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In diesem Buch geht es darum, wie Sprache funktioniert und wie sie wirkt. "Das Wort im Kopf" ist eine kurzweilige und aufschlussreiche Einführung in die Welt der Sprache. Die Wörter sind eine stille, aber große Macht. In unserem Gehirn entfalten sie ungeahnte Kräfte. In Zeiten von "Fake News" und "Hate Speech" überschlagen sich die Deutungen für die Ursachen dieser Phänomene. Eines fällt dabei auf. Von der Macht der Sprache an sich, davon, wie sie funktioniert und wie sie wirkt, ist dabei kaum die Rede. Marketingleute, immer schon auf Manipulation aus, wissen darüber offenbar mehr als die vermeintlich der Aufklärung verpflichteten Journalisten. Gewisse "Alpha-Journalisten" halten neuere Untersuchungen zum Thema sogar für "akademische Spielereien". Das Buch ist eine Handreichung, sich im sprachlichen Alltag besser zurechtzufinden. Es lohnt sich, hier und da genauer hinzuhören, etwas noch einmal zu lesen und zu durchdenken, anstatt die Wörter in Hochgeschwindigkeit zu "scannen" – es sei denn, man möchte sich manipulieren lassen ...
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Seitenzahl: 60
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Susanne Weiss
Das Wort im Kopf
Die unterschätzte Macht der Sprache
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©Wortwandel
Berlin 2020
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wortwandel.de
Inhaltsverzeichnis
Einführung – Nur Wörter?
Ein alter Irrtum namens Lexikon
Wörtlichkeit ist immer die Ausnahme
Bewegung
Wirkung
Kurze Vorstellung der Kapitel des Buches
Unschärfe, wortwörtlich
Wie wir Metaphern ohne Regeln verstehen. Die Chaoskompetenz des Gehirns
Dynamische Wörter im denkenden Netzwerk
Polysemie und Homonymie
Metaphern und Kontexte
Das Geplapper der Wirklichkeit
Die Vielstimmigkeit ist nicht kleinzukriegen
Metaphern und Geheimsprachen
Der Sinn und die Leerstelle
Ungefärbt ist Vernunft auch nur ein Wort
Die Sachlichen, das Limbische System und der Rhythmus im Reptiliengehirn
Die Reise ins Reptiliengehirn oder: Kopfarbeit ist immer auch Handarbeit
Maschinenfreie virtuelle Realität
Die Vertiefung beim Lesen und die Abneigung des Gehirns gegen tumbe Sprache
Erzählen
Frames und andere Manipulationsversuche
LTI und andere unzulässige Verschränkungen
Plastikwörter
Kultur und Kontext
Der Streit um Sprache und Denken
Die Relativitätstheorie der Sprache
Kulturelle Kontexte
Nachwort
Literaturverzeichnis
Einführung
Ein alter Irrtum namens Lexikon
Kommt ein Wort in den Kopf. Der Bibliothekar, ein alter Mann mit rutschender Brille auf der Nase und einem weiten dunklen Samtmantel, schlurft zum Lexikon. Das Lexikon ist riesig und sehr, sehr alt, der Ledereinband verschlissen. Mühsam wuchtet der Alte das Lexikon auf den Tisch seiner Studierstube und schlägt ächzend den dicken Folioband auf. Die Buchseiten sind ehrenvoll krakeliert. Der Bibliothekar hustet. Der Staub wirbelt in alle Richtungen. „Das Wort ... Moment ... das Wort ... Das Wort heißt ‚Wort’“, sagt er „und ist ... ein Wort. Es gibt auch noch einige Zusammensetzungen. Möchten Sie die auch noch wissen? Nein? Gut.“ Er schlägt das Lexikon wieder zu, mehr Staub wirbelt auf, der Alte hustet.
Das Bild vom Lexikon als dickem Folianten klingt ein wenig staubig. Die moderne Variante des Lexikons im Gehirn ist eine Datenbank, in der das Wort mitsamt seiner genauen Bedeutung liegt. Hier geht alles ein bisschen schneller, und es ist auch nicht so staubig. Da liegt nun also unser Wort gespeichert mitsamt seiner genauen Bedeutung, das Wort an sich sozusagen, im Grunde genau wie im alten Lexikon auch. Wirklich?
In diesem Buch geht es darum, wie Sprache funktioniert und wie sie wirkt. In Zeiten von „Fake News“ und „Hate Speech“ überschlagen sich die Deutungen für deren Ursachen. Eines fällt dabei auf. Von der Macht der Sprache an sich, davon, wie sie funktioniert und wie sie wirkt, ist dabei kaum die Rede. Marketingleute, immer schon auf Manipulation aus, wissen darüber offenbar mehr als die vermeintlich der Aufklärung verpflichteten Journalisten. Gewisse „Alpha-Journalisten“ halten neuere Untersuchungen zum Thema sogar für „akademische Spielereien“. Offenbar erfreuen sie sich an der Vorstellung, die eigenen goldenen Worte mit all den Weltdeutungen und Wahrheitsrettungsaktionen kämen 1 : 1 beim Publikum an. Das ist, wie wir sehen werden, magisches Denken.
Das Buch ist eine kurzweilige Handreichung, sich im sprachlichen Alltag besser zurechtzufinden. Es lohnt sich, hier und da genauer hinzuhören, etwas noch einmal zu lesen und zu durchdenken, anstatt die Wörter in Hochgeschwindigkeit zu „scannen“ – es sei denn, Sie wollen sich unbedingt manipulieren lassen.
