Touch. Point. Sieg. - Anne M. Schüller - E-Book

Touch. Point. Sieg. E-Book

Anne M. Schüller

4,8

Beschreibung

Die digitale Transformation verändert unsere Business- und Arbeitswelt unfassbar schnell. Auch die kundenbezogene Kommunikation ist davon betroffen. Doch die wahren kommunikativen Erfolge finden jenseits von Big Data und Algorithmen statt. Nicht Analytics und Mathematik, sondern Menschenkenntnis und Einfühlungsvermögen führen gerade in durchdigitalisierten Zeiten zum Ziel. So zeigt Teil eins des Buches, welche Chancen weit über Worte, Bilder und Geschichten hinaus die multisensorische Kommunikation fortan bietet. In Teil zwei werden die Touchpoints, die kommunikativen Berührungspunkte zwischen Anbieter und Kunde, analysiert und optimiert. Teil drei zeigt Erfolg versprechende kommunikative Wege in die digitale Zukunft.

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Inhaltsverzeichnis
Einblick in unsere digitale Zukunft
Digitale Fitness – nicht mehr als ein Muss
Die Digitalisierung ist schneller als wir
Eine kurze Geschichte der Kommunikation
Plattformkapitalismus versus Industrie 4.0
Die Digitalisierung wird alles verändern
Das Geheimnis der Algorithmen
Offline ist der neue Luxus
Die digitale Vermessung des Menschen
Kommunikation in unserer neuen Businesswelt
Teil 1: TOUCH – Wie Sie Kunden »berühren«
Kommunikation sinnlich aufladen
Meister der Multisensorik
Wie Sie sinnliche Markenerlebnisse schaffen
Mehrsinnig statt einsinnig lautet das Ziel
Das Sinnliche und die Manipulation
So spricht man mit den Sinnen
Wie sieht Ihre Marke aus?
Wie fühlt sich Ihre Marke an?
Wie hört sich Ihre Marke an?
Wie riecht Ihre Marke?
Wie schmeckt Ihre Marke?
Symbole sagen mehr als Worte
Emotionen in der Kommunikation
Was jedes Hirn so besonders macht
Der Stoff, aus dem Kauflust entsteht
Wir sind unaufmerksamkeitsblind
Emotionen sind im Management leider verpönt
Die Menschen sind alle verschieden
Menschen wollen sich glücklich kaufen
Die wichtigsten Punkte im Emotionsmanagement
Die Insula und der Preisschmerz
Die Amygdala, unser Gefahrenradar
Das Belohnungszentrum und die Kauflust
Oxytocin: der Botenstoff für Verbundenheit
Spiegelneuronen und die Gabe der Empathie
Teil 2: POINT – Wie Sie »Habenwollen« erzeugen
Das Customer Touchpoint Management
Der Prozess des CTMP in seinen vier Schritten
Und was ist daran neu?
Kommunikationsmodelle von gestern
Kundenhege und -pflege an erster Stelle
Beziehungsorientiert statt prozessorientiert
Die Customer Touchpoint Journey
Wie man eine Customer Touchpoint Journey visualisiert
Viele Wege führen zum Reiseziel
Die sieben Schritte einer Customer Touchpoint Journey
Entscheidende Momente der Wahrheit
Wie sich Touchpoints clustern lassen
Earned und Shared Media: Spiel über Bande
Touchpoint-Kategorien: mehr als nur EPOMS
Wie sich Touchpoints bewerten lassen
Enttäuschend, okay oder begeisternd?
Zufriedene Kunden sind gefährliche Kunden
Wie Sie Ihre Touchpoints optimieren
Optimieren durch Beobachten des Kunden
Optimieren durch kluge Fragen
Optimieren mithilfe des NPS
Optimieren mithilfe der Mitarbeiter
Für wen Sie Ihre Touchpoints optimieren
Die Menschen in der Rushhour des Lebens
Tappen Sie nicht in die Seniorenfalle
Personas sind die neuen Zielgruppen
Buyer-Personas im B2B
Digital Natives und Digital Immigrants
Teil 3: SIEG – Wie neue Kunden kommen und kaufen
Content-Marketing: Alles außer Werbung
Welche Content-Formate es gibt
Die Ziele im Content-Marketing
So entwickeln Sie Ihre Content-Strategie
Klartext oder Nebelkerzen?
Wie guter Content entsteht
Wo und wie Content eingesetzt wird
Storytelling: Auf der Suche nach guten Geschichten
Werden Sie zum Geschichtenerzähler
Warum Geschichten so überaus nützlich sind
Wie gute Geschichten aufgebaut werden
Geschichten weiterverbreiten – drinnen und draußen
Shareability: Wie sich Content weiterverbreitet
Wie Sie Content aktiv in Umlauf bringen
Content, der gerne geteilt wird
Seeding: Wie man Content professionell viralisiert
Communitys: So schaffen Sie gemeinsamen Content
Communitys gibt es in verschiedenen Formen
Wie Sie eine eigene Community aufbauen
Communitys jenseits der eigenen Website
Inbound-Marketing: Von Kunden gefunden werden
Und wie kommt man an User-generated Content?
So geht Content-Monitoring im Web
Wie Sie Menschen für die Content-Produktion gewinnen
Warum Customer-Reviews zunehmend wertvoll sind
Die Gefahr gefälschter Bewertungen steigt
Warum auch negativer Content wertvoll sein kann
Die Mitarbeiter als (inoffizielle) Content-Produzenten
Wie man Mitarbeiter im Content-Marketing aktiv involviert
Wie man sich vor unliebsamem Mitarbeitergerede schützt
Ihre Kommunikation: Gewinner- oder Verlierersprache?
Schöne Worte sind wie Edelsteine
So geht permanentes Sprachstil-Coaching
Über Kommunikationsengel und Kommunikationsbengel
Über gute und schlechte Servicekommunikation
Wie Sie gute Gefühle bewirken
Auch Claims sind Kommunikation
Crowdsourcing: Optimieren mithilfe der Kunden
Mitmach-Marketing ist kostenlose Unternehmensberatung
So glücken Innovationen aus Kundenhand
Wie Crowdsourcing-Projekte gut gelingen
Crowdsourcing ist auch im B2B möglich
Kundenintegration ist besser als Elfenbeinturm
Die Customer Touchpoint Manager kommen
Eine gute organisatorische Einbindung ist elementar
Touchpoint-Manager in der Praxis
Ausblick: Wie man im Digitalzeitalter überlebt
Herrschende zetteln keine Palastrevolution an
Trittsteine auf dem Weg in die Zukunft
Anhang
Anmerkungen
In eigener Sache
Literaturhinweise
Über die Autorin
Impressum

Einblick in unsere digitale Zukunft

Ach ja, früher war alles so einfach. Da haben wir uns ganz normal unterhalten: bei einem zwanglosen Plausch oder einem romantischen Stelldichein, in anregenden Diskussionen oder belanglosen Debatten. Dann begannen wir mit Leuten zu reden, die uns aus einer digitalen Parallelwelt begrüßten. Inzwischen werden Onlinepersonen wie selbstverständlich in unsere Offlinekommunikation integriert. Wir stecken die Köpfe zusammen und plaudern mit Freunden auf Displays. Oder wir palavern per Videokonferenz mit Geschäftspartnern am anderen Ende der Welt. So wurden Gespräche dreidimensional. Nun geht es noch einen Schritt weiter. Und dieser Schritt ist epochal.

Wir betreten eine neue Ära der Kommunikation. Wir reden mit Bits und Bytes, die Siri oder Cortana oder Alexa heißen. Und sobald sie ein wenig trainiert sind, antworten unsere digitalen Assistenten vernünftig, höflich und brav. Auch mit Robotern führen wir schon längst Zwiegespräche. Digitalisierte Maschinen geben uns nicht nur Informationen, sondern auch Befehle. Früher hat sich das schlechte Gewissen bei uns gemeldet, heute tun dies Selftracking-Armbänder und Apps.

Algorithmen hören uns zu, sie verstehen uns, machen daraus Big Data, um uns dann mit dem zu versorgen, was uns, wie sie meinen, gefällt. Nicht nur nette Nachbarn und übellaunige Chefs reden mit uns; auch mit Gebrauchsanweisungen, Schaufensterauslagen und vorbeifahrenden Autos kann man sich unterhalten. Maschinen reden mit Handys – und Sensoren mit allem, was Sensoren hat. So erklärt ein Stück Weißblech der nächsten freien Werkzeugmaschine höchstpersönlich und ganz wie von selbst, was mal aus ihm werden soll. Und während es so verarbeitet wird, hält es mit anderen Blechen ein Schwätzchen.

Was das bedeutet? Die digitale Transformation, die uns mit einer irre hohen Veränderungsgeschwindigkeit überfällt, gibt der Kommunikation ein völlig neues Gesicht. Sie materialisiert sich in einem globalen Netzwerk von Abermilliarden intelligenter Geräte, Maschinen und Objekte, die via Sensoren und Apps untereinander, mit den Menschen und mit ihrer Umwelt korrespondieren.

