Das Wehrmannsgewehr - Wolfgang Finze - E-Book

Das Wehrmannsgewehr E-Book

Wolfgang Finze

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Beschreibung

Wenn heute beim Deutschen Schützenbund von Traditions-waffen die Rede ist, ist üblicherweise die klassische Scheiben-büchse, der Feuerstutzen, gemeint. Manchmal wird hier auch der Zimmerstutzen genannt, obwohl gerade diese Waffe beim DSB bestenfalls als Übungswaffe für die Wintermonate geduldet wurde. Dabei gibt es eine Waffe, die, genau wie der Feuer-stutzen, Teil der Traditionen des Deutschen Schützenbundes ist: Das Wehrmannsgewehr. Obwohl heute kaum noch bekannt, markiert diese Waffe den Aufbruch des Schützenbundes in die Moderne, die von interna-tionalen Wettkämpfen und Leistungsvergleichen geprägt ist. Um zu verstehen, wieso das militärisch anmutende Wehr-mannsgewehr zur Tradition des Schützenbundes gehört, ist ein Blick auf die Geschichte des Deutschen Schützenbundes und auf die Entwicklung des Schießsports notwendig, und zwar von 1861 (dem Gründungsjahr des Deutschen Schützenbundes) bis in die Zeit der nationalsozialistischen Umgestaltung des gesamten Schützenwesens. Gestützt auf zeitgenössische Artikel, Akten der Firma Mauser und auf andere zeitgenössische Quellen wird hier die Geschichte des Wehrmannsgewehrs und seines Vorläufers, des Deutschen Schützengewehrs, erzählt. Ebenso werden Details zu den Fertigungszahlen der Hersteller Mauser und Hänel veröffentlicht und auf die Munition der Wehrmannsgewehre eingegangen.

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Meiner Frau gewidmet

Danksagungen

Es ist die angenehme Pflicht des Autors, all denen zu danken, die mit Informationen oder durch Überlassen von Unterlagen zum Zustandekommen dieses Buches beigetragen haben. Dank sei folgenden Personen ausgesprochen, die bei den Vorbereitungen für dieses Buch wertvolle Unterstützung leisteten.

Michael Hammer

Dr. Dr. Werner Müller

Georg Reitmeyer

Christoph Riedel

Walter Schmid

Jon Speed

Ein ganz besonderer Dank geht an Frau Brigitte Hölscher in München, Herrn Josef Albl in Oberammergau und an Herrn Stefan Gruß in Wiesbaden, ohne deren uneigennützig überlassenes Material dieses Buch nicht hätte entstehen können.

Inhalt

Vorwort

Von 1861 bis zum Ende des 1. Weltkriegs

Die Hebung der Wehrfähigkeit

Die Deutsche Schützenwaffe

Die Entstehung des Wehrmannsgewehrs

Der erste Weltkrieg

Der Deutsche Wehrmannsbund

Die Bundesschießen

Internationale Wettkämpfe

Die Olympischen Spiele

Die UIT

Von 1919 bis 1936

Die Idee des Einheitsgewehrs

Die olympischen Spiele

Kleinkaliber im DSB

Kleinkaliber in anderen Verbänden

Die nationalsozialistische Gleichschaltung

Was ist ein „Wehrmannsgewehr“

Schießen mit dem Wehrmannsgewehr

Hersteller von Wehrmanngewehren

Mauser

Haenel

Umbau zum Wehrmannsgewehr

Stempel auf Wehrmannsgewehren

Das Visier der Wehrmannsgewehre

Munition

Die Hülse

Die Ladung

Das Geschoss

Das Wehrmannsgewehr heute

Anlage – Mitgliederentwicklung des DSB

Literatur

Vorwort

Der Deutsche Schützenbund wurde 1861 in Gotha gegründet und musste sich 1936 zwangsweise auflösen. Zwischen dem damaligen Schützenbund und seinem 1951 in Köln gegründeten Nachfolger gleichen Namens gibt es allerdings große Unterschiede. Der größte Unterschied ist, dass der damalige Schützenbund nicht die Massenorganisation war, die er heute ist, denn selbst zu seinen besten Zeiten hatte er kaum mehr als 60.000 Mitglieder.

