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Gerade als sich Gregor Bold mit seiner Frau Jenny auf die bevorstehende Geburt seines ersten Kindes vorbereitet, wird er auf mysteriöse Weise von seiner Frau getrennt. Gregor Bold wird von Zwergen bewusstlos in einer Höhle gefunden. Es stellt sich heraus, daß er auf einer völlig fremden Welt gestrandet ist. Mit Hilfe der Zwerge versucht er zu klären, was mit ihm geschehen ist. Gregor Bold begibt sich auf eine lange und gefährliche Suche. Er muss viele und gefährliche Abenteuer bestehen und es ist völlig offen, ob er seine Frau jemals wieder sieht.
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Seitenzahl: 321
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Fantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.
Albert Einstein
Nur wer sein Ziel kennt,
findet den Weg.
Laozi
Jenny?
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Zeit – bedeutet gar nichts!
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Ich bin wieder da!
Jenny?
„Jenny?“
Gregor Bolds griff automatisch neben sich, als er langsam, abgeschlagen und benommen wieder zu sich kam. Suchend griff er eine Weile umher. Da war aber nicht wie erwartet die zarte Hand seiner Gefährtin, sondern nur … harter … Stein! Bold öffnete die müden und erschöpften Augenlider. Er war tatsächlich allein … und er lag auf Tierfellen … die auf blankem Felsboden ausgebreitet waren. Sein Körper war bedeckt mit gewebten Decken die fremdartige Muster aufwiesen. Es war dämmrig, nur einige flackernde Lichter, Kerzen oder Fackeln sorgten für etwas Sicht. Außerdem roch es stark nach … Hühnerbrühe. Wo in aller Welt war er jetzt wieder gestrandet?
Nur langsam, fast schon widerwillig, kehrten die Lebensgeister von Gregor Bold zurück. Sein Schädel brummte wie ein nervöser aufgescheuchter Bienenschwarm. Dazu hatte er das Gefühl, als hätte er am ganzen Körper heftige Tritte und Schläge erhalten. Erschöpft schloss Bold seine brennenden Augen. Vielleicht sollte er seinem Körper einfach noch etwas Ruhe und Schlaf gönnen? Wenn er dann erneut erwachte, würde die Welt hoffentlich wieder im Lot sein und ihren gewohnten Gang gehen. Und Jenny würde neben ihm liegen - alles würde wieder gut sein.
Ohne seine Augen erneut zu öffnen tastete Gregor Bold nach einer Weile, behutsam und sehr vorsichtig, abermals seine Umgebung ab. Stein – Fels! Es hatte sich also nichts verändert! Und er wusste: Es würde sich nichts mehr ändern! Wunschvorstellungen! Bold biss sich auf seine Lippen bis es schmerzte. Kein Schlaf! Nicht bevor er wusste was geschehen war und vor allem wie er hierhergekommen war … und wo er war. Er musste sich jetzt wohl oder übel endlich der Wirklichkeit stellen.
Mühsam und unter stechenden Schmerzen richtete er sich auf. Sofort wurde es ihm schwindlig und übel. Bolds Augen benötigten eine Weile, bis sie sich der ungewöhnlichen Umgebung angepasst hatten. Anscheinend befand er sich in einem Keller oder Verlies. Wie hatte es ihn nur hierher verschlagen? Es war düster und irgendwie sehr fremdartig. Gregor Bolds Blick fiel auf sein Lager. Nachdenklich betrachtete er die Decken. Obwohl er keine Ahnung von Stoffen hatte, erkannte er, dass es sich um Meisterwerke der Webkunst handelte. Die dargestellten Symbole waren ihm nicht bekannt. Sie sahen aber aus wie alte Zeichen - Runen?
Runen!
Mannaz, Dagaz, Ansur, Gyfu, Thurisaz und wie sie alle geheißen hatten! Bilder dieser alten Schriftzeichen tauchten vor Gregor Bolds innerem Auge auf. Übergangslos befand er sich wieder im Tal Irminsul. Es war auch fantastisch gewesen was er dort1 in den letzten Monaten zusammen mit Clark Branigan und Jenny alles erlebt hatte: Die Bekanntschaft mit Abnoba2 und Heimdall3. Den aufregenden und gefährlichen Begegnungen mit den Asen4 und den Thursen5…
Ausgerechnet er, Gregor Bold, ein einfacher Naturfotograf, hatte quasi im Alleingang die Eroberung Midgards6 durch die Thursen verhindert und damit auch die Unterwerfung der Menschheit. Er hatte lediglich seinen linken Fuß dafür geopfert! Wenn man Erfolg und Einsatz gegeneinander abwog, ein zwar äußerst schmerzhaftes, aber im Grunde bescheidenes Opfer. Gregor Bold hätte auch sein Leben gegeben, wenn er dafür seiner geliebten Jenny die geistige Versklavung durch die Thursen ersparen konnte. Die Flashbacks7 waren jetzt so stark, dass er sein heftig blutendes Bein wieder vor sich sah. Sein abgetrennter, in Utgard8 verbliebener Fuß, schmerzte höllisch9.
Jenny!
Sie wollte zur Entbindung ihres ersten Kindes unbedingt nach Ecuador. Gregor Bold hatte nicht verstanden was das sollte und welcher wahre Grund hinter dem merkwürdigen Wunsch seiner Frau steckte. Denn, das war ihm klargeworden, irgendetwas sehr Wichtiges musste es schon sein, damit Jenny in ihrem Zustand eine solche weite und strapaziöse Reise auf sich nahm. Kaum waren sie beide in Guayaquil10 gelandet, waren sie mit einem Jeep in ein dichtes Waldgebiet in der Nähe einer Gebirgskette gefahren.
Die Erinnerungsfetzen verwehten. Gregor Bold öffnete erneut seine Augen und blickte umher. „Wo zum Teufel nochmal bin ich hier bloß?“, murmelte er halblaut vor sich hin und schob die trotz ihrer Dichte erstaunlich leichten Decken beiseite, damit er sich aufrichten konnte. Überrascht stellte er fest, dass er vollkommen nackt war! Warum …?