Dieses »Internet der Dinge« wird die Art und Weise, wie wir leben und arbeiten, völlig verändern. Alles, was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert (Carly Fiorina). Alles, was automatisiert werden kann, wird automatisiert. Und alles, was vernetzt werden kann, wird miteinander vernetzt. Wie dies passiert? Eben nicht sanft und linear, sondern sprunghaft und disruptiv. Disruptiv? Darunter versteht man – im Gegensatz zu evolutionären Konzepten und kontinuierlichem Wandel – die zumeist abrupte Zerstörung traditioneller Geschäftsmodelle und althergebrachter Wertschöpfungsketten. Denn wirklich Neues entsteht nicht durch das Fortschreiben von Bestehendem, sondern aus dem Ordnen von Chaos.

Digitale Fitness – nicht mehr als ein Muss

Die Social Media und ihre Netzwerkeffekte, die uns seit Anfang der Nuller-Jahre begleiten, kamen auf vergleichsweise sanften Pfoten daher. Sie bescherten uns allerdings einen Paradigmenwechsel, im Zuge dessen sich die Macht von Unternehmen, Organisationen und Institutionen hin zu den Menschen verschob. Was das bedeutet? Inzwischen entscheiden vor allem die eigenen Kunden durch ihr Onlinegerede darüber, ob neue Kunden kommen und kaufen. Und die eigenen Mitarbeiter entscheiden durch ihre Stimmen im Web maßgeblich mit, wer die besten Talente gewinnt.

Doch während ein Großteil der Anbieter die Folgen dieser Entwicklung nicht einmal annähernd begreift und ein Erweckungserlebnis vielen Managern noch gänzlich fehlt, ist bereits die nächste Stufe gezündet. Der Übergang von einer linearen zu einer exponentiellen Ära katapultiert uns voran. Und dabei wird der Kuchen neu verteilt. Der digitale Darwinismus (Ralf T. Kreutzer/ Karl-Heinz Land) schlägt rückhaltlos zu. Er rollt so unausweichlich wie ein Erdbeben heran, gegen das man nicht ankämpfen kann. Und nicht die Schnellen, die Großen und die Skrupellosen, sondern die digital Fitten sind diesmal vorn. Mehr oder weniger alle Branchen sind davon betroffen. Fünf Jahre höchstens, sagen die Kassandras der Wirtschaft, haben die Unternehmen noch Zeit. Wer dann nicht durchdigitalisiert ist, kommt auf den Friedhof.

Abb. 1: Die digitale und die analoge Entwicklung im Zeitverlauf

Die Digitalisierung betrifft ausnahmslos jeden Unternehmensbereich. Sie ist schon bald das, was die Kunden unabdingbar erwarten. Das heißt, sie löst höchstens Zufriedenheit aus, da sie ein Pflichtprogramm ist. Doch wie auch beim Tanzen entsteht der wahre Genuss erst im Freiraum der Kür, also da, wo es Einfühlungsvermögen, Hingabe und Leidenschaft für die Belange der Kunden gibt. Geldscheine winken vor allem in der Begeisterungszone. Wo aber Technokraten agieren, besteht die Gefahr, dass sich alles um Systeme, Prozesse und Daten sowie ums Analysieren, Monitoren und Messen dreht. Die Menschlichkeit in der Kundenbeziehung bleibt dabei oft auf der Strecke.

Doch ohne Menschlichkeit wären wir nur Maschinen. Um also in den Begeisterungsbereich vorzustoßen, wird genau diese gebraucht. Sie äußert sich in Emotionalität, in Nützlichkeit und in Sinnlichkeit. Sie zeigt der kalten Technik ein heiteres Gesicht. Sie sorgt für Reputation, für Identifikation, für Loyalität und für Empfehlungsbereitschaft – und damit auch für neue Kunden. Um solche Facetten wird es in diesem Buch hauptsächlich gehen. Wer darauf brennt, blättert am besten gleich zu Teil 1. Zunächst aber braucht es ein Fundament. Und dabei kommt man um die Digitalisierung nicht mehr herum.

Die digitale Uhr tickt – und morgen ist bald

Solange die Basisfaktoren nicht stimmen, braucht man sich an Begeisterungselemente gar nicht heranzumachen. Die wirken dann nämlich nicht. Ganz im Gegenteil. Überfreundliche Ahnungslosigkeit kann derart wütend machen, dass einem die Dampfwölkchen aus den Ohren qualmen. Deshalb muss zunächst die Basis stimmen. Und diese heißt ab sofort: Professionalität in digitalen Belangen. Viel Zeit bleibt auch nicht. Denn die digitale Uhr tickt. Doch deren Sekundenzeiger bewegt sich nicht im gewohnten Takt daher, sondern jagt wie auf Speed immer schneller voran. Zögerliche Anbieter werden das nicht überleben. Bei vielen flimmert es schon. Manche stehen kurz vor dem Infarkt. Ganz sicher werden diejenigen von uns scheiden, die »dieses Digitale« mit einem Kopfschütteln quittieren. Digital aufzurüsten – und eine geeignete Rechtslandschaft dafür zu schaffen –, ist ein unumgängliches Muss.

Und keine Sorge: Das Physische wird nicht verschwinden. Es wird sogar wieder erstarken, weil wir eben nicht aus Bits und Bytes, sondern aus Atomen und Neuronen bestehen. »Die digitale Transformation wird die persönlichen Beziehungen niemals ersetzen«, sagt der global tätige Futurist Gerd Leonhard. Viel anfänglich Begeisterndes aus dem digitalen Paralleluniversum gehört für uns User inzwischen schon so sehr zum Alltag, dass es wie selbstverständlich in den Hintergrund rückt. Lebensqualität schiebt sich fröhlich nach vorn. Und dabei wird, je nach Lust und Laune, Offline mit Online in Echtzeit gemixt.

Online und Offline wachsen zusammen. Nicht »entweder oder«, sondern »sowohl als auch« ist demnach das Thema. So werden zwar Händler sterben, aber nicht der stationäre Handel an sich. Onlinebasierte Bezahlsysteme werden Bankfilialen nicht komplett verdrängen, Airbnb wird nicht allen Hotels den Garaus machen und Uber nicht alle Taxis von der Straße vertreiben. Doch diejenigen, die ihre bisherige Offlinewelt nicht ausreichend schnell mit Onlinesphären verknüpfen, werden die Zukunft wohl nicht erreichen. Und auch die, die vornehmlich ihre alten, analogen Feindbilder jagen, werden kaum überleben. Denn der wahre Feind lauert in ganz anderen Ecken.

Die wahren Feinde rüsten sich digital

Den womöglich gefährlichsten Satz in seinem Berufsleben hat Dieter Zetsche, Vorstandsvorsitzender der Daimler AG, im Frühjahr 2015 gesagt: »Wir haben schließlich das Auto erfunden.« Dies war seine Reaktion auf damalige Gerüchte, Apple werde in das Automobilgeschäft einsteigen. Während sich viele Unternehmen, so wie Daimler, auf den konventionellen Wettbewerb fokussieren, gehen Angreifer von außerhalb der Branche wie aus dem Nichts an den Start. Und sie reisen mit leichtem Gepäck in die Zukunft, denn sie wissen: Je schwerfälliger eine Organisation, desto anfälliger ist sie für Überholmanöver. So ist der Onlinehandel nicht von einem stationären Händler, das internetbasierte Bezahlen nicht von einer Bank und iTunes nicht von der Musikindustrie erfunden worden. Tja, und die traditionelle Uhrenindustrie hat es auf einmal mit Mobiltelefonanbietern als Hauptkonkurrenten zu tun.

Die Gefahr, digital ausgeknockt zu werden, besteht für fast jeden. »Welche Branche knacken wir denn diese Woche?« So lautet der weltweite Schlachtruf der digitalen Boheme. Niemand ist vor ihr sicher, die Banken nicht, Versicherungen nicht, der Handel sowieso nicht, Energieversorger nicht, die Automobilindustrie nicht, Logistiker nicht, das Bildungs- und Gesundheitswesen nicht und die digitalen Brüder und Schwestern schon gar nicht. Aus vernetzten Start-up-Schmieden und von wagemutigen Jungunternehmern kommen Ideen, die die Welt mit Karacho verändern. Gegen ihr flottes Vorgehen haben die aufgeblähten Old-School-Apparatschiks mit ihrer Absicherungsmentalität, ihren langatmigen Expertenrunden und ihren behäbigen Entscheidungsprozessen nicht den Hauch einer Chance. So werden die wichtigen Neuerungen der Zukunft nicht von etablierten Marktplayern kommen, sondern aus der agilen Gründerszene.