Wenn heute von „Traditionswaffen“ des Deutschen Schützenbundes die Rede ist, ist üblicherweise die klassische Scheibenbüchse, der Feuerstutzen, gemeint. Dabei gibt es noch eine andere Waffe, die, genau wie der Feuerstutzen, Teil der Traditionen des Deutschen Schützenbundes ist: Das Wehrmannsgewehr (üblich ist auch die Schreibweise Wehrmanngewehr).

Gerade dieses Gewehr markiert den Aufbruch des Schützenbundes in die Moderne, die von internationalen Wettkämpfen und Leistungsvergleichen geprägt ist. Die 1903 erfolgte Aufnahme des Wehrmannsgewehrs in die Schießdisziplinen der Deutschen Bundesschießen war kein Zeichen einer speziell deutschen Militarisierung des Schießsports, sondern lediglich das verspätete Aufgreifen international längst üblicher Entwicklungen.

Auch wenn der Name „Wehrmannsgewehr“ Assoziationen zu „Wehrsport“ nahelegt, haben Wehrmannsgewehre nichts mit dem von den Nationalsozialisten geförderten Wehrsport zu tun.

Tatsächlich war der staatlich geförderte Wehrsport der Anfang vom Ende des Schießens mit Wehrmannsgewehren, denn nach dem Willen der nationalsozialistischen Führung sollte der Wehrsport mit eigens dafür entwickelten Kleinkalibergewehren betrieben werden. Kleinkaliberwaffen boten eine Reihe von Vorteilen:

Die preiswerte Munition.

Der (verglichen mit Großkaliber-Waffen) eher geringe Preis der Waffen.

Kleinkaliber-Schießstände ließen sich schnell und preiswert (fast) überall errichten, denn die Sicherheitsanforderungen an die Schießstände waren geringer als beim Großkaliberschießen.

Der Rückschlag der KK-Waffen beim Schießen war fast unmerklich.

Dazu kam die eher irrationale Überlegung der nationalsozialistischen Machthaber, die die sehr guten Schießleistungen der US-Soldaten im ersten Weltkrieg darauf zurückführten, dass in den USA sehr viel mit Kleinkalibergewehren geschossen wurde.

Erst mit dem nach 1990 vor allem in Süddeutschland wieder erwachten Interesse am traditionellen Schießen mit dem Feuerstutzen wurde auch das Wehrmannsgewehr „wieder entdeckt“ und gehört heute, neben dem Zimmerstutzen und der „alten Scheibenpistole“ zum Programm der alljährlich stattfindenden offenen bayerischen Meisterschaften für Traditionswaffen.

Um zu verstehen, warum das militärisch anmutende Wehrmannsgewehr Teil der Tradition des Schützenbundes ist und warum gerade diese Waffe den Aufbruch hin zu einem modernen Schießen markiert, ist ein Blick auf die Geschichte des Deutschen Schützenbundes notwendig.

Gestützt auf zeitgenössische Literatur, Artikel aus zeitgenössischen Schützenzeitungen, der Autobiographie von Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha, der „Provinzial-Correspondenz“ sowie auf Akten der Firmen Haenel und Mauser wird hier die Geschichte des Wehrmannsgewehrs erzählt, wobei technische Details des Gewehrs nur soweit erwähnt werden, wie sie für die Geschichte des Wehrmannsgewehrs von Bedeutung sind.

Im Text Verwendete Abkürzungen

BSZ: Bayerische Schützenzeitung

DDS – Der Deutsche Schütze

DSZ – Deutsche Schützenzeitung

DSWZ – Deutsche Schützen- und Wehrzeitung

DKKS – Deutsches Kleinkaliber-Scheibenschießen

SuW – Schuss und Waffe

VDSZ – Vereinigte Deutsche Schützenzeitung

Von 1861 bis zum Ende des 1. Weltkriegs

Schützenvereine und Schützengilden gab es in Deutschland schon im Mittelalter. Nach den Befreiungskriegen, insbesondere aber nach der Revolution von 1848 gewann der Gedanke an einen einheitlichen und starken deutschen Staat auch unter den Schützen immer mehr Anhänger.

