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«Kneif mich in den Arm! Ich heisse Pius Portmann und besitze eine Oldtimer-Garage in Altdorf. Du bist meine Frau Gaby. Ich habe drei Kinder. Stimmt das?» Dies waren Pius Worte, als er nach einer Probefahrt nach Hause gebracht wurde. «Ich kann mich an nichts erinnern. Habe ich jemandem ein Leid zugeführt? Habe ich jemanden getötet?», fragte er sich immer wieder. Zusammen mit seinem neuen Mitarbeiter kommt Pius einer verbrecherischen Bande auf die Spur, die ein Medikament für alles andere als zum Wohle der Menschheit einsetzt. Wiederum wird Altdorf zum Schauplatz einer spannenden, humorvollen Kriminalgeschichte.
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Seitenzahl: 142
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Pius und Gaby wohnen immer noch in ihrer Wohnung über ihrer Autogarage zwischen Altdorf und Flüelen. Die Garage mit der Wohnung haben sie vom Erbe von Alice von Mentlen gekauft. Ihr vierjähriger Patrick geht in den Kindergarten, die 18-jährige Nella und der 15-jährige Walterli besuchen das Gymnasium, das ‘Kollegi’ in Altdorf.
Die Oldtimergarage ‘Pius Portmann, Fahrzeugrestaurationen aller Marken’ ist mittlerweile über die Kantonsgrenze hinaus bestens bekannt, und der Kundenkreis hat sich mit den Jahren stetig erweitert.
Das Café ‘Vis à Vis’, die ehemalige Tierhandlung gegenüber der Garage, hat Gaby verpachtet. Sie möchte mehr Zeit für ihre Kinder haben, vor allem für Patrick, und mit den Büroarbeiten der Garage ‘Portmann Oldtimer GmbH’ ist sie voll ausgelastet.
Ein glückliches Ehepaar mit drei gesunden, aufgeweckten Kindern – die perfekte Familie und ein erfolgreiches Unternehmen dazu. Was will man mehr im Leben? Was soll da noch schiefgehen?
Boda
Ein 08/15-Täter
Blick aufs Meer
Das Opfer und sein Mörder
Kopf weg, Formel weg!
Der Springbrunnen-Peter
Ein Bad vor Wilhelm Tell
Die Oldtimer-Show
Der brüllende Löwe
Happy Birthday
Alles im grünen Bereich
Streng geheim
Frauen an die Macht
Lügen oder Sterben
Das Kuvert
Ein Fall für Boda
Frühschoppen im Triclinium
Das Ende?
Jenseits von Afrika
«In diesem Zustand sollten Sie aber nicht mehr Autofahren Herr Portmann», sagte ein junger, schlanker Mann zu Pius, der schwankend versuchte mit seinem Schlüssel die Autotür zu öffnen und dabei immer wieder das Schlüsselloch verfehlte und ständig in den Knien einknickte.
«Mein Handy, ich brauche mein Handy. Es liegt auf dem Beifahrersitz», stammelte Pius.
«Geben Sie mir den Autoschlüssel, ich reiche Ihnen Ihr Handy», sagte der junge Mann, öffnete die Autotür, nahm das Handy vom Beifahrersitz und gab es Pius. «Und danach werde ich Sie mit meinem Wagen nach Hause fahren.»
«Hallo Gaby, mein Schatz, du bist doch Gaby? Ich bin Pius, glaube ich. Bist du zu Hause, wo wohnen wir? Wie geht es unseren Kindern? Wir haben doch Kinder? Wieso weinst du? Stimmt etwas nicht?»
Der junge Mann nahm Pius das Handy aus der Hand:
«Guten Abend Frau Portmann, hier ist Davis. Ich bringe Ihnen Ihren Mann nach Hause. Wir sind in zwanzig Minuten bei Ihnen.»
