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Ein Roman aus dem Berlin des 19. Jahrhunderts. Alice Berends Lieblingsmotive stammten aus dem Berliner Bürgertum. Die Schriftstellerin verstarb 1938 in Florenz.
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Seitenzahl: 149
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Das verbrannte Bett
Alice Berend
Inhalt:
Alice Berend – Biografie und Bibliografie
Das verbrannte Bett
Das verbrannte Bett, Alice Berend
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849604820
www.jazzybee-verlag.de
Deutsche Schriftstellerin, geboren am 30. Juni 1875 in Berlin, verstorben am 2. April 1938 in Florenz. Alice Berend war die Tochter eines Fabrikanten und einer Bankierstochter, ihre Schwester war die Malerin Charlotte Berend-Corinth. Sie besuchte das Gymnasium und schrieb dann ab 1898 Beiträge für verschiedene Zeitungen. Im Jahre 1904 heiratete sie in London John Jönsson, einen einigermaßen erfolglosen schwedischen Schriftsteller. Beide wohnten zunächst in Berlin-Tiergarten, in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg in Florenz und danach in Berlin-Zehlendorf, München und Oberstdorf; zwischen 1921 und 1924 hatte sie ihren Wohnsitz in Konstanz. Sie ließ sich schließlich von Jönsson scheiden und heiratete 1926 den Maler Hans Breinlinger. Berend schrieb seit etwa 1910 eine Reihe von humoristisch bis realistischen Romanen, die häufig im Berliner Bürgertum angesiedelt waren sowie Kinderbücher. Ihre Personenbeschreibungen brachten ihr den Ruf einer „kleinen Fontane“ ein. Ihr erfolgreichstes Werk war "Die Bräutigame der Babette Bomberling" (1915), bekannt sind auch „Die Reise des Herrn Sebastian Wenzel“ (1912), „Frau Hempels Tochter“ (1913) und „Spreemann & Co.“ (1916). Ihre Romane erschienen meist im Fischer-Verlag. 1933 wurden ihre Werke von den Nationalsozialisten auf die „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ gesetzt, ihre letzten beiden Werke konnten nur noch im Ausland erscheinen. Um selbst weiter im Nazi-Deutschland als Künstler tätig zu sein, sagte sich ihr zweiter Mann von ihr los und bekam ihr Vermögen zugeschlagen. Alice Berend war "Taufschein-Jüdin", auch wenn ihr diese Religion wahrscheinlich nie etwas bedeutet hat – beide Ehemänner waren Christen, sie ließ ihre Kinder christlich taufen und trat selbst zwei Jahre vor ihrem Tod zum Christentum über. Im November 1935 emigrierte sie schließlich nach Italien, wo sie drei Jahre später nach langer Krankheit verarmt und vergessen starb – bei ihrer Beerdigung war nur der Pfarrer und die Tochter aus erster Ehe zugegen. An ihrem letzten Werk hat sie bis zum Tode gearbeitet; ursprünglich von der Autorin vorgesehener Titel war: Naturgeschichte des Spießbürgers. Es wurde erstmalig 1962 veröffentlicht. Wahrscheinlich ist es dem Arbeitsverbot durch die Nazis in Verbindung mit ihrem frühen Tod geschuldet, dass Alice Berend nach dem Zweiten Weltkrieg selbst Literaturwissenschaftlern kaum noch ein Begriff war und ist. Nur drei ihrer Werke wurden wieder verlegt, alle anderen sind nur noch antiquarisch erhältlich. In Berlin-Moabit erinnert seit 1999 eine Straße an sie.
