Das Portal der Königin - Reni Weller - E-Book
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Das Portal der Königin E-Book

Reni Weller

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Beschreibung

"Das Portal der Königin" ist eine Neuinterpretation des Märchens 'Die zertanzten Schuhe'. Eine literarische Adaption über magische Elemente, familiäre Konflikte und gesellschaftlichen Zwängen, verbunden mit Lebensgeschichten starker Frauen. Die Geschichte bietet einen Einblick in die historische Epoche des 18. Jahrhunderts und märchenhaften Welten - verborgen hinter Spiegelglas. Geprägt von sehnsüchtigen Träumen, die Bürde einer Thronfolgerin und einem traurigen Schicksal. Klappentext: "Geformt aus einem Wort, erschaffen aus Sehnsucht, besiegelt mit Blut und Magie." Nach außen hin, strahlt das Königreich der Levenheims: ein strategischer König, eine edle Königin und ihre sechs bezaubernden Töchter. Doch hinter den prachtvollen Mauern des Palastes lauert eine düstere Wirklichkeit. Obwohl das Leben der Mutter glücklich und liebenswert verlief, versuchen die Kinder dem goldenen Käfig zu entkommen. Die Levenheims stehen an einem Wendepunkt. Als die Hoffnung schwindet, ist es die Königin, die sich in den Schatten der verborgenen Magie begibt, um einen Pakt mit dem Spiegelmeister zu schließen. Ein machtvolles Portal entsteht. Eines, das neue Hoffnung gibt und ihnen zeigt, dass sie die Herrscher über ihr eigenes Schicksal sind - bevor die alten Mächte sie erneut in die Fänge der Vergangenheit zerren.

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Seitenzahl: 376

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Alle Charaktere dieses Werkes sind fiktiv. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen des realen Lebens entsprechen Zufällen oder sind künstlerisch motivierter Natur.

Für die Ausgestaltung der Geschichte und der Charaktere wurden allgemeine Recherchequellen verwendet. Die Informationen stammen aus einer Vielzahl von frei zugänglichen Materialien sowie aus allgemein verfügbaren Wissensdatenbanken. Informationen über Personen, Abläufe, Protokolle und das zeitgemäße Wissen im 18. Jahrhundert zeigen eine Zusammenfassung aus unterschiedlichen, geschichtlichen Erkenntnissen, welcher der Darstellung dieser Zeit dienen, doch keiner expliziten nachweisbaren Memoiren oder Abschrift folgen.

Alle Bestandteile dieses Buches sind geistiges Eigentum der Autorin. Die Verwendung der Texte und Bild – auch auszugsweise – ist ohne vorherige Zustimmung der Autorin urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Verarbeitung mit elektronischen Medien. Die unautorisierte Nutzung und Verwertung von Texten, Namen oder Sachverhalten für oder zu Spielen und Spielsystemen aller Art ist nicht erlaubt.

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Inhaltsverzeichnis

Märchenadaption

I Königliche Sorgen

II Die Familie von Levenheim

III Das Geheimnis der Königin

IV Die Güte des Spiegelmeisters

V Das Portal von Adelheid

VI Der goldene Käfig

VII Der Wandel des Palastes

VIII Das Geschenk der Zwillinge

IX Die Berufung des Spiegelmeisters

X Begonia und Carissima

XI Das Portal der Zwillinge

XII Ein königlicher Tag

XIII Sehnsüchte und Erwartungen

XIV Der Ball der Gerechten

XV Die Last der Freiheit

XVI Das Portal von Dorethin

XVII Verlangen und Realität

XVIII Eine familiäre Herausforderung

XIX Elsbeths Portal und seine Tücken

XX Der größte Verlust des Landes

XXI Des Königs Unwissen

XXII Des Königs Plan

XXIII Des Rätsels Löser

XXIV Der Graf, kein Retter

XXV Die Krönung

XXVI Der Offenbarungsball

XXVII Das Geschenk an Fronica

XXVIII Des Königs Entscheidung

XXIX Hochzeitsglocken

XXX Ein gebrochenes Herz

XXXI Ein unerwarteter Gast

Epilog

Märchenadaption

I

Königliche Sorgen

Es werden Köpfe rollen«, schrie der König und lief in schnellen Schritten durch den Thronsaal. Sein Kopf hochrot, die Nasenflügel hoben und senkten sich mit seinen Atemzügen, bis er auf seinem Thron Platz nahm und endlich Ruhe fand.

Die Soldaten schlichen tonlos aus dem Raum und versteckten sich auf den Gängen, während der Hofmeister an des Königs Seite weilte. Keiner sollte es wagen, den Monarchen zu verärgern, denn eine aus der Wut heraus entstandene Entscheidung von ihm konnte der anderen Tod bedeuten.

Für dieses Ärgernis waren allerdings seine eigenen Töchter verantwortlich.

»Ein weiteres Paar Schuhe können wir uns nicht mehr erlauben«, sprach der Herrscher zornig und stützte seinen Kopf in den Handflächen ab. Dabei rieb er sich verzweifelt die Stirn mit seinen Fingern und volvierte.

»Einige Handwerker und Schuster reden«, fügte der Hofmeister demütig flüsternd hinzu und wich vorsichtshalber einen Schritt zurück.

»Wie lange geht das schon so?«, brüllte der Kronenträger verärgert.

»Mein König. Wir werden gewiss eine Lösung finden.«

Davon wollte der Monarch jedoch nichts wissen und winkte ihn mit der Hand weg.

»Lasst mich allein.«

Sein treuer Butler wagte nicht, zu widersprechen.

Das Einzige, was der König wusste, war, dass er jeden Morgen die Schuhe seiner sechs Töchter aufs Neue in katastrophalem Zustand vorfand. Die Prinzessinnen trugen alle dieselbe Größe und jedes Schuhpaar wies am darauffolgenden Morgen erneut einen Mangel auf. Sie waren verschmutzt, fleckig, zerschlissen, aufgerissen, die Sohle löste sich ab oder die Nähte gingen auf. Ein skandalöser Anblick, der sich dem König bot.

Wie die Kammerzofe der kürzlich verstorbenen Königin unter Zwang berichtete, begann das Schuh-Dilemma mit dem vierzehnten Geburtstag seiner ersten Tochter Adelheid und in jedem Jahr, in dem seine anderen Erben dieses Alter erreichten, wurden es mehr. Doch die Kenntnis darüber blieb im Palast und sollte niemanden interessieren.

In wenigen Wochen wurde das jüngste Kind Fronica vierzehn Jahre alt und würde dann ebenso Unmut erregen und unzählige Schuhe ruinieren.

Der trauernde König, Waldur von Levenheim, ließ in seiner Verzweiflung und Wut die besten Schuster des Landes zu sich bringen und erwarb Materialien aus aller Welt. Aber keiner war imstande dazu, die Haltbarkeit des Schuhwerks zu verlängern. Einige davon berichteten, dass sich ihr Wissen nach der damaligen Anfrage der Königin nicht erweiterte und sie deshalb immer noch auf der Suche nach einer Lösung waren.

Er nahm aus lauter Niedergeschlagenheit den Kindern für eine Zeitlang die Fußbegleitung weg, das machte sie traurig und schweigsam.