Herr Davis begleitete Pius, der sich auf dessen Schulter abstützte, immer wieder einknickte und beinahe zu Boden fiel, zu seinem zweisitzigen Sportwagen, setzte ihn auf den Beifahrersitz, schnallte ihm den Gurt an und fuhr los.
«Wohin fahren Sie mich, ich will wieder aussteigen, ich will nicht wieder in diesen Wald. Ich will nach Hause», lallte Pius.
«Wir fahren nach Hause», sagte Davis, verliess die Gotthard-Raststätte Richtung Süd und kurz darauf die Autobahn bei der Ausfahrt Erstfeld und fuhr Richtung Altdorf.
«Woher wissen Sie, wo ich wohne?»
«Wo warst du, was ist passiert?», schluchzte Gaby und umarmte weinend ihren Pius auf dem Vorplatz der Garage an der Flüelerstrasse. «Hattest du einen Unfall? Wurdest du überfallen? So rede doch endlich! Sag etwas!»
«Er hat wahrscheinlich einen Schock. Vielleicht beruhigt er sich wieder, wenn er in seiner gewohnten Umgebung, in seiner Wohnung ist», beruhigte Davis die weinende, verzweifelte Gaby.
«So habe ich meinen Mann noch nie gesehen. Was ist nur mit ihm geschehen?», schluchzte Gaby.
«Wenn er nach Alkohol riechen würde, wüsste ich, was mit ihm los ist, aber er scheint stocknüchtern zu sein», sagte Davis. «Ich helfe Ihnen, Ihren Mann in die Wohnung über der Garage zu bringen, die Treppe ist ja ziemlich steil, das schaffen Sie nie allein.»
«Danke, aber woher wissen Sie, dass die Treppe steil ist?», fragte Gaby verwundert, immer noch mit nassen Augen und weinerlicher Stimme.
«Setzen Sie sich doch bitte!», sagte Gaby, jetzt wieder etwas ruhiger, zu Herrn Davis, nach dem sie es geschafft hatten, Pius in die Wohnung hinaufzustossen und im Wohnzimmer sicher auf einen Stuhl zu setzten.
«Du siehst ja aus, als hättest du zwei Flaschen Wein getrunken», sagte Gaby jetzt zu Pius, als sie sich ebenfalls an den Tisch setzte.
«Nein, habe ich nicht, aber ein grosses Bier könnte ich jetzt vertragen», entgegnete Pius. «Kneif mich in den Arm! Träume ich? Bin ich wach? Bin ich zu Hause? Ich heisse Pius Portmann und besitze eine Garage in Altdorf. Ich habe drei Kinder, und Du bist Gaby, meine Frau. Stimmt das?»
«Soll ich einen Arzt rufen?», fragte Davis besorgt und nahm sein Handy hervor.
«Halt! Nein, keinen Arzt, ich will keine Spritze mehr», wehrte sich Pius. «Mich juckt es überall, an den Armen, den Beinen, am Bauch. Ich bin müde. Ich will schlafen, nur noch schlafen.»
«Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten», fragte Gaby Herrn Davis, nachdem sie mit seiner Hilfe Pius ins Schlafzimmer gebracht hatte, wo sich Pius gleich aufs Bett fallen liess und sofort einschlief.
«Ja gerne, wenn Sie ein kleines Bierchen hätten.»
Während dem Gaby in der Küche verschwand, um das Bierchen zu holen, schaute sich Davis neugierig das grosse Wohnzimmer an.
Der mächtige Esstisch mit einer dicken Tischplatte aus Eichenholz, an dem Davis sass, bietet zehn Personen Platz und ist wohl das Kommunikationszentrum des geräumigen Wohnzimmers. Ein rotes Sofa für vier Personen und eines für sechs Personen bilden, zusammen mit dem Couchtisch, einem 50 cm hohen Jeep mit einem 120 x 80 cm grossen Dach als Ablagefläche, die komfortable Sitzgruppe.
