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Mitarbeiterführung vom Kopf auf die Füße gestellt Wir stecken mitten drin im größten Change-Prozess aller Zeiten. Die Macht ist zu den Mitarbeitern gewandert. Top-down ist passé. Inside-out auch. Unternehmensprozesse beginnen heute beim Kunden, führen über die Mitarbeiter hin zum Management. Outside-in-bottom-up heißt von nun an der Kurs. Die Unternehmen müssen den Sprung vom Pyramidensystem zur Netzwerk-Organisation im Eiltempo schaffen. Um am Markt überhaupt punkten zu können sind Innovationen zunächst im firmeninternen Zusammenspiel dringendst vonnöten. Mitarbeiterführung muss neu gelernt werden. Die digitale Transformation, neue Arbeitsmodelle und die zuströmenden Digital Natives lassen den Unternehmen keine andere Wahl. Nach ihrem mehrfach preisgekrönten Bestseller Touchpoints stellt Anne M. Schüller in diesem Buch Mittel und Wege vor, mit deren Hilfe sich die neue Arbeitswelt meistern lässt: • Die sieben Schlüsselaufgaben, die jetzt zu bewältigen sind • Führungskonzepte für die Mitarbeiter von heute und morgen • Ein Schritt-für-Schritt-Instrumentarium, um die Interaktionspunkte zwischen Mitarbeiter, Führungskraft und Organisation zu perfektionieren Pointiert, unterhaltsam und verständlich geschrieben hat dieses Buch alles, um Unternehmern und Führungskräften ein praxisorientierter Wegweiser in die Zukunft zu sein.
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Seitenzahl: 392
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»Sie können hier mit niemandem telefonieren, schicken Sie eine Mail!« – Um Unternehmen, die so mit ihren Kunden hantieren, muss man sich wohl Sorgen machen. Ich werde sie in diesem Buch die alten, analogen Unternehmen nennen. Sie sind nicht unbedingt alt an Jahren, sondern alt im Kopf, zu alt, um die Zukunft erreichen zu können. Denn etwas Großes ist im Gange. Wir leben in einer neuen, sich unaufhaltsam digitalisierenden Businesswelt. Und wir stecken mittendrin im größten Change-Prozess aller Zeiten. Die Macht ist zu den Mitarbeitern gewandert. Und die Kunden haben, von vielen nahezu unbemerkt, die Macht schon längst übernommen. Was das bedeutet? Heute entscheiden vor allem die eigenen Kunden darüber, ob neue Kunden kommen und kaufen. Und die eigenen Mitarbeiter entscheiden maßgeblich mit, wer die besten Talente gewinnt. Passende interne Rahmenbedingungen und eine auf diesen Wandel ausgerichtete Führungskultur sind unausweichlich, damit es gelingt, in volatilen Märkten auf immer neue Weise verlockend zu sein.
Doch während sich draußen unumkehrbar alles verändert, vertrödeln sich drinnen in den Unternehmen die Manager mit »gängigen« Verfahren und verbrauchten Ritualen aus dem letzten Jahrhundert: Top-down-Formationen, Silodenke, Insellösungen, Abteilungsegoismen, Hierarchiegehabe, Budgetierungsmarathons, Anweisungskultur, Kontrollitis, Kennzahlenkult. Dies wie auch ein antiquiertes Führungsverständnis und der kundenfeindliche Standardisierungswahn sind die größten Bremsklötze auf dem Weg in eine neue Business- und Arbeitswelt. Mit Werkzeugen von vorvorgestern ist die Zukunft nun mal nicht zu packen. Die Unternehmen sind in ihren eigenen Systemen gefangen. Und sie werden nicht am Markt, sondern an ihren Strukturen scheitern. Deshalb sind Innovationen zunächst drinnen, im firmeninternen Zusammenspiel, dringendst vonnöten. Vernetzung und Kollaboration heißen die zentralen Schlüssel zum Ziel. Wie dies erreicht werden kann und welche Tools dabei helfen, zeigt dieses Buch.
Die Hochzeit zwischen dem Social Web und dem mobilen Internet hat uns mit Höchstgeschwindigkeit in die Web-3.0-Welt katapultiert. Ihr vielleicht wichtigstes Plus: eine digitale Informationsschicht, die sich per Fingerwisch über unsere Offline-Landschaften legt. Hierdurch werden die Menschen mit dem kompletten Onlinewissen praktisch überall auf der Erde in Echtzeit vernetzt. Diese neue Konstellation hat das Kräfteverhältnis zwischen Anbietern und Nachfragern endgültig auf den Kopf gestellt. Denn das Internet spielt den »kleinen Leuten« zu. Es begünstigt »die vielen«. Es verachtet Zentralisierung. Und es liebt Kollaboration.
Doch in den Schaubildern der Unternehmen sieht es noch immer aus wie anno dazumal. Sie verdeutlichen – vielleicht mehr als alles andere – die wahre (fossile) Gesinnung: Der Chef thront ganz oben, darunter, in Kästchen eingesperrt, seine brave Gefolgsmannschaft. Die Mitarbeiter kommen in solchen Organigrammen nicht einmal vor. Sie werden wie Fußvolk verwaltet und in Abteilungsschubladen organisiert. Ja, und die Kommunikation zu den Kunden läuft über Kanäle. Bei Licht betrachtet sind Werbekanäle nichts als das externe Gegenstück interner Silos und veralteter Top-down-Hierarchien: unvernetzt nebeneinanderher agierend. Denn ein Kanal dient der Datenübermittlung von einem Sender zu einem Empfänger.
