Zur Psychologie des Individuums: Chopin, Nietzsche und Ola Hansson (Band 1&2) - Stanislaw Przybyszewski - E-Book

Zur Psychologie des Individuums: Chopin, Nietzsche und Ola Hansson (Band 1&2) E-Book

Stanislaw Przybyszewski

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Beschreibung

In 'Zur Psychologie des Individuums: Chopin, Nietzsche und Ola Hansson (Band 1&2)' von Stanislaw Przybyszewski, wird eine tiefgründige Analyse über die Psyche des Individuums präsentiert. Der Autor nimmt den Leser mit auf eine Reise, die sich durch die Werke von Chopin, Nietzsche und Ola Hansson erstreckt und deren Psychologie und Einfluss auf das Individuum erforscht. Przybyszewski's Schreibstil ist anspruchsvoll, aber zugänglich für diejenigen, die sich für Psychologie, Kunst und Literatur interessieren. Diese beiden Bände sind Meisterwerke der literarischen Analyse und bieten einen einzigartigen Einblick in die Denkweise dieser bedeutenden Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts. Stanislaw Przybyszewski, selbst eine prominente Figur der deutschen Literaturszene, war bekannt für seine tiefgründigen und kontroversen Werke. Durch seine intensive Auseinandersetzung mit Psychologie und Literatur war er prädestiniert, dieses Buch zu verfassen. Seine Fähigkeit, komplexe Themen auf eine faszinierende Weise zu vermitteln, spiegelt sich deutlich in diesem Werk wider. Das Buch 'Zur Psychologie des Individuums' ist ein Muss für alle, die sich für die Psyche des Menschen und ihre Verbindungen zur Kunst interessieren. Przybyszewski bietet eine außergewöhnliche Perspektive auf die Werke von Chopin, Nietzsche und Ola Hansson, die sowohl fesselnd als auch informativ ist. Es ist eine Lektüre, die den Leser dazu inspirieren wird, über die Komplexität des menschlichen Geistes nachzudenken und tiefer in die Welt der Psychologie einzutauchen.

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Stanislaw Przybyszewski

Zur Psychologie des Individuums: Chopin, Nietzsche und Ola Hansson

(Band 1&2)
            Books

Inhaltsverzeichnis

Zur Psychologie des Individuums
Chopin und Nietzsche
Ola Hansson

Zur Psychologie des Individuums

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Chopin und Nietzsche
I
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
Ola Hansson
I
II
III
IV
V

Chopin und Nietzsche

Inhaltsverzeichnis

I

Inhaltsverzeichnis

Wie sagt doch Zarathustra in seiner erhabenen Sternenweisheit?

„Ich lehre euch den Übermenschen. Der Mensch ist etwas, das überwunden werden soll. — Was habt ihr getan, um ihn zu überwinden?

Alle Wesen bisher schufen etwas über sich hinaus: und ihr wollt die Ebbe dieser großen Flut sein und lieber noch zum Tiere zurückgehen, als den Menschen überwinden?”

Es gibt nichts, das die Tragik des menschlichen Intellektes deutlicher offenbarte, als diese Worte.

Kant, der Gott die Existensberechtigung entzogen, erfand einen neuen Beweis für sein Dasein, Schopenhauer, der das Phantom der Willensfreiheit weggeblasen hatte, konnte nicht mehr die Verantwortlichkeit überwinden und schuf für sie in seinem „intellektuellen Gewissen” eine neue Stütze, und Nietzsche, der Freieste unter den Freien, er, der leichte Füße, fließenden Rhythmus und rasches Tempo lehrte, mußte sich den Übermenschen schaffen, als Beruhigung, Tröstung, eine Art Ruhekissen, auf dem er sein müdes, überhitztes Haupt niederlegen könnte.

Doch wie der Kliniker zwischen Wahn– und Zwangsvorstellungen unterscheidet und den ersteren Illusionen beizählt, die als reelle Empfindungen aufgenommen, den letzteren Wahngebilde, die als solche von dem Kranken erkannt werden, so ist auch hier dieselbe Unterscheidung vorzunehmen.

Kant und Schopenhauer begingen ihre Irrtümer mit vollster Überzeugung, sie glaubten nur strenge Konsequenzen zu ziehen, ob aber Nietzsche an das Phantom, das er in schweren Stunden der Verzweiflung geschaffen hatte, auch tatsächlich glaubte?

Ob er nicht dabei resigniert lächelte, und mit milder Selbstironie sich das vorrezitierte, was er einst über Erlösungsbedürfnis und den — Katholizismus der Gefühle schrieb?

Und das eben, was mich veranlaßt, Kant, Schopenhauer und Nietzsche zu sondern, ist es auch, was den Individualismus von gestern und den von heute unterscheidet.