Im Zentrum des schwarzen Büchergestells, mit wenigen Büchern, aber vielen Dekoartikel, steht ein grosser 65 Zoll-Fernseher. An der Wand hängen Bilder von Brissago und der Schöllenenschlucht sowie eine grosse analoge Uhr mit Oldtimer-Sujet. Eine Tür führt auf einen kleinen Balkon mit Sicht nach Osten, auf die Flüelerstrasse. Das Prunkstück der Wohnung scheint jedoch ein Erbstück, eine wertvolle, antike Kommode mit zwei Türen und vielen Schubladen, zu sein. Darauf stehen ein Micro-HiFi-System, ein Laptop und ein antikes Messing-Mikroskop. Die weissen Vorhänge mit feiner Musterung und viele Pflanzen verleihen dem zum Teil maskulin eingerichteten Wohnzimmer ein gemütliches Ambiente mit weiblichem Touch.
«Da stehen ja immer noch die kleinen Modellautos und das coole Metallgestell mit den fünf Kügelchen, das Newtonsche Pendel, auf dem Büchergestell», sagte Davis mit einem gespannten Lächeln, als Gaby mit dem Bier aus der Küche zurückkam. «Nur der rote Triumph Spitfire fehlt.»
Lange blickte Gaby zu Davis, einem jungen, schlanken Mann mit kupferroten Haaren, begann zu lächeln und wischte sich die letzten Tränen aus ihren Augen.
«Dann bist du der kleine, verkaufstüchtige Junge mit den kupferroten Haaren und der schief aufgesetzten, grünen Baseball-Mütze, der das halbe Tischtuch mit Ketchup verkleckert hatte. Schön, dich wieder zu sehen Boris, wenn auch unter etwas seltsamen Umständen. Wo hast du Pius getroffen?»
«Ich war im Shop der Raststätte Gotthard Süd und danach an der Kaffeebar. Ich gehe oft dorthin, es ist interessant die Touristen zu beobachten», antwortete Boris. «Als ich wieder nach Hause wollte, habe ich gesehen, wie er zu einem Auto torkelte und die Tür öffnen wollte.
Es ist zwar Montag, aber die Garage, bei der ich arbeitete, hat leider ihren Betrieb geschlossen und so habe ich auch werktags ‘frei’. Immer weniger Durchreisende fahren über die Kantonsstrasse. Die Garage wird abgerissen und an deren Stelle ein Wohnblock errichtet.»
«Mein Mann sucht einen Mitarbeiter, vielleicht wäre das etwas für dich», schlug Gaby vor. «Ich hoffe, er ist bis morgen wieder einigermassen ansprechbar, komm doch morgen vorbei. Normalerweise ist er um sieben Uhr bereits in der Garage, aber morgen? Komm doch so gegen neun Uhr!»
«Das ist ja super», bedankte sich Boris. «Ich habe meine Bewerbungsunterlagen im Auto, da ich ja auf Stellensuche bin, ich hole sie gleich, und dann rufe ich einen Freund an. Wir werden zur Raststätte fahren und das Auto von Ihrem Mann holen. Ich stelle es auf den Vorplatz der Garage ab, den Schlüssel werfe ich in den Briefkasten. Also dann bis morgen und grüssen Sie Ihren Mann von mir, es wird ihm morgen sicher besser gehen, ‘See you’.»
Knapp konnte Pius am nächsten Morgen einem Sportwagen ausweichen, der rasant auf den Vorplatz der Garage fuhr und brüsk anhielt.
«Guten Morgen Herr Portmann», begrüsste Boris Davis Pius und stieg aus einem knallroten Triumph Spitfire. «Ich habe Ihnen ja vor langer Zeit gesagt ‘Diesen roten Sportwagen kaufe ich mir, wenn ich gross bin’. Wie geht es Ihnen? Was ist auch gestern mit Ihnen passiert?»