Demgegenüber zeigt die Welt der Kunden ein völlig anderes Bild: Sie schwirren in Outernet- und Internet-Sphären um Unternehmensgebilde herum, die wie Netzwerke agieren (sollten). Sie kaufen an Touchpoints nach Gusto mal offline, mal online. Bei der Entscheidungsfindung lassen sie sich vor allem von ihresgleichen leiten. Von unersättlichen Konsumenten wandeln sie sich zu verantwortungsvollen Weltenbürgern. Manche sind schon »Sharer« und »Maker« geworden, das heißt, sie kaufen nicht neu, sondern sie teilen sich das, was sie brauchen, mit Dritten. Oder sie produzieren es selbst. Die meist webbasierte »Share-Economy« wird das ohnehin dürftiger werdende Wachstum auf ganz neue Weise bedrohen. Und der Selbermachen-Trend, der durch die aufkommenden 3-D-Drucker begünstigt wird, wird völlig neue Geschäftsmodelle kreieren.
Es ist also höchste Zeit für einen neuen Typus von Organisation. Ich nenne es das Touchpoint-Unternehmen.
Niemals zuvor waren die Kunden einem Unternehmen so nahe wie heute. Spätestens jetzt muss sich jede Führungskraft in jedem Bereich neben ihrer Kernaufgabe intensiv mit den Kunden befassen. Denn über die sozialen Medien kann heute jeder Externe praktisch mit jedem Mitarbeiter direkt in Verbindung treten, ganz egal, in welcher Abteilung der sitzt, und egal auch, ob das dem Management passt oder nicht. Die Zahl der Kontaktpunkte zwischen drinnen und draußen ist explosionsartig gestiegen; sie ist jetzt schon unüberschaubar geworden. Dies ist Risiko und Chance zugleich.
Früher wurde das, was die Öffentlichkeit über ein Unternehmen erfahren sollte, über sorgsam formulierte Pressemitteilungen und gut geschulte Vorstandssprecher gesteuert. Was sich hinter den Firmenfassaden aber tatsächlich begab, gelangte nur vereinzelt nach draußen: wenn jemand in seinem persönlichen Umfeld von einem Vorfall erzählte oder wenn es über persönliche Kontakte bis zu den Medien drang. Heute sieht das völlig anders aus: Die Mitarbeiter berichten über Interna im Web. Sie sind zu Botschaftern ihrer Arbeitgeber geworden. Und die Unternehmen haben keinerlei Kontrolle darüber, was sie dem Cyberspace alles anvertrauen.
Wer führt, behandle seine Leute also besser gut und halte ethische Werte ein, denn im Internet kommt es irgendwann raus. Vorbildliches wird dort vergnüglich gefeiert und Gutes kräftig gelobt, Übles hingegen herbe bestraft. Wer lügt und betrügt, wer seine Leute wie ein Berserker behandelt oder sich eigennützig Vorteile verschafft, wird geteert und gefedert und dann an den Onlinepranger gestellt. Das lesen dann nicht nur alle Kollegen, nein, die gesamte Öffentlichkeit liest das auch. Schon längst wird das zweifelhafte Innenleben eines Anbieters durch kollektive Nichtkäufe bestraft. Und die besten Bewerber kehren Reputationsschwachen den Rücken, noch ehe es zu einer ersten Annäherung kommt. Denn bevor man hört, was ein Unternehmen selbst über sich sagt, lauscht man denen, die aus erster Hand berichten.
In dieser neuen Realität werden Kunden kaum mehr den vorgezeichneten Kanälen altehrwürdiger Ablauforganisationen folgen. Sie lassen sich auch nicht mehr an Service, Sales und Marketing wegdelegieren – und schon gar nicht von provisionssüchtigen Verkäufern zum LEO, einem leicht erlegbaren Opfer, machen. Vielmehr steuern sie die direkten und indirekten Touchpoints spannender Anbieter selbstbestimmt an. Deshalb folgen Touchpoint-Unternehmen dem Outside-in-bottom-up-Weg, das heißt, sie bewegen sich vom Kunden her nach drinnen und dann vom Mitarbeiter her in Richtung Führungsebene. Denn nur so herum kann der Erfolg künftig gelingen. Dabei wird es im Unternehmensorchester schon bald auch ein neues Berufsbild geben: den Touchpoint-Manager. Er steht wie ein Advokat für die Kundeninteressen ein und setzt sie kraftvoll durch. Und er weiß: Wer lange Strecken laufen will, braucht geduldiges Geld.
Ein Touchpoint wird im Deutschen gern als Kontaktpunkt bezeichnet. Doch dies ist ein unterkühlter und versachlichter Begriff. Das Wort »Berührungspunkt« drückt sehr viel besser aus, wie Beziehungen in Social-Media-Zeiten nun zu gestalten sind. Wer nämlich Menschen erreichen will, der muss sie »berühren« – und Emotionalität zum Schwingen bringen. Wenn dann noch ein Hauch von Magie und eine Brise »Sternenstaub« hinzugefügt werden, dann weckt dies ein heftiges Habenwollen.
