Das Rätsel des vierköpfigen Drachens - Jürgen Scheibler - E-Book

Das Rätsel des vierköpfigen Drachens E-Book

Jürgen Scheibler

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Beschreibung

Max hat einen Traum. Im Spiegelsaal eines Schlosses sieht er eine Schatztruhe, die von einem vierköpfigen Drachen bewacht wird. Er überlistet den Drachen und findet eine Schriftrolle mit einer Prophezeiung. Darin steht, dass er vier Aufgaben finden wird, die am Ende ein Lösungswort offenbaren werden. Gemeinsam mit seiner Freundin Paula erlebt er im Wald und am Badesee so manche Überraschung. Aber als in der Geisterbahn eine Weiche falsch gestellt ist, finden sich die beiden in der Zukunft wieder. Ein Flugtaxi bringt sie zu Elektra und von ihr erfahren sie, dass sie in der Stadt FutureCity gelandet sind. In spannenden Erlebnissen und Begegnungen erfahren Max und Paula, wie sich das Leben der Kinder verändern wird. Sie erkennen ihre eigenen Talente und lernen, dass sie es selbst sind, die ihr Leben gestalten müssen. Im Buch wird eine Geschichte erzählt, in der zwar das Leben der Kinder im Mittelpunkt steht, die aber auch Eltern zeigt, welchen Freiraum und welche Orientierung ihre Kinder für ein glückliches Leben brauchen.

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Der Autor Jürgen Scheibler, Jahrgang 1959, hat Elektrotechnik an der TU Dresden studiert und war in seiner Kindheit von den Abenteuern von Alfons Zitterbacke begeistert. Nach einem Buch über die Familiengeschichte seiner Großmutter Liesbeth Jakob „Liebe, Arbeit, Gottvertrauen“ und einem kleinen Episodenbuch für Studenten „Der Traum vom Studieren“ ist „Das Rätsel des vierköpfigen Drachens“ sein erstes Buch für Kinder.

Nur wer erwachsen wird und ein Kind bleibt, ist ein Mensch.

Erich Kästner (1899-1974)

Inhaltsverzeichnis

Am Anfang war: Der Traum

1. Episode: Der Waldsee

2. Episode: Das Waldhaus

3. Episode: Reise in die Zukunft I

4. Episode: Reise in die Zukunft II

Das Ende: Die Rückkehr

Am Anfang war: Der Traum

Paula saß am vereinbarten Platz im Park und wartete. Aber Max kam nicht. Die Sonne wanderte langsam durch die Blätter des alten Kastanienbaumes, so dass Paula abwechselnd in der Sonne und im Schatten saß.

»Oh Mann, kann er nicht einmal pünktlich sein«, dachte Paula.

Sie hatten sich so viel vorgenommen an diesem Nachmittag. Immer wieder blickte sie auf die Zeitanzeige ihres neuen Handys. Sie war mächtig stolz und glücklich. Sie hatte es sich so sehr gewünscht und vorige Woche an ihrem dreizehnten Geburtstag ist dieser Wunsch in Erfüllung gegangen. Aber das grelle Rosa, was ihre beste Freundin Anne so toll fand, wollte Paula nicht. Sie durfte sich die Farbe selbst aussuchen und hat sich für grün entschieden. Irgendwie passte es auch besser zu ihr. Sie liebte das Grün der Wiesen, wenn im Frühjahr der Schnee verschwunden war und die Natur wieder zum Leben erwachte.

Langsam verlor Paula die Geduld. Ein weiterer Blick auf die Uhr ihres Handys verriet ihr, dass Max schon vor zwanzig Minuten hier sein wollte. Sie spürte, wie die schlechte Laune vom Bauch in den Kopf stieg. Wenn sie im Kopf angekommen war, würde sie aufstehen und nach Hause fahren. So viel stand fest. Aber gerade in dem Moment, als Paula den Entschluss zum Gehen fasste, hörte sie das laute Geräusch einer Fahrradklingel, und Augenblicke später stand Max mit einer langen Bremsspur im Kies des Fahrradweges vor ihr.

»Hallo Paula, wartest du schon lange?«

Paula schnappte nach Luft, schluckte aber die Antwort herunter, die sie sich überlegt hatte. So war er eben, ihr Freund Max. Ein lustiger Typ, der viele Dinge um sich herum nicht so wichtig nahm. Gut, in der Schule hatte das auch Nachteile. Aber die Vorteile überwogen. Das musste selbst Paula zugeben. Mit Max konnte man buchstäblich Pferde stehlen, wie ihre Oma beim letzten Besuch so schön sagte.

Sie gingen beide in dieselbe Schule in der Stadt. In der Grundschule lernten sie noch in verschiedenen Klassen. Das änderte sich mit dem Wechsel in die neue Schule. In der gemeinsamen Klasse wurden sie Freunde, wenngleich sie nicht nebeneinander auf einer Schulbank saßen.