Jetzt erkannte auch Pius in dem jungen Mann den kleinen Jungen mit den kupferroten Haaren und der grünen, schief aufgesetzten Baseball-Mütze wieder, der ihn vor vielen Jahren bei einer ‘giftigen Geschichte’ in Altdorf begleitete.
«Ich habe immer noch einen Brummschädel und schwache Glieder, aber es geht besser. Jedenfalls weiss ich wieder, wer ich bin», lachte Pius.
«Besten Dank nochmals, dass du mich gestern nach Haus gebracht hast. Aber dass du Boris bist, habe ich gestern, beduselt, wie ich war, nicht bemerkt.
Ich habe deine Bewerbungsunterlagen heute Morgen studiert. Deine theoretischen Kenntnisse und praktischen Leistungen als Automobilmechatroniker scheinen hervorragen zu sein», lobte ihn Pius. «Auch deine Fähigkeiten als Kundenbetreuer überzeugen offensichtlich.
Also, Willkommen bei ‘Garage Portmann, Fahrzeugrestaurationen aller Marken’ der ‘Portmann Oldtimer GmbH’», sagte Pius, nachdem er Boris Davis seinen Betrieb gezeigt und ihn über dies und jenes Fachgebiet ausgefragt hatte.
«Da stört mich aber noch etwas; dein Vorname. Das hat nichts mit dir zu tun, aber ich habe schlechte Erinnerungen an den Namen Boris. Ich nenne dich einfach Boda, von Boris Davis, und du nennst mich Pius, OK!»
«OK Chef!»
«Damit wäre das Vorstellungsgespräch beendet, der Kaffee wartet», sagte Pius.
«Nochmals besten Dank für deinen Einsatz gestern, Boris», sagte Gaby, die zusammen mit Patty, der genüsslich und schmatzend sein ‘Konfibrot’ ass, am Esstisch sass. «Ich bin so froh darüber, dass du dich so um Pius gekümmert hast.»
«Nicht, Boris! Boris heisst ab sofort Boda», fiel Pius Gaby ins Wort. «Ich habe unseren neuen Mitarbeiter Boda getauft, von Boris Davis, ich glaube, du weisst wieso.»
«Weisst du noch, wie du an diesem Esstisch sassest, genau da, wo du jetzt sitzt, mit dem von Ketchup verschmierten Mund, so wie Patty jetzt mit Erdbeerkonfitüre», sagte Gaby. «Du warst etwa zwei Jahre älter als unser kleiner, blonder Patty.»
«Patty, sag Boda Guten Tag!»
«Hallo Boda», grüsste Patty, stand auf und rannte in sein Zimmer.
«Er ist immer etwas scheu, wenn er jemanden zum ersten Mal sieht, aber das ändert sich schnell», erklärte Gaby Pattys Verhalten.
«19 Jahre sind seither vergangen, dann musst du jetzt etwa 25 Jahre alt sein, und wie du siehst, sind wir in der Zwischenzeit eine grosse Familie geworden. Unser Nachzügler Patrick wird nächsten Monat fünf, unser Walterli ist 15 Jahre alt, ein stämmiger Junge mit krausem, braunem Haar und grünen Augen, und unsere 18-jährige Tochter Nella hat halblanges, ebenholzfarbenes Haar wie ich – drei hübsche aufgeweckte Kinder; Patty und Walterli sind ganz der Vater und Nella ist ganz die Mutter.»
«Soo hübsch!», rief Boda begeistert und blickte in die klaren, grünen Augen in einem vollendeten Gesicht, umgeben von ebenholzfarbenem Haar, einer gebürtigen Tessinerin aus dem sonnigen Brissago.
«Du Schmeichler», lachte Gaby.
«Aber erinnerst du dich, was ich zu dir gesagt hatte, als du als kleiner Junge meine Modellautos auf dem Büchergestell bewundert hast?», mischte sich jetzt Pius mit einem skeptischen Lächeln ein.
«Nein?»