Nicht was in ambitionierten Businessplänen und aufwendigen Handbüchern geschrieben steht, sondern was der Kunde in den »Momenten der Wahrheit« (Jan Carlzon) an den einzelnen Touchpoints tatsächlich erlebt, entscheidet über hopp oder top. Diese so virtuos zu bespielen, dass Transaktionen für kaufwillige Kunden immer wieder begehrenswert sind und ein engagiertes Weiterempfehlen bewirken, das ist die neue große Herausforderung. Und sie geht jeden im Unternehmen an, egal, ob er direkt an der Kundenfront tätig ist oder etwa in der Buchhaltung, in der Produktion oder im Lager wirkt.
All dies verlangt ein kundennahes Management und auch einen neuen Führungsstil: die kundenorientierte Mitarbeiterführung. Basis dafür ist das Meistern der internen Touchpoints, also der Interaktionspunkte zwischen den Mitarbeitenden, den Führungskräften und der Organisation. Kollaborative Prozesse, bei denen man die »Ideenfunken« aller Mitarbeitenden einfängt und die »Weisheit der Vielen« nutzt, werden dabei, wie wir gleich sehen, aus gutem Grund zu bevorzugen sein.
Der demografische Wandel, der Kampf um die Besten und der Glashauseffekt, den das Social Web mit sich bringt, halten ganz neue Anforderungen parat: Personaler müssen das Verkaufen lernen. Dabei sind die Ressourcen, die bereits jetzt für das effiziente Suchen, Finden und Gewinnen passender Talente in den Markt geworfen werden, ganz enorm.
Doch nicht die Firmenwebsite und deren Karriereteil, sondern das Eingabefeld der Suchmaschinen ist zunehmend der Startpunkt für eine potenzielle Mitarbeiterbeziehung – und oftmals gleichzeitig das Ende. Dabei spielen die indirekten Touchpoints wie zum Beispiel Meinungsportale, User-Foren, Blogbeiträge, Presseartikel, Mundpropaganda und Weiterempfehlungen eine zunehmend wichtige Rolle. Diese werden auch als »Earned Touchpoints« bezeichnet, denn man kann sie sich nicht wie eine Stellenanzeige kaufen, man muss sie sich stattdessen verdienen.
So werden von veränderungswilligen Bewerbern immer öfter zuerst die O-Töne der Mitarbeiter im Web angesteuert. Google nennt sie die »Zero Moments of Truth« (ZMOT).1 Dies sind die Momente der Wahrheit vor dem ersten direkten Kontakt, die schonungslos sichtbar machen, was die Versprechen eines Unternehmens tatsächlich taugen. Insofern werden Firmen schon bald allein deshalb zumachen müssen, weil es keine qualifizierten Mitarbeiter mehr gibt, die für sie arbeiten wollen.
Anstatt also weiter in teuer bezahlte Recruiting-Tools zu investieren, sollten Organisationen viel mehr dafür tun, dass es drinnen bei ihnen stimmt. Denn jenseits schöner Sonntagsreden über Leitbilder, Werte und Corporate Social Responsibility (CSR) liegt dort eine Menge im Argen. Selbst den wortgewaltigsten Beteuerungen aus der eitlen Managementwelt glaubt heute kaum jemand mehr. Die Unternehmenskommunikation hat sich in einen gigantischen Vertrauensverlust hineinmanövriert. Zu oft sind wir belogen und betrogen worden. Hier Beispiele zu listen, erübrigt sich. Jeder kennt eine Vielzahl von Fällen.
Die Einzigen, die in einer vernetzten Gesellschaft glaubwürdig für Vertrauen sorgen und sogar Vertrauensverluste wiedergutmachen können, sind die, die wissen, wie es hinter den Firmentoren tatsächlich läuft: die Kunden und die Mitarbeiter. Sie wollen, dass all diese Menschen draußen als Fürsprecher für Ihr Unternehmen fungieren? Dann sorgen Sie für ein positives Beziehungskonto! Und sorgen Sie insbesondere auch dafür, dass die Leute tollen Gesprächsstoff haben, den sie gerne mit ihren Netzwerken teilen.
»Sei wirklich gut, und bring die Leute dazu, dies vehement weiterzutragen.« So lautet das neue Businessmantra. Und »wirklich gut« bedeutet hier zweierlei: einmal exzellent und einmal nicht böse. Das Internet ist wie eine gigantische öffentliche Podiumsdiskussion. Die »Leichen« vermodern heute nicht mehr im Keller, man findet sie in den Weiten des Webs. Daher muss neben dem Zahlenwerk auch die moralische Bilanz stimmen. Denn Unternehmen haben nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine soziale Funktion, die von der Öffentlichkeit immer vehementer eingefordert wird. Der Wettbewerb der Zukunft wird auf dem Marktplatz der Unternehmenskulturen geführt.
Fakt ist: Jenseits aller Sozialromantik braucht es Renditen, um am Leben zu bleiben. Doch das ist nur das Pflichtprogramm. Entscheidend ist die Kür. Um schließlich zu den großen Gewinnern zu zählen, gibt es nur einen einzigen Weg: eine Lovemark (Kevin Roberts) zu werden. Eine Lovemark ist eine (Arbeitgeber-)Marke, in die sich die Kunden und die Mitarbeitenden verlieben können. Eine Lovemark ist Kult. Die braucht sich nicht mithilfe teurer Werbung selbst zu erklären. Weil ihre Fans das für sie tun. Die greift man auch nicht an. Weil eine Phalanx von Fürsprechern sie vor allem Ungemach schützt. Und das Ergebnis? Loyalität jenseits der Vernunft. Sobald das geschieht, wird die Konkurrenz bedeutungslos.