Anfang 1861 lud die Altschützengesellschaft Gotha alle deutschen Schützen zu einem großen gemeinsamen Schützenfest in Gotha ein und verschickte dazu einen Aufruf1 an Schützenvereine in ganz Deutschland.

„Getragen von der Idee, daß ein enges Aneinanderschließen der Deutschen nach jeder Richtung hin nottut, und beseelt von dem Gedanken, daß insbesondere die Bildung deutscher Schützenvereine, die Einführung einer gleichmäßigen Schützenwaffe, die richtige Handhabung derselben angestrebt werden muß, von der Ueberzeugung durchdrungen, daß die Einigung gefördert wird durch nationale Feste, daß insbesondere das Schützenwesen gehoben werden wird, durch allgemeine Preis- und Wettschießen, durch den persönlichen Verkehr der Schützen aller deutschen Stämme, haben eine Anzahl Männer der Stadt Gotha sich vereinigt zur Veranstaltung eines Deutschen Schützenfestes….“

Das Schützenfest fand vom 08. bis zum 11. Juli im Anschluss an das thüringische Turnfest statt. Die Gothaer Schützen baten Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha im Mai 1861, den Ehrenvorsitz zu übernehmen. Er antwortete2 am 24. Mai:

„Mit umso größerer Bereitwilligkeit komme ich diesem Wunsche entgegen, als der leitende Gedanke zu dem sich endlich ausführbar gewordenen Feste vor Jahren von mir selbst ausging und ich mit allen guten Patrioten freudig eine Zeit begrüße, in welcher unser deutsches Volk jeden Anlaß zur Kundgebung seines Nationalgefühls mit Jubel ergreift und sich im Streben nach erhöhter Kraft des Vaterlandes gerne wetteifernd aus allen Gauen zusammenfindet. Das Gefühl der Mannhaftigkeit des Einzelnen und das Verlangen nach Wehrhaftigkeit des ganzen Volkes durchdringt jetzt die Gesammtheit.“

Wer war dieser Herzog, der hier den Ehrenvorsitz des Thüringer Schützenfestes übernahm und in der Folge großen Einfluss auf die Gründung des Schützenbundes ausübte?

Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha (1818 – 1893) war der Regent des Herzogtums Sachsen-Coburg und Gotha und gehörte zum europäischen Hochadel. Sein Onkel war König der Belgier, sein jüngerer Bruder Albert mit Königin Victoria von England verheiratet. Ernst II. war mit dem preußischen Kronprinzen Wilhelm (dem späteren Kaiser Wilhelm I.) sehr gut bekannt, wenn nicht sogar befreundet.

Seit dem 01.05.1850 war Ernst II. Chef des preußischen Kürassier-Regiments von Seydlitz (Magdeburgisches) Nr.7 und ab 1857 preußischer General der Kavallerie. Ernst II. galt als liberal und unterstützte alle Bewegungen, die ein einheitliches Deutschland zum Ziel hatten.

Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha3 als preußischer General der Kavallerie

Insgesamt folgten über 900 Schützen aus 236 Orten in Deutschland dem Ruf nach Gotha. Der Herzog begrüßte sie mit folgender Rede4:

„Der Gedanke der Vereinigung deutscher Schützen rief schon vor Jahrhunderten die Schützengilden zu gemeinsamen Festen zusammen. Aber unaufhaltsam gingen die Wogen der Zeit über diese früheren Versuche hinweg.

Das Alte sank in Trümmer. Ein neues Leben ist erstanden und aus den alten Grundvesten erblüht in jugendlicher Frische ein neuer Gedanke.