Wichtige Werke:
Die Reise des Herrn Sebastian Wenzel (1912)Frau Hempels Tochter (1913)Die Bräutigame der Babette Bomberling (1915)Spreemann & Co. (1916)Die zu Kittelsrode (1917)Matthias Senfs Verlöbnis (1918)Der Glückspilz (1919)Einfache Herzen (1919)Jungfer Binchen und die Junggesellen (1920)Muhme Rehlen (1921)Bruders Bekenntnis (1922)Dore Brandt (1909 und 1922)Der Floh und der Geiger (1923)Betrachtungen eines Spießbürgers (1924)Kleine Umwege (1924)Der Schlangenmensch (1925)Die Geschichte der Arche Noah (1925)Das verbrannte Bett (1926)Fräulein Betty, die Witwe (1926)Die goldene Traube (1927)Der Herr Direktor (1928)Die kleine Perle (1929)Herr Fünf (1930)Das Gastspiel (1931)Der Text ist unter der Lizenz „Creative Commons Attribution/Share Alike“ verfügbar; zusätzliche Bedingungen können anwendbar sein. Im Gesamten ist dieser Text zu finden unter http://de.wikipedia.org/wiki/Alice_Berend.
Josef Blümel, der Herr Kanzleioffizial, wäre Wiener gewesen, gleichviel ob er in Paris, London oder Berlin auf die Welt gekommen, ob er auf Haiti, Sumatra hätte leben müssen, auf dem Mars oder auf dem Grund des Meeres.
Eilige Schritte waren Herrn Blümel verabscheuungswert. Schnell sprechen hätte er gar nicht fertiggebracht. Verdrießlichkeiten galten als persönliche Beleidigung. Das Kaffeehaus brauchte er, wie der Donaukarpfen die Donau.
Ebensowenig hätte der Herr Kanzleioffizial Musik entbehren können, wenn sich nach Schluß der Bureaustunden graues Unbehagen heranzuschleichen sucht, selbst an achtbare Beamte, alleinstehend und zu keinerlei Verschwendung geneigt. Kein Tingeltangelgeklapper, sondern die heiteren, heimatlichen Erzeugnisse eigener Landsleute, wie Mozart, Schubert, Strauß. Man war vertraut mit ihnen in allen Eigenarten, genau so wie mit Trambahngeklingel, Autogeschrei, Hustengepolter, Weibergeschwätz. Nur daß sie einem erheblich angenehmer waren.
Trotzdem war der Herr Kanzleioffizial aufregenden Neuigkeiten, Absonderlichkeiten und überhaupt jeder Art merkwürdiger Zwischenfälle des Lebens durchaus nicht abgeneigt. Er brachte ihnen Interesse entgegen, beinahe Gefallen.
Nur mußten sie anderen geschehen sein.
Gesprächsweise jedoch, auch durch Druckerschwärze in Buch oder Zeitung vermittelt, war er zu jedem Miterleben bereit.
In diesem Punkt war er geradezu selbstlos zu nennen. Sogar seine Sparsamkeit endete hier.
So aufregend es ihm selbst war, auch nur einen Vorortzug zu besteigen, so wenig kam es ihm auf die Größe und Menge der Gefahren an, die sich in jenen Berichten der Aufregung und des Entsetzens anderer steigern und anhäufen mochte. Es war fast bewundernswert, was der Herr Kanzleioffizial in dieser Hinsicht an Grauenhaftem, Schauerlichem, Entsetzensvollem standhaft aushalten konnte.
Auch in anderer Hinsicht hatte es Herr Josef Blümel zu einer Art kleiner Meisterschaft gebracht. Das war die Gabe, sich kostenlose Genüsse zu verschaffen.
Einfacher und damit zutreffender gesagt: sich Genüsse zu verschaffen. Denn unter Genuß konnte der Herr Kanzleioffizial nur etwas Kostenloses verstehen.
So war es ihm eines pfingstlichen Sommersonntags wieder einmal gelungen, den besten Platz zu erobern, im fröhlichsten Gartenlokal, am Rand der Donau.
Unter Lindengezweig, noch dazu blühendem, schattig und sonnig zugleich, so dicht am Saum des rauschenden Stromes, daß man die blaue, bootbuntbebürdete Donau sowohl sah wie hörte.
Hier genoß der Herr Kanzleioffizial vorzüglichen Kaffee, in den kurzen hörbaren Schlucken des Genießers, gleichzeitig aus einem Buch der Leihbibliothek abenteuerliche Dinge des Tibetgebietes in sich aufnehmend.
