Das ostfriesische Ritual - Klaus-Peter Wolf - E-Book + Hörbuch

Das ostfriesische Ritual Hörbuch

Klaus-Peter Wolf

4,6

  • Herausgeber: Goyalit
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

Ann Kathrin Klaasen und ein uraltes ostfriesisches Ritual: Für alle Fans, die auf den zweiten Erzählungsband "Mord am Deich" von Klaus-Peter Wolf warten (Erscheinungstermin: 14.Juli 2016) Seit dem Tod ihres Mannes ist das Leben für Leefke Schepker anstrengend geworden. Sie leidet unter Panikattacken und einer schlimmen Katzenallergie, und verdächtigt ihre Putzfrau, Katzenhaare im Haus zu verteilen. Nur ihrer Freundin Maria kann sie vertrauen. Schon zweimal haben sie ihre Wohnung ausgeräuchert und mit glühenden Kohlen Geister vertrieben. Denn Maria kann mit den Geistwesen reden. Und die fordern, dass Leefke sich von ihrem Vermögen trennen soll. Als Ann Kathrin Klaasen von mysteriösen Vorfällen im Haus von Leefke Schepker erfährt, ermittelt sie auf die ihr eigene irdische Weise. Spannend und nervenaufreibend: Ann Kathrin Klaasen blickt in den Abgrund einer menschlichen Seele.

Das Hörbuch können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS

Zeit:1 Std. 29 min

Sprecher:Julia Jäger
Bewertungen
4,6 (28 Bewertungen)
20
4
4
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Klaus-Peter Wolf

Das ostfriesische Ritual

Kurz-Krimi

FISCHER digiBook

Inhalt

Das ostfriesische Ritual1.2.3.4.5.6.7.8.9.10.11.12.13.14.15.16.17.18.

Das ostfriesische Ritual

1.

Leefke Schepker verdächtigte ihre Putzfrau. Sie redeten sich gegenseitig mit Vornamen an. Es klang, als würden zwei Freundinnen miteinander sprechen, aber Leefke traute der jungen Frau nicht. Sie duftete nach Patschuli, Vanille und einer exotischen Frucht. Kiwi oder Mango. Aufdringlicher Nuttenkram!

Die Räume rochen nach ihr, wenn sie dort saubergemacht hatte. Leefke Schepker lüftete nach jedem wöchentlichen Putztag ihr Haus gründlich, sobald Rita gegangen war. Der ostfriesische Wind ließ Türen und Fenster knallen, sauste wie der Atem eines unsichtbaren Drachens durch die Zimmer und vertrieb die fremden Gerüche.

Trotzdem ging es Leefke nach fast jedem Besuch der Putzfrau schlechter. Nachts bekam sie Hustenanfälle, als hätte sie auf Katzenfellen geschlafen.

Leefke war mit den Jahren empfindlich geworden. Früher war ihr Magen wie ein Mülleimer gewesen, geduldig verarbeitete er alles, was sie hineinwarf. Heute reichte eine Erdnuss, um sie in Atemnot zu bringen. Thunfisch war zu einem tödlichen Lebensmittel geworden. Sie hatte eine Hausstauballergie. Wie sich das schon anhörte! Das war doch peinlich. Als sei es bei ihr schmutzig! Und sie konnte der neuen Putzfrau ja viel vorwerfen, aber Rita Klatt machte wirklich gründlich sauber.

Am schlimmsten waren Katzenhaare für Leefke. Zuerst kam der irre Juckreiz auf der Haut, dann rasselten ihre Lungen wie Fischernetze im Sturm, und schließlich wurde ihr schwindlig. Sie musste dann sofort aus dem Raum.

Sie schämte sich zwar ein bisschen deswegen, aber seit dem Tod ihres Mannes liebte sie Spielfilme wie Der weiße Hai oder Godzilla. King Kong war ihr Lieblingsfilm, und Die Hexen von Eastwick sah sie sich jedes halbe Jahr einmal an. Es waren seine Filme. Er hatte sie gesammelt und meist erst angesehen, wenn sie schon ins Bett gegangen war. Damals waren ihr diese Filme zu aufregend gewesen. Heute war diese Filmsammlung eine Verbindung zu ihrem toten Mann. Tröstlich, nicht erschreckend.

