Das Theater in der Bond Street - Fritjof Guntram - E-Book

Das Theater in der Bond Street E-Book

Fritjof Guntram

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Beschreibung

Als Antonio Ostrelli eines Tages entdeckt, dass ihm ein Unbekannter die Noten seiner neuesten Operette gestohlen hat, schwört er, den Dieb hinter Gitter zu bringen. Der junge Nachwuchsmusiker Robert McLaurin wurde von ihm beobachtet, die Polizei findet bei ihm die Noten. Allerdings scheint der junge Komponist den Spieß umzudrehen und behauptet, Ostrelli habe ihm zuvor die Noten gestohlen. Die Verhandlung wird mit Spannung erwartet. Sensationslüstern sieht das Publikum dem Auftritt des Komponisten und seiner schönen Frau Mira entgegen – da trifft unerwartet eine Nachricht ein: Ostrelli ist in seiner Villa ermordet aufgefunden worden. Noch am Abend zuvor hatten Peter Dixon und sein Freund Denny OHara im Klub mit Ostrelli gesprochen. Hat der Mord etwas mit dem Prozess zu tun? Was meinte Ostrelli mit seiner Bemerkung, der eigentliche Gewinner des Prozesses sei seine Frau? Dass sie nach dem Mord verschwunden ist, hält Inspektor March jedenfalls für ein eindeutiges Indiz – zusammen mit dem zierlichen Damenrevolver, der bei der Leiche gefunden wird. Aber auch die Wirtschafterin und der Sekretär von Ostrelli sind verschwunden! Immer verwirrender werden die Zusammenhänge – man steht vor tausend Rätseln. Da entschließt sich Peter eines Abends, ins Theater zu gehen, und findet dort die verblüffende Lösung!Spannender Fall zum Mitraten für den fortgeschrittenen Krimileser – denn die entscheidenden Hinweise dieses perfekt konstruierten Krimis sind schon auf den ersten Seiten zu finden!-

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Fritjof Guntram

Das Theater in der Bond Street

SAGA Egmont

Das Theater in der Bond Street

Copyright © 1959, 2018 Fritjof Guntram und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

All rights reserved

ISBN: 9788711583128

1. Ebook-Auflage, 2018

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk— a part of Egmont www.egmont.com

Der Hunter’s-Klub war an jenem Abend überfüllt.

Es waren nicht nur die Leute gekommen, die gewöhnlich Abend für Abend die anheimelnden Räume des vornehmen Klubs im Londoner Westend überfüllten — nein, auch diejenigen Klubmitglieder, die höchstens alle paar Monate zu erscheinen pflegten, waren gekommen. In ihren dunklen Anzügen verliehen sie dem Abend den Anschein eines gesellschaftlichen Ereignisses — und das, obwohl im Grunde gar nichts Besonderes los war. Man wollte lediglich einen Mann sehen, auf den sich das allgemeine Interesse konzentrierte, den berühmten Erfolgsmusiker, Komponisten und Dirigenten Antonio Ostrelli.

Als Peter Dixon gegen neun Uhr im Klub eintraf, befand sich dieser Ostrelli gerade in lebhaftem’ Gespräch mit einem Theaterdirektor. Peter warf einen neugierigen Blick auf diesen Mann, der wegen einer ebenso undurchsichtigen wie aufsehenerregenden Skandalgeschichte zum Tagesgespräch von London geworden war, was schon etwas heißen wollte.

Peter Dixon wußte nichts Genaues. Er hatte lediglich von einem Prozeß gehört, in den Antonio Ostrelli verwickelt sein sollte, und da er gern Näheres gewußt hätte, war er in den Klub gekommen. Denn obwohl Ostrelli nicht Klubmitglied war, so waren doch seine sämtlichen Entlastungszeugen in diesem Klub. Und Peter wußte, daß es unmöglich war, auch nur zehn Minuten im Klub zu sein, ohne über alle wichtigen und unwichtigen Ereignisse, über die man gerade sprach, bestens informiert zu sein.

Richtig — er hatte gerade die Bar erreicht, als er einen freundschaftlichen Rippenstoß in die Seite erhielt und einer seiner Freunde namens Denny O’Hara ihn begrüßte.

„Ich bin wegen Ostrelli hier“, sagte Denny und wies mit dem Kopf auf den in einer Ecke lebhaft plaudernden Dirigenten, „und du wirst es nicht glauben, Peter, der Klub ist heute abend nur deshalb so voll, weil erwachsene Männer wie die Klaschtanten neugierig sind.“

Denny grinste vergnügt. Er war gleichaltrig mit Peter und stammte aus Baltimore in Irland. Denny hatte ein immer lachendes Gesicht mit Sommersprossen und leuchtend blauen Angen, über dem sich ein borstiger roter Haarschopf gegen alle Regeln der neuzeitlichen Haartracht zu wehren schien. Wenn er sprach, dann war sein irischer Akzent so dick, daß man ihn hätte mit einem Messer schneiden können.