„Du bist in meiner Höhle.“
Bold fuhr erschrocken zusammen, als er plötzlich die tiefe Stimme hörte. Rasch zog er die Decken über seinen Körper und starrte auf den Mann der aus der Dunkelheit auf ihn zuschritt. Der Fremde war auffallend klein und sehr eigenartig gewandet. Er hatte einen langen grauschwarzen Bart der mit zahlreichen Bartringen geschmückt war und trug eine knallrote Bandana11 auf seinem Kopf.
„Man nennt mich Hanarr12“, der Mann zog einen kleinen hölzernen Hocker mit sich, den er neben Bolds Lager stellte und sich daraufsetzte. Eine Weile herrschte Schweigen. Die beiden ungleichen Wesen musterten sich.
„Wo bin ich“, fragte Gregor Bold abermals und fügte ratlos hinzu, „was ist eigentlich los? Was ist mit mir geschehen?“
„Nun“, brummte Hanarr mit tiefen Bass, „das ist fürwahr eine gute Frage. Ich weiß es nicht. Wir hatten gehofft, dass du uns dies erklären kannst. Wir haben dich besinnungslos und ziemlich übel zugerichtet in der Nähe eines Durchgangs nach Midgard gefunden. Wir denken deshalb, dass du …“
„Wer ist wir?“, unterbrach Gregor Bold fragend.
„Na … die Horde von Sigr“, antwortete der kleine Mann, als würde das alles erklären. Nachdenklich strich er dabei über seinen Bart und spielte kurz mit einem der Bartringe. „Du hast anscheinend tatsächlich wenig
Ahnung von dieser Welt hier Fremder. Du kannst deinen Göttern dankbar sein, dass wir dich gefunden haben und nicht Trolle13 oder schlimmeres Getier.“ Der Mann stand auf und breitete seine Hände aus. „Du bist hier im Berg Suck. Die Horde von Sigr hat diese Höhlen über Generationen in mühevoller Arbeit geschaffen. Die Horde von Sigr ist meine Familie, meine Sippe.“ Man sah dem Mann den Stolz auf seine Abstammung an. Er setzte sich wieder und sprach weiter: „Sigr ist unser König. Er führt seinen Stammbaum im Übrigen bis auf Modsognir14 zurück, dem mächtigsten aller Zwerge.“
„Zwerge?“, wiederholte Gregor Bold und griff sich nachdenklich an seinen Kopf. Das erklärte zumindest die Größe seines Gegenübers. Warum dieser allerdings eine Bandana statt einer Mütze trug blieb noch ein Geheimnis. Gregor Bold spürte Stoff unter seinen Fingern und tastete suchend umher. Es fühlte sich an als wäre sein gesamter Schädel bandagiert.
„Ja Zwerge“, Hanarr beantwortete Bolds Frage und deutete auf sich. „Ich bin ein Zwerg. Hanarr aus der Horde von Sigr. Aber wer bist du Fremder?“
„Man nennt mich Gregor Bold, ich komme von …“, Gregor Bold zögerte, was sollte er jetzt nur sagen?
„Nun, ich schätze du kommst von Midgard. Schließlich fanden wir dich in der Nähe eines der Übergänge. Und deshalb wirst du wahrscheinlich ein Mensch sein. Mich würde aber interessieren, wie alt du bist eigentlich?“
„Ich?“, Gregor Bold war irritiert, was sollte diese Frage bedeuten. „Warum?“
„Wie - alt - bist - du?“, wiederholte Hanarr hartnäckig.
„32 – warum?“
Der Zwerg griff sich erneut an einen seiner Bartringe, „ungewöhnlich“, murmelte er, „sehr eigenartig“, dann fügte er hinzu, „verzeih die Frage Gregor Bold, aber ich habe dich während deiner langen Ohnmacht gewaschen und gepflegt. Mir ist aufgefallen, dass das Alter deines Körpers mit deiner Haarfarbe nicht übereinstimmt. Du hast den Leib eines Jünglings und gleichzeitig die Haare und den Bart eines Greises.“
„Ach das“, Gregor Bold griff sich zunächst automatisch an den Kopf und dann ins Gesicht. Er trug tatsächlich einen Vollbart, dabei hatte er sich doch erst heute früh rasiert!
„Wie … wie lange bin ich schon hier?“
„Einige deiner Tage Mensch. Wir haben hier eine etwas andere Zeitmessung als auf Midgard.“
„Als ich“, Gregor Bold zögerte, „… als wir aufgebrochen sind, hatte ich noch keinen Bart.“
„Du hast meine Frage noch nicht beantwortet, woher deine weiße Haarfarbe kommt. Das ist wirklich sehr ungewöhnlich. Sie zeugt normalerweise von großem Alter, Klugheit, Erfahrung oder Weisheit.“
„Nun Klugheit und Weisheit mit Sicherheit nicht“, abwehrend schüttelte Gregor Bold seinen Kopf, unwillkürlich musste er grinsen „dann wäre ich nämlich nicht hier. Ich hätte mich niemals auf so ein Abenteuer einlassen sollen. Aber Jenny kann so überzeugend sein. Die ganze Reise war sehr unklug, ein Unding, völlig unvernünftig und dumm gewesen … vor allem in ihrem Zustand.“ Gregor Bold zögerte, er hatte die Frage des Zwergs immer noch nicht beantwortet. Er wusste allerdings auch nicht in welchem Umfang er diesem vertrauen konnte. Sie kannten sich noch viel zu wenig. Auch wenn ihn dieser angeblich gepflegt hatte. Aber er wollte auch nicht unhöflich sein, immerhin hatte ihn Hanarr bei sich aufgenommen. „Ich habe vor einiger Zeit einen furchtbaren Unfall erlitten. Als ich … wieder zurückkam war mein Haar weiß.“
„Ungewöhnlich“, Hanarr spielte nachdenklich mit seinen Bartringen, „aber davon habe ich schon gehört. Es muss ein sehr einschneidendes Erlebnis in deinem Leben gewesen sein Mensch Gregor Bold. Aber das erklärt immer noch nicht dein Hiersein im Berg Suck.“
Hanarr schwieg und musterte sein Gegenüber eine Weile. „Nun vielleicht sollten wir es für heute mit der Fragerei belassen. Immerhin bist du nach Tagen des Hin- und Hergleitens zwischen Leben und Tod wieder endgültig zu den Atmenden zurückgekehrt.“
„Es tut mir leid“, Gregor Bold seufzte, „ich bin in der Tat etwas durcheinander. Aber ich habe wirklich keine Ahnung was geschehen ist Hanarr.“ Bold zögerte und schluckte ein paarmal. „Eine Frage: War ich allein, oder befand sich eine Frau bei mir?“
„Du meinst diese Jenny?“, Hanarr blickte Bold aus seinen großen dunklen Augen an. Erneut griff er nach seinem Bart und spielte mit dem Bartschmuck. Große glänzende Ringe die mit allerlei Zeichen reich verziert waren.
