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England, 1224: Catlin, die Tochter des Schwertschmieds Henry, träumt von einem Leben als Glockengießerin. Doch eine arrangierte Ehe soll ihr Schicksal besiegeln und sie zur Erbin der väterlichen Schmiede machen. In ihrer Verzweiflung flieht Catlin nach Norwich, um an der Seite des Glockengießers John ihrer Berufung nachzugehen – und gerät schon bald in einen reißenden Strudel gefährlicher Intrigen ...
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Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe
1. Auflage 2013
ISBN 978-3-492-95911-7
© 2013 Piper Verlag GmbH, München
Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich, unter Verwendung eines Fotos von John Foley/Trevillion Images
Datenkonvertierung E-Book: Kösel, Krugzell
»Das, was dem Leben Sinn verleiht, gibt auch dem Tod Sinn.«
Antoine de Saint-Exupéry
Für Pfapfa
Das Tor zur Ewigkeit ist meinem Vater gewidmet, der es am 10. Juni 2012 nach kurzer schwerer Krankheit durchschritten hat. Unerwartet und viel zu schnell wurde er aus unserer Mitte gerissen. Nach seinem Tod die Szenen zu schreiben, in denen ein Vater stirbt, war unglaublich schwer und hat mich viel Kraft gekostet.
Vivos voco: Die Lebenden rufe ichMortuos plango: Die Toten beklage ichFulgura frango: Die Blitze breche ich
Nebel, dicht und schwer, lag auf dem Dorf, den Feldern, Wiesen und Wegen, hüllte mit kaltem, feuchtem Mantel das bleierne Gemüt des trauernden Mannes ein.
Mit seinen Händen, mit Hacke und Spaten hatte er jeden Zoll weinend der winterharten Erde abgetrotzt. Tief genug hatte er graben müssen, um Wölfe und wilde Tiere auf ewig vom Grab seines geliebten Weibes fernzuhalten.
Gott der Herr aber wollte weder die Trauer des Mannes sehen, noch die Tränen des Knaben trocknen, der mit seiner schmalen Hand den warmen, rauen Zeigefinger des Vaters umklammerte.
Ein Mönch, der mit einer Tochter Evas im Stroh gelegen und in Sünde einen Bastard gezeugt hatte, verdiente kein Mitleid.
Nichts deutete mehr darauf hin, wer er einmal gewesen war. Seit er den Orden verlassen, sich der Tonsur entledigt und den Schädel kahl rasiert hatte, war viel Zeit vergangen. Das Haar war ihm nachgewachsen, die Kutte hatte er durch den Arbeitskittel ersetzt. Und dennoch, er hatte sich dem Herrn versprochen und sein Gelübde gebrochen.
Die Entscheidung für Mutter und Kind hatte er nie bereut. Geschah es ihm also recht, dass er nun das Weib verloren hatte, für das er seinen Gott einst verriet?
Er hatte sie geliebt. Mehr als den Herrn und mehr als sein Leben. Das wollte und konnte er nicht bereuen, damals nicht und heute noch weniger. Doch nicht ihn hatte der Sensenmann zur Strafe geholt. Ihr hatte er das Lebensband zerrissen, und um ein Haar hätte er auch das Kind zu sich genommen. Wie durch ein Wunder hatte der Knabe dem Tod schließlich getrotzt.
Vielleicht hatten die Gebete des Vaters doch geholfen.
Um Vergebung hatte der Abtrünnige seinen Gott immer wieder angefleht und in seiner Verzweiflung um das Leben seines Weibes geschachert. Hätte der Herr sie verschont, so wäre er ins Kloster zurückgekehrt. Nicht voller Reue über seinen Fehltritt, sondern in Demut vor der Macht Gottes. Doch der Herr war unbeugsam geblieben und hatte ihm die Frau entrissen.
Das glockenhelle Lachen des Knaben war seit jenem Tag verstummt, jedes Lächeln aus dem zarten Gesicht gewichen. Traurig und hilflos lenkte er nun den Blick zum Vater.
Für den Jungen musste er leben und sein Bestes geben, musste er sich aussöhnen mit Gott.
Nie wieder, so schwor er dem Herrn, rühre ich ein Weib an, kein Kind zeuge ich mehr. Deinen Namen will ich fortan mit meiner Hände Arbeit für die Ewigkeit lobpreisen – als Dank dafür, dass du mir den Jungen gelassen hast …
Fest gemauert in der ErdenSteht die Form, aus Lehm gebrannt
Friedrich Schiller, Das Lied von der Glocke
Catlin betrat die Abtei durch das Abbey Gate. Überall drängten sich Menschen um Holzstände mit bunten Tuchdächern, an denen Essbares und Nützliches feilgeboten wurden, denn der Abt besaß die Genehmigung des Königs, im Hof des Klosters einen Markt abzuhalten. Dienstboten und Mägde liefen emsig umher, Besucher und Händler, die hofften, beim Abt vorsprechen zu dürfen, standen in Grüppchen beieinander, prahlten mit Geschichten von ihren Reisen oder priesen die Vorzüge ihrer Waren an. Unzählige Handwerker, Steinmetzen und Steinbrecher, Bildhauer und Mörtelmischer, Korbflechter, Kalkbrenner, Zimmerleute und Dachdecker waren seit der Errichtung der Abtei mit Umbauten, Ausbesserungen und dem Bau neuer Gebäudeteile beschäftigt. Den Schwarzschmieden, die in ihren offenen Werkstätten tätig waren, warf Catlin einen bewundernden Blick zu. Es war gewiss nicht leicht, sommers wie winters ungeschützt am Amboss zu stehen. Die Arbeit war ohnehin schon hart, doch mit kalten Fingern, halb erfrorenen Füßen und dem eisigen Zug des Windes im Rücken ganz sicher noch viel schwerer. Catlin wusste, was es bedeutete, ein Eisen zu schmieden. Ihr Vater war ein berühmter Schwertschmied, und obwohl sie ein Mädchen war, lernte sie das Handwerk von ihm. Die Werkstatt vor den Toren von St. Edmundsbury hatte er vor vielen Jahren von seiner Mutter übernommen. Über die Grenzen Englands hinaus war sie für ihre hervorragenden Schwerter berühmt gewesen, und nachdem William, ihr ältester Sohn, nicht Schmied, sondern Falkner geworden war, hatten alle ihre Hoffnungen auf Henry geruht, ihrem Zweitgeborenen. Der hatte seine Mutter nicht enttäuscht, und so war das kupferne Zeichen, ein bauchiges E, mit dem sie jede Klinge versehen hatte, noch immer das Wahrzeichen dieser Schmiede.
Eine Gruppe Benediktiner, die auf der anderen Seite über den Hof huschte, erregte Catlins Aufmerksamkeit. Der Novizenmeister mit seinen Schützlingen war auf dem Weg zur Abteikirche. Sicher war auch Thomas dabei, sehen aber konnte sie ihn nicht.
Ein Lächeln zuckte um ihren Mund. Sie liebte den Gesang der Mönche und drängte darum nun mit den Pilgern zum Gotteshaus. Seit bald dreihundert Jahren kamen die Gläubigen in Scharen zur Abtei, um am Schrein des heiligen Edmund niederzuknien und zu beten. Edmund, einst König von East Anglia, war durch die Dänen besiegt und enthauptet worden, weil er sich geweigert hatte, Christus, den Sohn Gottes, zu verleugnen. Der abgetrennte Kopf, so erzählten sich die Leute, sei in den nahe gelegenen Wald gerollt, wo ihn die Getreuen des Königs tagelang gesucht hatten. »Wo seid Ihr, Herr?«, sollen sie immer wieder gerufen haben, und irgendwann, so hieß es, habe der Kopf schließlich geantwortet. Die Alten hatten jene Geschichte von ihren Großeltern gehört und die wiederum von ihren Ahnen. Den Kopf des heiligen Edmund, so sagten sie, habe man zwischen den Klauen eines großen grauen Wolfes gefunden, der das Fleisch des heiligen Mannes nicht angerührt hatte, obwohl er fast verhungert war. Zahm wie ein Lamm sei er noch bis zur Stadt neben den Männern hergelaufen und dann plötzlich verschwunden. Gott habe den Wolf damit beauftragt, den Kopf des heiligen Edmund vor wilden Tieren zu schützen, behaupteten die Leute einhellig und bekreuzigten sich dreimal, wenn sie davon erzählten. Niemand zweifelte daran, dass der heilige Edmund Wunder vollbrachte. Viele hatten davon gehört, unzählige hatten es gesehen oder am eigenen Leib erfahren. Also kamen die Menschen, junge wie alte, in Scharen und nahmen auch weite, oft beschwerliche Reisen in Kauf, um ihre Anliegen, von Gebeten und großzügigen Gaben gestützt, beim heiligen Edmund vorzubringen.
Inmitten der drängenden Menge gelangte Catlin nur mit Mühe ins Innere der Kirche, wo die Pilger enge Schlangen bildeten und sich die Wartezeit mit Gebeten oder dem Austausch von Neuigkeiten verkürzten. Energisch drängte sie sich an einer Gruppe Gläubiger vorbei zum Chor, erntete unfreundliche Blicke, scherte sich jedoch nicht darum, war sie doch keine Pilgerin und nicht wegen des Schreines gekommen. Sie wollte einzig jenen ganz bestimmten Platz im Kirchenschiff erreichen, von dem aus der Gesang der Mönche am besten zu hören war.