Schöpferische Zerstörung – ein Bild, das der Makroökonom Joseph Schumpeter schon 1942 in die Welt gesetzt hat – treibt die jungen Gründer wie magisch voran. Vor allem disruptiv muss es sein. Diesen Begriff hat 1997 der Harvard-Professor Clayton M. Christensen in seinem Buch The Innovator’s Dilemma geprägt. So hocken Horden von Digital Natives vor ihren Bildschirmen und hauen hoffnungsvoll in die Tasten. Ihre Schlagzahl ist unglaublich hoch. Heraus kommen Innovationen, die klassische Produkte und Technologien nicht weiterentwickeln, sondern radikal verdrängen können und sollen. Der versierte Umgang mit Onlinemedien und das Meistern von Bits und Bytes, den Grundbausteinen der digitalen Welt, ist ihr wichtigstes Kapital. Respektlos, furchtlos und frech machen sie vor niemandem halt. Sie sind angriffslustig. Sie lechzen nach Erfolg. Und sie sind siegesgewiss. Game-Changer, Growth-Hacker und Internetkrieger nennen sie sich. Oder auch Disruptoren – was sich auf Raptoren reimt, das sind diese aggressiven, ziemlich smarten Biester aus dem Jurassic Park.

Während die Old Economy umständlich plant und endlos über Budgets debattiert, rennt die Gründergeneration einfach mal los. Natürlich ist es da besser, T-Shirt und Turnschuhe statt Anzug und Rahmengenähte zu tragen. Denn wer rennt, hat immer wieder beide Füße in der Luft. Und er macht große Sätze. Schnelligkeit geht dabei vor. »Done is better than perfect«, sagt Facebook-Gründer Mark Zuckerberg. Wer jedoch Sicherheit will, wird den Schritt-für-Schritt-Modus wählen: hier noch ein paar PS, da etwas mehr Design, dort ein neues Feature und dann das Zeugs billig in den Markt gehauen, um es der Konkurrenz mal so richtig zu zeigen. Bei Produkten genauso: etwas mehr Inhalt, die Verpackung größer, die Flasche griffiger, das Etikett bunter, Aktionspreis, alles muss raus! »Linear« heißt: mehr vom Gleichen – auch vom Falschen. Disruptiv hingegen ist der Sprung durch die Feuerwand der Unsicherheit.

Die Digitalisierung ist schneller als wir

Der Eindruck, dass alles Neue in einem noch nie gesehenen Tempo passiert, täuscht übrigens nicht. Digitaler Fortschritt verläuft nie so beschaulich wie der ruckelnde Fortschrittsbalken an Ihrem PC. Doch Fortschritt stoppen? Ein Widerspruch in sich. Es gehört zum Wesen einer exponentiellen Entwicklung, dass man zunächst gar nicht realisiert, was da abgeht. Biologische Generationen, wie wir sie kennen, entwickeln sich relativ langsam, sodass sie sich an die jeweils neue Umgebung anpassen können. Jede technologische Verbesserung hingegen führt dazu, dass die nächste technologische Verbesserung schneller erreicht werden kann. Und sobald sich eine Technologie dafür einsetzen lässt, das Leben der Menschen zu verbessern oder sie von Leid zu befreien, wird diese postwendend in Anspruch genommen. Darin sind wir schon allein deshalb so unglaublich schnell, weil es uns einen evolutionären Vorteil verspricht.

Bislang haben uns Maschinen Arbeit abgenommen, die schmutzig oder gefährlich war. Auch monotone und vergleichsweise simple Aufgaben haben sie für uns erledigt. Doch nun werden Computer intelligent. Selbstlernend können sie sich eigenständig verbessern. Und das Resultat dieser Entwicklung? Digitale Einheiten, die Bits, werden sich mit den Grundbausteinen der physischen Welt, den Atomen, Neuronen und Genen, immer weiter verknüpfen. Mensch und Maschine leben fortan nicht nur in Symbiosen, wie etwa mit einem Exoskelett, sie werden sich miteinander vereinen. Folgt man dem mooreschen Gesetz, das eigentlich nur eine Faustregel ist, ergibt sich eine Verdopplung der Integrationsdichte etwa alle anderthalb bis zwei Jahre. So werden wir in den nächsten Dekaden technologische Sprünge sehen, die alles bisher Erlebte in den Schatten stellen. Es werden Dinge möglich sein, die wir aus Science-Fiction-Filmen zwar kennen, die aber im wahren Leben noch gar nicht vorstellbar sind. Und sie werden nicht erst in 100 Jahren kommen, sondern in zehn oder 20.

Den Zeitpunkt der technologischen Singularität hat der umstrittene Futurologe und Transhumanist Ray Kurzweil, Director of Engineering bei Google, auf 2045 vorausberechnet. Andere legen ihn inzwischen auf 2039. Dies sei das Datum, zu dem Maschinen mittels künstlicher Intelligenz (KI) den technologischen Fortschritt derart beschleunigen könnten, dass die Zukunft der Menschheit nicht mehr vorhersehbar sei. Blauäugiger Optimismus ist dabei sicher nicht angebracht, doch eine Apokalypse sollte auch nicht gleich herbeigeredet werden. Denn folgt man modernen Wissenschaftlern wie etwa Steven Pinker in seinem Opus The Better Angels of Our Nature, dann ist die Menschheit im Laufe der Jahrtausende immer friedvoller geworden. In Vorzeiten starb zum Beispiel jeder zweite Mann eines unnatürlichen Todes. Hoffnung in die Zukunft ist also realistisch, und an das Gute zu glauben als Langzeit-Regulativ durchaus berechtigt. Gleichwohl ist »eine naive Technikglorifizierung ohne Humanorientierung und ohne gesellschaftliche Verantwortung eine ernste Gefahr«, so der Digitalvordenker Winfried Felser, Betreiber der Competence Site.

Um die Dimensionen dessen, was auf uns zukommt, deutlich zu machen, zieht Kurzweil gern die Geschichte mit dem Schachbrett und den Reiskörnern heran. Angeblich wünschte sich der Erfinder dieses »königlichen« Spiels zur Belohnung, auf das jeweils nächste Feld möge man ihm doppelt so viele Reiskörner legen wie auf das vorherige, also eins, zwei, vier, acht und so weiter. Demnach wären wir jetzt auf der zweiten Hälfte des Bretts unterwegs. Und mit Feld 64 endet das Spiel.

Wie dem auch sei, wir stecken mittendrin im digitalen Abenteuer. Und niemand kann heute noch sagen, er hätte das nicht gewusst. Denn das Web stellt alles Wissen der Welt bereit. Es macht uns quasi allwissend. Auch die digitalen Propheten waren rechtzeitig da. Die seismischen Wellen der Digitalisierung wurden vermessen. Digitale Kolosse wie Apple, Google, Facebook und Amazon – neuerdings A.G.F.A., die »Großen vier des Internets« genannt – kommen laut genug polternd daher.

Warum herkömmliche Unternehmen zu langsam sind

»Too big to fail«, also zu groß, um auf der Strecke zu bleiben, gilt schon lange nicht mehr. Ganz im Gegenteil: Die Grabsteine derer, die der Markt bestrafte, weil sie in ihrem nicht digitalen Dinosaurierstatus verharrten, tragen ehrwürdige Namen. Agfa, ein Hersteller fotografischer Produkte, ist übrigens auch mit dabei. Was also ist zu tun, um nicht auf dem Friedhof der Unternehmen von gestern zu landen? Wer schnell sein will, muss Schnellboote bauen. Die digitalen Könner haben dies längst erkannt. Deshalb werden Start-ups sehr oft um die technologischen Lücken etablierter Organisationen herum gebaut. Kluge Unternehmen lassen sich von gewieften Experten bereits ganz gezielt attackieren, um zu erkennen, wo ihre Schwachstellen sind. »Kill the company« nennt man solche Versuche. Andere kaufen passende Lösungen teuer von Start-ups auf – und oft die Firma gleich mit, um sie sich als Wettbewerber vom Leib zu halten. Wieder andere gründen gezielt kleine Einheiten aus, damit diese, fernab von Hierarchiegedöns und Bürokratieexzessen, innovative Projekte mit Höchstgeschwindigkeit vorantreiben können. Solche Sandbox-Teams oder Innovation Labs sind Biotope für Wandel und Brutstätten für Disruption. Zudem bringen vorausschauende Unternehmen ihre Manager ganz gezielt mit der digitalen Elite an den transformativen Hotspots dieser Welt zusammen. Wohl nur so, wenn überhaupt, lässt sich die Innovationskraft einer tankerhaft trägen Konzernorganisation erhöhen.

Warum herkömmliche Unternehmen nicht aus sich heraus schneller werden? Hat sich die Wirtschaft nicht seit jeher entlang des technologischen Fortschritts neu orientiert? Zwangsläufig muss, wenn etwas Neues entsteht, etwas Altes beiseitetreten. Während die Alten dabei vor allem das sehen, was sie verlieren, stecken die Jungen nicht in diesem Dilemma. Sie haben nichts zu verlieren, keinen Firmenwagen, keine Senator Lounge und auch keinen Führungskraftstatus. Sie haben keine Kompetenzen zu verteidigen und keinen veralteten Kram im Gepäck, der erst mal entlernt werden muss. Und sie haben nichts aus der »Früher war alles besser«-Zeit zu betrauern. Sie können bei dem, was die Zukunft ihnen bringt, nur gewinnen.

