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Es ist ein besonderer Tag im kleinen Ort Thorshafen an der Ostsee: Das jährliche Wettangeln findet am See gleich hinter den Deichen statt. Nur durch einen Zufall nimmt der Erzähler daran teil und lernt Anja kennen. Gemeinsam angeln verbindet, macht aber auch müde. Eine vom Schilf verdeckte Stelle lädt zum Ausruhen ein, bis sich plötzlich die Angel strafft. Welcher Fisch hat angebissen, vielleicht ein Hecht oder gar ein Wels, der Herrscher des Sees? Am Ende des Tages feiern alle Thorsheimer gemeinsam: die Natur, das Leben, die Fische, das Meer und natürlich die Liebe, wobei nicht verraten sein soll, wie die Lehrerin Frau Laura es fertigbringt, zur Fischkönigin ernannt zu werden. Mit dieser letzten Geschichte hat Siegfried Lenz seinen Lesern über seinen Tod hinaus ein wunderbares Geschenk gemacht.
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Seitenzahl: 19
Siegfried Lenz
Das Wettangeln
Hoffmann und Campe
Ein Höhepunkt während der Ostseewoche war noch jedesmal das Wettangeln. Der kleine Ort Thorshafen gab sich dann Mühe, festlich zu erscheinen; etliche der weinroten Häuser waren beflaggt, die beiden Kaffeestuben hatten ihren Ausschank nahe an den See verlegt, und von den kleinen Booten prahlten manche mit einem neuen Anstrich. Wettangeln: für viele von uns war es die Gelegenheit, Glück und Könnerschaft zu erproben, zu beweisen. Ich nahm durch Zufall daran teil.
Wenn Henry Weiß nicht mit seinem Rollstuhl verunglückt wäre, hätte ich nicht die nötige Teilnehmerkarte erhalten. Henry war Insasse unseres Pflegeheims; ein ehemaliger Sportlehrer, der bereits eine Meisterschaft im Turmspringen gewonnen hatte, seine Disziplin aber wegen eines Bänderrisses hatte aufgeben müssen. Jetzt war er Schiedsrichter.
An jenem Tag sah ich ihn in seinem Rollstuhl auf dem Deich näher kommen, sah auch, wie er den beschwerlichen Weg meisterte, bis er auf die Abfahrt zum See kam, eine schmale, löchrige Abfahrt, auf der er, wie es mir vorkam, nur ruckweise vorwärtskam, plötzlich aber, als hätte ihn eine stoßweise unerwartete Energie erfaßt, dem Gefälle nachgab und dicht vor dem See stürzte. Er lag unter dem Rollstuhl wie festgeklemmt. Er versuchte, sich hochzustemmen, griff und zerrte und wollte auf die Beine kommen, doch es wollte ihm nicht gleich gelingen.
Ich war nicht der einzige, der seinen Sturz beobachtet hatte. Noch bevor ich bei ihm war, hörte ich Anjas Stimme vom Hügel her, von dem kalkweißen Haus. Sie war die Nichte von Henry Weiß und lebte früher mit ihm in dem geräumigen Haus und besorgte seinen Haushalt. Eilig kam sie den Hügel herab gelaufen und gemeinsam gelang es uns, den alten hilflosen Mann aufzurichten und auf den Hangweg zu schieben, so hoch über dem Wasser, daß er alles bis zum Schilfgürtel überblicken konnte. Hier blies er das Horn zum Zeichen, daß das Wettangeln beginnen konnte. Sein Horn hatte einen tiefen, warnenden Ton, man konnte ihn auch für einen Hilferuf halten. Am Ufer des Sees wurde sein Signal sogleich verstanden; an mehreren Stellen, als hätten sie darauf gewartet, erhoben sich einige Angler; manche in Ölzeug, manche trugen Wurfruten, Schachteln mit Blinkern und selbstgemachten Ködern.