Das Sternbild des Alchemisten - Katja Segin - E-Book

Das Sternbild des Alchemisten E-Book

Katja Segin

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Beschreibung

Diebin Leia soll in eine unheimliche Villa eindringen und ganz bestimmte Unterlagen wiederbeschaffen. Zunächst ein Auftrag wie jeder andere. Doch dann findet sie in einem versteckten Raum ein mysteriöses Gemälde aus dem achtzehnten Jahrhundert. Und darauf ist der Hausherr selbst abgebildet, wie sie verstört feststellt, als dieser sie um ein Haar schnappt. Wie ist es möglich, dass er um kein Jahr gealtert ist? Beim Sichten der Beute entdeckt Leia ein uraltes Tagebuch, das Licht ins Dunkel bringen könnte. Es stammt vom Grafen de Saint Germain, ein bekannter Alchemist, der das Geheimnis der ewigen Jugend ergründet haben soll. Leias Neugierde ist geweckt, denn dieses Geheimnis könnte ihr dabei helfen, die Krankheit aufzuhalten, die ihren Körper in naher Zukunft zu zerstören droht. Kurzerhand behält sie das Tagebuch und wird dadurch zur Gejagten. Denn die Sache, in die sie da hineingeraten ist, ist viel bedeutsamer, als sie es sich jemals hätte vorstellen können – und wird nicht nur ihr Können auf die Probe stellen, sondern auch alles, woran sie je geglaubt hat.

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Informationen zum Buch

Impressum

Widmung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Epilog

Dank

 

Katja Segin

 

 

Das Sternbild des Alchemisten

 

 

 

Fantasy

 

Das Sternbild des Alchemisten

Diebin Leia soll in eine unheimliche Villa eindringen und ganz bestimmte Unterlagen wiederbeschaffen. Zunächst ein Auftrag wie jeder andere. Doch dann findet sie in einem versteckten Raum ein mysteriöses Gemälde aus dem achtzehnten Jahrhundert. Und darauf ist der Hausherr selbst abgebildet, wie sie verstört feststellt, als dieser sie um ein Haar schnappt. Wie ist es möglich, dass er um kein Jahr gealtert ist? Beim Sichten der Beute entdeckt Leia ein uraltes Tagebuch, das Licht ins Dunkel bringen könnte. Es stammt vom Grafen de Saint Germain, ein bekannter Alchemist, der das Geheimnis der ewigen Jugend ergründet haben soll. Leias Neugierde ist geweckt, denn dieses Geheimnis könnte ihr dabei helfen, die Krankheit aufzuhalten, die ihren Körper in naher Zukunft zu zerstören droht. Kurzerhand behält sie das Tagebuch und wird dadurch zur Gejagten. Denn die Sache, in die sie da hineingeraten ist, ist viel bedeutsamer, als sie es sich jemals hätte vorstellen können – und wird nicht nur ihr Können auf die Probe stellen, sondern auch alles, woran sie je geglaubt hat.

 

 

Die Autorin

Katja Segin, Jahrgang 1980, liebt Geheimnisse aller Art. Besonders gern verfasst sie deswegen geheimnisvoll-dramatische Fantasy- und Familiengeschichten mit einem historischen Hintergrund. Dafür durchforstet sie regelmäßig Geschichtsbücher und alte Fotoalben und sucht nach Inspiration.

Privat lebt sie ganz ohne Drama mit ihrem Mann und zwei Schildkröten in der Altstadt von Paderborn.

www.sternensand-verlag.ch

[email protected]

 

1. Auflage, April 2024

© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2024

Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski

Lektorat: Lektorat Laaksonen | Stefan Wilhelms

Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH

Satz: Sternensand Verlag GmbH

 

 

ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-309-7

ISBN (epub): 978-3-03896-310-3

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

Für Toni.

Hab deinen Namen geklaut, weil du ihn nicht mehr brauchst.

 

Prolog

Baptiste

 

Frankreich, 1999

 

Der Aufschlag hallte noch in Baptistes Kopf nach, als das Geräusch schon längst verklungen war. Direkt neben dem Bein des überwältigten Mannes lag die Vase. Eine Geschmacklosigkeit aus massivem Bleikristall, Art déco oder so.

Was hast du getan?

Baptiste biss sich auf die Unterlippe, bückte sich und hob sie auf.

Sie war erfreulicherweise nicht zerbrochen. Um sie an ihren Platz zurückzustellen, musste er über das Bein steigen.

Wo genau hatte sie gestanden? Er ließ den Blick über die Kommode mit den angestoßenen Ecken schweifen. Sie fügte sich perfekt in das schäbige Hotelzimmer ein, zu dem er sich gerade Zutritt verschafft hatte. Zögernd stellte er das Gefäß wieder darauf. Er musste den richtigen Platz finden, Ordnung war wichtig.

Doch hier stand es falsch, ganz falsch. Und wenn das schon falsch war, dann war auch alles andere falsch. Er hatte einfach danach gegriffen, ohne nachzudenken, und jetzt stimmte gar nichts mehr!

Hektisch schob er die Vase hin und her. Da, ein Abdruck im Staub, so ein Glück. Mit dessen Hilfe konnte er sie richtig platzieren und sich dem anderen Problem zuwenden.

Er drehte sich um und krempelte die viel zu langen Ärmel der Hoteluniform hoch. Dummerweise hatte er beim Wühlen in den Personalspinden des Hotels eine erwischt, die ihm zu groß war. Ein Witz, denn normalerweise war ihm Kleidung eher zu kurz. Am liebsten hätte er weitergesucht, doch er hatte nun mal keine Zeit zu verschwenden gehabt.

Der Fremde lag regungslos auf der Seite, mit dem Rücken zu ihm. Er war größer als erwartet, aber schmal gebaut, noch schmaler als Baptiste selbst. Sein Haar hatte denselben sehr dunklen Braunton wie seines, und sogar die Länge war ähnlich - bis über die Ohren.

Das Gesicht des Mannes konnte er nicht sehen.

War er bewusstlos? Hatte er die Augen geöffnet und wartete nur auf den richtigen Moment, um aufzuspringen und ihn anzugreifen?

Oder war er tot?

In Baptistes Hals baute sich Druck auf, der ihn zu ersticken drohte. Angestrengt versuchte er, zu schlucken.

Im Gang vor dem Zimmer erklangen Schritte.

Er fuhr herum. Die Zimmertür stand immer noch offen.

Mit einem Sprung gelangte er zu ihr und schloss sie. Er presste sein Ohr gegen das Holz. Draußen ging jemand vorbei, ein Schlüssel wurde in einem Schloss gedreht, dann ein dumpfer Knall und Stille.

Aufatmend wandte er sich um, und der Druck ließ ein wenig nach.

Der Mann lag noch genauso da wie zuvor. In gebührendem Abstand bewegte sich Baptiste um ihn herum und hockte sich schließlich auf Höhe des Kopfes nieder.

Die Augen waren geschlossen, die Züge entspannt und weich. Ein rotes Rinnsal floss von seiner Stirn über die Schläfe und tropfte in den Teppich. Sicherlich nicht das erste Mal, dass hier Blut versickerte, so fleckig wie der Flor aussah.

Baptiste würgte bei der Vorstellung, selbst dazuliegen und den staubigen, metallischen Gestank einatmen zu müssen, den er bisher zum Glück nur erahnen konnte.

Der Arm des Fremden lag völlig verdreht unter seinem Körper.

Er hatte seinen Sturz nicht abgefangen, also musste er ohnmächtig gewesen sein, oder? Sonst hätten seine Reflexe dafür gesorgt, dass …

Und wenn er doch tot war?

Dann war er nicht der, für den Baptiste ihn hielt. Und wenn er der war, für den er ihn hielt, konnte er nicht tot sein.

Wenn er tot ist, hast du einen Unschuldigen auf dem Gewissen.

Baptiste strich sich mit beiden Händen durch die Haare. Seine Finger krallten sich fest, als suchten sie Halt.

Warum hatte er nicht irgendwelche Söldner für die Drecksarbeit engagiert, wie es eigentlich sein Plan gewesen war? Männer, die einfach nur ihren Job machten und denen es egal war, ob dabei jemand draufging. Diese Überlegung kam zu spät. Für dieses Mal jedenfalls.

Seine Arme sanken herab, und die Ärmel rutschten ihm abermals bis zu den Fingerspitzen. Verdammte Uniform, völlig unförmig. Die Menschen, die hier arbeiteten, konnten einem fast leidtun.

Ohne die Knöpfe zu öffnen, zerrte er sie sich über den Kopf und schleuderte sie in eine Ecke. Staubflusen wirbelten auf und wehten unter das Bett, das aussah, als hätte es jemand vom Sperrmüll gerettet.

Der Mann musste der Richtige sein. Er musste! Alle Spuren führten zu ihm, unmöglich, dass sich Baptiste geirrt hatte.

Dann vergewissere dich, dass er noch lebt.

Aber wie?

Baptiste ließ sich auf alle Viere nieder und krabbelte näher an den Fremden heran. So wie der lag, konnte er nicht sehen, ob sich die Brust hob und senkte.

Ohne die Augen des Mannes aus dem Blick zu lassen, leckte Baptiste seinen Zeigefinger an und hielt ihn dem anderen unter die Nase. Er spürte keinen Lufthauch. Die Lider blieben geschlossen.