Die Arbeitsbeziehungen haben sich in den letzten Jahren grundlegend gewandelt. Sie sind globaler, digitaler und auch weiblicher geworden – und all das auf hohem Niveau. Sie sind von einer neuen Buntheit gekennzeichnet, kleinteiliger und vielschichtiger geworden und auch stärker nach außen vernetzt. Immer mehr Menschen werden neben einer Festanstellung schon bald einen (Mini-)Zweitjob haben, in dem sie erwerbstätig sind. Oder sie werden zeitweilig selbstständig sein. Die lebenslange Anstellung existiert nur noch in den Geschichtsbüchern der Arbeitswissenschaft. Die Beschäftigten werden aus dem befriedeten Gelände der Firmengebäude in die freie Wildbahn entlassen.
Neben einer Kernbelegschaft in herkömmlichen Arbeitsverhältnissen gibt es zunehmend eine Zusammenarbeit ohne klassischen Arbeitsvertrag: in Projekten, mit Freelancern, mit Zeitarbeitsfirmen, mit Interimsmanagern. Es gibt mehr befristete Arbeitsverträge, höhere Teilzeitquoten, mehr outgesourcte Bereiche wie auch eine größere Zahl an mitarbeitenden Spezialisten, Zulieferern und Businesspartnern. Der stationäre Arbeitsplatz und das eigene Büro werden im Zuge dessen zurückgedrängt. Fernanwesenheit, eine mobile Arbeitskultur, flexible Arbeitszeitmodelle, virtuelle Teams und das Homeoffice haben Hochkonjunktur.
In Zukunft wird vornehmlich für Denkleistung bezahlt. Gutes Wissen, das noch fehlt und kurzfristig verfügbar sein muss, wird über Externe zugekauft. Man umgibt sich mit den jeweils besten Leuten für einen bestimmten Job. So werden Unternehmen zu Drehkreuzen, zu Oasen für digitale Nomaden und von »Kollaborateur-Satelliten« umkreist. Letzteres ist auch der Grund, weshalb ich mich bei der Namensgebung für das Instrument, das Kern dieses Buches ist, für den Begriff »Collaborator« entschieden habe. Kollaboration steht, unabhängig von der Form des Arbeitsvertrags, für ein effizientes Miteinanderarbeiten. Der Kollaborateur im heutigen Sinne ist also ein auf konstruktive Weise Mitarbeitender.
Bei all dem werden Führungskräfte in Zukunft vor ganz neue Herausforderungen gestellt: Die Oberen müssen lernen, auch die neuen Arbeitsmodelle zu meistern, also nicht anwesende und nicht angestellte Mitarbeitende zu führen und so schnell wie möglich produktiv zu machen. Ganz neue Touchpoints werden dabei entstehen. Alles wird zunehmend modular organisiert. Anfallende Arbeitsaufträge werden mehr und mehr über Projekte gesteuert. Hierzu werden vor allem Netzwerk-Organisatoren und projektleitende Moderatoren benötigt. Macht- und Kontrollverlust ist eine unausbleibliche Folge. Ganz andere Führungsstile rücken nach vorn: Möglichmacher, Katalysatoren und kundenfokussierte Leader werden von nun an gebraucht. Und für Führungskarrieren kommen ausschließlich Menschenspezialisten infrage. Manche machen das auch schon ganz ausgezeichnet. Den anderen ist die Führungslizenz zu entziehen.
Digital Natives? Das sind die im Internet-Zeitalter aufgewachsenen und durch digitale Medien sozialisierten nach 1980 Geborenen, oft auch Millennials, Generation Y, Gen Y oder Ypsiloner genannt. Sie prägen eine humanisierte Führungskultur und bringen die Menschlichkeit in die Unternehmen zurück. Und sie schaffen die Rahmenbedingungen für einen kollaborativen Managementstil. Der Chef als Ansager und Aufpasser? Für sie ein Auslaufmodell. Sie stehen für Autonomie und Gestaltungsraum, für Gleichrangigkeit und Selbstorganisation – und für das Teilen. Der Aufbau von Herrschaftswissen ist ihnen fremd. Machtgelüste haben sie kaum. Die klassischen Statussymbole reizen sie wenig. Bevormundungsmodelle sind gar nicht ihr Ding.
Diese Gen Y folgt – welch interessanter Zusammenhang – der Theorie Y von Douglas McGregor, seinerzeit Managementprofessor am MIT.2 Das Y steht für die Hypothese vom grundsätzlich engagierten Mitarbeitenden, der durch befruchtendes, einfühlsames Führen noch engagierter wird. »Schmusekurs« wird dieser Weg von den harten Brocken genannt. Und die, die ihm folgen, werden als Betabuben, Warmduscher und Beckenrandschwimmer verlacht. Denn da, wo mit der Brechstange gearbeitet wird, wo es keine Kennzahlen für Achtsamkeit und Wertschätzung gibt, wo nur Maximalergebnisse zählen und Exceltabellen das Sagen haben, ist für »weiche Faktoren« kein Platz. Vielerorts wird immer noch derjenige (heimlich) bewundert, der bereit ist, Unternehmenswerte zu zerstören und Mitarbeiter zu opfern, um kurzfristige Gewinnziele erreichen zu können. »Wer das nicht verträgt, der kann sich ja von unserem tollen betrieblichen Gesundheitswesen wieder aufpäppeln lassen«, hat mir kürzlich so einer gesagt. Doch die Zeiten, in denen Mitarbeiter nichts als Spielfiguren des Managements waren, sind endgültig vorbei. Der Mitarbeiter 3.0 verlangt ein ganz neues Führungsverständnis.