Kraft und Geschicklichkeit sollen nach Preisen ringen, um den Einzelnen, gehoben durch das Bewußtsein seines Werthes, dem Ganzen brauchbar zuzuführen.

Das Hauptziel des gemeinsamen Strebens sei Wahrung der Ehre und Schutz des großen deutschen Vaterlandes.

In diesem Gedanken laßt uns die Bruderhand reichen.“

Am Dienstag (09.07.1861) Abend fand eine Versammlung des Nationalvereins statt, der5

„die Bestrebungen zur Erhöhung der Wehrkraft willkommen heißt und es für Pflicht jedes deutschen Mannes erklärt, auf die Erweckung des dahin gerichteten Sinnes auch in der deutschen Jugend hinzuwirken.“

Im Präsidium bemühte sich Ernst II., die Gründungsversammlung zu lenken. In seinen Memoiren schreibt6 er dazu:

“Meiner Überzeugung nach waren drei Dinge zu erreichen, nicht mehr und nicht weniger: Allgemeiner deutscher Schützenbund, Gründung eines Vereinsorgans, Leitung des Bundes durch ein ständiges Comité.

In der Versammlung, welcher ich präsidierte, kamen aber Tendenzen viel weitergehender Art zum Ausdruck. Schlimm stand es namentlich mit den Ansichten über die Organisation des Bundes. Da verlangten die Radicalen vollständige militärische Gliederung und Bezirkseintheilung, einen obersten Führer und die Entwicklung eines Volksheeres. …

Andererseits fehlte es nicht an Vertretung der conservativsten Anschauungen, und es gab particularistisch gesinnte Schützen genug, welche das Wesen der alten Compagnien erhalten wollten …

Man hatte nicht geringe Mühe, diese Gegensätze auszugleichen. Doch war es mit Hilfe gemäßigterer und einflußreicher Männer … gelungen, die Mehrzahl der Schützen auf dem richtigen Mittelwege zu halten, …

So trat ich mit guten Hoffnungen des Gelingens am 11. Juli um 10 Uhr Vormittags in den großen Saal des Schießhauses und hielt an die zahlreich versammelten Schützen die folgende Anrede.“

In dieser Rede führte er unter anderem aus7:

„Lassen Sie uns vergessen, wo unsere Wiegen stehen, ob im Norden oder Süden, ob im Osten oder Westen Deutschlands; lassen Sie uns einen großen gemeinsamen deutschen Schützenbund gründen. Einmal, um gemeinsame Normen zu finden für die größeren und kleineren Schützenfeste, eine gemeinsame Schützenordnung; zum andern Mal, um die ganze große Schar der Schützen des großen Bundes der bewaffneten und gut geschulten Jugend gleichsam als eine Reserve der Armee an die Seite zu stellen…. Ich bitte diejenigen, die mit mir übereinstimmen, sich erheben zu wollen.

Da sich alle Anwesenden von ihren Plätzen erhoben hatten, schloss er seine Rede so:

„Meine Herren, Sie haben sich einmüthig erhoben. – Der Deutsche Schützenbund ist gegründet.“

Damit war am 11. Juli 1861 im Gothaer Schießhaus der Deutsche Schützenbund gegründet worden. Die 1861, kurz nach Gründung des Schützenbundes, ausgearbeitete Satzung sah vor:

„Der Zweck des Deutschen Schützenbundes ist die Verbrüderung aller deutschen Schützen, Vervollkommnung in der Kunst des Büchsenschießens und Hebung der Wehrfähigkeit des Deutschen Volkes.“

Als Bundesfarben wählte man „Schwarz-Rot-Gold“ und hielt an diesen Farben auch nach 1871 fest.