Er schluckte, der salzige Geschmack seines eigenen Schweißes haftete ihm weiterhin auf der Zunge. Er verschwand auch nicht, als er sich über die spröden Lippen leckte.

Der Schlag war nicht so fest und die Vase nicht schwer genug gewesen. Der konnte nicht tot sein, auch wenn er sich geirrt hatte und der Fremde nur ein normaler Mensch war. Unmöglich.

Baptiste faltete den Hemdskragen aus dem Weg und tastete am Hals des anderen nach dessen Puls. Die Haut war weich und fühlte sich warm an. Doch da war nichts, kein Herzschlag.

Er nagte an seiner Unterlippe und versuchte, zu entscheiden, was schlimmer war: dass er jemanden umgebracht hatte oder dass er falsch lag und seine gesamte Suche umsonst gewesen war.

Seine Gedanken wirbelten wild durcheinander und ließen sich nicht fangen, deshalb atmete er tief ein und saß ganz still. Stille im Körper erzeugte Stille im Geist, und er brauchte einen ruhigen Geist, um zu entscheiden, wie er weiter vorgehen sollte.

Es half, einer seiner Gedanken wurde greifbar. Eine Frage vielmehr: Ertastete man den Puls nicht auf der anderen Seite des Halses?

Er schob seinen Zeigefinger noch einmal zwischen Kinn und Schulter, fuhr mit der Fingerspitze auf und ab, vor und zurück.

Dicht unter dem Ohr spürte er ein leichtes Flattern. Er drückte fester. Pockpock. Pockpock. Pockpock. Ganz sacht, aber das Herz schlug.

Rückwärts kroch Baptiste zurück, bis er sich gegen den Bettpfosten lehnen konnte. Er presste sich so sehr dagegen, dass er das harte Holz an jeder einzelnen Rippe spürte, bis es beinahe schmerzte. Dann erst atmete er auf. Sein eigenes Herz klopfte heftig gegen die Rippen. Pockpock. Pockpock. Pockpock. Wie bei dem anderen, nur kräftiger.

Der Mann lebte, also könnte er es wirklich sein. Baptiste könnte ihn endlich gefunden haben. Er brauchte allerdings Gewissheit.

Er zog sich am Bett hoch. Neben dem Kopf des Bewusstlosen lag dessen Jackett. Das hatte er in der Hand gehalten, kurz bevor ihn die Vase traf.

Baptiste hob es auf und durchsuchte die Taschen. Ein Portemonnaie in der Innentasche, sonst nichts. Er warf das Jackett auf den Stuhl und öffnete es. Ein paar Geldscheine in D-Mark und Franc, außerdem tschechische Kronen. Keine Ausweispapiere.

Hatte er überhaupt so etwas wie einen Ausweis? Wenn ja, dann war er sowieso gefälscht. Er konnte keinen Ausweis auf seinen echten Namen besitzen, das war unmöglich.

Ein gutes Zeichen.

Baptiste legte die Börse auf das Jackett. An der Stelle, wo es sich befunden hatte, lag ein Briefumschlag. Er war leer, und Baptiste ließ ihn zu Boden flattern. Dann sah er sich etwas genauer im Zimmer um.

In so einer Absteige hätte er ihn nicht vermutet. Die Einrichtung war auf das Nötigste beschränkt: Bett, Kommode, Stuhl und die scheußliche Vase als einzige Dekoration. Alles war verwohnt, verstaubt und ungemütlich, kein Ort zum Wohlfühlen. Es war ein Ort, an dem man sich versteckte, wenn man auf der Flucht war, weil hier niemand Fragen stellte.

Auf der Tagesdecke lag ein Koffer. Wie es aussah, war der Mann gerade dabei gewesen, zu packen. Morgen hätte Baptiste seine Spur vielleicht wieder verloren … nicht auszudenken.

Er durchwühlte den Inhalt des Gepäcks und fand nichts außer Kleidung, Rasierzeug, sowie eine Zahnbürste. Aber da musste doch mehr sein, irgendwelche persönlichen Gegenstände, irgendetwas, das Aufschluss über seine Identität gab.

Kurzerhand hob er eine Seite des Koffers an und schüttete den Inhalt aufs Bett. Unterhemden, Hosen, Socken, ein Hemd. Ein Paar Hausschuhe. Das war’s.

Der Koffer lag leer vor ihm. Er schloss ihn, kippte ihn auf die andere Seite und untersuchte ihn rundherum. Es gab kein Reißverschlussfach, weder innen noch außen.

Er öffnete ihn erneut und runzelte die Stirn, als ihm etwas auffiel.

War diese Hälfte des Koffers nicht schwerer als die andere?

Er hob beide Fächer nacheinander an. Tatsächlich, der rechte Boden schien dicker zu sein.

Mit den Fingerspitzen fuhr er über das Innenfutter und fühlte eine glatte Oberfläche, vielleicht Pappe. Wenn er an verschiedenen Stellen dagegen drückte, gab sie unterschiedlich stark nach.

Da war etwas versteckt, ein doppelter Boden, ein Geheimfach möglicherweise.

Den Mechanismus, mit dem er das Fach öffnen konnte, sah er in dem Moment, als er die Pappe mit seinem Taschenmesser aufschnitt.

Zum Vorschein kamen mehrere Bündel Bargeld verschiedener europäischer Währungen, eine Papprolle, eine Dokumentenmappe und ein in Leder gebundenes Buch. Es war mit einem Band umwickelt, damit die zahlreichen losen Seiten nicht herausfallen konnten.

Das Geld interessierte ihn nicht, davon hatte er selbst mehr als genug. Es war etwas anderes, auf das er es abgesehen hatte.

Mit zitternden Fingern wickelte er das Band ab. Ein gefaltetes Papier, ein Brief vielleicht, segelte heraus, als er das Buch öffnete. Er ignorierte es. Seine ganze Aufmerksamkeit galt der ersten Seite. Baptiste las, und sein Mund verzog sich zu einem Lächeln.

Endlich! Nach Jahren der Suche und der Jagd, dem Durchforsten alter Schriften und Überlieferungen, kurz bevor er aufgeben wollte, hatte er ihn gefunden!

Ein Geräusch, kaum hörbar, ließ ihn herumfahren. Es war ein Stöhnen, wenig mehr als ein lauter Atemzug. Die Augenlider des Fremden flatterten.

Baptiste klappte das Buch zu. Der Druck im Hals kehrte zurück und schnürte ihm jetzt fast die Luft ab.

Schnell weg, bevor er ganz aufwachte. Behutsam, wie um sein Opfer nicht weiter zu stören, ging er in die Knie und tastete nach dem Brief. Dabei ließ er den Mann nicht aus dem Blick.

Dessen Augen öffneten sich genau in dem Moment, als seine Finger das Papier berührten. Wie in Zeitlupe drehte er den Kopf und sah Baptiste direkt an.

Mach, dass du hier herauskommst!

Baptiste griff nach dem Blatt, stieß es dabei weiter weg und beugte sich tiefer.

Wo war es? Seine Handflächen fuhren über den Teppich, fühlten Krümel und Knäuel fremder Haare.

Lass es hier!

Und wenn es wichtig war?

Dann hatte er es. Er zog es hervor, sprang auf und klemmte sich die Papprolle und die Mappe unter den Arm. Der Mann hatte inzwischen seine Hände nach vorn geschoben und drückte seinen Oberkörper nach oben.

Wie konnte der sich so schnell erholen? Gerade war er noch fast tot gewesen.

Sein Blick fiel auf das Buch in Baptistes Hand, und seine Augen sprühten Funken.

Mit einem Satz hechtete Baptiste über das Bett und war eine Sekunde später an der Tür. Er riss sie auf und warf einen Blick zurück.

Der andere war schon auf den Füßen. Er schwankte, stützte sich an der Kommode ab, aber er stand.

Schneller!

Baptiste rannte den Gang entlang zum Aufzug. Ein Schild mit der Aufschrift ›en panne‹ klebte quer über dem altmodischen Metallgitter. Diesem Relikt hätte er ohnehin nicht getraut.

Wo befanden sich noch gleich die Treppen? Von wo war er gekommen? Er war in den letzten Wochen und Monaten durch so viele Hotelflure geschlichen, dass sie alle zu einer einzigen Erinnerung verschmolzen.

Schritte hinter sich ließen ihn weiterrennen. Um die Ecke, dann noch einmal links, und er stand vor der Tür zum Treppenhaus. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, sprang er hinab, eine Etage, noch eine.

In der Lobby bekam er kaum noch Luft. Er keuchte wie ein alter Mann, der sein Leben lang geraucht hatte, dabei war er doch so jung. Ein weiterer Grund, das nächste Mal jemanden für eine solche Aktion anzuheuern.

Sein Blick glitt zum Ausgang. Ein Taxi wartete davor und dem leuchtenden Schild auf dem Dach nach zu urteilen, war es frei.

Was würde der Fahrer sagen, wenn er sich völlig abgehetzt auf die Rückbank warf?

Er stützte die Hände auf die Knie und atmete tief in den Bauch.

Nur kurz zu Atem kommen.

Den Portier konnte er nirgends entdecken und auch sonst niemand. Von der Treppe her erklangen keine Schritte.

Natürlich nicht. Der Fremde konnte ihn nicht einholen, nicht in seinem Zustand. So schnell konnte selbst er sich nicht regenerieren.

Woher willst du das wissen?