Sie würde nicht von einem weißen Hai gefressen werden, kein Urzeitmonster aus der Tiefe des Meeres kam, um sie zu attackieren. Auch vor Riesenaffen war sie in Ostfriesland sicher. Sie musste sich vor Erdnüssen fürchten, vor Thunfisch, Hausstaub und Katzenhaaren.

All diese Krankmacher konnte sie meiden, aber da war noch etwas viel Schlimmeres in ihrem Leben: eine unbestimmte Angst, die plötzlich kam. Im Supermarkt, während sie in der Schlange an der Kasse darauf wartete, dranzukommen. Oder bei einer Geburtstagsfeier, während alle fröhlich waren, durcheinanderschwatzten und Kuchen aßen, da wurde sie mit einem Mal von einer Panik ergriffen, die nicht schlimmer hätte sein können, wenn die Siedlung bombardiert worden wäre.

Es war eine lähmende Angst. Sie wusste nicht, woher. Sie bekam dann kaum noch Luft, als hätte sie eine Katze gestreichelt oder Erdnüsse gegessen.

Die letzte Panikattacke war drei Wochen her. Bei einer goldenen Hochzeit in Wiesmoor. Es waren ein paar Golfer dabei gewesen, unter ihnen Gerd Martens. Sie kannte ihn. Sie war ihm in der Sparkasse Wiesmoor oft begegnet. Sie hob immer nur kleine Bargeldbeträge ab. Er grüßte sie jedes Mal freundlich. Gerd Martens hatte während der Feier bemerkt, dass es ihr schlechtging, und sie nach Hause gefahren. Er war höflich genug gewesen, ihr keine dummen Fragen zu stellen.

Inzwischen hatte sie Angst vor der Angst. Sie ging nicht mehr viel raus, mied Feiern und kaufte am liebsten ein, wenn nur wenige Menschen im Laden waren. In der Mittagszeit oder wenn ein wichtiges Fußballspiel im Fernsehen lief. Das waren ideale Situationen.

Sie hatte alles getan, um diese Angst loszuwerden. Vergeblich. Die Tabletten nahm sie nicht mehr. Die machten sie müde, und sie fühlte sich seelenlos dadurch. Außerdem bekam sie Kopfschmerzen und Verstopfung.

Nachdem sie die dreitausend Euro verbrannt hatte, war es ihr zunächst wirklich kurz bessergegangen. Sie hatte eine Linderung verspürt, aber nach dem nächsten Besuch der Putzfrau war es wieder schlimmer geworden.

Versteckte diese alleinerziehende Mutter etwa heimlich Katzenhaare in ihrer Wohnung? Warum jaulten jede Nacht in ihrem Vorgarten Katzen? Ihr Haus wurde regelrecht von dieser vorlauten Pest belagert. Sie konnte nie die Terrassentür offen lassen. Sie musste immer befürchten, ungeliebten Besuch zu bekommen.

Neulich hatte sie im Garten bunte Katzenkekse gefunden. Sie rochen nach Lamm und Huhn. Warf jemand abends Katzenfutter über ihre Hecke, um die Tiere anzulocken?

Der Verdacht war ungeheuerlich, aber er verdichtete sich langsam zur Gewissheit.

Sie konnte nur noch ihrer Freundin Maria trauen. In Marias Haus ging es ihr gut. Hier konnte sie frei atmen. Sie bekam keine Panikattacken, und die Räume waren garantiert frei von Katzenhaaren.

Schon zweimal hatte sie gemeinsam mit Maria ihre ganze Wohnung ausgeräuchert. Mit Myrrhe und Weihrauch. Mit glühenden Kohlen hatten sie alte Geister vertrieben, böse Geister, die im Gemäuer festklebten wie giftiger Schmierschmutz.

Ja, es gab Geistwesen, und Maria konnte mit ihnen reden. Sie hatte diese Gabe von ihrer Mutter vererbt bekommen und die von ihrer. Die geistige Welt suchte sich Menschen, um ein Tor zu schaffen zu uraltem Wissen.

