Das schwarze Element - Band 6 - Nicole Böhm - E-Book
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Das schwarze Element - Band 6 E-Book

Nicole Böhm

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Beschreibung

Prue steht an einem Wendepunkt: Ihre Entscheidung hat weitreichende Folgen, nicht nur für Jaydee, sondern auch für ihr eigenes Seelenheil. Inmitten von Dunkelheit und Zweifel muss Prue ihren eigenen Weg wählen und sich fragen, ob sie die Mutter sein kann, die sie sich für ihre Tochter wünscht. Währenddessen lässt Evil Rose unermüdlich ihre Dunkelheit auf die Welt los. Ihr Einfluss wächst, und die Bedrohung wird immer größer. Lionsgate liegt nach einem verheerenden Angriff in Trümmern, aber in all der Zerstörung findet Matthew eine Botschaft, die das Ruder herumreißen könnte.

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Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel5

2. Kapitel16

3. Kapitel23

****31

4. Kapitel32

5. Kapitel41

6. Kapitel47

7. Kapitel55

8. Kapitel59

****67

9. Kapitel69

10. Kapitel74

11. Kapitel87

12. Kapitel92

13. Kapitel103

14. Kapitel110

15. Kapitel118

16. Kapitel126

17. Kapitel130

18. Kapitel137

19. Kapitel143

20. Kapitel147

21. Kapitel153

22. Kapitel162

23. Kapitel173

24. Kapitel177

25. Kapitel184

26. Kapitel194

27. Kapitel202

28. Kapitel206

29. Kapitel213

30. Kapitel238

31. Kapitel246

32. Kapitel253

****259

Impressum261

Das schwarze Element

Eine Geschichte aus der Welt der Seelenwächter

Von Nicole Böhm

Das schwarze Element

Teil 6

Von Nicole Böhm

1. Kapitel

Rose

»Wir sehen uns wieder, Matthew.«

»Ich werde hier sein.«

Unsere letzten Worte wollten mir einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen. Genauso wenig wie der Kuss, den wir vor ein paar Minuten geteilt hatten. Noch immer spürte ich Matthews Lippen auf meinen, roch und schmeckte ihn, fühlte seine Hände, die mich gierig erkundet hatten. Da war nichts Romantisches zwischen uns gewesen, nur unsere unterdrückte Leidenschaft und die vielen Jahre des Kummers, die wir verzweifelt zu überbrücken versuchten. Vielleicht hatten wir es sogar geschafft. Vielleicht hatte dieser Kuss gekittet, was gebrochen gewesen war.

Die Verbindung zwischen uns fühlte sich auf alle Fälle anders an. Intimer. Brennender. Selbst jetzt, als ich schon wieder auf der Insel Sirona angekommen war und somit Tausende von Kilometern von ihm entfernt, spürte ich ihn. Und ich sehnte mich zu ihm zurück. Am liebsten wäre ich zu ihm ins Bett gekrochen, hätte mich in seine Arme sinken lassen und mich mit ihm verloren. Obendrein hätte ich gleich dafür sorgen können, dass er sicher vor meinem Zwilling war, der uns vorhin in unserem alten Trailerpark in England aufgelauert hatte. Es war zwar schön und gut, dass Levi Soldaten für Matthews Schutz abgestellt hatte, aber ich hätte mich lieber persönlich davon überzeugt, dass dieses Wesen nicht zurückkehrte.

Ich parierte Pete durch und ritt zum Stall, der bis auf ein paar wenige Pferde leer war. Die letzten Tage hatte hier ziemlich viel Trubel geherrscht, weil zu viele Seelenwächter auf engstem Raum zusammengepfercht gewesen waren, doch nun wirkte alles verlassen. Anscheinend waren die meisten abgereist. Der Rat hatte angekündigt, dass wir auf Kjells Anwesen in Dänemark untergebracht werden würden, bis unseres in Seattle wieder aufgebaut war.

Ich sattelte rasch Pete ab, brachte ihn in die Box und ging hinüber zum Tempeleingang. Es war mitten in der Nacht. Über mir funkelten unzählige Sterne, inklusive einer wunderschönen satten Milchstraße, die sich wie ein Riss zwischen den Welten über den Himmel zog. Um mich herum dehnte sich der tiefschwarze Ozean aus und vor mir der gigantische Felsen, den wir als Tempel nutzten.

Ich war gespannt, wer überhaupt noch hier war. Mein Team auf alle Fälle, weil es nie ohne mich abreisen würde, genau wie Ikarius, Akil, Anna und Jaydee. Will, Kala, Kristjan und Prue waren zuletzt unterwegs gewesen, um die Menschen zu besuchen, die das Serum von Lionsgate erhalten hatten. Sie wollten schauen, ob jemand Nebenwirkungen entwickelte und wie diese Leute mit dem Stoff klarkamen.

Diese merkwürdige Firma stellte unser Leben ganz schön auf den Kopf. Noch immer konnten wir sie nicht richtig einschätzen, aber was Simeon uns bei dem Besuch heute gezeigt hatte, war mehr als besorgniserregend gewesen. Genau wie der Ausflug nach England zu dem abgebrannten Trailerpark, in dem Matthew und ich einst gewohnt hatten.

Wo wir gegen meinen Zwilling hatten kämpfen müssen.

Ich verstand es nach wie vor nicht. Warum besaß dieses Wesen meine Gestalt, was wollte es von uns, und weshalb hatte es mein ehemaliges Zuhause zerstört?