Das Individuum[1] des Altertums und des Mittelalters war eine machtvolle Persönlichkeit, voll überschäumender Kraft, die regelmäßig in Wahnsinn ausartete, voll unerschütterlichen, rücksichtslos fanatischen Glaubens, glühender Begeisterung und brutalen Orgiasmus: dieses Individuum war ein Raubtier, Delirant und Gott zugleich und diese Art von Individuen waren es, welche den Wahnsinn zum Ausgangspunkte aller religiösen und staatlichen Handlungen machten, sie waren es, welche vermöge ihrer dämonischen Suggestionsmacht die gewaltigen Massenpsychosen in Szene setzten: die Kreuzzüge, die Religionskämpfe und noch zuletzt die französische Revolution.

Mania und Glaube kennzeichnen diesen Individualismus.

Der Individualismus von heute hat außer demselben Ursprunge, dem intensen Willen zur Macht, nichts mit dem früheren gemein.

In einer Zeit, wo die Herdeninstinkte sich zu einem mächtigen Gefühl der Zusammengehörigkeit kondensiert haben, wo die Rechte eines jeden Menschen genau abgegrenzt sind, wo jede Machtäußerung als ein Übergriff an diesem Rechte empfunden und zurückgewiesen wird, wo alles, das über das Niveau des Althergebrachten, Gewöhnlichen, Alltäglichen hinausreicht, als schädlich und gemeingefährlich bekämpft werden muß, ist an die Machtentfaltung der herrschsüchtigen Instinkte, an den Auslöser der tatengierigen Kräfte, an die Geltendmachung der über das Maß hinausgehenden Anlagen nicht zu denken.

Für das Individuum, das dermaßen organisiert ist, gibt es in der „Gesellschaft” keinen Platz. Und weil ein solcher Mensch alles, was er am liebsten tun möchte, nicht tun darf, und da ihm für seine Gedanken und Taten die Zustimmung aller fehlt, so wird er zu einer Art Tschandala und Paria: er fängt an, sich als Individuum zu betrachten. —

Was das Individuum von heute auszeichnet, das ist das Gefühl des Über-den-Menschen-seins, das Gefühl, außerhalb der Marktinteressen der Menge zu stehen, das Gefühl über alle Gefühle; seine Instinkte verkümmern, die Quelle seiner Kräfte allmählich versiegen zu sehen — die Geschichte des Individuums wird zu einer traurigen Monographie von gehemmtem Willen und irrgeleiteten Instinkten, einer Geschichte vom langsamen Bergeinsturze, wo das Wasser, das keinen Abfluß gefunden hat, sich in die Tiefe niederschlägt, Gesteinsmassen auflöst, zersetzt, aussaugt und den Fels in seinem innersten Gefüge lockert.

Daher die Sehnsucht nach Befreiung und Erlösung, die gefährliche, flügelrauschende Sehnsucht nach dem Hinüber und Hinauf.

Doch diese Sehnsucht hat aber noch ein distinktes Merkmal: das Bewußtsein der Aussichtslosigkeit, das klare Bewußtsein, daß der ersehnte Gegenstand eine Zwangvorstellung ist.

In ihr spricht sich ein Geist aus, der mit der ätzenden Säure seiner Vernunft alles zerstört, der längst aufgehört hat, an sich selbst zu glauben und sich gegen seine Arbeit mißtrauisch und ablehnend verhält, ein Geist, welcher sich selbst untersucht, sich nicht mehr ernst nehmen kann und über sich selbst hinwegzulachen und auf seinem eignen Kopfe tanzen gelernt hat, der in dem höchsten Raffinement menschlicher Findigkeit unbefriedigte Geist, der endlich nach langem Suchen zu der trostlosen Erkenntnis gekommen ist, daß doch alles umsonst gewesen, daß er über sich selbst nicht hinauskommen kann.

Daher auch die Sucht nach dem Genusse. —

Doch dieser morbiden Genußsucht fehlt die unbefangene Freude an dem Genusse, der sich Selbstzweck ist, und der dem instinktiv empfundenen Überflusse an Kräften entströmt. Das Individuum von heute besitzt nicht solche Instinkte und daher ersetzte es die naive Freude an der Auslösung des Kräfteüberflusses mit dem Verlangen nach Betäubung. Das ganze Leben wird zu einer reinen Betäubungsfrage.

Die Morbidezza eines solchen Genusses, der in dem Sich-betäuben-wollen gipfelt, erklärt dann auch die Art zu genießen.

In der schmerzhaften Anspannung der arbeitsunfähigen Nerven schwingt sich das Individuumdécadent bis zu jener geheimen Grenze hinauf, wo im menschlichen Leben Freude und Schmerz in einander übergehen, wo beide in ihren Extremen zu einer Art zerstörenden Lustgefühls, eines extatischen Außer– und Über-sich-seins werden. Alle Gedanken und Taten nehmen die Formen des Verwüstenden, Maniakalischen an und über allem ruht schwer, bedrückend etwas von der schwülen Athmospähre des nahenden Gewitters, etwas von den schmerzhaften Vibrationen der delirierenden Wollust einer Impotenz, etwas von der hektischen Röte einer Hysterie der Sinne.