Derzeit amtierende Manager hingegen müssten genau die Äste kappen, auf denen sie sitzen. Denn man kann keine alten Schablonen auf neue Zeiten legen. Doch obwohl sich draußen alles verändert, vertrödelt man drinnen in den Unternehmen mit gängigen Verfahren und verbrauchten Ritualen aus den Tiefen des letzten Jahrhunderts wertvolle Zeit. Machtgeplänkel, Top-down-Formationen, Abteilungsprotektionismus und Anweisungskultur verhindern jeden nötigen Fortschritt. Mit Werkzeugen von gestern ist die Zukunft nun mal nicht zu packen. Die Unternehmen sind in ihren eigenen Systemen gefangen. Und sie werden nicht am Markt, sondern an ihren Strukturen scheitern.

Besonders gefährlich sind festgeschriebene Businesspläne und Zielvereinbarungssysteme nach alter Manier. Hierbei wird kein bestmögliches Ergebnis, sondern eine Punktlandung bei überoptimistischen Ratespielen verlangt. Und was macht ein braver Manager dann? Er folgt nicht der Wirklichkeit, sondern dem Plan. Das ist absurd! Was den Unternehmen heute im Markt begegnet, ist permanente Vorläufigkeit. Und Unsicherheit ist ein Dauerzustand. Zudem liegen die größten Chancen meist jenseits der Pläne. Derzeit lauern »schwarze Schwäne« (Nassim Nicholas Taleb), also höchst unwahrscheinliche Ereignisse, an jeder Ecke. Dafür sollten vorausschauende Wenn-dann-Szenarien, flexible Ziele und Optionen für verschiedene Zukünfte auf Abruf in der Schublade liegen. Denn »schwarze Schwäne« warten nicht auf Budgetierungstermine. Und »weiße Schwäne« schon gar nicht.

Weshalb junge Unternehmen so schnell sein können

Tradierte Unternehmen sind geschlossene Systeme, in denen jeder sein Wissen hortet. Junge Unternehmen hingegen haben verstanden, wie arm man bleibt, wenn man alles für sich behält, und wie reich man wird, wenn man teilt. Sie sind offen für alles und jeden. Sie lassen sich in die Karten schauen. Und sie kommunizieren lautstark am Markt. Sie nutzen die »Weisheit der Vielen« und integrieren dankbar jede hilfreiche Idee, ganz egal, von welcher Seite sie kommt. Sie attackieren tradierte Modelle nicht nach evolutionärer, sondern nach revolutionärer Manier.

Bei alldem sind sie unglaublich flott unterwegs. Sie probieren alles Mögliche aus und kalkulieren das Scheitern mit ein. »Beim nächsten Mal machen wir eben bessere Fehler«, sagen sie heiter. »Start many, try cheap, fail early«, heißt dieses Prinzip bei Google: Viele Projekte starten, sie mit kleinen Mitteln im Markt testen, Flops schnell erkennen und eliminieren. Während Fehler in der industriellen Produktion in den Ruin führen konnten, werden Fehler in der digitalen Industrie als Lernfelder gefeiert.

Haben die Großtanker der Old Economy in diesem Umfeld überhaupt Chancen? Letztere seien, wie Clayton M. Christensen meint, Gefangene ihres eigenen Erfolgs. Disrupten sie nämlich ihr Geschäftsmodell, bleiben die Gewinne, die im Dreimonatstakt zu erwirtschaften sind, zunächst aus. Wer den Regeln der Börse oder dem Willen der Anteilseigner unterliegt, favorisiert kleine Verbesserungsschritte, ein bisschen Facelifting hier, ein Effizienz-Innovatiönchen dort, aber keinen Wiederaufbau nach disruptiver Zerstörung. Klassische Manager sind keine Rebellen, sondern allenfalls Optimierer. Ideenlosigkeit, Mutlosigkeit und Zögerlichkeit sind die Folge.

Doch es bleibt keine Wahl: Jeder Unternehmer muss sich damit auseinandersetzen, welche Auswirkungen die digitale Transformation auf die eigene Branche und sein Geschäft haben wird. So spielen sich Kaufprozesse im B2B-Bereich heute genauso digital ab wie die Kaufprozesse im privaten Bereich. Ganze Vertriebsmannschaften werden in Kürze verschwinden, weil alles Wissen online verfügbar, bequemer abrufbar und auch transparenter ist. Wer will sich da noch im eigenen Wohnzimmer von einem Hardseller vollquatschen lassen? Reine Preisverkäufer werden sowieso nicht mehr gebraucht. Denn »billig« kann das Internet besser.

»Mit dem Internet der Dinge werden sämtliche Produkte früher oder später digitalisiert. Und in diesem Moment steht nicht mehr das materielle Produkt im Vordergrund, sondern all das, was ich an Dienstleistungen um das Produkt herum anbiete«, erläutert die BWL-Professorin Heike Simmet von der Hochschule Bremerhaven.1 Bislang hätten jene Unternehmen die strategische Macht über ihre Branche, die die besten Infrastrukturen wie etwa Produktionshallen, Logistikketten oder Vertriebsnetze besitzen. Künftig seien jene im Vorteil, die einen kostengünstigen und gleichzeitig flexiblen Zugang zum Kunden haben, ergänzt der Zukunftsforscher Sven Gábor Jánszky.2 Dabei werden »wissende Dritte«, also Kunden, die aus eigener Erfahrung sprechen, sowie Plattformen, auf denen solches Wissen verfügbar ist, eine Hauptrolle spielen.

Was das bedeutet? Während herkömmliche Manager vor allem an den Wettbewerb, ihre Quartalsziele und die Kosten denken, haben die jungen Web-Anbieter längst verstanden, dass sich alles um die Kunden (und ihre Daten) dreht. »Eine Obsession für Kundenbelange« nennen sie das. Gebraucht werden dazu neue Organisationsmodelle und disruptive Serviceprozesse.

Hierbei scheint es allerdings ein kulturelles Problem zu geben. In der Neuen Welt und auch in den Schwellenländern findet man alles Neue hochinteressant, in der Alten Welt hingegen das Altbewährte. Allem Neuen begegnen die Alten mit Skepsis. Vor allem hierzulande, im Jammerland Germany, werden nicht die Chancen, sondern in erster Linie die Risiken gesehen, wenn es um die Anpassung an neue Bedingungen geht. Und nicht das Neue, sondern das Alte wird durch Bürokratie, behäbige Gesetzesvorlagen, eine konservative Rechtsprechung und blühende Abmahnlandschaften geschützt. Wenn sich Archäologen in vielen Hundert Jahren womöglich die Frage stellen, wieso speziell Deutschland wieder zum Entwicklungsland wurde, dann wird wohl genau das die Ursache sein. Überregulierung zerstört nämlich genau die Freiheit, aus der Verantwortungsbereitschaft erwächst. So ist Freiheit – neben Achtsamkeit und Vertrauen – wohl der wichtigste Wert, den die nahende Zukunft benötigt.

Eine kurze Geschichte der Kommunikation

Am Anfang kommunizierte die Natur über Biochemie: Ameisenstraßen, der Bienentanz und das Balzverhalten paarungswilliger Männchen und Weibchen sind beeindruckende Belege dafür. Soziales Grunzen, also die Hms, Ahs und Ohs, die auch heute noch allgegenwärtig sind, hat die frühen Menschen begleitet. Weite Distanzen überwand man in der Savanne durch Rauchzeichen, im Gebirge durch das gejodelte Echo und im Dschungel durch Stelzwurzel-Trommeln. Sprache ist ein Spätentwickler. In ihrer ganzen Pracht existiert sie erst seit etwa 100.000 Jahren. Seitdem haben sich die Menschen am Lagerfeuer Geschichten erzählt. Diese prägten und sicherten die Kultur eines Stammes. Als Bilder in Höhlen, in Grabkammern und an Kirchenwänden wurde solch kulturelles Erbe für die Zukunft bewahrt.

Das waren die Zeiten des Web 0.0, also die Zeit ohne das Web. Und dann kam Tim. Tim Berners-Lee. Er entwickelte um 1990 bei der Europäischen Organisation für Kernforschung, dem CERN, das unter anderem bei Genf einen riesigen Teilchenbeschleuniger betreibt, die Grundlagen für das World Wide Web. Seitdem kann sich jeder Rechner mit jedem anderen Rechner vernetzen. Und die ganze Welt kann quasi in Echtzeit miteinander kommunizieren.

Abb. 2: Wie sich die Kommunikation seit 1980 verändert hat

Web 1.0 – das World Wide Web

Das Web 1.0 gehörte den Unternehmen. Und es lebte ganz in der Tradition klassischer Unternehmenskommunikation: »Ich Anbieter, du kaufen! Ich rede, du hörst gefälligst zu! Ich bestimme, wie’s läuft, und nicht du!« Der Markt wurde mit Werbung geflutet, einer monologischen Form der Kommunikation. Sie war schrill, aufdringlich, einfältig und verlogen. Man wurde zwangsbeschallt, ob man das wollte oder auch nicht. Kaum hatte man seine Adresse an einen Anbieter weitergegeben, erhielt man Mailings von überall her. Presseabteilungen schickten emsig ihre Lobeshymnen in die Welt hinaus, um am Image zu basteln. Und jede Beschwerde war eine unliebsame Störung im festgelegten Betriebsablauf. »Kauft gefälligst, was wir uns für euch ausgedacht haben«, war die narzisstische Anbieterbotschaft, »und dann lasst uns in Ruh!«

»Ich lass mir doch von den Kunden nicht sagen, wie ich meinen Laden zu führen habe«, hatte mir seinerzeit ein Unternehmer gesagt. Da machte ich mir Sorgen um ihn. Und sie waren berechtigt.

