Das Volk der Fata Morgana, Band 2: Die Höhle des Kraken - Abraham Merritt - E-Book

Das Volk der Fata Morgana, Band 2: Die Höhle des Kraken E-Book

Abraham Merritt

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Beschreibung

Kampf im Land der Rrrllya
Die Persönlichkeit Leif Langdons existiert nicht mehr. Dwayanu, der Krieger aus längst vergessener Zeit, der lange im Geist Leif Langdons schlummerte, hat das Kommando über den Bergwerksingenieur übernommen.
Betört vom Charme Lurs, der machthungrigen Hexe, schreckt Dwayanu nicht davor zurück, Khalk’ru, die Oktopus-Gottheit, erneut zu beschwören. Er bringt dabei Tod und Vernichtung über das verwunschene Land des kleinen Volkes.
Dies ist der zweite, abschließende Teil des berühmten Merritt-Romans, der als Markstein der internationalen Fantasy-Literatur gilt.

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Abraham Merritt

 

 

Die Höhle des Kraken

 

Das Volk der Fata Morgana, Band 2

 

Fantasy Roman 

 

 

 

 

 

 

Originaltitel: DWELLERS IN THE MIRAGE – 2. Teil

Aus dem Amerikanischen von Lore Straßl

 

 

*** 

Impressum

 

 

Neuausgabe

Copyright dieser deutschen Ausgabe © by Übersetzer/Bärenklau Exklusiv 

Cover: © Steve Mayer nach Motiven, 2023 

Korrektorat: Bärenklau Exklusiv

 

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

 

Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Die Höhle des Kraken 

Vorwort 

Buch 1 

1. Karak 

2. In der schwarzen Zitadelle 

3. Der Geistersee  

4. Lurs Küsse 

Buch 2 

5. Prüfung durch Khalk’ru 

6. Lurs Wölfe 

7. Die Eroberung Sirks 

8. »Tsantawu – Leb’ wohl!«  

Buch 3 

9. Rückkehr nach Karak 

10. Khalk’rus Tor  

11. In Khalk’rus Tempel 

Der Autor Abraham Merritt 

Weitere Werke von Abraham Merritt, 

 

Das Buch

 

 

 

Bärenklau Exklusiv präsentiert »Die Höhle des Kraken«, den zweiten und letzten Teil der Saga des Volkes der Fata Morgana, eine Übersetzung aus dem Amerikanischen von Lore Sraßl.

Kampf im Land der Rrrllya

Die Persönlichkeit Leif Langdons existiert nicht mehr. Dwayanu, der Krieger aus längst vergessener Zeit, der lange im Geist Leif Langdons schlummerte, hat das Kommando über den Bergwerksingenieur übernommen.

Betört vom Charme Lurs, der machthungrigen Hexe, schreckt Dwayanu nicht davor zurück, Khalk’ru, die Oktopus-Gottheit, erneut zu beschwören. Er bringt dabei Tod und Vernichtung über das verwunschene Land des kleinen Volkes.

Dies ist der zweite, abschließende Teildes berühmten Merritt-Romans, der als Markstein der internationalen Fantasy-Literatur gilt. 

 

***

Die Höhle des Kraken

Das Volk der Fata Morgana, Band 2

 

 

Vorwort

 

Im ersten Teil dieses Romans von Abraham Merritt (KÖNIGIN IM SCHATTENREICH) wurde berichtet, wie Leif Langdon, ein blondhaariger, blauäugiger, muskelstarker Wikinger wie die Vorfahren seiner Mutter, und der Tscherokese Jim Eagle, alias Tsantawu, im Zuge einer Alaska-Expedition die Vorberge des noch weitgehend unerforschten Endicott-Gebirges erreichten und nachts seltsame Laute – Trommeln, Hämmern auf einen Amboss, Singen vieler Stimmen – vernahmen, die in Leif düstere Erinnerungen wachriefen.

