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Soll ich? Soll ich nicht? – Wie oft tun wir uns schwer damit, einen Entschluss zu fassen. Wir wälzen stundenlang das Für und Wider. Die Folgen wollen bedacht sein. Am Ende sind wir wie gelähmt. Shaolin-Mönche müssen jederzeit in der Lage sein, blitzschnell zu entscheiden. Bei ihnen geht es immerhin um Leben und Tod. Doch es ist ihr Denken, das sie unbesiegbar macht – und ihre Entschlusskraft. Bernhard Moestl hat das Prinzip der Mönche analysiert und zeigt uns, wie wir es auf unseren Alltag übertragen können. Denn jeder von uns verfügt über die Fähigkeit, gute Entscheidungen zu treffen. In nur sieben Atemzügen können wir auf diese inneren Ressourcen zugreifen, Beeinflussung ignorieren, über die Folgen bestimmen – und selbst entscheiden, bevor es andere für uns tun.
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Seitenzahl: 191
Bernhard Moestl
Das Shaolin-Prinzip
Die Kraft in dir verändert alles.Mit der Klarheit des Denkens richtige Entscheidungen treffen und umsetzen
Knaur e-books
Große und kleine Veränderungen im Leben werden gleichermaßen durch richtige, falsche und vermiedene Entscheidungen herbeigeführt. Wie man diese Entscheidungen nachhaltig trifft, und dabei auf seine inneren Ressourcen zurückgreift, das lehren die Shaolin-Mönche, deren Entscheidungen im Kampf über Leben und Tod bestimmten. Ihr Vorbild weist den Weg zur Kontrolle über das eigene Leben und den Umgang mit den eigenen Entscheidungen und ihren Konsequenzen.
Für Alexander,
der mich gelehrt hat, immer besser zu werden
Ein altes Sprichwort lautet:»Denke scharf nach und entscheide innerhalb von sieben Atemzügen.«
(aus dem Hagakure)
Ein verwirrter Geist führt zu keiner klaren Entscheidung. Ein Mann ohne nagende Zweifel, von frischem und hohem Geist, kann innerhalb von sieben Atemzügen zu einer Entscheidung kommen. Geistesgegenwärtig muss man entschlossen eine Entscheidung treffen.
(aus dem Hagakure)
Herzlich willkommen. Schön, dass Sie da sind. Schön auch, dass Sie in die Welt von Shaolin reisen möchten, um mit mir über das Thema »Entscheiden« nachzudenken. Schließlich stehen die Mönche dieses chinesischen Klosters wie nur wenige andere Menschen für die Fähigkeit, in Sekundenschnelle die richtigen Entscheidungen zu treffen – was nicht weiter verwunderlich ist, da man sich dort seit über 1500 Jahren mit dem Phänomen des Kampfes beschäftigt. Schließlich bedeutete eine einzige falsche Entscheidung für einen Kämpfer im schlimmsten Fall den Tod. Das eigentliche Ziel der Shaolin-Mönche war allerdings nie der Kampf, sondern vielmehr suchten sie, mittels der richtigen Entscheidungen den Kampf zu vermeiden. Weiß man dies, wird erst recht deutlich, was es von ihnen zu lernen gilt.
Auch das Wort »ent-scheiden« selbst hat vermutlich seine Wurzeln im Bereich des Kampfes. Wer das Schwert aus der Scheide zog, zeigte dem Gegner, dass er zum Kampf entschlossen war, und forderte ihn mit dieser Geste auf, die Herausforderung anzunehmen.
Mögen sich die Zeiten geändert haben und mag der Kampf auf eine andere Ebene verlagert worden sein: Entscheidungen verändern auch heute noch unser Leben. Und häufig fällen wir sie gerade aus diesem Grund.
Warum aber fällt es uns dann oft schon schwer, eine eigentlich kleine Entscheidung zu treffen?