Kurz vor einem der steinernen Pfeiler, die das Gewölbe des Gotteshauses trugen, blieb sie stehen, schloss die Lider und wartete. Mit jedem Augenblick, der verfloss, schälten sich aus dem Gemurmel ringsum einzelne Worte und Satzfetzen heraus. Plötzlich war das Quietschen einer Tür zu hören, schlurfende Schritte auf Stein folgten, dann ein Rumpeln, als die Tür wieder ins Schloss fiel. Die Mönche kamen!
Ledersandalen schabten über den Boden, dann war ein Hüsteln zu hören. Als die Mönche endlich zu singen begannen, stand Catlin wie angewurzelt da, vollkommen entrückt, die Augen fest geschlossen, den Kopf voller Musik, nichts als Musik. Alles andere war vergessen. Die Pilger mit ihren Anliegen, die Bauleute, der Markt, sogar die Sorge, der Vater könne sie schelten, wenn sie zu spät heimkam. Nichts war von Bedeutung, solange sie nur der Musik lauschen konnte. Jede einzelne Stimme war ihr vertraut. Die weiche, süffige Stimme von Bruder Godfrey, einem etwas rundlichen Mönch mit breitem Gesicht und fülligem Haarkranz um die Tonsur, die rauchige Stimme von Bruder Simon, die genauso geheimnisvoll war wie der Bruder selbst, die schnarrende Stimme von Bruder Anselm, der unentwegt in Eile war, oder die pergamentartige von Bruder Jeremias, einem langen, dürren Mann mit Hakennase und üblem Atem. Auch die Stimmen der Novizen zu unterscheiden war nicht schwer. Am schönsten klang Thomas’ Stimme. Sie stach so deutlich hervor, dass Catlin in der Erwartung, sogleich zu Tränen gerührt zu werden, den Atem anhielt. Doch Gänsehaut und Ergriffenheit blieben aus. Sie runzelte die Stirn und schlug die Augen auf. Thomas? Sie lugte um die Ecke, durch den Spalt zwischen den beiden reich verzierten steinernen Tafeln hindurch, die Mönche und Pilger voneinander trennten. Wieso sang er nicht? Mit unruhigem Blick tastete sie die Reihen der Novizen ab. Thomas war nicht dabei. Ob er krank oder wieder einmal bestraft worden war? Die Mönche waren streng und Thomas nicht annähernd so diszipliniert, wie es von einem Novizen erwartet wurde.
Catlin war enttäuscht und ein wenig besorgt, darum beschloss sie schweren Herzens, nach draußen zu gehen und zu sehen, wen sie unauffällig nach Thomas’ Verbleib fragen konnte.
»He!«, rief eine gedämpfte Stimme, als sie aus dem Gotteshaus ins helle Tageslicht hinaustrat.
Catlin blinzelte, legte die Hand über die Brauen, um die Augen zu beschirmen, und sah sich fragend um.
»Hier!«
»Thomas!«, antwortete Catlin ebenfalls im Flüsterton und eilte auf den großen Lehmhaufen zu, neben dem der Freund kauerte. »Warum bist du nicht beim Singen?« Sie sah mit gerunzelter Stirn auf ihn hinab. »Was tust du da überhaupt?«
Thomas stand ein wenig umständlich auf und klopfte sich den Staub aus der viel zu großen Kutte. »Ich darf einen ganzen Monat lang nicht singen. Ich soll arbeiten, um nachzudenken, hat der Novizenmeister gesagt. Er hält das für eine wirklich harte Strafe«, sagte er spöttisch und kniff verschwörerisch ein Auge zu.
Thomas hatte eine wunderbare, klare Stimme und vertat sich nie im Ton, was man von den anderen Novizen eher nicht sagen konnte. Die Mönche glaubten daher, dass ihm das Singen etwas bedeutete und er sich die Strafe darum wohl zu Herzen nähme. Thomas aber war das Singen nicht nur vollkommen gleich, es war ihm gar Bürde, denn er hasste es, so lange in der Kirche still stehen zu müssen. Von klein auf war er an körperliche Arbeit gewöhnt und brauchte Bewegung wie die Luft zum Atmen.
Als er bemerkte, dass Catlin auf seine schmutzigen Hände starrte, hob er die Rechte und tat so, als wolle er ihr das Gesicht beschmieren.
»Igitt, das stinkt ja!« Catlin rümpfte erstaunt die Nase. »Was ist das denn?«
»Lehm mit Pferdemist.« Thomas grinste zufrieden. »Ich soll dem Glockengießer helfen.« Er beugte sich zu ihr vor und senkte die Stimme. »Komm mit, ich zeige dir, wo er arbeitet.« Dann ergriff er den Eimer, der neben ihm stand. »Ich muss dann wieder!«, sagte er laut, winkte ihr zu, als verabschiede er sich, und wandte sich ab. Es sollte nicht auffallen, dass Catlin ihm folgte, darum nickte sie und tat, als schlendere sie noch ein wenig herum. Man konnte schließlich nie wissen, welcher der Brüder einen aus der Ferne beobachtete oder plötzlich hinter einem stand. Auch wenn jeder in der Abtei wusste, dass Catlin und Thomas schon seit Kindertagen befreundet waren, so sahen es die Mönche doch nicht gern, wenn die beiden allzu lange miteinander sprachen. Seit sein Vater ihn im Kloster untergebracht hatte, gehörte der Junge der Kirche, und die wachte strengstens darüber, dass keines ihrer Schäfchen vom rechten Weg abkam.
Thomas war im Durchgang des steinernen Turmes verschwunden, den die Normannen einst errichtet hatten. Catlin blickte sich unauffällig um und folgte ihm. Ihr Freund stand in einer tiefen Grube in der Mitte des Turmes neben einer großen Form aus Lehm.
»Wie geht das mit dem Glockengießen?« Catlin sah sich neugierig um. Es gab keinen Amboss, keine Esse und kaum Werkzeug. Nur Backsteine, Kellen und Hämmer lagen herum. »Ist das ein Ofen?« Sie deutete in die Grube.
»Nein, das ist der Glockenkern.« Thomas strich über die Form und machte ein nachdenkliches Gesicht. »Darüber kommt die Falsche Glocke und dann …«
»Falsche Glocke?« Catlin verstand nicht, was er meinte.
Thomas lächelte nur geheimnisvoll.
Fragen über Fragen stolperten in Catlins Kopf umher. »Geschmiedete Glocken klingen anders als gegossene. Woran das wohl liegt?«, überlegte sie. »An den Metallen, die der Glockengießer dazu auserwählt? Oder an der Form der Glocke? Und ihre Größe … ist nicht auch die Größe einer Glocke von Bedeutung für ihren Klang?« Sie legte den Kopf schief und sah Thomas mit großen Augen an.
»Ist mächtig viel Arbeit, so eine Glocke«, behauptete Thomas, ihre Fragen geflissentlich überhörend, nahm eine Handvoll Lehm aus einem der Eimer und verteilte ihn geschäftig auf der Glockenform.
»Wirst du wohl die Finger da wegnehmen!«, donnerte eine kräftige Stimme, und Thomas fuhr herum. »Ich habe dir verboten, den Kern anzurühren, oder nicht?«
Catlin konnte das Gesicht des Mannes nicht erkennen, der in einem dunklen Winkel des Turmes stand.
Thomas nickte schuldbewusst und sah aus wie das schlechte Gewissen persönlich. »Es tut mir leid, Meister, ich habe nur …«, versuchte er sich kleinlaut zu verteidigen, als der Glockengießer näher trat.
»Ein falscher Handgriff kann alles zunichtemachen!«, blaffte der Glockengießer und stieg über eine Holzleiter in die Grube hinab. Zu erpicht darauf, jeden Zoll genauestens in Augenschein zu nehmen, würdigte er Catlin nicht eines Blickes. Das Haar des Glockengießers und seine struppigen Brauen waren mit grauen Fäden durchzogen – er musste wohl so alt sein wie Catlins Vater. Sein Rücken wirkte breit, seine Hände waren kräftig, aber nicht so schwielig wie die des Schmiedes. Der Glockengießer nahm nun seinerseits etwas Lehm, tauchte die Hand kurz in einen wassergefüllten Bottich und fuhr mit großzügigen Strichen sanft über die tönerne Form. So zärtlich, wie man einem Pferd über die Flanke streicht, fuhr es Catlin durch den Kopf.
»Du hast Wasser zu schleppen, Lehm und Mist herbeizuschaffen, nichts weiter. Wenn du unbedingt mehr tun willst, dann nur nach Anweisung und niemals allein, hörst du?« Der Meister durchbohrte Thomas mit Blicken. »Hast bei dem Mädel wohl Eindruck schinden wollen, wie?«, brummte er und ruckte mit dem Kopf in Catlins Richtung. Lachend versetzte er Thomas einen Rippenstoß. »Scheint ein gewitzigtes Ding zu sein, deine Freundin, und hübsch ist sie obendrein.«
Catlin errötete.
»Willst du die Antworten auf alle deine Fragen wirklich wissen?«, fragte der Glockengießer mit einem herausfordernden Funkeln in den Augen und wandte sich ihr zu.
