mehr weiß ich eigentlich nicht.«

»Das ist aber nicht viel«, stellte Lady Simpson grimmig fest. »Geschah das während der Fahrt?«

»Bei Vollgas sogar«, antwortete der Fahrer. »Es muß sich um mindestens zwanzig Kilometer pro Stunde gehandelt haben.«

»Jetzt übertreiben Sie aber«, reagierte Lady Agatha sichtlich ironisch. »Ihr Vanguard schafft doch höchstens noch zehn Kilometer.«

»Ich widerspreche entschieden«, entrüstete sich der vermeintliche Tote, der wieder einen sehr lebendigen Eindruck machte. »Das gilt vielleicht für Ihren Victor, Mylady, aber nicht für meinen Vanguard. Es waren mindestens zwanzig Kilometer!«

»Sie gehen das Rennen ohne Copiloten an?« wunderte sich Lady Simpson und lenkte eindeutig ab, um einer weiteren Debatte über Höchstgeschwindigkeiten aus dem Weg zu gehen.

»Natürlich fahre ich allein, Mylady«, erklärte der Fahrer, der Stanley Hudson hieß und sein nicht gerade billiges Hobby auf dem Umweg über seine Süßwarenfabrik finanzierte, die ihm gehörte. »Ich brauche unterwegs keine Ablösung oder einen Butler.«

Während er das mit einiger Herablassung sagte, maß er Josuah Parker mit abschätzendem Blick.

»Darf ich mir die Freiheit nehmen, Sir, eine Frage zu stellen?« schaltete Parker sich ein.

»Wenn es sich nicht vermeiden läßt? Ich will schließlich weiter.«

»Den Anschluß schaffen Sie mit dieser müden Kutsche nie«, stichelte Agatha Simpson.

»Das ist eine ... Herausforderung.« Stanley Hudson besann sich im letzten Moment, wie prominent die Lady war. Und wie immens reich dazu. Sie war mit dem Blut- und Geldadel der Insel verschwistert und verschwägert. Ihr Einfluß reichte weit, da war es besser, sich ein wenig unter Kontrolle zu halten.

»Sie sind sicher, Sir, einen derben Schlag gegen den Hinterkopf erhalten zu haben? Kann es sich unter Umständen um ein Wurfgeschoß gehandelt haben?« Parker ließ sich nicht aus dem Konzept bringen und brachte seine Frage an.

»Ob Schlag oder Wurfgeschoß, was weiß denn ich?« Stanley Hudson kletterte in seinen Oldtimer. »Für mich kommt es auf dasselbe heraus, verstehen sie? Ich habe kostbare Zeit verloren, ich muß weiter. Viel Erfolg, Mylady!« Als er saß, erinnerte er sich, daß seinem Oldtimer der Anlasser fehlte. Er stieg also wieder aus und beschäftigte sich ausgiebig mit der Anwerfkurbel. Der Motor reagierte aber darauf überhaupt nicht, er schwieg beharrlich.

»Ich kenne einen Schrottplatz, auf dem man Ihre Kutsche besonders schonend abwracken wird«, stichelte die Sechzigjährige wieder. Sie stieg würdevoll in ihren Wagen und nickte ihrem Butler gnädig zu. Josuah Parker beugte sich zur Kurbel des »Victor« hinunter und drehte kurz und ruckartig. Dann sprang er erstaunlich schnell und unter Verzicht auf jedwede Gelassenheit einen halben Schritt zurück und lauschte den Geräuschen, die der Motor von sich gab.

Er knatterte, schien sich aus seiner Verankerung lösen zu wollen, brachte den gesamten Wagen in lange Schwingungen und lief dann plötzlich erfreulich rund. Parker nahm neben Mylady Platz und wappnete sich. Agatha Simpson mußte nämlich den ersten Gang einkuppeln und dazu einen langen Hebel aus bestem Schmiedestahl bewegen.

Alles klappte ausgezeichnet.

Victor machte einen Satz nach vorn, streckte sich und nahm dann Fahrt auf. Gleichzeitig aber hüllte er sich wieder in eine blauschwarze Rauchwolke und nebelte den Vanguard ausgiebig ein.