Peter fragte:

„Weißt du eigentlich Genaues über diesen Antonio Ostrelli?“

Denny nickte.

„Ich bin einigermaßen informiert. Es handelt sich um folgendes: Irgendein junger Nachwuchsmusiker mit Namen Robert McLaurin hat in seine Luxusvilla eingebrochen und ihm die Noten seines neuesten Werkes, einer Operette mit dem Titel ,die verschwundene Prinzessin’, gestohlen, oder genauer, die ersten beiden Akte dieser Operette. Ostrelli hat ihn wohl gesehen und angezeigt. Die Polizei fand bei ihm die Noten. Morgen nun macht man ihm den Prozeß.“

„Das ist doch nichts Besonderes“, meinte Peter enttäuscht.

„Freilich nicht“, sagte Denny. „Interessant wird es erst dadurch, daß dieser McLaurin den Spieß umdreht und seinerseits behauptet, Antonio Ostrelli hätte ihm zuvor die Noten gestohlen. Es geht also um ein Plagiat. Die Leute glauben, daß McLaurin morgen eine überraschende Neuigkeit vorbringen wird, um zu beweisen, daß er der Verfasser ist. Ich persönlich glaube das nicht, aber man wird ja sehen. Ostrelli hingegen hat lauter Sachverständige als Zeugen mobilisiert, die ihm bestätigen sollen, daß ,die verschwundene Prinzessin’ von ihm ist. Dabei ist der Fall sonnenklar. Er hat alle Vorteile auf seiner Seite. Dieser McLaurin kann den Einbruch nicht ableugnen. Er kann auch keinen vernünftigen Grund für den Diebstahl angeben außer eben seiner Behauptung, Ostrelli hätte die Operette vorher von ihm gestohlen. Muß ein ziemlicher Wirrkopf sein, der Bursche.“

Peter sah hinüber zu dem Dirigenten und musterte dessen hohe, schlanke Gestalt. Ostrelli trug einen dunklen Smoking von untadelhaftem Schnitt. Ueber seiner hohen Stirn war das für seine sechzig Jahre noch erstaunlich dichte, silberweiße Haar in der Mitte gescheitelt. Seine lebhaften, dunklen Augen erinnerten an seine Herkunft. Ostrelli war in Italien geboren und hatte sich in England naturalisieren lassen. Seit zwanzig Jahren hatte er sich einen Namen gemacht durch seine Operetten, deren Premieren er stets selbst dirigierte. In den letzten Jahren hatte man zwar weniger von ihm gehört, aber man hatte erfahren, daß er an einer neuen Operette arbeitete. Um diese Operette schien es sich jetzt zu handeln.

„Uebrigens ist der Prozeß gegen McLaurin noch in anderer Hinsicht interessant“, berichtete Denny. „Es heißt, daß Ostrellis Frau darin eine willkommene Gelegenheit sieht, sich der Oeffentlichkeit wieder einmal zu präsentieren. Sie war einmal eine sehr bekannte Schauspielerin. Damals nannte sie sich Mira Dawns.“

„Der Name ist mir bekannt“, sagte Peter nachdenklich, „war sie ein Filmstar?“

„Ja — und einer mit fünf Scheidungen“, sagte Denny ergänzend. „Ostrelli ist ihr sechster Mann. Bei ihm scheint sie endgültig gelandet zu sein, obwohl er fast dreißig Jahre älter ist als sie. Aber er ist sicher der berühmteste von all ihren bisherigen Ehemännern, die übrigens eine abwechslungsreiche Skala umspannten: vom arabischen Oelprinzen bis zu einem berüchtigten Catcher und einem Luftwaffenpiloten. Zwischendurch war sie die Frau eines abstrakten Malers und eines amerikanischen Hotelmillionärs. Ah, wie diese Leute leben!“ Er dehnte sich wollüstig und betrachtete mit unverhohlenem Interesse den Dirigenten.

„Man sagt, er umspannt mit einer Hand zwei Oktaven am Klavier“, erzählte er, „das scheint mir aber ziemlich unwahrscheinlich.“

Peter fragte:

„Wer ist der Mann, mit dem er spricht?“

„Das ist Walter Rambling, der Direktor vom Viktoria-Theater.“

Der Theaterdirektor war ein schwerer, massiger Mann mit vierschrötigem, leicht gerötetem Gesicht. Er sah aus wie ein Fleischer im Smoking. Trotzdem waren ihm in den letzten Jahren die erfolgreichsten Neueinstudierungen der jeweiligen Saison in seinem Theater gelungen. Neben ihm stand ein zierlicher, kleiner Mann mit durchgeistigtem Gelehrtenkopf.