»Ja, Meister, gibt es doch nichts Göttlicheres als Musik. Der Gesang der Mönche jagt mir Schauer über den Rücken.« Sie lächelte. »Das Läuten der Glocken nennt man auch die Stimme des Herrn, denn es kündigt den Morgen an, die Pause zum Mittag und das Ende der Arbeit am Abend, auch zum Gebet ruft es die Gläubigen, auf dass sie einst beim Herrn weilen in Ewigkeit.« Vor lauter Eifer riss Catlin die Augen weit auf. »Ich weiß, wie Schwerter geschmiedet werden, damit sie scharf und doch biegsam sind, auch wenn ich’s noch nicht allein kann. Wie der Glockengießer aber dem Metall so verschiedene Töne zu entlocken weiß, scheint mir geradezu ein Wunder zu sein.«
»Das Geheimnis liegt in der Glockenrippe«, sagte der Meister und deutete auf eine Holzschablone am Glockenkern.
»Aber wie …?«, murmelte Catlin und runzelte die Stirn. Erst jetzt sah sie das leicht geschwungene Brett, das an einem Stab befestigt war. Wie konnte ein einfaches Stück Holz ein Geheimnis bergen? »Darf ich hin und wieder kommen und ein wenig zuschauen?«, fragte Catlin und errötete. »Ich wüsste so gern, wie das geht mit dem Gießen.«
»Die Mönche dulden es nicht, wenn du mit ihr sprichst, habe ich recht?«, wandte sich der Meister an Thomas und schnalze mit der Zunge, als der Junge mit gesenkten Lidern nickte. »Sie mögen keine klugen Weibsbilder – und liebreizende Jüngferlein erst recht nicht. Meinst du, ich sollte ihr dennoch erlauben, hin und wieder herzukommen?«
»O ja, bitte, Meister!« Thomas’ Augen leuchteten auf.
Der Glockengießer musterte Catlin abermals und kratzte sich den kurzen Bart. »Wie heißt du?«
»Catlin, Meister.«
»Also gut, Catlin. Wenn du wegen des Glockengießens kommen willst und nicht wegen meines jungen Helfers, dann bist du mir willkommen, wann immer du magst. Ein Schäferstündchen aber verweigere ich euch strikt, hört ihr? Niemals … niemals dürft ihr euch hier allein aufhalten, habt ihr verstanden?« Sein gestrenger Blick wanderte von Catlin zu Thomas. »Ich will keine Scherereien euretwegen.«
»Ja, Meister«, antworteten die beiden wie aus einem Mund. »Ganz gewiss nicht«, fügte Catlin noch eilig hinzu.
»Du bist die Tochter von Henry, dem Schwertschmied, nicht wahr?« Der Glockengießer war aus der Grube herausgeklettert und musterte sie von Kopf bis Fuß. »Der Abt hat nur Gutes über deinen Vater zu sagen gewusst. Er will ihn mit dem Klöppel für die neue Glocke betrauen. Handgeschmiedet aus recht weichem Eisen muss er sein, damit der Ton rund wird und die Glocke nicht leidet.«
Vermutlich erwartete er, dass sich Catlin über den Auftrag für ihren Vater hocherfreut zeige. Der Schmied aber wäre in Wahrheit wohl kaum begeistert über diese Arbeit, die gewiss von jedem gewöhnlichen Schwarzschmied erledigt werden konnte. Er würde zweifelsohne vor Wut schäumen, zu guter Letzt aber dann doch nachgeben, weil man sich Abt Hugh eben nicht widersetzte. Niemand, nicht einmal Henry, der berühmte Schwertschmied, der die bedeutendsten Männer des Landes mit Waffen belieferte, konnte sich das erlauben, darum lächelte Catlin nur dünn und nickte.
Auf dem Weg nach Hause überquerte Catlin eine weitläufige Wiese, deren Gräser ihr gegen die Waden unter dem langen Rock peitschten. Erste Schmetterlinge und Hummeln sammelten Nektar aus zart duftenden Blüten. Catlin sog die Mischung aus Frühling, feuchter Erde und Sonnenstrahlen tief in sich ein. Der Winter war endgültig vorbei und der Sommer nicht mehr fern. Der Weg zur Schmiede schlängelte sich über Weideflächen an einem kleinen Bach entlang, dann ein Stück durch den Wald und wieder an Feldern und Wiesen vorbei. Die Aussicht, dem Glockengießer schon bald wieder bei der Arbeit zusehen zu dürfen, das herrliche Wetter und das helle Gezwitscher der Vögel erfüllten Catlin mit einer solchen Daseinsfreude, dass sie ihre Lieblingshymne anstimmte. In der Kirche, von den Mönchen gesungen, klang besonders das Halleluja so wunderbar, dass sie unentwegt Gänsehaut bekam. Aus ihrer Kehle aber … Catlin fühlte Bitterkeit in sich aufsteigen. Aus ihrer Kehle kam kein einziger Ton so, wie er sollte. Sie trampelte wütend mit den Füßen und begann noch einmal, doch es klang keinen Deut besser. Warum nur, dachte sie verzweifelt, warum nur kann ich nicht singen, obwohl ich doch jeden einzelnen Ton ganz deutlich in meinem Kopf höre? Sogar die Vögel waren bei ihrem Gesang verstummt. Nur eine Krähe rief ihr ein spöttisches »Krah-krah« zu, bevor sie fortflog, als könne sie diese Missklänge nicht länger ertragen. Empört trat Catlin einen flachen Kiesel in den lieblich plätschernden Bach. Er gluckste gurgelnd, als wolle er sie verhöhnen. Warum nur war die Welt so ungerecht? Catlin hätte alles dafür gegeben, die Töne in ihrem Kopf zum Klingen zu bringen. Und Thomas? Thomas hatte diese göttliche Stimme und wusste sie nicht zu schätzen, sah sie gar eher als Fluch denn als Segen an. Enttäuscht, weil sie vom Herrn nicht mit einer solchen Gabe beschenkt worden war, riss Catlin einen Grashalm aus und rupfte ihn in winzige Stücke. Missmutig stapfte sie voran, bis sie Hufschläge hinter sich vernahm. Sie sprang zur Seite und sah sich nach den Reitern um. Sechs Männer sprengten herbei. Jäger mit Falken und Hunden. Catlin drängte sich ins Gebüsch, um sie durchzulassen, denn der Weg an dieser Stelle war schmal. Die Erde bebte, als sie vorüberritten. Plötzlich aber zügelte einer der Männer sein Pferd, blickte sich um und streckte ihr auffordernd die Hand entgegen. »Steig auf!«, rief er. Der Jagdhund, der neben ihm herlief, kläffte übermütig.
Catlin erschrak, als der Mann sie ansprach, dann aber bemerkte sie die Farben und das Wappen von Roford. »Richard?« Sie sah dem Reiter ins Gesicht, und die Wut über ihren schiefen Gesang war mit einem Schlag vergessen. »Richard!«, jubelte sie. »Was führt dich hierher?«
»Ich bin auf dem Weg zu deinem Vater, um unsere neuen Schwerter abzuholen. Willst du nun aufsteigen oder nicht?«
Catlin nickte eifrig, ergriff die Hand des Reiters und ließ sich aufs Pferd ziehen.
»Nun, dann los, halt dich fest!« Er gab dem Tier die Sporen, um den Abstand zu seinen Begleitern aufzuholen.
Catlin schlang die Arme fest um den Leib ihres Vetters. Sicher träumte jedes Mädchen davon, eines Tages von einem Ritter entführt zu werden, der so stattlich war wie Richard. Er war zehn Jahre älter als sie und der erstgeborene Sohn ihres Onkels William.
Als die Hunde der Falkner aufgeregt kläffend in den Hof der Schmiede rannten, lief Bones ihnen mit gesträubtem Nackenfell und wütendem Gebell entgegen. Er knurrte und fletschte die Zähne.
»Ist gut, Bones!«, rief Catlin und glitt vom Pferd. »Komm her zu mir, komm!« Bones bellte noch einige Male, bevor er schwanzwedelnd zu ihr lief. »So ist es brav«, lobte ihn Catlin. »Was ist mit Knightly? Kommt er auch?«, fragte sie an ihren Vetter gewandt und strahlte ihn erwartungsvoll an.
»Aber ja, liebste Base, wir sind hier verabredet. Ich schätze, er trifft spätestens morgen ein.«
»Dann bleibst du zur Nacht?« Catlin jubelte, als er ihre Vermutung mit einem Nicken bestätigte. »Das ist wunderbar, Richard! Ich gehe gleich ins Haus und sage Elfreda Bescheid, dass wir Gäste haben, ja?«
»Tu das, und lass ordentlich Wasser heiß machen, wir haben Enten mitgebracht.« Richard sah sich nach seinen Männern um, schnippte mit den Fingern und winkte einen Jungen herbei, der wie Catlin so um die vierzehn sein mochte. »Nimm die Enten, und geh mit ihr! Hilf beim Rupfen und Ausnehmen! Und vergiss nicht, Herzen und Lebern sind für die Falken«, trug er ihm auf. »Ich sehe inzwischen in der Schmiede nach, ob unsere Schwerter bereitliegen.«
Während sich die Falkner mit den Pferden, Hunden und Vögeln beschäftigten, rannte der Bursche mit glutroten Wangen hinter Catlin her, die nicht geduldig genug gewesen war, um auf ihn zu warten.
»Wie heißt du?«, fragte sie den Jungen, als er sie eingeholt hatte.
»Arthur«, brummte er und schien noch tiefer zu erröten, dann nahm er die Enten in die andere Hand, als wolle er für Abstand zwischen sich und Catlin sorgen.
