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Masterarbeit aus dem Jahr 2014 im Fachbereich Geschichte Europas - Neuzeit, Absolutismus, Industrialisierung, Note: 1,8, FernUniversität Hagen (Historisches Institut), Veranstaltung: Studiengang: Master Europäische Moderne, Sprache: Deutsch, Abstract: „Lovett’s carreer [...] is an epitome of the social confusion in which the working classes were plunged during the passage of industry from the old order to the new“ schrieb R.H. TAWNEY 1920 in der Einführung zur Neuauflage der Autobiographie William Lovetts (1800−1877) aus dem Jahre 1876. Die Zeitspanne von 1820−1850 deckt Lovetts politisch aktivste Phase ab und beinhaltet innerhalb des „aufhaltsamen Aufstiegs der britischen Arbeiterklasse, 1815−1880“ − wie MANN ihn nannte − „die ohnmächtige Revolte der Arbeiterschaft (1830−1847)“ . Unmittelbar nach Peterloo umfasst die Frühphase der britischen Arbeiterbewegung neben fortgesetzter Selbstfindung der Arbeiterklasse u.a. die Aufhebung der Combination Laws und die Wiederzulassung von Gewerkschaften, die Great Reform Bill von 1832, die Genossenschaftsbewegung sowie den Chartismus. Zudem habe in England in jener Phase tatsächlich die Gefahr einer Revolution bestanden. Lovett beschreibt viele dieser Ereignisse und Strömungen. Er war mehr oder minder beteiligt: Als Angehöriger der Arbeiterklasse, als Beobachter, Handelnder, Initiator oder Führungsperson sowie als Partner oder Gegner zeitgenössischer Protagonisten. Autobiographien sind zweifellos nicht frei von Subjektivität, haben jedoch den Vorteil der Unmittelbarkeit, der Beobachtung aus erster Hand. Die Auswahl an Berichtenswertem lässt Rückschlüsse auf Eigenschaften, Werte und Anschauungen des Beobachters zu und bildet so ein wertvolles Zeitzeugnis. Für TAWNEY ist Lovetts Autobiographie sogar „more than the mere autobiography which its title might suggest“ . Die folgende Arbeit unternimmt den Versuch, die Frühphase der britischen Arbeiterbewegung anhand Lovetts Leben zu verfolgen. Deren wesentliche Strukturen, Ereignisse oder Entwicklungen sollen an seinem Leben gespiegelt und beispielhaft vertieft werden oder als Komplement dienen, wenn seine Erfahrungen oder Handlungen (zu) singulär sind. Die Betrachtung muss eine gewisse Spannbreite zulassen, die von unmittelbarer Beteiligung an Ereignissen, Strukturen und Entwicklungen der Hauptströmung bis zur Bekämpfung, Gegenposition oder paralleler Aktivität reicht, die ggf. auch erst nach dem Betrachtungszeitraum wieder in die britische Arbeiterbewegung einmündet. Lovetts Darstellungen werden nicht als alleinige Grundlage herangezogen und plausibilisiert. [...]
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INHALTSVERZEICHNIS
Verzeichnis der Abbildungen im Anhang (ab S. 81)
Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen für politische Vereine, Gewerkschaften u.ä.
1. Einleitung
2. Die Gesellschaft Englands zu Beginn des 19. Jahrhunderts
2.1 Struktur der Gesellschaft
2.2 Auswirkungen der industriellen Revolution
3. Kindheit, Jugend und Lehrzeit der labouring poor
4. William Lovett und wesentliche Strukturen, Ereignisse und Entwicklungen der Frühphase der britischen Arbeiterbewegung
4.1 Politisierung der Arbeiterschaft und die Entstehung von Klassenbewusstsein – Lovetts politisches Erwachen
4.2 Genossenschaften und Gewerkschaften – Lovetts Prägung durch Robert Owen
4.2.1 Sozialismus als Gegenmodell zum Kapitalismus
4.2.2 Owens Anstoß für eine Einheitsgewerkschaft
4.3 The Great Reform Bill: Arbeiterklasse und Mittelklasse gemeinsam für politische Beteiligung – Opposition der Londoner Arbeiterintelligenz
4.4 Der Chartismus – der zweite Versuch der Arbeiterschaft, politische Beteiligung zu erreichen
4.4.1 Entstehung – anfängliche Dominanz der London Working Men’s Association (LWMA)
4.4.2 Erste Petition und Konvent – Euphorie und Ernüchterung
4.4.3 Die National Charter Association (NCA) und die zweite Petition – O’Connor übernimmt die Führung
4.4.4 Das endgültige Scheitern der People’s Charter –
5. Lovetts Rolle im historischen Kontext
6. Fazit
7. Anhang
8. Quellen− und Literaturverzeichnis
8.1 Quellen
8.1.1 Quellensammlungen
8.1.2 Quellen+)
8.1.3 Sonstige
8.2. Nachschlagewerke
8.3 Literatur
Versicherung
Anlage 1 Quelle: GAMMAGE(1894:104).