Denn die Social-Media-affine Smartphone-Elite hat längst begonnen, eine ethischere Tätigkeitskultur zu entwickeln: werteorientiert, selbstbewusst, verspielt, autonom. Der versierte Umgang mit Onlinemedien ist ihr wichtigstes Kapital. Das Meistern von Bits und Bytes nennt sie Arbyte (Peter Glaser). Die Aussicht, bei einem Arbeitgeber wieder in die analoge Steinzeit zurückzufallen, ist entsetzlich für sie. Wer kein passendes Arbeitsumfeld bieten kann, kommt für sie nicht in Betracht. Millennials erwarten lebenswerte Büros und ein lockeres Miteinander, so wie sie es aus ihrer vernetzten, digital transformierten Freizeit kennen.
Und wenn sie mehrere Jobangebote haben, entscheiden sie sich für das mit dem Sinn-Plus. Diese Grundeinstellung befruchtet inzwischen den kompletten Arbeitsmarkt. Die Menschen wollen nicht einfach nur noch mehr Geld verdienen. Sie wollen bei ihrer Arbeit glücklich sein. Ein Dasein, bei dem Leben und Arbeit, wenn überhaupt, so einigermaßen in Balance ist, reicht ihnen nicht. Sie wollen, dass alles Berufliche zu einem befruchtenden und in hohem Maße befriedigenden Teil ihres Lebens wird. Das wird das »New Normal« sein. Ich nenne es Work-Life-Integrität.
Das interne Touchpoint-Management betrachtet die »Reise« eines Mitarbeitenden durch das Unternehmen und geht von dessen Standpunkt aus. Es berücksichtigt die Anforderungen an unsere neue Arbeitswelt. Und es ordnet deren zunehmende Komplexität in ein Gesamtsystem.
Ziel des insgesamt vierstufigen Prozesses ist die Koordination aller Berührungspunkte zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden, um die Interaktionsqualität zu verbessern, inspirierende Arbeitsplatzbedingungen zu gestalten und – im Rahmen eines wertschätzenden Klimas – ansprechende Leistungsmöglichkeiten zu schaffen. Hierbei kann jede Interaktion als Chance genutzt werden, die Exzellenz der Mitarbeitenden zu erhöhen, ihre emotionale Verbundenheit zum Unternehmen zu stärken und positive Mundpropaganda nach innen und außen auszulösen.
Dazu arbeitet die Führungsmannschaft abteilungsübergreifend vernetzt und mit Blick auf den kontinuierlichen Wandel. Alle Mitarbeitenden werden auf das Wohlergehen der Kunden ausgerichtet. So erhöht die intensive Auseinandersetzung mit jedem einzelnen internen Touchpoint nicht nur die Mitarbeiterperformance, sie führt auch zu einer Ressourcenoptimierung, zu Zeit- und Kosteneinsparungen, zu einer Stärkung der Arbeitgebermarke, zu einer höheren Kundenloyalität, zur Neukundengewinnung durch Weiterempfehlungen und damit zu gesunden Erträgen. Am Ende des Weges steht eine Organisation, die hocheffizient ist – und zutiefst human.
Um alle skizzierten Themen nun zu vertiefen, habe ich das Buch in drei Teile gegliedert:
Teil 1 zeigt mit Blick auf unsere sich zunehmend digitalisierende Businesswelt, an welchen sieben internen Rahmenbedingungen vordringlich zu arbeiten ist, um wettbewerbsfähig die Zukunft erreichen zu können.
Teil 2 befasst sich mit der neuen Arbeitswelt und den »neuen« Mitarbeitenden, mit einer digitalitätsbasierten Mitarbeitertypologie, mit der »neuen« Führungskraft und passenden Führungsstilen für heute und morgen.
Teil 3 veranschaulicht den CTMP® Collaborator Touchpoint Management Prozess. Detailliert wird gezeigt, wie im Rahmen dieses neuen Managementmodells die Interaktionspunkte zwischen Mitarbeitenden, Führungsverantwortlichen und Arbeitgeber zu strukturieren und zu gestalten sind. Und: Der interne Touchpoint-Manager wird postuliert.
Dabei will dieses Buch mehr als nur zeigen, wohin die Reise geht. Schlaue Bücher über die Zukunft gibt es genug. Doch in diesen Umbruchzeiten wollen vorausschauende Unternehmer vor allem eins: so viel Konkretes wie möglich, also Beispiele, Anregungen, Hinweise und Tipps auf ihre brennende Frage »Und wie mach ich das nun?«. Denn bekanntlich sollten Worten ja auch Taten folgen. So schlägt dieses Buch die Brücke von der Metaebene der Strategie zur tagtäglichen operativen Praxis. Was auch immer Sie davon auf Ihre geschäftliche, berufliche und persönliche Reise mitnehmen wollen: Zunächst wünsche ich Ihnen viel Freude beim Lesen. Und dann den denkbar größten Erfolg bei der Umsetzung. Schreiben Sie mir doch bei Gelegenheit, wie es Ihnen damit ergangen ist. Ich bin gespannt.