»Sieh nur, Elfreda, wer soeben gekommen ist!«, rief Catlin, als die Hausmagd auf der Schwelle erschien. Die Stimmen, das Hufgetrappel und das Gebell der Hunde im Hof hatten sie offenbar herausgelockt.
»Willkommen, Sir Richard!«, rief Elfreda freundlich und winkte Catlins Vetter zu, bevor er in der Schmiede verschwand.
»Sie bleiben zur Nacht, und schau nur, was sie mitgebracht haben!« Catlin packte Arthurs Hand und riss sie hoch.
»Enten!«, staunte Elfreda. »Enten haben wir seit Weihnachten nicht gehabt.«
»Richard ist der Beste! Und Knightly ebenfalls«, fügte Catlin rasch hinzu. »Er kommt übrigens auch. Spätestens morgen, meint Richard.« Catlin schob Arthur ins Haus. »Er soll Winnie beim Rupfen und Ausnehmen der Enten helfen, hat Richard befohlen.«
Winnifred, vielleicht zwei Jahre jünger als Arthur, strahlte ihn mit großen Augen an, der Junge aber beachtete sie nicht einmal und schaute sich nur mürrisch um.
»Ich muss in die Schmiede«, behauptete Catlin, damit Elfreda nicht auf den Gedanken kam, sie an den Herd zu beordern. Zwar stellte sie sich beim Kochen alles andere als ungeschickt an, doch wollte sie lieber zu Richard und ihrem Vater in die Schmiede, um auch ja nichts zu verpassen. So stob sie also davon, eilte über den Hof, riss die Tür zur Schmiede auf und tauchte auf dem Lichtstrahl, den der Tag ins Innere warf, in das Zwielicht der Werkstatt ein.
Pong-pong-ping tönten die Schläge des Handhammers, zwei auf das heiße Eisen, einer auf den kalten Amboss. Bumm-bumm-bumm. Das war der Vorschlaghammer. Er war schwerer, der Klang dunkler. Jeder Schmied hatte seinen Rhythmus, und so entstand eine eigentümliche Komposition, wenn alle gleichzeitig arbeiteten. Catlin musste an die Glocken denken und lächelte.
Erstaunlicherweise stand Richard nicht neben ihrem Vater, sondern bei Peter, dem Altgesellen. Nach einem kurzen Blick zum Amboss wusste Catlin, warum. Ihr Vater musste den begonnenen Arbeitsgang erst zu Ende führen, bevor er sich seinem Neffen widmen konnte.
»Wie geht es Eurem Vater, mein Junge?«, erkundigte sich Peter derweil bei Richard. Der alte Mann hockte zusammengesunken auf einem Schemel und musste die Stimme erheben, um das Gehämmer und das Schnaufen des Blasebalges zu übertönen.
»Sein Rücken macht ihm zu schaffen, aber das gibt er nicht gern zu!«, rief Richard und beugte sich zu Peter hinab. »Die Beizjagd ist ihm zu wichtig, als dass er darauf verzichten würde, selbst wenn er manchmal ganz krumm ist und kaum noch laufen kann, sobald er vom Pferd steigt. Auch sein Fuß macht ihm zu seinem Leidwesen in letzter Zeit wieder arg zu schaffen. Seiner guten Laune jedoch kann das nichts anhaben, darum geht es auch meiner Mutter gut. Die beiden sind wie ein jung verliebtes Paar. Ich bete zu Gott, dass ich einmal so glücklich verheiratet sein werde wie meine Eltern.« Richard lächelte, und Peter nickte zufrieden.
»William war schon immer ein Dickschädel, aber er ist ein guter Junge«, sagte er, wackelte mit dem Kopf und schien sich an die Zeit zu erinnern, als sein Meister und dessen Bruder noch Kinder gewesen waren. Peter hatte einst für den Großvater und die Großmutter von Catlin gearbeitet, und obwohl er inzwischen zu alt und müde für das Schmieden war, kam er doch jeden Tag in die Werkstatt. Mutterseelenallein wäre er ohne Henry, Catlin und Elfreda gewesen, denn er hatte nie geheiratet. Seine Geschwister waren gestorben und ihre Kinder in alle Winde zerstreut. Er aber bekam nun bei seinem Meister das Gnadenbrot. »Ich bin wie ein alter Gaul, der sein Leben lang gute Dienste geleistet hat und in Würde altern darf, solange er noch hin und wieder eine kleine Last tragen kann«, sagte er oft mit einem nachdenklichen Kopfwackeln. Und wenn Henry ihn zuweilen ins Haus schicken wollte, um ihn zu schonen, so bat er den Schmied stets flehentlich, ihn doch helfen zu lassen, so gut er es noch vermochte. Und weil der Schmied den alten Mann liebte wie einen Vater, gab er meist nach, ließ ihn Werkzeug ölen oder besprach die Ausführung geplanter Schwerter mit ihm. Hin und wieder gestattete er Peter sogar, trotz schwindender Kräfte ein Werkstück zu halten, nur um ihn glücklich zu machen.
Für Catlin war Peter wie ein Großvater. Als kleines Mädchen hatte sie oft auf seinen Knien gesessen und gespannt den Geschichten von Wieland dem Schmied und den Abenteuern ihrer Großmutter Ellenweore gelauscht.
Catlin stellte sich hinter den alten Mann, legte ihm die Hände auf die Schultern und drückte ihm einen Kuss auf die faltige, unrasierte Wange. »Du kratzt, Onkel Peter«, sagte sie weich. »Morgen schabe ich dir den Bart«, flüsterte sie ihm ins Ohr.
»William ist dein Onkel, nicht ich«, brummte Peter verlegen, obwohl er es für gewöhnlich mochte, wenn sie ihn Onkel nannte. In Anwesenheit ihres Vetters aber war ihm diese Anrede wohl ein wenig peinlich.
»Vater ist gleich fertig«, sagte Catlin nach einem kurzen Blick zum Amboss. »Nur einen Augenblick noch!«, bat sie an ihren Vetter gewandt um Geduld. Als sie eine kleine, steile Falte auf der Stirn ihres Vaters bemerkte, trat sie zum ihm und begutachtete das Werkstück, das er prüfend in die Höhe hielt.
»Zufrieden?«, fragte sie vorsichtig.
Der Schmied nickte nachdenklich und beäugte den Rohling ein weiteres Mal. »Ein zähes Stück Eisen, nicht leicht zu bearbeiten, aber es wird etwas Besonderes draus werden, ich kann’s fühlen«, sagte er nicht ohne Stolz, lächelte seine Tochter an und legte das Werkstück zur Seite. Dann wischte er sich die Hände gründlich an einem Lappen ab und schritt mit ausgebreiteten Armen auf seinen Neffen zu. »Der junge Lord Roford! Sei mir willkommen, mein Junge!«, begrüßte er den Sohn seines Halbbruders herzlich und umarmte ihn. »Du siehst großartig aus, dein Vater kann wahrlich stolz auf dich sein. Sag, wie geht es meinem Bruder? Ist er wohlauf?«
»Ja, Onkel, es geht ihm gut. Er lässt Euch grüßen und ausrichten, dass er Euch bald in Roford zu sehen hofft, so wie Ihr es schon vor langer Zeit versprochen habt.«
»Ich weiß, mein Junge, ich weiß. Sag ihm, ich käme furchtbar gern einmal hinaus aus der Schmiede. Ich hatte es mir in der Tat fest vorgenommen, doch immer ist etwas dazwischengekommen.« Der Schmied hob ergeben die Schultern und seufzte. »Vielleicht schafft er es ja, uns noch einmal zu besuchen und mit Peter und mir in Erinnerungen zu schwelgen.« Henry kratzte sich verlegen am Kopf, dann grinste er. »Aber du bist nicht zum Plaudern gekommen, sondern wegen der Schwerter, nicht wahr?«
»Knightly und ich können es kaum erwarten, endlich ein Schwert mit dem kupfernen Zeichen zu besitzen. Ein lang gehegter Traum erfüllt sich.« Richard lächelte und räusperte sich. Eine Angewohnheit, die ihm schon als Kind eigen gewesen war. »Ich könnte auch noch ein gutes Jagdmesser gebrauchen. Ob du ein passendes für mich vorrätig hast?«
»Das möcht ich wohl meinen«, erwiderte der Schmied erfreut und trat zu einer großen Holztruhe, die mit einem schmiedeeisernen Beschlag verschlossen war. Den Schlüssel zum Öffnen trug er an einem Band um den Hals. »Dann schauen wir einmal, was dir gefallen könnte.« Er entfernte das Schloss, hob den Deckel und wählte ein Messer aus. Er wog es eine Weile nachdenklich in der Hand und streckte es dann seinem Neffen hin. »Sieh nur den geschwungenen Griff – ist aus einer seltenen Sorte Schafshorn gefertigt, das ein Händler aus Afrika mitgebracht hat.« Er betrachtete das Messer wohlwollend, dann aber schüttelte er kaum merklich den Kopf. »Die Klinge dürfte etwas zu lang und zu breit sein für deine Zwecke, eher etwas für die Wildschwein- oder Bärenjagd«, überlegte er, warf einen fragenden Blick zu Richard hinüber, als erwarte er einen Vorschlag, und suchte ein anderes heraus. »Dieses hier! Der Griff ist aus Wurzelholz von der Walnuss. Siehst du die bunten Linien und Kreise auf der Klinge? Das sind die Faltungen des Eisens. Allerfeinster Damast. Erste Qualität. Überdies hat die Klinge die richtige Größe, damit du sie vielseitig verwenden und immer bei dir tragen kannst. Catlin hat den Rohling geschmiedet und die Klinge poliert«, erklärte er voller Stolz.