Nun, ob Sie beim Lotto einmal sechs richtige Zahlen ankreuzen oder Ihr gesamtes Geld auf eine Bank tragen, die nachher pleitegeht: In beiden Fällen haben vermeintlich kleine Entscheidungen erstaunlich große Auswirkungen. Ich denke, dass es genau diese scheinbar unkontrollierbare Kraft ist, die so vielen Menschen Angst vor einer Entscheidung macht. Dann suchen sie Zuflucht bei der beliebten »Kopf-in-den-Sand«-Taktik und zögern die nötigen Entschlüsse so lange hinaus, bis die Sache vermeintlich ausgesessen ist – eine Haltung, die nur Nachteile bringt, wie Sie im Verlauf des Buches sehen werden.
Dass wir uns schwertun, liegt aber auch daran, dass die meisten von uns gar nicht gelernt haben, Entscheidungen zu treffen. Ob Lehrer, Chef oder der ominöse Gesetzgeber, es war und ist fast immer jemand da, der entweder unsere Wahlmöglichkeiten einschränkt oder uns die Entscheidung gleich ganz abnimmt. Wen interessiert es da noch, dass am Ende wir alleine die Verantwortung für unser Handeln tragen?
Immer öfter müssen wir überhaupt keine Entscheidung mehr treffen, sondern nur noch aus vorgegebenen Optionen wählen. Internetsuchmaschinen filtern und zensieren für uns, doch das vergessen wir gerne. Was diese nicht finden, existiert dann aber eben einfach nicht. Das war sowieso unwichtig für mich, reden wir uns heraus. Wer denkt heute noch selber, frage ich Sie? Statt Entscheidungen treffen wir nur eine Wahl. Und dieses bequeme Verhalten nutzt allein jenen, die bereit sind zu handeln und zu entscheiden. Diese Menschen bestimmen auch über Ihr Denken und damit über Ihr Leben, weil Sie selbst ihnen die Macht dazu geben. Sie schütteln den Kopf? Bedenken Sie einmal, welchen Unterschied es macht, ob etwas erlaubt ist oder nicht. Einen großen, oder? Die freie Wahl zu handeln, wie Sie möchten, haben Sie da nicht mehr, schließlich hat bereits ein anderer die Möglichkeiten eingeschränkt und eine erste Vorentscheidung für Sie getroffen. Warum aber überlassen Sie so etwas Wichtiges fremden Menschen? Ganz offensichtlich verfügen wir doch alle über die unglaublich wertvolle Fähigkeit, auch ohne fremde Hilfe gute und richtige Entscheidungen zu treffen. Andernfalls hätten wir Menschen es in einer so feindseligen Umwelt wohl nicht bis in die heutige Zeit geschafft.
Dass wir über eine Fähigkeit verfügen, heißt aber noch lange nicht, dass wir diese auch nutzen.
Auch Ihre Entscheidungsfreude will – wie so vieles andere auch – gepflegt und trainiert sein. Zuerst aber sollten Sie verstehen, worin eigentlich das Wesen der Entscheidung besteht. Machen Sie sich die Abläufe einmal bewusst, die sich bei jeder Entscheidung in Ihrem Kopf abspielen. Kennen Sie die einzelnen Schritte? Meist sind sie so weit automatisiert, dass wir sie gar nicht wahrnehmen. Was aber taugt als Grundlage für eine gute Entscheidung? Wann und wo versucht jemand anders, Ihnen eine Entscheidung »unterzuschieben«? Es ist wichtig und wertvoll, sich genau das einmal zu fragen. Doch auch dazu müssen Sie sich ganz bewusst entscheiden.
Eine Entscheidung alleine, sei sie auch noch so sorgfältig abgewogen und mit äußerster Achtsamkeit getroffen, bewirkt aber noch keine Veränderung. Vielmehr verlangt Ihnen jede Entscheidung die Bereitschaft ab, den eingeschlagenen Weg auch zu beschreiten. Im 14. Jahrhundert beschrieb der japanische Bogenschütze Yoshida Kenko einen Mann, der das Bogenschießen erlernte. Dieser Mann stellte sich mit zwei Pfeilen vor der Zielscheibe auf. Doch sein Lehrer rügte ihn: »Anfänger dürfen nie über zwei Pfeile auf einmal verfügen; sie verlassen sich sonst auf den zweiten und gehen sorglos mit dem ersten um. Sie sollten lieber davon überzeugt sein, dass die ganze Entscheidung von dem einen Pfeil abhängt, den sie gerade aufgelegt haben.« Mit anderen Worten:
Entscheiden hat nichts mit Ausprobieren zu tun.