Abgehobene Manager hüteten und elitäre Unis mystifizierten ihr Wissen wie einst Hohepriester. Von sogenannten Wirtschaftsweisen kamen der Shareholder-Value und andere vermeintliche »Wunderwerkzeuge« in diese Zeit. Mathematische Modelle ohne jeden gesunden Menschenverstand, Gier ohne Moral und die Wölfe der Wall Street bescherten uns das Desaster der Finanzkrise 2008. Beschäftigte waren nicht Mitarbeiter, sondern Abarbeiter von Vorschriften, Standards und Normen. Ein Vorgesetzter wurde dafür bezahlt, dass seine Leute wie geplant spurten. Wie Patienten auf einer Intensivstation hielt man sie mit Messinstrumenten in Schach – und wie dressierte Affen mit Leckerli in Arbeitslaune. Command & Control nennt sich dieses Prinzip. Es ist der vielleicht größte Hemmschuh auf dem Sprung in die Zukunft. Denn es macht Unternehmen »schwarmdumm«, schreibt der Managementdenker Gunter Dueck in seinem gleichnamigen Buch. »Intelligente Menschen haben in dummen Organisationen keine Chance«, ergänzt der Führungsexperte Reinhard K. Sprenger.

Top-down war aber nicht nur ein internes Ding. Die Einweg-Botschaften wanderten überall hin. »Wenn der Kuchen redet, hat der Krümel Sendepause« war ein geflügeltes Wort. Doch Markenstalking, also Werbung, die uns ungefragt überfällt, die uns auflauert und verfolgt, ist nun definitiv out. Gegen viele Werbeformate sind wir inzwischen immun: Wir schauen nicht mehr hin, wir hören nicht mehr zu. Wir schalten ab oder um. Mangelnde Datensicherheit, Verbraucherbetrug und Unternehmensskandale haben unseren letzten Rest an Vertrauen zerstört. Wir glauben nicht länger der blumigen Prosa in Hochglanzbroschüren, dem Sirenengesang der Verkäufergeschwader oder dem Werbegedudel von Radio Gong. Wir fühlen uns gestört, wir sind angeödet und lassen uns nicht länger täuschen. Druckverkauf und werblicher Dauerregen sind nicht länger erwünscht. Zack! Peng! Aus! Dafür ist uns unsere wertvolle Zeit viel zu schade.

Nichtsdestotrotz meinen Werbeplaner noch immer, sie müssten uns volllabern und zuballern, damit ihre Werbung in möglichst vielen Köpfen landet. So ein Quatsch! Viel hilft nicht immer viel. Schlecht Gemachtes wird durch mehr nicht besser, sondern noch schlechter. Und viel vom Falschen ist bisweilen verheerend. Wenn das die Anbieter doch nur endlich verstehen würden: Laute, dumme, herkömmliche Werbung, wie wir sie derzeit noch überall finden, wird es bald nicht mehr geben – weil keiner sie mehr sehen und hören will. Natürlich werden wir Werbung auch weiterhin lieben, aber nur solche, die uns zeigt, dass sie uns liebt. Kommunikation heißt, Menschen zu betören, und nicht, sie zu stören.

Web 2.0 – das Social Web

Das Web 2.0 postuliert, in Anlehnung an die Versionsnummern von Softwareprodukten, eine neue Generation des Internets. Soziale Netzwerke haben seit dem Jahr 2000 einen breiten Meinungsaustausch der User untereinander sowie einen ungehinderten Informationsfluss ohne das Zutun der Unternehmen ermöglicht. Das Ganze hat Tempo und ist quirlig, komplex, konfus. Aus solchem Chaos wird ständig Neues geboren. Kreativität, Offenheit, Schnelligkeit, Kollaboration und Gleichrangigkeit sind die entscheidenden Parameter. Alles Wissen der Menschheit ist für jeden verfügbar. Nun haben Kunden volle Preistransparenz und Zugang zu allen Informationen über die Angebote am Markt.

Damit hat das Web 2.0 einen umwälzenden Demokratisierungsprozess eingeläutet. Die Macht hat sich von den Unternehmen zu den Kunden verlagert. Bezeichnenderweise wurde der technokratisch anmutende Begriff »Web 2.0« auch recht flott in den Hintergrund gedrängt. Heute sprechen wir vom Social Web. Es hat nicht nur eine neuartige Infrastruktur bereitgestellt, sondern auch einen Wertewandel eingeleitet, der weit in die Wirtschaft hineinreicht. Nicht mehr top-down und inside-out, sondern outside-in und bottom-up heißt von nun an der Kurs. Produkte werden heute mithilfe der Konsumenten entwickelt und Marken mithilfe der Kunden geführt. Diese sind, gemeinsam mit den Mitarbeitern, die neuen Unternehmensberater.

Konnte man früher Rückmeldungen nur mithilfe kostspieliger Marktforschung von ausgewählten Testpersonen ergattern, kann nun die ganze Welt lehrreiches Feedback geben. Doch viele Unternehmen sehen das Social Web nur als weiteren Kommunikationskanal, den sie anstandslos mit Botschaften zumüllen können. Die Chance der Interaktion wird dabei vertan. Denn soziale Netzwerke sind keine Melkmaschinen, sondern kostenlose Pulsmesser, Traumfänger, Reputationsmacher, Verbundenheitskatalysatoren, digitale Interessentenbezauberer und Kundenbegeisterungsoptimierer par excellence. Und sie sind ein Servicetool.

Die Philosophie des Likens und Teilens, die im Social Web gang und gäbe ist, hat nicht nur neue Geschäftsmodelle ermöglicht, sondern auch das Verständnis für die interne kommunikative Zusammenarbeit maßgeblich verändert. Zunehmend wird nun abteilungsübergreifend nach Erfolgsrezepten gesucht. In expandierenden Start-ups kommen die ersten Feelgood-Manager zum Einsatz.

Web 3.0 – das Mobile Web

Im Jahr 2004, als Nokia mit einem Anteil von nahezu 40 Prozent den Mobiltelefon-Weltmarkt beherrschte, unterlief dem damaligen CEO Jorma Ollila ein folgenschwerer Irrtum: »Es gibt keinen Markt für mobiles Internet per Handy«, ließ er während einer Pressekonferenz verlauten. Und als Steve Jobs 2007 sein Absatzziel für das brandneue iPhone verkündete, sagte ein Nokia-Manager siegesgewiss: »Zehn Millionen Handys sind gar nichts, das verkaufen wir in zwei Wochen.« Anfang 2014 wurde der klägliche Rest der Nokia-Mobilfunksparte an Microsoft verkauft und dann eingestampft.

Mit einem ästhetisch schönen Gehäuse, einem Display zum Streicheln, dem mobilen Zugang ins Web und einem damit verbundenen App-Store wurde der Beginn des Web-3.0-Zeitalters eingeläutet. Diese Erfindung, die Märkte und Menschen zu einem Ökosystem vernetzt, kann als ein Bahnbrecher der disruptiven Bewegung gelten.

Bis auf Weiteres wird das Smartphone als Schaltzentrale unseres digitalen Lebens fungieren. Durchschnittlich 214 Mal und insgesamt 90 Minuten lang nehmen wir es derzeit täglich zur Hand. Doch das Rumsuchen und Nichtvergessendürfen kann ganz schön nerven. Und das ständige Aufladenmüssen ist mühsam. In zehn Jahren werden wir es sicher ziemlich albern finden, mit einem Telefon am Ohr durch die Gegend zu laufen. Die Dematerialisierung von Objekten schreitet voran. Zunächst hat das Smartphone dafür gesorgt: Schallplatten, Bücher, Fotos, Tickets, Schlüssel, Geld, Wecker, Notizblock, Visitenkarten, Ausweispapiere und vieles mehr stecken darin. Und so ähnlich wird dieses Device selbst vielleicht schon bald eine andere Form annehmen.

Bis dahin ist das Smartphone die Nabelschnur zwischen online und offline. Unser halbes Leben tragen wir darin herum. Als Türsteher kann es uns selbstständig warnen: vor unlauteren oder überteuerten Angeboten, vor Marktteilnehmern, die wir nicht mögen, vor Lebensmitteln, die wir nicht vertragen, vor Menschenschindern und Umweltzerstörern. In Notsituationen kann es Leben retten. Vor allem aber erleichtert es uns den Alltag – beruflich wie auch privat. Aus den Tiefen des virtuellen Raums holt sich unser mobiler Kamerad digitale Zusatzinformationen in Echtzeit aufs wartende Display. Während man so durch die Gegend streift, empfängt er Informationen über Restaurants, deren Küche man mag, meldet Freunde in der Nähe und erzählt von den Sehenswürdigkeiten ringsum. Wie von Zauberhand verrät unser smarter Begleiter, wo es gerade die Lieblingsmarke zum Sonderpreis oder einen Gutschein zum Herunterladen gibt, um uns von der Straße in ein Geschäft zu locken. Und während unser Blick dort über die Auslagen wandert, checkt unser digitaler Helfer bereits die Reputation des Händlers, die ökologische Haltung der Anbieter und die Preise im Vergleich.