Richard hob anerkennend die Brauen und lächelte seine Base an. »Du hast Fortschritte gemacht seit dem letzten Jahr. Alle Achtung!« Er nahm das Messer und betrachtete es genauer. »Liegt gut in der Hand. Auch der Griff fühlt sich prächtig an, es scheint wie für mich gemacht.« Er zwinkerte Catlin zu. »Ich nehme es. Da so viel Arbeit von dir darinsteckt, bringt mir das Messer bestimmt Glück.«
Obwohl Catlin sich schwertat mit der Vorstellung, ihr ganzes Leben in der Schmiede zu verbringen, pochten ihre Schläfen vor Stolz.
Als die Tür zur Werkstatt aufgestoßen wurde und Winnie eintrat, runzelte Catlin die Stirn.
»Elfreda schickt mich«, sagte das Mädchen mit gesenktem, leuchtend rotem Kopf und ging auf Catlin zu. »Du sollst das Brot ausbacken«, sagte sie und hob den Tontopf an, den sie in beiden Händen trug.
Ergeben nahm Catlin eine kleine Schaufel vom Essenrand, füllte sie mit glühenden Kohlen und legte sie beiseite, bis in der Mitte der Feuerstelle genügend Platz für den Tontopf war.
»Kannst ihn abstellen.« Sie nickte Winnie auffordernd zu. »Ich komme nach, sobald das Brot fertig ist.« Catlin lächelte, als das Mädchen den Topf in der Esse zurückließ, einen scheuen Blick auf Duncan, einen der Lehrburschen, warf und aus der Schmiede stob. Dann bedeckte sie den Tontopf mit ausreichend Glut, gab noch einmal frische Holzkohle dazu und betätigte den Blasebalg.
Als das Brot fertig war, brachte Catlin es ins Haus. Das Geflügel, das Elfreda dort an einem Spieß über dem Feuer briet, war mit wilden Kräutern gewürzt und duftete so herzhaft, dass Catlin der Speichel im Mund zusammenlief. Winnie füllte zwei große Krüge mit dem erst kürzlich von Elfreda gebrauten Bier, stellte sie auf den Tisch und brachte das Fässchen mit dem Rest vor die Tür, damit das süffige Gebräu schön kühl blieb.
Als der Tag zur Neige ging, steckten die Vögel ihre Köpfe unter die Flügel, die Katzen erhoben sich, um auf die Jagd zu gehen, und die Männer drängten mit der untergehenden Sonne ins Haus. Sie scharrten ungeduldig mit den Füßen über die frischen Binsen, schwatzten unablässig und nahmen wild gestikulierend um den dunklen Eichentisch Platz.
Catlin konnte es kaum erwarten, den Geschichten zu lauschen, die Richard beim Essen zum Besten geben würde, und setzte sich begierig neben ihren Vetter, den Blick stets auf ihn gerichtet.
Der Schmied sprach, wie es sich gehörte, zunächst das Tischgebet, dankte dem Herrn für Speis und Trank, bekreuzigte sich und hieß seine Gäste noch einmal willkommen, bevor er sie aufforderte, sich reichlich zu bedienen.
Winnie lief mit hochroten Wangen um den Tisch und füllte die tönernen Becher bis zum Rand mit Bier, bevor sie sich ebenfalls setzte.
»Die Enten«, hob Richard voller Stolz an, als Elfreda das kross gebratene Fleisch in die Mitte des Tisches stellte, »haben wir unterwegs mit einem unserer wertvollsten Falken gebeizt.« Er deutete auf einen der verhaubten Vögel, die nicht weit von ihm entfernt auf einem Gestänge untergebracht waren. Die hohe Reck, wie die Falkner sie nannten, war aus einfachen Holzstangen zusammengesteckt und leicht auf- und wieder abzubauen. Weit genug vom Boden, von Kindern, Katzen oder Hunden entfernt, bot sie den sensiblen Falken den bestmöglichen Ruheplatz. »Ein großartiger Jäger ist er, furchtlos und ausdauernd«, lobte Richard den Falken, kraulte seinen Hund, der als Einziger mit Bones unter dem Tisch liegen durfte, und erzählte dann in allen Einzelheiten von der Beize.
Catlin hörte mit offenem Mund zu und vergaß vor Spannung fast das Atmen.
Richards Bericht war so lebendig und voller Einzelheiten, dass man glauben konnte, bei der Jagd dabei gewesen zu sein. Auch Elfreda, Winnie und die anderen hingen gebannt an seinen Lippen und begleiteten das Erzählte mit »Ahs« und »Ohs!«. Es war, als brauche man nur die Köpfe zu recken, um den Falken und seine Beute im wilden Flug verfolgen zu können. Richards Begleiter bekräftigten seine Worte, schmückten sie hier und da noch aus, lobten immer wieder das Geschick ihres Herrn und pflichteten ihm bei, dass ebenjener Vogel ein ganz besonderer sei.
Als es plötzlich heftig an der Tür rumpelte und die Hunde aufjaulten, fuhr Winnie vor Schreck zusammen.
Catlin sprang als Erste zur Tür, hob voll freudiger Erwartung den schweren Eisenriegel und öffnete sie schwungvoll.
»Knightly, da bist du ja endlich!«, rief sie und flog Richards jüngerem Bruder in die Arme. Sobald er die Stube betreten hatte, waren die beiden Hunde unter dem Tisch verstummt, hatten die Köpfe wieder zwischen die Vorderpfoten gelegt und dösten vor sich hin.
Nachdem Knightly Catlin kurz, aber herzlich an sich gedrückt hatte, nahm er sie bei den Schultern, betrachtete sie eingehend und schüttelte ungläubig den Kopf. »Bei allen Heiligen, kleine Base, du bist eine richtige Schönheit geworden!« Er drückte ihr einen schmatzenden Kuss auf beide Wangen und wandte sich dann an ihren Vater. »Du bekommst es mit mir zu tun, wenn du ihr keinen anständigen Kerl zum Mann suchst, Onkel Henry!«, rief er lachend, ging auf den Schmied zu und umarmte auch ihn. »Herrschaftszeiten, das duftet hier!«, rief er und lachte schallend, als sein Magen seine Worte laut knurrend bestätigte. »Ich könnte einen ganzen Bären verdrücken, solchen Hunger habe ich!«
Sein Bruder und die Falkner begrüßten ihn mit erhobenen Bechern und stießen auf sein Wohl an.
»Setz dich, mein Junge, setz dich!« Henry deutete auf den letzten Platz an der langen Tafel. Für einen Schmied besaß er ein durchaus großzügig bemessenes Haus. Kurz vor seiner Heirat hatte er es errichtet, weil sein altes Heim bei einem Brand schwer beschädigt worden war und nur noch mühsam hatte geflickt werden können. Aus kräftigen dunklen Eichenbalken hatte er das Gebäude errichtet, die Gefache mit Lehm und gehäckseltem Stroh gefüllt, das Dach mit ganzen Halmen gedeckt. Dann hatte er einen riesigen Tisch mit Bänken auf beiden Seiten aufgestellt, denn zu jener Zeit war er noch zuversichtlich gewesen, eines Tages bei den Mahlzeiten von vielen Söhnen und Töchtern umringt zu sein. Doch eine große Familie war ihm nicht vergönnt gewesen. Die Geburt seines ersten Kindes hatte sein junges Eheweib das Leben gekostet. Eine winzige Tochter hatte sie ihm mit letzter Kraft geschenkt und ihn dann mit flehendem Blick und der dringlichen Bitte, dem Kind ein guter Vater zu sein, allein zurückgelassen. Seit jener Zeit führte Elfreda dem Schmied den Haushalt. Schön und drall war sie damals gewesen, gesund und jung genug, um zu hoffen, dass der Witwer sie schon bald heiraten werde, doch geschehen war es nie, und irgendwann hatte sie sich damit abgefunden.
Statt einer großen Familie saßen nun also mittags die Lehrlinge, Helfer und Gesellen um den Tisch und brachten ein wenig Leben in das sonst so stille Haus. Zur Nacht aber, wenn alle, die in der Schmiede arbeiteten, zu ihren Familien zurückgekehrt waren und sich der alte Peter, Elfreda und Winnie mit Catlin und dem Schmied zum Essen niedersetzten, wurde es ruhig. Nur in Neumondnächten, wenn der Meister die bis dahin gefertigten Schwerter härtete, blieben auch Edwin, der inzwischen Henrys rechte Hand war, und die Lehrjungen zum Nachtessen. Dann jedoch war die Stimmung nicht fröhlich, sondern angespannt, und niemand wagte in Erwartung der bevorstehenden, so überaus wichtigen Ereignisse zu sprechen oder gar zu lachen. Also genoss Catlin an diesem Abend die gemütliche Enge am Tisch und das fröhliche, ausgelassene Geschwätz umso mehr.