„Das ist F. W. Henderson“, verkündete Denny so großartig, als stelle er Shakespeare persönlich vor, „unfehlbarer Theaterkritiker. Wenn die Leute im Theater waren, können sie am anderen Morgen in seiner Kritik in der Zeitung lesen, ob es ihnen gefallen hat. Weißt du übrigens, was ein gescheiter Mann einmal von den Kritikern sagte? Das sind Menschen, die sind wie Leute ohne Beine, die anderen Unterricht im Laufen erteilen wollen.“ Er fuhr übergangslos fort: „Neben Henderson siehst du Henry Cohen, den kleinen Dicken da. Er ist Inhaber eines Musikverlages. Das sind die Leute, die Ostrelli für den Prozeß morgen aufgetrieben hat.“

„Es sieht doch fast so aus, als hätte Ostrelli Angst vor diesem Prozeß.“

„Keineswegs“, meinte Denny, „denn wenn du mich fragst, so glaube ich, daß seine Frau hinter dem ganzen Aufwand steckt. Sie will wieder einmal einen großen Auftritt haben. Früher soll sie ja statt Talent lediglich platinblondes Haar gehabt haben — ach ja, und eine gute Köchin soll sie gewesen sein.“

Peter hörte dem Freund gern zu. Dennys Mangel an Respekt hatte etwas Gesundes. Denny winkte jetz dem Barmixer.

„Noch einen Whisky“, sagte er, „nein, lieber zwei. Du läßt dich doch zu einem Whisky einladen, Peter?“

„Gewiß“, versicherte Peter, „sparsame Leute lassen sich immer gern einladen.“

Sie tranken, und dann fuhr Denny fort:

„Habe ich dir eigentlich schon erzählt, daß ich Mira Dawns von früher her gut kenne?“

Ueberrascht setzte Peter sein Glas nieder.

„Nein, das ist mir völlig neu. Wie bist du in diesen feudalen Kreis geraten?“

Denny verdrehte melancholisch die Augen.

„Das ist eine rührende Geschichte, Peter. Du wirst es nicht glauben, aber Mira Dawns war früher einmal ein ganz armes Mädchen, das nicht einmal Mira Dawns hieß, sondern einen ganz gewöhnlichen Namen trug, an den ich mich aber aus Taktgefühl nicht mehr erinnere. Wir wohnten in derselben Straße von Baltimore, droben in Irland. Ich erinnere mich noch daran, wie sie jeden zweiten Tag mindestens ein aufgeschundenes Knie vom Spielen hatte — damals, als sie noch klein war. Dann wurde sie größer und ging nach London. Mit vierzehn Jahren hatte sie ihre erste Filmrolle, mit fünfzehn saß sie in der Erziehungsanstalt, und mit sechzehn brannte sie mit ihrem ersten Mann, dem arabischen Oelprinzen, durch. Und ich — ich habe in der ganzen Zeit nicht einmal meine Stellung gewechselt. Bin ich nicht ein seriöser Mensch im Vergleich mit solchen Schauspielern?“

„Und jetzt?“ fragte Peter. „Kennt sie dich noch?“

„Natürlich“, erwiderte Denny, „welche Frau in der Welt kann mich vergessen! Neulich war ich bei den Ostrellis eingeladen, das heißt, er war gerade verreist, und sie war allein zu Hause. Aber das störte mich nicht. Ich habe mich sehr angenehm mit ihr unterhalten. Stell dir vor, sie sagt, ich sei ein Stück ihrer Jugend. Sie roch dauernd an mir, und dann sah sie mir tief in die Augen und sagte schwärmerisch …“

„Na, was?“

„Ich hätte genau den Geruch von der Court Street in Baltimore an mir. Soll ich das nun als Kompliment auffassen?“

„Ich täte es nicht“, meinte Peter.

Denny kratzte sich am Kopf.

„Trotzdem ist es gut, Beziehungen zu haben“, verkündete er, „sieh mal, was ich hier habe.“

Er zog zwei weiße Karten aus der Brusttasche.

„Das sind zwei Eintrittskarten für den Prozeß morgen. Der Andrang ist so groß, daß man Eintrittskarten ausgegeben hat, obwohl das sonst nicht üblich ist. Aus irgendeinem Grunde findet man den Prozeß morgen aufregend. Du wirst eine Menge Prominenz im Zuhörersaal sehen.“

„Wieso ich?“

„Weil wir beide uns morgen den Prozeß ansehen werden. Die Karten habe ich von Mira Dawns persönlich erhalten.“

Peter war einigermaßen überrascht.