Drei Jahre zuvor war er während einer Expedition in die Mongolei von Uiguren entführt worden, deren Vorväter von großem Wuchs, hellhäutig, blondhaarig und blauäugig gewesen waren. In ihm glaubten sie das reine, unverfälschte Blut dieser Vorväter wiedergefunden zu haben. Sie lehrten ihn ihre Sprache, die er erstaunlich rasch lernte, nannten ihn Dwayanu und gaben ihm einen Ring, der das Symbol des Kraken trug. Sie brachten ihn an einen Ort, an dem uralte Bauwerke standen, wo ihn Priester wie einen Erlöser empfingen und Erinnerungen in ihm weckten, die nicht seine waren – Erinnerungen an Dwayanu, und an Khalk’ru – etwas, das sich hinter einem mächtigen Tor im Innern eines Berges befand.

Nur einer vom alten Blut könne Sühne bringen, die Wüste wieder fruchtbar machen und den Uiguren ihre einstige Größe wiedergeben. Nur Dwayanu, der Erlöser, könne den Fluch von ihnen nehmen.

Khalk’ru war der Anfang-ohne-Anfang, genau wie er das Ende-ohne-Ende sein würde! Er war das lichtlose, zeitlose Nichts! Der Zerstörer! Der Verschlinger des Lebens! Der Annihilator! Der Auslöscher! Er war nicht der Tod – der Tod war lediglich ein Teil von ihm. Er lebte. Er lebte sogar sehr intensiv, aber seine Art von Leben war die Umkehrung des Lebens, wie wir es kennen. Das Leben war ein Eindringling, der Khalk’rus zeitlose Ruhe störte. Götter und Menschen, Säugetiere und Vögel und alle Kreaturen, Pflanzen und Wasser und Luft und Feuer, Sonne, Mond und Sterne – sie alle konnte er verschlingen; in sich, in das lebende Nichts aufnehmen, wenn er es wollte. Aber mochten sie ruhig noch eine Weile vegetieren. Weshalb sollte es Khalk’ru etwas ausmachen, wenn es am Ende doch nur Khalk’ru geben würde?

In einem seltsamen Bann befangen, spürte Leif, wie Dwayanu in ihm erwachte und das alte Ritual durchführte und Khalk’ru, den Kraken, beschwor, das Opfer anzunehmen – ein junges, schwangeres Mädchen.

Voll Grauen war Leif Langdon danach geflohen. Die Priester hatten ihn gehen lassen. Aber sie hatten ihn gewarnt: wer Khalk’ru rief, der würde eines Tages auch von Khalk’ru gerufen werden.

Und nun, in dieser alaskischen Nacht, schien es, als würde Khalk’ru Leif Langdon rufen.

 

Auf ihrem weiteren Weg nach Norden gelangten sie in den Bergen in ein geheimnisvolles Tal, dessen felsiger Grund sich als eine Luftspiegelung entpuppte. Als sie hinabstiegen, entdeckten sie in einem ungewöhnlich warmen Klima ein märchenhaftes Land. Auf ihrer Wanderung kamen sie in das Reich des kleinen Volkes, der Rrrllya, die jenseits des weißen Flusses Nanbu lebten, geführt von einem menschlichen Mädchen, einem Findelkind namens Evalie.

Diesseits des Nanbu lebten die Ayjir, die Urrasse der Uiguren, angeführt von Lur, der Hexe, und Tibur, dem Schmied, die Khalk’ru opferten.

Die wachsende Liebe zwischen Leif und Evalie führte zur Hochzeit der beiden. Doch immer wieder erwachte Dwayanu in ihm, sodass das kleine Volk beschloss, ihn zur zerstörten Brücke Nansur zu bringen, um zu erfahren, wie stark das Blut der Ayjir und der Geist Dwayanus wirklich in ihm waren.

