Das verschwundene Blau - Gudrun Leyendecker - E-Book

Das verschwundene Blau E-Book

Gudrun Leyendecker

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Beschreibung

DAS VERSCHWUNDENE BLAU ist ein FANTASY-ROMAN Nathalie restauriert Gemälde in Kirchen, Museen und historischen Bauwerken. Für das sehr wertvolle, alte Gemälde eines unbekannten Malers benötigt sie ein besonderes Blau, aber diese Farbe scheint eine mysteriöse Zusammensetzung zu haben. Während sie in der Toskana recherchiert und experimentiert, lernt sie einige Künstler kennen, die ihr Leben verändern. Da gibt es eine geheime Liebesbeziehung, eifersüchtige Frauen, Bergsteiger, die ihr Leben wagen, die unheilbare Krankheit eines reichen Italieners, eine alte Frau, die geheimnisvolle Fähigkeiten hat und Erkenntnisse über die Malerei des Mittelalters.

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Gudrun Leyendecker ist seit 1995 Buchautorin. Sie wurde 1948 in Bonn geboren.

Siehe Wikipedia.

Sie veröffentlichte bisher über 70 Bücher, unter anderem Sachbücher, Kriminalromane, Liebesromane, und Satire. Leyendecker schreibt auch als Ghostwriterin für namhafte Regisseure. Sie ist Mitglied in schriftstellerischen Verbänden und in einem italienischen Kulturverein. Erfahrungen für ihre Tätigkeit sammelte sie auch in ihrer Jahrzehntelangen Tätigkeit als Lebensberaterin.

Inhaltsangabe

DAS VERSCHWUNDENE BLAU

ist ein FANTASY-ROMAN

Nathalie restauriert Gemälde in Kirchen, Museen und historischen Bauwerken. Für das sehr wertvolle, alte Gemälde eines unbekannten Malers benötigt sie ein besonderes Blau, aber diese Farbe scheint eine mysteriöse Zusammensetzung zu haben. Während sie in der Toskana recherchiert und experimentiert, lernt sie einige Künstler kennen, die ihr Leben verändern. Da gibt es eine geheime Liebesbeziehung, eifersüchtige Frauen, Bergsteiger, die ihr Leben wagen, die unheilbare Krankheit eines reichen Italieners, eine alte Frau, die geheimnisvolle Fähigkeiten hat und Erkenntnisse über die Malerei des Mittelalters.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 1

Nathalie lenkte den Wagen über die Serpentinen den Hügel hinauf, vorbei an den hohen, dunkelgrünen Zypressen, die wie Säulen hoch in den Himmel ragten.

Das Sonnenlicht des Mittags ruhte schläfrig auf den abgeernteten Feldern, die bis zu den Weingärten hinaufreichten, in deren Mitte das große Anwesen eingebettet lag.

In den Weinreben bewegte sich kein Windhauch, und die menschenleere Gegend wirkte wie in einem Zauberschlaf liegend.

„Weingut Acquilera“, las die junge Frau auf dem Schild neben dem weiträumigen Parkplatz und atmete auf.

„Endlich angekommen!“ sagte sie seufzend zu sich selbst. Immerhin hatte sie jetzt schon acht Stunden Fahrt hinter sich und hoffte auf eine kleine Pause im Schatten.

Nathalie wollte gerade die Türglocke neben der großen antiken Holztür in Bewegung setzen, als sich die Tür wie von Zauberhand öffnete und ihr eine hübsche Frau mittleren Alters entgegenlächelte.

„Ich habe Sie schon erwartet, Signora Blackai“, teilte sie der Ankommenden in perfektem Deutsch mit. „Donna Leguan hat alles für Sie vorbereiten lassen. Und ich bin einfach nur Marisa, und das Du gehört dazu.“

„Ich freue mich, Marisa, und ich bin Nathalie. Ich nehme an, dass ich eine Weile hier wohnen werde, denn Donna Leguan hat mir mitgeteilt, dass es hier viel zu restaurieren gibt. Da werden wir uns sicher noch näher kennen lernen, und dieses förmliche Sie finde ich schrecklich.“

Sie folgte der Haushälterin in einen Seitentrakt, indem man eine kleine Suite für den Gast vorbereitet hatte.

Während Marisa das Gepäck aus dem Auto holte, betrachtete Nathalie die alten Bilder, die sofort ihre Aufmerksamkeit erregten.