Anlage 2 Quellen: NIEDHART(1996); deBUHR/REGENBRECHT(1983);
Anlage 3 Quelle: British Library, C.194.a.938 [8138.bb.87], tp.
Anlage 4 Quellen: The Charter (Ausgaben vom 03.03.−19.05.1839, Portraits of the Delegates);
Anlage 5 − Tabelle der Aktivitäten Lovetts 1820−1850
Anlage 6.1 − Nennungen Lovetts in britischer Presse 1820−1850
Anlage 6.2 − Diagramm zu 6.1
Anlage 7 Quelle: British Library, Maps 162,1.
Anlage 8 In Lovetts Autobiographie bewahrte politische Äußerungen, Erklärungen, Adressen, Aufrufe, Petitionen, Manifeste u.ä.
Anlage 9 Erinnerungsplakette im Geburtsort Newlyn und Grabsteininschrift Lovetts.
„Lovett’s carreer [...] is an epitome of the social confusion in which the working classes were plunged during the passage of industry from the old order to the new“[1] schrieb R.H. TAWNEY[2] 1920 in der Einführung zur Neuauflage der Autobiographie William Lovetts (1800−1877) aus dem Jahre 1876. Die Zeitspanne von 1820−1850 deckt Lovetts politisch aktivste Phase ab und beinhaltet innerhalb des „aufhaltsamen Aufstiegs der britischen Arbeiterklasse, 1815−1880“[3]- wie MANN ihn nannte − „die ohnmächtige Revolte der Arbeiterschaft (1830−1847)“[4]. Unmittelbar nach Peterloo umfasst die Frühphase der britischen Arbeiterbewegung neben fortgesetzter Selbstfindung der Arbeiterklasse u.a. die Aufhebung der Combination Laws und die Wiederzulassung von Gewerkschaften, die Great Reform Bill von 1832, die Genossenschaftsbewegung sowie den Chartismus. Zudem habe in England in jener Phase tatsächlich die Gefahr einer Revolution bestanden.[5] Lovett beschreibt viele dieser Ereignisse und Strömungen. Er war mehr oder minder beteiligt: Als Angehöriger der Arbeiterklasse, als Beobachter, Handelnder, Initiator oder Führungsperson sowie als Partner oder Gegner zeitgenössischer Protagonisten. Autobiographien sind zweifellos nicht frei von Subjektivität, haben jedoch den Vorteil der Unmittelbarkeit, der Beobachtung aus erster Hand. Die Auswahl an Berichtenswertem lässt Rückschlüsse auf Eigenschaften, Werte und Anschauungen des Beobachters zu und bildet so ein wertvolles Zeitzeugnis.[6] Für TAWNEY ist Lovetts Autobiographie sogar „more than the mere autobiography which its title might suggest“[7].
Die folgende Arbeit unternimmt den Versuch, die Frühphase der britischen Arbeiterbewegung anhand Lovetts Leben zu verfolgen. Deren wesentliche Strukturen, Ereignisse oder Entwicklungen sollen an seinem Leben gespiegelt und beispielhaft vertieft werden oder als Komplement dienen, wenn seine Erfahrungen oder Handlungen (zu) singulär sind. Die Betrachtung muss eine gewisse Spannbreite zulassen, die von unmittelbarer Beteiligung an Ereignissen, Strukturen und Entwicklungen der Hauptströmung bis zur Bekämpfung, Gegenposition oder paralleler Aktivität reicht, die ggf. auch erst nach dem Betrachtungszeitraum wieder in die britische Arbeiterbewegung einmündet.
Lovetts Darstellungen werden nicht als alleinige Grundlage herangezogen und plausibilisiert. Aus den autobiographischen Ausführungen werden Aufhänger und Fixpunkte ausgewählt werden, die als besonders typisch (oder atypisch) für diese turbulente Phase der britischen Arbeiterbewegung gelten können. Diese werden im Zusammenhang verständlich dargestellt. Lovetts jeweilige Rolle wird schließlich im Kontext bewertet, und es wird ein Fazit gezogen.
(Anlg. 1 zeigt ein undatiertes Porträt William Lovetts).