Ich griff in meine Hosentasche und umschloss die Klingel, die ich als Andenken mitgenommen hatte. Bugs Bunny. Eine Erinnerung an eine Zeit, in der noch alles anders gewesen war. Vorsichtig zog ich ihn heraus und betrachtete den Hasen, der eine Karotte in der Hand hielt und breit grinste. Er hatte einige Schrammen abbekommen und die Farbe war an vielen Stellen abgeblättert, aber er war noch immer er. So wie Matthew und ich noch immer wir waren. Womöglich konnten einige Dinge gar nicht zerstört werden, egal was das Schicksal ihnen entgegenwarf.

Ich schloss die Klingel fester in meine Faust, ließ die Erinnerungen kommen, genau wie die Gefühle, die damals so heftig für ihn gebrannt hatten und heute neu aufflammten. Matthew hatte es schon immer geschafft, mich mit nur einem Blick erbeben zu lassen. Mit ihm war eine Berührung nicht nur eine Berührung, sondern ein Vordringen in meine Seele. Alles fühlte sich intim und wundervoll an. Gestern. Heute. Morgen ganz sicher wieder, denn dieser Kuss hatte uns auf die nächste Ebene befördert, wo alles brannte und kribbelte und ich noch viel mehr wollte.

Keine Ahnung, wohin das führen würde. Eine Beziehung zwischen Mensch und Seelenwächter war nicht von Dauer. Dafür war unser Alltag zu gefährlich und unstet. Abgesehen davon war es verboten.

Ein Stich fuhr mir durchs Herz, wenn ich daran dachte, dass das nicht sein durfte. Ich atmete zitternd ein, weil mir dieser Gedanke solche Angst machte. Doch der einzig andere Weg zu einer gemeinsamen Zukunft wäre, wenn Matthew ein Seelenwächter werden würde. Ich bezweifelte allerdings, dass er das wollte. Zudem müsste sich erst zeigen, ob er überhaupt auserwählt war.

So viele Wennsund Vielleichts und Unsicherheiten, die mir allesamt den Magen zuschnürten.

Ein letztes Mal betrachtete ich Bugs Bunny und schob ihn zurück in die Hosentasche, ehe ich mit all diesen wirren Gedanken und Gefühlen den Ratstempel betrat.

Die große Halle war genauso verwaist wie der Rest der Insel. Vereinzelt lagen Klamotten herum. Stiefel, Jeans, Shirts, sogar zwei Titaniumschwerter lehnten an der Wand. Es sah aus, als hätten alle nach einem Campingausflug eilig zusammengepackt und sich nicht um ihren Müll geschert.

Ich hörte ein Klirren und ging in die Richtung des Geräuschs. Anna stand an einem Durchgang mit dem Rücken zu mir und fluchte, weil ihr ein Teller heruntergefallen und zu Bruch gegangen war. Ich beschleunigte meine Schritte und wollte ihr helfen, die Scherben aufzusammeln.

»Rose!« Sie legte die Sachen beiseite und zog mich in eine Umarmung, die so fest war, dass ich nach Luft schnappen musste. »Wie geht es dir? Daniel hat erzählt, was in England vorgefallen ist.«

»Es war wild, aber mir geht es gut.«

Sie löste sich von mir und musterte mich. »Bist du noch verletzt?«

»Nein. Ich hab Heilsirup getrunken.« Ich schob einen Finger in eins der Löcher in meinem Shirt. Meine Hose hatte ebenfalls einiges abbekommen und musste wohl entsorgt werden. Außerdem waren meine Haare sicherlich zerstrubbelt. Nicht nur vom Kämpfen, sondern auch von Matthews Fingern.

Ich räusperte mich und trat einen Schritt nach hinten. Keine Ahnung, ob Anna ihn an mir riechen konnte oder spürte, was ich gerade getan hatte. »Gibt es sonst was Neues? Sind die anderen schon zurück?«

»Nur Kristjan. Prue hat etwas Zeit für sich gebraucht. Der Besuch bei ihrer Tochter hat sie sehr aufgewühlt, aber auch Mel geht es gut.«

Ein bisschen tat Prue mir tatsächlich leid. Sie hatte so hart für ihre Tochter gekämpft, und nun schien alles auseinanderzufallen. »Und Kala?«

»Ist noch mit Will auf Hawaii. Sie redet mit ihrer Familie.«

Hoffentlich kam sie zurecht. Sie hatte für Kaleo ebenfalls viel geopfert. Ich hatte keine Ahnung, was in Zukunft auf sie und Prue wartete, ob sie ihre Familie nun für immer hinter sich lassen mussten oder ihnen gestattet wurde, sie manchmal zu sehen.

»Hat Ikarius schon von seinem Besuch bei Lionsgate berichtet?« Ich hatte ihn vorhin zwar getroffen, als wir ihn abgeholt hatten, doch da war er kurz angebunden gewesen.