Runen?
„Ja genau, Jenny – wo ist sie?“, voller Hoffnung sah Gregor Bold sein Gegenüber an.
„Ich weiß es nicht“, Hanarr schüttelte bedauernd seinen Kopf. „Du hast diesen Namen während deines Schlafs ein paarmal laut gerufen. Wir haben aber nur dich gefunden und sind deshalb davon ausgegangen, dass du allein den Übergang benutzt hast … oder, dass du und diese Jenny beim Übertritt getrennt worden seid.“
Gregor Bold seufzte, er hatte also seine Frau verloren …und sein ungeborenes Kind. Was war denn nur geschehen? Warum war er allein hier? Er musste sich unbedingt genauer an die letzten Tage erinnern. „Warum ist eigentlich mein Kopf verbunden?“
„Als wir dich gefunden haben, hattest du dort eine ziemlich schwere Wunde. Vielleicht warst du in einen Kampf verwickelt? Ich hatte gehofft, dass du uns mehr darüber sagen kannst. Wir haben dich wegen deiner Verletzung zunächst zu Ginnar gebracht. Unser Heiler hat dich gereinigt und mit heilenden Salben eingerieben. Deine Wunde am Kopf hat er mehrmals mit einem heilenden Pilzsud gegen Infektionen bestrichen. Nach einigen Tagen warst du soweit hergestellt, dass man dich transportieren konnte. Sigr hat anschließend befohlen, dass man dich zunächst zu mir bringen sollte. Wenn du wieder ganz genesen bist, wird man über dein weiteres Schicksal entscheiden.“
„Sigr?“
„Ja, unser König“, erwiderte Hanarr geduldig, „das sagte ich aber bereits.“
Gregor Bold nickte und murmelte nachdenklich, „ja richtig, ich erinnere mich. Anscheinend fehlt mir ein Teil meines Gedächtnisses.“ Erschöpft fuhr er sich einige Male über sein Gesicht und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Irgendwie war er immer noch total neben der Spur. Wo in drei Teufelsnamen war Jenny? Warum war er allein gewesen? Gregor Bold lehnte sich zurück und schloss seine Augen. Angestrengt versuchte er sich zu erinnern.
Sie hatten den Eingeborenenstamm aufgesucht von dem Jenny vor einiger Zeit ein großes Stück Land für die OEF - Stiftung15 erworben hatte. Die Sprecherin des Stammes, einen hochbetagten Indio hatte sie empfangen und bei sich in ihrer Hütte aufgenommen. Nach einigen Tagen der Ruhe und Erholung bestand Jenny ungeduldig darauf mit ihm zu den heiligen Wassern des Stammes aufzubrechen. Erneut tauchten Flashbacks auf. Es hatte eine heftige Diskussion zwischen Jenny und ihm gegeben. Seine Frau war nicht von dem irrwitzigen Gedanken abzubringen gewesen ihr Kind im Tal Irminsul auf die Welt zu bringen. „Das ist unglaublich wichtig Gregor! Eine einmalige Chance für unser Kind. Abnoba hat es mir selbst gesagt16“, argumentierte Jenny, „Stell dir vor: Kinder von Menschen die im Tal Irminsul geboren werden sind Halbgötter und werden ein sehr langes Leben vor sich haben.“ Jenny hatte sich nicht
mehr umstimmen lassen! So waren sie schließlich trotz ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft zu den heiligen Wassern des Stammes aufgebrochen. Allein – ohne Begleitung der Indios, die mehrmals ihre Hilfe angeboten hatten!
Die alte Indiofrau hatte ihn vor ihrer Abreise kurz umarmt und zugeflüstert, „pass gut auf sie auf. Sie ist zwar legitimiert17, aber sie ist momentan nicht frei von fehlgeleiteten Gedanken. Ihr Hormonhaushalt ist durcheinander. Ich fürchte fast, sie begeht ...“, die alte Frau zögerte kurz, „eine Dummheit.“
Das gleiche dachte Gregor Bold insgeheim auch schon seit einigen Tagen. Er hatte das Thema immer wieder angesprochen, aber Jenny war nicht mehr von ihrem eingeschlagenen Weg abzubringen. Das einzige was Gregor Bold schließlich machen konnte, war seine Frau nicht aus den Augen zu lassen, um im Fall des Falles helfend eingreifen zu können.
Jenny hatte es letzten Endes geschafft, mit ihm in das heilige Wasser zu steigen und unterzutauchen. Er hatte ihre Hand gehalten und … dann war es plötzlich unglaublich hell geworden. Grell und plötzlich wie bei
einem Blitzeinschlag. Gregor Bold verspürte selbst jetzt in der Erinnerung daran noch einen starken heftigen Schmerz … dann … plötzlich waren die Flashbacks vorbei …
Qualvoll verzog Gregor Bold sein Gesicht. In seinem Kopf hämmerte es heftig, aber da war nichts mehr. Keine weitere Erinnerung tauchte vor seinem geistigen Auge auf!
„Es reicht Mensch - ruh dich jetzt aus. Mit Gewalt erreicht man in solchen Fällen nämlich nichts“, Hanarr stand entschlossen auf, „ich bin gleich wieder da.“ Der Zwerg verschwand im Dämmerlicht. Er kam aber bereits nach kurzer Zeit wieder zurück und hielt eine dampfende Henkeltasse in der Hand. „Hier trink das Gregor Bold. Diese Suppe stärkt Körper und Geist. Ginnar hat sie eigens für dich zubereiten lassen.“
Gregor Bold roch an der Tasse, er hatte sich vorhin also nicht getäuscht: Hühnersuppe! Hielten Zwerge tatsächlich Hühner? Er hatte noch nie davon gehört. Aber er hatte bisher auch noch nie etwas von der Lebensweise von Zwerge gewusst. Im Grunde hatte er dieses Volk, diese Art bis vor wenigen Monaten noch in den Bereich der Hirngespinste, Märchen und Mythen angesiedelt.