Die Vorväter der Ayjir und der Rrrllya hatten Nansur einst zerstört. Riesige Blutegel waren die Wächter in den weißen Wassern des Flusses. Kein Volk sollte ihn überqueren und das Gebiet des anderen betreten. So war es seit langer Zeit. Die Rrrllya hassten Khalk’ru und das Symbol des Kraken, das die Ayjir verehrten …

 

 

Zum Inhalt des vorangegangenen Teils

 

Der Felsen, auf dem ich stand, hatte einen flachen Kamm. Aber auf der anderen Flussseite hob sich aus dem Felsrücken ein gewaltiges viereckiges Fort aus dem gleichen schwarzen Gestein wie der Brückenbogen Nansurs. Es schien aus dem Fels gehauen zu sein. Seine Grundfläche musste gut eindreiviertel Quadratkilometer betragen. Trutzige runde und eckige Türme ragten über die Festungsmauern heraus.

Als ich diese gewaltige onyxschwarze Zitadelle betrachtete, hatte ich wieder dasselbe Déjà-vu-Gefühl wie damals, als ich in die Ruinenstadt in der Gobi-Oase geritten war. Außerdem war mein erster Gedanke, so müsste die Stadt Dis im Inferno ausgesehen haben, wie Dante sie beschrieb.

Dann erst sah ich, dass Nansur gebrochen war. Zwischen dem Bogen, der von unserer Seite emporführte, und jenem, der aus der schwarzen Zitadelle strebte, befand sich eine Lücke. Es sah aus, als hätte ein Riese genau in der Mitte einen mächtigen Hammer herabfallen lassen, der das schwarze Gestein zerschmetterte. Unwillkürlich fiel mir Bifröst ein, die Regenbogenbrücke zwischen der Erde und Asgard, über die die Walküren mit den Seelen der gefallenen Helden nach Walhall ritten, und ich dachte mir, das Sakrileg hätte nicht schlimmer sein können, hätte jemand es gewagt, Bifröst solcherart zu spalten.

Um die Zitadelle herum befanden sich andere Bauten – Hunderte von ihnen außerhalb der Mauern. Es waren Häuser aus grauem und braunem Stein mit Gärten davor. Diese Häuser verteilten sich über eine große Fläche. An allen Seiten der Stadt grünten fruchtbare Felder und dazwischen Obstgärten mit blühenden Bäumen. Eine breite Straße führte weit in die Ferne zu Felsen, die zum größten Teil hinter Dunstschleiern verborgen lagen. Ich war mir nicht sicher, aber ich glaubte, den schwarzen Schlund einer Höhlenöffnung dort zu sehen.

»Karak«, flüsterte Evalie. »Und die Nansurbrücke. Und, oh, Leif, mein Geliebter … Mein Herz ist so schwer!«

Ich hörte sie kaum. Mein Blick und meine Gedanken waren auf die Stadt gerichtet. Vage Erinnerungen wollten erwachen. Ich wehrte mich dagegen und legte meinen Arm um Evalie. Wir schritten weiter, und nun sah ich, weshalb Karak dort errichtet worden war, wo es stand. Auf der anderen Flussseite beherrschte die schwarze Zitadelle beide Enden des Tales, und als Nansur noch nicht durchtrennt gewesen war, auch diesen Zugang.

Plötzlich empfand ich ein ungeheures Verlangen, hinaus auf Nansur zu rennen und hinunter auf Karak zu schauen. Die Gemächlichkeit der Zwerge machte mich kribbelig. Ich schritt voraus. Die kleinen Krieger der Wachtstation umringten mich, ohne mich jedoch aufzuhalten. Sie starrten zu mir hoch, flüsterten einander zu, studierten mich mit ihren goldenen Augen.

Trommeln begannen zu wirbeln.

Fanfaren antworteten in der Zitadelle.

Immer schneller marschierte ich. Das unerklärliche Verlangen verzehrte mich nun fast. Ich wollte rennen. Ungeduldig schob ich die goldhäutigen Pygmoiden zur Seite.