IhreAnne M. Schüller Im goldenen Oktober 2013
Drei Dinge, die ich noch sagen wollte:
Wenn ich hier über Führungskräfte, Mitarbeitende und Kunden schreibe, sind natürlich immer Männer und Frauen gemeint. Nur, wenn es den Unternehmen gelingt, das Beste ihrer männlichen Mitarbeitenden und das Beste ihrer weiblichen Mitarbeitenden optimal zusammenzuführen, ist wahre Exzellenz und damit die Zukunft zu schaffen.Durch die zunehmende Globalisierung sind Anglizismen verstärkt in die Wirtschaftswelt vorgedrungen – ob man das will oder nicht. Dort wo ich weniger gebräuchliche englische Worte benutze, habe ich sie ins Deutsche übertragen. Falls mir das einmal nicht gelungen sein sollte, schreiben Sie mir.Den CTMP® Collaborator Touchpoint Management Prozess, dessen Erfinderin ich bin, habe ich im letzten Teil meines Bestsellers Touchpoints bereits ansatzweise vorgestellt. In diesem Buch habe ich dieses Konzept auf vielfachen Wunsch hin vertieft und maßgeblich erweitert. Unverzichtbare Aussagen habe ich hier noch einmal zitiert. Mehr zum Thema Kunde und alles zum Kundenkontaktpunkt-Management wartet in Touchpoints auf Sie.Etwas Großes ist im Gange. Es wird ein neues Spiel gespielt. Und Chancen werden neu verteilt. Wir stecken mittendrin im größten Change-Prozess aller Zeiten. Doch wir bemerken es kaum, weil wir so sehr mit dem Augenblick beschäftigt sind. Dabei ist ein paradigmatischer Wandel der Lebens-, Kauf- und Arbeitsstile längst unübersehbar. Mutige neue Anbieter mit ihren frischen, frechen Ideen treiben den Markt mit atemberaubender Geschwindigkeit voran. Alles wird immer schneller alt. Jeden Tag wird die Welt ein wenig digitaler. Und komplexer. Und auch sozialer.
Die Menschen rücken näher zusammen, die Solidarität wächst. Der Ton wird informeller, die Kommunikation direkter. Statt »Haben« spielt »Sein« eine größere Rolle. Eine Entwicklung vom Ich zum Wir zeichnet sich ab; statt Abgrenzung rückt Teilhabe nach vorn. Ein riesiger Demokratisierungsprozess ist die Folge. Wissen schlägt Macht. Nicht der Shareholder-Value, sondern die Kundenwünsche steuern heute die Unternehmen. Und eine neue Form von Verbundenheit, die fünfte Loyalität nenne ich sie (und erkläre das später), ist im Kommen. Virtuelle Netzwerke sind die Auffangbecken für erodierende klassische Sozialstrukturen – und Geburtshelfer für eine neue Kultur des physischen Miteinanders. Die Digital Natives sind ihre Protagonisten.
Diese Zeitenwende betrifft nichtnur den Einzelnen als Mitglied einer Gemeinschaft sowie die Gesellschaft als Ganzes. Sie betrifft die Wirtschaft gleichermaßen und – spiegelbildlich betrachtet – auch das Innenleben einer Organisation. Die wichtigsten Schlagworte heißen: öffnen, verflachen, verbreitern. Dabei werden »weiche Faktoren«, die sich in der Reputation eines Unternehmens manifestieren, fortan von ausschlaggebender Bedeutung sein. Und die Reputation selbst wird zu einem wesentlichen Bestandteil des Unternehmenswerts.
Doch Reputation kann – im Gegensatz zum Image – nicht einseitig von den Anbietern gesteuert werden. Denn Reputation entsteht nicht durch das, was man selbst über sich sagt, sondern durch das, was Dritte denken und sagen. Kontrolle findet nunmehr öffentlich statt. Wo ein Empörungswille ist, schlägt dieser schnell Wellen. Unternehmenslügen werden ruckzuck in Shitstorms verwandelt. So sorgt die Weisheit der Vielen dafür, dass sich die Spreu vom Weizen trennt. Und das Böse wird zunehmend aussortiert: Im Web läuft das größte Empfehlungsprogramm aller Zeiten.
Ein solches Szenario kann nicht länger mit verkalkten Konzepten aus prädigitalen Wirtschaftszeiten gemeistert werden. Was die Unternehmen am meisten lähmt, sind zu viel Management – und zu wenig Mitarbeiterfokus, zu viel Hierarchie – und zu wenig Kollaboration, zu viel Regelkorsett – und zu wenig Möglichkeitsraum, zu viel Zahlenwerk – und zu wenig Emotionalität, zu viel Selbstgefälligkeit – und viel zu wenig Kundenliebe.
Um für die neue Businesswelt fit zu sein, muss es genau umgekehrt laufen:
Ein zaghaftes Auffrischen von Bestehendem reicht dabei nicht aus. Eine Neuausrichtung ist vielmehr gefragt. Vieles muss einer schöpferischen Unruhe und manches einer schöpferischen Zerstörung (Joseph Schumpeter) preisgegeben werden, um Raum für Neues, Passenderes zu schaffen und sich für den Wettbewerb der Zukunft zu rüsten. Weitermachen wie bisher ist keine Option. Ein Neustart ist angesagt. Noch vor den technologischen und produktbasierten Innovationen sind zuallererst Managementinnovationen dringend vonnöten. Nur zu. Die Spielregeln werden nie mehr die alten sein.