„Hältst du es für so bedeutsam, daß wir uns morgen diesen Prozeß ansehen?“ fragte er.

Denny lächelte.

„Aus einem Grunde, ja. Ich bin überzeugt davon, daß wir morgen einen kleinen Skandal erleben. Ich kenne doch meine Mira Dawns. Sie wird bestimmt für einige Ueberraschungen sorgen. Als sie noch filmte, war sie bekannt als Spezialistin für Kleiderrisse und ähnliche Scherze. Seit sie Ostrellis Frau ist, muß sie sich zwar ein bißchen sittsam benehmen, denn Ostrelli gilt ja als ernsthafter Musiker. Aber sie hat immer noch das krankhafte Verlangen, um jeden Preis Aufsehen zu erregen — und dazu ist dieser Prozeß wie geschaffen. Deswegen, mein Bester, deswegen werden wir uns ihn anschauen. Wir sitzen unmittelbar neben dem Herzog von Dartshire, und vor uns sitzt Lord Ungar. Da soll noch einer sagen, daß wir uns nicht in der besten Gesell-Schaft von London bewegen.“

„Mir scheint, daß diese beste Gesellschaft ihre Frauen daheim lassen wird“, meinte Peter.

„Selbstverständlich“, nickte Denny vergnügt, „man erinnert sich noch zu gut an die Zeiten, da Mira Dawns sich bei größeren Parties durch tiefes Luftholen von ihren Kleidern befreite. Selbstverständlich läßt man daher morgen die Ehefrauen daheim. Mira Dawns weiß das natürlich auch. Und ich möchte wetten, daß sie ihr Publikum nicht enttäuscht — wie gesagt, deswegen gehen wir morgen dorthin.“

„Sie muß eine faszinierende Frau sein“, stellte Peter freimütig fest.

Eine tiefe männliche Stimme hinter ihm sagte:

„Mir scheint, Sie sprechen von meiner Frau.“

Peter fuhr herum und sah sich Antoni Ostrelli gegenüber, der unbemerkt näher gekommen war und ihn jetzt ironisch ansah. Bevor er aber etwas sagen konnte, erwiderte Denny:

„Sie haben’s erraten, Mr. Ostrelli. Es fällt einem schwer, von Ihnen zu sprechen und Ihre Frau dabei auszulassen.“

Denny schien Ostrelli schon zu kennen. Er stellte Peter dem Musiker vor, und als Peter mit dem Musiker sprach, fiel ihm auf, daß dessen Gesicht keinen Augenblick lang seinen ironischen Ausdruck verlor. Aus der Ferne war Ostrelli ein ungewöhnlich gutaussehender Mann, aber aus der Nähe wirkte er noch älter, als er schon war. Er hatte eine angenehm klingende, tiefe Stimme, die den italienischen Akzent nicht ganz verleugnen konnte. Mit ihr wandte er sich jetzt an Peter:

„Ich vermute ferner, Sie sprechen von meinem morgigen Prozeß. Wie schätzen Sie meine Aussichten ein, Mr. Dixon?“

„Soweit mir der Fall bekannt ist“, sagte Peter vorsichtig, „scheint mir alles, aber auch alles für Sie zu sprechen. Ich kenne Robert McLaurin flüchtig und halte ihn für einen Menschen, der ein ziemlicher Wirrkopf ist, eben ein richtiger Musiker — pardon, Mr. Ostrelli, das sollte kein Vorwurf gegen Sie sein. Aber ich kann nicht verstehen, wie ein einigermaßen normaler Mensch behaupten kann, er hätte eine Operette geschrieben, die von Ihnen ist.“

„Das bereitet auch mir Kopfzerbrechen“, sagte Ostrelli mit verbindlichem Lächeln, „natürlich ist das, was McLaurin da behauptet, purer Unsinn. Es gibt jedoch Leute, die schon lange etwas gegen mich haben und die diese Behauptung jetzt mit Wonne aufgreifen, um mir zu schaden. Haben Sie die neueste Ausgabe des ,Evening Mirror’ gelesen?“

„Nein“, sagte Peter.

„Das Blatt gehört Lord Randolph“, sagte Ostrelli, „der schon lange mein Gegner ist. Als ich vor zwanzig Jahren meine erste Operette herausbrachte, schrieb er im ,Evening Mirror, die Einleitung hätte ich von Mozart abgeschrieben, der Hauptteil stelle eine Mischung aus Liszt und Tschaikowsky dar, und das Finale sei wieder von Mozart. Daß dieser Mann mit derselben Unverfrorenheit heute wieder in seiner Zeitung schreibt, ich hätte von McLaurin abgeschrieben, ist zwar kein Wunder, aber trotzdem bedauerlich.“

„Und Sie wollen sich dagegen mit aller Entschiedenheit wehren“, sagte Denny.