Knightly, der einstweilen zwischen zwei Falknern Platz genommen hatte, ließ sich bereitwillig ein Bier einschenken. Sein Page, ein Junge von acht, höchstens neun Jahren, war ihm unauffällig gefolgt und stand nun hinter ihm. Besorgt betrachtete er die Enten auf dem Tisch. Catlin wusste, dass es seine Aufgabe war, ein möglichst großes, schönes Stück Fleisch für seinen Herrn auszuwählen, und bemerkte, wie erschrocken er dreinschaute, als Elfreda ihm zuvorkam, eine dicke Scheibe Brot schnappte, ein ordentliches Stück Brustfleisch daraufpackte und das Ganze vor Knightly auf den Tisch legte.
»Hol dir den Hocker aus der Ecke dort, und setz dich mit an den Tisch!«, befahl sie dem Jungen, als wäre er einer der Schmiedejungen.
Der Page sah seinen Herrn Hilfe suchend an, als die Haushälterin ihre Aufforderung ein wenig energischer wiederholte, hatte er doch für gewöhnlich während der gesamten Mahlzeit hinter Knightly zu stehen und ihn zu bedienen.
»Hörst du nicht, was Elfreda gesagt hat, Milo?« Knightly gab sich Mühe, streng zu klingen, musste jedoch lachen, als er Milos verzweifelten Blick sah. »Nun mach schon, Junge! Nimm dir den Schemel, setz dich dort oben hin und iss!« Er klopfte dem Pagen freundlich auf den Rücken und deutete auf ein freies Fleckchen neben Arthur. Als Elfreda eine Scheibe Brot und ein ordentliches Stück Fleisch hochhielt, nickte er gnädig.
»Hier, mein Kleiner, wirst hungrig sein«, sagte Elfreda daraufhin freundlich und legte beides vor den Jungen auf den Tisch.
Milo murmelte einen unsicheren Dank, blickte sich mit gesenktem Kopf argwöhnisch um und schlang dann sein Essen hinunter, als fürchte er, man könne es ihm sogleich wieder fortnehmen.
»Knightlys Herr heiratet in Kürze«, begann Richard zu erzählen. »Darum reiten wir morgen bei Tagesanbruch nach London. Der Falke« – er deutete voller Stolz auf das edle Tier auf der Reck – »ist unser Hochzeitsgeschenk für den Earl.«
»Mein Herr ist einer der wichtigsten Barone des Landes«, fügte Knightly mit vollem Mund hinzu, kaute und schluckte. »Ein wertvolles Geschenk und großzügige Gaben für die Armen werden von einem Ritter von Stand ebenso erwartet wie neue Kleider und bunt geschmückte, edle Pferde zum Zeichen seiner Wertschätzung für Braut und Bräutigam. Aufsehen aber erregt man mit besonderen Waffen. Deshalb werden wir mit unseren neuen Schwertern nicht wie die arme Verwandtschaft auftreten. Klingen mit dem kupfernen Zeichen zu besitzen macht uns beinahe ebenbürtig«, behauptete Knightly voller Stolz. »Und weil wir gerade davon sprechen – wo ist mein Schwert überhaupt? Kann ich es sehen?« Er blickte sich suchend um.
Richard erhob sich und eilte in eine Ecke, in der er die Waffen abgestellt hatte. »Fürwahr, Bruder, ich verspreche dir, du wirst nicht enttäuscht sein. Sieh nur, wie vortrefflich unsere Aufträge ausgeführt wurden!«
Knightly, der inzwischen ebenfalls aufgestanden war, schob sich rasch noch ein Stück Fleisch in den Mund und ging dann zur Herdstelle hinüber, um erst das Schwert seines Bruders und dann sein eigenes im Feuerschein zu betrachten. Er beäugte es aufmerksam und war sichtlich beeindruckt, als er es aus der Scheide zog. Er wog es bedächtig, maß die Klinge mit einem zugekniffenen Auge, prüfte den Schwerpunkt und schnitt mit der Klinge durch die Luft, dass es nur so surrte. »Großartige Arbeit, Onkel Henry, wahrlich prächtig!«, lobte er den Schmied. »Das kupferne Zeichen ist dank Athanor nicht nur im ganzen Reich, sondern auch darüber hinaus hochberühmt.« Er lächelte, doch seine Augen blieben merkwürdig traurig. »Ich erinnere mich noch genau an den Tag, als mir der Maréchal sein Schwert zeigte. Ich war noch ein Knabe und nannte es in meiner Aufregung Athonor, statt Athanor. Herrje, war mir das unangenehm, als er mich freundlich, aber bestimmt, jedoch ohne Tadel berichtigte! Im Erdboden hätte ich damals versinken können vor Scham.« Knightly hielt wehmütig lächelnd inne, dann seufzte er. »Seit der Maréchal nicht mehr lebt, trägt mein Herr das Schwert, und ich weiß, wie stolz er darauf ist.« Knightly starrte einen Augenblick lang ins Nichts. »Der Maréchal war der größte Ritter aller Zeiten und schon mein Vorbild, als ich noch ein Knabe war«, fuhr er leise fort, und mit einem Mal schien es Catlin, als sei nicht nur in seinen Augen plötzlich ein feuchter Glanz zu sehen. Auch Richard wirkte gerührt und räusperte sich. »In der dunklen Stunde seines Todes stand ich an seiner Bettstatt«, murmelte Knightly, schluckte trocken und beugte sich zu Catlin hinab. »Deine Großmutter hat Athanor geschmiedet, und weil sie den Maréchal von ganzem Herzen geliebt hat, ist es das beste Schwert von allen«, raunte er seiner Base ins Ohr.
Catlin errötete, obwohl sie von der großen, ungewöhnlichen Liebe zwischen ihrer Großmutter und dem berühmten Ritter wusste. Richard hatte ihr bei seinem Besuch im vergangenen Jahr alles ganz genau erklärt. Mit einem Stöckchen hatte er ihr zur Veranschaulichung sogar ein Bild in den Staub des Hofes gemalt. Einen Kreis für jede Frau und ein Viereck für jeden Mann.
Zuerst war ein Kreis für ihre Großmutter gekommen, gleich daneben, auf der linken Seite, ein Viereck für den Maréchal. Darunter ein Viereck für ihren gemeinsamen Sohn, William den Falkner, der mit Marguerite de Hauville, einer Bastardtochter König Johns, vermählt war und zwei Söhne und eine Tochter mit ihr zeugte: Richard und Henry – genannt Knightly – sowie Alix, Catlins Base, die gut zwei Jahre älter war als sie. »Der Maréchal und König John sind unsere Großväter«, hatte Richard ihr voller Stolz erklärt und Catlin damit sehr beeindruckt, denn obschon sie die gleiche Großmutter hatte wie er, so waren ihre Großväter doch nur einfache Schmiede gewesen, keine Ritter oder Könige.
Auf der rechten Seite neben den Kreis der Großmutter hatte Richard ein Viereck für Isaac gemalt und darunter eines für ihren gemeinsamen Sohn Henry, Catlins Vater. Während ihre Großmutter mit Isaac verheiratet gewesen war, hatte der Maréchal Isabelle de Clare, eine irische Prinzessin, zur Frau genommen und mit ihr zehn weitere Kinder gezeugt. Guillaume, sein ältester Sohn aus dieser Ehe, war Knightlys Herr und zugleich sein Onkel und seit dem Tod des Maréchal auch der zweite Earl of Pembroke.
»Es ist wichtig, sich auszukennen mit seinen Verwandten«, hatte Richard damals beharrt, als sie schon fast aufgeben wollte, die Zeichnung zu verstehen. »Schließlich kann man nie wissen, ob man nicht einmal auf sie zurückgreifen muss. Wenn du das hier schwierig findest, dann solltest du erst einmal sehen, wie sich das in großen Adelsfamilien verhält. Hoch kompliziert ist das, kann ich dir sagen. Die wichtigsten Familien des Landes sind alle auf die eine oder andere Weise miteinander verschwistert oder verschwägert.«
Catlin hatte staunend den Erklärungen gelauscht und sich alles genau einzuprägen versucht. Sie war froh, dass es Onkel William, ihre Vettern und ihre Base gab, da sie weder Brüder noch Schwestern hatte. Catlin kannte niemanden, der nicht mindestens zwei, drei oder vier Geschwister hatte.
Thomas war das siebte von neun Kindern, und genau darum war sie immer gern bei ihm zu Hause gewesen. Früher, bevor man ihn ins Kloster gesteckt hatte. Obwohl es zweifelsohne schwer war, so viele Mäuler zu stopfen, gab es doch allzeit Trubel und Heiterkeit im Haus einer so großen Familie. Gewiss fehlten Thomas seine Brüder und Schwestern, auch wenn sie zuweilen gestritten hatten wie die Kesselflicker.
Catlin sehnte sich nach Familienbanden und liebte Richard und Knightly darum ganz besonders. Hätte man sie gefragt, welchen der beiden sie vorzog, so hätte sie sich um nichts in der Welt für einen von ihnen entscheiden können. Richard war der Ruhigere, Verantwortungsvollere. Warmherzig, wenngleich ein wenig steif, strahlte er Sicherheit und Zuverlässigkeit aus. Knightly dagegen, der den Spitznamen der Ritterliche von seinem Großvater hatte, dem Maréchal, war ein junger Heißsporn mit funkelnden Augen, lebensfroh, voller Tatendrang und immer sorglos. Im vergangenen Jahr, mit einundzwanzig, war er wie üblich zum Ritter geschlagen worden.