Sieben Schlüsselaufgaben sind dabei in Angriff zu nehmen:
Schwarmintelligenz integrierenKollaborative Strukturen implementierenGefühlte Hierarchien reduzierenRegelwerke dezimierenSilodenke demontierenSich digital transformierenDen Kundenfokus forcierenMit diesen Aufgaben wollen wir uns nun detaillierter befassen. Sie sind das Fundament, auf das die Mitarbeiterführung in neuen Businesszeiten baut.
Die Digital Natives und die Start-up-Gründer unter ihnen sind in einer digital vernetzten Lebenswelt groß geworden. Sie bewegen sich ständig in Schwärmen, die in den Weiten des Webs ihre Heimat haben. Damit sind sie etablierten Unternehmen um Meilen voraus. Wollen Letztere nicht den Anschluss verlieren, müssen sie baldigst verstehen lernen, wie soziale Netzwerke effektiv funktionieren und wie sich Schwarmintelligenz erfolgswirksam nutzen lässt. Unter Schwarmintelligenz versteht man die Weisheit der Vielen, eine sich mehr oder weniger selbst organisierende kollektive Intelligenz, die jenseits von Administration und Bürokratie eine Vielfalt von innovativen Ideen hervorbringen kann.
Natürlich ist, um Innovationen im Sinne echter Durchbrüche zu erzielen, zudem die Expertise von Spezialisten vonnöten. Und bisweilen braucht es die strategische Hand eines energischen Chefs. Doch einsame Entscheidungen können auch leicht in den Abgrund führen. Tödlich für die Innovationskraft einer Organisation ist es indes, wenn alles wie erstarrt auf das Brüllen des Silberrückens harrt. Klar, auch in Netzwerken gibt es Autoritäten, denen man folgt. Doch den blinden Gehorsam, der in geschlossenen Organisationen immer noch ausgeprägt ist, den gibt es hier nicht. Leadership-Kunst wird zukünftig heißen, positive Leittiereffekte und Mitarbeiter-Schwarmintelligenz zielführend zu kombinieren – und ein Miteinander zu finden, das auch die Kunden in alle Stufen der Wertschöpfungskette aktiv integriert.
Bereits vor Jahren hat der Soziologe James Surowiecki in seinem Weltbestseller The Wisdom of the Crowds anhand vieler Beispiele gezeigt, dass eine Gruppe in aller Regel »klüger ist als ihr gescheitestes Mitglied«. Allerdings nur dann, wenn ihre Zusammensetzung inhomogen ist. Denn homogene Gruppen, also solche mit gleichartigen Mitgliedern, neigen zur Konformität, zum Konsens, zum Griff nach Routinen – und nur selten zum Erkunden von Neuem. Der Zugewinn einer inhomogenen Gruppe ergibt sich aus den unterschiedlichen Denkweisen ihrer Mitglieder und einer damit verbundenen Experimentierfreudigkeit. Kluge Entscheidungen kann die Gruppe aber immer nur dann treffen, wenn sie in ihrer Meinungsbildung unabhängig ist, wenn jeder Teilnehmer Zugang zu allem entscheidungsrelevanten Wissen hat und wenn er seine Meinung frei äußern kann. Ferner muss sich die Gruppe auch treffen können – virtuell und real.
Skype, Wikis, Blogs, Apps, Activity-Streams und Dokumenten-Sharing: Diese und viele weitere Webtools haben die Zusammenarbeit von realen Orten entkoppelt und ein virtuelles »Ausschwärmen« möglich gemacht. Allerdings wird zunehmend erkannt, dass Menschen am allerbesten zusammenwirken, wenn sie sich sehen können. Warum das so ist? Die wahre Gesinnung zeigt sich in Gestik und Mimik. Die meisten von uns haben ein gutes Intuitionsradar für richtig und falsch. Entsprechende Signale können aber nur dann entschlüsselt werden, wenn man sich physisch nahe ist. Doch auch dafür stehen digitale Lösungen parat. Videokonferenzen gibt es schon. Membrane Wände, die wie Touchscreens funktionieren und per Fingerwisch – wie bei einem Touchscreen am Tablet-PC – den Weg ins Internet bahnen, sind im Kommen. Und schon bald werden wir unseren Schwarmmitgliedern als 3-D-Telepräsenz oder als Hologramm3 in Lebensgröße erscheinen können.
Darauf warten müssen wir allerdings nicht. Führungskräfte können schon jetzt »eine Reihe von Voraussetzungen schaffen, damit sich Schwarmintelligenz zügig entfalten kann«, schreibt Jochen May in seinem Buch Schwarmintelligenz in Unternehmen.4 Er nennt diese drei:
Informationsfluss:
Kompetenzvernetzung erfordert, dass jedes Schwarmmitglied jederzeit über alle notwendigen Informationen verfügt. Zugleich muss sichergestellt sein, dass man seine Zeit nicht mit unnützem Informationsmüll vergeudet.
Innovationsdruck
:
Hierzu müssen Instrumente verfügbar sein, mit deren Hilfe die nutzwertigen Ideen einzelner Schwarmmitglieder aufgegriffen, gesichert und bei Bedarf zügig umgesetzt werden. Einige davon werden wir weiter hinten kennenlernen.