„Selbstverständlich“, versicherte Ostrelli lebhabt, „ich habe eine Menge namhafter Sachverständiger aufgeboten, die bestätigen werden, daß die Operette ,Die verschwundene Prinzessin’ von mir ist, von Antonio Ostrelli, dem Altmeister der Operette, und nicht von dem Anfänger Robert McLaurin. Das wird F. W. Henderson vom Stil her bestätigen, Walter Rambling von der Technik her, und schließlich wird Henry Cohen bezeugen, daß das Stück in meiner bevorzugten Tonart geschrieben ist.“

Welche ist das?“ fragte Peter.

„F-Dur“, sagte Ostrelli in einem Ton, als wäre F-Dur seine eigene Erfindung. Er fuhr fort: „Außerdem werden meine Frau, meine Wirtschafterin und mein Sekretär bezeugen, daß ich seit Monaten an dieser Operette arbeite. Ich bin kein Jurist, aber selbst mein Laienverstand sagt mir, daß sich kein Richter vor so einleuchtenden Argumenten verschließen kann. Was meinen Sie dazu?“

„Sie werden den Prozeß zweifellos gewinnen“, sagte Denny.

„Das meinen Sie“, sagte Ostrelli mit rätselhaftem Lächeln und erhob sich, „aber ich verspreche Ihnen, daß jemand anderes den Prozeß gewinnen wird.“

„Wer?“ fragten Peter und Denny gleichzeitig.

„Meine Frau“, lächelte Ostrelli. „Sie werden sich morgen noch wundern.“ Er nickte ihnen freundlich zu und verschwand. Einigermaßen verblüfft sahen sie ihm nach.

*

Das Gespräch mit dem Musiker hatte Peters Neugier vollends geweckt, und er war Denny dafür dankbar, daß er die Eintrittskarten für den Prozeß besorgt hatte. Er war jetzt ebenfalls so weit, daß er von dem Prozeß etwas Aufregendes erwartete, einen Skandal, von dem man noch lange in London sprechen würde. Und er, Peter, konnte dann immer sagen, er wäre dabeigewesen. Peter stellte wieder einmal fest, daß er von gewissen menschlichen Schwächen nicht frei war.

Am anderen Morgen traf er sich mit Denny vor dem Gerichtsgebäude in der Juvenile Street. Unmittelbar vor ihm traf ein Rolls Royce ein, in dessen Fond einsam und verloren eine kleine Gestalt in dunklem Mantel und mit Melone saß: der Herzog von Dartshire. Der Herzog stieg würdevoll aus und stieg gemessenen Schrites und mit geistesabwesendem Gesichtsausdruck die Stufen zum Eingang hinauf.

Denny näherte sich grinsend Peter.

„Ich wußte noch gar nicht, mit wieviel Vornehmheit man seine Neugier verdecken kann“, stellte er anzüglich fest, „aber ich sehe, daß auch du dich so fein gemacht hast. Du hast ja sogar einen dunklen Anzug an.“

„Ich dachte, es wäre bei so viel Prominenz nötig“, verteidigte sich Peter. „Ich habe nämlich einmal einen Film gesehen, in dem auch ein Prozeß gezeigt wurde. Vor Beginn der Verhandlung sagte der Richter, als ein Zeuge in seiner gewöhnlichen Aufmachung — Sportjackett und Flanellhosen — erschienen war: ,Wachtmeister, befördern Sie diesen Herrn auf den nächsten Golfplatz.’“

„Du lieber Himmel!“ Erschrocken sah Denny an sich herunter. Unter seinem Regenmantel trug er ein Sportjackett und Flanellhosen. „Hoffentlich wirft man mich nicht hinaus.“

„Ich glaube nicht“, meinte Peter gönnerhaft, „aber wenn man es tun sollte, sag bitte nicht, daß du zu mir gehörst. Und jetzt komm, gehen wir hinein.“

Der Zuhörersaal war bereits fast völlig besetzt von vornehm aussehenden, sich halblaut unterhaltenden Herren in dunklen Anzügen. An der Garderobe hingen über den Mänteln dutzendweise die Melonen, und im Schirmständer stand eine lange Reihe von schwarzen Stockschirmen. Die gute Gesellschaft war sozusagen unter sich. Peter und Denny zwängten sich auf ihre Plätze und warteten gespannt wie jedermann im Saal auf die kommenden Ereignisse.