»Er ist gerade an seinem Kraftplatz. Aber er hat gesagt, dass er Blut, Urin, Haut- und Haarproben abgegeben hat. Außerdem hat er den Mindblower gesehen.«

»Und?«

»Es ist ein Stuhl mit einem Metallhelm, von dem viele Drähte abgehen. Man setzt wohl den Helm auf, und dann kehrt er die Gehirnwellen in ihren Ursprungszustand zurück.« Sie seufzte. »Es ist faszinierend und besorgniserregend zugleich. Ich hab in meinem Leben schon so viele Erinnerungen verändert und mir nie Gedanken darüber gemacht, ob es etwas im Gehirn auslösen könnte. Wir wollen helfen, und gleichzeitig fühlt es sich an, als würden wir das Gegenteil tun.«

Ich schluckte, denn auch ich besaß diese Fähigkeit und hatte sie etliche Male angewandt. »Denkst du denn, dass wir den Menschen eher schaden?«

»Ich weiß es nicht, Rose. Das ist komplettes Neuland für uns. Technologie, Hirnströme messen, Geräte, die unsere Suggestionen umkehren.« Sie schüttelte den Kopf. »Es ist verwirrend.«

Für die Seelenwächter der alten Generation noch viel mehr als für uns. Sie waren ja nicht wie wir mit Technik aufgewachsen.

»Aber darüber brauchst du dir heute keine Gedanken mehr zu machen. Geh zu deinem Team und erhol dich.«

»Ich bin gar nicht …«

Sie hob die Hand. »Du magst dich im Moment aufgeputscht fühlen, doch dein Körper braucht Ruhe.«

Vermutlich hatte sie recht. Meine Muskeln fühlten sich bleiern schwer an. »Soll ich dir nicht schnell helfen, aufzuräumen?«

»Coralie tut das bereits. Sie ist in der Küche. Wir kriegen das schon in den Griff.«

Ich rang mir ein Lächeln ab und unterdrückte ein Gähnen.

»Ab ins Bett mit dir, Rose.«

»Ist ja gut.«

»Ich weiß, du …« Sie hielt inne und umschloss ihr Amulett, welches wir zum Kommunizieren untereinander verwendeten. Ein Luftzug streifte meinen Nacken, strich über meinen Körper und dann um Annas. Er sammelte die Scherben ein und formte daraus eine Gestalt. Eine Frau.

»Christin«, sagte Anna.

Christin gehörte zu Ikarius’ Familie und lebte in Australien auf dem Anwesen. Dort, wo auch Jon gewohnt hatte.

»Ich erreiche Ikarius nicht, ist alles in Ordnung?«, fragte sie sofort.

»Ja, er ist bei seinem Kraftplatz.«

»Oh, okay. Kannst du ihm was ausrichten? Und am besten auch gleich dem Rest vom Rat.«

»Natürlich.«

»Wir haben Jons Tagebücher in seinem Zimmer gefunden. Er hat sie ziemlich gut versteckt und wir mussten eine Weile suchen.«

Ein Stich fuhr mir durchs Herz. Jon war vor Kurzem auf einem Einsatz gestorben. Er hatte vorher mit Kala, Tamira und Prue Schattendämonenorgane für das Serum von Lionsgate eingetauscht.

»Wir wissen jetzt, wofür er es verwendet hat«, fuhr Christin fort. Sie seufzte leise, was ein wenig komisch aussah, weil ihre Gestalt nur aus den Scherben des Tellers bestand. »Er hat Selbstexperimente durchgeführt.«

»Was?«, fragte Anna.

»Bisher haben wir nur die ersten Seiten gelesen, aber er hat seine Ergebnisse festgehalten und dokumentiert, was das Serum mit ihm macht. Sobald wir mehr wissen, sagen wir Bescheid. Oder sollen wir die Tagebücher zu euch bringen?«

»Ja, das wäre gut. Der Rat will sicherlich einen Blick hineinwerfen.«

»Ich veranlasse das.«

»Danke, Christin.«

»Natürlich. Bisher haben wir zwei Tagebücher gefunden, mal schauen, ob er noch mehr versteckt hat.«

»Ich sage Ikarius Bescheid, sobald er aus dem Kraftplatz raus ist.«

Christin nickte, dann kappte sie die Verbindung und die Scherben stürzten wieder zu Boden.

»Selbstexperimente?«, fragte ich und blickte Anna an.

Sie schüttelte den Kopf. »Das wird immer schlimmer.«

»Was wollte er denn damit bewirken?«

»Das werden wir hoffentlich herausfinden, wenn wir die Tagebücher lesen.« Sie legte eine Hand auf meine Schulter. »Aber du gehst jetzt wirklich schlafen. Das sind Probleme, die bis morgen warten können.«

»Ja, vermutlich.« Dennoch ratterte mein Geist von all den neuen Informationen. Ich lächelte Anna matt an, dann wandte ich mich ab und folgte dem Flur zu dem Zimmer, das ich in den vergangenen Tagen mit meinem Team bewohnt hatte. Die ganze Zeit über sortierte ich die Eindrücke und Erkenntnisse, aber je länger ich nachdachte, desto wirrer wurde mein Geist. Mein Kopf fühlte sich an, als würde er platzen, wenn er noch mehr aufnehmen musste.

Ich klopfte leise an und betrat den Raum. Alec stand am Schrank und faltete T-Shirts zusammen, die er in eine Tasche packte. Daniel saß auf dem Bett, die Beine angezogen, den Blick auf sein Smartphone gerichtet, das Matthew ihm geschenkt hatte. Als er mich sah, sprang er von der Matratze und nahm mich in die Arme.