»Langsam, Leif – langsam!«, hörte ich Jims warnende Stimme.

Ich achtete nicht darauf. Ich trat hinaus auf Nansur. Hier erst erkannte ich, wie breit die Brücke wirklich war – kein schmaler Streifen, wie es aus der Ferne geschienen hatte. Ein niedriges Geländer schützte an beiden Seiten. Hatte auch der Fluss sie aus dem Berg gespült, sie war von Menschenhand vollendet worden, und Menschenfüße und Pferdehufen hatten sie glatt getreten.

Ich erreichte die Trennstelle. Gut dreißig Meter unter mir floss der Nanbu ruhig dahin. Keine Schlangen waren zu sehen, aber ein stumpfroter, wurmförmiger, riesiger Leib hob sich aus der milchigen Flüssigkeit, gefolgt von zahllosen weiteren mit hungrig aufgerissenen Mündern. Die Blutegel des kleinen Volkes waren wachsam.

Zwischen dem Ende der Brücke und der Mauer der schwarzen Zitadelle erstreckte sich ein breiter Platz. Er war leer. Ein gewaltiges Bronzetor war in der Mauer zu erkennen. Ich spürte ein eigenartiges Kribbeln in mir und einen Klumpen im Hals.

Ich vergaß Evalie. Ich vergaß Jim. Ich vergaß alles, während ich auf dieses Tor starrte.

Lauter schmetterten die Fanfaren. Ich hörte das Knarren eiserner Riegel, und das Tor schwang auf. Ein ganzer Trupp trabte heraus, angeführt von zwei Reitern, einer auf einem mächtigen Rappen, der andere auf einem Schimmel. Sie rasten über den Platz und sprangen von ihren Pferden.

Dann traten sie hinaus auf die Brücke und schritten auf mich zu. Über den etwa fünfzehn Meter breiten Spalt hinweg musterten sie mich.

Der Reiter des Rappen war die Hexe. Der andere konnte nur Tibur, der Schmied sein. Tibur, der Lachende. Ich hatte in diesem Augenblick kein Auge für die rothaarige Zauberin und ihr Gefolge – ich sah nur Tibur!

Er war etwa einen Kopf kleiner als ich, aber seine breiten Schultern und die kompakte Statur verrieten, dass er zumindest über ebenso viel Kraft verfügte wie ich, wenn nicht mehr. Sein Haar hing in glatten Strähnen bis zu den Schultern. Es war genauso feuerrot wie sein struppiger Bart. Lachfalten kräuselten sich um seine violettblauen Augen, und dem breiten Mund sah man es an, dass er viel lachte. Aber das Lachen, das so deutliche Spuren in Tiburs Zügen hinterlassen hatte, kündete nicht von Fröhlichkeit.

Tibur trug ein Kettenhemd. Von seiner rechten Seite hing ein gewaltiger Streithammer. Von Kopf bis Fuß und von Fuß bis Kopf musterte er mich mit halb zusammengekniffenen, spöttischen Augen. Hatte ich Tibur, den Schmied, schon gehasst, ehe ich ihn überhaupt sah, so war das nichts gegen den Hass, den ich jetzt für ihn empfand.

Nun erst wanderte mein Blick von ihm zu der Hexe. Ihre kornblumenblauen Augen betrachteten mich aufmerksam, amüsiert und gleichzeitig verwundert. Auch sie trug ein Kettenhemd. Ihre roten Zöpfe hingen lang herab. Ihr Gefolge, das sich hinter ihr und Tibur drängte, sah ich nur undeutlich.

Tibur beugte sich vor.