Paula und Max trafen sich oft nach der Schule. Die meiste Zeit verbrachten sie draußen in der Natur, im Park oder im nahen Wald. Wenn das Wetter mitspielte, holten sie ihre Fahrräder aus dem Keller und fuhren bis zum Badesee, der hinter dem großen Wald lag. Manchmal waren auch Paulas Freundin Anne und Robert dabei. Robert wohnte im selben Haus wie Max, war aber ein Jahr älter und ging schon in die achte Klasse.

Es konnte losgehen. Der Fahrradweg durch den Stadtpark war bei vielen Leuten beliebt und an diesem sonnigen Tag besonders voll. Paula fuhr hinter Max her und hatte Mühe sein Tempo zu halten.

»Erst zu spät kommen und dann den coolen Max spielen«, dachte Paula und konnte sich bei dem Wortspiel ein Lächeln nicht verkneifen.

Am Ende des Parks mussten sie die breite Hauptstraße überqueren, die den Verkehr aus der Stadt hinausleitete.

»Wird denn die Ampel nie grün«, schimpfte Max ungeduldig.

»Du musst eben mal auf den gelben Knopf drücken«, amüsierte sich Paula.

Signal kommt! Nach einer weiteren endlosen Minute überquerten sie die Straße und sahen hinter den Kleingärten die Spitze eines großen Zeltes.

Paula hatte auf einem der vielen Plakate an den Straßenrändern gelesen, dass der Zirkus Walentino an diesem Wochenende in der Stadt gastierte. Es war ein kleiner Familienzirkus, der nur wenige Tage blieb und dann in den nächsten Ort weiterzog.

Um das runde Zelt mit der Manege standen die bunten Zirkuswagen.

»Siehst du dort hinten den Wagen mit der großen Sonnenblume?«, fragte Paula. »Dort wohnt bestimmt der Clown.«

Max konnte sie nicht mehr hören, weil er schon weitergefahren war. Er stand bereits vor dem Kassenwagen. Rechts neben dem großen Fenster hing der Plan mit den täglichen Vorstellungen. Staunend betrachtete er das Plakat links neben der Kasse, auf dem ein Tiger in der Manege zu sehen war.

»Na, junger Mann, wie kann ich dir helfen?«, ertönte plötzlich eine Stimme hinter dem Fenster. Max hatte gar nicht bemerkt, dass jemand im Wagen war.

Inzwischen war auch Paula dazugekommen und der Mann erklärte den beiden, dass die nächste Vorstellung erst am späten Nachmittag beginnen wird. »Ihr könnt aber gern in die Tierschau gehen«, fügte er hinzu.

»Ja klar, warum nicht«, antworteten beide im Duett.

Zum Glück hatte Paula ein paar Münzen von ihrem Taschengeld einstecken. Es reichte für den Eintritt und wenig später spazierten beide an den Wohnwagen vorbei zu den Tieren im hinteren Teil des Platzes.

Die Fahrräder hatten sie vor dem Eingang in den Fahrradständer gestellt und angeschlossen.

Sie erreichten eine eingezäunte Fläche mit verschiedenen Tieren. In friedlicher Eintracht standen oder saßen ein Pony, zwei Kühe, zwei Zebras und ein Lama in dem Gehege. Nur die zwei Ziegen liefen unruhig umher und meckerten sich gegenseitig voll.

»Sieht so aus als wäre hier gerade Mittagspause«, stellte Paula fest.

»Und was zum Fressen gab es auch schon«, fügte Max hinzu und zeigte auf die Reste von Heu und Gemüse.

Das Lama kaute ununterbrochen und bewegte dabei seinen Unterkiefer hin und her.

Sie gingen weiter und gelangten zu den Pferdeboxen. Max ging den Gang zwischen den Boxen vor und zurück und teilte Paula mit, dass er sechs Pferde gezählt hatte. »Und ein Schimmel ist auch dabei.«

Sie sahen einer jungen Pflegerin zu, die einer Stute das Fell striegelte. Die Mähne war bereits gebürstet und sorgfältig auf beide Seiten verteilt worden. Dem Pferd schien es zu gefallen. Immer wieder drehte es den Kopf zu der Pflegerin und schaute sie mit dankbaren Augen an.

Fasziniert von der Schönheit und ein wenig beeindruckt von der Größe der Stute, fragte Paula die Frau, ob das Pferd einen Namen hat.

»Alle Pferde bei uns haben Namen«, antwortete sie. »Das ist Bella, unser bestes Pferd im Stall«, fügte sie schmunzelnd hinzu. »Wenn ihr Lust habt, kommt doch heute Nachmittag zur Vorstellung. Die Pferdedressur ist bei den Besuchern sehr beliebt. Es wird euch gefallen.«

Paula und Max verließen die Pferdeboxen auf der anderen Seite und staunten nicht schlecht, als sie direkt vor einer Raubkatze standen, die ausgestreckt im Käfig lag und den Kopf in die Sonne hielt.

»Das ist er also. Der Tiger vom Plakat am Kassenwagen«, bemerkte Max nicht ohne Ehrfurcht.

Er stellte sich vor, wie der Dompteur mit dem Tiger allein in der Manege stand und keine Angst haben durfte.