Die Gemälde erinnerten sie an den Pinselstrich das italienischen Malers Giorgio da Castelfranco, der unter dem Namen „Giorgione“ berühmt geworden war. Im Geist sah sie die „schlummernde Venus“ und „das Gewitter“ vor sich, und sie versuchte mit zusammengekniffenen Augen, die Signatur am unteren rechten Rand der Bilder zu entziffern.

Während sie noch Vergleiche anstellte, betrat Marisa nach einem höflichen Anklopfen das Zimmer und stellte das Gepäck auf den dafür vorgesehenen Beistelltisch.

„Wer hat diese Bilder gemalt?“ erkundigte sich Nathalie. „Das könnte fast die Handschrift von Giorgione sein.“

Die Haushälterin hob die Augenbrauen. „Das ist eines der Rätsel, die Donna Leguan noch nicht gelöst hat. Sie ist sich zwar auch sicher, dass dieser Maler wie Giorgione in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in Venetien gelebt, vermutlich auch noch Anfang des 16. Jahrhunderts dort gearbeitet hat, aber viel mehr ist ihr darüber nicht bekannt.“

„Sie wird es mir hoffentlich erzählen“, wünschte sich Nathalie. „Und wo sind jetzt die Bilder, die ich restaurieren soll?“

Marisa lächelte. „Jetzt müssen Sie sich erst einmal ausruhen und ein bisschen Stärkung tut Ihnen sicher auch gut.“

„Bitte sag Du zu mir!“ forderte die Restauratorin die Haushälterin auf. „Es lässt sich dann viel besser reden.“

„Ich weiß nicht recht, ob mir Donna Leguan deswegen böse sein wird.

Hier wird noch sehr auf die alten Formen geachtet.“

„Ich werde mit ihr darüber reden“, versprach Nathalie. „Wenn ich hier zu allen Leuten Sie sagen muss, werde ich mir hier sehr fremd vorkommen.“

Marisa lächelte. „Ich werde mich schon schnell umstellen, Nathalie. Aber ob du dich hier an all die verrückten Leute gewöhnen kannst, die hier ein- und ausgehen, das bezweifle ich.“

Sie biss sich auf die Lippen. „Oh entschuldige bitte! Das war jetzt nicht richtig von mir. Wahrscheinlich hätte ich besser den Mund halten sollen, aber du bist so sympathisch, da wollte ich dich wohl vorwarnen.“

Nathalie staunte und sah die Haushälterin fragend an. „Um welche Eindringlinge handelt es sich denn dabei?“

„Unsere Donna ist eine großzügige Frau, vielleicht ein bisschen zu gutmütig. Und da sie so ein großes Vermögen hat, das sie nicht glaubt, allein verleben zu können, zeigt sie sich häufig auch sehr spendabel. Sie hat eine ganze Menge Freunde, die von überall her zu ihr kommen und sie besuchen, auch aus Deutschland, denn dort kommt sie ja her.“

Die junge Restauratorin hob überrascht die Augenbrauen. „Davon hatte ich keine Ahnung.“

„Donna Leguan hat dieses Anwesen von ihrem Onkel geerbt. Sie hat vorher nie viel Geld besessen und sich vorher auch nicht viel daraus gemacht. Deswegen lässt sie es auch jetzt wieder leicht aus den Händen gleiten, wenn Freunde um Hilfe bitten. Nur bei den Kunstschätzen hier, da läuft es anders. Die liebt und schätzt sie außerordentlich und sorgt dafür, dass alles gut erhalten bleibt. Deswegen ist sie auch so sehr darauf bedacht, dass hier ein paar wertvolle Bilder restauriert werden. Und besonders geht es um ein Bild, auf dem die heilige Maria zu sehen ist. Davon hat sie dir bestimmt schon erzählt.“

Nathalie überlegte. „Sie hat mir von einem Bild geschrieben, dass meine besondere Aufmerksamkeit braucht. Über das Motiv hat sie mich nicht informiert. Werde ich sie heute noch zu Gesicht bekommen?“

„Ganz bestimmt. Eigentlich wollte Donna Leguan pünktlich zu deinem Empfang hier sein. Aber vermutlich hat ihr Auto wieder einmal gestreikt. Sie liebt ihr altes Auto und kann sich nicht von ihm trennen.“

„Das kann ich sogar verstehen. Zu Autos haben die Menschen manchmal eine ganz besondere Bindung. Aber was ist jetzt mit Donna Leguans Freunden? Was erwartet mich da genau?“