Die Besonderheit mit den Schuhen der Töchter war dem Vater erst nach dem Tod seiner geliebten Frau aufgefallen. Er erlangte zufällig Kenntnis davon, als er sah, wie sich eine Kammerzofe eilig mit mehreren Paaren der zerschlissenen Schuhe entfernte. Die Bediensteten teilten ihm auf energischer Nachfrage mit, dass sich sonst die Königin des Schlosses um den Ersatz der unbrauchbaren Fußbekleidung kümmerte. Ihr war es zeitlebens nicht gelungen, dieses Ärgernis zu unterbinden. Stattdessen entschied sich die Mutter dazu, kein Aufheben daraus zu machen. Im Gegenteil, sie hatte den Anblick und den schäbigen Zustand der einst hübschen Schuhe am nächsten Morgen stets belächelt.

Das plötzliche Interesse des Königs brachte deshalb unnötig Unruhe in den Palast.

Die werte Königin, Magdalena von Levenheim, hatte immerfort ein dezentes, aber freundliches Lächeln auf den Lippen und sah kein Problem darin, ein paar Schuhe zu ersetzen; als hätte sie gewusst, was vonstattenging.

Was die sechs Königstöchter nachts unternahmen, verrieten sie dem Vater nicht und die Gouvernanten konnten ebenso nichts berichten. Anfangs schrieb er das Verhalten der Trauer zu, dass sie mit dem Verlust ihrer Mutter kämpften und sich deshalb einer augenscheinlich ungewöhnlichen Ablenkung hingaben. Die täglichen Kosten, die anfielen, und dass er von seiner Familie bei diesem Geheimnis ausgegrenzt wurde, waren dem König ein Dorn im Auge.

Er erfuhr, dass seine geliebte Frau selbst mehrmals den Schuster wechselte und sie stets großzügig für ihr Stillschweigen entlohnte. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich mit Alternativen auseinanderzusetzen.

Er hätte sich gewünscht, eher davon zu erfahren, um mit seiner Gattin darüber reden zu können. Jedoch musste er ihr zugestehen, ein Geheimnis zwischen Mutter und Töchtern zu haben.

Früher gab es regelmäßig unerquickliche Situationen mit den Prinzessinnen, die Raufereien untereinander bis hin zu materieller Zerstörung boten.

Und er hatte nie hinterfragt, wie es seiner geliebten Ehefrau gelang, dies zu verhindern.

Wie der Hofmeister ihn einen Tag zuvor unterrichtete, redete das Volk darüber. Es kursierten Gerüchte über prunkvolle Bälle, die jede Nacht veranstaltet wurden, bis zu Vermutungen der Zwangsarbeit. Niemand glaubte daran, dass König Waldur seine Töchter als Stallburschen oder Bedienstete schuften ließ. Er wollte dennoch das Gerede unterbinden und das Problem direkt am Schopfe packen.

Er vermisste seine Frau, seine Gefährtin, seine Vertraute und die liebevolle Mutter seiner Kinder. Ihr plötzliches Ableben nach einer schnell verlaufenden Krankheit hatte ihm den Boden unter den Füßen weggerissen.

Magdalena von Levenheim war würdevoll, beliebt und unantastbar. Sie herrschte über ihr Land wie keine andere und unterstützte ihren Ehegatten und König so gut sie konnte. Ratschläge, Verständnis und Mitsprache auf Augenhöhe.

Sie vertrat den Herrscher in der Form der Regentschaft, Beratung und Vermittlung. Sie war, untypisch für die adeligen Gepflogenheiten, Teilhaberin der königlichen Macht. Sie fungierte zur Legitimation und Repräsentation der Kultur des Landes.

Und doch war sie nicht gleichgestellt.

Die Liebe der beiden war echt und greifbar. Die Ehe war zu keiner Zeit ein Arrangement oder eine eingefädelte Allianz und vor allem keine Qual. Nach außen herrschten sie streng und machtvoll, hinter verschlossenen Türen jedoch lief es sozial und liebevoll ab.

Der Rang der Monarchen stand für das Verhältnis zwischen König und Adel, aber für das Monarchenpaar ging es um das Verhältnis zwischen Schloss und Volk.

Während in vielen Herrschaftsgebieten das Volk zerstreut und abgesondert lebte, wurde es hier von dem Königspaar gestärkt. Somit schützten die Anwohner ihre Monarchie in beiden Ländern bis vor die Tore des Palastes und hatten keinen Grund zu rebellieren. Wer sich an die Gesetze hielt, hatte nichts zu befürchten.

Für die Regentschaft des Reiches hatte der König Berater, Barone und Grafen um sich. Auch sein Hofmeister stand ihm seit seiner Krönung zur Seite. Er hatte dem Herrscher sein Leben zu verdanken, hütete er mit ihm ein altes Geheimnis. Eine falsche Entscheidung, die ihn fast den Kopf gekostet hätte, wäre Waldur nicht eingeschritten. Aus Dank verpflichtete er sich ihm bis zum Tod.

Die Erziehung der Töchter lag immer in weiblicher und zärtlicher Hand. Der König nahm sich allerdings nach dem Ableben seiner Frau vor, sich einen Teil der mütterlichen Pflichten anzunehmen. Denn der weitere Weg der Prinzessinnen würde sich zeitnah entscheiden. Er war für sie verantwortlich, und die neue Königin wurde bald gekrönt.

Die Kammerzofen übernahmen die täglichen Aufgaben des Ankleidens und der Reinigung, und die schlosseigenen Lehrmeister und Gouvernanten unterrichteten. Die Monarchen hatten einen hohen Bildungsanspruch und sorgten mit einer prall gefüllten Bibliothek für eine wissensreiche Grundlage.

Sie strebten bei der Erziehung das Erlangen von Selbstständigkeit, Pflichtbewusstsein, Wortgewandtheit und eine legitime politische Position an. Die Prinzessinnen sollten von ihrem zukünftigen Ehegatten als Mitregentinnen angesehen werden und dem Weg der Mutter folgen.

Ein Wunsch, der früher leicht über die Lippen ging, doch für die Älteste der Schwestern zur Realität werden sollte. Sie wurde in wenigen Wochen volljährig und nach ihrem achtzehnten Geburtstag zur neuen Herrscherin gekrönt.

Königin Adelheid von Levenheim.

Ein prägendes Ereignis für das ganze Schloss und eine Veränderung für alle Familienmitglieder.

Während der Verlust wie eine graue Nebelwolke bedrückend durch die Gänge zog, liefen die Vorbereitungen für die Krönung. Es sollte ein großes Fest stattfinden. Das ganze Reich würde feiern und den Weg zu den Toren des Schlosses auf sich nehmen. Der höchste Adel, Monarchen aus den angrenzenden Ländern, heiratsfähige Prinzen aus einflussreichen Königsfamilien würden den Feierlichkeiten beiwohnen.

II

Die Familie von Levenheim

Prinzessin Adelheid war die älteste der sechs Prinzessinnen des Königreiches von Levenheim. Von ihr erwarteten der Hof und König Waldur, dass sie in die Fußstapfen ihrer Mutter und Königin trat. Es war eine auferlegte Pflicht des Thrones, um die Regentschaft und die weiteren Thronerben von königlichem Blut zu gewährleisten.

Die Siebzehnjährige lebte mit der Last dieser Verantwortung, doch ein Funken Hoffnung begleitete sie. Der Antritt zur Krone und das Besteigen eines Thrones bedeutete, eine eigene Familie zu gründen und dafür einen Mann von hohem Stand und königlicher Abstammung zu heiraten.