Während Richard zur Entourage des jungen Königs gehörte, mit dem ihn sein Großvater nach dem Tod König Johns hatte erziehen lassen, diente Knightly der Krone an der Seite des jungen Maréchal. Dass Richard nur für die Falken und die Beizjagd lebte, Knightly dagegen nichts als den Kampf und die Liebe im Kopf hatte, war eine glückliche Fügung, weil Richard als der Ältere nach dem Tod ihres Vaters Roford Manor und die Falknerei erben würde, während für Knightly dem Wunsch seines Großvaters zufolge ein Leben im Waffenrock vorgesehen war.
»Mein Herr heiratet Eleonor of Leicester, die jüngste Schwester des Königs«, unterbrach Knightly Catlins Grübeleien und rupfte ein Stück Brot entzwei.
Ein beeindrucktes Raunen entfuhr den Bewohnern der Schmiede. Sogar Catlins Vater schien erstaunt.
»Nun ja, viel weiter als unser Vater hat er es nicht gebracht«, fuhr Knightly sogleich mäßigend fort. »Immerhin ist auch unsere Mutter eine Tochter König Johns.« Er grinste. »Trinken wir also auf den zweiten Earl of Pembroke und seine junge Braut!« Er hob seinen Becher, stürzte ihn in einem Zug hinunter und wischte sich mit dem Handrücken den Schaum vom Mund. »Bier brauen kannst du, Elfreda, das muss man dir lassen!«, lobte er und ließ sich bereitwillig nachschenken.
»Glaubst du, dass es eine prächtige Hochzeit wird?«, fragte Catlin ihn, begierig darauf, Einzelheiten zu erfahren. Wie aufregend es sein musste, ein solches Fest aus der Nähe sehen zu dürfen! »Und die Prinzessin, wird sie ein kostbares Kleid tragen? Mit Gold und Edelsteinen bestickt, wie es sich für eine so vornehme Lady geziemt?«
»Wenn einer der reichsten und mächtigsten Männer des Landes in die königliche Familie einheiratet, dann darf man wohl erwarten, dass es weder an Prunk noch an hochrangigen Gästen mangelt. Es wird ein prächtiges Fest geben mit vorzüglichen Speisen und großzügigen Almosen für die Armen«, antwortete Richard an Knightlys Stelle, weil dieser schon wieder am Kauen war. »Aber die Prinzessin ist keine Lady, sondern fast noch ein Kind. Erst neun ist sie und doch schon gewillt, ihrem Land mit dieser Hochzeit zu dienen, so wie es von ihr erwartet wird. Und um deine Frage zu beantworten: Ja, liebste Base, sie wird zweifelsohne ein überaus kostbares Kleid tragen.«
Catlins Augen leuchteten. »Ich habe schon so viel über London gehört.« Sie seufzte träumerisch. »Und eine Prinzessin habe ich noch nie gesehen.«
»Pff!«, entfuhr es Arthur herablassend. Nachdem er mit dem Rupfen der Enten fertig gewesen war, hatte er Catlin deutlich zu verstehen gegeben, wie ungerecht er es fand, dass er Frauenarbeit hatte erledigen müssen, während sie bei den Männern hatte bleiben dürfen, obwohl sie doch nur ein Mädchen war. Catlin bedachte ihn darum nur mit einem kurzen herablassenden Blick und strafte ihn dann erneut mit Nichtachtung.
»Was hältst du davon, wenn wir dich mitnehmen?«, schlug Richard vor. »Ich meine, wenn dein Vater es erlaubt«, fügte er rasch hinzu und blickte fragend zu seinem Onkel hinüber. »Im Anschluss an die Feierlichkeiten in London wird sich der König mit Abt Hugh treffen. Wir werden also ohnehin hierher zurückkehren …« Richard lächelte seinen Onkel unsicher an, als der Schmied keine Miene verzog. »Ich könnte Catlin also gleich nach der Hochzeit wieder nach Hause begleiten.«
»Bitte, Vater! Ach, bitte, bitte!«, bettelte Catlin inbrünstig. »Eine so günstige Gelegenheit kommt vielleicht nie wieder!«
»Wir werden in unserem Haus in London Quartier nehmen. Du müsstest dir wahrlich keine Sorgen machen, Onkel. Ich würde gut auf sie aufpassen«, fügte Richard hinzu, als der Schmied auch weiterhin schwieg.
»Was soll ihr auch schon geschehen?«, kam ihm nun sein Bruder zur Hilfe. »Wir tragen deine Schwerter und wissen uns Achtung zu verschaffen, so es vonnöten wäre. Außerdem reisen wir nicht allein, und der Weg nach London ist alles andere als gefährlich.« Knightly strahlte seinen Onkel mit einem unschuldigem Kinderblick an, der sogar einen Stein zum Erweichen gebracht hätte.
Der Schmied runzelte die Stirn. »Ich war noch niemals in London«, murmelte er nachdenklich. »Meine Mutter war häufig auf Reisen, in der Normandie und in Limoges, auch in London. Ich aber bin nie weiter fort gewesen als bis Orford und Ipswich.«
»Dann komm doch auch mit, Onkel!«, schlug Knightly vor.
Der Schmied schien unentschlossen.
»Bitte, Vater! London!«, rief Catlin sehnsüchtig und rutschte unruhig auf der Bank hin und her.
Der Schmied schüttelte missmutig den Kopf. »Ich kann nicht fort. Zu viel zu tun«, murmelte er und hob seinen Becher. »Aber wenn ihr gut auf Catlin achtgebt, so lasse ich sie in Gottes Namen mit euch reisen«, fügte er ins Leere starrend hinzu, stürzte sein Bier hinunter und nickte bestätigend.
Catlin konnte ihr Glück kaum fassen. Er hatte Ja gesagt! Der für gewöhnlich so gestrenge Vater ließ sie mit Richard und Knightly nach London reisen! Ihr Herz schlug so heftig, dass sie glaubte, jeden Augenblick die Besinnung zu verlieren. »London!«, seufzte sie glückselig und stellte sich vor, wie es wohl wäre, die Stadt zu besuchen und Zaungast bei einer so bedeutenden Hochzeit zu sein. Plötzlich verdunkelte sich ihr Gesicht. »Aber … ich … ich habe kein Kleid.« Sie schluckte mehrfach. Ihr Sonntagskleid hatte seit der letzten Messe einen Riss, den Elfreda zwar notdürftig geflickt hatte, doch die Zeit, ein neues Kleid anzufertigen, hatte sie noch nicht gefunden. Tränen schossen Catlin in die Augen.
»Ach, nun heul doch nicht!«, brummte Knightly und tätschelte ihr die Hand. »Es gibt Gewandschneider genug in London und Kleider im Überfluss zu kaufen. Wir werden schon etwas Passendes für dich finden. Mein Herr hat mich mit einer überaus großzügigen Summe ausgestattet, damit ich mir nicht nur einen neuen Surcot, sondern auch Stiefel und Mantel zu seiner Hochzeit anfertigen lasse. Ich habe nicht alles ausgegeben und noch ein paar Münzen übrig …« Er zwinkerte Catlin verschwörerisch zu.
»Auch mein Beutel ist gut gefüllt«, beeilte sich Richard zu versichern und klopfte aufmunternd auf die Börse an seinem Gürtel. »Daran soll es also nicht scheitern.«
»Nein, das wird nicht nötig sein«, ergriff nun der Schmied das Wort. Er runzelte die Stirn, und Catlin fürchtete schon, er könne sich anders besonnen haben und sie nun doch nicht mit nach London reisen lassen. »Ich gebe euch genügend Geld mit, damit sich Catlin so einkleiden kann, wie es sich für den Gast einer solchen Hochzeit geziemt«, erklärte er mit erhobener Stimme. Catlin atmete erleichtert auf. »Ihr wollt nicht aussehen wie die arme Verwandtschaft, und das soll auch meine Tochter nicht«, fügte der Schmied hinzu. »Ich werde gut bezahlt für meine Arbeit, darum soll ruhig jeder sehen, dass wir keine Hungerleider sind.«
Winnie schlug die Hände zusammen und quietschte vor Vergnügen, als käme sie mit nach London, doch davon war nicht die Rede.
»Du wirst das schönste Mädchen in der ganzen Stadt sein, du erinnerst mich so sehr an deine Mutter«, sagte der Schmied mit wehmütig belegter Stimme.
Obwohl er niemals über sie sprach, wusste Catlin, dass er so traurig war, weil er sie über alles geliebt hatte und sie auch nach all den Jahren noch immer schmerzlich vermisste.
Peter war der Einzige, der hin und wieder von ihr erzählte, und das auch nur, wenn sein Meister nicht in der Nähe war. »Du siehst ihr von Tag zu Tag ähnlicher«, hatte er erst kürzlich zu Catlin gesagt und ihr liebevoll über den Kopf gestrichen. »Hast ihre schönen dunklen Haare und ihre helle, feine Haut geerbt«, hatte er lächelnd hinzugefügt und ihr Herz mit einem Gefühl von Geborgenheit erfüllt.
»Das schönste Kleid Londons kauft meinem Kind!«, bat der Schmied mit leicht bebender Stimme seine Neffen und nahm rasch einen großen Schluck Bier.
»Vater!«, presste Catlin gerührt hervor, denn der Schmied hielt für gewöhnlich sein Geld zusammen und hatte für Gepränge und Tand, wie er Kleider, Haarbänder und Schmuck gern abfällig nannte, nichts übrig. Zutiefst bewegt erhob sie sich, kniete mit gesenktem Haupt vor ihm nieder, nahm seine schwielige Hand in die ihre und küsste sie in respektvoller Dankbarkeit.