Der Tiger wohnte in dem Wagen, der ihn auch von einem Ort zum anderen transportierte. Um den Wagen waren Schutzgitter aufgestellt, die später in der Manege die Zuschauer von der Raubkatze trennten.

Paula zeigte auf die Podeste und die anderen Teile und sagte zu Max: »Die Pause zwischen den Vorstellungen ist wohl nicht immer so ruhig wie jetzt. Wie es aussieht, wird hier auch geprobt.«

Max antwortete nicht. Als sich Paula umdrehte, sah sie, dass er schon langsam weitergegangen war. Den Kopf nach unten geneigt, versuchte er gedankenverloren ein paar Kieselsteine vor sich her zu schieben.

»Was ist denn los mit dir?«, fragte Paula und schaute ihn ungläubig von hinten an.

Max drehte sich langsam zu ihr um.

»Ich muss immerzu an meinen Traum denken. Du bist die Einzige, der ich davon erzählen kann. Weil ich glaube, dass du mich nicht auslachen wirst, oder?«

Max schaute Paula unsicher an.

Sie konnte die Anspannung in seinem Gesicht ablesen.

Paula war so verdutzt, dass sie nicht gleich antwortete.

»Du kannst doch ein Geheimnis bewahren, oder?«

»Klar kann ich das, nun erzähl schon, ich bin ganz neugierig.«

»Nicht hier, das ist viel zu gefährlich. Komm, wir gehen hinter den Wagen dort.«

Max zeigte auf einen der Zirkuswagen, die am Rand des Platzes standen. Offenbar wohnten einige der Artisten und Dompteure darin. Die Fenster hatten hübsche Gardinen mit Blumenmustern und auf dem Dach war ein Parabolspiegel zum Empfang von Satellitenprogrammen angebracht.

Sie zwängten sich durch einen schmalen Gang zwischen Zirkuswagen und Steinmauer hindurch und landeten hinter dem Wagen direkt vor einer zwei Meter hohen Hecke. Ein idealer Ort, um von mysteriösen Träumen zu erzählen und einen Geheimplan zu schmieden.

Als die beiden endlich auf einer großen, fast ebenen Steinplatte saßen, wurde Paula immer ungeduldiger.

»Nun erzähl schon! Was war das für ein Traum?«

Jetzt erst fühlte sich Max ungestört und erzählte seiner besten Freundin von dem verrückten Traum der letzten Nacht.

»Ich weiß nicht, wie ich da hingekommen bin, aber auf einmal stand ich im Hof eines Schlosses. Es musste ein Schloss sein, denn welches Haus hatte sonst so viele Fenster und einen runden Turm mit einem spitzen Dach. Ich blickte mich ungläubig um, als das große Tor mit einem lauten Knall hinter mir zuschlug und sich gleichzeitig die Tür direkt vor mir wie von Geisterhand langsam öffnete. Es war ganz merkwürdig. Ich hatte gar keine Angst. Ich ging einfach hinein und sah eine lange, steile Treppe, die nach oben führte. Die Stufen waren aus Stein mit tiefen Dellen, als wären schon viele Leute seit vielen Jahren diesen Weg gegangen. Die Treppe war so schmal, dass gerade noch ein Mensch bequem hoch oder runter gehen konnte. Trotzdem waren auf beiden Seiten an den Wänden Geländer angebracht, die aussahen, als wären sie aus purem Gold. Sie glänzten, dass sich mein Gesicht darin spiegelte. Ohne auch nur einmal das Geländer zu berühren, ging ich die Treppe vorsichtig nach oben. Die Stufen erschienen mir endlos. Sie wollten einfach nicht aufhören. Langsam spürte ich, wie meine Kräfte nachließen. Meine Beine wurden immer schwerer.«

Paula hatte sich nicht gerührt und blickte Max mit offenem Mund unentwegt an.

»Was für ein verrückter Traum«, dachte sie. Aber sie wagte es nicht, ihn zu unterbrechen.

»Plötzlich stand ich ganz allein in einem großen Raum«, erzählte Max weiter, »keine Möbel, keine Bilder an der Wand. Ich wusste nicht einmal, wie ich hineingekommen war. Trotz der Leere oder vielleicht gerade deswegen, war es irgendwie gespenstisch. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte, da bemerkte ich, dass es in dem ganzen Raum nur eine einzige Tür gab. Sie war doppelt so hoch wie ich und aus dunklem Eichenholz mit vielen Verzierungen gefertigt. Ich ging direkt auf sie zu. Ich sah nichts, womit ich sie hätte öffnen können, aber das brauchte ich auch nicht. Mit einem leisen Klicken öffneten sich die breiten Flügel langsam in den dahinterliegenden Raum hinein. Ich setzte meinen Fuß über die Schwelle und traute meinen Augen kaum.«

Zum ersten Mal seit Max angefangen hatte zu erzählen, sah er Paula an.