England befand sich Anfang des 19. Jahrhunderts in einem wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Übergang, im Umbruch zur Moderne. Die Gesellschaftsstruktur zeigte dabei ein starkes Beharrungsvermögen, und die Wirtschaft entwickelte ihre Dynamik noch nicht flächendeckend.
Das old England des 18. Jahrhunderts präsentierte sich als funktionierende Adelsgesellschaft, die aus Hochadel (peers), niederem Adel (gentry) sowie Mittel− und Unterschichten (middle classes und lower orders) (s. Anlg. 2) bestand. Die adeligen 1,4% der Bevölkerung verfügten zu Beginn des 19. Jahrhunderts über 15,7% der Einkommen und definierten sich über Landbesitz, die Reichsten hatten Jahreseinkommen von 50000 £.[8] Adelstitel erbten nur die erstgeborenen Söhne, die anderen Söhne wurden Politiker, Offiziere, traten in den Dienst des Staates oder der Kirche oder gingen in bürgerliche Berufe in Handel, Finanz und Gewerbe. Der Adel hielt so Verbindung mit allen Bereichen der Wirtschaft. Sein politischer Einfluss zeigte sich bei den Unterhauswahlen, die peers und gentry zusammen kontrollierten, und bei der lokalen Verwaltung, die sich überwiegend aus Angehörigen des niederen Adels zusammensetzte. Parlamentssitze wurden gehandelt, Wahlrecht war an Eigentumsvoraussetzungen gebunden. Stimmenkauf war nicht unüblich. „Selfgovernment durch Honoratioren (‚Gentlemen’) [... war] bis zum letzten Viertel des 19. Jahrhunderts die Signatur des englischen Staates“[9], das bedeutete z.B. die Übernahme des Friedensrichteramtes durch den Grundherrn und Paternalismus gegenüber den Unterschichten. „Die paternalistische Haltung vieler Adliger gab den Unterschichten weithin das Gefühl, daß man sich ihrer Nöte annähme“[10]. Die Grenzen des Adels waren nicht scharf nach unten definiert, eher offen. Rechtlich gab es zwischen den Bürgerlichen (middle class) und der gentry keinen Unterschied. Das dem Adel gemeinsame Merkmal des Landbesitzes in größerem Umfang war das differenzierende Attribut der sog. landed gentry gegenüber der middle class.
Die Mittelschichten zeichneten sich durch Tugenden wie Arbeitseifer, Genauigkeit, Zielorientierung und eigenverantwortliches Handeln aus, wobei diese Eigenschaften auch auf Adelige und die Arbeiteroberschicht zutreffen konnten.[11] Zu den Mittelschichten zählten um 1800 31,6% der Bevölkerung, und sie besaßen 59,4% des Volkseinkommens. Dabei handelt es sich um reiche Kaufmannsfamilien mit 2600 £ Jahreseinkommen, etwa 15600 Familien mit mittlerem und kleinem Landbesitz, Pächter und selbständige Bauern ohne große Einkommen. Hinzu kamen aber auch ca. 25000 besser verdienende Handwerkerfamilien (im Durchschnitt 150 £ pro Jahr) und ungefähr 30000 Familien von kleinen Gewerbetreibenden und Angestellten mit 75 £ Einkommen im Jahr. Es war eine bunte und bei wirtschaftlichem Erfolg durchlässige Mischung aus Klein− und Großbürgern. Auf die übrigen 66% der Bevölkerung, die sozialen Unterschichten oder die Arbeiterschaft, entfiel das restliche Viertel des Volkseinkommens. Die Hälfte von ihnen lebte in Armut, am oder unter dem Existenzminimum.
Die Arbeiterschaft hatte als gemeinsames Merkmal die Handarbeit mit Tages− (meist Wochen−)Lohn.[12] Der Arbeitsplatz war in hohem Maße unsicher. Vier Großgruppen ließen sich unterscheiden:
− die besser gestellten Fachhandwerker (labour aristocracy), hoch spezialisierte Handwerker, die nach langer Lehrzeit bei 30−40s Wochenlohn, relativ regelmäßige Beschäftigung und überwiegend gute Arbeitsbedingungen erreicht hatten;
− die ausgebildeten Handwerker (skilled workers), die ebenfalls eine gesetzlich vorgeschriebene Lehrzeit von 7 Jahren durchlaufen hatten;
− die Nicht−Handwerker (unskilled workers), ohne Ausbildung, die nicht als Handwerker arbeiten durften. Diese Gruppierung umfasste ganz unterschiedliche Gruppen wie die Landarbeiter, die Fabrikarbeiter und Dienerschaft auf Landgütern, zusammen etwa 1,5 Mio. Menschen mit bis zu 14s Wochenlohn. Daneben etwa 200000 Bauarbeiter, die an Eisenbahnen und Kanälen für 15−24s pro Woche schufteten. Auf gleichem Lohnniveau[13] arbeiteten etwa 118000 Bergarbeiter. Städtische Arbeiter in Docks oder Eisenwerken hatten vor allem unter unsicheren Arbeitsplätzen zu leiden. Schließlich kam noch die Dienerschaft mit 1 Mio. Beschäftigten mit niedrigen Löhnen aber freier Kost und Logis hinzu. Rund 330000 Armeeangehörige zählten ebenfalls zu dieser Gruppe;
− die poors, die nicht arbeiten konnten oder wollten, stellten etwa 1,5 Mio (9,3 % der Gesamtbevölkerung im Jahre 1841).