Vorsichtig löffelte er die heiße Brühe. Er musste unwillkürlich an seine Großmutter denken. Auch die hatte bei Grippe und Erkältungen als Allheilmittel Hühnersuppe verabreicht. Und - es hatte stets gewirkt!
„Danke Hanarr“, Gregor Bold reichte dem Zwerg die leere Tasse zurück. „Warum hat dein König eigentlich befohlen, dass man mich zu dir bringt? Bist du so eine Art Pfleger?“
„Ich?“, Hanarr lachte amüsiert auf. „Nein keineswegs - ich bin ein Schmied.“
„Ein Schmied?“, Gregor Bold starrte den Zwerg verblüfft an, „ich verstehe nicht. Verzeih mir, nichts gegen dich und deinen Beruf, aber warum soll mich ausgerechnet ein Schmied pflegen?“
„Ich bin wie jeder Zwergenschmied auch ein Kunstfertiger und kann aus den Metallen die feinsten Instrumente bauen. Es ist mir möglich Gold oder Silber so klein zu treiben, dass man es anschließend wie Garn verarbeiten kann. Die Wämser18 aus meinen Metallfäden werden sehr geschätzt.“
„Das glaube ich dir gerne“, Gregor Bold merkte an der lautergewordenen Stimme Hanarrs, dass dieser sehr viel auf seinen Beruf hielt. „Ich wollte deine Kunstfertigkeit keinesfalls anzweifeln. Aber ich verstehe wirklich nicht aus welchem Grunde man mich hierhergebracht hat.“
„Deshalb“, Hanarr zog mit einer raschen Bewegung die Decken von Gregor Bolds Körper und deutete auf dessen Prothese. „Ein künstlicher Fuß. Eine wirklich hervorragende Arbeit“, behutsam, fast schon zärtlich berührte Hanarr die Prothese. „Verrate mir Gregor Bold: Welcher Meister hat dieses Werk geschaffen?“
„Meister? Ich weiß nicht“, Gregor Bold schüttelte bedauernd seinen Kopf, „bei den Menschen fertigen solche Präzisionsprothesen Maschinen an.“
„Tatsächlich? Hmm - ja in der Tat, davon habe ich gehört“, Hanarr verzog angewidert sein Gesicht, „hochwertige Rechenmaschinen. Es ist jammerschade, dass keine Menschenhand diesen künstlichen Fuß gefertigt hat. Für jeden Handwerker müsste es doch eine große Freude und Befriedigung sein, solch ein auserlesenes komplexes Werk zu schaffen. Wenn du erlaubst, werde ich solange du der Pflege bedarfst den Mechanismus des künstlichen Fußes studieren.“ Hanarr hob beruhigend beide Hände, „Du brauchst keine Angst davor zu haben, ich werde ihn mir nur ansehen und nicht berühren.“
„Äh … gerne“, Gregor Bold war etwas verwirrt über das Anliegen des Zwerges, „ich bin sehr froh, dass ich diese Prothese habe. Sie ist für mich wie ein Teil meines Beines. Ich spüre oft gar nicht, dass ich sie trage.“
„Aus welchem Material besteht sie?“
„Hauptsächlich aus Carbon“, erwiderte Gregor Bold und fügte erklärend hinzu, „Kohlenstoff.“
„Kohlenstoff“, Hanarr nickte lächelnd, „ich weiß. Wir Zwerge waren zwar schon lange nicht mehr auf Midgard, aber wir haben unsere Quellen. Weißt du was“, Hanarrs Augen funkelten plötzlich voller Begeisterung, „während du hier ruhst und dich erholst, werde ich den künstlichen Fuß nachbauen. Ich werde selbstverständliche andere Materialien verwenden. Silber, Platinum, hmm Gold, obwohl … ich weiß nicht … Gold ist vielleicht zu weich … hmm, ein kleinwenig Mithril19. Aber natürlich nur, wenn du nichts dagegen hast.“
„Nein, was sollte ich dagegen haben?“, Gregor Bold gähnte müde. Die Hühnerbrühe wirkte und machte ihn schläfrig.
„Ruh dich aus Mensch. Die Suppe entfaltet bereits ihre kurierenden Wirkstoffe“, Hanarr lächelte, „das wird Ginnar freuen. Hier noch ein weiteres Heilmittel“, er reichte Gregor Bold ein gefülltes Glas, „die beste Medizin die ich kenne. Wenn du wieder erwachst wird es dir viel bessergehen.“
Gregor Bold trank das Glas aus. „Kvasir20!“ Er lächelte, eine weitere Überraschung. Er hatte nicht angenommen, dass er das Göttergetränk in seinem Leben noch einmal21 zum Trinken bekommen würde.
Erstaunt sah ihn der Zwerg an. Doch bevor er etwas fragen konnte, war Gregor Bold bereits erschöpft eingeschlafen. „Ruhe dich jetzt aus Mensch“, fürsorglich deckte ihn Hanarr zu. Nachdenklich betrachtete er Gregor Bold. Diesen Menschenmann umgaben anscheinend sehr viele Geheimnisse.
1 Das Tal Irminsul ISBN 9 783739 220345
2 Göttin / Muttergöttin
3 Schutzgeist / Lichtgeist
4 Germanisches Göttergeschlecht
5 Riesen (nicht unbedingt körperlich)
6 Die innere Welt (die Erde)
7 Eine nur wenige Sekunden dauernde intensive Erinnerung.
8 Die äußere Welt / Wohnwelt der Thursen
9 Phantomschmerz. Starke Schmerzwahrnehmung an einem amputierten Körperteil.
10 Santiago de Guayaquil Größte Stadt Ecuadors, bedeutendster Hafen des Landes.
11 Bandana Quadratisches Tuch, Kopftuch am Hinterkopf zusammengebunden.
12 Der Kunstfertige
13 Unnatürliche hässliche verunstaltete primitive und hinterhältige Wesen.
14 Von den Göttern erschaffener erster und mächtigster Zwerg.
15 The Original Earth for the Future. Die ursprüngliche Erde für die Zukunft.
16 978-3-7392-2034-5 / Das Tal Irminsul
17 Jennifer Hahms hatte von der alten Indio einst einen Trapiche Smaragd (Form eines Wagenrads) erhalten, der die Verbindung zwischen den Menschen und den alten Göttern symbolisiert.