„Ganz schlimm sind ihre Verehrer, und das sind drei sehr unterschiedliche Personen. Aber bevor ich etwas darüber verrate, werde ich dir jetzt einen Imbiss vorbereiten, damit du dich erst einmal stärken kannst. Auf nüchternen Magen kannst du die sowieso nicht ertragen.“

Natascha lächelte. „Ich bin einiges gewöhnt. Aber tatsächlich habe ich es mir hier viel einsamer vorgestellt. Donna Leguan hatte mir angedeutet, dass sie hier allein lebt.“

„Hier im Haupthaus leben tatsächlich nur die gnädige Frau, Vincenzo, der Gärtner und ich. Aber in den Nebengebäuden leben zwei große Familien, die hier im Weinbau arbeiten. Wenn also hier nicht gerade Mittagspause ist, herrscht auf dem Gut ein eifriges Treiben. Möchtest du im Salon speisen oder hast du Lust, zu mir in die Küche zu kommen? Obwohl ich weiß, dass mich die gnädige Frau deswegen bestimmt ausschimpfen wird.“

Die Restauratorin amüsierte sich. „Hast du etwa Angst vor deiner Chefin? Am Telefon klang sie eigentlich sehr nett. Natürlich komme ich gern zu dir in die Küche. Ich bin die letzten acht Stunden allein im Auto gewesen und freue mich über etwas Gesellschaft.“

„Prima“, freute sich Marisa. „Ich habe nämlich auch heute noch mit keiner Menschenseele reden können. Es gab eine ganze Menge in der Küche zu tun, und die anderen waren alle in den Weinbergen. Ich hoffe, dass ich dir nicht auf die Nerven gehe.“

„Kein Problem. Ich mache mich nur rasch noch ein bisschen frisch, und dann komme ich zu dir und helfe dir ein bisschen.“

Die junge Haushälterin schüttelte leicht den Kopf. „Ich habe eine Menge an Vorspeisen mariniert, getrocknete Tomaten, Weinblätter, Zucchini und Paprika. Käse, Schinken und frisches Brot stehen auch schon bereit. Damit kannst du schon einmal den ersten Hunger stillen.“

„Du machst mir Appetit“, freute sich Nathalie. „Du wirst nicht lange auf mich warten müssen, ich werde mich beeilen.“

Kapitel 2

Marisa schenkte der jungen Restauratorin ein Glas des hauseigenen Rotweins ein. „Ich bin mal gespannt, was du zu diesem Wein sagst. Er ist der Beste hier weit und breit und gerade erst prämiert worden.“

Sie schenkte sich ebenfalls ein halbes Glas ein und hob es hoch. „Wir trinken auf deine Gesundheit und auf deinen Aufenthalt hier in der zauberhaften Toskana. Und ich weiß, ich rede viel zu viel.“

„Es stört mich überhaupt nicht, dass du mich so gut unterhältst“, entgegnete Nathalie. „Im Gegenteil. Wenn du mir alles hier so schön erklärst, werde ich mich bald heimisch fühlen. Und wenn alles so gut ist wie dein Vorspeisenteller, werde ich wohl hier von dir noch ganz rund gefüttert werden.“

Marisa schüttelte den Kopf. „Von der italienischen Küche wird man nicht dick. Aber ein paar Pfund könntest du schon zulegen. Du hast wohl in der letzten Zeit mächtig Stress gehabt, oder?“

„Ja, mit dem Stress, da hast du recht. Ich habe bis jetzt für den Direktor eines Museums arbeitet, und leider waren wir auch ein Paar. Als wir uns dann trennten, ging gar nichts mehr. Wir konnten nicht einmal mehr zusammenarbeiten. Da bin ich dann so herumgetingelt, war in verschiedenen Schlössern und habe ein paar Kleinigkeiten in alten Kirchen restauriert. Als dann das Angebot von Donna Leguan kam, bin ich sofort losgefahren. Und wie sieht es mit dir aus? Bist du an jemanden gebunden?“

„Bis zu einem Jahr habe ich bei meinen Großeltern im Norden Italiens auf einem Bergbauernhof gelebt. Das waren wunderbare Menschen, meine Oma und mein Opa! In den letzten Jahren habe ich sie dann auch gepflegt und Gott hat Ihnen die Gnade erwiesen, dass sie beide nacheinander gestorben sind, da mussten sie sich nicht lange vermissen.“