Es war keine Kleinigkeit, sich in diesen windigen Tibetländern zu tummeln. Der Herr Kanzleioffizial war nun schon zehn Seiten lang unterwegs. Er mußte miterleben, daß ein Lama, umhüllt von Geheimnissen, einen seiner Schüler von sechzig Krankheiten heilte.
Die Möglichkeit einer Erkrankung lauert auch über dem Anspruchslosesten beständig. Herr Josef Blümel bemühte sich darum nachzurechnen, um welche Krankheiten es sich hier gehandelt haben mochte. Trotz sorgfältigster Grübelei gelang es ihm nicht, mehr als achtundfünfzig menschliche Leiden zusammenzubringen.
Als er, unzufrieden mit sich selbst, aus dieser Versunkenheit auftauchte, mußte er bemerken, daß er nicht mehr allein am Tisch saß.
Eine blonde Dame befand sich ihm gegenüber. Feste weiße Frauenhände brockten knusprige Kipfel in nußbraunen Kaffee. Wie wenn niemand sonst auf der Welt wäre. Wie wenn es weit und breit keinen gäbe, der sie dabei hätte beobachten können. Beispielsweise hätte sagen können, daß man jemanden, der so blond, hoch, straff und sicher in der Welt säße, unbedingt für eine Preußin gehalten hätte, würde man nicht feststellen, daß hier ein Kipfel auf echt Wiener Art gehandhabt würde.
Herr Blümel wendete sich wieder dem Tibetgebiet zu.
Er wünschte endlich zu erfahren, auf welche Weise diese unheimlichen Priester ihre übernatürlichen Kräfte zu erringen wußten.
Junge Damen hielt Herr Blümel nicht für Wertobjekte, im eigentlichen Sinn. Er gab zu, denn er hielt auf Gerechtigkeit, daß ganz vereinzelte Exemplare in dieser Hinsicht irrezuführen vermochten, äußerlich.
Jedoch es mußte Männer geben, die sich nicht täuschen ließen; die sich klar blieben, warum ihnen Verstand verliehen. Zu diesen rechnete sich Josef Blümel.
Nicht ganz aus eigenem Verdienst. Die Liebesheirat, der er sein Dasein zu verdanken hatte, wandelte sich zur furchtbaren Zwickmühle, die zwei Leben langsam zermahlt hatte.
Verzeihlich also, daß sich Josef Blümel ängstlich hütete, keiner Frau zu begegnen, die ihm hätte gefallen können. Daß er ängstlich darauf bedacht war, jedem Wink zu häuslichem Glück zu entgehen.
Obwohl er sich immer mehr allein fand. Nun, Anfang der Vierzig, hatte er längst alle Jugendbekannte durch die Ehe verloren. Alle diese Bedauernswerten hatten sich eines Tages eingebildet, die Frau gefunden zu haben, auf die sie zeitlebens gewartet hatten.
Herr Blümel bedauerte sie. Ohne sich loben zu wollen, konnte er sagen, daß er nie einen Freund beneidet hatte.
Von solch gefestigtem Standpunkt aus durfte sich Herr Josef Blümel ruhig eine Lesepause gestatten, um sein Gegenüber ein wenig zu mustern.
Er durfte zugeben, daß die neue Damenmode, die Hals und Arme auch nicht mit dem winzigsten Stofffetzchen zu verdecken suchte, als praktisch anzusprechen war, bei seiner Tischgenossin. Mit nichts war hier viel erreicht. Linien der Jugend und Anmut kamen ungeschmälert zu ihrem Recht.
Auch schien es Herrn Blümel, wie wenn blond die richtige Sommerfarbe wäre.
Vermutlich waren es diese Feststellungen gewesen, die den Herrn Kanzleioffizial bewogen hatten, dem blonden Fräulein mitzuteilen, daß es schönes Wetter wäre und er selbst der Herr Kanzleioffizial Josef Blümel sei.
Die Fremde antwortete freundlich, daß sie erstes schon heute früh bemerkt hätte.
Als Gegengabe der zweiten Mitteilung verriet sie ohne Zimperlichkeit den eigenen Namen.
Sie hieß Konstanze Krause, wohnhaft und gebürtig im preußischen Berlin.
Darauf sprach sie nichts weiter.