Baptiste richtete sich auf und ging gemessenen Schrittes zur Tür, Buch, Mappe und Rolle unter dem Arm. Wenige Meter trennten ihn von dem rettenden Ausgang. Der Aufzug lag noch ein paar Meter vor ihm, als der Gong ertönte.

Unmöglich. Der ist defekt.

Das Gitter wurde beiseitegeschoben und gab den Blick auf das Innere der Kabine frei. Baptistes Augen weiteten sich.

Dann rannte er los.

Kapitel 1

Leia

 

Deutschland, 2021 – Gegenwart

 

»Du bist ein Arsch, Mick.« Gähnend ließ sich Leia am Küchentisch nieder und strich die dunkelblonden Locken zurück, die schon wieder nachdrücklich damit drohten, ihr in die Augen zu fallen.

Der Tisch wackelte, als sie dagegen stieß, und der Stuhl knarrte unter ihrem Gewicht. In dieser Wohnung war wirklich alles schrottreif, und sie selbst ganz vorn mit dabei. Wie so oft checkte sie ihren Körper auf Symptome, doch sie fühlte nichts, was sich nicht durch die vergangene Nacht erklären ließ.

»Ich bin was?«, erklang es aus dem Bad.

Das konnte sie gut orten, denn seine Stimme hallte von den hässlichen hellblauen Wandfliesen wider, die so gar nicht zu dem Boden mit Schachbrettmuster passten.

Dann erklangen seine Schritte im Flur.

»Du hast es garantiert richtig verstanden«, sagte sie und verkniff sich ein Grinsen. Sie hatte schließlich laut genug gesprochen, und das Bad war nicht weit entfernt in ihrer winzigen Zweizimmerwohnung. »Was sollte der Lärm so früh?«, fügte sie etwas versöhnlicher hinzu und sah ihrem Mitbewohner entgegen, der in diesem Moment die kleine Küche betrat.

Er sah viel weniger verschlafen aus, als sie sich fühlte. Aber er wirkte ohnehin stets jünger und frischer. Glatte Haut, glänzendes, schulterlanges Haar und minimaler Bartwuchs sorgten dafür, dass er optisch nicht zu altern schien, seit sie vor sieben Jahren die Schule gemeinsam hinter sich gebracht hatten. Wer ihn nicht kannte, würde ihn immer noch auf achtzehn schätzen.

Sie dagegen fühlte sich wie einundachtzig. Es war einfach ungerecht.

»Früh?« Mick warf sich auf den zweiten Stuhl und legte ein paar Blatt Papier vor sich. »Wir haben Mittag. Warum kommst du nicht mal direkt nach der Arbeit nach Hause und schläfst, anstatt dich noch stundenlang irgendwo herumzutreiben? Das Sappho war schon um zwei dicht.« Er grinste sie herausfordernd an und sah dadurch noch mehr wie der Junge aus, mit dem sie schon früher als Kind Räuberbande gespielt hatte.

Das war stets ein Zeichen dafür, dass er etwas ausheckte.

»Und?« Herausfordern konnte sie genauso gut wie er.

Er streckte sich genüsslich. »Und du warst erst kurz vor fünf hier.«

»Spionierst du mir nach?« Sollte sie davon genervt sein oder eher gerührt, dass er sich so um sie sorgte?

Sie entschied sich für genervt, denn mit dieser Empfindung war sie schon seit jeher besser klargekommen. Rührung bewegte sich viel zu nah an Trauer.

Er schüttelte den Kopf. »Quatsch. Ich wollte mit Hanne noch was bei dir trinken. Deshalb weiß ich das.«

Jetzt war sie wirklich genervt. Dass er sich mit der braven Hanne herumtrieb, gefiel ihr nicht. Die passte einfach nicht in ihr gemeinsames Leben, dafür war sie zu neugierig, zu aufdringlich und redete zu viel. Doch bei Mick hatten Frauenbekanntschaften ohnehin keine lange Halbwertszeit. Sie würde es einfach aussitzen.

Also sollte sie lieber diplomatisch antworten. »Du warst um fünf ja auch noch wach, sonst hättest du mich wohl kaum gehört. Ich war still wie ein E-Roller.« Sie scannte die Umgebung nach Kaffee ab, die Maschine war aber aus, die Kanne leer.

»Eher wie ein Kettenbagger Außerdem war das kein Lärm vorhin. Es war der Drucker. Im Gegensatz zu dir hab ich nämlich schon gearbeitet.«

Müde rieb sie sich die Stirn. »Ohne Kaffee?«

Manchmal hatte sie das Gefühl, Mick schlief überhaupt nicht. Oder wie Einstein, immer nur zwei Stunden am Stück. Das war doch Einstein gewesen, der das so gemacht hatte? Oder war es Steve Jobs?

Er seufzte und seine braunen Augen ruhten für zwei Atemzüge auf ihrem Gesicht. »Wenn ich dir Kaffee mache, hörst du mir dann zu?«

Sie beugte sich vor, legte den Kopf auf die Tischplatte und schloss die Augen. »Vielleicht.«

Mick stand auf, der Stuhl scharrte über den Boden. »Na, hoffentlich hat sich die Nacht gelohnt.«

Sie erinnerte sich an weiche Haut, einen duftenden Hals und schwarze Locken, die sie kitzelten, und grunzte zustimmend.

Während das Wasser aus der Filterkanne in den Behälter der Maschine plätscherte, sagte er: »Du solltest vorsichtig sein. Irgendwann gerätst du mal an den Falschen.«

Sie öffnete die Augen wieder.

Er drehte ihr den schmalen Rücken zu, allerdings kannte sie seinen Gesichtsausdruck, wenn er so etwas sagte: gerunzelte Stirn und zusammengezogene Brauen.

Diese Vorstellung sorgte dafür, dass auch sie die Stirn runzelte. »Ich kann dich beruhigen. Sie war mir körperlich absolut unterlegen. Ich stehe nicht auf Schmerzen, wie du weißt.« Ein Schauer lief ihr über den Rücken, als sie das Wort »Schmerzen« aussprach.

Er warf ihr einen kurzen Seitenblick zu und griff nach dem Kaffeepulver. »Oder du fängst dir was ein.«

Leia richtete sich auf und schob eine Strähne zurück. »Ja. HIV. Oder Hepatitis. Ach, wär das schön, in dreißig Jahren an Aids draufzugehen. Was würde ich nicht dafür geben.«

Er hasste es, wenn sie so redete, doch sie konnte nicht anders. Sollte er halt nicht immer wieder mit der gleichen Leier kommen.

Die Kaffeemaschine gurgelte los.

Mick setzte sich und starrte schweigend auf die Tischplatte. Die Falte über seiner Nase bildete ein V, dessen Spitze direkt auf seine zusammengepressten Lippen zeigte.

Alles in ihr zog sich zusammen, wenn sie ihn so sah. Verdammter Mist, warum konnte sie nicht ihre Klappe halten? Er machte sich ja nur Sorgen … Manchmal hatte sie das Gefühl, für ihn war ihre Diagnose schlimmer als für sie selbst.

Ihre Stimme klang brüchig in ihren Ohren, als sie erneut das Wort ergriff. »Mick? Tut mir leid. Du hast recht.«

»Ja.« Er räusperte sich, und hob seinen Blick. »Hab ich. Die machen so große Fortschritte in der Forschung. Erst neulich hab ich was über eine Huntington-Studie gelesen, für die sie Probanden suchen, bei denen noch keine Symptome aufgetreten …«

»Nein, danke«, fiel sie ihm ins Wort. »Dafür hab ich in diesem Leben nicht mehr genug Zeit.« Sie versuchte, den Kloß herunterzuschlucken, der sich in ihrer Kehle festsetzen wollte und ihr beinahe die Luft zum Atmen raubte.

Das V auf Micks Stirn wurde eine Spur spitzer. »Verdammt, Leia. Bei anderen Erkrankungen, wie Mukoviszidose oder so, verlängert sich auch ständig die durchschnittliche Lebenserwartung. Ich verstehe nicht, wie du einfach aufgeben kannst.«

Nein, das verstand er nicht. Vermutlich konnte das nur jemand verstehen, der sich in einer ähnlichen Situation befand. Dass es nämlich befreiend sein konnte, wenn man wusste, woran man sterben würde, und wann ungefähr … und wie dieses Wissen einem die Angst vor allem anderen nahm.

»Ich will einfach nur mein Leben solange genießen, wie es geht«, presste sie durch zusammengebissene Zähne.

Er seufzte. »Ja. Ich weiß.«

»Ohne dauernd daran erinnert zu werden.« Sie sprach so ruhig sie konnte, auch wenn es in ihr alles andere als ruhig zuging.

»Schon klar.« Seine Stimme wurde mit jedem Wort leiser.

»Also, was hast du für mich?«

Er straffte sich, vermutlich selbst froh über den Themenwechsel. »Einen neuen Auftrag. Die Mail kam heute Nacht. Soll am Dreiundzwanzigsten steigen.«

Leia unterdrückte ein Stöhnen. »Was? Morgen? Auf keinen Fall.«

»Nein, nicht morgen.«

»Ach, nächsten Monat erst?«

Das war gut. Sie konnten einen Job brauchen, in ihrer Kasse war Ebbe. Kellnern brachte bei weitem nicht genug ein, um den Lebensstil zu pflegen, den sie sich vorstellte … oder überhaupt irgendeinen Lebensstil. Micks Webdesign genauso wenig. Kein Job tat das, um ehrlich zu sein.

