Das Werk des Edvard Munch - Beiträge von Stanislaw Przybyszewski - Stanislaw Przybyszewski - E-Book
SONDERANGEBOT

Das Werk des Edvard Munch - Beiträge von Stanislaw Przybyszewski E-Book

Stanislaw Przybyszewski

0,0
0,00 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 0,00 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Stanislaw Przybyszewskis Werk 'Das Werk des Edvard Munch - Beiträge von Stanislaw Przybyszewski' bietet einen faszinierenden Einblick in das Schaffen des renommierten Künstlers Edvard Munch. Przybyszewski analysiert Munchs berühmte Gemälde und beleuchtet deren Bedeutung innerhalb der modernen Kunstwelt des späten 19. Jahrhunderts. Sein literarischer Stil ist präzise und kritisch, was dem Leser ein tiefgreifendes Verständnis für Munchs originelle Techniken und Themen vermittelt. Dieses Buch hebt sich durch seine tiefgründige Analyse und sein Verständnis für Munchs persönlichen und künstlerischen Hintergrund von anderen Werken über den Künstler ab.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Stanislaw Przybyszewski

Das Werk des Edvard Munch - Beiträge von Stanislaw Przybyszewski

            Books
- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung [email protected]   2017 OK Publishing  

Inhaltsverzeichnis

Cover
Titelblatt
Text

Stanislaw Przybyszewski.

Ich hatte einmal einen Traum der buchstäblich in Erfüllung ging. Doch als das durch den Traum vorgedeutete Ereignis kam, da erfasste mich ein eigentümliches Gefühl, seltsam gemischt aus Angst, Grauen, Entsetzen, ein Gefühl von intensem Unbehagen: mein Gehirn bekam plötzlich einen Ruck, weil es merkte, dass das Gesetz von der psychischen Arbeit nach dem kleinsten Kraftmaasse eine Schlappe erlitt.

Und so fing ich dann an, mir die Geschichte zurechtzusetzen. Es ging ja nicht anders zu erklären, als dass mein Gehirn Dinge um sich sah und hörte, die „ich" nicht gesehen, noch gehört habe, die aber das Causalitätscontinuum bildeten, das sich schliesslich in dem Ereignis abgewickelt hatte. Diese Gehörs- und Gesichtseindrücke lagen da irgendwo in den Tiefen eines anderen Bewusstseins, lagen und hielten verwandte Eindrücke fest, ordneten und combinierten sich zu logischen Reihen, bis sie dann plötzlich in Persönlichkeitsbewusstsein traten.

Diese Manifestation meiner Individualität, die sieht und hört, was meine Persönlichkeit nicht wahrnehmen kann, diese Offenbarung von einem Etwas in mir, das ein anderes Leben führt, als das, welches mir bewusst wird, das feinere Sinnesorgane hat, als die, welche mir zu Gebote stehen, das fremde in mir war es, das mich mit diesem Unbehagen erfüllte.

Ganz dasselbe empfand ich, als ich den Bildern von Eduard Munch gegenübertrat; ich stand wieder einmal vor den Offenbarungen einer nackten Individualität, vor den Schöpfungen eines somnambulen, transcen dentalen Bewusstseins, vulgo das Unbewusste genannt. Man kann es ja nennen wie man will; ich nenne es Individualität, und als solche ist sie mir nicht etwa ein Klassenbegriff, so dass sie nur die unterste, „eben kaum merkliche" Stufe des Bewusstseins bedeutet, sondern ein Individualbegriff , als Gegensatz zum Persönlichkeitsbewusstsein gedacht. Für mich ist die Individualität das Unsterbliche, Unveräusserliche. Sie ist der Grundstock, auf dem durch Vererbungen fortwährend neue Eigenschaften eingeimpft werden, sie ist die Trägerin der Vererbung; ewig pflanzt sie sich fort und lebt continuierlich seit Uranfang von dem ersten Aufdämmern des Lebens im organischen Keime bis in die höchste Entwickelungsstufe; den Menschen hinauf. Sie ist wie eine Woge, die ewig anschwillt, ein Keim, der sich in ewig neuen Metempsychosen in die Unendlichkeit fortpflanzt, und so ist sie in jedem Menschen der Sammelpunkt all der Merkmale, die alle Glieder seiner ganzen Entwicklungsreihe auszeichneten: eine Pangenesis in dem Sinne, wie sie sich Darwin dachte: jede Samenzelle trägt in sich den ganzen Menschen mit allen seinen Merkmalen.

Die Individualität giebt den Eindrücken die Intensität und Qualität, in ihr liegt der Verknotungspunkt , wo alle Eindrücke zusammenfliessen, wo die heterogensten Dinge als gleichwertig empfunden werden, weil die Individualität auf sie alle mit dem gleichen Gefühlston reagiert; dort wird Farbe zur Linie, Duft zum Tone: Lesparfums, les couleurs et les sons se repondent.