Ihre Vorbilder schienen stets glücklich zu sein, eingebettet in eine wohlhabende, aber soziale Gemeinschaft – etwas, das sie sich ebenfalls wünschte. Und sollte sie das Pech verfolgen, so erhoffte sie sich möglichst viel Desinteresse von ihrem Ehegatten, um ihren Freiraum zu erhalten. Dennoch hatte sie bei der Wahl ihres Gemahls keinerlei Mitspracherecht. Ihr Vater, der König, würde die Vermählung als politisches Werkzeug nutzen, um eine Allianz zu schmieden, die beiden Königreichen Vorteile brachte – idealerweise eine Steigerung von Wohlstand und Sicherheit. Solch ein Bündnis sollte die Landesgrenzen festigen und die Macht der Monarchen stärken.

Adelheid wusste, was von ihr erwartet wurde. Ihr ganzes Leben wurde sie auf diese Aufgabe vorbereitet, und die meiste Zeit ihres Prinzessinnendaseins, ging es um nichts anderes. Dennoch fühlte sie sich dem nicht gewachsen.

Die Geschwister wurden vom Hof genauso darauf trainiert, in der Öffentlichkeit ein Ebenbild der verstorbenen Königin zu sein und sie in allem zu vertreten. Eine Rolle, die bis ins kleinste Detail einstudiert, verinnerlicht und vorgelebt wurde.

Adelheid würde in wenigen Wochen volljährig werden und auf Grund des plötzlichen Ablebens der Königin musste sie sich mit dem Verlust ihrer Mutter, der Heirat mit einem fremden, strengen und hochwohlgeborenen Mann und dem Abschied vom Familienanwesen beschäftigen. Dabei waren ihre Schwestern alles, an was sie derzeit denken konnte.

Bei ihren Geschwistern fühlte sie sich am wohlsten.

Sie verstanden, was es hieß, eine Prinzessin zu sein. Wie es sich anfühlte, in einem goldenen Käfig eingesperrt zu sein und in einem Leben festzustecken, welches aus Etikette und Regeln bestand. Ein Leben, in dem jeder Schritt, jedes Wort und jeder Blick festen Vorschriften zu folgen hatte und es keine eigene Meinung gab. Entmündigt und nur zu einem bestimmten Zweck geboren.

Die Bürde einer Thronfolgerin.

Adelheid war immer für die Jüngeren da und würde es bleiben. Ihr Vater würde ihr dennoch nicht gestatten, nach der Vermählung im Palast zu wohnen. Sie würde unmittelbar nach den Feierlichkeiten in ein eigenes prächtiges Schloss ziehen – begleitet von einer privaten Dienerschaft, aber getrennt von ihrer Familie. Auf sich allein gestellt und einsam.

Diesen neuen Lebensabschnitt würde sie in einem fremden Land beginnen. Das bedeutete ebenfalls den Verlust ihres Portals – das wertvollste Geschenk der Königin an ihre Töchter. Das größte Geheimnis, das die Mädchen mit ihrer Mutter hüteten. Nur acht Personen wussten davon: die sechs Schwestern – Adelheid, die Zwillinge Begonia und Carissima, Dorethin, Elsbeth, Fronica – sowie die Königin und der Spiegelmeister.

An oberster Stelle stand die Geheimhaltung der Portale und selbst der König war nicht eingeweiht.

Das Verhalten der jungen Damen missfiel ihrem Vater, der um jeden Preis verhindern wollte, dass schlecht über sie gesprochen wurde. Er begann Nachforschungen anzustellen, um das Mysterium der Schuhe zu lüften.

Anfangs wandte er sich an die Bediensteten und fragte sie aus. Diese wagten es nicht, ihrem König die Wahrheit zu verschweigen, doch ihre Berichte blieben vage: Die Schuhe der Prinzessinnen waren jeden Morgen beschädigt oder verschmutzt – außer die der jüngsten Tochter. Neuerdings blieb auch ein zweites Paar unversehrt, aber zu wem es gehörte, konnten die Diener nicht sagen.

Diese Erkenntnis half dem Monarchen nicht weiter, deshalb beschloss er, es als liebevoller Vater zu versuchen. Er erklärte seinen Töchtern die Situation, in der er sich befand. Welche finanzielle Belastung die Herstellung neuer Schuhe oder die Reparatur und Reinigung verursachten und was die Stadt am Fuße des Berges redete. Dass sie sich mit ihrem rüpelhaften Benehmen zum Gespött des Hofes machten und sie ihre Authentizität verloren. Er bat sie inständig, darüber nachzudenken, sich ihrer Verantwortung bewusst zu werden und ihm keine Sorgen zu bereiten. Doch die Mädchen schwiegen beharrlich.

Nach dem vertrauten Gespräch nahm er seine Töchter in den Arm und fühlte Trost. Sie erinnerten ihn täglich an ihre verstorbene Mutter, besonders die Älteste, was ihm jedes Mal einen Stich ins Herz versetzte.

Gefühle in der Öffentlichkeit zu zeigen, war den Mädchen genauso untersagt wie Männern. Solche Dialoge fanden nur im engsten Kreis statt, fern von Zeugen, und nur in Fällen dringender Notwendigkeit.

Da weder das Gespräch, noch der Appell an die Vernunft seiner Töchter Früchte trug, griff der König in seiner Verzweiflung zu strengeren Maßnahmen: Er wies den Hofmeister an, zwei Soldaten vor das Zimmer der Prinzessinnen zu postieren und die Kleidergehilfin anzuweisen, das Ankleidezimmer sorgfältig abzuschließen. Danach widmete er sich seinen königlichen Pflichten und vertraute darauf, dass dieses Vorgehen von Erfolg gekrönt sein würde.

Einige Tage später, beim Frühstück, ließ der König eine ungewöhnliche Lektion erteilen.

Er hatte seine Mahlzeit bereits zu sich genommen und beobachtete interessiert seine Töchter, als die Diener die Teller der Prinzessinnen enthüllten. Anstelle wohlduftender Köstlichkeiten lagen darauf abgetragene, schmutzige Schuhe.

Der König musterte ihre Gesichter, doch keines zeigte eine Reaktion. Wie die eingeschworene Einheit, die die Mädchen waren, schwiegen sie und weigerten sich, Licht ins Dunkel zu bringen. Verärgert verließ er den Saal mit den Worten: »Nun denn, lasst es euch schmecken.«Es dauerte eine volle Minute, bis die zweitjüngste, Elsbeth, sich traute zu sprechen.

»Mir gefällt es nicht, Vater so erbost zu sehen.«

Sie sah, wie einige der Mädchen nickten.

»Es wäre ein Leichtes, dieses Problem zu beheben«, erinnerte Fronica ihre Schwestern daran, dass sie selbst schuld am Aussehen ihrer Schuhe waren.

»Du hast gut reden«, flöteten die Zwillinge Begonia und Carissima zeitgleich und schauten die Jüngste ermahnend an.

»Lasst sie in Ruhe«, mischte sich Elsbeth erneut ein. »Ihr seid alle dafür verantwortlich«, erinnerte das kleine, schüchterne Mädchen die Älteren daran.

Fronica war die Einzige, die kein Portal besaß, und somit waren ihre Schuhe stets sauber geblieben. Sie konnte die brenzlige Lage der Schwestern und die Bedeutung eines Portals nicht verstehen.

»Ihr könnt den Tisch abräumen«, wies die zukünftige Königin den Diener an und lächelte ihm freundlich zu. Sie bereitete damit den Diskussionen ein Ende und es war ihr sichtlich unangenehm, vor den Bediensteten eine derartige Rüge von ihrem Vater zu erhalten. Dabei gehörte eines der beiden sauberen Paar Schuhe ihr, das änderte jedoch nichts daran.