»Übermorgen. Der Dreiundzwanzigste ist übermorgen.«

Mist. »Auf keinen Fall.«

Ihr Kumpel hob den Zeigefinger. »Hör dir erst mal an, was …«

Sie schüttelte den Kopf. »Muss ich mir nicht anhören, Mick. Das ist viel zu wenig Zeit für die Vorbereitung.«

Er nickte, als könnte er dadurch ihr Kopfschütteln aufheben. »Ich wusste, dass du das sagen würdest. Aber …«

»Kein Aber. Ich hab gar keine Zeit, das auszukundschaften. Die Gewohnheiten des Bewohners oder Inhabers oder um was auch immer es geht.« Ihr entfuhr ein Seufzen. »Und wann soll ich den Bauplan besorgen?«

Mick schob ihr eines der Blätter zu, eine gefaltete DIN A3 Seite. Sie entfaltete das Papier. Es zeigte den Grundriss eines Hauses, Keller, Erdgeschoss und erster Stock.

»Aha. Trotzdem. Da gehört noch ein bisschen mehr zu, das weißt du.« Es stimmte, was sie sagte, auch wenn in ihrem Bauch bereits dieses fiese Kribbeln eingesetzt hatte, das sie immer dann befiel, wenn es auf einen Job zuging.

Mick schien das zu spüren. »Der Bewohner ist jeden Mittwoch in irgend so einem Club. Keine Disko oder Strip-Bude, ein echter Gentlemen’s-Club, Rotarier oder so. Geht um neun und kommt nie vor Mitternacht zurück.«

»Ich weiß nicht, Mick.« Sie stand auf, nahm zwei Tassen aus dem Schrank und füllte sie mit Kaffee. »Lieber nicht. Die werden schon einen anderen Dummen finden. Irgendeiner dieser Darknet-Idioten macht’s sicher, wenn sie genug zahlen.«

Sie deponierte eine der Tassen vor ihm, und er gab ihr ein weiteres Blatt.

Es war ein Auszug ihres Bitcoin-Wallets, ihres Geschäftskontos. Bis gestern hatte sich ihr Kontostand bei Bitcoins im Wert von ungefähr tausend Euro befunden, je nach Kurs. Ihre eiserne Reserve.

Aber das war gestern gewesen.

Leia stellte die Tasse so heftig ab, dass der Tisch wackelte. Ihr Kaffee schwappte über und hinterließ einen hässlichen Fleck auf der Tischdecke. Dann setzte sie sich. Immer noch starrte sie den Auszug an.

»Das sind zehntausend Euro«, sagte sie schließlich.

»Ja.« Mick nickte, und seine Mundwinkel zuckten. So ganz konnte auch er seine Aufregung nicht verbergen. »Und wir bekommen noch mal zehn in bar bei Übergabe der Sachen. Genug Kohle für Idioten wie uns?«

»Zwanzig? Zwanzigtausend? Bar?« Sie versuchte zu schlucken, doch ihr Mund war zu trocken. Also griff sie nach dem Kaffee und verbrannte sich prompt die Zunge. »Was um alles in der Welt wollen die dafür?«

Ihr Kumpel zuckte mit den Schultern. »Nichts Besonderes eigentlich. Sieh es als eine Art Eil-Zuschlag. Aus irgendeinem Grund soll die Sache unbedingt diese Woche steigen. In dem Haus sind Unterlagen versteckt und eine alte Kladde, wie ein Tagebuch oder so. Und eine bemalte Leinwand, vermutlich gerollt und in einem Pappbehälter. Die sollst du holen.«

»Aber so etwas machen wir doch nicht.« Leias Stimme klang ungewohnt rau, als sie ihren Mund verließ. Die Summe geisterte durch ihren Kopf und versuchte, sich den Worten in den Weg zu stellen.

»Was? Für Geld einbrechen?« Mick zwinkerte ihr übertrieben zu. »Natürlich nicht.«

»Nein, ich meine, Sachen stehlen. Sachen, die denen nicht gehören.« Sie war keine Diebin, sondern eine Wiederbeschafferin. Ein feiner Unterschied, auf den sie Wert legte.

»Sie behaupten, das Zeug gehöre ihnen. Mehr haben wir sonst auch nicht, und es geht ja nicht um Wertgegenstände wie Schmuck oder so, nur um Papiere. Die wissen sogar, wo es versteckt sein soll, irgendwo im Schlafzimmer. Hier.« Er beugte sich vor und tippte auf den Grundriss.

Sie verzichtete auf den Einwand, dass es durchaus wertvolle Bücher und Dokumente gab, von bemalten Leinwänden mal zu schweigen.

Stattdessen folgte ihr Blick seiner Geste. »Im Schlafzimmer«, wiederholte sie.

Mick nickte. »Ganz einfache Sache.«

Ihr entfuhr ein Grunzen. »Wenn die das alles wissen und es so einfach ist, warum machen die es dann nicht selbst?«

»Die wollen halt die Beste für den Job.« Ein schneller Seitenblick traf sie, als wollte er ihre Reaktion darauf nicht verpassen.

»Mit Schmeichelei erreichst du bei mir nichts, und das weißt du genau.« Leia nahm noch einen Schluck, bevor sie hinzufügte: »Mir gefällt das nicht. Warum muss es so schnell gehen? Und woher wissen die überhaupt, in welchem Raum das Zeug versteckt ist?«

»Woher soll ich das wissen?« Mick zuckte die Schultern und zog einen Mundwinkel herab. »Ach ja, das ist noch nicht alles. Der Bewohner darf nicht merken, dass du da warst, deshalb sollst du auf keinen Fall einen anderen Raum betreten. Rein, ins Schlafzimmer, Zeug schnappen, keine Spuren hinterlassen und wieder raus, in unter drei Stunden.«

Das trug nicht gerade zu ihrer Beruhigung bei. »Warum denn?«

»Was weiß ich? Aber ist doch egal. Sonst begutachtest du ja auch nicht erst den Einrichtungsstil.«

Sonst war das aber auch nicht verboten.

»Ich weiß wirklich nicht, Mick. Ich hab ein ganz mieses Gefühl bei der Sache.« Sie presste ihre Hand gegen den Bauch, in dem sich ein schmerzhafter Knoten gebildet hatte.

»Vielleicht solltest du erst mal etwas essen?« Er schob ihr die Packung Cornflakes herüber.

Sie nahm ein paar Flakes und knabberte. »Ich glaube, wir haben keine Milch.«

»Nein, haben wir nicht. Können wir uns nicht leisten.« Mick räusperte sich und fühlte sich sichtbar unwohl. Schweiß stand auf seiner unnatürlich blassen Stirn. »Hör mal, wir müssen uns bis eins entscheiden. Dann sagen wir zu, oder ich transferiere die Kohle zurück.« Er wirkte nicht glücklich darüber, den Job abzulehnen – oder ihn anzunehmen.

Das konnte Leia gut nachfühlen. Das schöne Geld … So viel hatte noch kein Auftrag je eingebracht. Aber warum so viel für so wenig Arbeit? Was stimmte daran nicht?

Sie zerkrümelte eine Frühstücksflocke zwischen den Fingern. Die Brösel verteilten sich auf der Tischdecke und sprenkelten den Kaffeefleck, den sie eben erst dort hinterlassen hatte. »Klingt ja alles ganz nett … wenn mich das Ganze nur nicht an einen Horrorfilm erinnern würde, in dem ich die Hauptrolle übernehmen soll.«

Mick spielte mit dem Kontoauszug, drehte ihn im Kreis, immer rundherum. »Da wird schon kein Monster auf dich lauern.« Doch vollständig davon überzeugt wirkte er nicht.

Die Summe in ihrem Wallet sah wirklich verführerisch aus.

Dennoch wandte Leia den Blick davon ab. »Vielleicht kein Monster, aber ich kann mir eine Menge Sachen vorstellen, die ich lieber nicht finden würde.«

»Was denn zum Beispiel?«, fragte Mick fast tonlos, als fürchtete er ihre Antwort. Aber er kannte ihre Fantasie schließlich seit vielen Jahren.

»Keine Ahnung. Ein Meth-Labor vielleicht?«

Sie erntete ein humorloses Lachen.

Sie schob die Cornflakes wieder in seine Richtung. Es reichte jetzt mit den Krümeln. »Ich hab wirklich keine Lust, mir von so einem Gangster die Beine brechen zu lassen. Die will ich noch solange vollumfänglich nutzen können, wie es geht.«

Mick legte seine Hand auf ihre. »Wenn es durchdringend nach Chemikalien riecht, haust du natürlich ab und rufst heldenhaft die Bullen.«

»Ja. Wie eine verantwortungsvolle Bürgerin.« Leia verkniff sich ein zynisches Schnauben.

»Vielleicht hast du ja Glück und die drehen da nur Pornos.« Jetzt zuckte es wieder in Micks Gesicht. Es war klar, wie seine Entscheidung ausfallen würde … Aber er war auch nur derjenige, der die Aufträge an Land zog und nicht der, der vor Ort seinen Arsch riskierte.

Leia starrte den Grundriss an. Eignete sich das Haus als Pornofilmset? Vermutlich schon.

Rasch suchte sie den kürzesten Weg ins Schlafzimmer, dann eine Alternative dazu. Prägte sich die Anordnung der Räume ein, ihre Größe, die Anzahl der Fenster. Es schien wirklich keine große Herausforderung zu sein. »Was für ein Schloss?«

»Normales Türschloss.«

»Können die mir ein Foto davon organisieren?« Für den Fall, dass sie zusagte, wollte sie nicht mit zehn Schlagschlüsseln in der Tasche durch die Gegend schleichen.