«Die sind nur zum Anschauen und nicht zum Anfassen! Das gilt auch für Nella», mahnte Pius.
«Ja, ja, schon gut. Ich bin doch kein kleiner Junge mehr», antwortete Boda.
«Eben darum!», gab ihm Pius recht.
«There are other fish in the sea», konterte Boda, mit einem überheblichen Blick.
«Wieso heisst du mit Nachnamen Davis? Das klingt eher englisch», fragte Gaby.
«Meine Mutter war in jungen Jahren für einen Sprachaufenthalt in England und lernte dort Geoffrey Davis kennen», erklärte Boda. «Als sie schwanger wurde, heirateten die beiden. Nach ein paar Monaten, noch vor meiner Geburt, verschwand Geoffrey, mein Vater, auf Nimmerwiedersehen. Meine Mutter kehrte nach Altdorf zurück und nahm eine Stelle als Arztsekretärin im Kantonsspital Uri an, wo sie heute noch arbeitet. Den Namen Davis hat sie behalten, der passe so gut zu ihrem Vornamen Betty, meint sie. Geboren wurde ich auch im Kantonsspital!»
«Ah, deswegen kannst du so gut Englisch, wie ich eben gehört habe», fragte Gaby.
«Ja, aber nur von meinen drei Jahren im Kollegi – ‘But it's still better than nothing’», sagte Boda, stolz auf seine Englischkenntnisse.
«Übrigens, wieso steht dort auf dem Büchergestell, anstelle des Triumph Spitfire, den du mir geschenkt hattest, diese französische Blechkiste?», fragte Boda Pius. «Die passt so gar nicht zu den anderen schönen Modellen.»
«Du bitte, etwas mehr Respekt vor der französischen Autoindustrie», wies Pius Boda lachend zurecht, bückte sich und kratzte sich am rechten Bein. «Dies ist ein Kultfahrzeug. Die Franzosen nannten diesen legendären kantigen Wellblechtransporter HY auch ‘Nez de cochon’ (Schweinsnase) und später ‘Panier à salade’ (Salatkorb), wegen der vergitterten Fenster in der Polizeiausführung. Die Ausführungen mit hydropneumatisch gefederter Hinterachse wurden insbesondere im Krankentransportwagen (‘HY Ambulance’) der 1970er-Jahre verwendet, zum schonenden Transport der Patienten. Er wurde auch lange Zeit als Krankenwagen des Kantonsspitals Uri für die patientenschonende Fahrt über die holperige Flüelerstrasse eingesetzt. Ich bin schon lange auf der Suche nach diesem multifunktionellen Kult-Transporter und damit beginnt eine sonderbare Geschichte.
Gestern Morgen hatte jemand angerufen, der mir seinen alten, als Camper umgebauten Lieferwagen Citroën HY verkaufen wollte. Er sei unterwegs Richtung Süden und warte auf der Gotthard-Raststätte Süd. Er würde den Citroën HY dann bei Interesse auf der Rückreise hier vorbeibringen.
Gaby, haben wir so etwas wie Aspirin, ich habe immer noch einen Brummschädel, als hätte ich gestern zwei Flaschen Wein getrunken.»
«Ich bringe dir etwas, aber erzähle bitte endlich, was gestern passiert ist!», drängelte Gaby. «Und höre endlich mit diesem ewigen Kratzen auf.»
«Zuerst noch mal einen starken Kaffee, bitte!», lenkte Pius ab. «Habt ihr gesehen? Schönes Wetter heute, kein einziges Wölkchen am Himmel. Wir hatten schon lange nicht mehr solch schönes Wetter. Die letzten zwei Wochen hatte es nur geregnet und zuvor hatten wir eine lange Kältewelle. Geniessen wir dieses schöne Wetter. Wir sollten einen Ausflug machen.»
«Ich möchte jetzt aber genau wissen, was gestern passiert ist!», wiederholte Gaby.