»Willkommen – Dwayanu!«, rief er höhnisch. »Was hat dich aus deinem Versteck gelockt? Meine Herausforderung?«

»Ah, dann warst du es, den ich gestern wie ein Maultier wiehern hörte«, erwiderte ich. »Du hast eine sichere Entfernung für dein Geheule eingehalten, roter Hund!«

Ich hörte ein Lachen aus dem Trupp um die Hexe und bemerkte jetzt erst, dass sie alle Frauen waren, hellhäutig und rothaarig wie sie selbst, und dass Tibur von zwei hochgewachsenen Männern begleitet war. Die Hexe schwieg. Sie wandte den Blick nicht von mir und schien zu überlegen.

Tiburs Gesicht lief dunkel an. Einer der Männer trat neben ihn und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Tibur nickte. Er stapfte unmittelbar an den Rand des Spalts.

»Bist du vielleicht in der langen Zeit weich geworden, Dwayanu?«, höhnte er. »Nach den alten Sitten müssen wir uns erst durch die alte Prüfung vergewissern, ehe wir dich anerkennen – großer Dwayanu. Pass auf!«

Blitzschnell umfasste seine Hand den Hammerschaft. Er schleuderte die schwere Waffe nach mir.

Mit der Geschwindigkeit einer Gewehrkugel sauste der Hammer durch die Luft – und doch schien mir, als nähere er sich nur langsam. Ich konnte sogar sehen, wie der Riemen, der um Tiburs Arm geschlungen und am Hammer befestigt war, sich aufrollte.

Kleine Türen öffneten sich in meinem Gehirn. Die alte Prüfung! Und ob ich sie kannte! Ich wartete reglos ab, wie die alte Sitte es vorschrieb … Aber sie hätten mir einen Schild geben müssen – egal … Wie langsam der große Hammer doch kam – und es schien mir, als bewege sich auch meine Hand, die ich ihm entgegenstreckte, wie im Zeitlupentempo.

Ich bekam den Hammer zu fassen. Er wog gut zwanzig Pfund, aber ich packte ihn ohne jegliche Anstrengung am Metallschaft. Hah! Als ob ich mit diesem Trick nicht vertraut wäre! Die kleinen Türen öffneten sich noch weiter … Es gab noch einen Trick! Mit der anderen Hand griff ich nach dem Riemen, der den Streithammer zu Tibur zurückbringen sollte, und zog daran.

Das Lachen gefror auf Tiburs Gesicht. Er schwankte auf den Beinen und versuchte, Halt zu finden.

Hinter mir hörte ich die pfeifenden Schreie der Pygmoiden …

Die Hexe riss einen Dolch aus dem Gürtel und durchtrennte hastig den Riemen. Mit aller Kraft zerrte sie Tibur zurück, der schon halb über dem Rand der Brücke hing.

Wut überschwemmte mich – das war gegen die Regeln … nach der alten Prüfung durfte niemand sich einmischen …

Ich wirbelte den großen Hammer über den Kopf und schickte ihn zu Tibur zurück. Er surrte durch die Luft. Tibur warf sich zur Seite, aber nicht flink genug. Der Hammer traf ihn an der Schulter, das heißt, er streifte ihn nur. Aber der Schmied ging zu Boden.

Und nun lachte ich – nicht weniger laut und höhnisch als Tibur am Tag zuvor.

Die Hexe lehnte sich vor. Sie starrte mich an, als könne sie das Ganze einfach nicht glauben. Ihr Gesicht wirkte nicht länger amüsiert.

Tibur hob sich auf ein Knie und funkelte mich an. Seine Züge waren vor Hass verzerrt.

Weitere Türen, winzige Türen, öffneten sich in meinem Gehirn … Sie wollten also nicht glauben, dass ich Dwayanu war … Hah! Ich würde es ihnen zeigen.

Ich griff nach meiner Gürteltasche, riss den Lederbeutel auf, nahm Khalk’rus Ring heraus. Ich hielt ihn hoch. Das grüne Licht spiegelte sich darin, ließ ihn aufleuchten. Der gelbe Stein schien anzuschwellen. Der schwarze Krake wuchs …

»Bin ich Dwayanu? Seht her! Bin ich Dwayanu?«

Ich hörte eine Frau schreien – ich kannte diese Stimme. Und ich hörte einen Mann rufen, mir zubrüllen – und auch diese Stimme kannte ich.