»Du willst nicht picken? Hinterlässt weniger Spuren.«

»Nicht an der Haustür einer noblen Gegend.« Sie entzog ihm ihre Hand und legte sie auf ihren Bauch. Vielleicht rührte der Knoten in ihren Eingeweiden doch nur vom Hunger und sie beurteilte diesen Auftrag deswegen völlig falsch.

Mick grinste. »Hast wohl Angst, du bist nicht schnell genug, Miss Landesrekord bei den unter Siebzehnjährigen.«

»Ja, so ungefähr.« Ihr Blick fiel wieder auf die Cornflakespackung. »Der wird schon keine Spuren am Schloss finden. Nicht wenn er keinen Verdacht hat. Also, was ist jetzt mit dem Foto? Oder soll ich hinschleichen und es selber machen?«

»Ich frag mal.« Mick sah aus, als machte er sich eine geistige Notiz.

»Und den Alarmanlagencode«, fügte sie hinzu, damit er sich das auch gleich mit notierte.

»Keine Alarmanlage«, kam es wie aus der Pistole geschossen zurück.

Ihr Kopf fuhr in die Höhe. »Ha! Wer’s glaubt.«

»Die waren sich da ziemlich sicher.«

Ziemlich? Wie viel war ziemlich wert?

»Altes Haus, also wahrscheinlich keine Rollläden«, murmelte sie. »Vielleicht Fensterläden, und die benutzt nie jemand.« In ihren Eingeweiden krabbelten Ameisen.

»Du musst nicht. Wir kommen auch so klar.« Er schien ihren Widerwillen zu spüren. »Wir können uns sogar Milch kaufen. Oder dieses vegane Haferzeug, wenn du willst.«

»Ich weiß.«

Doch konnten sie es sich wirklich leisten, den Auftrag abzulehnen?

Sie hatte noch so viel vor in ihrem Leben und keine Ahnung, wie viel Zeit ihr noch blieb.

Mick stand auf und zerknüllte den Ausdruck des Wallets in den Händen. »Ach komm, ich schreib denen, dass sie sich die Kohle in den Ar…«

»Was soll’s«, fiel sie ihm ins Wort. »Ich mach’s.«

Kapitel 2

Leia

 

Dieser verdammte Mick!

Leia hockte im Gebüsch und starrte die Villa an.

Sie fröstelte, obwohl es nicht kalt war, und die Stimme in ihrem Kopf fluchte abwechselnd über ihren Kumpel, der jetzt sicher zuhause am Rechner saß, und über sich selbst, weil sie dumm genug gewesen war, sich hierauf einzulassen.

Licht fiel durch ein Fenster im ersten Stock und malte ein Rautenmuster in den Kies vor ihr.

Bei jeder noch so winzigen Bewegung ihres Körpers raschelten die Blätter um sie herum. Sie stieß mit dem Kopf gegen einen Ast, ein anderer pikste ihr in den Hintern.

Wieder einmal fragte sie sich, ob es eine Maximalgröße für diesen Job gab – wie bei Jockeys. Wenn nicht, sollte es vielleicht eine geben, und wenn doch, dann überschritt sie diese Größe sicher um etliche Zentimeter.

Sie hob den Arm und das Display ihrer geliebten Uhr, die sie von ihrem Vater geerbt hatte, leuchtete auf. Sie war viel zu groß für Leias Handgelenk, sie ging dennoch niemals ohne dieses Stück aus dem Haus.

Die Zeiger standen auf fünf vor neun. Um neun sollte es losgehen, hatten ihre Auftraggeber gesagt. Jeden Mittwoch um neun, pünktlich.

Hätten die wenigstens dafür gesorgt, dass die Straßenlaterne vor dem Haus den Geist aufgegeben hätte. Sie hätte das getan, wenn sie genug Zeit dafür gehabt hätte. Dann würde sie sich nicht fühlen wie … wie eine Diebin im Licht einer Straßenlaterne eben.

Eine Wiederbeschafferin.

Sie seufzte über sich selbst. Hoffentlich hatte keiner der Nachbarn gesehen, wie sie im Gebüsch verschwunden war. Wahrscheinlich nicht, um diese Uhrzeit saßen die meisten Leute vor dem Fernseher. Außerdem waren die Vorgärten in dieser Straße riesig.

Im ersten Stock ging das Licht aus, und sie zuckte zusammen.

Der Mond kroch hinter einer Wolke hervor und ließ das Haus fahl aufleuchten. Er offenbarte abbröckelnden Putz und eine schmutzige Fassade. Nicht so feudal, wie es auf den ersten Blick erschien. Auf dem Sims unter dem Fenster tummelten sich irgendwelche Gestalten. Kleine Statuen, Engel vielleicht oder Gargoyles.

Früher hatte es eine Zeichentrickserie gegeben, in der Gargoyles lebendig geworden waren und Verbrechen aufgeklärt hatten. Die hatte sie als Kind geliebt.

Im Augenwinkel nahm Leia eine Bewegung wahr, und ihr Kopf fuhr herum.

Hatte sich diese Statue gerade bewegt? Sie saß ganz still, als wüsste sie, dass sie beobachtet wurde. Doch war sie gerade nicht ein paar Zentimeter zur Seite gehüpft?

Nein, natürlich nicht. Wie sollte das möglich sein? Sie war aus Stein und konnte ganz sicher nicht …

Da, schon wieder. Der Gargoyle bewegte sich, duckte sich nieder und richtete sich auf. War das nur ein Spiel von Licht und Schatten, das der Baum neben dem Haus mit dem Mond trieb?

Sie kniff die Lider zusammen, allerdings wurde die Figur nicht deutlicher. Der Wind ließ die Blätter über ihrem Kopf tanzen, als wollte er ihr die Sicht zusätzlich erschweren. Dann breitete der Gargoyle seine Flügel aus, ruckte noch einmal mit dem Kopf und flog davon.

Leia schloss die Augen. Eine Taube. Lass es eine Taube gewesen sein.

Natürlich war das eine Taube. Die Gargoyles hätten dich längst festgenommen.

Na hoffentlich. Sie konnte sich nicht erinnern, dass Paranoia oder Wahnvorstellungen zu den typischen Symptomen von Huntington gehörten, aber beides konnte sie wirklich nicht gebrauchen.

Die Tür öffnete sich und ihr Pulsschlag nahm Tempo auf. Wie immer, wenn es bald losging, aber heute vielleicht noch ein bisschen mehr.

Sie überprüfte den Sitz ihrer Handschuhe und schob eine widerspenstige Haarsträhne zurück unter ihre Mütze. Dann senkte sie den Kopf, damit ihr Gesicht nicht aus den Blättern herauslugte.

Schicke Schuhe, blank geputzt und aus edel glänzendem Leder, traten in ihr Blickfeld. Sie erkannte handgefertigte Nähte und eine dünne Ledersohle. Das war sicher eine Maßarbeit. Ein winziger stumpfer Fleck befand sich auf der linken Spitze, wo die Schuhcreme nicht ordentlich abgetragen worden war. Es reizte sie, mit dem Ärmel darüberzuwischen und den Fleck wegzupolieren.

Der Träger dieser Schmuckstücke passierte Leias Versteck so dicht, dass sie nur die Hand ausstrecken müsste, um ihn zu berühren. Ihre Fingerspitzen kribbelten, als sie darüber nachdachte.

Untersteh dich!

Und wenn sie jetzt niesen musste? Dafür könnte sie nichts.

Ein Schweißtropfen löste sich aus ihrem Haaransatz und kroch an der Nase herunter. Er hinterließ eine unangenehm juckende Spur auf ihrer Haut.

Der Mann ging den Weg entlang Richtung Straße. Kies knirschte unter seinen Absätzen.

Leia atmete auf, als eine Autotür knallte und der Motor angelassen wurde. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie die Luft angehalten hatte. Sie wartete, bis sich das Fahrzeug entfernt hatte, und erhob sich. Ihre Beine zitterten und das nicht nur wegen der unbequemen Position.

Es hatte sich verdammt knapp angefühlt.

Im Schatten der Büsche huschte sie zur Haustür. Im letzten Moment löste sie sich aus diesem Schutz. Angestrahlt von der Laterne ließ sie sich auf ein Knie nieder und holte den Schlagschlüssel aus der Hosentasche.

Die Stunde der Wahrheit.

Er passte. Ein paar leichte Schläge mit dem Gummihammer, und die Tür schwang auf.

Sie hängte den Hammer wieder in ihren Gürtel und schob sich durch den Spalt.

In der Dunkelheit war ihr das Klopfen laut vorgekommen, viel zu laut für diese Uhrzeit. Doch nichts rührte sich, nirgendwo ging Licht an. Zum Glück interessierte sich heutzutage niemand mehr für die Nachbarn oder überhaupt für andere als für sich selbst. Das war ein riesiger Vorteil für ihre Tätigkeit.

Sie drückte die Tür hinter sich ins Schloss. Der Keil aus Helligkeit wurde schmaler, verschwand schließlich ganz und ließ sie in undurchdringlicher Finsternis zurück. Kein Piepen, kein blinkendes Licht, genau wie ihre Auftraggeber versprochen hatten.

Hoffentlich trafen alle Informationen so zu.