»Hörst du mir überhaupt noch zu?«

»Ja klar, natürlich«, stammelte Paula sichtlich überrascht. »Was für ein spannender Traum. Aber was war denn nun hinter der Tür? Erzähl weiter.«

»Ein riesiger Raum. Ich ging langsam hinein, aber egal zu welcher Seite ich blickte, ich sah überall nur mich selbst. Die Wände waren voller Spiegel, vom Fußboden bis zur Decke, einer am anderen. Es gab kein Fenster und doch war es sehr hell im Raum. Keine Ahnung, wo das Licht herkam. Genau wie im Raum vorher gab es keine Möbel, der Raum war leer. Als ich in die rechte Ecke gegenüber der Tür sah, erkannte ich einen Gegenstand auf dem Fußboden. Ich war geblendet, aber ich war mir ziemlich sicher, dass es eine Kiste war. Sie sah fast genauso aus wie die alte Holztruhe auf unserem Boden, wo meine Eltern die Erinnerungsstücke aus ihrer Kindheit aufbewahrten. Die Kiste im Spiegelsaal war vielleicht ebenso alt, aber aus purem Gold. Eine Schatzkiste. Verstehst du Paula, eine goldene Schatzkiste wie aus dem Märchen. Das Herz schlug mir bis zum Hals. Gespannt schaute ich mich um und tatsächlich, in jeder Ecke stand eine Schatzkiste und alle sahen gleich aus.«

»Spiegelbilder«, platzte es aus Paula heraus. »Du hast doch gesagt, dass an den Wänden überall Spiegel angebracht waren.«

Paula war inzwischen genauso aufgeregt wie Max.

»Du bist gut«, erwiderte Max mit einem Lächeln.

»Es waren tatsächlich Spiegelbilder, aber das wusste ich in dem Moment noch nicht. Ich war viel zu aufgeregt, um einen sinnvollen Gedanken zu haben.

Ich wollte wissen, was in den vier Kisten, die in den vier Ecken des Raumes standen, verborgen war. Ein paar Augenblicke kämpfte ich mit der Angst vor dem Unbekannten, dann siegte die Neugier. Ich ging langsam, aber mit festen Schritten zu der Schatzkiste, die mir am nächsten war.

Plötzlich gab es ein lautes Krachen, so als ob eine Brücke mit Holzbrettern zerbricht und in den darunter fließenden Bach stürzt. Und dann …«

»Was geschah dann?«, fragte Paula zaghaft und drängte Max zum Weitererzählen. »Es gab doch nicht wirklich eine Brücke?« Ungläubig schaute sie zu Max hinüber.

»Nein, da war weder eine Brücke noch gab es Holzbretter. Vor meinen Augen entstand ein breiter Graben, der sich in Sekundenschnelle mit Wasser füllte. Der Weg zur Schatzkiste war verbaut. Verzweifelt überlegte ich, was ich tun konnte. Ich wollte unbedingt wissen, was in der Kiste war. Zum Drüberspringen war der Graben aber zu breit. Das Wasser sah so schwarz und unheimlich aus, dass ich nicht mal auf die Idee kam, einen Fuß hineinzusetzen.

Da hörte ich ganz leise eine Fanfare. Es war eine fröhliche Melodie, die immer lauter zu hören war. Ich dachte mir, wer immer das Instrument spielte, es musste ein freundlicher Mensch sein, der mir vielleicht helfen konnte.«

Paula sah, dass sich Max‘ Gesicht entspannte. Für einen Moment glaubte sie sogar ein Lächeln gesehen zu haben. Sie sagte aber nichts. Das war auch nicht nötig, weil Max bereits wieder in Gedanken versunken war und weitererzählte.

»Als das Lied zu Ende war, erschienen zwei Wachen auf der anderen Seite des Grabens. Ich sah, wie sie zu einem Baumstamm gingen, dem die Rinde fehlte. Um den Stamm war ein dickes Seil gewickelt. An beiden Enden war eine Kurbel angebracht und ehe ich begriff, was das Ganze zu bedeuten hatte, ergriffen die Wachen die Kurbeln. Es quietschte fürchterlich. Langsam senkte sich die Zugbrücke. Die Wachen des Schlosses ebneten mir den Weg zur Schatzkiste. Noch ehe die Brücke auf meiner Seite den Boden ganz erreichte, sprang ich auf das erste Brett und lief so schnell ich konnte auf die andere Seite des Wassers. Vor meinen Augen funkelte die Kiste.«

Max hielt plötzlich inne und sagte nichts mehr. So als hatte jemand den Fernseher auf stumm geschaltet.

Paula, die in Gedanken mit über die herabgelassene Zugbrücke gelaufen war, blickte verwundert zu ihm hinüber. Er starrte mit großen Augen geradeaus auf die Hecke vor ihnen. Im Zirkuswagen dahinter blieb es still. Nur das Wiehern der Pferde aus der Box war leise zu hören.

»Max«, sprach Paula mit leiser Stimme, als wollte sie ihn nicht stören.

Keine Antwort.

»Max, was ist los mit dir? Hast du die Kiste geöffnet? Was war in der Kiste? Spann mich doch nicht so auf die Folter.«

»Nichts«, antwortete Max, ohne die geringste Betonung.

»Was heißt das, nichts?« Paula wurde langsam ungeduldig.