Die kleinen Türen schlossen sich. Die Erinnerungen, die durch sie herausgedrungen waren, huschten eilig zurück, ehe sie ganz zuschlugen.

Weshalb schrie Evalie so? Und Jim – Jim brüllte mich an! Was war nur los mit ihnen? Evalie stand mir gegenüber, abwehrend die Hände ausgestreckt. Ihre Augen hingen ungläubig, voll Entsetzen und Abscheu an mir. Reihe um Reihe der kleinen Menschen schob sich vor die beiden, trennte mich von ihnen. Ihre Speere waren auf mich gerichtet. Die Rrrllya zischten wie Schlangen, ihre Gesichter waren von Hass verzerrt, ihre Blicke hingen an Khalk’rus Ring, den ich immer noch hoch über meinen Kopf hielt.

Und jetzt sah ich, dass der Hass sich auch auf Evalies Gesicht spiegelte – und die Abscheu sich vertiefte.

»Evalie!«, schrie ich und wäre auf sie zugelaufen.

Die Arme der Pygmoiden holten zum Speerwurf aus. Die Pfeile zuckten an die Sehnen.

»Beweg dich nicht, Leif! Ich komme!« Jim setzte zum Sprung an. Sofort warfen sich die Rrrllya von allen Seiten auf ihn. Er schwankte und ging unter dem Gewicht ihrer Körper zu Boden.

»Evalie!«, schrie ich erneut.

Da bemerkte ich, wie die Abscheu wich und tiefer Schmerz ihn ablöste. Sie gab einen Befehl.

Ein Dutzend der kleinen Krieger schossen zu beiden Seiten an ihr vorbei auf mich zu und warfen im Laufen Bogen und Speere von sich. Verwirrt sah ich sie heranstürmen. Sri war unter ihnen.

Sie stießen wie lebende Rammböcke gegen mich. Ich wurde zurückgeworfen. Mein Fuß glitt ins Leere …

Wie keifende Terrier hingen die Pygmoiden an meinen Beinen – und so stürzte ich über den Rand der Nansurbrücke hinunter in den von Riesenegeln wimmelnden Fluss Nanbu.

 

 

***

Buch 1

 

 

Lur

 

 

1. Karak

 

Glücklicherweise war ich so geistesgegenwärtig, die Hände über den Kopf zu werfen, und so tauchte ich mit den Füßen voraus unter. Die Pygmoiden, die an meinen Beinen hingen, erleichterten das natürlich. Als ich auf dem Wasser aufschlug, sank ich tief, immer tiefer. Man sagt doch, wenn man ertrinkt, ziehe wie ein rückwärtslaufender Filmstreifen in Sekundenschnelle das ganze Leben an einem vorbei. Ich kann nicht sagen, ob das stimmt, ich weiß nur, dass während meines langen Unter- und Wiederauftauchens mein Verstand schneller arbeitete als je zuvor.

Als Erstes wurde mir klar, dass Evalie mich von der Brücke hatte werfen lassen. Das erfüllte mich mit brennender Wut. Weshalb hatte sie nicht gewartet und mir eine Gelegenheit gegeben, den Ring zu erklären? Dann dachte ich, wie oft mir diese Gelegenheit schon geboten gewesen war und ich sie nur nicht genutzt hatte. Ich sah auch ein, dass die Rrrllya sich nicht mehr hätten zurückhalten lassen, dass Evalie mich ohnehin vor ihren Speeren geschützt und mir eine Chance gegeben hatte, um mein Leben zu retten, auch wenn diese Chance kaum Aussicht auf Erfolg gehabt hatte.