Es ist ein klinisches Bild, das ich hier entworfen habe und einem solchen muß naturgemäß die physiologische Betrachtungsweise zu Grunde liegen.

Das Individuum ist in erster Instanz nichts als ein automatischer Oxydationsapparat, dessen ganzes intellektuelles Leben in erster Linie nur eine Einrichtung bedeutet, welche die vegetativen Lebensäußerungen psychisch umzuwerten und zu interpretieren, und so den Einzelnen vor dem Untergange schützt, indem sie ihm das Fördernde als Glücksgefühle, das Schädliche als Mißbehagen und Schmerz umdeutet.

Das psychische Leben aufgefaßt als vergeistigter Geschlechtstrieb, vergeistigte Magenvorgänge, vergeistigte Absonderungs– und Oxydationsprozesse vermag uns auch etwas über die biologische Stellung und Bedeutung des Individuums zu sagen.

Ich glaube hier eine These aufstellen zu können, die nicht weit an der Wahrheit vorbeischießen dürfte:

Je verfeinerter die Instrumente sind, welche die vegetativen Prozesse zum Bewußtsein bringen, je intensiver die Ausdrucksformen dieser Prozesse sowohl in der Freude wie im Schmerze, desto größere Aussichten besitzt das Individuum, sich zu erhalten, zu behaupten und so für das gedeihliche Fortkommen der Art zu sorgen.

In diesem Sinne ist das Individuum ein Art-erhaltendes, Art-förderndes Agens, nur so ist es zu verstehen, weshalb es gerade das Individuum war, welches den gefährlichen Übergang vom Tiere zum Menschen einleitete, welches die nachrückende Masse organisierte und von welchem alle Gestaltungs– und Formungsprozesse ihren Ausgang nehmen.

Das Individuum ist der ewige Zirkulationsstrom voll ernährenden Plasmas, der in dem sonst bedeutungslosen Gewebe den Stoffwechsel, die Grundlage des organischen Wachstums, besorgt und es so funktionell brauchbar macht, — ein Fermenterreger, der in das indifferente Gemenge die Gährungsprozesse einleitet, der leitende Verbindungsfaden, den man in einem Embryo zwischen Nerven und Muskelzellen vermutet und an dem der Nervenfaden in einen ganz bestimmten Muskel hineinwächst. —

Daher auch das Pathologische solcher Erscheinung, aber nur im klinischen Sinne.

Nur im klinischen, im physiologischen ist eine solche Entwicklung die denkbar natürlichste.

Das Individuum besitzt eine Nervenmasse von einer ungeheuren Instabilität, einer enormen Zersetzbarkeit, infolgedessen auch das Maßlose der Empfindungsqualität.

Maßlos im Schmerz und maßlos in der Freude.

Diese intense Empfindungsweise ist es, welche das Individuum darauf anweist, allein und einsam zu sein.

Nicht das Individuum sondert sich ab, sondern es ist schon von vornherein abgesondert.

Es empfindet anders, als alle Menschen, es empfindet dort, wo andere Menschen nichts emfinden, und weil die Gehirne seiner Mitmenschen selbst nicht einmal dort in Mitschwingungen geraten, wo das Individuum sich in heftigster Vibration befindet, so ist es eben einsam und allein. —

Das Tieftragische im Individuum ist das Mißverhältnis, in welchem es zu seinen Mitmenschen steht. Aus diesem Mißverhältnis erklärt sich dann sein Menschenekel und Menschenhaß, sein Mißbehagen und seine Sehnsucht, seine Selbstflucht und seine Krankheit und an diesem Mißverhältnisse geht das Individuum zu Grunde.

Das aber muß ich betonen, daß die Notwendigkeit des Unterganges einer solchen Persönlichkeit nicht in den Verhältnissen liegt, nicht im Außen begründet ist, sondern im Individuum selbst, in seiner innersten Uranlage, in seiner hohen Entwickelung.

Was diese Art der Entwickelung charakterisiert, ist die enorme Anspannung sämtlicher Kräfte in jedem Momente, das ist das große Gehirn mit der Fähigkeit, das Gras wachsen zu sehen, das Unhörbare zu hören, sich in jedem Augenblicke an jeder Empfindung mit seinem ganzen Inhalte zu betätigen, das ist der synthetisierende Geist, der jedes Ding in seinen entlegensten Zusammenhängen, in seinen intimsten Ausstrahlungen zu erfassen und es so zur höchsten Potenz zu erheben vermag, das ist der andauernde intellektuelle Erethismus mit seinen kataleptischen Zuständen, seinen Autosuggestionen und Wahnvorstellungen.