»Was sagen Sie zu diesem blutigen Anfänger?« wollte Agatha Simpson dann wissen. »Er ist weder niedergeschlagen noch beworfen worden, wenn Sie mich fragen. Er ist einfach in der Kurve aus seinem Wagen gefallen. Dieser Mann hatte noch nie eine besondere Kurventechnik!«

»Mylady werden verzeihen, wenn ich mir die Freiheit nehme, in diesem Fall zu widersprechen«, gab Josuah Parker höflich zurück und präsentierte seiner Herrin einen Zettel. »Diese Botschaft befand sich in der Hand des besinnungslosen Mr. Hudson.«

»Botschaft?« Agatha Simpson runzelte ausgiebig die Stirn und schaute ihren Butler an. Danach geriet ihr Victor sofort aus der Kurve, denn seine Lenkung war mehr als defekt.

»Der Straßengraben, Mylady«, erinnerte Parker diskret.

»Wieso Straßengraben? Sprachen Sie eben nicht von einer Botschaft, Mr. Parker? Sie machen einen sehr zerstreuten Eindruck auf mich. Ist Ihnen nicht wohl?«

»Der Straßengraben«, erinnerte der Butler noch mal. »Mylady nähern sich ihm mit Vehemenz.«

»Ach so, das!« Agatha Simpson korrigierte den Kurs im letzten Moment, ohne aber auch nur die Spur einer gewissen Aufregung zu zeigen. »Lenken Sie mich gefälligst nicht immer ab. Was ist das mit der Botschaft?«

»Im Grund, Mylady, handelt es sich um eine Mordandrohung.«

Diesmal hatte der Butler aufgepaßt.

Als Lady Simpson vor freudiger Überraschung voll auf das Bremspedal trat, schob Parker sich nicht wieder auf die Motorhaube. Er hielt sich gründlich fest.

»Eine Mordandrohung, Mylady«, wiederholte Parker. »Falls Mr. Stanley Hudson nicht bereit ist, in Richmond fünftausend Pfund zu zahlen, will der Mörder ihn durch einen gezielten Schuß an der Weiterfahrt hindern.«

*

»Das kann doch nur ein geschmackloser Scherz sein«, sagte Agatha Simpson.

»Davon sollten Mylady besser nicht ausgehen«, erwiderte Josuah Parker.

»Hier scheint sich ein neuer Kriminalfall anzubahnen.« Die passionierte Detektivin war von dieser Aussicht offensichtlich recht angetan.

»Vielleicht sollte man Mr. Hudson warnen, Mylady«, schlug der Butler vor. »Der Vanguard passiert gerade die Kurve.«

»Ich werde ihn stoppen.« Lady Simpson wartete die Antwort ihres Butlers gar nicht erst ab, stieg ein wenig mühsam aus dem Victor und baute sich mitten auf der Landstraße auf. Sie winkte mit den Armen und wollte Mr. Hudson veranlassen, das Bremspedal zu treten.

Stanley Hudson jedoch schien das Gefühl zu haben, daß man ihn erneut belästigen wollte. Er tat daher so, als habe er nicht recht verstanden und winkte zurück. Dann fuhr er in elegantem Bogen um die verdutzte Lady herum und brauste weiter. Er wandte sich noch mal um und winkte erneut.

»Dieser Trottel«, grollte die Detektivin. »Er fährt direkt seinem Tod entgegen, Mr. Parker, Mr. Parker!?«

»Mylady?« Parker stand bereits dicht hinter seiner Herrin und lüftete erwartungsvoll die schwarze Melone.

»Ihm nach«, befahl Agatha Simpson. »Wir werden alles aus dem Victor herausholen, Mr. Parker. Ich verlange genaue Angaben darüber, wie ich die nächsten Kurven nehmen muß.«

Parker begab sich zurück an die Drehkurbel und versuchte ehrlich, den Motor wieder in Gang zu bringen, doch diesmal sperrte er sich. Wahrscheinlich war er der Ansicht, bereits genug geleistet zu haben, kurz, er setzte sich nicht in Bewegung.

»Lassen Sie sich endlich etwas einfallen«, fuhr die resolute Dame ihren Butler schließlich gereizt an. »Wo bleiben denn die übrigen Wagen?«

»Möglicherweise ein Massensterben der Motoren, Mylady«, vermutete Parker gemessen.