»Als ich vor der Kiste stand und den Deckel anheben wollte, griff ich ins Leere. Es gab keine Schatzkiste mehr. Sie war einfach verschwunden.«

»Aber das gibt es doch nicht«, sagte Paula erstaunt. »Sie kann sich doch nicht einfach in Luft aufgelöst haben.«

»Das dachte ich erst auch«, antwortete Max. »Ich habe eine Weile gebraucht, um zu begreifen, was passiert war. Es gab keine Schatzkiste, die ich öffnen konnte. Jedenfalls nicht an dieser Stelle. Es war ein Spiegelbild.«

Paula hatte ihre Sicherheit wiedergewonnen.

»Wenn es wirklich ein Spiegelbild war, dann muss an einer anderen Stelle des Raumes die echte Kiste stehen«, schlussfolgerte sie.

Max lächelte zu ihr hinüber. Er war immer wieder beeindruckt, wie klug Paula war. Mit ihr konnte er sich so wunderbar unterhalten. Sie dachte seine Gedanken zu Ende und hatte ihn dadurch schon oft auf neue Ideen gebracht. Es ist sogar schon einmal passiert, dass beide zur selben Zeit ähnliche Dinge taten, obwohl sie weit voneinander entfernt waren.

»Du hast recht, Paula, ich stand in der leeren Ecke des Raumes und spürte, dass es an einer anderen Stelle eine echte Kiste geben musste. Eine Kiste zum Anfassen und zum Öffnen.

Ohne nachzudenken rannte ich in die gegenüberliegende Ecke, direkt auf die nächste Kiste zu. Sie hatte die gleiche Größe, die gleichen Verzierungen, das gleiche große Schloss an der Vorderseite, und sogar das Funkeln der vergoldeten Oberfläche schien gleich zu sein.

Ich musste wissen, welches Geheimnis die Schatzkisten verbargen.

Ich hatte den Graben, das Wasser, die Zugbrücke und die Wachen vollkommen vergessen, als ich plötzlich ein knisterndes Geräusch vernahm. Ich zuckte zusammen und schloss instinktiv die Augen. Ich spürte, dass mir immer wärmer wurde. Als ich die Augen wieder öffnete, fuhr mir der Schreck durch die Glieder. Vor mir schossen Flammen nach oben, die anscheinend direkt aus dem Fußboden kamen. Die warme Luft vibrierte so sehr, dass ich die Kiste dahinter nur noch verschwommen sehen konnte.«

Paula hörte wieder gespannt zu und hatte die ganze Zeit kein Wort mehr gesagt. Sie lauschte Max‘ Erzählung so intensiv, dass sie die Wärme des Feuers selbst auf ihren Armen spüren konnte.

»Das ist ja furchtbar«, schrie sie und hielt sich die Hände vor das Gesicht.

»Beruhige dich, ich hatte auch Angst und wusste nicht, was ich tun sollte. Da sah ich in der Ferne eine Kutsche mit zwei prächtigen Pferden. Der Kutscher trieb sie zur Eile und im nächsten Augenblick stand ein Wagen mit einem riesigen Wasserfass vor mir. Genug Wasser, um die lodernden Flammen vor mir zu löschen. Ich war erleichtert und erschöpft. Und wenige Augenblicke später enttäuscht. An der Stelle, an der ich die goldene Kiste gesehen hatte, war nichts mehr zu erkennen, was auch nur im Entferntesten danach aussah.«

Max sah zu seiner Freundin herüber.

»Einfach nichts mehr, verstehst du?«

Paula verstand es nur zu gut. Max ist zum zweiten Mal einem Phantom hinterhergejagt. Wieder war es eine optische Täuschung, hervorgerufen durch die Spiegel an den Wänden. Die echte Schatzkiste musste in einer der verbleibenden zwei Ecken stehen.

Gespannt wartete Paula, wie der Traum weiterging. Würde er auch nach dieser Enttäuschung weitersuchen?

Max erzählte weiter und Paula war erleichtert.

»Der Weg zur gegenüberliegenden Seite des Raumes war ziemlich lang. Die Neugier hatte mir offenbar neue Kräfte verliehen. Aber ich war vorsichtiger geworden. Welches Hindernis würde sich wohl dieses Mal in den Weg stellen? Noch war der Weg frei und das Ziel gut zu erkennen.

Ich hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da traute ich meinen Augen nicht. In Windeseile wuchs aus dem Fußboden eine Hecke, die immer dichter wurde. Als die Hecke die Höhe meines Kopfes erreichte, hörte sie auf zu wachsen. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, so dass ich die Schatzkiste sehen konnte. Sie stand völlig unberührt in der Ecke. Erst jetzt fiel mir auf, dass die Zweige der Hecke keine Blätter hatten. Es war ein einziges Gestrüpp, scheinbar wahllos ineinander gewachsen. Wie sollte ich durch diese lebende Wand hindurchgelangen? Ich versuchte die Zweige auseinanderzuziehen, um ein Loch zu schaffen. Es musste gerade so groß sein, dass ich durchkriechen konnte. Mitten in meiner aussichtslosen Beschäftigung vernahm ich einen süßlichen Geruch, der mich an Honig erinnerte.«

Paula lief das Wasser im Mund zusammen, als sie unwillkürlich an das Honigbrötchen vom Frühstück dachte. Sie fing an, an Max‘ Geschichte zu zweifeln. Eine Hecke mit Honiggeruch, so etwas gibt es doch gar nicht. Aber es war ja nur ein Traum. Und Träume müssen nicht immer etwas mit der realen Welt zu tun haben.