Kurz vor neun Uhr erschien Robert McLaurin. Der junge Musiker machte einen bleichen, übernächtigten Eindruck. Um seine Augen lagen tiefe Ringe; das schwarze, gescheitelte Haar fiel ihm in die Stirn, ohne daß er sich darum kümmerte. Sein Eintreffen wurde allseits neugierig registriert, aber obwohl er der Angeklagte war, so war doch Ostrelli die Hauptfigur dieses Prozesses. Ungeduldig wartete man auf sein Erscheinen. Kurz nach McLaurin erschienen F. W. Henderson, Walter Rambling und Henry Cohen und nahmen auf der Zeugenbank Platz. Ostrelli jedoch, seine Frau und seine beiden Angestellten kamen immer noch nicht.

Um genau neun Uhr betrat der Richter in größter Eile den Saal. Er war im Talar, hatte jedoch die Perücke nicht aufgesetzt. Die Zuhörer sahen sich verwundert an. Man begann miteinander zu tuscheln.

„Ich bitte um Ruhe“, rief der Richter, und im nächsten Augenblick war es totenstill im Saal. Der Richter atmete schwer und verkündete dann: „Die Verhandlung gegen Robert McLaurin wird auf unbestimmte Zeit vertagt. Das Gericht hat soeben davon Kenntnis erhalten, daß“ — er hielt kurz inne — „daß der Nebenkläger, Antonio Ostrelli, in der vergangenen Nacht — hm — verstorben ist. Auf Mr. Ostrelli wurde ein Mordanschlag verübt, dem er vor einer halben Stunde erlegen ist. Die Verhandlung ist geschlossen.“

Einen Augenblick lang herrschte bestürztes Schweigen, dann explodierte der Saal.

*

Als sich die Leute einigermaßen beruhigt hatten und hinauszuströmen begannen, entdeckte Peter, daß sich F. W. Henderson, der Musikkritiker, durch die Leute drängte und offensichtlich’ mit ihm sprechen wollte. Er blieb stehen und hielt auch Denny fest.

„Entschuldigen Sie, daß ich Sie anspreche“, sagte Henderson erregt, als er sich zu ihnen durchgearbeitet hate, „ich kenne Sie vom Klub her. Ich nehme an, daß auch ich Ihnen nicht unbekannt bin.“

„Nein, durchaus nicht“, erwiderte Peter.

„Ich habe Ostrelli sehr gut gekannt“, fuhr Henderson fort und wandte ihnen seinen durchgeistigten Gelehrtenkopf zu, „deswegen war ich äußerst erschüttert, als uns der Richter eben diese entsetzliche Eröffnung machte.“

„So dürfte es jedem von uns gegangen sein“, warf Denny ein.

Er wurde von Henderson sofort unterbrochen: „Ich habe mich sofort gefragt, wer wohl Ostrelli ermordet haben könnte, aber ich fand keine Antwort auf diese Frage. Da erinnerte ich mich daran, daß Sie gestern mit Ostrelli im Klub sprachen, und ich dachte daran, Sie zu fragen, ob Ostrelli Ihnen gegenüber irgend etwas angedeutet hat. Hat er etwas Wichtgies gesagt?“

„Nicht, daß ich mich erinnern könnte“, sagte Peter.

Der Kritiker faßte ihn am Arm.

„Kommen Sie“, sagte er, „ich habe vor, jetzt gleich in Ostrellis Haus zu fahren und mich dort umzusehen. Heute nachmittag muß ich einen Nachruf auf ihn schreiben. Sie können mit mir fahren und mir unterwegs im einzelnen erzählen, worüber Sie gestern sprachen. Es kann von großer Wichtigkeit sein. Sie waren die letzten, die mit ihm sprachen, denn unmittelbar danach hat er den Klub verlassen. Kommen Sie, Sie müssen mitfahren.“

Er zog sie zu seinem Wagen, einem kleinen, schwarzen Morris, der am Straßenrand parkte. Offenbar kam ihm gar nicht erst der Gedanke, sie könnten ihm widersprechen. Peter und Denny sahen sich fragend an, dann nickte Peter, und sie stiegen ein.

Als sie losfuhren, hielt auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Taxi. Peter sah Robert McLaurin, der eilig einstieg und dann in entgegengesetzter Richtung davonfuhr. Henderson hatte ihn nicht gesehen.

„Eine erschütternde Sache“, nahm der Kritiker das Gespräch wieder auf, „Ostrelli war zwar keiner von den großen Musikern, aber er schrieb durchaus beachtliche Stücke. Und jetzt mußte er einen solchen Tod sterben. Also, Sie wollten mir über Ihr gestriges Gespräch etwas sagen.“

„Wir sprachen über die Operette, wegen der der heute Prozeß stattfinden sollte“, sagte Denny und hielt sich fest, denn Henderson hatte ruckweise gebremst, so daß sie nach vorne flogen. Der Kritiker war ein miserabler Autofahrer.