„Und wie sieht es mit einem Partner aus?“

„Ich war mal ziemlich lange verlobt. Aber der nette Herr hatte keine Lust, auf einen einsamen Bauernhof zu ziehen, schon gar nicht gemeinsam mit zwei Senioren. Wir hatten so eine Art Fernbeziehung, die aber dann auseinandergegangen ist. Er arbeitet jetzt im Hotel seiner Frau und wird ganz gut von ihr eingespannt. Man kann also seinem Schicksal doch nicht ganz aus dem Weg gehen.“ Sie hob das Glas noch einmal und prostete dem Gast zu. „Salute! Darauf wollen wir trinken!“

Nathalie hob ebenfalls das Glas. „Auf Dich! Und hier? Gibt es hier keine netten Partner für dich? Sicher wird dich Donna Leguan auch ab und zu mal ausgehen lassen, oder?“

„Oh ja, sie ist sehr nett. Sie bietet mir oft an, freie Stunden oder einen freien Tag zu nehmen. Aber ich fühle mich hier sehr wohl, fast so wie auf dem Bergbauernhof.“

„Was ist aus ihm geworden?“ erkundigte sich Nathalie.

„Ich konnte ihn nicht halten und auch nicht allein bearbeiten. Da wäre eine durchgreifende Renovierung notwendig gewesen. So habe ich ihn dann an einen Aussteiger verkauft, der wohl gerade die Nase von den Menschen voll hatte.“

„Weißt du denn, was er damit gemacht hat? Hat er ihn wenigstens erhalten?“

„Das hatte er vor, aber ich bin dann ganz schnell fortgezogen. Ich konnte es nicht mit ansehen, wie sich dort ein anderer breitmacht und eventuell alles auf den Kopf stellt.“

„Hat er dir wenigstens ein hübsches Sümmchen dafür bezahlt?“

„Ja, und du wirst es nicht glauben, ich habe das Geld in den Weinberg gesteckt und Donna Leguan ein paar Anteile abgekauft. So kann ich direkt an Ort und Stelle sehen, wie mein Erbteil wächst, blüht und gedeiht.“

„Der Wein ist wirklich vorzüglich“, fand Nathalie und probierte erneut. „Ich glaube, du hast das Geld gut angelegt.“

Marisa freute sich. „Das bin ich meinen Großeltern schuldig. Aber jetzt haben wir erst einmal genug über mich geredet. Ich muss dich dringend auf unsere Gäste vorbereiten, denn sie werden dich bestimmt mit ihren Verrücktheiten belästigen.“

„Ich bin schon ganz gespannt“, verriet Nathalie.

„Also, da haben wir erst einmal Franco, er hat eine große Galerie in der Stadt und ist der Direktor eines Museums. Seit ewigen Zeiten will er Donna Leguan dazu verführen, ihm einige Bilder für die Galerie oder das Museum zu überlassen.“

„Das liegt auf der Hand“, fand die junge Frau. „Donna Leguan scheint wirklich hier einige Liebhaberstücke zu besitzen, vermutlich auch von unschätzbarem Wert. Franco wird ein Kunstkenner sein.“

„Franco hat der schönen Adele, so heißt unsere Donna nämlich, schon etliche Male einen Heiratsantrag gemacht, aber sie weist ihn jedes Mal zurück.“

„Aber warum ist Franco denn verrückt? Dass er Interesse an den Bildern hat, das kann man doch verstehen.“

Marisa nickte. „Er malt. Er malt hübsche junge Frauen, und zwar in Aktposition. Aber auf den fertigen Bildern kann man sie kaum erkennen, denn er malt sie nur in Ultramarinblau.“

Nathalie riss die Augen auf. „Warum denn das? Natürlich ist Blau eine sehr schöne Farbe, ich liebe sie auch, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sich jede Frau in Blau wiedergeben lässt. Eine temperamentvolle, feurige Frau kann ich mir hier in Rot vorstellen. Könnte das bedeuten, dass er über diese jungen Frauen eine klischeehafte Meinung hat.“

Die Haushälterin lachte. „Einige seiner Freunde haben schon vermutet, dass er diese Farbe Blau in einer großen Menge sehr preiswert erworben hat.“

„Dann kann er froh sein, dass er nicht im Mittelalter gelebt hat. Da wurde das Ultramarinblau aus dem Lapis Lazuli gewonnen. Und das war außergewöhnlich teuer. Es gab einmal im Mittelalter einen Maler, der dieses Blau so geliebt hat, dass er sich in seinem Leben deswegen hochverschuldet hat. Und einem zweiten, berühmten Maler sagt man nach, dass er ein Gemälde nicht vollendet hat, weil ihm die Farbe des teuren Lapis Lazuli fehlte.“