Das wusste Paula nur zu gut. Unwillkürlich musste sie an ihren eigenen Traum vom Wochenende denken. Die Erinnerung daran war so schön, dass ihre Finger anfingen zu kribbeln. Und plötzlich war Max‘ Stimme ganz weit weg, irgendwo bei den Sternen.

<… Paula saß in ihrem wunderschönen hellblauen Kleid mit aufgenähten weißen Rüschen um den Hals und an den Armen auf einer Blumenwiese. Es war ein heißer Sommertag. Am Himmel zogen vereinzelte Schäfchenwolken vorüber, die der Sonne aber kaum etwas anhaben konnten. Auf der Wiese blühten unglaublich viele Blumen. Paula hielt einen bunten Strauß in der Hand. Der Duft hatte ihre Sinne ganz vernebelt. Sie ließ sich nach hinten fallen und lag mit ausgestreckten Armen und Beinen im weichen Gras. Da sah sie über sich am Himmel einen winzigen Punkt, der immer größer wurde und direkt auf sie zukam. Kurz bevor er sie erreichte, erkannte Paula einen Reiter auf einem weißen Pferd. Der schöne Jüngling stieg vom Schimmel, sprach kein Wort und reichte Paula ein mit Edelsteinen verziertes Horn. Es war ein Trinkgefäß, welches er, an einem Gurt befestigt, immer bei sich trug. Paula nahm das Horn und steckte die Blumen hinein, die sie in der Hand hielt. Sofort füllte es sich mit Wasser und die Blumen leuchteten noch kräftiger und dufteten noch intensiver. Als sich Paula bei dem unbekannten Fremden bedanken wollte, war er mit seinem Schimmel verschwunden. Der Traum war zu Ende und Paula lag mit geöffneten Augen im Bett und musste lachen. Mit beiden Händen umfasste sie ihr Kuscheltier, ein weißes Plüschpferdchen mit einem hellblauen Halsband.>

Max hörte auf zu erzählen, weil er Paula ansah, dass sie gar nicht mehr zuhörte.

»Hey Paula, was ist los mit dir? Träumst du mit offenen Augen?«

Seine Stimme brachte sie zurück in die Wirklichkeit. Paula fiel wieder ein, dass Max ihr etwas von einer Hecke erzählt hatte, die nach Honig duftete.

Max setzte ein schelmisches Grinsen auf und erzählte weiter.

»Ich trat einen Schritt zurück und staunte nicht schlecht. Aus den hölzernen Zweigen kamen wunderschöne Blüten hervor. Und es wurden immer mehr. Jede Blüte hatte fünf kreisrunde Blütenblätter, die in der Mitte mit einer gelben Scheibe zusammengehalten wurden. Das musste die Quelle des Honiggeruchs sein. Die Blüten hatten unterschiedliche Farben, nur die Mitte leuchtete überall im gleichen Gelb. Die unansehnliche Hecke hatte sich in kurzer Zeit in ein Meer voller bunter Blüten verwandelt.«

Paula kannte Max schon lange, aber so sinnlich hatte sie ihn noch nicht erlebt. Sein Gesicht war total entspannt und freundlich.

»Hast du die Schatzkiste hinter der Hecke denn ganz vergessen«, fragte Paula. Sie hatte schon Angst, dass sie nie erfahren würde, was denn nun für ein Schatz in der geheimnisvollen Kiste verborgen war.

Max beschwichtigte seine Freundin. »Keine Sorge, ich hatte die Kiste nicht vergessen, aber ich war in dem Moment noch ratloser als die ganze Zeit vorher. Wie sollte ich ohne Hilfsmittel durch eine dichte Hecke gelangen?

Plötzlich hörte ich eine Stimme. Erst dachte ich, sie käme aus meinem Inneren. So eine Art Selbstgespräch, verstehst du? Aber das war es nicht. Ich strengte meine Ohren an, um die Richtung zu bestimmen, aus der diese liebliche Stimme kam. Es gab keinen Zweifel. Auf der anderen Seite der Hecke war ein Mensch, der immer näherkam.

Und dann verstummte sie. Ich stand wie versteinert da. Einige Augenblicke später hörte ich Musik. Jemand begann auf einer Flöte zu spielen. Es war eine fröhliche Melodie, die durch die Hecke zu hören war.

Hinter der Hecke, so dicht und fein,

muss etwas Liebliches zu sehen sein.

Der Klang der Flöte das Dickicht durchdringt,

was muss ich nur tun, damit ein Blick hindurch gelingt.

Ich wunderte mich über mich selbst. Noch nie war ich im Deutschunterricht als Dichter aufgefallen.