»Wir werden heute ohne Frühstück auskommen müssen«, erklärte die Älteste und ließ keinen Widerspruch zu. »Möchte mich jemand auf einen Spaziergang in den Garten begleiten?« Die Jüngste stand bereits neben ihr. Die anderen verließen mürrisch den Speisesaal und liefen in die oberste Etage, um zu lesen oder ihren Unterricht zu absolvieren.

Das Schloss hatte hauseigene Lehrer und sittenstrenge Gouvernanten, die die Prinzessinnen unterrichteten. Somit hatte jede ihren eigenen Stundenplan und musste Unterrichtsfächer wie Zeichnen, Lesen, Schreiben, Etikette, Geschichte, Botanik und Klavier spielen wahrnehmen. Für die Älteren kamen Stunden der Gesellschaftswissenschaften und Philosophie hinzu.

Das Anwenden von Rhetorik, Arithmetik, Geometrie und Astrologie war offiziell den Männern vorbehalten. Sehr abwechslungsreich war das nicht.

Die Mädchen durften das Schloss nur für einen Spaziergang in den großangelegten Park, den gesicherten Waldbereich oder für eine formelle, gesellschaftliche Einladung verlassen. Abseits des einsamen Bergpalastes hatten sie keine Freunde – zumindest nicht in dieser Realität.

Die Portale waren ihr Weg in eine andere Welt, ein Hauch von Freiheit in einem Leben, das von Pflichten und Erwartungen geprägt war.

Ihre Mutter, Königin Magdalena, hatte stets versucht, ihren Kindern trotz der starren Regeln ein wenig Eigenständigkeit zu ermöglichen. Vielleicht hatten die Portale genau diesen Zweck erfüllt – ein Erbe, das sie von ihrer Mutter mit auf den Weg bekamen, um in einer Welt voller Einschränkungen dennoch ihre eigene Geschichte zu schreiben.

III

Das Geheimnis der Königin

Magdalena war eine angesehene und mächtige Königin, die das große Glück hatte, ihren zukünftigen Ehemann als Achtzehnjährige bereits zu kennen.

Prinz Waldur und Prinzessin Magdalena wurden auf einem gesellschaftlichen Ball, zwei Jahre vor ihrer Trauung, miteinander bekannt gemacht und einander versprochen. Einigungen wie diese eingeleitete Verlobung waren von höchster Bedeutung und sicherten eine königliche Blutlinie und den Fortbestand von Macht und Ansehen.

Es war üblich, dass das persönliche Einvernehmen der zukünftigen Eheleute dabei keine Rolle spielte. Emotionale Aspekte rückten in den Hintergrund; die Heiratspolitik diente allein der finanziellen Stabilität, dem Einfluss und dem Wohlstand.

Das Bündnis von Magdalena und Waldur vereinte zwei Länder unter einem Wappen, obwohl beide ihre Eigenständigkeit bewahrten. Magdalena stammte aus Dänemark, Waldur aus Norwegen. Gemeinsam regierte das Paar beide Regionen und hielt zum Wohle des Volkes Grenzen und Sprachen aufrecht.

Nach ihrer Hochzeit im Jahr 1835 schmiedeten sie ein privates Bündnis und lenkten fortan ihr gemeinsames Imperium.

Sie förderten die Landwirtschaft und den Handel und brachten Fortschritt in die Infrastruktur des gebirgigen Landes. Kein Bewohner musste Hunger leiden oder auswandern.

Das Königspaar bewährte sich rasch als weise und gütige Herrscher, obwohl sie ein abgeschirmtes Leben im Wohlstand führten. Mit ihrer beeindruckenden Armee und den fähigsten Anführern war das Königreich bestens auf mögliche Konflikte vorbereitet.

Die Königin engagierte sich für Krankenhäuser und Kinderheime und hatte trotz der Krone auf ihrem Haupt ihr soziales Wesen nie verloren. Sie war tugendhaft, würdevoll und unantastbar. Dennoch sorgte sie anfangs in ihren eigenen Reihen für großes Aufsehen.

Sie mied Bälle, Hochzeiten und Amtseinführungen anderer Adeliger und lehnte jede Einladung für die Oper ab. Sie hatte keine blaublütigen Freunde und wenig Interesse an Aristokratie. Sie wollte von dem weltweiten Klatsch und Tratsch nichts wissen, deshalb nahm der König verpflichtende Reisen ohne sie auf sich. Selbst die Tanzabende in ihrem prunkvollen Kristallsaal betrat und verließ sie, als wäre sie nur ein Gast. Sie blieb für sich und war gerne allein.

Der große Garten und Schlosspark entstand auf ihren Wunsch hin und wuchs über die Jahre zu einem prachtvollen botanischen Schmuckstück heran. Sie liebte das Gärtnern und war gern in der Natur. So war es nicht verwunderlich, dass die Prinzessinnen viel Zeit an der frischen Luft verbrachten und die Lehre der Pflanzenwelt verstanden.

Von ihrem großen Geheimnis erzählte die Königin niemandem etwas. Keiner Menschenseele. Selbst ihrem geliebten Ehegatten und den Kindern nicht.

Es gab eine Wende in ihrem Leben, die sie fast zur Aufgabe zwang, denn die Königin wurde die ersten Jahre der Ehe einfach nicht schwanger.

Ihre Mutter, die damals noch lebte, versorgte sie mit Tränken, Heilkräutern und Diätplänen und arrangierte regelmäßig geheime Arztbesuche. Nichts schien zu helfen.

Nach dem Tod ihrer geliebten Mutter vergingen Monate der Trauer und die bösen Zungen wurden immer lauter. Sie versteckte sich in ihren eigenen vier Wänden, besorgt, einsam und ohne Freunde.

Die Pflicht einer Königin war es, Thronfolger zu gebären, um den Fortbestand der Blutlinie zu sichern, doch es sollte nicht sein. Ihr Ehegatte machte keinen Druck; seine Liebe war bedingungslos. Aber sie selbst empfand sich als nutzlos und unwürdig.

Eines Abends, von Verzweiflung getrieben, fuhr Magdalena heimlich in ein nahegelegenes Dorf.

Sie belauschte zuvor ihre Kammerzofen dabei, wie sie über einen sogenannten Spiegelmeister redeten, dem hinter vorgehaltener Hand Hexerei vorgeworfen wurde. Er wurde bezichtigt, Krankheiten zu verbreiten und den Thron an sich reißen zu wollen. Sie sprachen davon, dass er alle Menschen vernichten wolle und die Hexen die Herrschaft der Welt übernehmen würden. Die Bediensteten vermuteten deshalb einen Fluch, der auf der Königin lastet, oder eine alte Bürde der Familie, die sie tragen muss.

Magdalena von Levenheim konnte diese Gerüchte jedoch nicht glauben. Sie wollte sich selbst ein Bild von dem Spiegelmeister machen und war bereit, alles zu riskieren.

Die Kutsche hielt wenige Straßen von besagtem Haus entfernt an. Die Dunkelheit verbarg ihre Anwesenheit im Schatten der Nacht. Der Fahrer weigerte sich zunächst, den Wunschort der Königin anzusteuern. Er wurde jedoch so reichlich entlohnt, dass er versprach, nach der Königin zu sehen, sollte sie in einer halben Stunde nicht zurück sein. Gleichzeitig betonte er, dass er sich offiziell nach der Rückkehr im Schloss an nichts mehr erinnern würde.

Sie hatte sich im Vorfeld einen ausgeklügelten Plan überlegt und sich Kleidung von den Bediensteten verschafft, in die sie nun heimlich schlüpfte. Die Kapuze des Umhangs verbarg ihr Gesicht – sie war nicht wiederzuerkennen und konnte sich auf der Straße frei bewegen.