Gegen das Holz gelehnt, verschränkte sie die Finger ineinander und ließ die Gelenke knacken. Das Geräusch zerriss die Stille des Hauses, in dem nicht einmal das Ticken einer Uhr zu hören war. Als ob die Zeit an diesem Ort nicht existierte.

Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Sie schüttelte sich.

An der Wand entlang tastete sie sich zum Fenster. Nach einer Strecke, die ihr viel zu weit erschien, stießen ihre Finger gegen schwere Samtvorhänge. Sie zog sie auf, und das Licht der Laterne ergoss sich in den Raum.

Perfekt. Die Taschenlampe konnte sie erst mal stecken lassen. Ein offener Vorhang war viel unauffälliger als ein herumwandernder Lichtkegel. Jetzt war sie froh, dass niemand der Lampe den Garaus gemacht hatte.

Sie ließ sich einen Moment Zeit, damit sich ihre Augen an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnen konnten, und sah sich im Eingangsbereich um.

Eine Garderobe mit Mänteln, ein Tischchen mit einer Vase, die Treppe. Zu beiden Seiten des Raumes gingen Türen ab.

Alles sah völlig normal aus. Kein bisschen bedrohlich.

Warum nur hatte sie dann dieses Kneifen in der Magengegend?

Leia versuchte zu schlucken, doch ihr Mund war wie ausgetrocknet und sie hatte nicht einmal ein Pfefferminz dabei.

Ob sie sich einen kleinen Schluck Wasser gönnen sollte? Nur einen winzigen Schluck? Wenn der Bewohner in ein paar Stunden zurückkäme, wäre das Becken längst wieder trocken.

Sie rief sich den Bauplan ins Gedächtnis. Irgendwo hier unten befand sich ein Gäste-WC, aber dort hineinzugehen, hätte sich wie ein Eindringen in die Privatsphäre des Mannes angefühlt. Viel zu intim, sie war schließlich keine Einbrecherin.

Zumindest nicht so eine Einbrecherin.

Die Küche hingegen war akzeptabel. Sie befand sich laut Plan im hinteren Teil des Hauses und müsste eigentlich durch den Raum zu ihrer Linken erreichbar sein.

Leia näherte sich der zweiflügeligen Glastür. Was mochte sie wohl dahinter erwarten? Ein Wohnzimmer? Ein Esszimmer? Eine SM-Folterkammer? Sie sollte keinen anderen Raum betreten, hatten ihre Auftraggeber verlangt. Aber warum nicht?

Nur einen Schluck Wasser und sie war sofort wieder auf Kurs. Niemand würde es je erfahren. Was sollte schon passieren?

Sie legte ihre Hand auf die Klinke und drückte sie hinunter. Ihr Herz machte eine aufgeregte Bewegung in ihrem Brustkorb, die so verdammt wehtat, als wollte es ihr die Rippen brechen, doch sie ignorierte es und steckte den Kopf in den Raum.

Zwei unbequem aussehende Chesterfield-Sofas standen sich vor dem Kamin gegenüber, einen niedrigen Tisch mit Marmorplatte zwischen sich. Es gab keine Streckbank, keine Ketten, und tatsächlich führte eine Tür in einen weiteren Raum.

Hoffentlich kein Meth-Labor. Die fliegen so leicht in die Luft.

Auf dem Weg zur Küchentür zog ein wertvoll wirkendes Gemälde Leias Aufmerksamkeit auf sich. Rein professionelles Interesse natürlich, als Kunstliebhaberin, nicht als Diebin.

Da dieses dumme Herz sich ein wenig beruhigt hatte, trat sie näher heran. Wie erwartet handelte es sich um ein Ölgemälde in einem aufwendig gestalteten Rahmen. Es zeigte einen jungen Mann mit einer Flöte. Sie kannte es nicht, der Stil erinnerte sie jedoch an jemanden, irgendeinen bekannten Künstler.

Hätte sie in Kunstgeschichte doch nur besser aufgepasst.

Das Bild musste alt sein, denn es war restauriert worden. Sie konnte eine deutliche Beschädigung der Malschicht erkennen, wie es bei der Abnahme der Firnisschicht passieren konnte. Der neue Firnis war gleichmäßig aufgetragen worden und nicht vergilbt, und auch um den Rahmen hatte man sich gekümmert. Er war ausgebessert und neu lackiert worden.

Da war ein Profi am Werk gewesen.

Auf der anderen Seite des Kamins hing ein weiteres Kunstwerk. Ein kleineres, vielleicht dreißig mal vierzig Zentimeter. Der Weg in die Küche führte sie daran vorbei, das Licht der Laterne, das durch die Glastür fiel, reichte aber kaum aus, um es zu erkennen.

Erst als sie sich näherte, wurde das Motiv deutlicher. Der Umriss einer Frau, dunkle Haare, eine rote Kappe und ein geöffnetes Fenster im Hintergrund.

Leia stoppte, und plötzlich fiel es ihr schwer, zu atmen. Sie kannte das Bild. Jeder aus ihrem Semester kannte es. Tagelang hatten sie in jedem Seminar über nichts anderes gesprochen. Das hier musste eine Fälschung sein, ein Nachdruck, eine Replik. Es konnte unmöglich das Original sein.

Behutsam streckte sie die Hand danach aus, ihre Finger zitterten. Jedoch wagte sie es nicht, das Kunstwerk zu berühren. Es wirkte authentisch, Öl auf Leinwand, und auch die Signatur stimmte. Das konnte sie genau erkennen, als sie ihr Gesicht dichter heranbrachte, um die Farben und die Pinselführung zu betrachten. Alles sah verflucht echt aus. Ganz langsam atmete sie tief ein, um auch die letzten Nuancen aufzunehmen. Es roch sogar echt.

Verdammter Mist. Übelkeit stieg in ihr auf, und sie wischte sich über die Lippen.

War das möglich? Ja, klar war es das, irgendwo musste es schließlich abgeblieben sein. Aber was bedeutete die Tatsache, dass es hier hing?

Es bedeutet, dass es in dieser Villa jemand mit dem Gesetz nicht so genau nimmt.

Ob das der Grund war, warum sie keinen anderen Raum betreten sollte?

So groß war ihr Durst gar nicht mehr. Rückwärts tastete sie sich am Sofarücken entlang, weg von dem Bild, sie wagte es nicht, der Frau vor dem geöffneten Fenster den Rücken zuzukehren. Erst als sie fast gegen den Türrahmen stieß, drehte sie sich um.

Alles zog sie zum Ausgang. Andererseits … dann war der Job gelaufen und ihr Ruf im Eimer. Niemand würde sie mehr engagieren, sie konnte sich zu Tode kellnern und das schneller, als ihr lieb war.

Ach, verdammt. Sie hatte doch von Anfang an gewusst, dass hier irgendetwas nicht stimmte, machte es dieses Bild jetzt wirklich schlimmer?

Nicht wenn es nur das ist.

Sie schluckte den Kloß herunter, der ihre Kehle verstopfte, und betrat die Treppe.

Oben angekommen, wandte sich Leia nach rechts.

Alle Türen in dem Flur waren geschlossen und schwebten als weiße Rechtecke in einer Wand aus Dunkelheit. Der letzte Raum auf der rechten Seite des Hauses sollte es sein. Der, in dem vorhin das Licht durch das Fenster geleuchtet hatte.

Bevor sie die Klinke herunterdrückte, wischte sie sich den Schweiß von der Stirn, damit er ihr nicht in die Augen lief. So geschwitzt hatte sie bei der Arbeit schon lange nicht mehr. Danach trat sie ein.

Von draußen fiel Helligkeit durch das Fenster, und sie revidierte ihre schlechte Meinung über Straßenlaternen vollends.

Das Schlafzimmer war annähernd quadratisch und spärlich mit einem Bett, einem Sessel und einem Nachttisch möbliert. Eine weitere Tür führte ins Badezimmer. Nicht viele Verstecke, aber darüber wollte sie sich nicht beschweren.

Wenn da nur nicht dieses Gefühl wäre, dass irgendetwas mit dem Raum nicht stimmte … Doch was war das?

Leia schüttelte die Empfindung ab. Zuerst öffnete sie die Schublade des Nachtschränkchens, die allerdings nur ein paar Medikamentenpackungen enthielt. Irgendwelches Zeug, dessen Namen sie nicht einmal aussprechen konnte. Eins erinnerte sie an das Computerspiel, das Mick ständig online zockte.

Je komplizierter der Name des Heilmittels, desto schlimmer die Krankheit, hatte ihr Vater immer gesagt. Und wenn sich jemand damit auskannte …

Nicht dein Problem.

Auch im Bett waren keine Unterlagen versteckt, kein Buch und erst recht kein Gemälde. Nicht unter den Kissen und auch nicht unter der Decke.

Natürlich nicht, das wäre ja auch zu einfach gewesen. Genervt hielt sie inne und dachte nach. Wenn das ihr Schlafzimmer wäre, wo würde sie etwas verstecken?

Unter dem Bett?

Seufzend ließ sich Leia auf die Knie nieder und hob die Tagesdecke an, die bis auf den Boden fiel. Sie zückte die Taschenlampe und verpasste ein paar Wollmäusen ihren großen Auftritt im Scheinwerferlicht.

Fehlanzeige. Der Hausbewohner hatte ihr nicht den Gefallen getan, da einfach eine Kiste zu verstecken. Brav führten die Wollmäuse ein Tänzchen auf, als Leias schneller Atem sie traf. Warum atmete sie nur so heftig? Sie sollte sich besser beruhigen.