18 Einzahl: Wams / Weste
19 Metall / vgl. J.R.R. Tolkien / u.a. Hemd von Frodo
20 Göttliches Getränk. Soll Weisheit vermitteln. Regeneriert den Körper nach Verletzungen.
21 Das erste Mal vgl. die Geschehnisse in: Das Tal Irminsul ISBN 9 783739 220345
Die nächsten Tage verbrachte Gregor Bold meistens schlafend, um seinem geschundenen Körper Zeit zur Regeneration zu geben. Wenn er zwischendurch aufwachte, saß fast immer Hanarr an seiner Seite und betrachtete aufmerksam die Prothese die seinen rechten Fuß ersetzte.
„Wäre es nicht einfacher für dich, wenn ich sie abnehme? Du könntest sie dir dann genauer ansehen.“
„Nein Gregor Bold, das ist nicht nötig“, erwiderte der Zwerg, „außer du würdest dich dann wohler fühlen.“
Gregor Bold lachte auf, „ganz ehrlich Hanarr, „ich fühle das Ding zum Glück oft gar nicht mehr. Es ist mir in der Zwischenzeit zu einem zweiten Fuß geworden.“
„Ja, das ist erstaunlich“, der Zwerg hielt in seinen Händen einige Metallfäden, die er ohne hinzusehen geschickt zu einem Teil des Prothesenmechanismus formte, „aber genauso sollte ein künstlicher Körperteil beschaffen sein. Nur, wenn du es nicht mehr als Fremdkörper empfindest, hat der Meister große Arbeit geleistet.“ Hanarr verzog sein Gesicht und fügte etwas abfällig hinzu, „oder bei euch Menschen eine Rechenmaschine. Weißt du Mensch Gregor Bold. Das Problem ist, eure Fachleute verlernen ihre Geschicklichkeit, ihr Handwerk.“ Der Zwerg seufzte, anscheinend konnte er es einfach nicht verstehen, dass Menschen Maschinen benutzten um etwas zu bearbeiten. Traurig schüttelte er seinen Kopf, „ich hole dir noch etwas frische Brühe.“
Gregor Bold blickte Hanarr nachdenklich hinterher. Langsam setzte er sich auf und streckte sich. Es ging ihm körperlich bereits deutlich besser. Jetzt wurde es Zeit, dass er sich endlich auf die Suche nach Jenny machte. Auch der Heiler hatte ihm bei seinen Krankenbesuchen mit einigen wenigen gebrummten Worten bestätigt, dass er wiederhergestellt war. „Soweit dies möglich gewesen war“. Ginnar war deutlich dicker als Hanarr, hatte ebenfalls einen langen Bart, den er im Gegensatz zu Hanarr aber offen trug. Ansonsten war er sehr wortkarg gewesen und hatte nur ab und zu einige Worte vor sich hin gebrummt. Aber er war ein sehr guter Arzt, oder Heiler, wie dieser Berufsstand hier genannt wurde. Die Wunden die Gregor Bold gehabt hatte heilten ab. „Die sichtbaren“, hatte Ginnar gemurmelt, „für die Narben auf deiner Seele bin ich nicht zuständig. Die musst du mit dir selbst ausmachen.“
Gregor Bold griff nach der Kleidung die Hanarr bereitgelegt hatte. Sie war eigens für ihn angefertigt worden und passte überraschenderweise wie angegossen. Nachdenklich betrachtete Bold sich. Er hatte stark abgenommen, als wäre er lange und entbehrungsreich unterwegs gewesen.
„Hat die Kleidung die richtige Größe?“, Hanarr war zurück und reichte Gregor Bold eine Trinkschale, „das wird Grogr freuen.“
„Grogr?“, Gregor Bold setzte die Trinkschale ab und sah Hanarr fragend an.
„Einer unserer Zuschneider und Bekleidungsfertiger“, erklärte Hanarr und fügte stolz hinzu, „er hat diese Sachen nur nach meinen Beschreibungen angefertigt.“
„Danke“, Bold suchte nach einer passenden Sitzgelegenheit für sich und quetschte sich dann etwas unbequem auf eine größere Truhe. „Hanarr es wird Zeit, dass ich wieder aufbreche und mich auf die Suche nach Jenny mache.“
„Das verstehe ich“, Hanarr seufzte, „aber ich glaube, dass das nicht einfach sein wird. Du weißt schließlich nicht einmal, wo sich deine Gefährtin befindet. Es gibt da leider unzählige Möglichkeiten.“
„Trotzdem“, erwiderte Gregor Bold entschlossen, „alles ist besser, als weiter hier herumzusitzen.“
„Gut“, Hanarr stand auf und sah Bold fragend an, „du fühlst dich also tatsächlich in der Lage unter Umständen eine lange Reise anzutreten, deren Ausgang völlig ungewiss ist?“
„Ja.“
„Nun, dann komm mit. Sigr wollte dich sehen, sobald du dich erholt hast.“ Hanarr blickte Gregor Bold ernst an. „Allein er wird entscheiden!“
Der Zwerg stand auf, griff nach einer tragbaren Kerzenleuchte und forderte Gregor Bold mit einer einladenden Handbewegung auf ihm zu folgen. Sie verließen die Höhle und betraten einen langen in dem blanken Felsen gehauenen Gang. Hanarr wandte sich nach rechts und schritt zügig voraus. Gregor Bold sah sich verwundert um. Der breite Gang hatte zahlreiche Abzweigungen, die sich wie ein Straßensystem durch das unterirdische Gewölbe zogen. Immer wieder bogen kleinere Gänge zu verborgenen Wohnhöhlen ab. Hanarr deutete ab und zu auf die beleuchteten Eingänge und erklärte Gregor Bold wer dahinter wohnte. Dem schwirrte bald der Kopf. Er konnte sich die Namen und Bezeichnungen unmöglich alle merken. Außerdem hatte er in der Zwischenzeit bereits jegliche Orientierung verloren. Gregor Bold war sich darüber klar, dass er ohne Hanarrs Hilfe dieses unterirdische Höhlensystem niemals wieder verlassen konnte.