Und genau das möchte ich Ihnen bewusstmachen.
Immer wieder werde ich gefragt, ob nicht jeder Mensch ein Individuum sei und ob man überhaupt von einem auf die anderen schließen könne. Darf man verallgemeinern? Natürlich ist jeder Mensch ein Einzelwesen. Aber in seinen Entscheidungen ist er weitgehend berechenbar. Andernfalls gäbe es keine Werbung, keine vorprogrammierten Bestseller und auch keine Diktaturen. Ist es nicht vielmehr so, dass ein jeder von uns meist nur denkt, er könne frei entscheiden? Wer macht sich schon die Mühe, die Gründe für einen Entschluss zu hinterfragen?
Ein ganz einfaches Beispiel: Wenn Sie einem lieben Freund einen Wein mitbringen wollen und beim Händler drei Flaschen sehen, die um 13, 19 und 28 Euro kosten. Für welche entscheiden Sie sich? Sollte es zufällig der Wein im mittleren Preissegment sein, dann wissen Sie jetzt, warum es in jedem besseren Lokal immer einige Vorspeisen gibt, die teurer sind als die meisten Hauptgerichte. Menschen lieben nun einmal das Gefühl, frei wählen zu können. Wer die Wahl hat, hat aber auch die Qual. Und darum geht es mir in diesem Buch: Ich möchte Ihnen einen Weg zeigen, gute Entscheidungen zu treffen, ohne dass Sie sich damit quälen.
Das vorliegende Buch ist in sieben eigenständige Kapitel gegliedert, die jeweils einen der sieben Atemzüge symbolisieren, innerhalb derer man nach Ansicht der Samurai zu einer Entscheidung gelangen sollte. Der Weg der Samurai, wie er im Ehrenkodex Hagakure festgelegt ist, verdeutlicht, worauf es auch den Mönchen in Shaolin immer angekommen ist:
Treffen Sie Ihre Entscheidung in wenigen Momenten.
Mehr Zeit braucht man nicht? Nein. Stellen Sie Vorüberlegungen an, wägen Sie alle ab. Aber lassen Sie sich, wenn der Zeitpunkt der Entscheidung gekommen ist, nicht von ihr blockieren. Beenden Sie diesen Prozess innerhalb von sieben Atemzügen. Zugegeben: Ich habe die Überschriften der Kapitel ganz bewusst plakativ formuliert.
Verstehen Sie die Überschriften aber nicht als Regeln, sondern vielmehr als Anregung, sich mit Ihrer ganz persönlichen Entscheidungsfindung auseinanderzusetzen.
Im Laufe des Buchs werde ich Sie immer wieder auffordern, sich vor dem Weiterlesen Zeit für die Beantwortung einiger Fragen zu nehmen. Bitte tun Sie das an der entsprechenden Stelle. Sie bringen sich andernfalls um den einen oder anderen Überraschungseffekt und um die Möglichkeit, Ihr eigenes Entscheidungsverhalten wertungsfrei gespiegelt zu bekommen. Beantworten Sie die Fragen und auch die Übungen am Ende jedes Kapitels daher bitte ehrlich. Weder ich noch irgendwer anders wird jemals Ihre Antworten erfahren. Sie können Ihre Antworten auch gerne in einem kleinen Büchlein notieren. So können Sie später sehen, wie die Auseinandersetzung mit dem Thema »Entscheidungen« Ihren Zugang und Ihre Denkweise verändert.
Konkrete Beispiele werden Ihnen helfen, die wichtigsten Sachverhalte zu verstehen. Vielleicht bemerken Sie, dass ich mich zuweilen bewusst für recht dramatische Fälle entschieden habe, doch es ist mir wichtig, Ihnen die gesamte Tragweite einer Entscheidung vor Augen zu führen. Alles hat sich genau so ereignet, wie ich es beschrieben habe, und es könnte sich in der nächsten Stunde auch so wiederholen.