»Rose! Wie geht es dir? Und Matthew? Hat er noch was zu dem Vorfall gesagt? Hasst er mich?«

Ich löste mich von ihm. »Es ist alles in Ordnung. Es geht ihm gut und er hasst dich nicht.« Glaubte ich zumindest. Wir hatten ja nicht viel geredet, sondern andere Dinge getan.

»Den Elementen sei Dank! Ich wollte ihn wirklich nicht angreifen, aber die Stimme war so eindringlich.«

»Wissen wir.« Ich musterte ihn kurz. »Wie geht es dir denn? Hast du sie noch mal gehört?«

»Gar nicht. Ich fühl mich auch mittlerweile ganz anders. Freier.« Er tippte sich ans Herz. »Weiß nicht, wie ich es erklären soll. Aber das tut mir gut.« Er hob das Handy hoch und sofort strahlten seine Augen.

»Das freut mich.« Und es war gleichermaßen erstaunlich. Daniel hatte sich erst vom Einfluss meines Zwillings lösen können, als er etwas fand, was er liebte. In seinem Fall die Technik. So abstrus das auch klang, aber es hatte Matthew vermutlich das Leben gerettet. Ich schauderte, schlang die Arme um mich und warf Alec einen Blick zu, der in der Bewegung innegehalten hatte. »Du packst?«

»Ich wollte in ein Zimmer nebenan. So können wir alle ruhiger schlafen.«

Ein Stich des Bedauerns fuhr durch mein Herz, auch wenn er völlig recht hatte. Für Wasserwächter war Abstand so viel wichtiger als für uns. Es war besser für ihn, wenn er allein wohnte.

»Wie geht es deinem Freund?« Der leicht schneidende Unterton in seiner Stimme entging mir nicht. Lag es an Matthew und mir oder an den Ereignissen der letzten Stunden? Alec hatte etliche Leute im Krankenhaus befragen müssen, die im Trailerpark von meinem Zwilling angegriffen worden waren. Sicherlich hatte ihn das emotional ausgelaugt. Aber er hatte auch gesehen, wie Matthew und ich miteinander umgingen. Ob es ihn sehr störte? Oder bildete ich mir einfach nur Dinge ein?

»Gut«, antwortete ich. »Er ist ebenfalls zu Hause.«

Alec nickte und wandte sich seinen Klamotten zu. Daniel setzte sich aufs Bett und nahm sein Smartphone wieder in die Hände.

»Funktioniert es denn?«, fragte ich.

»Ja, aber ich hab hier null Empfang. Muss definitiv noch mal in eine Stadt und mich dort in ein Netz klinken, damit ich mir mehr Videos runterladen kann. Assassins Creed haut gerade so viel neue Spiele raus. Ich will all die News sehen.«

Ich seufzte leise, streifte mir die Stiefel von den Füßen und legte meinen Waffengürtel ab. »Vielleicht kannst du sogar eines Tages wieder eins zocken.«

»Hey, das wäre dermaßen abgefahren!«

»Dann wäre es das vermutlich mit der Dämonenjagd«, sagte Alec. »Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist.«

»Oder ich würde noch besser werden, weil ich meine Reaktionszeit trainiere. Gibt ja auch ein paar coole Shooter.«

»Vermutlich wärst du allen überlegen mit deinen übernatürlichen Reflexen«, sagte ich.

»Ja, ich könnte in ein E-Sports-Team!« Er schmunzelte, weil er genau wusste, dass das nie passieren würde. Aber es war schön zu sehen, wie viel Spaß er an diesen Vorstellungen hatte.

Vielleicht kamen ja doch ein paar gute Sachen neben all dem Chaos zustande. Daniel hatte auf alle Fälle ein großes Geschenk durch Lionsgate erhalten. Was den Rest anging, mussten wir wohl abwarten.

2. Kapitel

Matthew

Ich trat aus der Dusche, meine Haut brannte vom heißen Wasser, das ich die letzten zwanzig Minuten über mich hatte laufen lassen. Der Raum war erfüllt vom Dampf, die Spiegel waren beschlagen. Ich wickelte mir ein Handtuch um die Hüften und öffnete die Tür, damit etwas Luft reinkam.

Erst hatte ich überlegt, kalt zu duschen. Nach dem Kuss mit Rose wäre das nötig gewesen, doch dann hatte ich das Wasser aufgedreht und das dringende Bedürfnis gehabt, mir all den Dreck der letzten Stunden abzuwaschen.

Wenn ich daran zurückdachte, kam es mir wie ein Fiebertraum vor. Nicht nur der Kampf oder die Buchstaben, die einfach so aufgetaucht waren. Auch Rose’ Zwilling, dieser fremde Mann mit der Augenklappe, der nun schon zwei Mal zu mir gesprochen hatte. Und natürlich der Kuss zwischen Rose und mir. Er war völlig anders gewesen als der, den wir damals auf der Lichtung geteilt hatten. Er hatte nichts Unschuldiges gehabt, sondern die Kraft eines Waldbrands. Allein beim Gedanken daran, wie Rose sich angefühlt hatte, wurde ich wieder hart.

Wo würde das zwischen uns hinführen? Wo sollte es hinführen?

Rose wäre die erste Person, mit der ich Sex hätte. Vor dem Knast hatte es nie eine Frau gegeben und in der Haft natürlich auch nicht. Entgegen der landläufigen Meinung kam es nicht ständig zu Übergriffen in Gefängnissen.