Die Individualität ist das Ewige im Menschen, und weil sie so unendlich älter ist als das junge Gehirn, und weil sie so unendlich receptiver ist als das Gehirn, und weil sie so unendlich feinere Sinnesorgane besitzt, als das Gehirn, so ist sie der Urgrund des psychischen Lebens, sie sättigt die Eindrücke, giebt ihnen Leben, ergiesst sich in sie mit dem mächtigen Blutstrom der Gefühle und Leidenschaften, und so ist sie die Macht, die erschüttert, die Wucht, die den Pelion auf den Ossa stülpt, die Kraft, die überzeugt, der Golf von Wärme, Leben und Puls.

Zwei Menschen sehen eine Landschaft. Einer sieht sie mit seinem armseligen Gehirn: Lichteindrücke, Farben, Formen, Linien, ein schön geordnetes Conglomerat matt, stumpf, banal und langweilig. Anders sieht diese Landschaft in dem Individualitätsbewusstsein. Die Farben werden glühend und heiss und intens; Linien, die ein Kind mit dem Griffel hinkritzeln könnte, bekommen mächtiges pulsierendes Leben, sie treten in Beziehung zu dem intimsten Seelenleben, sie verfliessen mit Seelenformen und man wird eins mit der Landschaft und lebtin ihrund durch sie

Das ist das Geheimnis des intimsten aller Gefühle: der Liebe zum heimatlichen Boden, zum Vaterlande — und das ist das Geheimnis der Empfindungsweise eines starken, grossen Künstlers.

Nehme man doch nur den ersten besten Vorwurf, wie ihn „persönliche" und „individuelle" Künstler ausbeuten: die Rache eines Weibes.

Der Künstler, der nur persönlich arbeiten kann, der nichts ausser den durch Erfahrung aufgespeicherten Formen kennt, der über gewisse traditionelle Denkformen nicht hinausgehen kann, wird wohl eine Vitrioleuse malen, die das herannahende Pärchen hinter einer Mauer erwartet.

Und nun vergleiche man damit eine Radierung von Felicien Rops. Seine „vengeance d'une femme" ist folgendermassen componiert: In einer Katakombe steht ein Weib im Corset und Unterrock. Sie hat den Rock hochgehoben und mit wüster, brutaler, cynischer Grandiosität zeigt sie auf ihr Geschlecht. Vor ihren Füssen liegt ein Sarg, und zu beiden Seiten der Thür, in der sie steht, strecken sich aus Löchern Männerhände heraus, welche die Scene mit Lichtern beleuchten. Das ist die furchtbare Tragödie des Mannes, der durch das Weib zerstört wird, und das ist das Weib, die babylonische Dirne, das ist Mylitta und die apokalyptische Hure, das ist Georges Sand und Nana zugleich: ein Riesensymbol ist es von dem ewigen, wüsten Kampfe der Geschlechter.

Der Prozess dieser Schöpfung ist ein synthetischer. Rops hat hier einen Eindruck festgehalten, der wie im momentanen Aufblitzen des Magnesiumlichtes den tiefsten Seelengrund beleuchtet, den Eindruck jenes intensivsten Hasses, der in dem Auge eines selbst unendlich tiefliebenden Weibes aufblitzen kann. Doch dieser Eindruck wuchs aus, schwoll an, reifte, suchte nach persönlichen Formen, die durch das Auge ins Gehirn kommen und hier kleidete er sich in die Gehirnformen eines Weibes, das vor dem Sarge des gestorbenen Mannes steht.

Der ursprüngliche Eindruck, der in die tiefsten Seelenschachten hineinkam, hier Wurzeln fasste, um wieder ins Gehirn auszuwachsen, ist symbolisiert, verdeutlicht, umgeformt, in einen Vorgang gekleidet, aber nicht festgehalten als solcher, nicht nackt dargestellt.

Edvard Munch ist es, der es als Erster unternommen hat, die feinsten und subtilsten Seelenvorgänge darzustellen, sowie sie spontan, völlig unabhängig von jeder Gehirnthätigkeit in dem reinen Individualitäts-Bewusstsein erscheinen. Seine Bilder sind geradezu gemalte Präparate der Seele in dem Momente, in der alle Vernunftsgründe schweigen, jegliche Vorstellungsthätigkeit aufgehört hat zu wirken: Präparate der tierischen, vernunftlosen Seele, wie sie sich windet und in wilden Stürmen aufwirbelt, und in düsterem Dämmerungszustande hinsiecht und in wilden Schmerzenskrämpfen schreit und vor Hunger heult.

* * *

Von seinen Bildern, die er im Dezember vorigen Jahres ausstellte, greife ich nur den Cyklus: „Liebe" heraus, weil diese Bilderserie die erschöpfende Charakteristik von Munch giebt. Es sind zusammen sechs Bilder: Frühlingsstimmung, Kuss, Vampyr, Eifersucht, Verzweiflung, Madonna.