„Franco benutzt bestimmt die heute im allgemeinen verwendeten chemischen Farben. Adele malt auch, aber dafür nimmt sie Pflanzenfarben, die sie selbst herstellt. Dafür hat sie hinter dem Haus einen eigenen kleinen Garten angelegt.“

Nathalie freute sich. „Das wusste ich ja noch gar nicht, dass Donna Leguan auch selbst malt. Hängen die Bilder hier auch irgendwo?“

„Offenbar ist sie selbst nicht ganz so überzeugt von ihren Bildern oder sie fürchtet, damit etwas über sich zu verraten. Alle ihre Bilder hängen nur in ihren ganz privaten Räumen. Im Schlafzimmer, in der Kleiderkammer und in ihrem Atelier, in das sie niemanden hineinlässt.“

„Aber du darfst doch dort hinein?!“ vermutete Nathalie.

Marisa nickte. „Ja, zu mir hat die Donna Vertrauen, und ich erzähle ja auch sonst niemandem etwas. Du bist die erste, und ich weiß, dass Adele auch zu dir schon Vertrauen gefasst hat, sonst ließe sie sich nicht von dir die Bilder restaurieren. Schon gar nicht das Bild der Maria, dem das besondere Blau fehlt.“

„Was ist denn mit diesem Bild? Was hat es damit auf sich?“

„Es ist nicht nur von einem unbekannten Meister, der vermutlich bei Giorgione in die Lehre gegangen ist. Dieser Maler muss sehr seltene Farben benutzt haben. Donna Leguan hat entdeckt, dass er dieses Blau, das auf dem Bild restauriert werden muss, wohl nach einem eigenen Rezept hergestellt hat.“

„Warum hat sie das Bild denn nicht zu irgendeinem Kunstkenner und in ein Labor gebracht, um die Farben untersuchen zu lassen?“ fragte Nathalie verwundert.

„Das hat ihr Franco auch vorgeschlagen. Aber sie ist felsenfest davon überzeugt, dass diese Maria nicht von ihrem Platz fortgetragen werden darf. Ich weiß nicht, ob es eine religiöse Bedeutung hat oder mit einem Aberglauben zusammenhängt.“

„Und wie hat sie die Farben dann überhaupt untersucht?“

„Adele hat schon ein paar gute technische Geräte, Lupen, Infrarotlampen undsoweiter, mit denen sie ihre gemalten Schätze ständig beobachtet und betreut, aber sie lässt niemanden an dem Gemälde herumkratzen. Nicht einmal ein einziges Pigment darf entnommen werden.“

Nathalie staunte. „Das ist wirklich merkwürdig. Wenn ich ein einziges Pigment als Probe entnehme, fällt das doch auf einem großen Gemälde nicht auf. Ich kann es schließlich hinterher wieder einfügen.“

„Und genau das erlaubt die Donna nicht. Sie sagt, dass dieses Marienbild eine besondere Geschichte hat, und deswegen sei es ihr verboten, an dem Gemälde etwas zu verletzen.“

Die Restauratorin seufzte. „Das wird schwer für mich werden. Sicherlich muss ich es auch erst einmal säubern. Möglicherweise ist auch der Firnis sehr schlecht und muss ein wenig entfernt werden.“

Marisa atmete tief. „Das wird dir Donna Leguan sicherlich nicht erlauben.“

Nathalie hob die Augenbrauen. „Das habe ich mir nicht so schwer vorgestellt. Ich bin gewohnt, sehr vorsichtig und diszipliniert zu arbeiten, aber sobald ich behindert werde, wird es schwierig. Wie soll ich genau das richtige Blau finden, wenn ich gar keine Anhaltspunkte bekomme.“

„Oh, daran hat die Signora auch schon gedacht. Sie hat für dich einige Leinwandproben aus dem Mittelalter bereitgestellt. Auf denen darfst du nach Herzenslust herummalen.“

„In Ordnung“, fügte sich Nathalie.

„Einige Farbpigmente, Bindemittel und Füllstoffe hat sie auch schon bereitgestellt, und natürlich auch das notwendige Öl. Dazu gibt es auch ein paar kleine Schätze an alten Farben, darunter auch Azurit, gemahlenen Kalkstein und Lapis Lazuli. Das sind ziemlich wertvolle Sachen, während die Donna selbst für ihre Malerei für das Blau häufig mit Soßenbinder, Holunder-Beeren und Kornblumen zurechtkommt. Daraus köchelt sie ganz hübsche Süppchen“, wusste Marisa.