Ich schüttelte über mich selbst den Kopf. Von allem, was in den letzten Stunden passiert war, hing mir dieser Kuss mit seiner explosionsartigen Leidenschaft am meisten nach. Eindeutig ein weiterer Hinweis, dass ich langsam den Verstand verlor. Kein normaler Mensch würde über so etwas nachdenken, wenn er fast von einem übernatürlichen Wesen getötet worden wäre und dazu noch merkwürdige Dinge sah. Doch anscheinend hatte der Knast irgendwas mit meinem Hirn angestellt. Vielleicht hatte der tägliche Kampf ums Überleben dafür gesorgt, dass Synapsen durchgebrannt waren und ich Gefahren anders einordnete. Oder es waren weitere Nebenwirkungen vom Mindblower. Mich beunruhigte ein bisschen, was noch auftauchen könnte, aber ich konnte es wohl auch nicht verhindern. Mein Verstand stellte gerade seine eigenen Regeln auf, und ich musste sehen, wie ich damit zurechtkam.

Ich rubbelte den Rest meines Körpers trocken und stieg über meine alten Klamotten hinweg, die noch auf dem Badezimmerboden lagen. Hätten sie nicht verdreckt und zerrissen vor mir gelegen, hätte man meinen können, die Kämpfe hätten nie stattgefunden. Mein Körper war komplett geheilt. Akils Energie hatte ganze Arbeit geleistet. Ich hatte nicht mal einen Kratzer, sogar der kleine Schnitt am Finger, den ich mir vorgestern an einem Stück Papier zugezogen hatte, war weg.

Geblieben war allerdings mein Hunger. Mein Magen gab einen grummelnden Laut von sich. Ich musste dringend was essen und vor allen Dingen schlafen, denn auch meine Müdigkeit meldete sich von Minute zu Minute stärker. Ich trat in mein Zimmer, zog mir rasch frische Sachen an und ging runter in die Küche.

Amy war noch immer nicht da. Gut möglich, dass sie bei Lionsgate übernachtete. Das machte sie oft. Sie schob Überstunden oder behandelte Vincent. Den ich dringend kontaktieren musste. Ich hatte ihm versprochen, ihn zu besuchen, aber dann war alles über mir zusammengebrochen. Hoffentlich war er nicht sauer.

Ich öffnete den Kühlschrank, wo mir Pizzareste vom Vortag und ein Bier entgegenlachten. Mit den Sachen ging ich ins Wohnzimmer und hockte mich auf die Couch. Während ich aß, zückte ich mein Handy und checkte meine Nachrichten. Ein kleiner Teil von mir hoffte darauf, dass ich was von Rose hörte, jetzt, da sie ein Handy besaßen, aber da war nichts. Sie hatte ja schon gesagt, dass sie vermutlich keinen Empfang hatten, wo sie wohnten.

Dafür hatte Bishop geschrieben, ob ich in Ordnung sei und die Soldaten eingetroffen wären, die er für mich abgestellt hatte. Vor meiner Dusche hatte ich zum Fenster rausgeschaut und zwei auf der Straße patrouillieren sehen. Ich antwortete ihm, dass alles gut sei und wir uns morgen treffen könnten, um zu reden. Dann rief ich den Chat mit meinem Bruder auf. Seine letzte Nachricht war vor fünf Stunden eingetrudelt. Er hatte gefragt, ob ich noch vorbeikäme.

Ich biss die Zähne aufeinander, rang das schlechte Gewissen nieder und teilte ihm mit, dass ich ihn gleich morgen früh besuchen würde. Es erschien nur ein Haken, als Zeichen, dass sie zwar gesendet, aber noch nicht zugestellt worden war. Vermutlich war sein Handy aus. Es war bereits zwei Uhr, das einzig Vernünftige, was man um die Tageszeit machen konnte, war schlafen.

Ich gähnte, mein Blick fiel auf den Schrank mir gegenüber. In einem der Regalfächer lag die Kamera, die Vincent mir geschenkt und die ich nach wie vor nicht angerührt hatte.

»Fotografierst du denn noch?«, hatte Rose mich gefragt, und ich hatte es verneint. Aber die Begegnung hallte in mir nach, und somit kehrte auch das leichte Kribbeln zurück, das ich früher immer gehabt hatte, wenn ich eine Kamera in der Hand hielt.

Ich legte die Pizza weg, stand auf und holte sie. Rasch schraubte ich eins der Objektive auf das Gehäuse und nahm den Deckel ab. Früher hätte ich jubiliert bei einem Equipment wie diesem, nun fühlte es sich so bedeutungslos an. Ich hob die Kamera an, blickte durch den Sucher und stellte das Bild scharf. Das war stets der beste Moment für mich gewesen. Die Welt nur durch dieses kleine Rechteck zu betrachten. Alles drumherum auszublenden und mich allein auf das zu fokussieren, was vor mir war.

Und heute?

War da keine Freude mehr, wenn ich daran dachte, den Auslöser zu betätigen. Da war einfach nichts.

Ich nahm die Kamera runter und schüttelte den Kopf.

»Das kommt sicher wieder. Oder du findest etwas anderes.«

Wollte ich denn etwas anderes finden? Ich hatte keine Ahnung, und vermutlich würde ich heute auch keine Antwort mehr darauf finden. Ich seufzte, legte die Kamera weg und ging zurück zur Couch. Dann nahm ich mir den Rest der Pizza, schaltete den Fernseher an und ließ eine Doku laufen, bis ich darüber einschlief.