Alles in allem werden mobil verfügbare Informationen aus dem Web immer mehr zur Grundlage von Kauf-, Nutzungs- und Lebensentscheidungen. Aus Anbietersicht lassen sich durch Lokalisierung, Personalisierung und Echtzeit völlig neuartige Vermarktungskonzepte entwickeln. Und damit wird aus der ehemaligen Massenkommunikation nun eine 1:1-Kommunikation (one to one). Es gibt keine lenkbaren Massen mehr, wenn man jederzeit und von überall her die Informationen abrufen kann, die man gerade benötigt. Mit elektronischer Hilfe erhält heute jeder auf Wunsch seine eigene Zeitung, sein eigenes Fernsehprogramm sowie eine individuelle Trefferliste, wenn er Suchmaschinen befragt. Und fortan wird er auch seine ganz persönliche Ansicht erhalten, wenn er auf eine Webseite geht.

Wie weit das heute schon ist, habe ich an meinem letzten Geburtstag erlebt. Auf meinem Rechner war ein Google-Doodle (die Grafik über dem Suchfeld) mit Kerzen und Kuchen zu sehen, und als ich mit dem Mauszeiger darüberfuhr, sagte das Doodle: Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Anne. Auch wenn ich natürlich weiß, dass Algorithmen mit mir reden, weil Google meine Daten abgreift: Es hat mir gefallen.

Web 4.0 – das Internet der Dinge

Schritt für Schritt erobert das Internet alle Orte und Geräte des Alltagslebens. Sensoren, die Maschinen, Produkte und Objekte drahtlos überwachen, kontrollieren und steuern, verbreiten sich nun rasant. Im Web 4.0 wird jeder Gegenstand zu Sender und Empfänger zugleich. Alles ist mit allem vernetzt (everything to everything).

Während das Web 2.0 die Menschen miteinander verband und beim Web 3.0 Mobilität sowie digitalbasierte Kaufprozesse im Vordergrund standen, geht es beim Web 4.0 um die Durchdigitalisierung aller Unternehmensbereiche: Entwicklung, Produktion, Logistik, Arbeitsplätze, Vertriebskonzepte, Kundendienst, Serviceprozesse. Insgesamt können wir von einer durchdigitalisierten Gesellschaft sprechen. Alles wird in Zukunft smart und connected, also intelligent miteinander verbunden.

In einem smarten Restaurant ginge das so: Tisch an Smartphone: »Ich erwarte dich, wie bestellt, um 19 Uhr, alles okay? Du hast dich ja schon auf den Weg gemacht.« Smartphone an Tisch: »Ja, nehme diesmal die Seitenstraße, auf der Hauptstraße ist Stau. Werde mich um zehn Minuten verspäten.« Auto an Ampel: »Schalte bitte für mich auf Grün.« Wenig später Tisch an Smartphone: »Ich sehe, du bist in zwei Minuten hier. Weißbier, wie immer? Ich sag dem Zapfhahn schon mal Bescheid. Du hast übrigens schon 0,2 Promille im Blut. Außerdem empfehle ich einen gemischten Salat. Deine Vitaminwerte sind ziemlich im Keller.« Smartphone an Tisch: »Danke, sehr fürsorglich, wie immer.« Tisch an Auto: »Nimm Parkplatz drei, ist für dich reserviert.« Auto an Tisch: »Perfekt, parke mich rückwärts ein. Ach, und einmal die Akkus aufladen, bitte.« Weißbier-Zapfhahn an Ober Giovanni und Tür: »Ich wär dann so weit.« Hologramm in der Tür: »Wie schön, dass Sie da sind, Frau Schüller, willkommen zurück. Giovanni, ihr Lieblingstisch und ein Weißbier erwarten Sie schon. Genießen Sie den Abend bei uns.« Das werde ich tun, denn dieser unglaublich gut aussehende Giovanni – und kein Serviceroboter – wird mich bedienen. Zudem wird der Koch für mich etwas ganz Besonderes zaubern. Was meine Geschmacksknospen schätzen und gleichzeitig meine Gesundheitswerte wieder nach oben fährt, hat er mit meinem Handy besprochen.

Jede Evolutionsstufe der Webnutzung hat das Konsumentenverhalten stark verändert. Der Treiber des Wandels ist die jeweilige Technologie. Sie ermöglicht neue Formen der Kommunikation. Neben dem Erklimmen immer höherer technischer Level sollten durch die digitale Transformation aber auch immer höhere ethische Level angestrebt werden.

Vertrauen ist der dabei vielleicht wichtigste Wert. Wo die Zeit nicht reicht oder das Wissen fehlt, um eine Sache zu durchleuchten, ist Vertrauen der beste Kitt. Und dort, wo wir von Fremden auf dem globalen Marktplatz Internet kaufen, gibt es nur eine Chance: Vertrauen. Vertrauen ist die Brücke zum Neuland. Und Hoffnung auf ein Happy End. Doch Vertrauen lässt sich nicht herstellen, es stellt sich allenfalls ein. Vertrauenswürdigkeit muss zudem bei jedem Kontakt neu bewiesen werden. Es braucht lange zum Wachsen – und ist in Sekunden zerstört.

Vor allem wer die Daten der Kunden will, dem muss dieser Kunde vertrauen. In Zukunft werden solche Anbieter vorne liegen, die beweisen können, dass sie die persönlichen Daten ihrer Kunden glaubwürdig schützen. Transparenz und Hoheit über die eigenen Daten sind dabei wichtige Punkte. Hierzu sollte man jederzeit und unkompliziert seine Daten einsehen, verändern und löschen können. Eine Forsa-Umfrage im Auftrag von Silverpop hat ergeben: 71 Prozent der Befragten wünschen sich sowohl Kenntnis über als auch Änderungszugriff auf den persönlichen Datensatz. Aber nur zehn Prozent der Unternehmen gewähren dies ihren Kunden.3

Abb. 3: Diverse Facetten in der Kommunikation 1.0 bis 4.0

Plattformkapitalismus versus Industrie 4.0

Die aktuelle Gründergeneration, besonders die im Hotspot Silicon Valley, favorisiert wie elektrisiert den Plattformaufbau. Dies ist der vielleicht größte Unterschied zu den digitalen Transformationsstrategien des mitteleuropäischen Topmanagements. Geprägt durch eine industrielle Vergangenheit, wird hierzulande vor allem mit dem Schlagwort »Industrie 4.0« operiert. Bei Industrie 4.0 geht es in erster Linie um eine Informatisierung und Roboterisierung der Fertigungstechnik. Smarte Maschinen sind das Ergebnis. Industrie 4.0 steht also für den digitalbasierten Wandel in der Produktion.

Plattformen hingegen forcieren den digitalbasierten Wandel von Vertriebsmodellen und Kommunikation. Sie verbinden Konsumenten mit Produzenten. Ihr Wettbewerbsvorteil erschließt sich also nicht aus einem Produkt, das kopiert und billiger angeboten werden kann, sondern aus einem netzwerkbedingten, nicht kopierbaren Ökosystem.

So haben digitale Plattformen völlig neue Geschäftsmodelle entwickelt. Ihre Macht ergibt sich aus den Daten, die sie von der Nachfrageseite besitzen. Google, Facebook, YouTube, Instagram, Pinterest, Twitter und WhatsApp, aber auch Marktplätze wie Amazon und eBay sowie Buchungsportale und App-Stores sind Beispiele dafür. In solchen Ökosystemen profitieren Produzenten, Dienstleister und auch Nischenanbieter von einer Infrastruktur, die sie selbst nicht schaffen müssen, und von Vertriebswegen, die sie im Huckepackverfahren nutzen können. Dadurch entstehen nicht nur neue, vielfältigere Touchpoints, die Interaktionspunkte zwischen Unternehmen und Kunden, sondern auch neue Formen der Kommunikation und der Kundenintegration.

Wie die Plattformwelt funktioniert

Digitale Plattformmärkte funktionieren grundlegend anders als die klassischen Wertschöpfungsketten der industriellen Produktion. Letztere erlauben es den Herstellern, ihre Vertriebswege weitgehend selbst auszusuchen oder eigene Distributionskanäle aufzubauen. »Auf digitalen Plattform-Märkten ist das nicht möglich. Hat sich eine Plattform erst mal etabliert, führt an ihr kein Weg vorbei. Daher bilden sich in aller Regel Oligopole heraus. Dazu trägt vor allem der Netzwerkeffekt bei. Die Gewinne der Platzhirsche sind so gewaltig wie die Machtposition, aus der heraus sie agieren«, schreibt Thomas Ramge im Wirtschaftsmagazin brand eins.4

Warum das so ist? Mit jedem neuen Akteur auf der Plattform – egal, ob Anbieter oder Kunde – steigt der Nutzen für alle Teilnehmer. Das ist das metcalfesche Gesetz. Sobald eine kritische Masse an Usern erreicht ist, wächst der Wert eines Netzwerks demnach nicht mehr linear, sondern exponentiell. Einfacher ausgedrückt: Der Erfolg füttert sich selbst. Oder auch: The winner takes it all. Am Aufstieg von Facebook konnte man gut beobachten, wie schnell ähnliche Netzwerke verdrängt worden sind. Doch genauso schnell wie der Erfolg kann der Totalabsturz kommen. Das wird sogar Facebook passieren, sobald sich ein attraktiveres Netzwerk etabliert. Denn wo alle sind, wollen alle sein. Und wo niemand ist, will niemand sein. Volkswirte bezeichnen das als sich selbst verstärkende Rückkopplung.