Wer gute Entscheidungen treffen möchte, muss bereit sein, alle möglichen Folgen in Betracht zu ziehen, und sollte dabei nicht jene ausblenden, die ihm gerade nicht gefallen.
Bleibt mir noch, Sie bereits an dieser Stelle auf einen wichtigen Umstand aufmerksam zu machen: Sie selbst sollten Ihr eigenes Leben nach Ihren Vorstellungen gestalten. Doch Sie sind nicht alleine auf dieser Welt. Und jede Entscheidung wird Folgen haben und Ihnen vielleicht sogar weitere Entscheidungen abnötigen. Und wer eine Entscheidung trifft, trägt auch die Verantwortung für diese. Gehen Sie daher bitte sorgsam mit den Werkzeugen um, die ich Ihnen in der Folge an die Hand gebe.
»Der Weg zum Ziel«, so schreibt Dante Alighieri, »beginnt an dem Tag, an dem du die hundertprozentige Verantwortung für dein Tun übernimmst.« Darauf möchte ich Sie gerne vorbereiten. Sieben Atemzüge lang wird unsere Reise dauern. Sie wird zu vermeintlich bekannten Orten führen, an denen Sie – vielleicht mit Erstaunen – viel Neues entdecken werden. Ich freue mich auf diese gemeinsame Zeit. Lassen Sie uns gehen.
Zufall ist ein Wort ohne Sinn. Nichts kann ohne Ursache existieren.
(Voltaire)
Den Hieb, gleich welcher Art, führt man mit voller Entschlossenheit und in der Absicht, zu einer Entscheidung zu kommen. Der Streich hingegen ist nur wie ein zufälliges Treffen des Gegners.
(Miyamoto Musashi)
Eigentlich, so könnte man meinen, kann Entscheiden doch gar nicht so schwierig sein.
Schließlich tun wir es jeden Tag zigtausendmal, und zwar ganz selbstverständlich und ohne großes Nachdenken. Vielmehr noch erscheinen uns die meisten Entscheidungen, die wir im Laufe eines Tages fällen, sogar als so unbedeutend, dass wir sie treffen, umsetzen und schon vergessen haben, bevor sie überhaupt in unser Bewusstsein gelangen konnten. So wissen Sie zum Beispiel mit ziemlicher Sicherheit nicht mehr, warum Sie heute früh mit welchem Fuß zuerst aufgestanden sind, oder? Genauso wenig ist Ihnen wahrscheinlich klar, weshalb Sie genau zu welchem Zeitpunkt das Zähneputzen beendet haben oder wann genau Sie beschlossen haben, dieses Buch so in der Hand zu halten, wie Sie es gerade tun. Oder warum Sie auf die letzte Provokation eingestiegen sind, aus der dann völlig unnötig eine richtig unangenehme Auseinandersetzung geworden ist. Entschieden aber haben Sie das alles. Wenn auch mit großer Wahrscheinlichkeit nicht bewusst.
In Shaolin erzählt man sich, dass ein Mönch nach zehn Jahren Lehrzeit den Rang eines Zen-Lehrers erreichte. An einem regnerischen Tag ging er einen berühmten Zen-Meister besuchen. Als er eintrat, begrüßte ihn der Meister mit folgender Frage: »Hast du deine Holzschuhe und den Schirm auf der Veranda stehen gelassen?« »Ja, Meister«, antwortete der Mönch. »Dann sage mir«, fuhr der Meister fort, »hast du den Schirm links oder rechts von deinen Schuhen abgestellt?« Der Mönch wusste die Antwort nicht und erkannte, dass er noch nicht das wahre Bewusstsein für wirklich jeden Augenblick erreicht hatte. Er wurde ein Schüler des Meisters und studierte noch weitere zehn Jahre bei ihm.
So geht es aber Tag für Tag.
Wir fällen Entscheidung um Entscheidung, aber unser Bewusstsein erfährt nichts davon, und folglich finden wir keine dieser Entscheidungen auch nur im mindesten schwierig.