Das Klingeln meines Handys riss mich aus dem Schlaf. Ich stöhnte, rollte zur Seite und tastete auf dem Tisch danach. Sonnenstrahlen kitzelten mich im Gesicht. Ich blinzelte gegen die Helligkeit an und merkte erst jetzt, dass ich auf der Couch übernachtet hatte – und es wohl früher Morgen war, denn draußen zwitscherten fröhlich die Vögel. Ich fand mein Telefon, hob es hoch und sah Bishops Namen auf dem Display aufleuchten. Es war sieben Uhr morgens.

»Hey, wir hatten keine Uhrzeit für unser Tref…«

»Schwing deinen Arsch sofort zu Lionsgate! Ruf die Seelenwächter auf dem Handy an oder öffne diese Phiole, die du bekommen hast. Mir scheißegal! Hauptsache, sie tauchen hier auf.«

Ich zuckte zusammen, denn normalerweise war Bishop immer die Gelassenheit in Person. Sofort war ich hellwach und setzte mich aufrecht hin. »Was ist passiert?«

»Die Firma wurde heute Nacht niedergebrannt! Von deiner Freundin.«

»Meiner was …?«

»Von Rose’ Zwilling!«

Ich hielt die Luft an und presste das Handy fester ans Ohr. »Was?!«

»Hab es auch eben erst erfahren. Die Feuerwehr ist vor Ort, genau wie die Bullen, die Presse. Hier ist die Hölle los.«

»Ich … Vincent!« Und Amy. Scheiße! War sie gestern noch heimgekommen?

Ich ließ das Handy sinken und sprang so schnell von der Couch, dass mir schwindelig wurde. Rasch eilte ich durchs Wohnzimmer in Richtung der Treppe und brüllte ihren Namen. Keine Antwort. Also drehte ich um und sah an der Garderobe nach, ob ihre Schuhe dastanden.

Nichts.

Mein Herz pochte schneller, ich fing an zu zittern und musste an meinen Bruder denken. An die Nachricht, die ich gestern geschrieben hatte, die aber nicht zugestellt werden konnte.

Fuck. Fuck. Fuck.

Sofort rauschten Horrorszenarien durch meinen Kopf, inklusive der Bilder von damals, als unsere Eltern getötet worden waren und ich meine halbe Familie verloren hatte. Vincent war der Einzige, der mir geblieben war. Er war ein Teil meiner Seele! Ihm durfte nichts passiert sein, ich …

Ich zwang mich zum Durchatmen und hielt das Handy wieder ans Ohr. Es rauschte in der Leitung. Bishop war noch dran.

»Weißt du …? Hast du eine Ahnung, was mit meinem Bruder ist? Er müsste noch dort sein, weil er behandelt wurde. Und Amy! Sie ist nicht heimgekommen.«

»Ich kann dir noch gar nichts sagen, Kumpel. Die Helfer bergen nach wie vor Leute aus den Trümmern. Wir brauchen dennoch die Seelenwächter.«

»Ich erledige das. Bin gleich da.« Ohne ein weiteres Wort legte ich auf, eilte die Treppe hoch, um mich anzuziehen und die Phiole vom Nachttisch zu holen, die Akil mir in die Hand gedrückt hatte. Ich entkorkte sie, ein feiner Nebelfilm stieg daraus empor und verflüchtigte sich. Dann nahm ich das Handy, schrieb Rose – oder eher Daniel –, dass sie herkommen mussten. Mein Herz pochte mir bis zum Hals und ich zitterte so stark, dass ich mich ein paarmal vertippte.

Die Firma war niedergebrannt worden. Heute Nacht. Von Rose’ Zwilling.

Wir hatten Leute bei mir abgestellt, damit sie auf mich aufpassten, und ich war gar nicht ihr Ziel gewesen.

Als ich fertig war, steckte ich das Handy ein, zog mir Schuhe an und verließ das Haus, wo ich mir den erstbesten Soldaten schnappte und ihm mitteilte, was passiert war.

Er reagierte sofort, gab die Info an seine Kollegen weiter und führte mich zu einem SUV, der am Straßenrand parkte.

Immer wieder sah ich auf mein Handy. Betrachtete die Nachricht, die ich heute Nacht meinem Bruder geschickt hatte. Es war nach wie vor nur ein Haken sichtbar. Sie war nicht zugestellt worden.

Genauso wenig wie die an Rose.

Ich schluckte die Panik und die Angst hinunter. Wenn meinem Bruder etwas zugestoßen war, würde ich das kein zweites Mal überleben.

3. Kapitel

Prue kehrte in den frühen Morgenstunden zurück nach Sirona. Zum Glück war es still, als sie im Tempel eintraf. Sie versorgte rasch ihren Parsumi und schlich sich, ohne jemandem zu begegnen, in ihr Zimmer. Erst als sie die Tür hinter sich schloss, gestattete sie sich, zu entspannen und durchzuatmen. Mit wild klopfendem Herzen lehnte sie sich gegen die Wand, rieb sich übers Gesicht und ließ die vergangenen Stunden Revue passieren. Die Erlebnisse bebten in ihr nach, sie konnte kaum fassen, was sie getan hatte. Sie hatte nicht nur einem ihrer Teammitglieder mithilfe von Federnstaub falsche Erinnerungen mitgegeben und somit einen absoluten Vertrauensbruch begangen, sie hatte auch einen Deal mit Claire ausgehandelt.