Dies beirrte Herrn Blümel. Bei seiner Abwägung weiblicher Eigenschaften kamen auf ein Gramm Schweigenkönnen zwei Kilo Schwatzlust.
Diese Berechnung versagte hier.
Genau wie die Art mit Kaffee und Kipfel umzugehen irreführend gewesen.
Irgendwie jedoch war man schließlich in ein Gespräch gekommen. Möglich sogar, daß Herr Blümel Ursache dazu gegeben. In Rückerinnerung schien es ihm, als habe er die junge Berlinerin auf die vielen bunten Wasserfahrzeuge aufmerksam gemacht, die über die Donau schnellten; wahrscheinlich nur aus wienerischer Heimatliebe.
Jedenfalls wußte er bald, daß er eine ganz moderne junge Dame vor sich hatte. Konstanze Krause besaß seit drei Jahren ein Handschuhgeschäft im Westen von Berlin. In einer Seitenbiegung der berühmten Tauentzienstraße, wo Luxus und Leichtsinn Tag und Nacht einander spazieren führten.
Obwohl Konstanze Krause nicht nur aus guter Familie stammte, sondern aus bester, hatte sie diesen Mut zur Selbständigkeit gewahrt.
Das hatte der Herr Kanzleioffizial übrigens beinah alles selbst mit Sicherheit festgestellt, bevor es ihm mitgeteilt worden.
In der Theorie zollte Herr Josef Blümel Hochachtung solcher selbständigen Weiblichkeit. Sie lauerte nicht bedrohlich auf die Ehe. Sie konnte ihr Geschick an sich herankommen lassen, wie ein Mann.
In der Praxis jedoch waren diese Damen nicht weniger unangenehm als jene Lauernden. Ihre abwägenden, kühlen, ruhigen Blicke brachten Schulprüfungen in beunruhigende Erinnerung. Sie waren imstande, schülerhafte Unsicherheit hervorzurufen.
Im allgemeinen genommen.
Nicht bei Josef Blümel, der gegen jede Wirkung weiblicher Art gewappnet war.
Darum hielt er es für nebensächlich und gleichgültig, daß er bei der Verabschiedung dem Fräulein unbeabsichtigt mitgeteilt hatte, daß er täglich spazierengehe, mittags zwischen elf und zwölf Uhr, die Kärntner Straße entlang, auf der Schattenseite ...
Der Herr Kanzleioffizial schlief nicht gut in der folgenden Sommernacht. Wahrscheinlich weil sie zu lau war.
Die Träume fielen auf ihn nieder wie gewichtige Eisentüren.
Obwohl Herr Blümel, wie an jedem Abend, seine gymnastischen Entspannungsübungen gewissenhaft ausgeführt hatte. Auch nur mit einer leichten Decke hygienisch bedeckt war. Die Fenster waren selbstverständlich weit geöffnet.
Hatte er sich aus den schweren Träumen ins Wachsein gerettet, quälte ihn die Primzahl elf auf folternde Art. Er wünschte sie mit Gewalt aufzuteilen, begnügte sich endlich damit, sie zu addieren, zu subtrahieren, zu multiplizieren. Sie sauste in seinem Kopfe umher, wie wenn sich eine Mücke in seinen festverschlossenen Schädel Eingang zu verschaffen gewußt.
Der Grund zu dieser Qual blieb Herrn Josef Blümel unerklärlich.
Erst als es hell wurde, klärte sich auch in dem Herrn Kanzleioffizial das Bewußtsein.
Er sagte sich, daß diese ganze nächtliche Verdrießlichkeit nur zurückzuführen sein könne auf seine törichte Mitteilsamkeit gegenüber jener fremden jungen Dame.
Nicht nur, daß diese Schwatzhaftigkeit einer Verabredung glich, sie war obendrein eine Lüge, zumindest eine Voreiligkeit.
Herr Josef Blümel spazierte nie um elf Uhr durch die Kärntner Straße, weder auf der schattigen Seite, noch auf der sonnigen. Aus dem einfachen Grund, weil seine Bürozeit bis zwölf Uhr dauerte.