2.

Manchmal bekamen die Menschen schockstarr vor Entsetzen kaum ein Wort heraus, stammelten wie schlecht vorbereitete Schüler bei der mündlichen Prüfung.

Ein Mord wurde normalerweise telefonisch gemeldet. Diesmal war alles anders.

Ann Kathrin Klaasen lehnte sich in ihrem ergonomischen Bürostuhl zurück und staunte. Das kleine Mädchen war selbstbewusst. Forsch forderte sie, die »berühmte ostfriesische Kommissarin« zu sprechen. Dabei hielt sie ihre rote Umhängetasche wie einen Schutzschild vor ihren Körper.

Rupert gab ihr mit einer betont devoten Geste den Weg frei. Er verbeugte sich sogar und machte ganz auf Kavalier. »Bitte schön, Madame.« Er zeigte auf Ann Kathrin Klaasen.

Die Kleine gab sich wenig beeindruckt. Sie nahm Ruperts Geste hin, als ob sie ständig so behandelt und angesprochen würde.

»Sie sind Kommissarin Klaasen?«

Ann Kathrin nickte. »Ja, die bin ich. Und wer bist du?«

»Ich heiße Jule Klatt. Ich bin aus Wiesmoor und möchte ein Verbrechen melden.«

»Ein Verbrechen?«

»Ja, ein ganz schlimmes sogar. Die Schepker hat meinen Tiger umgebracht.«

Rupert verdrehte die Augen, wünschte Ann Kathrin gestisch viel Spaß und verließ das Büro, um sich wichtigeren Dingen zu widmen: der verdienten Mittagspause.

Ann Kathrin nahm sich Zeit für das Kind. »Tiger? Ist das ein Stofftier oder ein echtes Tier?«

Jules Stimmung schlug um. Ihre Unterlippe begann zu zittern, und ihre Augen wurden feucht.

»Meine Lieblingskatze. Ich hab drei. Den Tiger, den Blacky und den Moritz.«

Ann Kathrin bot der Kleinen Kekse an, aber Jule wollte nicht.

»Ich fürchte«, sagte Ann Kathrin, »da kann ich dir gar nicht helfen. Du bist hier bei der Mordkommission, weißt du.«

»Das war ja auch Mord! Die Schepker hat meine Katze umgebracht!«

Das Kind tat Ann Kathrin leid, und sie spürte die enorme Wut des Mädchens. Gerade deshalb wollte sie sachlich bleiben. »Das ist wohl eher etwas für die Kollegen vom 3. Fachkommissariat. Die kümmern sich um Umweltdelikte. In deren Zuständigkeit fällt auch der Tierschutz.«

Die Unterlippe des kleinen Mädchens zitterte. »Der Tiger war so lieb!« Jule Klatt schluckte und hielt Ann Kathrin ihr Handy hin. »Da, guck doch selbst!«

Auf dem Display sah Ann Kathrin eine Katze, die jämmerlich verrenkt an einer Stahlschlinge baumelte.

Das Kind stellte die Umhängetasche neben sich ab.

»Jemand hat deine Katze aufgehängt?« Ann Kathrin spie den Satz aus wie ein ranziges Stück Fleisch. Die Heftigkeit ihrer Reaktion tat ihr sofort leid, sie wollte das Kind nicht erschrecken. Aber das hier war nicht einfach die Tat eines Katzenhassers.

Es gab Menschen, die für Katzen oder Hunde giftige Nahrung verteilten, um die Tiere zu töten. Sie kannte einen, der hatte Rasierklingen in Frikadellen versteckt, um Hunde zu quälen.

Das hier war anders. Es sah aus wie eine Drohung, wie die Ankündigung einer schlimmen Tat.

»Und du weißt, wer das gemacht hat?« Ann Kathrins Stimme hörte sich kratzig an, als ob sich eine Sommergrippe ankündigen würde.

»Ja, die Frau Schepker. Leefke Schepker heißt die blöde Kuh.«

»Hast du sie dabei beobachtet?«

»Nein.«

»Und woher weißt du dann so genau, dass sie es war?«

»Das weiß doch jeder.«

»Jeder?«