Vor der Eingangstür des Spiegelmeisters stockte sie kurz, bevor sie klopfte, und rügte sich für ihre Dummheit, aber da war es schon zu spät. Die Tür öffnete sich wie von Geisterhand und blieb offen, bis sie eintrat.

»Welch überraschender Besuch«, trällerte eine männliche, rauchige Stimme aus dem hintersten Raum.

Der Eingang war staubig und von Kerzenlicht erhellt. Er zog sie neugierig hinein, und die Tür schloss sich ohne ihr Zutun.

»Guten Tag, der Herr«, rang sie nach passenden Worten und schlich weiter ins Innere des Hauses, bis er plötzlich vor ihr stand.

»Die Königin höchstpersönlich. Was verschafft mir die Ehre?«, fragte der alte Meister und verfiel in eine tiefe Verbeugung.

»Woher wissen Sie ...?«, wollte sie gerade fragen, doch der Mann ging einfach an ihr vorbei.

»Was kann ich für Sie tun, Eure Majestät?«, fragte er höflich und schob ihr einen Stuhl entgegen, bevor er sich selbst in seinen Sessel setzte.

Sie war nervös und spielte mit dem Stoff der Schürze, die sie trug. Im ganzen Raum glitzerten Lichter, die vom Kerzenschein stammten und sich in den zahlreichen Spiegeln vervielfältigten. Sie fühlte sich beobachtet, fast schon unwohl.

»Je eher Sie mir verraten, was ich für Sie tun kann, desto schneller kommen Sie wieder in Ihren glanzvollen Palast«, erinnerte der Spiegelmeister sie an ihr freiwilliges Hiersein.

»Ich werde Sie reichlich entlohnen. Nennen Sie mir Ihren Preis«, wies sie den Herren unverhohlen an, zu benennen, was ihm die Geheimhaltung wert war.

»Kein Geld«, sagte er und ließ die Königin stutzen.

»Was wollen Sie dann?«

»Kommen Sie mich regelmäßig besuchen«, entgegnete er.

Seine Bitte war untypisch und machte sie skeptisch.

»Warum sollte ich das tun? Womöglich sind Sie ein Hexer.«

Genau diese Erkenntnis war der Preis.

»Sie wollen den Gerüchten ein Ende bereiten und ich soll Ihnen dabei helfen?«, wollte sie sich vergewissern.

»Sie werden mir nicht helfen, Sie werden es im Keim ersticken«, erklärte er.

»Nun denn.«

Die Königin zögerte nicht lange und reichte dem Meister ihre Hand – eine tiefere und bedeutsamere Geste würde er von ihr nie wieder bekommen.

Der betagte, hagere Mann stand auf, holte aus einem Kommodenfach einen handgroßen Gegenstand, säuberte ihn mit einem vergilbten Tuch und reichte ihn ihr vorsichtig. Er griff neben den Sessel zu einem Nachttisch und fischte eine kleine Nähnadel heraus.

Die Königin saß dem Mann schweigend gegenüber und begutachtete skeptisch den Glasbecher.

»Wählen Sie: einen Wunsch oder Ihre Freiheit?«, fragte er und fügte hinzu: »Für beides brauche ich einen Tropfen Blut.«

Sie starrte auf den dunkelroten Kristallbecher in ihrer Hand und drehte ihn gedankenverloren hin und her.

Was soll ich wählen? Soll sich hinter dem Becher die Freiheit verbergen? Die Freiheit, dem goldenen, einsamen Leben zu entfliehen? Oder ist genau das mein Wunsch?

Sie war verunsichert und brauchte einen Moment, um sich daran zu erinnern, weshalb sie hier war.

»Ich bin wegen eines Wunsches hier. Wegen eines ganz bestimmten.«

»Den kann ich Ihnen jedoch nicht erfüllen.«

»Aber dieser Gegenstand ...?«, fragte sie verwirrt.

»Er kann Ihnen bei einem drängenden Problem helfen.«

Sie blickte ihn verständnislos an.

Dann stand sie auf und wandte sich zum Gehen.

»Warten Sie«, wies er sie in freundlichem Ton an und griff nach ihrer Hand. Dabei pikste er unbemerkt mit der Nadel in einen ihrer Finger. Erschrocken wich sie ihm aus und musterte die schmerzende Stelle.

Der Blutstropfen, der sich auf der Fingerkuppe bildete, tropfte auf den Glasrand und lief der Form entlang hinunter.

Der Spiegelmeister nickte zufrieden und blickte sie eindringlich an.

»Benutzen Sie ihn. Dann werden Sie es verstehen.«

Plötzlich wehte ein kalter Luftzug durch den Raum, denn die Tür öffnete sich mit einem gewaltigen Ruck.

»Und jetzt beeilen Sie sich. Ein Sturm kommt auf.«

Der Kutscher, Gottlieb Herbst, war heilfroh, sie wiederzusehen, und brachte sie zurück zum Schloss.

Trotz des Regens schlüpfte die Königin unbemerkt durch den Hintereingang hinein. Sie legte die entwendeten Kleider an ihren ursprünglichen Platz zurück und eilte in ihr Schlafgemach. Der König, der sich im Beratungsraum aufhielt, bekam von ihrem nächtlichen Streifzug nichts mit. Magdalena versteckte den Glasbecher in einer Kommode und ging zu Bett.

Gedankenverloren warf sie einen letzten Blick auf die Einstichstelle an ihrem Finger und schlief augenblicklich ein.

Am Morgen darauf musste sie allein frühstücken und wartete im Speisesaal hungrig auf die Dienerschaft, die ihr das Essen brachte.

Sie grübelte über die gestrige Begegnung nach und ließ ihren Blick durch das Zimmer schweifen. Diese Personen waren ihr nach all den Jahren fremd, obwohl sie bereits vor ihrem Einzug im Palast arbeiteten. Irgendetwas sorgte für eine deutlich spürbare Distanz.

Während Magdalena von Levenheim gelangweilt den ihr geschenkten Becher betrachtete, drehte sie ihn vorsichtig hin und her und versuchte, einen Hinweis auf dessen Bedeutung zu entdecken. Als sie ihn einen Augenblick gegen das Licht hielt, durchschien ein Sonnenstrahl das Glas und offenbarte ein Bild, das sie erstarren ließ.

Der Becher wurde durch den Lichtstrahl zum Spiegel und zeigte ihr, was in diesem Moment hinter ihr vonstattenging.

Sie sah, wie eine der Bediensteten eine Flüssigkeit mit einer Pipette in ihren Wasserkrug träufelte. Erschrocken sprang sie auf.

»Wachen, Wachen«, schrie sie und wich entsetzt einen Schritt zurück. Die Dame steckte hastig das Fläschchen in ihre Schürzentasche. Sie rechnete nicht mit der plötzlichen Störung und zitterte.

Die Männer der Garde stürmten in den Speisesaal, erblickten den ausgestreckten Arm der Königin, der auf die Bedienstete gerichtet war, und hielten die Verdächtige in Windeseile fest.

»Sie wollte mich vergiften. Durchsucht ihre Taschen«, befahl Magdalena den Soldaten.

»Nein, das ist ein Missverständnis«, rief die Frau panisch und versuchte, sich aus dem Griff der kräftigen Männer zu befreien.

Durch die ruckartigen Bewegungen erhoffte sie sich, das Versteck des Giftfläschchens zu bewahren; dies gelang ihr jedoch nicht. In der Zwischenzeit liefen andere Uniformierte zum König und unterrichteten ihn über einen Notfall. Dieser eilte, ohne zu zögern, zu seiner geliebten Ehefrau. Die Soldaten erklärten ihren Einsatz und was sie vorfanden. Der ganze Raum pulsierte vor Anspannung.