Der Herr Kanzleioffizial hielt es für notwendig, dafür zu sorgen, daß er sich nicht selbst Lügen gestraft hatte. Wozu selbst vor Gericht niemand gezwungen werden kann.
In dieser schwülen Urlaubszeit der Vorgesetzten würde es wahrscheinlich von niemandem bemerkt werden, wenn Herr Josef Blümel seinen Bürokittel etwas früher an den Nagel hängen würde. Etwa fünf Minuten vor elf Uhr.
Diese Vermutung war kein Irrtum gewesen. Schon am Nachmittag wußte dies Herr Josef Blümel.
Er hatte sich wirklich nicht Lügen strafen lassen um einer Frau willen. Er hatte seinen Bürokittel fünf Minuten vor elf an den Nagel gehängt. Es hatte niemand bemerkt. Der Herr Kanzleioffizial war die Kärntner Straße entlang gegangen, auf der Schattenseite.
Nicht nur einmal. Was Josef Blümel unternahm, führte er gründlich aus. Er war viele dutzendmal die belebte Straße entlang spaziert. Bekannten war er nicht begegnet. Auch nicht der flüchtigsten Bekanntschaft.
Am nächsten Tag fühlte sich Herr Blümel verpflichtet, seine Vermutung noch einmal auf die Probe zu stellen. Wieder wurde sein frühes Fortgehen von niemand beachtet.
Je pflichttreuer man ist, um so rascher siegt Gewohnheit. Am dritten Tag schon glaubte Herr Blümel diesen kleinen Extraweg nicht mehr entbehren zu können und deutlich zu bemerken, daß schon sein Bürokittel unruhig wurde nach dem Nagel an der Wand.
Der Herr Kanzleioffizial kam zu der Auffassung, diese selbstverordnete Ferienstunde als eine Art Badereise hinzunehmen. Eine Sommerfrische billig und bekömmlich. Wahrscheinlich hatte hier der Selbsterhaltungstrieb sein Recht verlangt.
Nach einer Woche jedoch gab es eines Tages keine Schattenseite mehr auf der Kärntner Straße. Es regnete.
Nach reiflicher Überlegung kam Herr Blümel zu dem Ergebnis, daß dieses Naturereignis nur so aufgefaßt werden könne, als daß der Straße zwei Schattenseiten zugeschrieben werden müßten.
Herr Blümel ging also die Straße abwechselnd links und rechts hinunter, wieder hinauf und hin und her.
Niemand begegnete ihm, mit dem ein Gruß auszutauschen gewesen wäre.
Regenwetter wirkt niederschlagend aufs Gemüt. Herr Blümel wenigstens erklärte es sich damit, daß er sich heute über mancherlei ärgerte. Es hatte wirklich den Anschein, wie wenn nur die Dummen Glück hätten. Überall sah er junge Gecken Grüße und Scherze tauschen, Handküsse geben.
Dabei glaubte Herr Blümel nicht einmal an das Sprichwort. Es konnte unmöglich soviel Glück im Weltall aufzutreiben sein, wie nötig gewesen wäre, um alle Dummheit zu belohnen.
Gerad im Augenblick dieser Feststellung, streng und präzis, streckte ihm das blonde Fräulein Konstanze die Hand zur Begrüßung entgegen.
Herr Josef Blümel machte viele Worte, um zu beweisen, daß hier Zufall wunderliches Spiel getrieben.
Die Berlinerin nahm diesen Augenblick natürlicher auf.
Sie bekannte, darin einen Beweis dafür zu sehen, daß sich Ausdauer belohne. Sie habe den Herrn von der blauen Donau jeden Mittag zu treffen versucht. Sie hätte angenommen, daß eine Persönlichkeit wie der Herr Kanzleioffizial, ernsthaft, verläßlich auf den ersten Blick, nicht ohne Ursache mitteilte, daß er täglich diese Straße durchwandre, auf der Sonnenseite.
Josef Blümel lächelte. Seinetwegen hatte sich das schöne Mädchen, groß, blond, selbständig, der heißen Sonnenglut ausgesetzt.