„Die Sprache ist die Mutter, nicht die Magd des Gedankens.“
Karl Kraus
Das Konzept von den Wörtern, die im Lexikon ausharren, bis sie gerufen werden, birgt ein Problem. Wörter haben keine feste Bedeutung, jedenfalls nicht so, wie wir uns das immer vorstellen. Dieses Konzept würde nämlich voraussetzen, dass Wort und Ding in einer festen Beziehung miteinander lebten. Tun sie aber nicht. Sie leben nicht in monogamer Ehe miteinander, sondern wechseln das (Beziehungs-)Hemd, wie es gerade kommt. Nehmen Sie ein Wort wie „Schale“. Haben wir es hier mit Nüssen, Äpfeln, Teetassen oder Müsli zu tun? Haselnüssen, Walnüssen, roten Äpfeln, grünen Äpfeln, grünem Tee, chinesisch oder japanisch? Der „Baum“ ist was genau? Ein Stammbaum oder ein Baumstamm?
„Ein Wort im Kopf zu haben, heißt nicht nur, es in seinem grammatischen und syntaktischen Kontext zu sehen“, erklärt der Kognitionswissenschaftler Arthur Jacobs. „Für das Gehirn ist es vielmehr ein Stichwort für alle damit verbundnen Assoziationen“. (Schrott, Jacobs, 2011)
Mit anderen Worten: Wörter haben so etwas wie unscharfe Ränder. Die genaue Bedeutung eines Wortes muss im Gehirn in jedem neuen Kontext neu konstruiert oder rekonstruiert werden. Beim Lesen gleicht das Gehirn Bekanntes mit Unbekanntem ab, sucht und findet Strukturen, erinnert sich an Bewegungen, Gerüche oder Klänge, bewertet das Gelesene und weist dann Bedeutung zu, je nach Erfahrungshintergrund.
Mit anderen Worten:
Wörtlichkeit ist immer die Ausnahme.
Das Wort an sich ist also stets nur ein Bruchteil der übermittelten Information. In der Lebenswirklichkeit herrschen die Konnotationen, die Beiklänge mit ihrem verwirrenden Geplapper aus ähnlichen, sich überlappenden oder einander widersprechenden Bedeutungen. Sich darin zurechtzufinden, setzt eine Grundausstattung geteilten Weltwissens und gemeinsamer Sprachpraxis voraus.
Einige Zweige der Kognitionswissenschaft untersuchen diese Prozesse seit einigen Jahrzehnten und können inzwischen sehr genaue Aussagen zum Zusammenhang von Sprache und Denken machen. Es ist ein Zusammenhang, den die Klassische Rhetorik seit jeher kennt (Ueding 2011). Für den Ethnologen Edward T. Hall organisiert Sprache die Gedanken im eigenen Gehirn und löst in dem des Gegenübers wiederum Gedanken aus. Sie ist nie nur einfach ein Transportmittel für Gedanken und Bedeutung von einem Gehirn zu einem anderen. Und nichts von dem, was wir sprechen oder schreiben, kommt 1 : 1 bei diesem Gegenüber an. (Hall, 1976)
Auf den ersten Blick klingt das trivial. Doch Sprache und Denken werden in der Alltagsvorstellung irrtümlich als getrennte Systeme angesehen, die nichts miteinander zu tun haben. Besonders in großen Teilen der Wissenschaft gilt die – falsche – Devise: Erst denke ich, dann spreche oder schreibe ich. Geniekult und Talentmythen der deutschen Romatik haben hier ihre Hand im Spiel. Naturwissenschaftlich inspirierte Linguisten früherer Jahrzehnte taten ein Übriges, den Glauben an diese Märchen zu legitimieren.Sprache wird nicht einfach einem zuvor Gedachten übergestülpt. Vor allem ist sie kein Instrument einsamen Vor-sich-hin-Räsonnierens, sondern ein ganz und gar geselliges Wesen.
Bewegung
Sprechen wir über Bewegung – und damitzurück zu unserem Wort. Es kommt also in den Kopf und entfaltet dort zusammen mit seinen Kumpanen unheimliche Kräfte. Sie wissen, was passiert, wenn wir lesen. Wir vergessen die Welt um uns herum.
Dazu noch einmal der Kognitionswissenschaftler Arthur Jacobs. „Beim Lesen wie beim Sprachverstehen sind Prozesse im Spiel, die auf denselben oder ähnlichen neuronalen Mechanismen beruhen wie beim direkten Erleben. Diese mentale Simulation verbal oder schriftlich beschriebener Situationen bewirkt demnach ( ... ) eine mit der realen Wahrnehmung vergleichbare, bisweilen sogar stärkere Eindrücklichkeit. Das Schriftbild von Worten und Sätzen stellt dieselbe Art von sensorischen Reizen dar wie Objekte oder Gesichter.“ (Schrott, Jacobs, 2011) Und mehr noch. „Nur“ Wörter sind imstande, das Gehirn auf physische Bewegung vorzubereiten. „Allein an einen Kiesel zu denken“, so Jacobs, „bereitet uns schon darauf vor, die Hand auszustrecken, die Finger zu schließen und mit dem Arm auszuholen.“