Verärgert wurde mir klar, wie unüberlegt es von mir gewesen war, gerade in diesem Augenblick den Ring hervorzuholen. Ich konnte es den Kleinen nicht einmal verübeln, dass sie mich für einen Abgesandten Khalk’rus hielten. Da sah ich auch wieder den Schmerz in Evalies Augen, und mein eigener wilder Kummer vertrieb die Wut.

Danach drängte sich mir unwillkürlich der Gedanke auf, dass Tiburs Hammerspiel den Asengott Thor und seinen Hammer Mjölnir erklärte, der nach jedem Wurf in seine Hand zurückkehrte. Um das Ganze wundersamer erscheinen zu lassen, hatten die alten Skalden den Riemen unterschlagen. Hier war also eine weitere Verbindung zwischen den Uiguren oder Ayjir und den Asen – ich musste mich mit Jim darüber unterhalten. Und da wurde mir plötzlich klar, dass ich nicht zu ihm zurückkonnte. Denn ganz gewiss würden die Pygmoiden mir auflauern, und genauso sicher würden sie mich zurück zu den Tlanu’si, den Blutegeln, stoßen, sollte es mir gelingen, ihre Seite des Nanbu-Ufers zu erreichen. Bei diesem Gedanken brach mir der kalte Schweiß aus – falls so etwas überhaupt möglich ist, wenn man vom Kopf bis Fuß im Wasser steckt. Eher würde ich mein Leben unter den Speeren und Pfeilen der Rrrllya, ja selbst durch Tiburs Hammer aushauchen, als mir von diesen grauenvollen Flussgeschöpfen das Blut aussaugen zu lassen.

Gerade in diesem Augenblick stieß ich an die Oberfläche Nanbus. Ich trat Wasser, wischte mir die Augen aus und sah auch schon den roten gallertigen Rücken eines Tlanu’sis aus einer Entfernung von etwa sieben Meter auf mich zugleiten. Ich warf einen verzweifelten Blick um mich. Die Strömung war hier ziemlich stark und hatte mich bereits mehrere hundert Meter von der Brücke fortgetragen und zwar nicht nur flussabwärts, sondern auch in Richtung des Karak-Ufers, das etwa fünfzehn Meter entfernt lag. Ich wandte mich wieder dem Egel zu. Er kam langsam näher, als hege er nicht den geringsten Zweifel, dass ich ihm sicher war. Ich beabsichtigte, unter ihm hinwegzutauchen und zu versuchen, das Ufer zu erreichen. Wenn es nur nicht so viele seiner Sorte gäbe!

Ich hörte einen zwitschernden Schrei. Sri schoss an mir vorbei. Er hob einen Arm und deutete auf Karak. Ganz offensichtlich wollte er, dass ich so schnell wie möglich dort hinschwimme. Ich hatte ihn völlig vergessen gehabt, wenn ich von meinem flüchtigen Ärger absah, als ich bemerkte, dass er sich meinen Gegnern angeschlossen hatte. Jetzt erkannte ich, wie unrecht ich ihm getan hatte. Er schnellte sich geradewegs auf den riesigen Tlanu’si und schlug ihn heftig auf die Maulpartie. Das grässliche Wesen stupste und beschnupperte ihn doch tatsächlich! Ich verschwendete keine Zeit, um mehr zu sehen, sondern stieß mich, so schnell meine Stiefel es zuließen, zum Ufer.

Es war wahrhaftig kein Schwimmvergnügen. Es wimmelte hier von den roten gallertigen Rücken. Zweifellos bewahrte allein Sris Anwesenheit mich vor ihrem Angriff. Er hatte sich gegen die Strömung zu mir zurückgekämpft, jetzt umschwamm er mich in einem größeren Bogen und hielt mir die Blutsauger fern.

Meine Füße berührten steinigen Grund. Stolpernd brachte ich mich das Ufer hoch in Sicherheit. Der goldenhäutige Pygmoide rief mir noch etwas zu, aber ich konnte es nicht verstehen, das Rauschen des Flusses war zu laut. Nach Luft keuchend blieb ich stehen und sah ihm nach, als er wie ein gelber fliegender Fisch durch das Wasser schoss. Ein halbes Dutzend der roten Tlanu’si folgten ihm gemächlich.