König Waldur war außer sich. Er ließ die Frau sofort ins Gefängnis sperren, schickte nach einem Arzt, um die Königin untersuchen und das Gift analysieren zu lassen. Es wurde der ganze Bereich der Bediensteten auf den Kopf gestellt und alle Arbeiter, die in engerem Kontakt mit der Attentäterin standen, wurden unverzüglich entlassen.

Nach der ganzen Hektik des Tages hatte sie fast vergessen, den Glasbecher zu verstecken. Seit jenem Moment hütete sie ihn wie einen Schatz, denn jetzt hatte sie seine wahre Bedeutung erkannt.

Es dauerte nur wenige Monate, da wurde Magdalena schwanger und erwartete ein gesundes Kind.

Wie der Arzt erklärte, sorgte das mehrfach heimlich verabreichte Gift dafür, dass ihre Fruchtbarkeit beeinträchtigt war. Mit dem Beenden der Einnahme war ihr Körper schließlich in der Lage, es selbst auszuschleichen und zu genesen. Die Freude aller war groß.

Die Königin war sich nicht sicher, ob Magie im Spiel war, allerdings erfüllte der Becher ihr ihren innigsten Wunsch.

Nun hatte sie ihren Teil des Versprechens einzuhalten.

Während der Schwangerschaft wurde ihr strenge Bettruhe verordnet oder maximal leichte Bewegung im Schlafgemach gestattet. Sie wurde rund um die Uhr bewacht, um einem erneuten Anschlag vorzubeugen. Sie durfte nichts heben, auf nichts hinaufsteigen und nicht lange laufen. Sie sollte sich nicht aufregen, nicht traurig werden und keine Einladungen für Veranstaltungen annehmen.

So hatte sie jedoch keine Möglichkeit, zu dem Spiegelmeister zu gelangen und ihren Teil der Abmachung zu erfüllen. Sie war im Schloss gefangen und grübelte über die zweite Wahl nach, die er ihr präsentiert hatte: Freiheit. Doch es half nichts.

Zunächst versuchte sie, die Gerüchte um den Spiegelmeister durch geschickte Mundpropaganda zu zerstreuen.

Sie erzählte, dass sie selbst einen von ihm angefertigten Spiegel besaß und dafür weder ihr Blut noch ihre Anwesenheit vonnöten war. Dass es ein vorzüglich gefertigtes Handstück war und sie das Gerede deshalb nicht länger duldete.

Für eine Weile wurde es um den Meister still, und die Königin vergaß schnell die gemeinsame Geschichte.

Es schien, als sei der Sturm vorübergezogen und hatte sie beide verschont.

Magdalena gebar in den folgenden Jahren, neben ihrer ersten Tochter Adelheid, fünf weitere gesunde Kinder. Die Zwillinge Carissima und Begonia, Dorethin, Elsbeth und die jüngste, Fronica. Sie war glücklich und erfüllt.

Der damalige Anschlag hatte jedoch Spuren hinterlassen.

Magdalena veränderte sich und zog sich zurück. Sie misstraute Fremden, vertraute ihre Töchter selten anderen an und behielt stets eine kleine Gruppe wohlbekannter Kammerzofen um sich, die jeden ihrer Schritte begleiteten.

Dieses Leben machte die Kinder allerdings zunehmend unglücklich. Sie wollten nicht nur die Geschichten der Eltern hören. Sie wurden älter und reifer und hofften, Freunde zu finden. Sie wollten eigene Abenteuer erleben und frei sein.

Adelheid begann bereits mit elf Jahren zu rebellieren und versuchte wegzulaufen. Sie wollte etwas anderes sehen als die Wälder und den Abhang des Berges. Sie kannte das Schloss in- und auswendig und langweilte sich.

Sie war eine Musterschülerin und studierte Bücher aus der Bibliothek, die ihrem Alter weit voraus waren. Sie war es leid, eingesperrt zu sein, und machte den Kammerzofen und der Mutter das Leben schwer. Sie stachelte die Geschwister zu Unruhen an und wurde aufmüpfig. Auf jede Aufforderung folgte ein Wutanfall, jede Bitte wurde mit Stillschweigen gestraft und jeder Zwang mit lautem Gebrüll beendet. Sie vergaß ihre gute Erziehung und wollte keine Prinzessin mehr sein.

Die Lage spitzte sich kurz vor Adelheids vierzehnten Geburtstag zu, als sie ihre Sachen packte und fliehen wollte. Der König hatte keine Zeit, sich mit derartig kindischen Problemen auseinanderzusetzen, und forderte seine Frau auf, etwas zu tun. Er wurde boshaft und begann, sie zu bestrafen. Das hatte zur Folge, dass alle noch mehr Freiraum einbüßen mussten. Als Älteste war sie stets an allem schuld und verfehlte ihre Vorbildfunktion.

Das Verhalten der Mädchen belastete vermehrt die eheliche Beziehung des Königspaares und Magdalena begann ihre Mutterrolle anzuzweifeln.

Sie wusste, was es bedeutete, zur Prinzessin ausgebildet zu werden und welche Vor- und Nachteile das mit sich brachte. Ihre Kinder hatten alles, was sie brauchten, und dennoch waren sie hin und wieder undankbar dem gegenüber.

Als die Königin von Adelheids Versuch wegzulaufen erfuhr, platzte ihr der mütterliche Kragen. In ihrer Wut schnappte sich Magdalena die Dreizehnjährige und sperrte sie ins Ankleidezimmer.

»Du kommst erst wieder heraus, wenn du dein Verhalten gründlich überdacht hast«, maßregelte die Königin ihre Tochter und verschloss die Tür mit dem Schlüssel.

»Dann werde ich lieber für immer hier drinbleiben«, kreischte die aufgebrachte Jugendliche und schmiss wutentbrannt einen Schuh gegen die Zimmertür.

»Derartiges Verhalten ziemt sich für eine Prinzessin nicht. Selbst der Hofmeister hat mehr Manieren als du«, sprach die Königin mit bebender Stimme.

»Dann soll er dir doch auf deinen Thron folgen«, gab Adelheid als Antwort und weinte.

Die Königin war verzweifelt. Sie verließ überstürzt das Schloss und orderte eine Kutsche an. Ohne nachzudenken, ließ sie sich zum Spiegelmeister fahren.

Als sie vor seiner Tür stand, fühlte sie sich gleichzeitig skeptisch und entschlossen.

Sie hatte keine Zeit gehabt, ihren Mann darüber in Kenntnis zu setzen oder gar die Kleider zu wechseln. Und aus irgendeinem unerklärlichen Grund war es ihr an dem Tag egal.

Es waren fast vierzehn Jahre vergangen, seit sie das letzte Mal, ebenso verzweifelt wie heute, hier gewesen war. Es waren keine Menschen außer Haus, niemand hatte sie erkannt. Obwohl sie in einer prunkvollen Kutsche unterwegs war, schien sie unsichtbar zu sein.

Sie wollte gerade ihre Hand heben, um an die Tür zu klopfen, da öffnete sie sich wie von Geisterhand. Die Monarchin trat ein und sah den Meister schweigsam auf seinem Sessel sitzen.

»Sind Sie hier, um Ihre Schuld zu begleichen?«, fragte er entspannt.

»Geehrter Herr, ich dachte, das habe ich bereits.«

»Wie kommen Sie darauf?«

»Wie ich sehe, sind Sie noch hier.« Sie ging versöhnlich einen Schritt auf ihn zu.