Warum auch? Schließlich haben diese unbewusst getroffenen Entscheidungen vermeintlich keine weltbewegenden Konsequenzen. Zumindest erkennen wir selbst die schlimmsten Auswirkungen unbewusster Entscheidungen nur in den allerseltensten Fällen als das, was sie sind, nämlich eine Folge unserer ursprünglichen Entscheidung. Meistens sind »die anderen« schuld, hat es »das Schicksal« nicht gut mit uns gemeint, oder es sind unvorhersehbare Umstände eingetreten. Nennen Sie es, wie Sie wollen. Die Hauptsache ist doch, Sie haben sich ursprünglich richtig entschieden. Oft heißt es dann, jemand wäre leider zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Was zwar durchaus so sein mag, aber nichts daran ändert, dass dieser Jemand ganz alleine entschieden hat, genau zu diesem Zeitpunkt an ebendiesem Ort zu sein.
Natürlich ist diese weitverbreitete Denkweise bequem. Wir sagen uns einfach: Wofür wir nichts können, dafür sind wir auch nicht verantwortlich. Wir haben bestmöglich entschieden, und was nicht sein soll, das soll eben nicht sein. Wer aber so denkt, nimmt sich eine riesige Chance: die Möglichkeit, zu erkennen, welche Tragweite eine Entscheidung tatsächlich hat.
Stellen Sie sich jetzt einen Kämpfer vor, der so denkt. Der Glaube, immer richtig zu entscheiden, würde ihm ein falsches Gefühl der Sicherheit vermitteln, das ihn wohl sehr bald in Lebensgefahr brächte. Sie sind kein Krieger, ich weiß. Aber selbst erfolgreiche Skirennläufer analysieren nach jedem Lauf ihre Fahrt und versuchen festzustellen, wo genau sie die entscheidenden Hundertstelsekunden verloren haben könnten. Zwar weniger, um es das nächste Mal besser zu machen. Die Situation wird wohl nie wieder die gleiche sein. Aber weil es ihnen hilft, ihre Entscheidungsfähigkeit zu überprüfen und zu verbessern.
Auch wenn es uns so scheinen mag, ist die Tatsache, dass wir Entscheidungen treffen können, aber auch müssen, um den Verlauf der Dinge zu beeinflussen, nicht selbstverständlich. Ich denke, man hätte das Ganze durchaus geradliniger gestalten können. Tatsächlich gehen ja noch heute die Anhänger mancher Glaubensrichtungen davon aus, dass es so etwas wie ein unbeeinflussbares Schicksal gibt. Alles, so meinen sie, passiert, weil es eben so passieren muss. Ungeachtet dessen, wie wir uns entscheiden. Es mag sein, dass jene, die diese Ansicht vertreten, sogar recht haben. Aber dann wären unsere Überlegungen an dieser Stelle zu Ende. Lassen Sie uns also weiterdenken.
Für mich sind Entscheidungen eines der mächtigsten Werkzeuge der Natur.
Die Natur sehe ich als ein großes Selbstlernsystem, das ständig auf Suche nach Verbesserung und Perfektion ist. Hier sind möglichst tödliche Entscheidungen nun einmal das ideale Mittel, um zu trennen, was sich bewährt und was nicht.
Das erklärt ganz nebenbei auch die sonst vermeintlich nutzlose Emotion der Aggression. Schließlich führt gerade diese oft zu einem Kampf, aus dem üblicherweise ein Teilnehmer als Sieger und ein anderer als Verlierer hervorgeht. In der Tierwelt wird so der Posten des »Herdenchefs« erobert oder ein höherer Rang in der Hierarchie – und, damit verbunden, die Möglichkeit, die eigenen Gene weiterzugeben. Es vermehrt sich also nur, wer sich im Kampf bewährt. Der Verlierer hingegen, so die einfache Logik, scheidet aus.
In der Praxis sieht das dann so aus, dass zwei Tiere, die sich nie zuvor begegnet sind, plötzlich mit tödlicher Aggression aufeinander losgehen und einen Kampf auf Leben und Tod führen. Ist die Entscheidung aber einmal herbeigeführt, geht der Sieger vom Platz, als sei nichts gewesen. Ohne Hass, ohne Zorn, ohne eine Emotion. Bereit für den nächsten Kampf.