„Wir sind gleich da!“, der Zwerg deutete auf eine steinerne Wendeltreppe die nach unten führte. „Sei vorsichtig: Die Treppen sind für Zwerge konstruiert worden, nicht für Menschenfüße. Pass also auf, dass du nicht ins Stolpern gerätst.“ Gregor Bold nickte und blickte forschend auf den felsigen Boden. Es musste eine unglaubliche Arbeit gewesen sein, diese Stufen aus dem Fels zu brechen und zu formen. Anscheinend war die gesamte Treppe aus einem Stück gefertigt, oder aus dem vorhandenen Felsen gehauen worden. Die Stufen waren etwas niedriger, als Bold es gewohnt war, aber Zwerge waren von Gestalt auch deutlich kleiner als Menschen.
„Wie weit ist es denn noch?“, Bold streckte sich kurz, seine Muskeln waren durch das lange Liegen solche Wegstrecken nicht mehr gewöhnt.
„Nur noch 359 Stufen22!“, kam die prompte Antwort von Hanarr.
„Woher weißt du das so genau? Hast du mitgezählt?“
„Nein Gregor Bold, die Stufen sind durchnummeriert“, der Zwerg tippte mit seiner freien Hand auf eine Einkerbung am Boden. Erst jetzt bemerkte Gregor Bold das winzige Zeichen. Er hätte darin niemals eine Ziffer vermutet. Allerdings sah Bold, dass sich tatsächlich auf jeder Stufe eine kleine Einkerbung befand.
„Wir sind gleich da“, Hanarr blieb stehen, er deutete nach vorne. „Du wirst überrascht sein.“ Aus der Stimme des Zwerges klang Stolz. Als nach einigen weiteren Stufen die Wendeltreppe in einen freien Raum überging und er das riesige Gewölbe vor sich sah, begriff Gregor Bold auch warum. Dass was vor ihm lag, war ein in den Fels gehauener riesiger Dom von unglaublicher Größe. Unwillkürlich wurde Gregor Bold an einen einige Jahre zurückliegenden Besuch in der Kathedrale Notre-Dame de Chartres23 erinnert. Die riesigen Säulen waren mit Darstellungen von Zwergen verziert, die alle sehr ernst, fast schon mürrisch dem Betrachter entgegenblickten.
Es dauerte eine Weile bis sie in der Mitte des riesigen Raumes angelangt waren. Ein riesiger steinerner kreisförmiger Tisch bildete das Zentrum.
Um ihn befanden sich mehrere hölzerne reichverzierte Sitzgelegenheiten. Auf diesen saßen Zwerge, die ihnen gespannt entgegensahen. Hanarr blieb vor einem einzelnen breiteren und mit hohen Lehnen ausgestatten Stuhl stehen und verbeugte sich. „König Sigr ich bringe dir den Menschen Gregor Bold. Er hat sich wieder erholt und fühlt sich gesund.“
„Danke Hanarr“, Sigr winkte Gregor Bold näher zu kommen. Nachdenklich betrachtete er den Menschen. Gregor Bold ließ die Musterung ruhig über sich ergehen. Er selbst versuchte sich schließlich auch ein Bild über den Zwergenkönig zu machen. Sigr war nicht mehr der Jüngste, aber er war auch noch kein alter Mann. Seine Haare trug er lang und gewellt. Auf dem Kopf trug er eine einfache rote Kappe. Sein graumelierter Bart sah sehr gepflegt aus und reichte ihm bis fast an die Hüfte.
„Ich schätze, wir haben uns jetzt lange genug gegenseitig angesehen und gemustert Mensch Gregor Bold. Bitte nimm an meiner Seite Platz.“ Gregor Bold setzte sich auf den freien Platz neben dem König und nickte freundlich in die Mitte. Die anwesenden Zwerge sahen ihn ernst und abwartend, aber keineswegs feindlich an.
„Du wirst verstehen Mensch Gregor Bold, dass wir viele Fragen an dich haben. Am Wichtigsten erscheint mir dabei, woher du Kvasir kennst. Das göttliche Getränk sollte auf Midgard nämlich unbekannt sein.“
Gregor Bold zögerte nur kurz. Er hatte keinen Grund die Wahrheit zurückzuhalten und schließlich waren die Zwerge hier im Berg Suck, wo immer das auch war, seine einzigen potentiellen Verbündeten.
„Nun?“
Bold nickte und blickte nochmals kurz in die versammelte Runde. Dann wandte er sich an den König und erzählte ihm von seinen Erlebnissen im Tal Irminsul. Wie er von Abnoba um Hilfe gebeten worden war und wie er allein nach Utgard hinuntergestiegen war. Er erzählte ohne jegliche Übertreibungen von den psychischen und physischen Angriffen denen er dabei ausgeliefert gewesen war. Wie er schließlich den verborgenen Mechanismus gefunden hatte, mit dem man den Zugang zwischen den Welten schließen konnte. Und wie nach dessen Betätigung die Thursen keine Möglichkeit mehr hatten Utgard zu verlassen und auf die anderen Welten zu wechseln … und nach kurzem Zögern auch, wie er dabei seinen Fuß verlor.24
Nachdem er geendet hatte, herrschte eine Weile nachdenkliches Schweigen. Schließlich räusperte sich Sigr vernehmlich. „Dann bist du in der Tat der Mensch der das Tal Irminsul gerettet hat? Man singt bereits Lieder von deiner Heldentat und von den großen Leiden die du auf dich genommen hast.“
Sigr schlug mehrmals mit der flachen Hand anerkennend auf den Tisch. Die anwesenden Zwerge folgten seinem Beispiel. „Auch wir verdanken dir dann sehr viel Mensch Gregor Bold. Wenn wir auch weit entfernt von den damaligen Geschehnissen leben. Wenn das Tal Irminsul untergegangen wäre, würde es unsere Welt hier in der Zwischenzeit wahrscheinlich, so wie wir sie kennen, nicht mehr geben. Wir gehören zum großen Weltenverband derjenigen die unter Abnobas Machtbereich und Fürsorge stehen. Früher lebten wir mit den Asen in Wall25. Abnoba hat uns Zwerge zum Schutz der Welten in den vergangenen Zeiten auf vielen von ihnen verteilt. Heute befinden sich deshalb nur noch wenige Zwerge im Tal Irminsul. “
„Ich bin einem begegnet?“
„Wem?“, Sigr sprang aufgeregt auf, „hieß er zufällig Heddr?“, fragte er aufgeregt.