»Ich habe seither dennoch nichts verkauft.« Seine Worte ließen Magdalena von Levenheim aufhorchen.

»Wie ist das möglich?«, fragte sie misstrauisch und blickte sich im Raum um. Es schien sich hier tatsächlich nichts verändert zu haben. Die ganzen Bilder, Gegenstände und Spiegel standen alle genauso da wie damals.

»Die Menschen haben Ihnen zwar geglaubt, wollten danach aber trotzdem nichts mit mir zu tun haben«, erklärte er geduldig und sah sie eindringlich an.

Die Königin schluckte. Eine Entschuldigung lag ihr auf der Zunge, doch nach der höfischen Etikette durfte sie keine Schwäche zeigen – Adelige machten keine Fehler. Stattdessen fragte sie: »Was kann ich für Sie tun?«

Der Spiegelmeister hob erstaunt die Augenbrauen und zeigte auf den Inhalt seines Geschäftes: »Vielleicht kaufen Sie heute wirklich einen Spiegel? Einen beruhigend wirkenden für Ihre älteste Tochter?«

Die Königin rührte sich nicht vom Fleck und wusste nicht, worüber sie zuerst nachdenken sollte.

Sie bekam eine Rüge von diesem Mann; etwas, das sich keiner unter Zeugen erlauben sollte, und dennoch hatte er recht. Sie hatte damals eine Lüge verbreitet. Und die zweite Frage traf sie genauso. Woher wusste er von ihrer rebellierenden Tochter? »Darf ich mich setzen?«, fragte sie kühl und verschränkte ihre Arme hinter dem Rücken. Der alte Herr hatte seine Manieren nicht vergessen, stand auf und brachte der Adeligen einen Stuhl, auf dem sie dankbar Platz nahm. Sie hatte keinen Grund, ihm zu misstrauen, trotz ihrer privaten Offenbarung.

»Die Prinzessin hat bald Geburtstag«, begann die Königin zu berichten und fuhr mit einem tiefen Seufzer fort. »Ich würde ihr gern einen schönen Handspiegel schenken. Würde sie sich darüber freuen?«

Der Meister stellte allerdings nur eine Gegenfrage.

»Wählen Sie Wunsch oder Freiheit?«

Sie überlegte nicht lange. »Ich wähle Freiheit.«

IV

Die Güte des Spiegelmeisters

Der Spiegelmeister war ein geheimnisvoller, betagter Mann, der weder Familie noch Freunde hatte. Sein Lebensinhalt bestand darin, Tag ein, Tag aus mit seinen rauen Händen zu arbeiten und Neues zu erschaffen. Kein Stillstand, kein Schwofen – er hatte sich ganz dem Handwerk verschrieben.

Er stand auf und holte den besagten Gegenstand aus dem Nebenzimmer.

Dann reichte er ihr einen wunderschönen Handspiegel. Dieser war aus edlen Materialien gefertigt. Den elegant geschwungenen Griff verschönerte ein Blumenornament in matten Farben. Daneben wanden sich goldverzierte Ranken bis ganz nach oben und fasste das Spiegelglas spielerisch ein.

Filigrane Zeichnungen von Blumen und Blättern, sowie eingebettete Edelsteine schmückten den Rand, und in der Mitte oberhalb und unterhalb des ovalen Glases thronte eine kunstvoll gestaltete Blüte in voller Pracht. Auf der Rückseite zeigte eine meisterhafte Miniaturmalerei die Gänge eines monumentalen Gebäudes, das eindeutig eine Bibliothek darstellte. Es war ein wahrlich bezauberndes Geschenk und von höchster Qualität. Dennoch stellte es die Königin nicht zufrieden.

»Werde ich es verstehen?«, fragte sie dann.

»Sie werden es akzeptieren müssen.«

Der Spiegelmeister zog abermals eine Nähnadel aus einem in der Nähe liegenden Garn und hielt ihr seine Hand hin.

»Ich habe jedoch eine Bedingung«, unterbrach sie ängstlich das erneute Bündnis der beiden und duldet keine Widerrede, »es muss mit den Pflichten der Prinzessin zu vereinbaren sein.«

»Nun denn.«

Sie hielt ihm ihren Finger der rechten Hand hin, sodass der Meister mit geübten Bewegungen mit der Nadel in ihre Fingerkuppe piksen konnte. Er drückte den herausquellenden Tropfen Blut konzentriert auf die Mitte des Spiegels und sprach leise ein kurzes, ihr unbekanntes Gedicht.

Sie konnte sich keines seiner Worte merken und starrte verwundert auf den Gegenstand. Anschließend gab er ihr ein paar Anweisungen für die Nutzung des Handspiegels, reichte der Monarchin ein sauberes Taschentuch für die feine Wunde und ein Leinentuch, in das sie den Spiegel schützend einwickeln konnte. Die beiden trennten sich ohne ein weiteres Wort.

Magdalena eilte zurück zum Wagen und blickte sich nicht um. Sie hatte so viele Fragen und saß dennoch schweigend in der Kutsche, um den alten, betagten Mann zu schützen.

Herr Herbst, der Kutscher, hatte seine Fahrt pflichtbewusst und ohne Zwischenfälle durchgeführt, obwohl ihm der Schutz der Königin ohne bewaffnete Begleitung anvertraut worden war. Er erfüllte seinen Auftrag. Das Hinterfragen der Notwendigkeit stand ihm nicht zu; trotz allem erfreute er sich an dem königlichen Anblick außerhalb des Palastes. Das Bündnis des Schweigens zwischen ihm und der Königin hatte weiterhin Bestand. Am Schlosseingang veränderte sich jedoch die Situation, denn dort wurde Magdalena von Levenheim von ihrem besorgten Gatten und den Soldaten in Empfang genommen.

Er wartete ungeduldig darauf, dass sie ausstieg, und wirkte angespannt.

»Meine Teuerste, wo bist du gewesen?«, fragt er aufgebracht.

»Ich wollte dir keine Sorgen bereiten, mein Liebster. Ich habe nur ein Geschenk gekauft.«

Sie zollte dem König mit einem Knicks Respekt und schenkte ihm ein aufrichtiges Lächeln. Mit ihren bewusst gewählten Worten blieb sie bei der Wahrheit. Sie hatte ihren Ehemann nie angelogen, und das sollte so bleiben.

»Mein Herz«, begann der König und räusperte sich. Er trat einen Schritt zur Seite und gab den Blick auf die hinter ihm stehende Tochter frei. Erst jetzt fiel der Königin Adelheid auf, die beschämt zu Boden blickte.

»Hier möchte jemand mit dir reden«, kündigte der König an und gab seiner Ehefrau zum Abschied einen Kuss auf die Wange. Eine Geste, die in strengen adeligen Haushalten nicht vor der Dienerschaft gezeigt wurde, dennoch war es ihm ein Anliegen, seinen Gefühlen ihr gegenüber Ausdruck zu verleihen. Die von Levenheims liebten sich und ließen keinen Moment ungenutzt, das der Welt zu beweisen.

»Mutter«, begann die Dreizehnjährige und wischte sich eine Träne aus dem Gesicht.

»Schon gut. Lass uns nach oben gehen.«

Die Königin schritt erhobenen Hauptes in die oberste Etage und nahm den direkten Weg zur Bibliothek. Dort schloss sie die Tür hinter ihnen und zog die Prinzessin fest in ihren Arm. Ihre Tochter weinte bitterlich und versuchte, sich zwischen all den Tränen für ihr Benehmen zu entschuldigen. Der König hatte der Ältesten eine Standpauke gehalten, die ihr die Sprache verschlagen hatte. Magdalena konnte sich vorstellen, welche Drohungen ihm dabei über die Lippen gekommen waren.