Sind Plattformen nun das Maß aller Dinge? Es kommt darauf an, auf welcher Seite man steht. Für den User sind sie ein kostenloser Spielplatz für alle nur denkbaren Aktivitäten – und ein fulminantes Einkaufsparadies obendrein: immer offen, ohne Grenzen und völlig preistransparent. Doch Zugang erhält man nur im Tausch gegen persönliche Daten. Für Anbieter ohne eigene Vertriebskanäle sind Plattformen eine potenzielle Verkaufsmaschine. Am Ende jedoch fällt der wirtschaftliche Hauptgewinn nicht demjenigen zu, der die Leistung erbringt, sondern dem Plattformbetreiber. Denn er bestimmt die Regeln der Zusammenarbeit. Und auch die Margen. Wer dabei sein will, muss das zwangsläufig schlucken.

Kleinere Onlinehändler und Marktplayer ohne Plattformanschluss haben in den Monokulturen der großen Plattformmärkte nur dann gute Chancen, wenn sie attraktive Nischen besetzen. Die Claims, also abgesteckte Gebiete, werden gerade weltweit verteilt. Plattformstrukturen, die Anbieter mit Konsumenten verbinden, machen sich in immer mehr Branchen breit. Produzenten, die nicht zum Spielball der Mega-Plattformbetreiber werden wollen, brauchen ein eigenes plattformähnliches Ökosystem. Oder zumindest brauchen sie Community-Plattformen, auf denen sie sich mit ihren Kunden kommunikativ verbinden können. In Teil 3 komme ich darauf zurück.

So gefährlich ist der Plattformkapitalismus

Vielfalt wäre in Plattformmärkten bitter vonnöten, um der Marktkonzentration entgegenzuwirken. Denn wo Quasimonopole existieren, gibt es so gut wie keine Alternative. Totalüberwachung und totalitäre Tendenzen sind eine mögliche Folgegefahr. Von Plattformkapitalismus spricht Strategieberater Sascha Lobo in einer bissigen Spiegel-Online-Kolumne. Er präzisiert: »Im Ergebnis hat sich eine rücksichtslose Technikkaste gebildet, die vorgibt, die Welt verbessern zu wollen, aber extrem gefährlich ist.«5

Wieso dies? In monopolistischen Strukturen fühlen sich die Manager oft unantastbar. Oder sie erliegen dem Rausch der Macht. Natürlich ist Macht an sich weder gut noch böse. Es kommt vielmehr darauf an, wie man sie nutzt. Es gibt nämlich eine helle und eine dunkle Seite der Macht. Sie macht die Guten besser und die Schlechten schlechter. Der Grat ist schmal und die Verlockungen sind immens. Man verteidigt die eigenen Pfründe – auch über moralische Grenzen hinweg. Denn Macht und Monopole wie auch Geld und Gier verstellen den Blick für die Realität, wie viele traurige Beispiele aus der Wirtschaftswelt zeigen. Männliche Hirne sind übrigens davon besonders betroffen, denn in Wettbewerbs- und Siegsituationen produzieren sie Unmengen von Testosteron. Doch Testosteron macht empathielos, risikoanfällig und dumm. Wenig Empathie und wenig Nachdenken waren früher ja sinnvoll. Denn im Kampf mussten Männer bedingungslos töten können. Doch heute wird ihr Hirnschmalz für was Besseres gebraucht.

Auch das mächtigste Tal der Welt, das Silicon Valley, ist wie die Digitalwirtschaft insgesamt fest in Männerhand. Dort wie überall sind Gründer und Investoren auf der hektischen Jagd nach dem ganz großen Ding. Solches Geschehen ist unweigerlich von Testosteron durchflutet. Doch in den falschen Hirnen ist diese Droge fatal. Wo Wettkampf, Macht und Beutemachen Dauerthemen sind, ist die Gefahr sogar groß, zu einer High-T-Person, also einer mit hohem Testosteronspiegel, zu werden, vielleicht sogar zu einem Subjekt aus der »dunklen Triade«: Psychopathen, Narzissten und Machiavellisten. Die möglichen Folgen: blinde Selbstüberschätzung, übersteigertes Geltungsbedürfnis, Allmachtsfantasien, Skrupellosigkeit, Selbstbedienungsmentalität, der Ritt über zulässige Grenzen.

Wie schnell sich, wenn Macht ins Spiel kommt, die Dinge verändern, wurde in einem Experiment offengelegt, das als Kekstest in die Literatur eingegangen ist. Die Sozialpsychologin Deborah Gruenfeld von der Stanford University ließ Studenten in Dreiergruppen über umstrittene Themen diskutieren. Per Los wurde jeweils einer der drei dazu bestimmt, die Meinung der beiden anderen zu bewerten. Er hatte also ein kleines Stückchen Macht bekommen. Als wenig später eine Schüssel mit Keksen gebracht wurde, griffen die »ermächtigten« Studenten als Erste zu, kauten mit offenem Mund und fanden nichts dabei, den Tisch vollzukrümeln. Ohne sich dessen bewusst zu sein, bekundeten sie so ihren Machtvorsprung.

Die Digitalisierung wird alles verändern

Kein Zweifel: Die Digitalisierung verändert den Globus, die Gesellschaft, unser Leben, unsere Arbeit und auch die Art, wie wir miteinander kommunizieren. Unumkehrbar. Für alle. Und für immer. Doch ist das nun gut oder schlecht? Empörungswillige Kulturpessimisten führen uns bei jedem Fortschritt die vermeintlich schlimmen Folgen für die Menschheit vor Augen. So haben zu der Zeit, als Prometheus – gegen den Willen der Götter – den Menschen das Feuer brachte, sicher Scharen von Schwarzsehern vor den Gefahren gewarnt. Mit Feuer lassen sich ja in der Tat mächtige Kräfte entfachen, doch wir haben uns vor allem die Vorteile zunutze gemacht.

Seitdem wurde vieles als Teufelswerk deklariert. Bibliotheken wurden vernichtet und Genies auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Als die Eisenbahn erfunden wurde, sagte das Bayerische Obermedizinalkollegium in einem Gutachten voraus, die schnelle Bewegung würde »bei den Reisenden unfehlbar eine Gehirnkrankheit, eine besondere Art des delirium furiosum, erzeugen«. Es gab auch eine Elterngeneration, die glaubte, an den rotierenden Hüften von Elvis ginge die Jugend moralisch zugrunde. Ein paar Jahre später meinte sie, der Haarschnitt der Pilzköpfe aus Liverpool stelle eine existenzielle Bedrohung für ihren vielversprechenden Nachwuchs dar.

Schon immer wurde jeder zwangsläufig mit Fortschritt verbundene Wertewandel auch als Werteverfall deklariert. So haben Digitalphobiker nicht nur die digitale Demenz erfunden, sie sagen ganz hollywoodtesk sogar das Ende der Menschheit durch Maschinen voraus. Dabei macht sich unser Denkapparat gerade fit für die Zukunft, denn für sie werden neue Fähigkeiten dringend gebraucht. So sind Programmierkenntnisse hilfreich, um sich in den Weiten von Bits und Bytes intuitiv zu bewegen.

»Eine Karriere ohne Grundverständnis von C++ wird es 2030 ebenso wenig geben wie heute eine Karriere ohne Englisch«, schreibt der Journalist Christoph Keese in seinem Buch Silicon Valley. Schöngeistige Worte und lange Gedichte sind wirklich was Feines, doch in der digitalen Welt ist vor allem Schnelligkeit wichtig. Kürzelcodes wie tl;dr (too long, didn’t read), Emoticons (☺☹☻) und Emojis sind geradezu symptomatisch dafür. So ist das nun mal: Mit dem Leben der Menschen verändern sich auch deren Sprache und Schrift. Oder können Sie etwa noch Sütterlin? Diese Normschrift wurde 1915 eingeführt und schon 1941 wieder verboten.

Gerade wenn es um Wissen geht, braucht man heutzutage nicht mehr alles im Kopf zu haben. Vielmehr muss man gut darin sein, es ruckzuck zu finden. Wenn ich mit meinen drei Neffen rede, sie sind zwischen Mitte und Ende 20, geht bei jeder Frage deren Hand schon reflexhaft zum Handy. Da, wo alle erdenklichen Informationen in Bruchteilen von Sekunden verfügbar sind, können Nervenbahnen fürs Auswendiglernen getrost zurückgebaut werden. Kann das mal bitte jemand den Schulbehörden vermitteln!