Das erste Bild stellt im Vordergrund ein junges Mädchen dar, das in einer mystischen Zwielichtbeleuchtung zur Hälfte verschwimmt; zwischen intensiv grünen Bäumen sieht man ein Meer, das mit dem Himmel zusammentliesst, einen Mond, der sich in dem Wasser spiegelt und wie ein chemisches Reagenzglas aussieht, und ganz im Hintergrunde, halb im Himmel schwimmend, ein Schiff.

Man sieht, das Gegenständliche ist furchtbar Nebensache, aber in der Stimmung wirkt es sehr stark. Das ist die Sehnsucht der Pubertät. Das wird plötzlich geboren, es wächst, schwillt an, gestaltlos verschwimmend, es rollt hin und her und ballt sich zusammen und schreit nach Formen und Gestalt. Und da kann es kommen, dass Himmel und Erde zusammenfliessen, und die Bäume zu grünen Telegraphenstangen werden, und alles um einen im Wirbel herumkreist, und das Blut kocht und überströmt die Augen. Das ist die Sehnsucht des Werdens und des Beginnens, die ganze schmerzhafte Sehnsucht des Auswachsens, die Bangigkeit des gespannten Erwartens: das intenseln-sich-hinein-Horchen, halb Grauen, halb Lust auf dem wollüstigen Untergrunde der geschlechtlichen Erregung. Das ist Venus Anadyomene, wie sie so herrlich Richard Dehmel symbolysiert hat.

Das zweite Bild stellt den Kuss dar. Man sieht zwei Menschengestalten, deren Gesichter ineinander verschmolzen sind. Es giebt nicht einen einzigen erkennbaren Zug; man sieht nur die Verschmelzungsstelle, die wie ein Riesenohr aussieht und das in der Extase des Blutes taub wurde, es sieht aus wie eine Lache von flüssigem Fleisch: etwas Widerliches liegt darin. Diese Art der Symbolisierung ist allerdings etwas ungewöhnlich; aber die ganze Brunst des Kusses, die furchtbare Macht der geschlechtlichen, schmerzhaft lechzenden Sehnsucht, das Verschwinden des Persönlichkeitsbewusstseins, das Verschmelzen zweier nackten Individualitäten, ist so ehrlich empfunden, dass man über das Widerlich-Ungewöhnliche hinauskommt.

Das dritte Bild stellt eine Madonna vor. Es ist ein Weib im Hemde mit der charakteristischen Bewegung der absoluten Hingebung, in der alle Organempfindungen zu Erethismen intensester Wollust werden; eine Madonna im Hemde auf zerknitterten Laken mit dem Glorienschein des kommenden Geburtsmartyriums, eine Madonna in dem Momente erfasst, in dem die geheime Mystik des ewigen Zeugungsrausches ein Meer von Schönheit auf dem Gesicht des Weibes erstrahlen lässt, in dem die ganze Tiefe ins Empfinden tritt, da der culturelle Mensch mit seinem metaphysischen Ewigkeitsdrange, und das Tier mit seiner wollüstigen Zerstörungswut sich begegnen.

Auf dem nächsten Bilde giebt Munch die Darstellung von Liebe und Schmerz: Ein gebrochener Mann und auf seinem Nacken ein beissendes Vampyrgesicht. Der Hintergrund ein merkwürdig chaotisches Gemisch von blauen, purpurnen, grünen, gelben Farbenflecken, ineinander gemischt, verfliessend, nebeneinander gelagert und gezackt, wie kleine Krystallformen. Es ist etwas furchtbar Ruhiges, Leidenschaftloses in diesem Bilde; eine unermessliche Fatalität der Resignation. Der Mann da rollt und rollt in abgründige Tiefen, willenlos, ohnmächtig, und freut sich, dass er wie ein Stein so willenslos rollen kann. Den Vampyr wird er doch nicht los, den Schmerz wird er auch nicht los werden, und das Weib wird immer da sitzen, und wird ewig beissen mit tausend Natternzungen, mit tausend Giftzähnen.

Das Bild ist vielleicht am individuellsten empfunden. Peripherisch mag wohl Liebe ein Glück sein: im Persönlichkeitsbewusstsein giebt die Liebe eine Befriedigung, sie steigert so wunderbar die Geisteskräfte, sie sättigt so herrlich die Sinneseindrücke, sie bestrickt so wunderbar das Gehirn, dass es wie eine Rouletkugel um die paar armseligen Grenzpflöcke der Glückseligkeitsempfindung herumrollt; aber die uralte Seele des Sonnengeflechtes, die alle, alle Stürme der Evolution, alle Krämpfe der Zuchtwahl erlebt hatte, empfindet anders die Liebe. In ihren Tiefen wird sie zu einem stechenden Schmerz, zu einem beissenden Yampyr, zu einer scheusslichen Qual, das Weib nie und nie loswerden, nie und nie die hungernden Dämone der Sinne befriedigen zu können. Und mitten hinein in die herrlichste Glücksempfindung bricht das Feuerlava des alten Vulkans hinein; und nun kommt der Augenblick, indem man erkennt, dass das ganze Glück eigentlich nur eine Madenseligkeit ist, die die Sonne im Schmutz ausgebrütet hat.