Sport im heutigen Sinne kam in der Satzung nicht vor, denn er war 1861 noch völlig unbekannt. Ein zeitgenössisches Lexikon erklärt den Begriff „Sport“ so:

„Sport, engl., Scherz, Spiel, dann Vergnügungen, zu denen Kraft u. Gewandtheit gehört, namentlich Reiten und Jagd; S.smen, Leute, welche es mitmachen.“

Auch „Pierers Universallexikon“ 8 führt zum Begriff „Sport“ aus:

„Sport (engl.), 1) Spiel, Lust, Scherz, Belustigung, ländliches Vergnügen; bes. 2) alle Vergnügungen, welche körperliche Gewandtheit u. Kraft, sowie persönlichen Muth erfordern, als Wettrennen zu Roß (Reitsport), Jagd etc. Bei der Vorliebe der Engländer für dergleichen Vergnügungen ist das Sportwesen namentlich in England unter allen Klassen der Gesellschaft am meisten ausgebildet u. zu einer Art Kunst u. Wissenschaft entwickelt, deren Kenntniß dem vollendeten Gentleman unentbehrlich ist. …“

„Sport“ war danach also etwas, das englische Gentlemen zu ihrem Vergnügen taten und hatte nichts mit dem Anliegen des Schützenbundes zu tun.

Der Schützenbund orientierte sich am Vorbild des Schweizer Schützenbundes. Mitglied werden konnte:

„… jeder Deutsche, welcher im Vollgenuss der staatsbürgerlichen und Ehrenrechte seines Heimathlandes und Mitglied eines Deutschen Schützen- oder Wehrvereins ist.“

Die Mitgliedschaft im Schützenbund musste jährlich erneuert werden, der Beleg dafür war die Mitgliedskarte. Mit dem Lösen der Mitgliedskarte war ein Schütze unmittelbares Mitglied des Deutschen Schützenbundes, nicht aber der Verein, dem er angehörte. Die Ursache dafür waren die Vereinsgesetze einiger deutscher Staaten, die einen überregionalen Zusammenschluss von Vereinen verboten9.

Die Mitglieder des Schützenbundes kamen fast ausschließlich aus dem Bürgertum10, waren in Süddeutschland „begüterte Leute aller Klassen“, in Norddeutschland „vermögende Leute der besseren Bürgerkreise“, waren also kein „Querschnitt der Bevölkerung“. Noch 1930 fanden sich in den Voraussetzungen für die Mitgliedschaft in einem Schützenverein Formulierungen wie diese11:

„Jeder unbescholtene selbständige Gewerbetreibende, oder der sich in gleicher achtbarer gesellschaftlicher Stellung befindet, kann Mitglied werden, …“

12

Banner des Deutschen Schützenbundes (Vorderseite)

Bereits kurz nach seiner Gründung gab der Schützenbund eine eigene Zeitung heraus. Da man den Anspruch hatte, dass die Schützen Teil der bewaffneten Macht wären, nannte sich die Zeitung „Deutsche Schützen- und Wehrzeitung“ und enthielt auch Artikel zu militärischen Themen.

In den Jahren nach 1890 wurde die innere Organisation des Schützenbundes modernisiert. So schloss der Schützenbund 1890 eine Zieler-Unfallversicherung ab, der 1897 eine Haftpflichtversicherung für Schützengesellschaften folgte. Schloss sich der Verein dieser Versicherung an, wurden alle seine Mitglieder automatisch Mitglieder im Deutschen Schützenbund. Nach einer längeren Diskussion wurde 1897 eine ständige Geschäftsstelle in Nürnberg eingerichtet. All das wirkte sich positiv auf die Mitgliederentwicklung aus. Gab es 1889 5.021 Mitglieder, stieg ihre Zahl 1891 auf 9.693. Auf den Schießbetrieb in den Vereinen hatte diese Modernisierung aber keine Auswirkungen, man schoss weiterhin stehend freihändig, genau wie 1861. Selbst nachdem die Schützen anderer Länder längst kniend und liegend schossen, hielt man im Schützenbund am Anschlag „stehend freihändig“ fest.