Wir sind aber keine Tiere, mögen Sie jetzt denken. Mag sein. Nichtsdestotrotz verhalten wir uns wie solche. Und zwar genau so, wie die Natur es vorgesehen hat. Oder sollen wir es wirklich auf uns sitzen lassen, dass der Typ da drüben gerade über die Farbe unseres neuen Autos lästert? Ich meine, was ist mit ihm? Soll er sich doch erst einmal selbst so ein Auto leisten können! Und los geht es. Obwohl es das eigentlich gar nicht müsste.
Wir haben nämlich durchaus die Möglichkeit, uns bewusst für oder gegen einen Kampf zu entscheiden. Wir müssen also nur dann handeln, wenn tatsächlich Handlungsbedarf besteht. Und nicht, weil Zorn, Hass oder Angst es uns einreden wollen.
Niemand, außer uns selbst, kann uns zwingen, sehenden Auges in den Untergang zu gehen oder uns auf einen aussichtslosen Kampf einzulassen.
Die Fähigkeit, diesen Unterschied zu erkennen, ist uns zwar angeboren, doch bei vielen Menschen verschüttet und muss daher trainiert werden.
Viel zu selten machen wir uns klar, dass wir gleichsam automatisch in einen Kampf hineingezogen werden, solange wir nicht bereit sind, uns bewusst dagegen zu entscheiden.
Wohl an wenigen Orten der Welt war und ist man so sehr auf diese Erkenntnis angewiesen wie in Shaolin. Hier lebten in den besten Zeiten über 1500 Menschen auf engstem Raum zusammen, von denen jeder einzelne das kämpferische Können hatte, innerhalb von Sekunden eine gesamte Zimmerbelegschaft zu töten. Ohne Waffen, mit bloßen Händen. Stellen Sie sich jetzt einmal vor, sie alle hätten sich gezwungen gesehen, auf die kleinste Provokation zu reagieren! Die Mönche hätten sich innerhalb kürzester Zeit selbst ausgerottet und ihr Wissen mit ins Grab genommen. Doch Zorn, so weiß man in Shaolin seit langem, ist immer schädlicher als die Beleidigung, die ihn hervorrief. Und daher entschieden sich die Mönche, wo immer es möglich war, bewusst gegen den Kampf.
So erzählt man sich im Kloster, dass eines Tages zwei Männer über den Wind sprachen. »Oh«, meinte der eine, »der Wind um Mitternacht ist immer so kalt.« – »Sei doch nicht so einfältig!«, warf der andere ein. »Es ist doch vielmehr der Wind der Morgendämmerung, der uns so frieren lässt!« Diese Bemerkungen ließen die beiden in einen heftigen Streit darüber geraten, welcher Wind der kältere sei. Da sie zu keiner Einigung kamen, entschlossen sie sich, einen Mönch zu fragen, der gerade des Weges kam. »Wenn dir dein Leben etwas wert ist«, sagte der eine mit grimmiger Miene, »dann sage uns, was kälter ist: der Wind um Mitternacht oder der Wind, der am Morgen bläst?« – »Ihr habt beide unrecht«, antwortete der Mönch, »denn beide Winde sind gleich kalt.« Die beiden begannen, sehr finster zu schauen, und drohten dem Mönch mit der Faust. Da sagte dieser: »Ihr habt beide recht. Denn beide Winde sind gleich kalt.« Daraufhin lächelten die beiden Männer, rühmten ihn als weisen Richter, gaben ihm zwei große Töpfe voll Gold und gingen zufrieden ihrer Wege.