Gleichzeitig stieg Verdruß in ihm auf. Diese Mädchen! Selbst die selbständigsten waren imstande, Sonne und Schatten zu verwechseln. Nicht die wichtigsten Bemerkungen konnten sie im Kopf behalten.
*
Herr Blümel vermochte nicht zu verhindern, daß sich Strenge in seine Stimme mischte, als er bemerkte, daß er von der Schattenseite gesprochen hätte. In praller Sonne zu gehen, hielt er für ungesund, sowohl für die Haut, als für das Hirn.
Konstanze meinte, das könne doch nicht Herrn Blümels Ernst sein? Der lieben Sonne aus dem Weg gehen zu wollen? Es gäbe doch nur eine Sonne, aber so viele Wolken.
Solche Sprüche, die Poesie und praktische Lebensführung in Gegensatz brachten, liebte Herr Blümel nicht.
Er antwortete, daß scharfes Sonnenlicht Kleider und Anzüge verbleichen lasse und somit entwerte.
Indessen schritt man nebeneinander dem Stefansdom zu. Nicht zu schnell und nicht zu langsam. Wie man nur spazierengehen kann in einer Großstadt, deren Verkehrspuls ein Promenadenring ist.
Herr Blümel stellte fest, daß das blonde Fräulein diesen Wiener Schritt vortrefflich einzuhalten verstand, gemächlich und doch nicht langweilig. Geübter Walzertakt hätte man ihn nennen können.
Konstanze prüfte ebenfalls. Sie dachte: Langweilig aber praktisch. Der geborene Ehemann. Daher seine Feigheit vor der Ehe. Armer Kerl.
Ganz von ungefähr kam ihr in den Sinn, welches Kopfzerbrechen ihr die Buchführung bereitete. Solcher Kanzleioffizial würde sich solchen Geschäftsbüchern sicherlich mit Vergnügen widmen, in Feierstunden.
Auch in Wien würde sich ein Handschuhladen führen lassen.
Zufällig hatte Konstanze solchem Luftschloß schon in die Fenster geguckt.
Es gab am "Graben" ein Fräulein Steffi Pichler, die mit Freuden bereit gewesen wäre, ihr flottes Handschuhgeschäft einzutauschen gegen ein ähnliches in der Reichshauptstadt.
Sie stellte sich Berlin als Paradies der Lebenslust vor. Großstadt, wie sie sein sollte. In der man überhaupt nur Trab lief. Wien spielte doch nur Großstadt. Im Grunde hielt man hier jeden, der Eile hatte, für einen Trottel. Steffi aber wollte mitten hinein in den Trubel, Strudel, Knudel, wo man nichts anderes mehr kannte als Jagen, Hetzen, Vorwärts. Sie war Braut eines Kunstfahrers auf Motor. Dessen Lebensparole war: verbotenes Schnelltempo. Rattatata. Außerdem hatte er Stellung in Berlin angenommen ...
Konstanze dagegen glaubte Gemächlichkeit verlockend zu finden. Sanfte Spaziergänge entlang der Donau, hinauf zum Kahlenberg, Ausflüge in den Wiener Wald, mit einem Picknickkörbchen, das möglicherweise von einem Ehemann getragen wurde, in rechtschaffenem Stolz ...
Konstanzes nachdenkliche Schweigsamkeit beunruhigte Herrn Josef Blümel. Er beeilte sich, ein Gespräch in Gang zu bringen, das sich um Musik drehte. Morgen würde wahrscheinlich der Himmel wieder blau sein. Dann sollte niemand versäumen, in den Schönbrunner Park zu gehen, wo Walzer gespielt würden, von Lanner und von Johann Strauß.
Konstanze antwortete weder ja noch nein.
Sie fragte, ob Herr Blümel selbst irgendein Instrument spiele?
Herr Blümel gestand ein, daß er die Geige zu handhaben wisse. Vom Blatt sowohl wie nach dem Gehör. "Wiener ist Wiener," fügte er entschuldigend hinzu.
Sie blickten beide zum Stefansturm auf, dessen Spitze sich mit allen ihren Zierlichkeiten in die Wolken verlor, wie eine zarte Melodie vergangener Stunden oder kommender.
Schließlich verabschiedete man sich.