„Sie meinen ,Die verschwundene Prinzessin’“, sagte Henderson und hielt sich krampfhaft am Ganghebel fest, unschlüssig darüber, welchen Gang er nehmen sollte. „Das ist kein schlechtes Stück. Walter Rambling hat in seinem Theater bereits mit den Proben begonnen. Ich habe einmal zuhören können. Ostrelli versprach sich davon für sich ein gewisses Come back, nachdem es in den letzten Jahren ziemlich ruhig um ihn geworden war. Es hätte durchaus der Fall sein können.“

Sie hielten an einer Kreuzung, und Henderson würgte prompt den Motor ab. Während er sich bemühte, ihn wieder in Gang zu bringen, sagte er: „Diese Operette war es, die McLaurin bei seinem Einbruch gestohlen hatte.“

„Ja, Ostrelli sprach davon“, sagte Peter. „Und wenn ich ehrlich sein soll, Mr. Henderson, dann muß ich sagen, daß er ein bißchen zu eifrig um seine Verteidigung bemüht war. Wozu dieser ganze Aufwand, wozu sollten Sie vor Gericht auftreten, Henry Cohen und Walter Rambling und all diese Leute, wenn es sich um nichts anderes als einen gewöhnlichen Einbruch handelte?“

„Das verstehen Sie nicht, junger Mann“, Sagte der kleine Kritiker und schüttelte mißbilligend den Kopf. „Ostrelli mußte auf seinen einwandfreien Ruf als Künstler achten. Es gibt in London gewisse Leute, die ihm schaden wollten — zum Beispiel Lord Randolph.“

Peter beugte sich interesisert vor.

„Davon sprach auch Ostrelli gestern abend“, sagte er, „wissen Sie darüber etwas Genaueres?“

Henderson schüttelte den Kopf.

„Leider nein. Ich weiß lediglich, daß zwischen Randolph und Ostrelli schon seit vielen Jahren eine tiefe Feindschaft besteht.“

Er bremste unvermittelt und sagte: „Wir sind da.“ Peter sah sich um. Sie hielten vor einem jener teuren und häßlichen Privathäuser, die für Kensington charakteristisch sind. Das Haus war umgeben von einer langgezogenen, grauen Mauer; Peter erhaschte durch das schmiedeeiserne Gitter des Tores einen Blick auf den gepflegten Rasen. Vor dem Tor stand ein Polizist. Es war auffällig, daß außer ihm kein Mensch zu sehen war. Niemand stand umher, wie das sonst bei Mordfällen der Fall zu sein pflegte. Aber dies hier war ein vornehmes Viertel, in welchem die Distanz zwischen den einzelnen Häusern mindestens hundert Yard betrug. Außer dem Polizisten legten nur noch die beiden großen schwarzen Limousinen, die am Straßenrand aufgefahren waren, davon Zeugnis ab, daß hier etwas Ungewöhnliches vorgefallen war.

Sie stiegen aus, und Henderson stellte sich dem Polizisten vor. Der Bobby salutierte höflich und sagte:

„Tut mir leid, Sir. Der Inspektor hat Anweisung gegeben, niemanden von der Presse hereinzulassen.“

„Ich bin ein alter Freund Ostrellis gewesen“, versicherte Henderson lebhaft, „ich muß den Inspektor sprechen.“ Er deutete auf Peter und Denny. „Die beiden Gentlemen und ich haben vielleicht wichtige Aussagen zu dem Fall zu machen.“

Der Polizist musterte sie abschätzend, dann meinte er schulterzuckend: „Well, dann wollen wir es mal versuchen.“

Er drückte auf den Klingelknopf und wartete einen Augenblick lang. Dann ertönte aus dem neben der Klingel angebrachten Lautsprecher eine krächzende Stimme:

„Was is’n los?“

„Hier ist ein Mr. Henderson mit zwei Herren. Sie wollen den Inspektor sprechen“, sagte der Polizist.

„Ist das etwa der Musikkritiker?“ fragte die Stimme nach kurzem Schweigen.

„Ja, ich glaube.“

„Dann führen Sie ihn herein, Wachtmeister!“ befahl die Stimme, und der elektrische Türöffner ertönte. Sie folgten dem Polizisten über den langen, kiesbestreuten Weg, der unter alten Bäumen hindurch zum Haus führte. Am Eingang angelangt, salutierte der Polizist vor einem kleinen, untersetzten Mann im grauen Trenchcoat, der dort stand, und entfernte sich wieder.