Auf dem Rücken liegend rutschte sie unter das Bett, ihre Nasenspitze berührte beinahe den Lattenrost. Auch unter der Matratze klemmte nichts, lediglich Staub rieselte auf sie herab. Sie nieste und zuckte prompt zusammen.

Doch warum, verflucht noch mal? In dem Haus war niemand außer ihr, sie konnte so viel niesen, wie sie wollte. Sie wusste das, trotzdem kam ihr das Niesen zu laut vor … gefährlich laut.

In einem schlechten Film käme der Hausherr jetzt nach Hause, und sie müsste unter dem Bett warten, bis er sich umzöge und einschliefe. Und in einem noch schlechteren Film wäre er nicht allein. Dann würde sie hier liegen und die Latten über ihrem Kopf bögen sich quietschend immer wieder durch.

Aber nein, der Typ war ja in einem Gentlemen’s-Club. Da schleppte man keine Frau ab. Einen Mann vielleicht. Durfte man in solchen Clubs schwul sein oder nahmen die nur Heteros auf?

Egal, sie wollte weder das eine noch das andere erleben. Mit den Füßen zuerst rutschte sie unter dem Bett hervor und klopfte sich den Staub vom Hintern. Hoffentlich hinterließ das keine Spuren, die dem Bewohner auffielen.

Die ganze Aktion dauerte ohnehin schon viel zu lange. Wo waren jetzt diese verdammten Unterlagen?

Sie stemmte die Hände in die Taille und fühlte ihren Herzschlag, der bis in die Flanken pulsierte. Was, wenn ihre Auftraggeber sich irrten? Warum waren die sich überhaupt so sicher, dass sich das Versteck im Schlafzimmer befand?

Der Geschmack in ihrem Mund wurde auch immer unangenehmer, je länger sie hier brauchte. Ihr Blick fiel auf die Badezimmertür.

Ob sie ausnahmsweise mal ihren Grundsatz verletzte und doch in die Privatsphäre ihres Opfers eindrang? Ganz diskret und nur für einen Schluck Wasser?

Ausnahmsweise.

In dem Moment, in dem sie die Tür öffnete, wurden ihr schlagartig einige grundlegende Irrtümer klar. Laut Bauplan war das Bad nämlich ein Stück den Flur hinunter und dann links. Außerdem müsste das Schlafzimmer viel größer sein. Und warum hatte sie sich nicht gewundert, dass hier nirgendwo ein Schrank stand?

Du lässt dich von deiner Nervosität ablenken. Reiß dich zusammen und bring den verdammten Auftrag hinter dich!

Die Sachen sollten im Schlafzimmer sein, doch gehörte ein Ankleidezimmer nicht mit zum Schlafzimmer? Wenn ja, dann hatte sie hier einen ganzen Raum voller Versteckmöglichkeiten vor sich.

Ihr Durst würde wieder warten müssen, denn der Kerl hatte verdammt viele Klamotten.

Kapitel 3

Mick

 

Mick saß am Computer und starrte auf den Bildschirm.

Sein Avatar gefiel ihm heute nicht. Vielleicht mit einer anderen Hose? Er öffnete das Inventar und klickte die grüne an. Besser – aber nicht gut genug.

Seufzend sah er auf die Uhr in der Bildschirmecke. Nicht einmal halb zehn. Leia war bereits seit einer Stunde weg, ein bisschen mehr als eine Stunde, um genau zu sein. Aber so lange brauchte sie allein schon für den Weg hin und zurück. Sie konnte also noch nicht wieder da sein, es bestand kein Grund zur Sorge.

Natürlich sorgte er sich trotzdem. Seit ihr Vater tot war, war er ihre einzige Familie, und sie bildete den wichtigsten Teil seiner Familie – den Teil, den man sich selbst wählte. Wie konnte er sich da keine Sorgen machen?

Er rieb sich das spärlich behaarte Kinn und widerstand dem Drang, in ihr Zimmer zu gehen und ihre Sachen aufzuräumen, um sich daran zu erinnern, dass sie noch lebte und ständig neues Chaos anrichtete. Das tat er immer, wenn ihn die Angst vor der Zukunft befiel.

Sie macht das schon.

Er schüttelte sich.

Natürlich. Was für einen Mist sie auch baute, es ging stets gut aus. Das war schon damals in der Schule so gewesen, und es hatte sich nicht geändert. Sie sprang aus dem Fenster und konnte sich darauf verlassen, dass jemand eine Hüpfburg darunter aufgebaut hatte.

Trotzdem fürchtete er, dass diese Hüpfburg irgendwann einmal ein Loch hatte. Eigentlich hatte sie das bereits: Ein Loch namens Huntington, durch das die Luft ganz allmählich entwich.

Er schüttelte sich erneut. Darüber wollte er gar nicht erst nachdenken. Den Gedanken musste er verdrängen, solange es noch ging … ein paar Jahre mindestens noch.

In der Ferne heulte eine Sirene. Es klang wie der Zivilschutz-Probealarm jeden Samstag um zwölf, nur weiter entfernt. Fliegeralarm, hatte sein Opa das genannt.

Rundfunkgerät einschalten und auf Durchsagen achten.

Kurz darauf erklang ein Martinshorn, dann ein weiteres. Nur Augenblicke später klang es nach einer ganzen Armee von Rettungswagen oder Feuerwehr.

Das trug nicht gerade zu seiner Beruhigung bei.

»Wo bleibst du, Leia?«, murmelte er.

Völliger Quatsch. Es war noch viel zu früh, erst zwanzig vor. Und wie wahrscheinlich war es, dass dieser Alarm etwas mit ihnen zu tun hatte?

Nicht sehr wahrscheinlich. Genau gesagt, völlig unwahrscheinlich. Polizei mit Sirene und Blaulicht vielleicht, aber der Katastrophenalarm? Wohl kaum. Bestimmt handelte es sich um einen Unfall auf der Autobahn oder um ein großes, außer Kontrolle geratenes Feuer.

Mick schickte seinen Avatar mit ein paar Mausklicks auf Wanderschaft, stand auf und sah aus dem Fenster.

Kein Qualm, kein flackernder Widerschein, kein Blaulicht.

Er ging in die Küche und versuchte es dort. Hing da hinten in der Altstadt nicht eine Rauchwolke über den Dächern? Oder war das nur eine normale Wolke? Egal, jedenfalls war es nicht die Ecke, in der sich Leia herumtrieb.

Natürlich nicht. Der Alarm hatte nichts mit ihnen zu tun. Doch egal, wie oft er das wiederholte, die Unruhe blieb.

Da half nur eins: Informationen.

Er setzte sich wieder an den PC, verließ das Spiel und startete den Onion-Proxy. Es dauerte, bis das Programm eine Verbindung mit dem Tor-Netzwerk hergestellt hatte. Sobald die verschlüsselte Verbindung stand, tanzten seine Fingerspitzen über die Tastatur. Erst rief er die Polizeimeldungen auf, dann alle anderen kürzlich eingegangenen Notrufe. Er scrollte die Liste nach unten.

Da, ein Feueralarm war ausgelöst worden. Tatsächlich, die Gegend stimmte mit der überein, in der er den Rauch gesehen hatte.

Mick überflog den Bericht. Na also. Es hatte überhaupt nichts mit ihnen …

Er stolperte über einen Begriff und runzelte die Stirn. Öffnete einen weiteren Tab. Schüttelte den Kopf.

Nein, das war bestimmt nicht der gleiche Laden. Davon musste es in jeder Stadt mehrere geben. Wie hoch wäre die Wahrscheinlichkeit, dass ausgerechnet heute genau da …

Er stellte sich erneut ans Fenster und starrte hinaus. An sein Spiel verschwendete er keinen Gedanken mehr.

Shit. Wann kam Leia endlich zurück?

Kapitel 4

Leia

 

Eine halbe Stunde später hatte Leia vier Meter Kleiderschrank bezwungen und es mit Unmengen an Hosen und Hemden aufgenommen, von Socken ganz zu schweigen. Doch sie war nicht fündig geworden. Kein Tagebuch, keine Unterlagen, kein Gemälde.

Leia hing in dem Sessel im Schlafzimmer, mit dem Hintern bis an die vordere Kante des Sitzes gerutscht, und starrte durch die Tür ins Ankleidezimmer.

So ein Dreck. Das nächste Mal sollte sie einfach auf ihr Gefühl hören. Wenn es sich nicht richtig anfühlte, vermutlich aus dem Grund, dass irgendetwas mit dem Auftrag nicht stimmte.

Das Zeug sei im Schlafzimmer, hatten sie behauptet, und verlangt, dass sie keine Spuren hinterlassen, keinen anderen Raum betreten solle. Und wenn die Sachen nicht hier waren, was dann? Durfte sie trotzdem keinen anderen Raum betreten? Hatte sie in diesem Fall überhaupt eine Chance, die Beute zu finden?

Nachdenklich fuhr sie mit der Zungenspitze über die Rückseite ihrer Schneidezähne. Ob es an ihr lag oder an diesem seltsamen Gefühl, das sie befallen hatte und ihr sagte, dass hier irgendetwas nicht stimmte? Möglicherweise war sie nicht richtig in Form und übersah das Offensichtliche.