„Nein - tut mir leid“ Gregor Bold schüttelte bedauernd seinen Kopf. „Sein Name war Nori. Magni sagte, dass er ein wandernder Zwerg sei. Wer ist Heddr?“
„Mein Bruder“, der König setzte sich wieder und seufzte. Er griff nach seinem Becher und leerte den Inhalt mit einem tiefen Zug. „Heddr26 machte sich vor vielen Jahren auf, um nach Felsstadt zu wandern. Er wird seitdem vermisst. Vielleicht hängt er hilflos zwischen den Welten fest und kann nicht in die nächsten Länder wechseln und deshalb auch nicht mehr zu uns zurückkehren.“
„Kann so etwas passieren?“, Bold blickte den König neugierig an.
Als Antwort erhielt er lediglich einen traurigen Blick und das Schweigen der anwesenden Zwerge.
Nach einer Weile ballte Sigr mehrmals seine Fäuste, dann ergriff er einen filigranen Hammer der vor ihm lag und schlug damit fest auf den Tisch. Ein heller weit zu hörender Ton war zu hören. „Genug des Trübsinns. Bringt reichlich Kvasir. Wir bedürfen der Weisheit die in dem Trank der Götter liegt.“ Sigr lehnte sich zurück, „Mensch Gregor Bold, nach dem was du für Abnoba getan hast, ist es unsere Zwergenpflicht dir zu helfen. Wir brauchen guten Rat.“
Sigr stand auf und klopfte mit dem Hammer nochmals auf den Tisch. „Wir sollten unseren Kreis erweitern. Holt Forster und Elthnof. Wir werden ihr Wissen benötigen.“
Während eilig mächtige silberne Krüge auf den Tisch gestellt wurden wandte sich Hanarr an Gregor Bold und flüsterte diesem erklärend hinzu: „Elthnof ist der älteste lebende Zwerg im Berg. Seine Zeit geht bereits weit zurück. Er wird von Sigr als Ratgeber hochgeschätzt. Eigentlich sollte er hier im Rat sitze. Aber er geht oft seine eigenen Wege.“
„Und Forster?“
Hanarr grinste als Gregor Bold diese Frage stellte und meinte nur, „lasse dich überraschen Mensch. Übrigens die Krüge auf dem Tisch haben meine Vorfahren angefertigt. Auch sie waren handwerklich sehr geschickt. Große Schmiedemeister!“
Gregor Bold lehnte sich zurück und ließ neugierig seine Blicke umherwandern. Es war im Grunde völlig unwirklich. Er saß in einem riesigen Felsendom der ihn unwillkürlich an die Kathedrale Notre-Dame de Chartres erinnerte und war umgeben von langbärtigen und grimmig dreinschauenden Zwergen. Ein Traum!
Nein, verbesserte er sich in Gedanken: Kein Traum! Eine Wirklichkeit, mit der er sich möglichst rasch abfinden musste! Vielleicht kam er mit dieser merkwürdigen Situation nur deshalb klar, weil er nach seinen Erlebnissen im Tal Irminsul wusste, dass die Geschichten von Göttern, Elben, Naturgeistern, Elfen oder Zwergen keine Phantastereien waren. Interessant war, dass Vieles was in der Mythologie der Menschheit stand einen großen Wahrheitsgehalt hatte. Es gab diese Wesen! Er hatte in der Zwischenzeit einige von ihnen sogar persönlich kennengelernt. Und jetzt war er bei Zwergen und diese lebten verborgen im Untergrund, tief im Fels. Es war fast genauso wie es oft in alten Mythen beschrieben war.
„Ich gäbe viel, wenn ich deine Gedanken lesen könnte Mensch Gregor Bold.“ Sigr blickte ihn nachdenklich an.
Bold lächelte und seufzte, „glaub mir, die meiste Zeit befasse ich mich damit zu begreifen und zu verstehen was mit mir geschehen ist.“
„Darauf wirst du hier aber sicher keine Antwort finden.“
Die brüchige Stimme kam von einem alten gebeugt gehenden Zwerg der neben Sigr aufgetaucht war. Der Zwerg der neben Sigr gesessen hatte stand sofort ehrfurchtsvoll auf und überließ dem Alten seinen Platz.
„Das ist Elthnof“, stellte Sigr vor, „er ist mein ältester Ratgeber.“
Der Alte beugte sich vor und blickte Gregor Bold aus klugen und erstaunlich scharfen Augen an. „Der Mensch den ihr am Übergang gefunden habt“, stellte er lakonisch fest. „Wie gesagt: Du wirst hier keine Antwort finden“, wiederholte er anschließend seine vorherigen Worte. „Ich habe mir solche und ähnliche Fragen schon viele Male gestellt. Warum? Weshalb? Wieso? Mensch, glaub einem alten Zwerg: Damit vergeudet man kostbare Zeit. Es gibt Fragen, auf die es keine Antwort gibt.“ Er lächelte und griff nach dem silbernen Krug, dem man ihm reichte, „Zeitverschwendung. Gut - manchmal findest du Antworten, wenn du zu viel Kvasir getrunken hast. Wenn du dann allerdings wieder nüchtern bist … sind diese dann entschwunden, oder erweisen sich im Nachhinein doch nicht als besonders klug.“
Elthnof trank lange und mit großem Genuss. Er lächelte als er den Krug zurückstellte. „Man hat nicht mehr allzu viele Freuden im Alter. Kvasir ist eine davon. Ich wage sogar zu behaupten: Kvasir macht das Alter erst erträglich.“ Er drehte sich zu Sigr, „warum hast du mich holen lassen König?“
„Wir brauchen vielleicht deinen Rat alter Mann.“ Sigr sah sich um und schlug mit kleinen Hammer auf den Tisch, „wo bleibt Forster?“
„Bin schon hier“, ein überraschend hagerer Zwerg eilte herbei und verbeugte sich vor Sigr. „Verzeih König ich war …“
„Setz dich Forster“, winkte Sigr abwehrend und etwas resigniert ab, „ich möchte gar nicht wissen, wo du dich wieder herumgetrieben hast.“ Er ließ seinen Blick über die Anwesenden gleiten: „Jetzt nachdem wir vollzählig sind können wir beraten. Zunächst werde ich für Elthnof und Forster unsere bisherigen Erkenntnisse zusammenfassen: Der Mensch Gregor Bold … “