Das Flötenspiel ging weiter. Offenbar drangen meine Worte nicht durch die Hecke hindurch. Immer wieder versuchte ich durch das Gestrüpp zu sehen. Es gelang mir nicht. Da sah ich in einem besonders dicht verwachsenen Teil der Hecke einen länglichen Gegenstand. Mit einiger Mühe gelang es mir, das Teil herauszuziehen. Ich konnte es kaum glauben. Es war eine Flöte. In dem Moment war es mir egal, wer das Instrument vergessen hatte oder wie es sonst hierhergelangt war.«

Paulas Verwunderung wurde immer größer.

»Aber du kannst doch gar nicht Flöte spielen«, sagte sie und sah Max ein wenig mitleidig an.

»Kann ich auch nicht«, antwortete Max, »aber ich habe es einfach probiert.

Ich wartete, bis der Flötenspieler auf der anderen Seite eine Pause machte und fing an zu spielen. Ich hatte keine Ahnung, was ich spielte. Die Melodie klang so ähnlich wie die meines Gegenübers.

Nach ein paar Tönen hörte ich wieder auf und war gespannt, was nun passierte. Es hatte geklappt. Die Musik begann von Neuem. Wir spielten dieses Wechselspiel der Melodien noch eine Zeitlang weiter.

Plötzlich vernahm ich direkt vor mir ein Knistern und sah, wie sich die Hecke bewegte. Die Blüten schienen zu tanzen und mir kam es vor, als sähe ich auf den großen gelben Scheiben, die die Blütenblätter zusammenhielten, ein Lächeln. Ein Smiley mit hochgezogenen Mundwinkeln. Die so undurchdringlich erschienenen Zweige lösten sich voneinander und es entstand ein schmaler Durchgang. Auf der anderen Seite konnte ich die Schatztruhe sehen und ich beeilte mich, schnell hindurchzukommen. Von dem Flötenspieler war keine Spur mehr zu sehen. Ich hätte mich gern bei ihm für die Hilfe bedankt. Aber Zeit zum Suchen hatte ich nicht. Ich stand vor der Kiste, nur irgendetwas stimmte nicht.«

»Was stimmte denn nicht?«, fragte Paula dazwischen, weil Max eine längere Pause machte.

»Ich hatte ein großes Vorhängeschloss erwartet. Aber da war keines. Ich konnte den ziemlich schweren Deckel anheben und sah …«

Nun wurde Paula richtig ungeduldig. Max‘ langsames Erzähltempo nervte sie zunehmend.

»Was hast du gesehen? Was war in der Kiste?«

»Nichts, gar nichts. Sie war leer, blank geputzt und leer.«

Paula konnte in seiner Stimme die Enttäuschung hören, als Max weitersprach.

»Ich war wie gelähmt und fing an, mich zu ärgern. Der ganze Aufwand, die Überquerung des Wassergrabens und das Löschen des Feuers – es war alles umsonst.

Ich war mir sicher, dass ich in der goldenen Schatzkiste etwas Wichtiges finden würde oder wenigstens eine Botschaft, ein Hinweis, was ich weiter tun sollte.

Ich saß vor der leeren Kiste und spürte, wie sich Tränen in meinen Augen sammelten. Wahrscheinlich hätte ich gleich losgeheult, wenn ich nicht in dem Augenblick noch eine Kiste gesehen hätte. Es war die vierte Ecke des Raumes, in der ich tatsächlich noch nicht gewesen war. Mit verschwommenem Blick konnte ich goldene Verzierungen, einen schweren Deckel und ein großes Vorhängeschloss erkennen.«

»Und es gab kein Hindernis auf dem Weg dorthin?«, wollte Paula wissen und spürte eine Erleichterung als wäre sie selbst dabei gewesen.

»Nein, es war nichts zu sehen. Aber nach all dem, was ich in diesem Raum erlebt hatte, war ich auf alles gefasst. Und es sollte auch diesmal nicht anders sein.

Ich hörte hinter mir ein lautes Poltern und Zischen, aber da war nichts. Als ich mich wieder umdrehte, erschrak ich so sehr, dass ich wie erstarrt stehen bleib. Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Hast du so etwas schon einmal erlebt?«

Paula zuckte mit den Schultern.

»Was, nein, ich weiß nicht, keine Ahnung«, stotterte sie.

»Was war denn passiert?«

»Vor mir lag ein riesiger Drache, der sich in dem Moment aufrichtete, als ich mich umdrehte. Ich sah direkt in sein Gesicht. Zu meiner Überraschung blickten mich zwei freundliche Augen an. Gibt es eigentlich auch friedliche Drachen, schoss es mir durch den Kopf. Ich hatte das gute Gefühl, dass er mir nichts tun würde. Aber ich wusste auch, dass er mich niemals vorbeilassen wird. Der Weg zur Schatzkiste war ein weiteres Mal versperrt und ich hatte keinen Plan.«

»Aber du wirst doch jetzt nicht aufgeben wollen. So kurz vor dem Ziel. Lass dir was einfallen«, forderte Paula in einem ziemlich forschen Ton.