Liefer ihn mir aus. Dann ist deine Tochter versorgt.

Die Forderung war im Grunde simpel. Ein Mensch gegen einen anderen. Prue brauchte Jaydee nur an Claire zu übergeben, dann hätte Mel lebenslange medizinische Betreuung durch Lionsgate. Etwas, wofür Prue nicht mehr garantieren konnte, nachdem der Handel mit den Schattendämonenorganen aufgeflogen war.

Durch diesen Deal würde sie aber weiter für ihre Tochter sorgen können. Aus den Schatten heraus. Mel hätte alles, was sie brauchte, und Prue müsste nur damit leben, dass sie einen Menschen dafür geopfert hatte. Einen schuldigen Menschen, das musste sie sich immer wieder vorhalten. Jaydee bekam nur, was er verdiente. Er hatte so viele Unschuldige ermordet, nun gab er sein Leben für all das Leid, das er verursacht hatte.

War das nicht fair?

Sie schüttelte sich und ging in ihrem Zimmer auf und ab. Schlafen konnte sie auf keinen Fall, dafür war sie viel zu aufgeregt. Sie musste überlegen, wie sie am besten vorgehen sollte. Zuerst müsste sie Jaydee separieren. Sie zweifelte nicht daran, dass sie ihn überwältigen konnte. Er war nur ein Mensch ohne magische Fähigkeiten. Dann müsste sie dafür sorgen, dass ihn niemand vermisste. Vorläufig zumindest, denn auf Dauer würde das nicht geheim bleiben. Außerdem durfte kein Verdacht auf sie fallen. Prue musste es so geschickt anstellen, dass keiner den Zusammenhang zwischen ihr und seinem Verschwinden herstellen konnte. Das würde nicht leicht werden, aber es war nicht unmöglich. Wenn sie …

Es klopfte an ihrer Tür. Sie fuhr so hastig herum, dass sie dabei eine Vase von der Kommode fegte. Sie zerbrach auf dem Boden in tausend Einzelteile. Prue fluchte lautstark.

»Ist alles klar?«, fragte Kristjan und steckte den Kopf herein. Er sah auf die Scherben, dann auf sie.

»Ja.« Sie bückte sich und sammelte die Bruchstücke ein. Kristjan wollte helfen, aber sie hob die Hand und wiegelte ab.

»Bist du eben erst zurückgekommen?«

»Bin ich.«

Er musterte sie eindringlich, und für einen Moment hatte sie die Befürchtung, dass er sich doch an die Wahrheit erinnern könnte. Sie hatte ihm zwar jede Menge Federnstaub verpasst und die Suggestion mit Magie unterstützt, aber Kristjan war ein starker Erdwächter.

Er rieb sich über den Nacken und runzelte die Stirn. »Coralie und ich wollten zu Kjell aufbrechen, um uns den anderen anzuschließen. Kommst du mit?«

»Ich … Was?« Verwirrt blickte sie auf. Erst jetzt fiel ihr wieder ein, dass sie umziehen sollten, weil ihr Anwesen in Seattle noch unbewohnbar war und sie nicht so lange im Ratstempel bleiben konnten.

»Wir würden uns den anderen anschließen, langsam wieder in unseren Alltag finden.« Kristjan lehnte sich gegen den Türrahmen. Er wirkte lässig – oder grübelte er, wie er Prue am besten auflaufen lassen konnte? Versperrte er ihr gerade absichtlich die Tür, damit sie nicht fliehen konnte, wenn er sie gleich mit ihren Taten konfrontierte?

Ganz ruhig, mahnte sie sich selbst.

Noch war nichts verloren. Wenn sie einfach so tat, als wäre alles in Ordnung, konnte sie den Schein vielleicht wahren. Außerdem musste sie dafür sorgen, dass sie hierbleiben durfte. Auf keinen Fall konnte sie jetzt Sirona verlassen. »I-ich weiß nicht, ob ich mich bereit dazu fühle.«

»Wie meinst du das?«

»So, wie ich es sage. Bei Kjell wird es total überlaufen sein. Das Anwesen ist nicht groß genug für uns alle. Im Grunde tauschen wir das eine Übel gegen das andere.«

»Dafür können wir wieder rausgehen. Dämonen jagen, unsere Arbeit erledigen.«

»I-ich brauch einfach noch etwas Zeit, okay? Die ganze Situation setzt mir zu.« Vielleicht konnte sie so argumentieren. Mehr auf die Mitleidsschiene bauen. Das war nicht mal gelogen, denn im Moment kreiste alles in ihrem Leben um Mel und deren Sicherheit.

»Na großartig.« Kristjan klang frustriert. Bitter.

So eine Reaktion war ungewöhnlich. Eigentlich zeigte er immer Verständnis für das Leid anderer. Kristjan war ein hervorragender Seelenwächter, der stets sein Bestes gab.

Sie sammelte die letzten Scherben auf und fragte sich, ob er wohl gleich die Bombe platzen ließ. Ganz achtsam legte sie sie auf die Kommode und überlegte gleichzeitig, was sie tun würde, wenn sie aufflog. Bleiben konnte sie nicht. Sie müsste sich einen Weg hinausbahnen – und dann? Erst mal fliehen? Untertauchen? Weitermachen? »Hast du etwa ein Problem damit?«

Er öffnete den Mund, hielt inne und schüttelte dann den Kopf. »Weißt du was? Das ist nicht so wichtig. Mach du dein Ding.«

Prues Herz zog sich zusammen, weil er so noch nie mit ihr geredet hatte. Panik breitete sich weiter in ihr aus, und sie war kurz davor, ihm eine der Scherben in den Hals zu rammen und das Überraschungsmoment zu nutzen, um abzuhauen.