22 Ungefähr 400 Stufen: vgl. Himmelsleiter Steintreppe zum Gipfel des Lusen im Bayerischen Wald
23 Internet: Bildersuche: Mittelschiff Kathedrale Notre-Dame de Chartres
24 Das Tal Irminsul ISBN 9 783739 220345
25 Wohnsitz der Asen und anderer Götter oder Halbgötter.
26 Mehr über das Schicksal von Heddr erfährt man im dritten Buch. über das Tal Irminsul: Die große Schlacht
„… und deshalb ist es unsere Zwergenpflicht, eine Selbstverständlichkeit und vor allem auch eine große Ehre für unsere Horde diesem Menschen zu helfen.“ Sigr lehnte sich zurück und griff nach seinem Krug. Gregor Bold blickte in die Runde, eine Weile geschah gar nichts. Die anwesenden Zwerge ließen die Worte ihres Königs auf sich einwirken, viele nickten zustimmend.
„Wenn ich einen Vorschlag machen darf?“, Gregor Bold sah Sigr fragend an. Dieser machte eine einladende Handbewegung. „Wir sind schließlich hier um zu beraten.“
„Bringt mich einfach ins Tal Irminsul zu Abnoba. Die Göttin wird mir sicherlich weiterhelfen.“
„Das geht leider nicht!“
Elthnof schüttelte bedauernd seinen Kopf und wandte sich an Sigr, „wenn du erlaubst König, werde ich dem Menschen seine Situation erläutern. Er scheint sich darüber noch nicht völlig im Klaren zu sein.“
Sigr nickte und Elthnof wandte sich an einen der hinter dem Thron des Königs stehenden Zwerge. „Reich mir ein Zwergenblatt.“
Der Zwerg trat vor und legte eine unglaublich feine silberne Folie und einen filigranen Stift auf den Tisch. Elthnof ergriff den Stift und zeichnete auf das silberne Blatt gut erkennbar einen Kreis: „Midgard27, die innere Welt, der Wohnsitz der Menschen, also der Ort woher du kommst. Midgard ist wie du sicherlich weißt umgeben von Asgard28, und Wall29. Elthnof skizzierte weitere Kreise auf die silberne Folie. „Manche Menschen glauben, dass Asgard der Sitz von Göttern sei. Das ist natürlich falsch. Und hier befinden sich in etwa die Durchgänge mit denen von Midgard aus ein Wechsel nach Wall möglich ist.“
Der Zwerg fügte einen weiteren Kreis hinzu. „Bewohnt wird Wall von den Asen, den Beschützern von Midgard.“ Ein weiterer Kreis folgte, „Utgard, die äußerste Welt. Der Sitz des Bösen. Aber das weist du von uns Anwesenden hier am besten.“
Bold nickte und griff sich unwillkürlich an die Prothese. Sein fehlender Fuß war eine bleibende Erinnerung an Utgard. Dorthin würde er nie wieder hinwollen.
„Du bist damals diesen Weg gegangen: Midgard, Wall, Utgard“, Elthnof tippte bei jedem seiner Worte kurz auf die vor ihm liegende Zeichnung.
Dann nahm er den Stift, „das hier Mensch Gregor Bold ist eine sehr einfache Darstellung der Welt in der wir leben. In Wirklichkeit“, der Zwerg zeichnete einen weiteren Kreis ein, der sich mit Midgard, Wall und Asgard überschnitt, „gibt es noch zahlreiche weitere Welten: Lorna, Riesenbrüh, Feenwies, Elbburg, Trollwall, Sturmland, Nebeltal, Wasserklar, Bruchtal30“, Elthnof zeichnete bei jedem seiner Worte einen weiteren Kreis ein, „Kleinbärg, Berg Suck unsere Welt, Liliensee, Borrblüh.“
Der alte Zwerg legte den Stift beiseite und lehnte sich zurück. „Das ist hier selbstverständlich keine abschließende Aufzählung. Die hohen Mächte die über uns stehen haben noch unzählige weitere Welten geschaffen. Frage nicht weshalb Mensch, wir können dir darauf keine Antwort geben. Aber vielleicht begreifst du nun, warum du nicht einfach von Berg Suck“, Elthnof tippte auf eine Stelle auf dem silbernen Blatt, „ins Tal Irminsul wechseln kannst. Es sind nicht nur viele verschiedene Welten dazwischen, es gibt dort auch die unterschiedlichsten Bedingungen. In Sturmland gibt es so starke Winde, dass du dich nur kriechend fortbewegen kannst. Im Nebeltal, kannst du nur wenige Schritte weit sehen. Ohne einen ortskundigen Führer kannst du dich nicht orientieren. Aber selbst wenn du diesen ganzen Bedingungen trotzen würdest Mensch
Gregor Bold: die Entfernungen zwischen den Welten sind einfach viel zu gigantisch. Nicht mal die Lebensspanne eines Zwerges würde ausreichen um zu Fuß von hier nach Wall zum Tal Irminsul zu gelangen.“
„Aber wie kommt ihr dann dorthin?“ Gregor Bold versuchte das Gehörte zu verarbeiten.
„Durch die Übergänge Mensch Gregor Bold“, antwortete der alte Zwerg und zeigte mit einem knöchernen Mittelfinger auf ihn, „nein, frage nicht: Sie sind dir verwehrt. Du hast keine Legitimation. Du kommst von Midgard. Nur im Ausnahmefall ist es Menschen gestattet die Übergänge zu benutzen. Diese Welten sind für euch tabu. Es gibt gute Gründe dafür. Mensch Gregor Bold du weißt bis heute nicht, was mit dir beim letzten Mal geschehen ist. Du bist hier verletzt angekommen und hast deine Gefährtin verloren. Wenn du wieder ohne Erlaubnis einen Übergang benutzt, könnte das deinen Tod bedeuten, oder du landest auf irgendeiner dieser fremden Welten und stirbst kurze Zeit später. Nicht immer hast du so viel Glück wie beim letzten Mal.“ Mit dem Kopf deutete Elthnof auf die vor ihm liegende Karte.