«Ich auch, glaube mir, ich auch. Und deshalb sollten wir jetzt einen kleinen Ausflug machen, bei diesem schönen Wetter. Wer weiss, vielleicht regnet es nächste Woche wieder», sagte Pius und kratzte sich wie wild am Bauch.
«Würdest du nun endlich erzählen, was gestern passiert ist», fragte Gaby nun hartnäckig nach.
«Gestern, es war schönes Wetter wie heute, stand auf dem Parkplatz der Gotthard-Raststätte, wie erwartet der Citroën HY-Lieferwagen. Ein Mann begrüsste mich, öffnete die Hecktüre des Citroëns und bat mich, die Innenausstattung des Wagens anzusehen. Als ich im Wagen stand, schloss er die Tür und der Wagen fuhr kurz darauf los. Wie lange ich in diesem Wagen war, weiss ich nicht. Es war so dunkel, dass ich nicht einmal meine Armbanduhr sehen konnte, da die Fenster von aussen schwarz bemalt waren – eigentlich ungewöhnlich für einen Camper.
Schätzungsweise nach dreiviertel Stunden hielt der Wagen. Die Tür wurde aufgerissen und zwei Männer traten in den Wagen. Ich musste meine Arme hinter den Rücken halten und man legte mir Handschellen an und verband mir die Augen. Sie führten mich nach draussen. Ich stand mit dem Rücken an einer Wand und wartete, bis jemand eine Haustür geöffnet hatte. Während dieser Zeit kratzte ich mit den Handschellen Spuren in die Wand, ich glaube, es war eine Betonwand, diese Spuren sind sicher noch sichtbar. Es muss sich um eine Zufahrt handeln, die ziemlich steil nach unten führt, wie ich, kurz bevor der Wagen hielt, bemerkte.
Im Haus nahm man mir die Augenbinde ab, und ich musste mich auf einen Stuhl setzen. Das einzige Licht im Raum stammte von einer Tischlampe, von der ich geblendet wurde, wie man dies von Verhören in Krimis kennt. Einer sprach mit italienischem Akzent, ein anderer mit englischem, wieder ein anderer sagte überhaupt nichts. Erkennen konnte ich niemanden. Von irgendwo her hörte ich monotone, klassische Musik.
Jemand verpasste mir eine Spritze in den linken Oberarm. Nach einer Weile spürte ich noch, wie man mir die Handschellen abnahm und hörte den Mann hinter der Tischlampe wirres Zeug reden. Von diesem Moment an weiss ich nichts mehr. Was ist mit mir geschehen? Was hat man mit mir gemacht? Wurde ich hypnotisiert, geistig betäubt, aber wieso um Himmelswillen?
Ich glaube, ich war in einem Wald, bin mir aber nicht sicher, jedenfalls war ich nicht mehr in diesem Haus. Was habe ich dort in diesem meinem Zustand getan? Diente ich als Versuchskaninchen für ein Experiment? Habe ich jemandem ein Leid zugeführt? Und wo ist dieses Haus, in dem man mich ‘behandelte’?
In meiner Erinnerung fuhren wir circa zwanzig Minuten auf der Autobahn Richtung Süden. Dann kroch der Citroën HY sehr langsam über mehrere Serpentinen den Berg hinauf, das kann nur die Schöllenenschlucht gewesen sein. Danach kam keine Steigung mehr. Nach kurzer Zeit hielt der Wagen. Das muss in Hospental oder Realp gewesen sein, ich vermute in Hospental.
Wir fahren jetzt zur Raststätte, ich lade euch zu einem ausgiebigen Brunch ein, und dann machen wir einen Ausflug ins Urner Oberland.»
«Das ist nett mit dem Brunch, aber wir fahren morgen!», befahl Gaby. «Du hast ja immer noch einen Brummschädel und siehst aus, als hättest du drei Flaschen Wein getrunken. Und wieso kratzt du ich immer?»