Nachdem sie an diesem Abend noch lange beisammengesessen, getrunken und erzählt hatten, waren sie am nächsten Morgen beim ersten Hahnenschrei aufgestanden, um sich reisefertig zu machen. Die Hunde kläfften unruhig, die Pferde schnaubten und scharrten mit den Hufen, als könnten auch sie es kaum erwarten, endlich aufzubrechen.
»Ich bin so aufgeregt, ich könnte platzen«, gestand Catlin Winnie und fächelte sich Luft zu, obwohl der Morgen noch kühl war.
»Hast du auch nicht versäumt, zum heiligen Christophorus zu beten, auf dass er dir sicheres Geleit gewähren möge?« Winnie blickte sie mit aufgerissenen Augen an.
»Wo denkst du hin?« Catlin schüttelte entrüstet den Kopf. »Wie könnte ich etwas so Wichtiges vergessen? Gleich nach dem Aufstehen, in aller Frühe habe ich ihm gehuldigt – und zwei Vaterunser zusätzlich gebetet.«
»Dann ist es ja gut.« Winnie war ganz offensichtlich erleichtert. »Trotzdem schadet es sicher nicht, wenn ich dich in mein Abendgebet einschließe, bis du wohlbehalten zurückgekehrt bist.«
Catlin lächelte dankbar, obwohl sie zuversichtlich war, dass ihr an der Seite von Knightly und Richard kein Leid geschehen würde.
»Lebt wohl!«, verabschiedete sie sich von Winnie und Elfreda, als die Falkner ihre Pferde bestiegen, ließ sich von ihrem Vater auf die Stirn küssen und drückte ihn fest an sich. Zum Schluss umarmte sie Peter. »Es tut mir leid, dass ich dir den Bart nicht geschabt habe. Sobald ich zurück bin, hole ich es nach, versprochen«, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Oder du bittest Elfreda, wenn es dich zu sehr juckt …«
»Ich warte, bis du wieder da bist«, erwiderte Peter leise und schluckte.
Catlin vermied es, ihm in die Augen zu sehen, ließ sich von Knightly aufs Pferd helfen und umschlang seinen Leib, so gut sie konnte.
»Und du bist sicher, dass du allein auf einem Pferd bis nach London reiten kannst?«, erkundigte sich ihr Vetter gespielt ungläubig. »Du drückst mir nämlich gerade die Luft ab, als hättest du Angst.«
»Hab ich aber nicht, und ich kann sehr wohl allein reiten.« Catlin kniff ihn in die Rippen. »Hoffentlich haben sie im Mietstall in der Stadt noch ein Pferd für mich. Ist nämlich nicht gerade bequem, mit dir in einem Sattel zu sitzen. Ich könnte schwören, du bist letztes Jahr nicht so feist gewesen«, neckte sie ihn übermütig, obwohl er alles andere als dick war. Um nichts in der Welt hätte sie zugegeben, dass es sich gut und sicher anfühlte, seinen kräftigen Leib zu umschlingen.
»Überleg es dir, liebste Base, du kannst auch mit Milo reiten, selbst wenn wir dann einen Tag länger brauchen«, schlug Knightly mit herausforderndem Grinsen vor und deutete mit einem kurzen Blick auf seinen Pagen, der ein stämmiges kleines Pony ritt.
»Eher gehe ich zu Fuß!«, empörte sich Catlin und lief rot an, als die Männer lachten.
Noch vor dem Mittag mietete Richard ihr ein Pferd. Der Besitzer des Stalles legte ihnen eine sanfte Stute ans Herz, die Catlin sogleich mit einem freundlichen Schnaufen begrüßte. Als sie jedoch mit dem Pferd auf die Straße traten, griente Knightly. Das arme Tier sei ein wenig klapprig, behauptete er frotzelnd, und es habe ein knochiges Hinterteil, sodass es mehr einer Kuh als einem Pferd ähnele. Obwohl Richard seinen Bruder mit einem gestrengen Blick bedachte, drohte Catlin einen Moment lang die Haltung zu verlieren. Sie musste tüchtig gegen die Enge im Hals ankämpfen und straffte sich, damit Knightly ihre Unsicherheit nicht bemerkte und nicht länger über sie lachte.
»Wenn du nicht trödelst, schaffen wir es in zwei Tagen.« Mit diesen Worten trieb er sie grinsend zur Eile an.
»Catlin ist keine so erfahrene Reiterin wie du«, gab Richard mit gerunzelter Stirn zu bedenken und forderte seinen jüngeren Bruder zur Mäßigung auf. Knightlys spöttischer Blick aber hatte bereits Catlins Widerspruchsgeist geweckt.
»Auf mich müsst ihr keine Rücksicht nehmen«, behauptete sie kühl und reckte ihr hübsches Näschen spitz in die Luft. Am Abend jedoch, als sie vom Pferd stieg, bereute sie ihre forschen Worte und glaubte, keinen einzigen Schritt mehr gehen zu können. Ihr Rücken schmerzte ebenso höllisch wie die Oberschenkel und das Hinterteil. Ohne jedoch auch nur ein einziges Wort der Klage über die Lippen zu bringen, breitbeinig, mit noch immer leicht angewinkelten Knien schritt sie, so gut es ging, zu dem Gasthaus, in dem Richard eine Kammer zur Nacht für sie gemietet hatte. Arthurs bissige Bemerkungen, ihren merkwürdigen Gang betreffend, überhörte sie geflissentlich.
»Sie sieht aus, als hätte sie den ganzen Tag Fässer gezählt!«, prustete er, und Catlin fragte sich, wie er wissen konnte, dass ihre Beine unter dem Kleid noch immer den Leib ihres Pferdes nachformten. Einzig der Gedanke, dass der Junge vermutlich vor gar nicht allzu langer Zeit selbst solcherlei Schmerzen und Schmach hatte ertragen müssen, half ihr, die Tränen zurückzudrängen, die ihr die Kehle heraufstiegen.
Während die Falkner im Schankraum auf dem Boden nächtigen würden, war für Catlin, Richard und Knightly sowie seinen Pagen ein Bett in einer Kammer vorgesehen. Ein mürrischer junger Knecht half Milo mit dem Gepäck und führte sie auf Geheiß des Wirtes in das obere Stockwerk, wo er mit dem Fuß eine Tür aufstieß. In der Mitte des ungelüfteten, sicher seit Ewigkeiten nicht mehr gefegten Raumes stand eine breite Bettstatt aus Holz, in der sie alle gemeinsam schlafen würden. Die zerwühlten Leinenlaken und fleckigen Wolldecken verbreiteten den Geruch von ranzigem Fett. Trotzdem war es ein Glück, hier übernachten zu können, denn Laken und Raum waren immerhin trocken, was man von einer Nacht im Freien nicht hätte sagen können, denn kurz bevor sie den Gasthof erreicht hatten, hatte es zu nieseln begonnen. Aus den wenigen feinen Tropfen waren inzwischen stete Schnüre geworden. Darum war Catlin dankbar, nach dem anstrengenden Ritt nicht auch noch auf dem durchweichten Waldboden schlafen zu müssen, wo ihr Kälte und Feuchtigkeit, spitze Steine und Wurzeln ohne Zweifel den Schlaf geraubt hätten, nach dem sie sich so sehr sehnte.
Ehe sie sich jedoch zur Ruhe legten, suchten die vier Reisenden den Schankraum auf, um noch ein wenig mit den anderen zu schwatzen, etwas zu essen und zu trinken.
»Du bleibst hier und gibst auf unser Gepäck acht!«, befahl Richard seinem Hund. Snoop war innerhalb seines Wurfes der Kleinste gewesen und von Richard mit verdünnter Ziegenmilch mühsam mit der Hand aufgepäppelt worden. Lange hatte niemand sagen können, ob das schmächtige Tier überleben würde, doch Richard hatte nicht aufgegeben und war dem Welpen nicht von der Seite gewichen, bis ein kräftiges, gesundes Kerlchen aus ihm geworden war, das alles und jeden neugierig beschnüffelte. Snoop war nicht nur ein zuverlässiger Jagdhund, sondern auch seit Jahren Richards treuester Begleiter.
Der Hund sprang auf das Bett, drehte sich einmal um sich selbst, legte sich hin und senkte den Kopf auf die Vorderpfoten. Er schnaufte zufrieden und hob nur die Brauen abwechselnd an, als Richard den anderen voran die Kammer verließ.
In der Wirtsstube war es warm und stickig. Es roch nach Schweiß und feuchtem Mensch, bis man sich dem offenen Feuer näherte, über dem ein ganzes Wildschwein briet. Hier überwog der Duft von gegrilltem Fleisch und Fett, das zischend in der Glut verdampfte. Catlins Magen knurrte so laut, dass sie beschämt den Blick senkte, doch niemand hatte es gehört. Nach einem ausgiebigen Frühstück – Elfreda hatte Getreidebrei mit Zwiebeln, Speck und Eiern zubereitet – waren sie mit nur wenigen kurzen Pausen bis zur Dämmerung durchgeritten. Catlin streckte die klammen Finger zum Feuer aus und genoss das leichte Kribbeln, als sie sich erwärmten.
Die Falkner hatten die Vögel derweil auf der mitgeführten Reck untergebracht und sich anschließend an einem langen Tisch niedergelassen.