Ich blickte zur Nansurbrücke hoch. Auf der Hälfte, die zur Seite des kleinen Volkes gehörte, drängten sich die Rrrllya und beobachteten mich. Die andere Seite war leer. Neugierig sah ich mich um. Ich stand im Schatten der schwarzen Zitadellenmauern. Glatt und unerklimmbar erhoben sie sich gut dreißig, wenn nicht vierzig Meter. Zwischen mir und ihnen befand sich ein weiter Platz, ähnlich dem, über den Tibur und die Hexe von dem Bronzetor herausgeritten waren. Gedrungene einstöckige Steinhäuser umgaben ihn und davor viele kleine, blühende Bäume. Hinter diesen Häusern sah ich andere, größere, die prunkvoller schienen und weiter auseinanderstanden.

Aus den Häusern um den Platz und vom Markt eilten Dutzende von Menschen auf mich zu. Ihre Lautlosigkeit war mir unheimlich. Sie riefen einander nicht zu, winkten keine weiteren herbei – sie konzentrierten sich ausschließlich auf mich. Ich tastete nach meiner Pistole und fluchte, als ich mich erinnerte, dass ich sie schon seit Tagen nicht mehr getragen hatte. Etwas blitzte an meiner Hand …

Khalk’rus Ring! Ich musste ihn mir über den Daumen gestreift haben, als die Pygmoiden auf mich einstürmten. Nun, der Ring hatte mich hierhergebracht. Zweifellos würde seine Wirkung auf die mir entgegenströmenden Menschen nicht geringer sein, als sie auf die gewesen war, die mich auf der anderen Seite der Brücke herausgefordert hatten. Wie auch immer, er war alles, was ich besaß. Ich drehte ihn so, dass der Stein in meiner Hand verborgen war.

Sie waren inzwischen ganz nahe gekommen. Hauptsächlich waren es Frauen und große und kleine Mädchen. Sie trugen fast alle die gleiche Kleidung – einen Kittel, der bis zu den Knien reichte und die linke Brust freiließ. Ohne Ausnahme waren sie rothaarig und blauäugig, ihre Haut von kremigem Weiß und einem Hauch Rosa, hochgewachsen, kräftig und von makelloser Gestalt. Sie hätten leicht Wikingerinnen sein können, die herbeieilten, um ihre Männer, Väter und Brüder auf einem heimkehrenden Langschiff willkommen zu heißen. Die Kinder erschienen mir wie kleine blauäugige Engel. Ich musterte auch die Männer, es waren nicht viele, zwölf höchstens. Auch sie hatten rotes Haar und blaue Augen, die älteren einen kurzgestutzten Bart, die jüngeren glatte Gesichter. Sie waren alle um mehrere Zentimeter kleiner als die Frauen. Aber keiner, weder Männer noch Frauen, reichten mir viel weiter als bis etwa zu den Ohren. Sie trugen keine Waffen.

Ein paar Meter vor mir blieben sie stehen und starrten mich schweigend an. Sie musterten mich, und ihr Blick blieb an meinem blonden Haar hängen.

Am hinteren Rand der Menge entstand Bewegung. Ein Dutzend Frauen bahnte sich einen Weg. Wortlos marschierten sie auf mich zu. Sie trugen kurze Röcke, in ihren Gürteln steckten Schwerter, und in ihren Händen hielten sie Speere. Im Gegensatz zu den anderen Mädchen waren beide Brüste bedeckt. Sie umzingelten mich, mit den Speeren auf mich gerichtet, dass deren Spitzen mich fast berührten.

Die Führerin blickte mich mit herausfordernden, stahlblauen Augen an, die eher zu einem Soldaten als einer Frau passten.

---ENDE DER LESEPROBE---