Einen Moment lang musterte sie der Mann schweigend, dann sagte er: „Ich bin Kriminalassistent Brown von Scotland Yard. Wahrscheinlich kennen Sie meinen Namen aus den Zeitungen.“

Um Dennys Mundwinkel zuckte es ironisch.

„Ich lese leider nicht den ,Evening Mirror’“, sagte er höflich, „aber ich vermute, daß Sie diesen Fall übernommen haben.“

„Nein“, sagte der Assistent mißmutig, „die Leitung hat Inspektor March. Kommen Sie mit herein.“

„March“, rief Henderson angenehm überrascht aus, als sie die Halle des pompös eingerichteten Hauses betraten, „mein alter Freund March, wie geht es Ihnen?“ Er eilte auf den Inspektor zu und schüttelte ihm heftig die Hand. Es stellte sich heraus, daß der Musikkritiker ein guter Bekannter des Inspektors war. Die beiden waren schon zusammen in die Schule gegangen.

Inspektor March war, wie Peter feststellte, eine durchaus sympathische Erscheinung. Mittelgroß und hager, verfügte er über die typische Figur des ehemaligen britischen Gardeoffiziers. Ein borstiger Schnurrbart verzierte sein Gesicht, während seine rechte Augenbraue sich bei jedem Satz hob, was ihm ein skeptisches und überlegenes Aussehen gab. Außer March und seinem Assistenten Brown waren noch vier oder fünf andere Männer da, die zum technischen Stab der Mordkommission zu gehören schienen.

„Well“, sagte der Inspektor seufzend und führte sie in das Musikzimmer. Mit seinem Bleistift wies er auf den Boden: „Hier hat er gelegen, als wir ihn fanden. Irgend jemand hat ihm eine Kugel durch den Kopf gejagt. Das ist alles, was wir bisher wissen. Ich hoffe, daß Sie uns etwas Neues sagen können.“

Henderson blickte erschüttert auf den Parkettfußboden. Dann forderte er Peter und Denny auf, über ihr gestriges Gespräch mit Ostrelli zu belichten. Zu Peters Ueberraschung stellte sich heraus, daß sie tatsächlich die letzten gewesen waren, die mit dem Musiker gesprochen hatten. Unmittelbar danach hatte Ostrelli den Klub verlassen, und dann hatte man ihn nur noch als Leiche gefunden.

Als sie geendet hatten, meinte der Inspektor nachdenklich: „Was wollte er wohl mit seiner letzten Bemerkung, daß seine Frau die eigentliche Gewinnerin des Prozesses wäre, sagen? Ich verstehe das nicht.“

„Haben Sie denn seine Frau noch nicht vernommen?“, wollte Denny erstaunt wissen.

„Nein, das ist ja das Merkwürdige. Sie ist verschwunden.“

„Verschwunden?“ Henderson starrte den Inspektor offenen Mundes an. „Das deutet doch darauf hin, daß sie ihn …“ Er sprach nicht weiter.

„Ja“, vollendete March den Satz, „daß sie ihn umgebracht hat. Daran besteht wohl kaum noch ein Zweifel.“

„Aber“ der kleine Kritiker blickte abwechselnd zum Inspektor und zu Brown — „wenn Sie das so genau wissen, warum verhaften Sie dann Mira Dawns nicht?“

March lachte.

„Ganz einfach. Weil wir sie noch nicht haben. Sie ist verschwunden. Wahrscheinlich hat sie unmittelbar nach dem Mord London verlassen. Das wird ihr aber nichtsnützen, denn seit zwei Stunden ist in ganz England die Fahndung nach ihr im Gange. Wenn sie das Land nicht schon vorher verlassen hat, wird sie uns schwerlich entkommen.“

„Wenn sie aber im Ausland ist?“ gab Denny zu bedenken.

March zuckte die Schultern.

„Dann finden wir sie über Interpol. Ich bin da ganz unbesorgt.“ Er wies auf den Schreibtisch, der links von dem großen Steinway-Flügel stand. „Dort hatte sie den Revolver liegenlassen, mit welchem sie Ostrelli erschossen hatte. Zwei Schuß fehlten im Magazin, und mit genau zwei Schuß Wurde er ermordet. Außerdem war es ein kleiner, zierlicher Damenrevolver, und zu allem Ueberfluß hat sie noch einen ganzen Haufen Fingerabdrücke darauf hinterlassen. Sie sehen, daß sie es reichlich stümperhaft angefangen hat.“ Er breitete die Arme aus. „Kunststück, schließlich ist es ja auch ihr erster Versuch.“

Hendersons Gesicht nahm einen empörten Ausdruck an.

„Es ist furchtbar, March, wie Sie über derart ernste Dinge sprechen.“