1906 wurde die Redaktion der „Deutschen Schützen- und Wehrzeitung“ von Bremen nach Nürnberg verlegt. Gleichzeitung wurde der Titel in „Deutsche Schützenzeitung“ geändert. In einem redaktionellen Beitrag13 wird die „Deutsche Schützenzeitung“ jetzt ausdrücklich als „Sportzeitschrift“ bezeichnet, enthielt aber weiterhin auch Beiträge zu militärischen Themen.

Eines der in der Satzung festgelegten Ziele des Deutschen Schützenbundes war die Hebung der Kunst des Büchsenschießens. Neben der Verbesserung der Schießfertigkeit (die als Teil der „Hebung der Wehrfähigkeit“ gesehen wurde) wollte der Schützenbund durchsetzen, dass ausschließlich auf die Entfernungen von 175m (Standschießen) und 300m (Feldschießen) geschossen wurde. Zudem wollte der Schützenbund das Aufgelegt-Schießen zurückdrängen. Allerdings konnte er sich mit diesen Forderungen nicht durchsetzen, denn die Schießpraxis in den Vereinen wurde vor allem durch Tradition und regionale Eigenheiten geprägt.

In vielen Vereinen (insbesondere in Nord- und Mitteldeutschland) wurde nach wie vor auch aufgelegt geschossen. Noch 1910 wird in einem Beitrag14 über das Deutsche Schützenwesen festgestellt:

„Ein weiterer Nachteil des heutigen Schützenwesens ist die grosse Bevorzugung des Aufgelegtschiessens; besonders in Berlin und in Norddeutschland überhaupt werden sehr viele Schiessen nur aufgelegt abgehalten, …“

Beim 5. Mecklenburgischen Landesschützenfest 1876 in Wismar15 wurden auf 114m 10 Scheiben für aufgelegtes Schießen aufgestellt, und in Bayern schoss man auf die in der bayerischen Schützenordnung festgelegte Entfernung von 130m.

Schon kurz nach der Gründung brach im Schützenbund ein Streit zwischen nord- und süddeutschen Schützen aus, wie der Begriff „stehend frei“ zu interpretieren sei, ob beim freihändigen Anschlag der Ellenbogen am Körper abgestützt werden durfte oder nicht. Die bayerische Schützenordnung von 1796 hatte festgelegt:

„… auch soll der Schütze sich nirgends an- oder auflehnen, und den Arm frey schwebend, das ist, so erhalten, daß der Ellbogen nicht an dem Leib anliege, sondern wenigstens zwey Finger breit von selbem entfernt stehe.“

Diese Festlegung wurde noch 1844 eingehalten16:

„Der Oberarm erhält eine Stellung, daß der Ellenbogen 5 – 8 Zoll vom Körper entfernt wird. Der linke Arm soll frei seyn und der Ellenbogen nicht an den Körper anliegen, welches nach bayerischer Schützen-Ordnung gar nicht gestattet werden soll.“

Im 1862 erschienenen „Deutschen Schützenbuch“ wird dieses Thema aufgegriffen und erklärt:

„Was heißt Freihandschießen? Antwort: Wenn der Schütze für seine Waffe keinen äußern festen Unterstützungspunkt bedarf und daher auf freiem Felde oder anderwärts sofort nach allen beliebigen Richtungen zu schießen vermag …

Es muß hier noch ausdrücklich erwähnt werden, daß der Ausschuß des deutschen Schützenbundes, der am 10. November 1861 in Braunschweig tagte, insofern gegen die frühere Schießordnung beim Gothaer Nationalschießen vorging, daß die eben in Schutz genommene Armstütze an den Körper künftighin gestattet ist …“

Die Treffer beim Schießen wurden vom (im Zielergraben oder in einem schusssicheren Unterstand stehenden) Zieler (auch Zeiger genannt) angezeigt. Der Schütze übernahm das Ergebnis und trug es in die Schießkladde ein. Da im Winter die Bedingungen auf den offenen Ständen für die Zieler nicht zumutbar waren, wurde üblicherweise nur von Ostern bis Ende Oktober geschossen. Bei größeren Wettbewerben wurde der Treffer von einem Schreiber eingetragen. Auf dem Bild der Schießhalle in Gotha (1861) sind die neben dem stehenden Schützen sitzenden Schreiber zu erkennen.