Es war ihr schließlich auch nicht sofort aufgefallen, dass das Zimmer gut drei Meter kürzer war als auf dem Bauplan. Dabei hatte sie sich mit Mick noch darüber aufgeregt, dass das Schlafzimmer dieses Bonzen fast so groß war wie ihre gesamte Wohnung.

Und dennoch war sie hier hineinspaziert, hatte unter dem Bett gesucht und im Nachttisch – und dabei keinen Gedanken daran verschwendet, wie es passieren konnte, dass die Wände ein ziemlich exaktes Quadrat umschlossen und nicht ein sieben Meter langes Rechteck. Das durfte sie echt keinem erzählen. Aber sie erzählte ohnehin selten jemandem von ihrem Zweitjob, also sollte das kein Problem sein.

Sieben Meter, so lang war ihre gesamte Wohnung, wenn man das Bad wegließ. Und hier wusste der Kerl nicht, wohin mit dem Platz. Ein drei Meter breiter Ankleideraum … Irgendetwas machten Mick und sie wohl falsch.

Ein Gedanke klopfte von innen an ihre Stirn, um auf sich aufmerksam zu machen. Er ließ sich auch von ihrer Hand nicht verscheuchen und pochte stattdessen stärker.

Was sollte das?

Leia kniff die Augen zusammen und richtete sich langsam auf. Drei Meter? Sah von hier nicht so groß aus.

Sie stand auf und trat in den Schrank. Wie tief war denn so ein Korpus? Fünfzig, sechzig Zentimeter? Und der Platz davor betrug vielleicht einen Meter, eins zwanzig höchstens. Das machte insgesamt weniger als zwei Meter.

Seltsam. Sie warf einen Blick ins Schlafzimmer. Das Bett war zwei Meter breit, ein normales Doppelbett. Auf beiden Seiten daneben gab es einen Gang von jeweils ungefähr einem Meter. Das machte insgesamt vier.

Seltsam, seltsam. Hatte sie sich geirrt, was den Grundriss anging? Oder war der Plan vielleicht falsch? Oder …?

Das konnte sie überprüfen. Sie addierte die zwei Meter im Schrank zu den schätzungsweise weiteren zwei Metern von der Wand bis zur Schlafzimmertür.

Dann verließ sie das Schlafzimmer und zählte im Flur große Schritte bis zur Tür des Nebenraums ab. Sieben Schritte, das ergab sieben Meter, plusminus. Sie legte die Hand auf die Türklinke des Nachbarzimmers und zögerte.

Keinen weiteren Raum betreten.

Was soll’s, das würden die niemals erfahren und sie käme sonst nicht weiter. Außerdem war das Thema spätestens seit ihrem Ausflug ins Wohnzimmer durch.

Sie drückte die Klinke herunter und öffnete die Tür. Mit der Taschenlampe leuchtete sie durch den Spalt. Ein Arbeitszimmer, die Wände voller Bücherregale und ein gigantischer Schreibtisch in der Mitte. Ein ausgestopfter Greifvogel starrte ihr von der Tischplatte aus funkelnden Augen entgegen.

Schon von der Tür aus erkannte sie, wie ihr Experiment ausgehen würde. Sie brauchte maximal zwei Schritte bis zur Wand, eher etwas weniger. Doch sie schlich trotzdem bis zum Regal, schob ihre Hand zwischen den Büchern hindurch und legte sie auf die Wand dahinter.

Unter ihren Fingerspitzen fühlte sie kalten Putz. Ihre Vorstellung von einem Bücherregal, das aufschwang, wenn man ein bestimmtes Buch herauszog, zerplatzte, doch die war ohnehin zu klischeehaft.

Wenigstens wusste sie jetzt Bescheid. Sechs Meter in den Zimmern gegenüber sieben Metern im Flur. Ein Meter fehlte.

Ihr Herz schlug schneller. Ein Geheimraum. Blieb nur noch die Frage, wie sie da hineinkam.

Sie huschte durch den Flur zurück in den Schrank und starrte die Regale an. Unwahrscheinlich, dass man erst alles auseinanderbauen musste, das wäre viel zu umständlich. Also musste es einen Mechanismus geben, mit dem man eine Art Tür öffnete und etwas, das diesen auslöste: einen Hebel, einen Knopf, ein Sesam-öffne-dich. Das war eigentlich nur möglich in den Schrankabteilen, in denen keine Regale oder Schubladen montiert waren.

Davon gab es zwei. In dem einen waren zwei Kleiderstangen übereinander angebracht, an denen dicht an dicht Hosen, Anzüge und Hemden hingen. In dem anderen Abschnitt, ganz rechts, befand sich nur eine Kleiderstange. Daran baumelten einige Mäntel und Jacken, ein Morgenrock und ein paar altmodische Trainingsanzüge.

Existierten wirklich Menschen, die in solchen Dingern trainierten? Sie sah durch das Schaufenster bei FitFirst – oder hieß es FirstFit? – hauptsächlich Mädels in zu engen Leggings und Jungs in mutmaßlich gefälschten Fendi-Shirts, wenn sie daran vorbei zur Arbeit ging.

Unter den Kleidungsstücken standen ein Koffer und eine gepackte Reisetasche. Wenn sie wetten müsste, würde sie all ihre Kohle auf diesen Teil des Schrankes setzen, und zurzeit war all ihre Kohle ziemlich viel.

Sollte sie richtig liegen, würde es bald noch sehr viel mehr werden.

Sie wuchtete den Koffer und die Reisetasche heraus, die sie beide bei ihrer ersten Suche als Versteck bereits ausgeschlossen hatte.

Danach schob sie die Kleidungsstücke auf eine Seite und kroch in den Schrank. Behutsam drückte sie gegen die Rückwand. Sie gab kein Stück nach. Das Ding bestand nicht aus einer dünnen Hartfaserplatte wie bei ihr zuhause, sondern fühlte sich massiv und schwer an.

Wie eine Tür.

Egal, wo sie ihre Hände ansetzte, wo sie drückte oder schob, da bewegte sich nichts.

Ob sie es mit roher Gewalt probieren sollte? Spurlos wäre das allerdings kaum möglich. Nein, sie musste den Mechanismus finden, das war die einzige Möglichkeit.

Einfacher gesagt als getan. Sie zückte ihre Taschenlampe und leuchtete jeden Winkel aus. Die Ecken, oben und unten, die Seiten. Da war nichts, kein Schalter, Knopf, Hebel oder sonst was.

Ob sie doch im falschen Schrank hockte? Sie konnte sich die Sache mit den Hemden ja wenigstens anschauen. Es war noch nicht einmal zehn und so viel Zeit musste sein.

Als sie sich hochstemmte, stieß sie mit der Schulter einen leeren Kleiderbügel von der Stange. Er fiel scheppernd zu Boden, und Leia versuchte auszuweichen. Sie musste sich mit dem Arm in der hinteren Ecke abstützen, um nicht hintenüber aus dem Schrank zu purzeln. Dabei schürfte sie sich an etwas das Handgelenk auf. Ein Blutstropfen rann an ihrem Arm entlang.

Was zum Teufel …?

Sie leckte den Tropfen weg, bevor er hinabfallen konnte. Da musste irgendetwas Scharfes sein, an dem sie hängengeblieben war.

Die Taschenlampe zwischen den Zähnen zog sie einen Handschuh aus. Mit der bloßen Hand strich sie über das Holz und ertastete einen kleinen Zylinder, eingelassen in den hintersten Winkel. In gleichmäßigen Abständen fühlte sie weitere dieser Dinger.

Scharniere?

Wenn das wirklich Scharniere waren, dann war auf der anderen Seite die Türklinke … oder etwas, das die gleiche Funktion erfüllte. Auch dort tastete sie mit den Fingerspitzen, versuchte, zu sehen, ohne ihre Augen zu benutzen.

Ganz unten in der Ecke wurde sie endlich fündig. Ihre Finger verhakten sich in einem dünnen Metalldraht, den sie fast für ein Haar gehalten hätte. Er begann in der Ecke und führte an der Seitenwand entlang, wo er schließlich in einer Schlaufe endete.

Sie steckte den Zeigefinger hinein und zog daran. Die Rückwand schwang nach hinten auf.

Sie tat es so lautlos, dass Leia einen Augenblick fürchtete, taub geworden zu sein, so sehr hatte sie ein Quietschen erwartet. Doch dann stieß das Holz mit einem Klappern gegen die Außenwand, und sie zuckte zusammen.

Verdammt, du bist doch sonst nicht so schreckhaft!

Leia zog ihren Handschuh wieder an und nahm die Taschenlampe aus dem Mund. Ihre Hände fühlten sich unter dem engen Leder verschwitzt an, und das lag nicht nur an den sommerlichen Temperaturen.

Vorsichtig schob sie ihren Oberkörper durch die Öffnung und leuchtete in den Raum hinter dem Schrank.

Wenn sie daran dachte, was sie versehentlich im Wohnzimmer gefunden hatte, wollte sie sich gar nicht vorstellen, was der Bewohner hier aufbewahren mochte. Ob sie jetzt doch noch den SM-Sklaven entdeckte?

Der Lichtkegel kroch über den Holzfußboden, bis er die hintere Wand erreichte. Die Anspannung fiel von Leia ab. Das Geheimversteck war leer. Oder beinahe leer, denn auf dem Boden lagen eine dünne Dokumentenmappe und darauf ein alt aussehendes, zerfleddertes Buch.

Bingo. Sie kletterte hinter den Schrank. Nur schnell das Zeug einpacken und weg hier.