Wenn es um die Zukunft des Reiches und der von Levenheims ging, verstand er zu Recht keinen Spaß und duldete keine Widerrede. Er hielt ihr sehr deutlich vor Augen, was sie ohne den Rückhalt der Familie erwartete.

Die Dreizehnjährige war völlig aufgelöst und traute sich nicht, ihre Mutter loszulassen.

Magdalena wollte nie, dass ihre Kinder eine schreckliche, eingeengte und langweilige Kindheit haben.

Sie erinnerte sich an freudiges, lautes Kinderlachen und gemeinsame Spiele im Garten. Aber die Mädchen wurden erwachsen und das schneller, als der Königin lieb war.

»Bitte schickt mich nicht weg. Ich will noch nicht heiraten«, flüsterte Adelheid und fing erneut fürchterlich an zu weinen.

Viele Königshäuser schmiedeten Allianzen mit ihren Kindern weit vor dem heiratsfähigen Alter. Sie verlobten die Prinzen und Prinzessinnen bereits zu ihrem vierzehnten Geburtstag und ließen den oder die Versprochene bei sich einziehen, bis die Vermählung vollzogen war.

Das würden die Königin und der König ihren Töchtern niemals antun. Dennoch schien die Drohung bei der Ältesten Wirkung zu zeigen.

»Nun mäßige dich. Ich bin deinetwegen weg gewesen.«

Das Mädchen schaute in das Gesicht ihrer Mutter, die ein kleines, versöhnliches Lächeln aufgelegt hatte.

Sie nahmen an einem nahegelegenen Tisch Platz und reichten sich die Hände.

»Dein Geburtstag ist erst in zwei Wochen, jedoch möchte ich dir heute bereits etwas schenken.«

Magdalena ergriff das Leinentuch samt Inhalt und übergab es vorsichtig ihrer aufgeregten Tochter. Doch bevor sie hineinspähen konnte, hielt ihre Mutter ihre Hand kurz fest.

»Du wirst es bald verstehen. Er gehört dir allein und ist nur für dich bestimmt.«

Die Tochter entblätterte die Lagen des Leinentuchs und starrte ehrfürchtig auf den kostbaren Gegenstand.

»Mutter, er ist bezaubernd.«

Sie fuhr gedankenverloren mit ihren Fingern über die filigranen Verzierungen und blickte neugierig in den Spiegel. Dann warf sie sich ihrer Mutter um den Hals.

»Danke, Mutter. Ich danke dir von Herzen.«

Magdalena nahm Adelheids Gesicht in ihre Hände, schaute ihr tief in die Augen und lächelte.

»Möge er dir stets die Wahrheit zeigen.«

Der Tag hatte alle aufgewühlt, und Adelheid versprach, nie wieder so einen Streit anzuzetteln und Ärger zu bereiten.

Ihre Geschwister warteten ängstlich im gemeinsamen Mädchenzimmer auf sie und befürchteten, sie nie wiederzusehen.

Ihr Vater hatte so laut geschrien, dass das ganze Schloss davon erfahren und alle das Weite gesucht hatten. Sie wollten dem wütenden König nicht begegnen und konnten der Ältesten entsprechend nicht bei seinem Wutanfall zur Seite stehen. Sie musste diese Rüge allein durchstehen, und niemand wollte mit hineingezogen werden.

Dennoch waren alle erleichtert, als Adelheid unversehrt in ihr Zimmer zurückkam.

Die Mädchen schienen zunächst beschäftigt und würdigten die Älteste keines Blickes, da niemand von ihnen wusste, wie der Streit ausgegangen war. Jede fürchtete, erneut einen Tobsuchtsanfall auszulösen, bei dem vielleicht die Kleiderkammer verwüstet würde oder Adelheid sich lauthals weinend in ihr Bett warf. Doch nichts dergleichen geschah.

Die Schwestern ließen ihr Zeit, bis sie sich selbst bei ihnen für ihr Verhalten entschuldigte, und sie sich alle versöhnlich umarmten.

Die Königin nahm sich einen Moment in der Bibliothek und überdachte die Situation mit dem Spiegelmeister. Er hatte sich all die Jahre nicht blicken lassen, um keine Audienz gebeten und sich still seinem Schicksal ergeben. So viele Jahre.

Er hatte es gewiss nicht leicht gehabt, und doch half er ihr erneut. Sie war sich nicht sicher, ob der Spiegel Abhilfe schaffen konnte oder eine Falle darstellte. Dennoch schien er ihr gegenüber wohlwollend zu sein.

Sie kam zu dem Entschluss, ein wenig Zeit verstreichen zu lassen. Damals hatte sie dem sonderbaren betagten Mann vertraut, ohne Fragen zu stellen, und tat es auch jetzt.

Am späten Abend ging sie in das gemeinsame Schlafgemach und führte mit ihrem Gatten ihr tägliches kurzes Gespräch, in dem sie, um keinen Unmut zu schüren, nur den Kauf des Geschenkes und den Erhalt eines Briefes erwähnte.

»Meine Liebste, ich war besorgt und überrascht über deinen plötzlichen Aufbruch«, erklärte der König liebevoll.

»Ich war aufgebracht und brauchte frische Luft. Da kam mir die Idee für eine Versöhnung.« Ihr entging dabei sein skeptischer Blick nicht. Magdalena ergriff fürsorglich Waldurs Hand und strich mit der anderen über seine Wange.

»Derartig aufbrausendes Verhalten ziemt sich nicht für eine Königin. Ich habe mein Fehlverhalten überdacht und entschuldige mich dafür.«

»Teuerste, du solltest immer sagen können, was du empfindest. Aber lasse deine Wut lieber im Palast.«

Ihr Ehemann und König hatte unausweichlich recht: Persönliche Belange durften nicht an die Öffentlichkeit geraten.

Gefühle vor allen Augen zu zeigen, vermenschlichte Adelige; ließ sie dem Volk gleichgestellt erscheinen. Das Gleichgewicht dieser Waage musste erhalten bleiben – als Schutz, als Prestige und als Zeichen der Wertschätzung. Auch wenn viele diese strikte Trennung als ungerecht betrachteten.

»Was wolltest du von dem verrufenen Handwerker?«, fragte er streng. »Ich war geneigt, Wachen bei ihm aufstellen zu lassen. Herr Herbst versicherte mir jedoch, dass euch niemand gesehen hat.«

»Ich habe beim Spiegelmeister ein Geburtstagsgeschenk für Adelheid erworben.«

Der Monarch schüttelte energisch den Kopf.

»Dafür hast du Bedienstete und außerdem haben wir bereits ein maßgeschneidertes Kleid in Frankreich anfertigen lassen.«

»Ein persönliches, das der Versöhnung dienen sollte«, fuhr sie fort und hoffte auf sein Verständnis.

Er wog ihren Einwand kurz ab und nickte. »So denn. Ich hoffe, dass es einen erneuten Tag wie heute zu verhindern vermag.«

Der König gab seiner Ehefrau einen Kuss auf die Stirn, und beide gingen zu Bett.

Die Königin wusste, dass ihr spontaner Ausbruch Konsequenzen haben würde. Von nun an unterlag sie ebenso wie die Älteste strengeren Kontrollen. Aber die Hoffnung auf ein erfülltes Leben, samt glücklichen, gebildeten und eigenständigen Töchtern überwog. Dafür lohnte es sich, Regeln zu brechen.