»Use it or loose it«, so heißt das Optimierungsprinzip des Gehirns. Jeder kennt den Zusammenhang zwischen zunehmendem Navi-Gebrauch und nachlassendem Orientierungssinn. Werden neuronale Trampelpfade nicht mehr benötigt, wird zügig entrümpelt. Als die Menschen sesshaft wurden, war es genauso. Die Fähigkeit, im finsteren Wald zu überleben und auf unstetes Jagdglück zu hoffen, verkümmerte kläglich. Sicher haben damals Berufspessimisten vor dem kollektiven Verhungern gewarnt, aber überlebt haben wir trotzdem. Durch Sesshaftigkeit wurde Zivilisation überhaupt erst ermöglicht. »Die Steinzeit ist nicht zu Ende gegangen, weil den Menschen die Steine ausgingen«, erläutern die Archäologen, »sondern weil sie sich neuen Technologien zuwandten.«

Wird das Gute oder das Böse gewinnen?

Eine wichtige Frage ist sicher auch die: Macht das, was vor uns liegt, die Schöpfung nun besser oder schlechter? Technologie an sich ist, so wie Macht, weder gut noch schlecht. Entscheidend ist vielmehr, wer sie in die Finger bekommt und was er/ sie daraus dann macht. Schon längst gibt es ein »Darkweb«, wo das Böse sein Unwesen treibt. Doch da, wo sich der Rest der Welt tummelt, hat das Positive die Nase weit vorn. Eine Untersuchung von Disqus, einer der meistgenutzten Kommentarplattformen im Web, hat ergeben, das nur etwa zehn Prozent der dort gemachten Äußerungen negativ sind. Warum das so ist? »In Netzwerken ist es intelligent, nett zu sein«, meint der Medienphilosoph Norbert Bolz. Denn sie verstärken, was in sie eingespeist wird. Und sie intensivieren die Persönlichkeit von Mensch und Unternehmen.

Jeder Marktplatz, egal, ob online oder real, bedeutet Öffentlichkeit. Und Gemeinschaft erzeugt sozialen Druck. Dies wiederum zwingt zu fairem Verhalten. Nicht mal hinter verschlossenen Türen kann man heute noch die Sau rauslassen. Denn verschlossene Türen gibt es in einer Netzwerkgesellschaft nicht mehr. Und »Leichen« von früher, die man nicht wegbekommt, verbuddelt man am besten ganz tief. Denn irgendjemand schaut immer durchs Schlüsselloch. Und erzählt der ganzen Welt, was er dort sieht. Reputationsinformationen sind deshalb die Währung im Web. Mit denen, die schlechte Bewertungen haben, will keiner gute Geschäfte machen. So wird am Ende auch das Böse eingedämmt. »Das größte Geschäftsmodell der Zukunft ist die Rettung der Welt«, zitiert Trendforscher Sven Gábor Jánszky einen seiner Kongressteilnehmer.6 So werden auf Dauer wohl die Beschützer und nicht die Zerstörer gewinnen.

Wenn besser auch friedvoller heißt, darf man insgesamt optimistisch sein. Zwar lebt jede Gruppe ein »Wir hier gegen die da«-Prinzip. Der Feind hockte schon immer jenseits des Zauns, der Mauern, des Flusses, der Ländergrenzen, eben im »Aus«-Land. Durch das Web jedoch rücken die Menschen zusammen. Ein »One world«-Feeling liegt in der Luft. Das Wort »social« drückt dies wohl am treffendsten aus. Es symbolisiert Solidarität, Gemeinschaft und Rechtschaffenheit – über alle geografischen und kulturellen Grenzen hinweg. Durch Verbindungen lassen sich Feindschaften verhindern und über Ähnlichkeiten Gegensätze entschärfen. Wer die gleichen Klamotten trägt, die gleichen Marken liebt, die gleichen Computerspiele spielt und die gleiche Sprache, nämlich die Websprache Englisch, spricht, der ist für uns kein »Wildfremder« mehr. Nur Kluften schaffen Konflikte. Kommunikation, Partizipation und Gleichrangigkeit haben schon immer für sozialen Frieden gesorgt.

Allenfalls müssten die Männer noch ein wenig weicher und die Frauen stärker werden. Die Natur ist übrigens schon längst dabei, das zu regeln. Eine Studie der Universität Aberdeen mit 5000 Frauen brachte zutage: Je höher der WHO-Gesundheitsindex einer Nation, desto niedriger ist die Präferenz für maskuline Männer.7 Kantige, strenge Gesichtszüge stehen unter anderem für Schutzfunktionen und Aggressionspotenzial. Eine Frau, die sich selbst versorgen kann, braucht so etwas nicht. Bei ihr stehen vielmehr Verlässlichkeit, Vertrauen und Kooperationsbereitschaft im Fokus. Weichere Gesichtszüge sind der Code für solche Eigenschaften. Während also dort, wo Frauen keinerlei Rechte haben, pathologische Angriffslust grausam zerstört, können Männer in einem zivilisierten Umfeld ihr reichlich vorhandenes Genialitätspotenzial zum Nutzen aller erschließen. Klar, schwarze Schafe gibt es zuhauf. Doch die Mehrheit der jungen Internetgründer hat auf ihrer Jagd nach dem »Einhorn« durchaus das Ziel, mit ihrem Wirken nicht nur Geld und Geltung zu erlangen, sondern auch Sinn zu stiften. Das Einhorn gilt ja als das edelste aller Fabeltiere und ist ein Symbol für das Gute. In der digitalen Wirtschaft bezeichnet man damit ein Start-up mit einem Wert von mindestens einer Milliarde US-Dollar. Etwa 140 solcher Firmen gibt es dieser Tage bereits.

Wie Menschen mit Computern verschmelzen

»Der Mensch ist ein Prothesengott«, schrieb Sigmund Freud im Jahr 1930. Hörgeräte, Herzschrittmacher, Hirnimplantate sind längst ganz normal. Im Ohr implantierte Kopfhörer sowie Smartphone-Apps, die uns vor Schlafstörungen, Diabetes, Asthma und Parkinson warnen, alles schon da. Und bald werden wir Kleidung tragen, die mit dem Internet verbunden ist. Biometric Smartwear wird via eingewebter Sensoren unsere Atmung, den Kalorienverbrauch und unseren Herzschlag messen. Oder man spuckt in einen Handyaufsatz und schickt das Ergebnis der Analyse an seinen (virtuellen) Arzt. So wird die Gesundheitsvorsorge zu einer Medizin der miteinander kommunizierenden Computer. Und in absehbarer Zeit werden Nanobots durch unseren Körper fahren, um zu reparieren, was nötig ist.

Auch echte Cyborgs, also Mensch-Maschine-Wesen, können wir bereits treffen. Zum Beispiel Neil Harbisson. Der 1982 geborene Künstler wurde 2004 in England als erster behördlich registrierter Cyborg anerkannt. Von Geburt an konnte er nur schwarz-weiß-graue Farbtöne sehen. Nun trägt er einen fest ins Gehirn implantierten Eyeborg vor seiner Stirn, der ihn Farben hören lässt. Ja, hören. Und dies ist nur ein interessantes Beispiel von vielen.

Menschen und humanoide Roboter bewegen sich in großen Schritten aufeinander zu. Und der Wille, sich zu transformieren, ist unübersehbar. Tattoos, die den Körper komplett überziehen und ihm damit ein neues Aussehen verleihen, sind ein erster auffälliger Schritt. Invasive Eingriffe zur Selbstoptimierung sind längst ganz normal – nicht nur bei denen, die ästhetisch unterversorgt sind. Immer mehr Freaks laufen mit Computerchips herum, die sie sich unter die Haut implantieren lassen. Solche Chips werden womöglich unseren Denkapparat eines Tages direkt mit dem Internet verbinden. Wissenschaftler erforschen bereits, wie sich ein Back-up des menschlichen Gehirns in der Cloud abspeichern lässt. Bis zur physischen Verschmelzung mit Computern ist es dann nicht mehr weit. Es scheint auch nicht ausgeschlossen, »dass wir irgendwann in Zukunft Informationen im Gehirn anderer Menschen googeln können«, schreibt Miriam Meckel, Chefredakteurin der Wirtschaftswoche, in einem Essay.8

Ihnen kommt die Büchse der Pandora in den Sinn? Die Büchse ist längst offen – und lässt sich nicht mehr schließen. Egal, ob wir ethische Bedenken oder ein philosophisches Problem mit dieser Entwicklung haben oder manches einfach nur gruselig finden: Die Zukunft wird kommen. Genügend Menschen werden es kaum abwarten können, jeden technologischen Fortschritt auszuprobieren. Aus den positiven Erfahrungen solcher Early Adopter erwachsen dann neue Anforderungen an alle Player im Markt. So wird das Neue zu einem unverzichtbaren Teil unseres Lebens. Was menschenmöglich ist, erweitern wir, seitdem es uns Menschen gibt. Selbstverbesserung heißt der Nutzen.