17

Die Trefferaufnahme durch einen Zieler und die Registrierung des Treffers durch einen Schreiber blieb lange üblich, wie das Bild auf Seite 189 zeigt.

Nach dem Krieg von 1866, der zur Auflösung des Deutschen Bundes und zur Gründung des norddeutschen Bundes führte, geriet der Schützenbund in eine Krise. Die Tiroler Schützen verließen den Deutschen Schützenbund, seine Mitgliederzahl sank.

Auch nach der Reichsgründung gab es einen Mitgliederschwund, denn viele Mitglieder hielten das 1861 aufgestellte Ziel der „Verbrüderung aller Deutschen“ jetzt für erfüllt und verließen den Bund.

Der Schützenbund hatte in seiner 1861 verfassten Satzung eine „Deutsche Schützenwaffe“ (siehe dazu ab Seite 27) festgelegt. Da schon 1868 beim Bundesschießen in Wien die ersten Hinterlader zu sehen waren, wurde bei der Vorbereitung des Bundesschießens 1872 in Hannover darüber beraten, ob nicht bereits für dieses Bundesschießen eine neue „Deutsche Schützenwaffe“ definiert werden sollte. Sie sollte ein Hinterlader sein und sich vom zukünftig beim Militär üblichen Gewehr ableiten18. Allerdings sprachen sich alle Diskussionsbeiträge gegen eine solche, aus ihrer Sicht verfrühte, Festlegung aus, denn19:

„Der richtige Hinterlader mit Einheitspatrone ist noch nicht festgestellt. Wer soll daher dem großen Teile der Schützen, der bereits und größtenteils mit den besten, teuersten Vorderladern ausgestattet ist, neuerdings zumuten, nun plötzlich wieder einen beliebigen Hinterlader anzuschaffen, …“

Andere argumentierten20:

„ … dass das Experimentieren mit neuen Waffen seit 1861 den einzelnen Mitgliedern des deutschen Schützenbundes bereits viele Kosten verursacht habe, und da man jetzt in den Büchsen mit Polygonalzügen sehr gute Gewehre besitze, und da es ja auch bei den Hinterladern noch nicht einmal feststehe, welches System endgültig adoptiert werden soll, so sprach man sich einstimmig gegen jede Änderung aus.“

Der Hinweis21 auf die nicht ausreichende Präzision der ersten Hinterlader war durchaus berechtigt.

„Der Rücklader ist unbestreitbar eine wichtige Erfindung in der Kriegstechnik, doch ist noch lange nicht bewiesen, dass derselbe dem Vorderlader in Bezug des genauen, egalen Schusses gleich kommt, ….

Der Rücklader ist für das Militär in Bezug des Schnellfeuers von wesentlichem Nutzen; die Lustschützen aber verlangen von ihren Büchsen, dass sie äußerst präzis schießen, so zu sagen Kugel auf Kugel setzen, dies leistet bis jetzt ein Rücklader noch nicht, …“

Letztlich gab es keinen Beschluss über eine neue Einheitswaffe, sondern lediglich eine Empfehlung an die Schießkommission22:

„…so empfehlen wir der Schießkommission nachstehendes Programm:

1) Rücklader

2) Armeepatrone

3) Abzug – (oder einfacher Stecher)

4) Offenes Korn und offenes Visier auf dem Lauf

5) Bajonett-Vorrichtung

6) Gewicht bis 11 oder 12 Pfund“

Diese Empfehlung blieb ohne praktische Wirkung, denn die Entwicklung war so rasant, dass eine Konstruktion schon wieder veraltet war, ehe die Schießkommission darüber beraten konnte.

Die Ablösung der Vorderlader verlief langsamer als heute oft angenommen wird, der letzte Schütze mit einem Vorderlader trat auf dem 13. Bundesschießen 1900 in Leipzig an23