»Warum haben Sie Hudson nicht rechtzeitig gewarnt?« Agatha Simpson war nervös geworden und sah Parker vorwurfsvoll an.

»Ich muß bekennen, Mylady, daß ich den Text zu spät zu entziffern vermochte.«

»Wie erreichen wir jetzt diesen Hudson, Mr. Parker?«

»Falls Mylady einwilligen, könnte ich dort drüben vom Haus aus anrufen und die zuständigen Behörden verständigen.«

»Tun Sie das. Normalerweise bin ich ja gegen Behörden, aber jetzt muß es wohl sein.«

Parker lüftete noch mal seine schwarze Melone und machte sich dann auf den Weg zu dem einzelstehenden Landhaus, das von einer hohen Taxushecke umgeben war.

Parker warf sich ehrlich vor, nicht rechtzeitig geschaltet zu haben. Er nahm diese Erpressung mit gleichzeitiger Mordandrohung sehr ernst. Hier hatte sich kein sogenannter Witzbold einen geschmacklosen Scherz geleistet.

Er hatte die hohe Taxushecke erreicht, ging auf das Tor zu und eilte dann zum Haus. Es handelte sich um einen langgestreckten, einstöckigen Bau aus dicken Backsteinquadern. Dieses Haus machte auf den Butler leider einen recht verschlossenen und verlassenen Eindruck.

Und seine Annahme war richtig.

Auf sein Klingelzeichen hin rührte sich nichts im Haus. Es blieb totenstill. Parker bemühte sich um die nächste Hausecke, um auf der Rückseite nach Bewohnern zu fahnden. Arglos ging er um diese Hausecke herum, passierte dann einen kleinen Vorbau, der wohl zur Küche gehörte – und ging in die Knie.

Er tat das nicht freiwillig ...

Irgend ein harter Gegenstand landete schlagartig auf seiner schwarzen Melone und trieb ihm die Kopfbedeckung tief in die Stirn. Von der gewaltigen Wucht des Schlages wurde der Butler sogar ohne Übergang bewußtlos.

Als seine Sinne sich endlich wieder regten, hatte er zuerst das Gefühl, tiefe Nacht sei um ihn herum. Dann allerdings ging ihm auf, daß die Innenseite der Melone seine Augen bedeckte. Parker, noch etwas benommen, zerrte die Kopfbedeckung hoch und nahm dankbar das Sonnenlicht zur Kenntnis. Er erhob sich und spielte einen Moment mit dem Gedanken, seinen angestaubten Zweireiher mit der kleinen Kleiderbürste wieder auf Hochglanz zu bringen. Natürlich führte er als Butler solch ein Instrument stets mit sich.

In Anbetracht der allgemeinen Situation aber verzichtete er auf diesen Luxus und suchte weiter nach einer Möglichkeit, ins Haus zu kommen. Da war und blieb ja immer noch die Warnung, die er nach Richmond durchgeben wollte. Er kümmerte sich aus Zeitgründen nicht weiter um den Niederschlag, den er hatte erleiden müssen. Die Zeit drängte.

Parker erreichte nichts.

Unter einer Remise entdeckte er nur ein ziemlich verrostetes Fahrrad, das er sicherheitshalber konfiszierte. Es machte noch einen einigermaßen brauchbaren Eindruck, wenn auch beide Reifen leider ohne Luft waren.

Butler Parker schwang sich auf den Sattel und strampelte zurück zur Straße, um seine Herrin zu informieren. Die Fahrt war ziemlich anstrengend und unkomfortabel. Die luftleeren Reifen ließen jeden Stoß durch. Als Parker die Straße erreichte, vermißte er einen vertrauten Anblick.

Der Victor samt Lady Simpson war verschwunden!

*

Die Detektivin donnerte mit ihrem Victor über die schmale Landstraße und machte sich natürlich keine weiteren Gedanken über ihren Butler. Ihr war es gelungen, den Motor doch noch anzuwerfen. Nun war sie auf dem Weg nach Richmond, um Stanley Hudson zu warnen.

Sie befand sich allein auf weiter Flur.