Das Hauptunterscheidungsmerkmal innerhalb der Arbeiterschaft war die Lehrzeit, die Ausbildung, die die Fachkenntnisse eines Berufs vermittelte. Nur etwa 5−10% der Arbeiterschaft waren Handwerker.[14] Die Kosten für das absolute Existenzminimum einer Familie mit 2 Kindern, d.h. für die billigsten Lebensmittel, die das Verhungern verhinderten, lagen zu Beginn des 19. Jahrhundert etwa bei wöchentlich 8s 7d.[15]
Die industrielle Revolution beinhaltete den Übergang von der traditionellen Art und Weise in der Wirtschaft zu produzieren, nämlich handwerklich und agrarisch, hin zu fabrikmäßiger, maschinenunterstützter und marktorientierter Fertigung. Dabei war die Hauptauswirkung für die Arbeiterschaft die Zerstörung ihrer überkommenen Formen zu leben und zu arbeiten.[16] Arbeit in der vorindustriellen Zeit hieß Arbeit in der Landwirtschaft von Familien mit eigenen Höfen, von Handwerkern mit eigenen Betrieben oder von Familien, die Lohneinkünfte durch unmittelbare Verfügung über die Produktionsmittel ergänzten (z.B. Webstuhl). Die Beziehung zum Arbeitgeber ging über das Funktionale hinaus. Die industrielle Revolution brachte den anonymen Fabrikarbeiter und die gesichtslose Arbeitskraft hervor. Industrielle Arbeit hatte den Taktgeber Maschine und den vorgeplanten Arbeitsschritt des Fabriksystems. Regelmäßigkeit, Monotonie und Routine bestimmten den Arbeitstag statt wechselnder Jahreszeiten, Vielseitigkeit, menschlicher Stimmungen oder auch tierischer Bedürfnisse, die für den Arbeitsrhythmus bisher entscheidend gewesen waren. Die Uhr gab das Arbeitstempo vor. Statt Jahreszeiten, Wochen und Tagen wurden Minuten zum Takt vorgedachter, ineinandergreifender, arbeitsteiliger Arbeitsprozesse. Das widersprach den geübten menschlichen Neigungen und musste durch Gesetze (z.B. Herr−und−Diener−Gesetz 1823) und Disziplinierungsmaßnahmen (Lohnabzug, Geldstrafen) erzwungen werden. Schlechte Bezahlung hielt zu ständiger Höchstanstrengung an, damit das Existenzminimum gesichert werden konnte. Die Mitarbeit aller Familienmitglieder – schon in vorindustrieller Zeit nicht ungewöhnlich – wurde jetzt oft lebensnotwendig und veränderte das Familienbild. Das alles fand nicht mehr auf dem Land in bekanntem Umfeld, sondern in der Umgebung von Großstädten oder neu aus dem Boden gestampften Fabrikstädten statt, die vor Dreck, Qualm und Lärm strotzten.[17] Mit der Zuwanderung von Arbeitermassen konnte die Versorgung mit u.a. Wasser, Sanitäreinrichtungen, Straßenreinigung, offenen Flächen nicht mithalten. Krankheiten und Kriminalität waren an der Tagesordnung. Die Landbewohner, an städtisches Leben nicht gewöhnt, fanden sich in Elendsquartieren wieder. Sie hatten aus ihrer Erfahrung und Vergangenheit keine Rezepte zum Umgang mit der kapitalistischen Welt, ihrer Moral und funktionalen, monetären Orientierung. Es waren noch Reste subsistenziellen Denkens vorhanden. Man wollte Geld verdienen für ein möglichst angenehmes Leben. Hatte man den Hungerlohn verdient oder etwas darüber hinaus, lebte man in Geselligkeit und frönte oft dem Alkohol, wollte dem Elend so zeitweise entfliehen.[18] Die vom Land so nicht gewohnte Industrienahrung kam noch hinzu. Die Armut an sich war schon bedrückend, dem ungewohnten Umfeld stand man unwissend und weitgehend hilflos gegenüber, das Elend steigerte sich dadurch noch.