Was aber, so werde ich oft gefragt, taten die Mönche, wenn es unmöglich war, einem Kampf aus dem Weg zu gehen, weil der Gegner sich hartnäckig dafür entschieden hatte? Dann lernte dieser das Wort »Entscheidungsfreude« neu kennen. Genau das erlebte der 13-jährige Yoshioka Matashichîro, der sich eines Tages entschloss, den Ronin Miyamoto Musashi zum Kampf herauszufordern. Er war fest entschlossen, Musashi zu töten. Musashi, der schon in jungen Jahren als einer der besten Schwertkämpfer seiner Zeit galt, hatte kurz zuvor den Vater des Jungen mit seinem Holzschwert besiegt, obwohl dieser mit einem echten Schwert bewaffnet gewesen war. In einem unerwarteten, wütenden Angriff hatte Musashi ihn niedergestreckt und dann noch weiter auf den am Boden Liegenden eingeprügelt. So befremdlich uns das heute erscheinen mag, im Japan des ausgehenden 16. Jahrhunderts war das durchaus nicht ungewöhnlich. Vielmehr ermöglichten es diese Kämpfe den Ronin, die als eine Art freiberufliche Kämpfer auf Aufträge fremder Fürsten angewiesen waren, ihre Fähigkeiten zur Schau zu stellen. Am Tag des Kampfes mit dem Knaben traf Musashi lange vor der verabredeten Zeit am Treffpunkt ein und wartete in einem Versteck auf seinen Gegner. Der Knabe kam formell als Samurai gekleidet in seiner Rüstung und wurde von einer Gruppe gutbewaffneter Gefolgsleute begleitet. Musashi verharrte im Schatten verborgen, und als seine Gegner schon glaubten, er habe sich einfach aus dem Staub gemacht und die Stadt verlassen, da tauchte er plötzlich mitten unter ihnen auf und schlug den Jungen nieder. Dann zog er beide Schwerter, bahnte sich einen Weg durch die Gefolgschaft des Knaben und entfloh.
Was auch die Mönche von Shaolin so siegreich machte, war die Tatsache, dass sie niemals drohten. Wann immer sie sich entschlossen hatten, eine Entscheidung herbeizuführen, taten sie das bis zur letzten Konsequenz. Der Ruf, der ihnen vorauseilte, hatte bald so eine bemerkenswerte Überzeugungskraft, dass sie nicht mehr kämpfen mussten.
Auch wenn in unserer Kultur der Schwert- und der Faustkampf gleichsam historisch anmuten, gelten die Regeln bis heute. Sobald Sie nämlich akzeptieren, dass der Zweck jedes Kampfes letztlich das Herbeiführen einer Entscheidung ist, können Sie viele Kämpfe vermeiden.
Führen Sie entschlossen eine anstehende Entscheidung herbei, bevor Emotionen Ihren Gegner stark machen. Dann ist der Kampf beendet, noch ehe er begonnen hat.
Warum gibt es Entscheidungen, die uns Tage, Wochen oder sogar Monate lang quälen? Wohin verschwindet in diesen Fällen die sonst empfundene Leichtigkeit? Und warum kauen wir manchmal auf einer längst getroffenen Entscheidung herum? Weshalb versuchen wir uns eigentlich ständig davon zu überzeugen, dass unser Entschluss, wenn schon nicht der einzig richtige, so zumindest der einzig mögliche war? Und vor allem: Woher kommt dieses Zögern? Ich meine, es kommt daher, dass wir gelernt haben, dass es verschiedene Arten von Entscheidungen gibt: einfache und schwierige.
Auf der einen Seite, so denken Sie wahrscheinlich, sind da die beiläufigen, bequemen Entscheidungen, die man ohne großes Nachdenken treffen kann. Zumindest vermeintlich haben sie ohnehin keine weitreichenden Auswirkungen. Und dann sind da die schwierigen Entschlüsse von großer Tragweite. Dass man sich für solche Entscheidungen mehr Zeit nimmt, sollte sich doch wohl von selbst verstehen, oder?
Sie stimmen also sicher mit mir darin überein, dass es bei der Gewichtung einer Entscheidung darauf ankommt, wie groß ihre möglichen Auswirkungen auf Ihr Leben wären.
Je schwerwiegender mögliche Konsequenzen, so meinen Sie, desto schwieriger und bedenkenswerter ist die Entscheidung und umgekehrt.
Klingt so weit nachvollziehbar.