Verhaltensabstimmung:
Die schwarmimmanente Meinungsvielfalt ist so zu kanalisieren, dass man sich autoritätsfrei auf ein einheitliches Vorgehen einigen kann. Denn in aller Regel stört Hierarchie den Schwarm, anstatt ihm zu dienen.
Allerdings muss die Basis für die Entwicklung von Schwarmintelligenz in vielen Fällen überhaupt erst gelegt werden. Institutionalisierte Informationskaskaden und sorgsam gepflegte Entscheidungsmonopole, die vor allem dem Machterhalt dienen, sind dabei nur hinderlich. Und natürlich müssen die Mitarbeiter zu einem schwarmintelligenten Verhalten befähigt werden, denn die damit verbundene Ergebnisverantwortung kann Ängste schüren. Es braucht also Mut, etwas Zeit und Geduld. Auf Knopfdruck funktioniert so was nicht.
Um gut voranzukommen, sind umfangreiche Freiheitsgrade, kurze Entscheidungswege, ein Höchstmaß an Flexibilität und eine kollaborative Vernetzung vonnöten. Lineare Strukturen sind dazu wenig geeignet. Weil diese nämlich nur in eine Richtung zeigen, verbauen sie den Blick auf andere, womöglich bessere Wege zum Ziel. Wenn, so wie jetzt, die Komplexität zunehmend steigt, sind sich selbst organisierende Strukturen viel tauglicher. Bestes Beispiel dafür ist das erfolgreichste Businessmodell aller Zeiten, die Mutter der Digitalisierung: das Internet.
Im Internet vernetzen sich die Menschen zu Schwärmen, die mal in die eine und mal in die andere Richtung ziehen, immer auf der Suche nach Neuem, Anderem, Besserem. Dabei geht es nicht nur um eine Vernetzung von Daten, sondern auch um die Vernetzung von Wissen. Wie das funktioniert? Im Social Web ist dies ein sich selbst steuernder Prozess, der sich über Plattformen, Portale und soziale Netzwerke organisiert. Viele sollen etwas davon haben, nicht wenige alles. Das Crowdfunding, manchmal auch Schwarmfinanzierung genannt, ist ein interessantes Beispiel dafür. Hierunter versteht man die Finanzierung förderungswürdiger Projekte durch eine große Zahl von Kapitalgebern mit kleinen Mitteln über Plattformen wie Startnext, Kickstarter & Co. Solche Formen des Teilens werden durch webbasierte Technologien erleichtert beziehungsweise überhaupt erst möglich gemacht.
Auch das menschliche Gehirn funktioniert ohne Boss. Dessen zerebrale Verschaltungen laufen über Knotenpunkte, etwa 20 an der Zahl. So kann es auf mehr als einem Weg zu guten Ergebnissen kommen – und die Kapazität, zu lernen und qualitativen Output zu liefern, ist nahezu unerschöpflich. Doch was nicht benutzt wird, verwildert. »Use it or lose it« heißt das Prinzip. Beim Wissen ist es genauso. Es multipliziert sich bekanntlich, wenn man es teilt. Und es verflüchtigt sich, wenn man es hortet. Wenn sich Wissen aber vernetzt, kann dies an die erstaunlichsten Zielpunkte führen. So steigt zum Beispiel die Innovationskraft mit der Anzahl gleichberechtigt involvierter Personen. Und damit wiederum steigt auch die Chance auf den sogenannten Serendipitätseffekt: das Stolpern über glückliche Zufälle, das durch eine Beteiligung vieler begünstigt wird.
Deshalb brauchen Unternehmen im Touchpoint-Management auch keine solchen Consultants, die ihre »exklusiven« Weisheiten über monolithische Führungsspitzen einschleusen, um sie dann herunterschwappen zu lassen. Vielmehr brauchen sie Knotenpunkte, die als Weichensteller für optimale Verschaltungen sorgen. Und sie brauchen (externe) Input-Bringer, die als Katalysatoren fungieren, um die kollektive Intelligenz der besten Ratgeber zu wecken, die es da draußen gibt: die eigenen Mitarbeiter und die sozial vernetzten Kunden. Überall im Unternehmen müssen »Möglichkeitsräume mit Innovationspflicht« geschaffen werden, in denen eigeninitiatives und selbstverantwortliches Handeln den Vorzug vor Direktiven erhält.
Kollaboration heißt miteinander statt gegeneinander – über alle Abteilungsgrenzen hinweg. Wir brauchen inspirierende Freunde, verlässliche Verbündete und helfende Weggefährten in einer sich zunehmend vernetzenden Welt. »Überkreuzbefruchtung« wird das bei Apple genannt. Wenn Unternehmensorganisationen hingegen auf Konkurrenz statt auf Kollaboration aufgebaut sind, dann werden »die anderen« zwangsläufig als Wettbewerber, wenn nicht gar als Feinde gesehen. Man schottet sich ab, gibt falsche Informationen weiter, verweigert Hilfe unter fadenscheinigen Gründen und lässt vermeintliche Gegenspieler ins offene Messer laufen. Nur damit diese keinen Vorsprung gewinnen. Jeder kämpft um das fetteste Stück vom Ressourcenkuchen, um den nächsten Karriereschritt – und um Status natürlich auch. Appelle zur Zusammenarbeit bringen rein gar nichts, solange solche Systeme durch Rennlisten, eingleisige Incentive-Programme und Profitcenter-Denke auf Trab gehalten werden.
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