Der Prozess der Industrialisierung hatte u.a. mit Erfindungen wie der Dampfmaschine, der Wagenspinnmaschine und dem Maschinenwebstuhl in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts begonnen. Mechanisiert wurde zuerst in der Textilindustrie, das setzte sich bei den Landmaschinen und in anderen Branchen fort. Auch wenn z.B. die Weber schon 1795 tiefe Lohneinbrüche zu beklagen hatten, blieb die traditionelle Heimindustrie bis in die 1820er Jahre bestehen, und Mitte des 19. Jahrhunderts waren erst knapp 50% der Arbeiterschaft in den neuen Industrien oder in neuen Berufen tätig.[19] Man kann 1850 England noch nicht als industrialisiert bezeichnen.[20] Dennoch beeinträchtigte der Wandel nahezu jeden, weil die zunehmende Mechanisierung und Modernisierung ein Auskommen in vielen überkommenen Berufen erschwerte oder unmöglich machte.
In England verlief der Industrialisierungsprozess außerordentlich gewaltsam auf Kosten der Arbeiter, allein nach den Regeln der Unternehmer.[21] Die Erfahrung der Verelendung kam in unzähligen verschiedenen Formen über die Arbeiter: für den Landarbeiter als Verlust von Allmenden und dörflicher Selbstverwaltung; für den Handwerker als Verlust seiner beruflichen Stellung; für den Weber als Schwinden von Verdienst und Unabhängigkeit; für das Kind als Verlust von häuslichem Spiel und häuslicher Arbeit; für viele Gruppen innerhalb der Arbeiterschaft als Verschwinden von Sicherheit und Freizeit trotz steigender Reallöhne und als Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen in der Stadt.
BUTLER fasst den Konflikt zwischen Arbeiter und Unternehmer im Übergang zur Industrialisierung wie folgt zusammen:
In mines, shops, and factories alike men and women and children were forced to work, with little food or sleep, in loathesome atmospheres for as much as eighteen hours a day. They had no education and no holidays, and many employers, or their foremen, were guilty of revolting cruelty.[22]
Kinder waren schon in der vorindustriellen Zeit früh in den Arbeitsprozess eingebunden. „Das Kind war ein wesentlicher Bestandteil der ländlichen und gewerblichen Wirtschaft [schon] vor 1780 und blieb es, bis es durch die Schule gerettet wurde“[23]. Da das Einkommen der Kinder für die Familien notwendig war, hatte deren schulische Erziehung keine Priorität. „The poorer families were unable or unwilling to sacrifice the wages that their children could earn to add to the familiy income“[24]. Sog. dame−schools wurden von einer einzelnen Dame geführt, die eher Kinderhüterin als ausgebildete Lehrerin war. Sie nahm die Kinder in ihrem eigenen Haus in Obhut, erhielt einige Pennies pro Woche, um den Kindern das Alphabet oder das Nähen beizubringen. Die Kinder spielten, aber lernten nicht sehr viel.[25] In Sonntagsschulen, die die Kirchen betrieben, sollten die Kinder den christlichen Glauben kennenlernen. Lesen war dafür eine notwendige Fähigkeit, den Kindern das Schreiben beizubringen dagegen „ein schrecklicher Mißbrauch des Sabatts“[26]. Die eigentlichen Schulen der Armen waren – wenn es welche gab[27] − die ragged schools, Einraumschulen, oft in alten Scheunen. Die angebotene Erziehung
was of poorest quality. Schoolmasters were often men or women who had been disabled by accidents in the factory, or failed to earn their livelyhood in any other occupation [...] sometimes they could not even write themselves. [28]
Ältere Kinder, die über Grundkenntnisse verfügten, wurden als Mentoren für die jüngeren eingesetzt, um Geld zu sparen. Lovett schreibt über seine Schulbesuche, die mit 6 oder 7 Jahren begannen:
I was sent to all the dame−schools of the town before I could master the alphabet. [...] I was instructed to read by my great−grandmother [...]. I was then sent to a boy’s school to learn ‚to write and cypher’, thought at that time to be all the education required for poor people. [29]
Die Schulausbildung Lovetts ist mit der anderer Arbeiterkinder und auch anderer, späterer, politischer Akteure der Arbeiterschaft vergleichbar.[30] Der Schumacher und Gewerkschaftler Abraham Hanson „had no formal education to speak of, joking that he had been schooled in the ‚College of Nature“[31].