„Dafür kenne ich auch einige Rezepte“, teilte ihr Nathalie mit. „Ich habe meine Ausbildung bei einer sehr kompetenten Meisterin gehabt. Da lernte ich auch, verschiedene Farben für verschiedene Zwecke zu gewinnen. Für das Blau als Malfarbe nahmen wir Heidelbeeren, Brombeeren und schwarze Johannisbeeren, und um Stoffe zu färben, lehrte sie mich, wie man mit Färberwaid und Indigo umgeht, da werden auch ganz hübsch dunkle Süppchen gekocht. Wir haben auch allerlei Wurzeln ausprobiert, die sich zum Färben eignen.“

„Ich glaube, du bist wirklich die Richtige für das Restaurieren“, stellte Marisa fest. „Du hast Ahnung und bist bereit, allerlei auszuprobieren, sonst hättest du auch nicht den weiten Weg bis in die Toskana gewagt.“

Nathalie grinste. „Eigentlich kommt mir das hier wie ein Urlaub vor. Aber gibt es hier denn keinen Restaurator der Nähe?“

„Doch, natürlich! Das ist Eduardo, auch er überhäuft Donna Leguan mit Heiratsanträgen. Er besitzt ebenfalls ein Weingut und wünscht sich nichts sehnlicher, als dass beide Weingüter unter einem Namen geführt werden. Und weil er leidenschaftlicher Hobbymaler ist, hat er sich das Handwerk des Restaurierens angeeignet und wohl auch ein paar Seminare besucht. Aber ihm möchte Adele ihr Lieblingswerk auch nicht anvertrauen.“

„Jetzt weiß ich, warum du ihn verrückt nennst. Sicher, weil er deine Anteile an diesem zauberhaft schönen Weingut gefährdet, nicht wahr? Dieser gute Tropfen wäre dann sicher nicht mehr so edel, oder?“

Marisa lachte, und es klang wie eine Melodie. „Das ist es nicht, was ihn so verrückt macht. Er hat einen musikalischen Kater, dem hat er das Singen beigebracht. Und wenn die anderen Kater nachts herumstreunen und die Schlafenden mit ihrem erschreckenden Geheule wecken, dann spaziert Romeo auf den Dächern seiner riesigen alten Villa und singt Katzen-Arien und sucht vermutlich seine Julia.“

Nathalie amüsierte sich. „Das klingt sehr romantisch, aber nicht sehr verrückt. So kann Edoardo das Nützliche mit dem Schönen verbinden. Ich höre auch lieber schöne Arien als ein Katzengejammer. Das sind also die beiden Herren, die meiner zukünftigen Chefin den Hof machen. Da kann ich mir schon ein flüchtiges, vorläufiges Bild machen. Was aber ist jetzt mit der Nummer Drei? Hat er auch etwas mit Kunst zu tun?“

Marisa lächelte. „Natürlich. Aber er ist sehr vielseitig. Er heißt Luciano und ist hier bekannt als Sänger. In den umliegenden kleinen Theatern und Konzerthallen hat er öfter schon einmal in Operetten und Opern eine Tenor-Rolle übernommen. Ich finde, dass er eine angenehme Stimme hat. Und, da kommen wir wieder zum Punkt: Er besitzt in der Stadt einen großen Antiquitätenladen. Er hat schöne Dinge gesammelt, und wie du dir denken kannst, ist er auch interessiert an alten Gemälden.“

Nathalie schmunzelte. „Irgendwie müssen sie doch alle auf einen Nenner kommen. Hat er auch etwas mit Wein zu tun?“

In Marisas Stimme klang ein Lachen mit. „Er trinkt ihn gern, aber er weiß auch einen edlen Tropfen zu schätzen.“

„Und, so wie ich dich bis jetzt kennengelernt habe, seine Verrücktheit wirst du mir bestimmt noch einmal extra präsentieren. Versorgt er Donna Leguan ebenfalls mit alten Farben aus seinem Antiquitätenladen?“

„Nein, darüber ist mir noch nichts bekannt geworden. Er hat ein besonderes Händchen für antiken Schmuck. Aber seine Verrücktheit geht in eine andere Richtung. Schon als er ein kleiner Junge war, hat er sich eine kleine Wetterstation gebastelt. Und inzwischen ist er ein Profi geworden. Aber er schaut nicht nur nach dem Wetter, sondern er braut auch selbst welches zusammen.“

Nathalie lachte laut auf. „Luciano ist eine Wetterhexe?“