Aber sie hielt inne. Atmete. Wartete.

Ein Teil von ihr war neugierig, warum Kristjan sich gerade so verhielt. »Spuck ruhig aus, was du zu sagen hast. Du schaust nämlich so, als wärst du angepisst.«

Er kniff die Lippen zu einem festen Strich zusammen, sein bohrender Blick traf sie mitten in die Seele. »Ich bin mir nicht sicher, ob du wirklich nur deine Ruhe brauchst oder bleiben magst, weil Rose auch noch hier ist.«

Sie hielt die Luft an. Eine Woge der Erleichterung flutete sie, denn das hieß, dass er ihr doch nicht auf die Schliche gekommen war. Der Wind wehte aus einer völlig anderen Richtung. Aber das war gut. Damit konnte sie viel besser umgehen als mit der Wahrheit dessen, was gestern zwischen ihr und Kristjan passiert war.

»Was sollte das mit ihr zu tun haben?«

»Ich weiß nicht, schließlich schießt du ständig gegen sie. Vielleicht suchst du die nächste Chance, sie zu drangsalieren.«

»Bitte was?« Sie runzelte die Stirn und bemühte sich um einen möglichst schockierten Gesichtsausdruck. »Seit wann interessiert dich denn, wie ich sie behandle? Darf ich dich dran erinnern, dass du sie vor ein paar Wochen ebenfalls noch furchtbar fandest?«

»Das weiß ich sehr wohl, und ganz ehrlich frag ich mich, ob ich vorschnell geurteilt hab. Sie gibt sich echt Mühe.«

Was für eine gequirlte Scheiße gab er denn von sich? Ganz sicher hatte sie mit ihrer Suggestion auch einige seiner Hirnzellen zerstört, anders konnte sie sich seinen Sinneswandel nicht erklären. Rose war für dieses Chaos verantwortlich! Sie hatte nicht nur diesen Berserkerzwilling erschaffen, sondern auch den Kontakt mit Lionsgate intensiviert. Wäre sie nicht gewesen, wäre ihr Serumhandel vermutlich gar nicht aufgeflogen und Prue bräuchte sich nun nicht zu überlegen, wie sie Jaydee am besten auslieferte. »Das ist hoffentlich nicht dein Ernst.«

»Doch. Hab schon mit Coralie drüber geredet. Sie sieht es ähnlich.«

»Jetzt auf einmal? Sie hat sich vor ein paar Tagen vor Rose gestellt und sie beschuldigt, Tamira getötet zu haben.«

»Da war sie nicht sie selbst. Der Schmerz über den Verlust war zu groß, aber es tut ihr auch leid. Glaub, diese letzten Tage hier haben in uns etwas wachgerüttelt.«

»Ach, und in dieser Realität seid ihr und Rose jetzt beste Freunde, oder was?«

»Nein, aber ich hab auch keinen Bock mehr, ständig auf ihr herumzuhacken. Das führt doch zu nichts. Wir entzweien uns alle voneinander, statt gemeinsam gegen die Gefahr zu kämpfen.«

»Na toll.« Langsam stieg ihr dieses Gespräch zu Kopf. Sie hatte weder Zeit noch Energie, sich mit ihm zu streiten.

»Willst du das eigentlich für immer beibehalten? Jeden Tag diesen Groll in dir tragen? Immer nur das Negative sehen?«

»Ich sehe doch nicht alles nur negativ!«

»Wir kämpfen seit fünf Jahren in einem Team, und ich kann an einer Hand abzählen, wie oft du etwas Positives über deinen Tag erzählt hast.«

»Das stimmt überhaupt nicht!« Oder doch? Prues Gedanken waren nun mal immer beim Organhandel gewesen. Wie und wo sie die nächsten Lieferungen bekam, ob Mel das Serum vertrug und ob sie niemand erwischte. Es war nicht leicht gewesen, und Prue hatte viel Energie dafür gebraucht.

»Manchmal wünschte ich mir …« Er schloss die Augen, rang sichtlich um seine nächsten Worte. Statt sie auszusprechen, drückte er sich vom Türrahmen ab und wollte sich abwenden, aber sie trat zu ihm und packte ihn am Arm.

»Was wünschst du dir?«

Er verzog das Gesicht, und da lagen nichts als Trauer und Erschöpfung in seiner Miene. Prue hielt die Luft an, weil sein Ausdruck tatsächlich etwas mit ihr machte. Sie konnte es nicht genau benennen, aber in ihr zog und drückte es unangenehm.

»Tamiras Tod … unser zerstörtes Anwesen. All diese Kämpfe … ich bin so … mürbe.« Kristjan rieb sich über die Augen. »Keine Ahnung. Ich fühl mich einfach merkwürdig, seit wir zurück von unseren Ausflügen sind. Außerdem hab ich generell das Gefühl, als wärst du manchmal lieber allein statt in einem Team. Du bist zwar anwesend und kämpfst mit uns, aber das ist nicht dabei.« Er tippte auf ihr Herz.