»Natürlich nicht«, antwortete Max, »du kennst mich doch.« Paula konnte ein schwaches Lächeln auf seinem Gesicht erkennen.

»Ich musste den Drachen überlisten. Aber wie? Als hätte meine Frage irgendjemand im Raum gehört, meldete sich eine tiefe Stimme hinter mir. Ich drehte mich sofort um. Zu sehen war niemand, aber auf dem Fußboden lag ein Schwert.«

»Nimm mein Schwert an dich. Es wird dir helfen, deine Aufgabe zu erfüllen.«

»Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte, war aber dankbar dafür, dass mir offensichtlich jemand helfen wollte.

Ich hob das Schwert auf und war sprachlos. Die Klinge war scharf und blank geputzt. Ich konnte mein Gesicht darin erkennen. Der Griff war mit Edelsteinen besetzt. Es musste das Schwert des Königs sein. Der König, der im Schloss wohnte und dem das alles hier gehörte. Auch die Schatzkiste.

Als ich mich mit dem Schwert in der Hand dem Drachen zuwandte, fauchte dieser leise und blickte mir direkt in die Augen. Die Freundlichkeit war aus seinem Gesicht gewichen. An deren Stelle war die Entschlossenheit getreten, mich mit allen Mitteln aufzuhalten. Mein Gehirn suchte nach einer Idee, einer Lösung. Die Gedanken sprangen hin und her, wie ein Tiger in der Manege.

Ich wollte ihm kein Leid zufügen. Er war nicht böse. Er würde mich nicht ohne Grund angreifen, das konnte ich deutlich spüren. Aber ich hatte eine Aufgabe zu erfüllen. Ich war ratlos. Gerade als sich die Verzweiflung vom Kopf in den Bauch bewegte, passierte etwas Merkwürdiges.«

»Was denn?«, platzte es aus Paula heraus, die die Spannung kaum noch aushielt.

»Erinnerst du dich, der Raum hatte keine Fenster, an den Wänden waren nur Spiegel«, sagte Max. Ohne eine Bestätigung abzuwarten, erzählte er, was dann geschah.

»Auf einmal bewegte sich genau in der Mitte des Raumes die Decke. Sie öffnete sich gleichmäßig nach allen Seiten, bis ein kleines, rundes Loch entstanden war.«

»Was hat denn das zu bedeuten«, unterbrach ihn Paula ein weiteres Mal. »Wie kann sich die Decke eines Raumes von allein öffnen?«

»Ich weiß es auch nicht, aber so war es in meinem Traum. Es war ungefähr so wie in der Sternwarte. Erinnerst du dich an die letzte Klassenfahrt?«

Paula nickte und bat Max weiterzuerzählen. Sie hatte das Gefühl, das Wichtigste kommt noch.

Die beiden saßen schon über eine halbe Stunde hinter dem Zirkuswagen. Eine gefühlte Ewigkeit, wenn man nicht entdeckt werden wollte. Max stand auf und spähte vorsichtig auf den großen Platz. Es war sehr ruhig. Offenbar waren die Künstler um diese Uhrzeit bei der Mittagsruhe oder bereiteten sich auf die Vorstellung am Nachmittag vor. Nur ein kleines Mädchen spielte vergnügt mit ihrem Hund.

Beruhigt setzte sich Max wieder auf die Steinplatte und erzählte weiter.

»Ich stand wie angewurzelt mit dem Schwert in der Hand mitten im Raum. Ich war bereit, mich gegen alles zu verteidigen, was mich angreifen sollte. Aber plötzlich war Ruhe. Kein Geräusch mehr von der Decke. Selbst der Drachen stand unbeweglich da und blickte verdutzt nach oben.

Das Loch in der Mitte der Decke war gerade so groß, dass ein Sonnenstrahl hindurchgelangen konnte. Der Sonnenstrahl traf auf die blankgeputzte Klinge des Schwertes. Von dort wurde er reflektiert und gelangte zu einem der vielen Spiegel an den Wänden. Aber der Spiegel verschluckte den Strahl nicht, sondern schickte ihn weiter zum nächsten Spiegel. Und so tanzte der gelbe Sonnenstrahl wild im ganzen Raum umher. Wie ein Spinnennetz schienen die unzähligen Strahlen den Drachen und mich einfangen zu wollen. Ich war fasziniert, wusste aber immer noch nicht, wie ich an dem Drachen vorbei zur Schatzkiste gelangen konnte.

Da drehte ich das Schwert ein klein wenig zur Seite und plötzlich traf mich der Sonnenstrahl mitten ins Gesicht. Ich konnte kaum noch etwas erkennen. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, was passiert war.«

»Du hast den Lichtstrahl genau auf dein Gesicht gelenkt«, platzte es aus Paula heraus.

Das war Paulas Stärke. Blitzschnell konnte sie verschiedene Dinge in Zusammenhang bringen und Schlussfolgerungen ziehen. Kein Wunder, dass sie in der Schule oft die Schnellste war, wenn es um das Lösen von Sachaufgaben ging.

»Genauso war es«, antwortete Max.